Lansing 04 (Hoheitsgebiet Demarchy) + 1,51 Megasekunden

„Da sind wir“, sagte Shadow Jack fast seufzend. „Der Mekka-Felsen.“

Bertha beobachtete, wie er in der Luke sichtbar wurde: ein fünfzig Kilometer langer, kartoffelförmiger Gesteinsklumpen, zerfurcht sowohl von der Hand der Natur als auch der des Menschen. Mekkas längere Achse deutete zur Sonne, die ihnen am nächste Seite lag im Dunkeln, eingerahmt von einer ewigen Korona goldenen Sonnenlichtes. Als sie sich näherten, begann sie die Landungspositionslichter zu erkennen — und zwischen ihnen riesige; hervorstehende Gebilde, die von unten her beleuchtet wurden und ihre Schatten warfen, welche verschlungen wurden von dem größeren Schatten der Leere. Endlich erkannte sie sie als Lagertanks — enorme Ballons, gefüllt mit wertvollen Gasen. Endlich… Sie bewegte sich in dem engen, nur spärlich erleuchteten Raum vor den Instrumenten, fühlte, wie ihre betäubten Emotionen sich regten und zum Leben erwachten. Sie füllte ihre verstopften Lungen mit der toten, abgestandenen Luft, hörte irgendwo hinter sich einen Ventilator unregelmäßig und uneffektiv arbeiten und fragte sich, ob sie ihren Geruchssinn, der gnädigerweise seit geraumer Zeit abgestorben war, jemals wiedererlangen würde. Es war nur ein kleiner Trost zu wissen, daß die Reise, ohne das Überholen, das sie an Bord der Ranger geleistet hatten, noch schlechter geworden wäre. Zwei Fremde von Lansing konnten selbst Morningsidern noch zeigen, was Zähigkeit bedeutete… Die Ranger fiel ihr wieder ein und mit ihr die bittere Erkenntnis, daß sie das Hoheitsgebiet des Demarchy in einem Tag hätten durchqueren können, um nach Mekka zu gelangen, anstatt in fünfzehn, dazu mit perfektem Komfort — wäre die Lage der Dinge anders gewesen. „Aber wir sind da. Gott sei Dank. Und auch dir Dank, Shadow Jack. Das war gute Arbeit.“ Ihre Hand streichelte gedankenlos seinen Arm, eine Geste, die jemand anderem galt. Erstaunt erwachte er aus seiner üblichen Zurückgezogenheit; er schien verlegen zu sein, ein Ausdruck, der sich noch verstärkte. Er griff nach vorn, um die Radiofrequenzen abzuhören. Statische Geräusche und Bruchstücke von Stimmen erfüllten plötzlich die Stille der Kabine.

„Hattest du einen von ihnen besonders lieb?“

Sie seufzte. „Ja… ja, ich glaube schon. Es ist ein Gefühl, gegen das man machtlos ist; ich liebte sie alle so sehr, doch einen…“ Der nicht hier ist, jetzt, wo ich ihn so sehr brauche. Sie schüttelte den Kopf, ihre Augen verschwammen und klärten sich wieder, als ein Teil der realen Welt sich an ihnen vorbeibewegte. „Dort draußen, Shadow Jack.“ Sie beugte sich näher zur Luke und bemühte sich, den Rußfilm abzuwischen. „Ein Tanker kommt herein.“

Er spähte an ihr vorüber. Sie sahen das Schiff, das von der Sonne beschienen wurde, ein schwerfälliges, metallenes Gebilde, der Plastikrumpf war aufgebläht mit Edelgasen, im Griff von drei stählernen Beinen, das Tragegerüst der nuklearelektrischen Raketen des Schiffes. „Betrachte mal die Größe dieses Schiffes! Es muß von den Ringen kommen. Sie würden so etwas nicht für lokale Transporte verwenden.“ Er streckte den Kopf, als er dem Abwärtskurs des Tankers folgte. „Dort unten muß sein Dockfeld sein.“

Nun konnte sie das Dockgelände deutlich sehen, unnatürlich schimmernde Glätte, in künstliches Licht gebadet, überzogen mit Kränen und anderen mechanischen Parasiten, kahl und verlassen. Kleinere Fahrzeuge bewegten sich zwischen ihnen, Glühwürmchen, von roter Farbe; unsicherer Notbehelf, ein verschwenderisches, behelfsmäßiges Mißverhältnis. Eine andere Welt… Sie sah zur Luke hinaus und lauschte den Fragmenten der einseitigen Radiokonversation, die das Zeitlupenballett des Riesen unter ihr begleitete. Langeweile und gespannte Aufmerksamkeit, ein Ausbruch des Ärgers, unverständlicher Humor über eine unsichtbare technische Einrichtung. „Sollten sie nicht unser Signal entgegennehmen?“

Er nickte. „Das haben sie. Ich nehme an, sie lassen uns landen, wenn sie Lust dazu haben.“

Rusty regte sich in der Luft über der Kontrollkonsole; sie spielte lustlos mit der doppelten Kordel seines Kopfhörers. „Arme Rusty“, murmelte Bertha und griff nach ihr. „Deine Reise in dieser Sauna ist fast vorüber…“ Die Trockenheit ihrer Kehle schmerzte plötzlich.

Shadow Jack gab einen schuldbewußten Seufzer von sich und streichelte Rustys gesträubtes Fell. „Bird Alyn macht mich dafür verantwortlich, daß du Rusty hergibst. Sie wollte sie nicht verlieren. Sie liebt Pflanzen, und Dinge, die sie zum Wachsen bringen kann — Dinge, die am Leben sind…“ Sein Mund verzog sich zur Andeutung eines Lächelns, das auch Sorge hätte sein können. „Ich denke, Rusty war für Bird Alyn das Wunderbarste, das sie jemals gesehen hat.“

„Du vermißt sie wohl sehr.“

„Ja, ich… ich meine, sie ist die einzige, die wirklich mit dem Computer umgehen kann.“

„Oh.“

Er sah sie an, da er wußte, was sie nicht ausgesprochen hatte. „Wir arbeiten nur zusammen.“

Sie nickte. „Ich dachte, daß ihr vielleicht…“

„Nein, das ist nicht der Fall. Wir sind nicht verheiratet.“

Sie fühlte, wie ihr Mund sich in schockierter Mockiertheit verzog. „Ich bewundere deine Selbstbeherrschtheit.“

Sein blaues und grünes Auge weiteten sich; sie beobachtete, wie die Düsternis erneut in ihnen auftauchte. „Es bringt nichts, zu wollen, was wir nicht haben können. Das einzige, was wirklich zählt, ist, sich am Leben zu halten — jeden am Leben zu halten. Wenn wir kein Wasser für Lansing bekommen, dann ist dies das Ende; es wäre dumm anzunehmen, daß es das nicht ist. Es ist sinnlos zu… zu…“ Er starrte die Kontrollkonsole an. „Diese Tagträumer! Warum antworten sie uns nicht? Worauf warten sie denn, auf ein Wunder?“

Eine Stimme drang aus dem Lautsprecher. „Unregistriertes Schiff — was, zum Teufel, macht ihr da oben noch, worauf wartet ihr?“

Sprachlos wandte Shadow Jack sich ihr wieder zu; sie lächelte. „Nun, äußern wir unseren Wunsch nach Wasserstoff.“


Shadow Jack manövrierte sie hinunter — er fluchte über den grellen Glanz — zu einer Anlegestelle auf der Tagseite Mekkas. „ ,Nicht registriert für das Hauptfeld.’ Diese triefäugigen Bastarde! Warum ließen sie uns nicht auch im Dunkeln landen wie den Rest dieser verdammten Tanker?“ Er streckte sich und lehnte sich zurück.

