Grusinka-Maru (Im Transit, Demarchy nach Diskus) + 2,75 Megasekunden

„… wie wollen Sie jetzt erklären, was Ihr Mann getan hat, MacWong? Nur er kann den Fremden gezeigt haben, wie sie an den Wasserstoff herankommen. Damit hat er sichergestellt, daß wir das Sternenschiff nicht mehr erwischen können, bevor es das System verläßt.“ Esrom Tiriki bewegte sich ungeduldig im überfüllten Kontrollraum des Schiffes.

„Er ist nicht mehr ,mein Mann’, Demarchos Tiriki. Er wurde zum Verräter erklärt“, antwortete Lije MacWong schwächlich. Sehr zu meiner eigenen Überraschung ist er auch tatsächlich ein Verräter. Aber warum? Rache? Vernünftiger Gedanke… „Jedenfalls hat er das Sternenschiff auch nicht den Ringbewohnern ausgeliefert.“

„Aber Sie sagten, das würde er tun.“

„Was auch ein vernünftiger Gedanke war.“ Ungewohnte Anspannung verkrampfte MacWongs Nackenmuskeln — forciert durch das Unbehagen, das die Beschleunigung des Schiffes verursachte. Und auch durch das Unbehagen aller Anwesenden an Bord. Insgeheim verwünschte er den unglücklichen Zufall, der die Destille der Tirikis zum Miteigner dieses Fusionsschiffs machte, was Esrom Tiriki eine Berechtigung verschafft hatte, mit an Bord zu sein. Tiriki und seiner Gesellschaft waren einige bemerkenswerte Peinlichkeiten nicht erspart geblieben, als ihre Pläne mit dem Sternenschiff enthüllt wurden, und sogar Tirikis Begleiter hatten ihrem Unmut offen Ausdruck verliehen. MacWong bedauerte weiterhin, daß Tiriki nicht genügend Selbstkontrolle hatte, um stumm zu leiden.

Der Repräsentant von Nchibe zog die unerwünschte Aufmerksamkeit Tirikis wieder auf sich, und MacWong driftete zurück, vorbei an einem fuchtelnden, hektischen Medienmann in der Livree von Nchibe. Sie hatten die Reaktion der Ringbewohner auf die Drohungen des Sternenschiffs mitverfolgen können — die augenblicklich ins Demarchy übertragen worden war, wie alle Informationen, die während dieser Mission ans Tageslicht kamen. Das Volk, der launige Gott, auf dessen Altar er Wadie Abdhiamal neben einigen anderen Opferlämmern geopfert hatte, beobachtete ihn sogar hier. Aber vorerst einmal bewahrte das Volk Stille, denn jeder Funkspruch hätte zwangsläufig auch das Sternenschiff erreicht und so ihre Ziele verraten. Zum ersten Mal im Verlauf seiner Karriere hatte er eine gewisse Freiheit, was seine Entscheidungen anbelangte, aber er war noch nicht ganz sicher, wie sehr er sich darüber freuen sollte.

Denn die nächste Entscheidung, die er zu treffen hatte, war die, ob sie das Sternenschiff weiter verfolgen oder zum Demarchy zurückkehren sollten. Diese Entscheidung war gar nicht so leicht, wie es den Anschein hatte… Das Sternenschiff hatte tausend Tonnen Wasserstoff an Bord genommen — wesentlich mehr, als es zum Verlassen des Systems benötigte, nach allem, was Osuna ihm gesagt hatte. Eine Ladung, die Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit entscheidend beeinflussen konnte. Hatten sie das auch aus Rachegelüsten getan? Das bezweifelte er. Sie hatten schon einmal ein Schiff zerstört — dieses Mal hätten sie wesentlich mehr vernichten können… das Schicksal der Hauptdestille hatte in ihren Händen gelegen. Aber sie hatten sie nicht vernichtet. Seine diesbezüglichen Gefühle bestanden gegenwärtig aus einer seltsamen Mischung aus Faszination und Erleichterung.

Doch bei seinem ersten Eintritt in das System war das Schiff direkt nach Lansing geflogen. Ein Mann von Lansing war mit der Frau auf Mekka gewesen. Wenn die Besatzung eine Art Abkommen mit Lansing abgeschlossen hatte, konnte das einiges erklären. Es würde auch bedeuten, daß das Schiff nicht direkt aus dem System verschwinden würde und es für die Schiffe des Demarchy immer noch eine Gelegenheit gab, es aufzubringen.

