Das Schlachthaus war ein großes vierstöckiges Backsteingebäude, dem ein eigenartiger Geruch entströmte, süßlich und schwer wie Moschus. Am Haupteingang hing ein Schild mit der Aufschrift: Besichtigung jederzeit. Dadurch ermutigt, ging Lexington hinein und gelangte auf einen Hof mit Kopfsteinpflaster, der das Haus umgab. Er folgte einer Reihe von Wegweisern (Zu den Führungen) und kam schließlich zu einer vom Hauptgebäude getrennten Wellblechbude (Warteraum für Besucher). Nach höflichem Anklopfen trat er ein.
In dem Raum befanden sich bereits sechs Personen: eine dicke Mutter mit zwei kleinen Jungen von etwa neun und elf Jahren; ein junges Paar mit strahlenden Augen – die beiden schienen noch in den Flitterwochen zu sein – und eine blasse Frau, die lange weiße Handschuhe trug, sehr aufrecht saß, starr vor sich hin blickte und die Hände im Schoß gefaltet hatte. Niemand sprach. Lexington überlegte, ob sie wohl alle, wie er, Kochbücher schrieben, doch als er die Frage laut an sie richtete, bekam er keine Antwort. Die Erwachsenen lächelten nur geheimnisvoll und schüttelten den Kopf, während die beiden Kinder ihn wie einen Verrückten anstarrten.
Bald darauf öffnete sich die Tür. Ein Mann mit einem lustigen roten Gesicht stand auf der Schwelle und sagte: «Die Nächsten, bitte.» Die Mutter erhob sich und ging mit den beiden Jungen hinaus. Nach zehn Minuten kam der Mann zurück. «Die Nächsten, bitte», sagte er, und die Jungvermählten sprangen auf.
Zwei neue Besucher traten ein und setzten sich – ein Mann in mittleren Jahren und seine ungefähr gleichaltrige Frau, die einen Einkaufskorb mit Lebensmitteln bei sich hatte.
«Die Nächsten, bitte», sagte der Führer wieder, und die Frau mit den langen weißen Handschuhen stand auf.
Mehrere Leute kamen herein und nahmen auf den steiflehnigen Holzstühlen Platz.
Bald erschien der Führer zum vierten Mal, und nun war Lexington an der Reihe.
«Folgen Sie mir bitte», sagte der Mann und ging mit dem Jüngling über den Hof auf das Hauptgebäude zu.
«Wie aufregend das ist!» Lexington hüpfte von einem Fuß auf den anderen. «Ich wollte nur, meine liebe Tante Glosspan könnte das alles mit mir zusammen erleben.»
«Ich mache nur den ersten Teil der Führung», erklärte sein Begleiter. «Danach reiche ich Sie weiter.»
«Ganz wie Sie meinen», rief der begeisterte Jüngling.
Sie gelangten zu einem großen eingezäunten Platz hinter dem Hauptgebäude, wo einige hundert Schweine herumliefen. «Hier fängt’s an», sagte der Führer, «und dann werden sie da drüben hineingetrieben.»
«Wo?»
«Dort.» Der Mann deutete auf einen langen Holzschuppen an der Außenwand des Gebäudes. «Wir nennen es den Kettenpferch. Kommen Sie bitte.»
Als Lexington und der Führer sich näherten, waren drei Männer in hohen Gummistiefeln gerade dabei, ein Dutzend Schweine in den Pferch zu treiben, und so gingen die beiden gleich mit hinein.
«Passen Sie auf», sagte der Führer, «jetzt werden die Tiere angekettet.»
Der Schuppen hatte Holzwände und kein Dach. An der einen Wand, parallel zum Fußboden, war in etwa drei Fuß Höhe ein Stahlkabel mit Haken angebracht, das in ständiger langsamer Bewegung war. Am Ende des Schuppens wechselte es die Richtung, stieg senkrecht zur Dachöffnung hinauf und weiter zum obersten Stockwerk des Hauptgebäudes.
Die zwölf Schweine, die sich in der Nähe des Eingangs zusammendrängten, standen unbeweglich und blickten furchtsam umher. Einer der Männer in Gummistiefeln nahm eine Eisenkette von der Wand, ging damit von hinten auf eines der Schweine zu, bückte sich und schlang ihm rasch ein Ende der Kette ums Hinterbein. Das andere Kettenende befestigte er an einem Haken des vorbeilaufenden Kabels. Die Kette straffte sich. Das Bein des Tieres wurde hochgezerrt und nach hinten gezogen, und das Schwein kam ins Rutschen. Es fiel jedoch nicht hin, denn es war ein ziemlich gelenkiges Schwein und brachte es irgendwie fertig, im Gleichgewicht zu bleiben, während es auf drei Beinen hüpfte und sich gegen die ziehende Kette wehrte. Aber das Tier glitt immer weiter rückwärts, bis es am Ende des Schuppens, wo das Kabel die Richtung änderte und senkrecht nach oben führte, plötzlich den Boden unter den Füßen verlor und aufwärts schwebte. Schrilles Protestgequieke erschallte.