„Ich nehme an, sie wollen nicht, daß einige Touristen in ihre Destillen fallen.“ Endlich entspannte auch Bertha sich beim Klang der magnetischen Kabel, die an die Hülle des Schiffes geklammert wurden.

Er stieß sich von seinem Sessel ab. „Das hilft uns nicht viel. Wenn etwas schiefgeht, werden wir höllisch lange brauchen, bis wir auf diesem Weg wieder herauskommen.“ Er ging zu dem Spind, der ihre Raumanzüge enthielt.

Sie seufzte und nickte, dann griff sie nach Rusty. „Hoffen wir eben, daß nichts schiefgeht.“ Wer auch immer ihn nach dem Schatten benannt hatte, dachte sie, hatte eine gute Wahl getroffen.

Einen Augenblick lang klammerte Bertha sich an die Kante der offenen Luftschleuse, sah hinunter, und dann zur Seite, dorthin, wo die Welt zu abrupt endete: dem perspektivisch verkürzten Horizont, der sich wie die scharfe, glänzende Klinge eines Dolches gegen die Schwärze abhob. Und dahinter die Sterne, kaum sichtbar und ungeheuer fern, jenseits der lichtlosen Leere. Sie sah fünf leblose Körper, die in diese Leere fielen, wo nichts ihren Fall bremsen konnte, wo keine Stimme jemals die Stille ewigen Alleinseins durchbrechen konnte… Sie schwankte, Shadow Jack berührte ihren Rücken.

„Geh weiter, stoß dich ab.“ Seine Stimme klang krächzend und entstellt durch seinen schwachen Lautsprecher.

Hinter seiner Stimme hörte sie Rustys fruchtloses Kratzen an den Wänden der luftdichten Transportkiste; sie sah Gestalten, die auf sie zukamen, sie bewegten sich an einem gespannten Kabel entlang, das mittschiffs befestigt war. Mit zuviel Schwung stieß sie sich aus der Luke und schwebte bar jeglicher Anmut abwärts. Sie prallte zurück, fand Halt an einem gestrafften Kabel und bremste ihre Bewegung. Ein Fehler… Und sie konnte es sich nicht leisten, noch einen zu machen. Sie hatte es mit Gürtelbewohnern zu tun, und sie benahm sich besser auch wie ein Gürtelbewohner. Sie fühlte, wie die Spannung den Nebel ihrer Erschöpfung wegbrannte, als sie zusah, wie Shadow Jack anmutig und sanft auf dem hellen, pockennarbigen Geröllfeld hinter ihr landete. Über seinem Kopf strahlte die Sonne Himmel, ein glitzernder Diamant in der Krone der Nacht, blaß und sehr weit entfernt, verglichen mit dem blutigen Antlitz der Sonne am dunstverhangenen Himmel Morningsides. Als sie sich von der im Schatten liegenden Hülle der Lansing 04 abwandte, konnte sie andere Schiffe sehen, die ebenfalls vertäut waren; im grellen Licht sah sie das unförmige Flickwerk zerbeulter Formen und dachte an die asketische Perfektion der Ranger.

„Bleiben Sie lange hier?“

Sie konnte das Gesicht des Schleusenwächters hinter der dunklen Maske seines Helmes nicht sehen und hoffte, auch ihr Gesicht möge so gut hinter ihrer eigenen Gesichtsplatte verborgen sein. „Nicht länger als wir müssen.“

„Gut. Ihr äußerer Strahlungspegel ist sehr hoch, das ist nicht gut für die Pflanzen.“

Sie sah hinunter auf den groben Schotter und fragte sich, ob er einen Scherz gemacht hatte. Sie lachte nervös.

„Sind Sie von Lansing?“ Acht oder zehn weitere Gestalten tauchten mit bulligen Geräten, in denen sie Kameras erkannte, hinter ihm auf.

„Aus welchem Grund sind Sie hier?“

„Ist es wahr, daß…?“

„Ich dachte, jeder im Hauptgürtel sei tot?“

Sie hob Rustys Schachtel, um einen besseren Griff um das Kabel zu bekommen, ihre Stimmen verklangen in ihrem Helm. „Wir möchten etwas Wasserstoff von Ihrer Destille kaufen.“ Sie sah zurück zum Wächter. „Ich hoffe, wir müssen nicht zur anderen Seite laufen?“

Dieses Mal lachte er. „Nö. Nicht, wenn Sie die Gebühr bezahlen.“

Bertha sah, daß er bewaffnet war.

„… hörte, die Leute vom Hauptgürtel stehlen und klauen hauptsächlich“, redeten die Stimmen im Hintergrund unaufhörlich. „Haben Sie wirklich etwas zum Handeln dabei?“

„Wie kommt es, daß Sie als Frau in dieser Position sind? Sind Sie steril?“

„Was ist in der Schachtel?“

Sie umringten sie wie Wölfe. Entsetzt prallte sie zurück. „Ich kann nicht…“

„Das geht nur uns etwas an, Kameraden“, sagte Shadow Jack unvermittelt. „Wir sind nicht hier, um ein Almosen zu bekommen. Wir benötigen euren Mist nicht.“ Er zog den Wächter am Ärmel. „Nun, wie gelangen wir zur Destille?“

Bertha starrte ihn fassungslos an, doch der Wächter hob die Arme. „Alles klar, ihr Medienjungs, laßt sie in Ruhe. Schießt ein Bild von ihrem Schiff; sie sind nicht von Lansing hierhergekommen, um für euch Modell zu stehen. Und vergeßt nicht, die Mekka-Liegeplatz-Gesellschaft zu erwähnen. Keine Umstände, Jüngelchen. Folgen Sie einfach dem Kabel bis zum Schacht, man hält ein Taxi für Sie bereit. Willkommen auf Mekka.“

„Sagen Sie, stimmt es, daß…“

Shadow Jack schwebte zum Kabel und stieß sich an ihnen vorbei zur anderen Seite ab. Bertha folgte ihm; ihre Bewegungen wirkten schmerzlich unbeholfen. „Danke… Kamerad“, sagte sie.