MacWong blickte zurück, als der Pilot des Schiffes sich Tiriki und den anderen näherte und ihr Gespräch unterbrach. Und was würde geschehen, wenn sie das Sternenschiff in ihre Gewalt gebracht hatten? Er sah zur Luke an seiner Seite hinaus, wo er den langen, hellen Strahl eines zweiten Raumschiffes sehen konnte. Dann wären sie Millionen Kilometer vom Demarchy entfernt — diese drei bewaffneten Schiffe und die Männer, die sie kontrollierten: ambitionierte Männer, Männer, die Spaß an der Macht hatten. Männer wie Esrom Tiriki. Egal was das Volk hinsichtlich des Sternenschiffes entscheiden würde, zu diesem Zeitpunkt hätte es keinerlei Macht, die Männer auch zum Gehorsam zu zwingen… und sie würden das schnell erkennen. Die Nähe zu Tiriki und seine Isolierung vom Volk hatten ihn erkennen lassen, was Abdhiamal schon von Anfang an instinktiv gewußt hatte: daß das Schiff, das sie als ihren Segen ansahen, sich auch blitzschnell in einen tödlichen Fluch verwandeln konnte.

Er seufzte. Du warst immer schon der bessere Mann von uns beiden, Wadie, und darin lag das ganze Problem… Und vielleicht ließ sich damit Abdhiamals Verrat besser erklären als mit den ganzen Spekulationen über Verrat und Rache. Es hatte ihm mehr als leid getan, aus Abdhiamal einen Heimatlosen zu machen… aber im Endeffekt konnte sich das als sein bisher bester Schachzug erweisen. Und vielleicht hatte er jetzt die Möglichkeit, Abdhiamal teilweise zu entschädigen — indem er als Sprecher des Volkes den Mund hielt.

„Demarchos…“ Die drei Männer der Gesellschaften und der Pilot sahen ihn an, und er sah den Medienmann seine Kameralinse einstellen. „Ich glaube, wir alle sind uns inzwischen darüber im klaren, daß unser Versuch, das Raumschiff unter unsere Herrschaft zu bringen, gescheitert ist. Aber wenigstens ist es nicht in Feindeshand gefallen. Es verläßt das System. Wir können auf eine weitere Verschwendung unserer wertvollen Ressourcen verzichten und heimkehren…“

„Vielleicht haben wir das Schiff noch nicht ganz verloren, Demarchos MacWong.“ Tiriki bedachte ihn mit einem steinernen Lächeln, das irgendwie noch unerfreulicher war als seine bisherige Schroffheit.

„Gerade eben bekamen wir ein paar zusätzliche neue Informationen über das Schiff.“ Der Neffe von Estevez nickte dem Piloten zu. „Lin-piao sagte eben, daß das Schiff das System nicht verläßt. Es kehrt zum Hauptgürtel zurück.“

„Nach Lansing“, sagte Tiriki. „Sie kehren nach Lansing zurück.“

„Wir haben immer noch eine Chance, es zu erwischen. Lin-piao sagt, es bewegt sich mittlerweile nur noch mit einem Viertelgrav fort.“

MacWong zögerte, da sie sich alle darin einig waren, ihre Mission fortzusetzen. Und hinter ihnen wartete das gesamte Demarchy stumm und abwägend. Es wußte, was sie auch wußten, wußte auch, daß er, MacWong, diese Verfolgung angestrebt hatte. Das Volk wußte zwar nicht alles… aber hatte es inzwischen nicht schon zuviel hinzugelernt? Er konnte immer noch auf eine Umkehr drängen… aber würden sie das jetzt noch akzeptieren? „Wenn das Volk der Meinung ist, eine weitere Verfolgung des Sternenschiffes sei nicht lohnenswert, dann wird es uns seine Meinung kundtun.“ Die letzten Worte hatte er mit großem Nachdruck direkt in die Kameras gesprochen. „In der Zwischenzeit…“ Er spürte sieben Augenpaare auf sich ruhen, hinter denen noch Tausende andere lauerten. „Angesichts der neu erlangten Informationen bin ich der Meinung, wir sollten unsere Mission fortsetzen. Ich verfüge über persönliche Daten, den Eintritt des Sternenschiffes in unser System sowie seinen Treibstoffbedarf betreffend, die dafür sprechen, daß es nach Lansing fliegt.“ Tut mir leid, Wadie. Er sah die Gesichter sich entspannen, die Mienen drückten Zufriedenheit aus. Aber es ist meine Aufgabe, den Leuten das zu verschaffen, was sie wollen. Er konnte ihnen sogar ins Gesicht lächeln, eine Befriedigung für eine andere.

„Demarchos…“ Der Pilot zupfte selbstgefällig an den goldenen Aufschlägen seiner Jacke. „Wenn wir jetzt den Kurs ändern, werden wir vielleicht trotzdem nicht imstande sein, sie einzuholen. Auch wenn das Sternenschiff nur mit einem Viertelgrav beschleunigen kann — wir selbst müssen vor Lansing wieder verlangsamen…“

Der Pilot brach ab, als er das Stirnrunzeln sah, das sich einhellig unter ihnen ausbreitete. MacWong wog seine Aussage sorgfältig ab und überlegte sich bereits die Worte, die jeden Zweifel an seiner eigenen Glaubwürdigkeit ausräumen würden. „Ich glaube, das wird kein Problem werden, Demarchos. Wenn man von folgendem Ablauf der Ereignisse ausgeht…“

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