«Das ist wirklich faszinierend», sagte Lexington. «Aber was hat da so merkwürdig gekracht, als es in die Luft gezogen wurde?»
«Wahrscheinlich das Bein», antwortete der Führer. «Oder das Becken.»
«Macht das nichts aus?»
«Was soll es ausmachen?», meinte der andere. «Die Knochen isst man ja nicht.»
Die Männer in Gummistiefeln beeilten sich, auch die übrigen Schweine anzuketten; eines nach dem anderen wurde an das laufende Kabel gehakt und schwebte unter lautem Protestgeschrei himmelwärts.
«Zu diesem Rezept gehört ein gut Teil mehr als Kräuterpflücken», sagte Lexington. «Tante Glosspan hätte das nie geschafft.»
Während Lexington nach oben schaute, wo soeben das letzte Schwein entschwand, näherte sich ihm von hinten ein Mann in Gummistiefeln, schlang eine Kette um das Fußgelenk des Jünglings und hakte das andere Ende an das laufende Kabel. Bevor unser Held wusste, wie ihm geschah, fiel er um und wurde über den Betonboden des Kettenpferchs geschleift.
«Halt!», schrie er. «Alles anhalten! Mein Bein ist in die Kette gekommen.»
Niemand schien ihn zu hören, und fünf Sekunden später wurde der unglückselige junge Mann vom Fußboden hochgerissen und stieg durch das offene Dach des Schuppens nach oben, hilflos an einem Knöchel hängend und wie ein Fisch zappelnd.
«Hilfe!», brüllte er. «Hilfe! Ein Irrtum! Ein furchtbarer Irrtum! Haltet die Maschinen an! Lasst mich runter!»
Der Führer nahm die Zigarre aus dem Mund, sah gelassen zu, wie der Jüngling rasch gen Himmel fuhr, und sagte kein Wort. Die Männer in Gummistiefeln waren schon damit beschäftigt, die nächste Gruppe Schweine in den Pferch zu treiben.
«Rettet mich!», kreischte unser Held. «Lasst mich runter! Bitte lasst mich runter!» Aber er näherte sich bereits dem obersten Stockwerk des Gebäudes, wo sich das Kabel wie eine Schlange krümmte und auf eine Öffnung in der Wand zulief, auf eine Art Tor ohne Türflügel. Und dort, zum Empfang bereit, anzusehen wie Petrus an der Himmelspforte, stand in einer fleckigen gelben Gummischürze der Schlächter.
Lexington, der mit dem Kopf nach unten hing, sah ihn verkehrt herum – und auch das nur kurz –, doch er bemerkte sofort den Ausdruck friedlichen Wohlwollens, das freundliche Blinzeln der Augen, das leichte nachdenkliche Lächeln, die Grübchen in den Wangen – und das alles erfüllte ihn mit Hoffnung.
«Hallo», grüßte der Schlächter freundlich.
«Schnell! Retten Sie mich!», schrie unser Held.
«Mit Vergnügen», antwortete der Schlächter, nahm Lexington mit der linken Hand sanft am Ohr, hob die Rechte und schnitt ihm mit einem Messer die Halsschlagader durch.
Das Kabel lief mit Lexington weiter. Für den Jüngling stand alles Kopf, und das Blut, das aus seiner Kehle drang, floss ihm in die Augen, aber er konnte trotzdem so einigermaßen sehen. Er hatte den verschwommenen Eindruck, in einem sehr langen Raum zu sein, an dessen anderem Ende sich ein riesiger dampfender Wasserkessel befand. Dunkle, halb vom Dampf verhüllte Gestalten tanzten um den Behälter herum und schwenkten lange Stangen. Das Förderband führte offenbar über den Kessel hinweg, und wenn Lexington sich nicht täuschte, wurden die Schweine eines nach dem anderen in das kochende Wasser getaucht. Eines der Tiere schien an den Vorderbeinen lange weiße Handschuhe zu tragen.
Unser Held fühlte sich plötzlich sehr schläfrig, aber erst als sein gutes, kräftiges Herz den letzten Blutstropfen aus seinem Körper gepumpt hatte, ging er aus dieser, der besten aller möglichen Welten, in die nächste über.