Der Wächter nickte oder verbeugte sich, was Shadow Jack auch tat.

„Mein Gott, wer waren diese Leute?“ Sie warf einen Blick über die Schulter, während sie das Bodenfahrzeug betraten. Hinter ihnen versiegelte jemand die Tür. Sie konnte Shadow Jack murmeln hören: „Irreal.“ In der Kabine saßen noch zwei andere. Sie wünschte sich, sie wären nicht dagewesen, war aber gleichzeitig froh, daß es nur zwei waren, und hoffte, sie möchten keine Kameras dabeihaben. Jenseits der Plastikkuppel erstreckte sich die Eingleisbahn weiter über das kahle, helle Gestein. Über einer Plattform rechts von ihr sah sie so etwas wie eine kreisförmige Luke, die in das Gestein eingelassen war, darüber befand sich ein Schild: HYDROPONIK GMBH. Da erkannte sie plötzlich, daß der Beamte keinen Scherz gemacht hatte; dieser nackte, öde Felsbrocken, den sie Mekka nannten, war eine Welt für sich, übersät mit Röhren und Vakuolen, in denen das Leben mit all seinen mannigfaltigen Prozessen möglich war. Zuviel Strahlung schadete den Pflanzen…

Ihre Gedanken glitten ab, formierten sich aber rasch wieder, als der sanfte Andruck sie in den Sitz preßte. Rusty scharrte und schnüffelte in ihrer Tragetasche, was ein Geräusch wie von Statik in ihrem Helm verursachte. Plötzlich erinnerte sie sich wieder schmerzlich an ihr Ziel und den Zweck ihrer Fahrt. Und daß nur Eric ihr jetzt hätte helfen können — aber Eric war tot. „Ich frage mich, ob das hier schon vor dem Krieg gebaut worden ist?“ wandte sie sich an Shadow Jack, von dem sie die Antwort erhoffte.

„Ja, das wurde es.“ Die Stimme in ihrem Helm gehörte einem Fremden.

Sie erstarrte, Shadow Jack ebenfalls. Danach betrachteten sie die beiden anderen im Wagen. Einer von ihnen, der hin und wieder seine langen Beine ausstreckte, griff an seinen Helm, um das Visier durchsichtig zu machen. „Eric…!“ Ihre eigene Hand glitt zum Helm, verharrte dort schwebend, fast schwerelos.

Lockiges, dunkles Haar, ein längliches, nachdenkliches Gesicht, über das gelegentlich ein kindliches Lächeln huschte. Die braunen Augen blickten überrascht drein… Bernsteinaugen… nicht Eric, nicht… Eric ist tot. Sie zog ihre zitternde Hand zurück, ließ ihr Helmvisier dunkel. „Tut… tut mir leid. Ich dachte… ich dachte, Sie wären jemand, den ich kannte.“

Wieder lächelte er freundlich. „Ich glaube kaum.“

„Seid ihr diejenigen, die zum Handeln von Lansing kamen?“ fragte die zweite Person mit einer Stimme wie Sandpapier. „Man sagte, der Wagen würde euch erwarten.“

Bertha winselte unhörbar. Sie betrachtete die kleinere, etwas untersetztere Gestalt und fragte sich dabei, ob es wohl auch dicke Gürtelbewohner gab. Mit ihren eigenen hundertfünfundsiebzig Zentimetern wirkte sie seltsam winzig. Die Frau machte ihr Visier durchsichtig, enthüllte damit ein Gesicht mittleren Alters, braun, graues Haar und glänzende Augen.

„Ja, das sind wir.“ Bertha ließ den Helm dunkel, um ihr bleiches Antlitz zu verbergen. Shadow Jack wand sich unbehaglich neben ihr.

„Ihr seid die ersten aus dem Hauptgürtel, denen ich begegne. Wie ist es dort? Schön zu sehen, daß dort nicht alle…“

Rusty gab einen klagenden Laut der Einsamkeit von sich, Bertha stöhnte, als er in ihrem Helm widerhallte.

„Mein Gott, was war denn das?“ fragte die Frau. Sie hielt sich eine Hand gegen den Helm.

„Geister“, antwortete Shadow Jack. „Von toten Gürtelbewohnern.“

Das Gesicht der Frau drückte Verwirrung aus. Bertha betrachtete den Mann, der lächelte und gleichzeitig die Stirn runzelte. Ihre Blicke begegneten sich. „Ich habe noch niemals so ein Geräusch gehört. Vielleicht sind wir gerade über ein Stromkabel gefahren.“ Sie erkannte plötzlich, daß nicht nur die Katze, sondern auch der Schachteltransmitter eine im Himmel-System unbekannte Neuigkeit sein mußte.

Die Frau sah sich unsicher um. „Tut mir leid, das war nicht besonders taktvoll von mir. Ihr seid einfach so ungewohnt. Ich bin Rinee Bohanian von Bohanian Agroponik.“ Sie winkte zur Sonnenseite hinüber. „Familienbetrieb, wissen Sie.“

„Wadie Abdhiamal.“ Der Mann nickte. „Ich arbeite für das Demarchy.“

„Tun wir das nicht alle?“ fragte die Frau.

„Für die Regierung.“

Sie betrachtete ihn mit einem Blick, der zwischen Argwohn und Abneigung pendelte. „Nun.“ Sie wandte sich wieder an Bertha. „Und wie lautet Ihr Name? Ich würde mir gern einmal eine richtige Weltraumfahrerin ansehen…“

„Bertha Torgussen. Tut mir leid, mein Helm ist kaputt.“ Sie überkreuzte die Finger. Niemand zeigte Überraschung. „Und das hier ist…“

„Shadow Jack“, sagte Shadow Jack. „Ich bin Pirat.“

„Pilot“, korrigierte Bertha zornig, aber die anderen lachten.

„Ein Materialistenname.“ Der Mann betrachtete Shadow Jack. „Ich habe seit langer Zeit keinen mehr getroffen.“

„In Lansing ist jeder einer. Wunschdenken, denn eigentlich ist nichts mehr da, über das nachzudenken sich lohnen würde.“ Er entspannte sich jetzt fast, der krasse Unterton verschwand aus seiner Stimme.

Der Mann sah fragend zu Bertha.

„Nicht jeder.“ Sie blickte in das vordere Abteil des Wagens, um dort einen Grund zu finden, nicht mehr weitersprechen zu müssen. Sie hörte, wie die Frau den Mann fragte, was er für die Regierung tat, achtete aber nicht auf die Antwort. Sie näherten sich dem Terminator, der langsam auf sie zuglitt wie ein Wolkenschatten daheim auf Morningside. Hinter dem Terminator, jenseits der Schattengrenze, sah sie eine Reihe von Leviathans: Gewaltige Stahlsäulen, die von Kupferringen gekrönt wurden, an denen rote und grüne Lichter blinkten.

„Das ist ein Linearbeschleuniger“, erklärte die Frau. „Mit ihm wird Fracht transportiert, die keinen allzu weiten Weg hat… Was exakt denkt denn ein Materialist?“

Sie überquerten den Terminator, und als hätte jemand einen Schalter umgelegt, sank urplötzlich die Nacht herab. Sie fuhren zwischen den Türmen des Beschleunigers durch. Der dunkelhaarige Mann beugte sich nach vorn und hörte Shadow Jack zu. Berthas Augen wurden unwillkürlich von ihm angezogen.

„… und dann bekommt man ein Wort, der Name von etwas Materiellem, das irgendwie die Persönlichkeit des Betreffenden formt und beeinflußt. Die Hälfte der Leute wissen nicht mal, was ihr Wort überhaupt bedeutet…“

Sie betrachtete den Fremden stumm, hilflos, errötete plötzlich. Kälte durchfloß sie, bis sie zitterte… Sie erinnerte sich an Morningside, an den ersten Tag ihrer Liebe zu Eric: Sie erinnerte sich an einen Soziologen und einen kranken Ingenieur in einer Fabrik hart an der Schattengrenze, an glitzerndes Metall in der endlosen Hitze eines ewigen Nachmittags… Sie erinnerte sich an den letzten Morgen auf Morningside: ein zerbrochener Eisfilm auf der Wasseroberfläche eines Brunnens in endloser Dämmerung, wo ein ewiger Sonnenuntergang die Ausläufer der Eisschicht der Nachtseite, die hoch über die Borealische See ragten, in bernsteinfarbenes Licht tauchte. Das Landefeld von Borealis, wo ihre Familie, die man gerade zur Besatzung der Ranger bestimmt hatte, gemeinsam arbeitete, um den Start vorzubereiten, und sich bereits auf eine Reise über einen Abgrund von 1,3 Lichtjahren einstellte, um das eisige Uhuru zu erreichen.

Sie waren von allen Freiwilligen, die bereit gewesen waren, ihr Zuhause zu verlassen, da eine andere Welt im Handelsverbund ihre Hilfe benötigte, für die Reise ausgewählt worden. Aber von der Reise, die sie im Endeffekt dann unternahmen, hatten sie in ihren kühnsten Träumen nicht zu denken gewagt. Der Hohe Rat hatte eine Nachricht übermittelt, daß Hilfe für Uhuru nicht länger benötigt wurde. Daher hatte man ihnen ein neues, unerwartetes Ziel genannt: das Himmel-System, dazu eine Aufgabe, die weit mehr bedeutete als nur das Überleben einer anderen Welt oder der ihren. Sie erinnerte sich an die Feierlichkeiten, ihren Stolz über die Ehre, den Stolz ihrer ganzen Familie… Erinnerte sich daran, wie Eric sie langsam beiseite geführt hatte, hinaus aus der hell erleuchteten, überfüllten Halle, einen kurzen Augenblick des Alleinseins vor einer Reise, die Jahre dauern würde. Seine zärtlichen Hände, die Behaglichkeit der menschenleeren Sauna, ihr Gelächter, das weit über die einsamen Schneefelder schallte… die Hitze der Leidenschaft und die Kälte des Todes… Feuer und Eis, Feuer und Eis… Eric, bitte verlaß mich nicht, weinte sie lautlos. Bitte gib mir Kraft.

Der Wagen glitt weiter durch die Dunkelheit.

Neben den schlanken Türmen ihres Ziels kam der Wagen zum Stillstand. Die ballonförmigen Vorratssäcke glommen in geisterhaftem Feuer — bleich grün, gelb und blau, dem die Bodenbeleuchtung eine seltsame Fluoreszenz verlieh. Bertha schüttelte die Vergangenheit ab. Sie sah hinaus auf den glühenden Wald fremder Konstruktionen. Sie hörte die Frau sagen: „…daß die Felder Lansings wie unsere Tankfarmen sind. Natürlich haben wir keine Wasserknappheit, wir lagern den Schnee in den alten Minenschächten. Unsere Vorräte reichen wahrscheinlich ewig, glaube ich.“ Stolz und eine unbewußte Gier klangen in ihrer Stimme mit. Der Mann von der Regierung sah sie an; Bertha sah, wie flüchtig Ärger über seine Züge huschte, und fragte sich, warum. Shadow Jack stieß sich aus seinem Sessel und stabilisierte sich instinktiv. Die Spannung straffte seinen Körper wie eine Sehne, sie fragte sich, was für einen Ausdruck sein Gesicht zeigen mochte. Sie folgten dem Mann und der Frau durch die geisterhaften Funkgeräusche und das unpersönliche Geschnatter der Arbeiter auf der Plattform, bis sie eine weitere Schleuse im Felsgestein erreichten. Dahinter erstreckten sich Korridore, die sich langsam bis zum Herzen des Felsbrockens neigten, ohne diesen Anschein zu erwecken. Als der Luftdruck wiederhergestellt war, fühlte Bertha, wie ihr Anzug schlaff wurde, das Bewegen fiel ihr wieder leichter. Sie vernahm Geräusche, gedämpft durch ihren Helm, die von kleinen Gruppen von Bürgern ausgingen, von denen einige Druckanzüge anhatten, andere nicht. Sie alle zeigten sich gnädigerweise gleichgültig, und wieder wunderte sie sich über das Verhalten des Kameramannes auf dem Landefeld.

Sie folgten dem Hauptkorridor entlang eines Seils, dessen Wände teilweise von den rauhen Handschuhen der Raumanzüge schon ganz abgegriffen waren. Vor sich konnte sie das Ende des Tunnels erkennen und dahinter einen freien Raum, durch den sich ein seltsames Gespinst zog. Neugierig schwebte sie bis an den Rand, wo sie verharrte.

„Oh…“ Ihr erstauntes Ausatmen wurde zu einem Seufzen. Sie stand neben dem bereits stehenden Shadow Jack, wie gebannt von diesem im Stein gefangenen Feenzauber. Vor ihnen öffnete sich eine Vakuole, einen Kilometer oder mehr im Durchmesser: eine unglaubliche, unnatürliche Grotte, angefüllt mit den leuchtenden Stacheln kristallener Gewächse, schlank und nadelspitz, von deren Oberfläche zahllose Regenbogen reflektiert wurden. Die Luft in der Höhle war durchzogen von einem Gespinst, wie seidene Fäden einer unglaublichen Spinne…

Bilder begannen sich in ihrem Kopf zu formen. Sie erinnerte sich daran, dies war die Stadt, das Herz des Lebens im Mekka-Asteroiden — und die kristallenen Stacheln waren ihre Türme, die an allen Seiten auf dem Boden standen… oder von der Decke herabhingen. Warum fallen sie nicht…? Ihr Verstand kreiste, sie fühlte sich fallen, spürte Hände, die ihre Arme umklammerten. Sie beruhigte sich wieder, ihre Füße berührten den Sims. Zornig richtete sie ihren Blick wieder in die gigantische Höhle. Unter dem Gespinst bewegten sich Menschen, so winzig wie Fliegen, und Leuchtketten waren durch den weiten Raum gespannt. Zu Boden und Decke hin wurden alle Türme breiter; sie folgten dem kaum merklichen Sog der Schwerkraft. Die Gebäude an den geschwungenen Seiten der Vakuole waren kürzer, gedrungener, für größere Belastungen entworfen. Die Türme bebten unmerklich in den kreisenden Strömen der Ventilation, sie hatten keine solide, kristalline Oberfläche, sondern bestanden nur aus kolorierten Stoffbahnen, die man über ein metallenes Rahmenwerk gespannt hatte.

„Vor dem Krieg war das hier eine Modellstadt.“ Sie erkannte, daß der Mann von der Regierung sie am Arm hielt, den er kommentarlos wieder freigab. „Es war ein Spielzentrum, aber heute spielen wir praktischere Spiele damit. Die meisten der Türme gehören Kaufleuten oder Handelsgesellschaften.“ Der Mann löste seine Helmklammern und nahm ihn ab. Er sah sie erwartungsvoll an. „Die Luft hier drinnen ist ausgezeichnet.“

Sie griff nach oben, allerdings nur, um ihr Außenmikrofon einzuschalten. Ihre Haut kribbelte, sie sehnte sich nach der Berührung seiner Augen. „Vielen Dank“ — sie gab sich große Mühe, unsicher zu klingen —, „aber ich… warte lieber noch etwas.“ Shadow Jack, der keinen Lautsprecher hatte, blieb stehen und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen. Er war nur zu gern bereit, Blindheit und Taubheit vorzutäuschen. „Können Sie uns sagen, wer von denen da unten uns Wasserstoff verkaufen kann?“

„Wasserstoff?“ Sein wandernder Blick sog sich an ihrer dunklen Sichtscheibe fest. „Ich glaubte, Sie wollten Luft. Oder Wasser.“

„Wollen wir auch. Wir brauchen Wasser — aber wir haben Sauerstoff. Daher brauchen wir offensichtlich noch Wasserstoff.“

„Oh.“ Sein Gesicht entspannte sich akzeptierend. „Offensichtlich… Wissen Sie, ich treffe nicht oft eine Frau, die durch das All reist. Ist das in Lansing üblich?“

„Dort ist die ganze Raumfahrt nicht mehr üblich.“ Plötzlich erinnerte sich Bertha daran, daß die bernsteinfarbenen Augen dem Gegner gehörten. „Wenn Sie mir vielleicht die Büros der Destille zeigen könnten?“

„Dort unten…“ — er deutete hinab — „…diese Reihe grüner Punkte am Boden, in diesem Bezirk sind jede Menge Büros von allen möglichen Destillen. Tiriki, Flynn, Siamang…“

„Destillen? Gibt es denn mehr als eine?“ Hätte ich das wissen müssen? Sie fluchte unter ihrem Helm.

„Aber sicher.“ Doch er lächelte tolerant. „Sie befinden sich im Demarchy, hier herrscht das Volk. Wir mögen keine monopolistischen Praktiken. Das würde den Leuten gar nicht gefallen… das weiß ich mit Bestimmtheit. Darf ich Sie herumführen?“

„Nein, wirklich…“

„Das ist das mindeste, das ich tun kann, wo Sie schon soweit gekommen sind.“ Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff dreimal schrill. Sie erschrak. Er wandte sich wieder an sie und überraschte sie mit einer knappen, entschuldigenden Verbeugung.

„So ruft man hier ein Taxi. Die Manieren auf Mekka gehen langsam, aber sicher zum Teufel… Der Himmel wird zur Hölle.“

Er lachte seltsam, als hätte er selbst nicht erwartet, das Gesagte laut auszusprechen. „Ich selbst bin von Toledo.“

„Was… äh, sagten Sie, führen Sie für Regierungsarbeiten aus?“ Sie sah unbehaglich über den Rand. Die Frau aus dem Zug war verschwunden. Warum bleibt er nur bei uns?

„Ich bin Unterhändler, Verhandlungsführer. Ich bemühe mich, das letzte Überbleibsel der Zivilisation, das noch existiert, zu retten.“ Wieder das kurze, schmerzliche Lächeln. „Ich regle Streitigkeiten, arbeite Handelsverträge mit aus… und schaue mir unerwartete Besucher an.“

Sie drehte sich ein wenig um und erstarrte fast, als sie den Kameramann sah, der aus dem Tunnel herauskam. „Shadow Jack!“ Sie packte ihn am Arm. „Bleib bei mir! Geh nicht weg!“

Die Stimmen umschlossen sie wie ein Käfig. „… in diesem heruntergekommenen Schiff?“

„Mit wem werden sie ihren Handel abschließen?“

„Wieviel…“

„Was haben sie…“

Medienmänner und neugierige Einwohner umkreisten sie, bildeten einen Wall um sie herum, plappernd und einander unterbrechend. Sie sah, wie der Mann von der Regierung beiseite gedrängt wurde, als das Lufttaxi ankam und am Rand stoppte. Sie stieß sich darauf zu und gestikulierte in Richtung Shadow Jack. Es hatte ein Verdeck und war propellerbetrieben, und es wurde von einem müde aussehenden jungen Mann von Hand gesteuert. „Wohin?“

„Zu… zu Tiriki. Aber rasch.“ Sie duckte sich unter den Baldachin des Fahrzeugs, spürte die Fußstütze unter sich, sah überall reflektierende Kristalle. Shadow Jack folgte ihr. Das Taxi sank hinaus und abwärts, weg von den aufdringlichen Leuten am Tunnelende.

„… Torgussen!“ hörte sie den Regierungsangestellten gerade noch ihren Namen rufen.

Sie blickte zurück, ihre Hand griff zum Helm, befingerte ihn unwirsch, zog ihn schließlich ab. Sie sah, wie sein Mienenspiel sich binnen weniger Minuten drastisch änderte… Unglaube… Erinnerung… Verlust… Aufhören! Sie selbst erinnerte sich, aber es gab nichts, an das sie sich hätte erinnern können… Eric ist tot! Sie klammerte sich an einen Stützpfeiler des Baldachins und genoß die sanfte Brise, die mit ihrem hellen, lockigen Haar spielte und ihr heißes Gesicht kühlte. O Gott, wie oft wird das noch geschehen? Shadow Jack hatte sich über den Rand hinausgebeugt und sah nach unten, dann seitwärts, als sie an der künstlichen Sonne in ihrem Glaskäfig vorbeikamen, die im Zentrum der Höhle schwebte. Sie ließ sich langsam in den Sessel fallen, zwang ihre Sinne dazu, die Umgebung der Kaverne aufzunehmen und die Vergangenheit ruhen zu lassen.

In der Höhle herrschte eine gedämpfte, wirre Geräuschkulisse: Gelächter, Rufe, das dröhnende Summen unsichtbarer Mechanismen. Sich umsehend erkannte sie plötzlich verschiedene subtile Unterschiede in der Demonstration von Reichtum an den Türmen: Balkone, die in irrsinnigen Winkeln angebracht waren, dunkle Höhlungen komfortabler Wohnungen in den eintönigen Wänden. Hin und wieder bemerkte sie sogar unterschiedliche Gerüche und Aromen, die in der Luft lagen. Sie atmete tief ein, genoß die kühle, frische Luft, die ihren Verstand klären half. Der Fahrer sah vollkommen unbeeindruckt an ihr vorbei zu den smaragdenen Türmen ihres Ziels.


Sie hatten sich durch den weichen, elastischen Mund des Eingangs gestoßen, hinein in einen langen Korridor, der sich verlassen etwa fünfundzwanzig Meter in das Gebäude hinein erstreckte, der Basis auf dem Felsgestein zu. Bertha sank darauf zu, fast unmerklich und ohne das Gefühl, das einen gewöhnlichen Fall begleitet. Türen glitten an ihnen vorbei. Shadow Jack löste seinen Helm, zog ihn ab und schüttelte den Kopf. Sie hörte ihn tief einatmen. „Wo sind wir?“ Sein dunkles Haar klebte in Strähnen an seiner schweißnassen Stirn, er strich es mit einer behandschuhten Hand wieder zurück.

„Das sind die Tiriki-Destillen. Der Mann aus dem Zug hat sie vorgeschlagen.“ Sie zögerte, da sie ihm nicht sagen wollte, was sie vermutete.

„Bastarde!“ Er zog die Mundwinkel herab. „Ich würde diesen Ort hier gern in die Luft fliegen sehen. Dann wären sie nicht mehr so…“ Zorn würgte seine Stimme ab.

Bertha betrachtete ihn; sie fühlte Sorge mit einer Spur Befremden. Sie griff nach ihm, ihr Handschuh drückte das unnachgiebige Polster seiner Schulter. „Ich weiß, wie du dich fühlst… ich weiß es. Aber dasselbe gilt auch für die Leute in dem Wagen. Vergiß deinen Zorn augenblicklich, sonst werde ich ihn dir austreiben. Ich kann mir das nicht leisten. Ich will etwas von diesen Leuten und du auch, und das ist verdammt wichtiger als unsere persönlichen Gefühle. Daher wirst du dir ab jetzt ein süßes Lächeln angewöhnen und dies beibehalten, auch wenn es dir nicht passen sollte.“ Irgendwo in ihrem Inneren drängte die Erinnerung wieder nach oben. „,Immer lächeln, lächeln… und schlauer sein als die anderen.’“ Sie lächelte, atmete die kühle, aromatische Luft und sah ihm in die Augen. Er hob langsam den Kopf. Als er sie ansah, sah sie ihn zum ersten Mal lächeln.

Jemand stieß sich durch eine Tür fast direkt neben ihnen und starrte sie ungläubig an, nachdem er einen der Haltegriffe zu fassen bekommen hatte.

Sie rieb sich verlegen über ihr ungewaschenes Gesicht. „Wir würden gerne wegen einer Ladung Wasserstoff verhandeln. Können Sie uns sagen, an wen wir uns wenden müssen?“

Das Gesicht wurde plötzlich zu einer Maske der Liebenswürdigkeit. „Aber gewiß doch. Dort hinten, am Ende des Korridors. Das Handelskontor. Vielen Dank für den Geschäftsabschluß mit Tiriki.“ Er beugte den Kopf formell und ging weiter, indem er sich von der Wand abstieß und wie ein Schwimmer durch das helle, meergrüne Licht schwebte. Sie hingegen sanken weiter hinab in die Tiefe.

„Schau dir diesen Fetzen an!“ Sie hörten die Stimme, noch bevor sie die Tür erreicht hatten. „Was wissen sie schon davon? Sie haben verdammt noch mal überhaupt keine Ahnung.“

„Nein, Esrom.“

Bertha schob die Matte beiseite, danach traten sie ein, ihre Gesichter wurden von einem angespannten Lächeln verzerrt.

„Das könnte ich selbst besser. Und das sollten wir auch tun. Wir sollten einen Medienmann engagieren und unsere eigene Zeitung herausbringen…“

„Ja, Esrom.“

„… mit der wir unseren Standpunkt vertreten können. Schau dir das hier an, ,monopolistisch’…“

Die goldhäutige, wunderschöne Frau hinter dem Schreibtisch sah sie an, ihre geschwungenen Brauen glitten in die Höhe. Der goldhäutige, ebenfalls recht ansehnliche Mann mit der Zeitung in der Hand drehte sich um. Bruder und Schwester, dachte Bertha und… untadelig. Sie trugen beide Kleidung von hellgrüner Farbe, die vor dem grünen Hintergrund verwehte, die Frau ein langes Kleid, der Mann ein Jackett mit Stickereien an den Ärmeln. Sie rief sich in Erinnerung, was sie und Shadow Jack für ein Bild boten und fuhr sich mit einer Hand durch ihr störrisches Haar.

Aber der Mann sagte nur: „Sia, hast du schon mal so etwas gesehen? Sieh doch, ihre Haut, ihr Haar, und beides zusammen…“ Seine dunklen Augen glitten über ihren Anzug, erkannten ihn, blickten ihr dann wieder ins Gesicht. „Aber sie war schon im All.“ Aus dem Interesse wurde Bedauern.

Die Frau tätschelte seinen Arm. „Esrom, bitte!“ Dann lächelte sie. „Und was können wir für Sie tun?“ Sie glättete ihr rabenschwarzes Haar und schob ein paar Strähnen unter ihre festgeschnürte Kappe.

„Wir würden gerne eine Ladung Wasserstoff von Ihnen kaufen.“ Bertha fühlte, wie sie purpurrot wurde, während sie die beiden fasziniert betrachtete. Sie versuchte, ihren Ärger zu verbergen. „Tausend Tonnen.“

„Ich verstehe.“ Der Mann nickte langsam, vielleicht sollte es auch eine Verbeugung andeuten, und blickte befremdet drein. Er griff nach einem Klemmbrett auf seinem Schreibtisch. „Sollen wir ihn auch verschiffen?“

„Nein, wir können ihn selbst transportieren.“

„Woher kommen Sie?“ Die Stimme der Frau war so zerbrechlich wie ihre Gestalt, doch ohne jegliche Spur von Sanftheit.

„Lansing.“ Shadow Jack strahlte die beiden mit einem blauen und einem grünen Auge an, groß, dünn und pfiffig.

„Der Hauptgürtel!“ Wieder sahen Bruder und Schwester sie an, dieses Mal stumm und mit einer morbiden Abscheu. Auf dem Schirm hinter ihnen flammte eine Nachrichtenmeldung auf, Bilder und dazwischen Textzeilen. „Das ist eine lange Reise“, sagte der Mann leise. „Wie lange haben Sie gebraucht?“

„Lange.“ Bertha mußte sich gar nicht erst zwingen, einen ungeduldigen, übermüdeten Unterton in ihre Stimme zu bringen. „Und die Heimreise wird noch länger dauern. Wir würden das gerne so schnell wie möglich hinter uns bringen.“

„Natürlich.“ Er zögerte. „Was… äh… was wollen Sie als Gegenleistung bieten? Wir sind in der Abgabe begrenzt, ich hoffe, Sie verstehen…“

Bei Geldsachen hört der Spaß auf. Während sie ihre Handschuhe auszog, sah sie, wie Shadow Jacks Lächeln sich verzerrte. Aber wer bin ich, sie dafür zu verurteilen? Sie balancierte Rustys Behälter gegen den Schreibtisch und öffnete die Klappe. Sie hörte ein Zischen, als der Luftdruck sich anglich. Rustys pelziger Kopf erschien, ihre grünen Augen waren vor Freude geweitet, sie blitzten im hellen Licht. Ihre Nase zitterte, sie befreite sich vollends aus ihrem Gefängnis, wonach sie fast gewichtslos in die Luft schwebte. Bertha hörte das keuchende Stöhnen der Frau und ließ den Käfig davonschweben. „Würden Sie eine Katze nehmen?“

„Ein Tier“, flüsterte die Frau. „Ich hätte nie gedacht, noch einmal eines zu sehen zu bekommen…“ Sie streckte schüchtern eine Hand aus. Bertha streichelte Rusty beruhigend und stieß sie auf die beiden zu. Rusty preßte sich sanft gegen die Handflächen der Frau, schnüffelte neugierig und glitt dann erfreut an der glatten Seide ihres Kleides entlang.

„Ich glaube, Sie sind an die richtige Stelle geraten.“ Die schlanken Hände des Mannes zitterten immer noch. „Paps würde Ihnen die ganze Destille für dieses Tier geben.“ Er lachte. „Aber er würde Ihnen die Schiffskosten zum Hauptgürtel berechnen.“

„Gibt es noch viele Tiere im Hauptgürtel?“

„Nein.“ Bertha lächelte, doch es verschwand rasch wieder. „Eine Ladung Wasserstoff wird genügen.“

„Wir haben Gärten“, sagte Shadow Jack. „Lansing ist der einzige ganz unter einem Zelt liegende und so geschützte Himmelskörper. Einst waren wir das Kapital des gesamten Himmels Gürtel.“

„Stimmt“, sagte der Mann. „Das ist richtig. Ich habe schon Bilder gesehen. Wunderschön…“

Rusty entschlüpfte der Frau und steckte eine Pfote durch die Fuge eines Papierkorbs. Die Papiere begannen zu tanzen, und sie schnurrte, stolz darauf, sich im Zentrum des Interesses zu befinden. Berthas Augen wurden von der Nachrichtenübertragung angezogen. Sie erstarrte, als sie zwar ihr eigenes Gesicht auf dem Bildschirm erkannte, aber keine Bilder von ihrer Ankunft auf Mekka. Mit aller Willenskraft sah sie wie beiläufig weg und kraulte Rusty unterm Kinn.

Der Mann bemerkte ihre Bewegung und wandte sich nun seinerseits dem Schirm zu. Ihr Blick folgte dem seinen, sah ihr Bild verblassen. Der Mann sah verwirrt wieder in ihre Richtung, schüttelte dann den Kopf und lächelte freundlich. „Kümmern Sie sich nicht um die Nachrichten. Wir sind nur immer gern darüber auf dem laufenden, was sich anderswo so abspielt — immer am Ball bleiben. Ist aber ohnehin egal. Medienmänner sagen alles, wenn sie dafür bezahlt werden.“ Er deutete zum Ausdruckpapier, das sich zu dem schon recht ansehnlichen Berg gesellte. Rusty hakelte danach, überschlug sich und schwebte hoch in die Luft.

„Nicht so hastig, kleines Wesen“, murmelte die Frau und hob unschlüssig die Hände. „Tu dir nicht weh.“

„Sie tut sich schon nichts“, sagte Bertha, irritiert durch ihre eigene Erleichterung.

Das Gesicht der Frau drückte leichtes Mißtrauen aus.

„Könnten wir vielleicht einmal Ihr Schiff ansehen?“

Bertha sah wieder zu dem Mann. „Gerne… aber es ist am anderen Ende des As… des Felsens.“

Er nickte. „Kein Problem.“ Unter dem Schirm an der Wand war eine kleine Kontrollkonsole. Er ging darauf zu. „Wie ist ihre Bezeichnung?“

„Lansing 04.“

Er drückte ein paar Knöpfe, worauf die Nachrichtensendung verschwand. „Lansing 04…“ Bertha sah, wie ihr Schiff erschien, ein Bild mit blendenden Kontrasten auf dem Landefeld im grellen Sonnenlicht. „Ich glaube, mit einem Schiff dieser Größe können Sie tausend Tonnen transportieren. Welche Masse?“

„Zwanzig Tonnen, ohne Reaktionsmasse oder Fracht.“

„Wir gehen gerne sicher, wissen Sie.“ Er sah auf. „Aber Sie werden eine Menge Megaseks brauchen, bis Sie wieder auf Lansing sind.“

Sie untersuchte sein Gesicht auf Spuren des Zweifels, sah aber nur oberflächlichen Eifer darin. „Wir werden es schon schaffen. Wir müssen.“

„Klar.“ Seine Augen wanderten von ihr zu Shadow Jack. Sie konnte so etwas wie Bewunderung darin entdecken. „Wir werden sofort mit den nötigen Vorkehrungen beginnen.“

Rusty prallte gegen eine Kante des Schreibtischs, klammerte sich an den Papierstapeln fest und nieste laut.

„Nun, aber.“ Der Mann drehte sich um und griff fast verzweifelt nach Rusty. „Dad würde uns umbringen, wenn dem Tier etwas…“ Seine Stimme erstarb; er ließ die Katze los und griff nach einer Zeitung. Bertha erkannte ihr eigenes Gesicht auf der Zeitungsseite, und dieses Mal verblaßte es nicht. „… fremdes Raumschiff…“ Sie hörte Shadow Jacks leisen, enttäuschten Fluch. Schwebend umklammerte sie die Kante des Schreibtischs, bis ihre Finger rot wurden.

Tiriki wandte sich ihr wieder zu. „Das sind Sie“, sagte der Mann mit aufgerissenen Augen. „Sie sind von dem Raumschiff.“

„Und Sie sind zu uns gekommen.“

Unbewußt stahl sich ein Lächeln in ihre Züge, ein Ausdruck unverhohlener Gier. Bertha hatte diesen Blick schon bei der Frau in der Raumfähre bemerkt. „Ich verstehe nicht“, sagte sie störrisch. „Sie haben unser Schiff gesehen. Wir kommen aus dem Hauptgürtel. Wir wurden unterwegs von vielen Leuten fotografiert…“

„Aber mit diesem Bild verhält es sich anders.“ Die Frau schüttelte den Kopf, ihr schwarzes Haar wippte. Bertha betrachtete sie; sie dachten nach und versuchten, sich zu erinnern. „Schon seit ihr in unser System gekommen seid, hört man pausenlos von euch. Seit fast einer Megasekunde.“

„Und in dem Schiff, das wir gesehen haben, sind Sie gewiß nicht von dort nach hier gekommen.“ Der Mann betrachtete wieder Shadow Jack. „Du bist vielleicht aus dem Gürtel, das wäre möglich. Vielleicht ist es dein Schiff. Was bist du, ein Schneepirat?“

„Wir sind keine Piraten.“ Bertha schnappte Rusty und zog sie an sich. „Wir haben Ihnen ein Geschäft vorgeschlagen: dieses Tier hier gegen eine Ladung Wasserstoff. Wir haben nichts anderes mehr, was Sie interessieren könnte, woher wir auch kommen mögen. Lassen Sie uns einfach das Geschäft abschließen und dann verschwin…“

„Tut mir leid.“ Der Mann betrachtete wieder das Papier. „Wir sind an dem Schiff interessiert, das von… Diskus… zum Hauptgürtel… und zum Demarchy…“ Bertha sah, wie sein Verstand Berechnungen vornahm — „… innerhalb von eineinhalb Megasekunden gelangen kann.“

Sie fragte sich kurz, was er wohl sagen würde, wüßte er, daß sie diese Reise eigentlich in einem Drittel der Zeit geschafft hatten. „Also, was wollen Sie dann von uns?“ Sie kannte die Antwort bereits, und sie wußte auch, sie waren gescheitert, weil nie die Möglichkeit bestanden hatte, unbemerkt einen Fuß auf Mekka zu setzen.

„Sie wollen dein Schiff! Raus hier!“ Shadow Jack stieß sich zur Tür, riß den Vorhang beiseite und erstarrte. Bertha wandte sich um. Ihm gegenüber, in einer weinroten, bestickten Jacke, stand der Mann von der Regierung. Unfaßbar… Auch die Augen des Mannes betrachteten erst sie, dann Shadow Jack. Er betrachtete sie lange, und dieses Mal, das wußte sie, sah er strähniges, wirres Haar und erhitzte Gesichter. Nicht ihre bleiche Haut — sie sah seinem Gesicht an, daß ihr Anblick keine Überraschung für ihn war. „Kapitän Torgussen“, nickte er. „Und offensichtlich nicht von Lansing.“

„Sie haben einen kleinen Vorsprung“, sagte Bertha. „Ich fürchte, ich habe Ihren Namen vergessen.“

Er lächelte. Doch dieses Lächeln wurde verzerrt, als er sich den beiden Tirikis zuwandte und sich leicht verbeugte. „Und was möchte denn die Tiriki-Destille mit dem Raumschiff anfangen?“ Seine Hand packte Shadow Jacks Jacke und zerrte ihn in den Raum zurück. „Bursche, ich glaube, du hast nicht gelogen, als du uns sagtest, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst.“

„Wer sind Sie?“ fragte die Frau indigniert.

„Wadie Abdhiamal. Ich repräsentiere die Regierung des Demarchy.“

„Die Regierung?“ Der Mann schnitt eine Grimasse. „Dann geht Sie das hier nichts an, Abdhiamal. Verschwinden Sie, bevor Sie Ärger bekommen.“

„Das ist monopolistisches Geschwätz, Tiriki. So was hört man hier gar nicht gerne. Ich bin sehr wohl geschäftlich hier. Ich bin nur dieser Leute und ihres Schiffes wegen nach Mekka gekommen.

Der Gouverneur nimmt dieses Schiff im Namen des Volkes des Demarchy in Besitz.“

„Ihr Gouverneur kann überhaupt nichts in Besitz nehmen, Abdhiamal.“ Der Mann betrachtete sein Spiegelbild in der polierten Schreibtischoberfläche, wonach er sorgfältig sein Barett zurechtrückte. „Sie haben nichts in der Hand, um diese Wünsche durchzusetzen. Wir haben die beiden zuerst entdeckt, und wir werden sie nicht so einfach herausgeben.“

„Die öffentliche Meinung wird mir recht geben. Niemand wird zulassen wollen, daß Tiriki totale Kontrolle über das Schiff bekommt. Ich werde eine öffentliche Anhörung beantragen…“

„Benutzen Sie meinen Schirm.“ Der Mann deutete darauf. „Wenn wir den Leuten erzählen, wie das Demarchy hinter ihrem Rücken vorgeht, dann werden sie wahrscheinlich kein Wort mehr von Ihnen anhören. Sie werden draußen sein, noch ehe Sie sich’s versehen — und wenn ich draußen sage, dann meine ich es auch. Weg vom Fenster.“

„Aber Sie werden auch weg vom Fenster sein — weg vom Fenster, was das Raumschiff betrifft, und mehr will ich nicht. Bereiten Sie alles vor.“

Die Frau ging zum Wandschirm.

„Verdammt! Einen Augenblick mal!“ Bertha fuhr verzweifelt herum, alle Blicke konzentrierten sich auf sie. „Ich hätte gerne sechzig Sekunden — da, wo ich herkomme, ist das eine Minute —, um alles erklären zu dürfen. Ich würde gerne ein paar Kleinigkeiten über mein Schiff erwähnen, die Sie vergessen zu haben scheinen. Erstens: Es ist mein Schiff. Und zweitens: Nur ich allein weiß, wo es sich befindet. Drittens: Wenn Sie meinen, Sie könnten es ohne meine Einwilligung bekommen, dann täuschen Sie sich. Meine Mannschaft wird es lieber zerstören, als zuzulassen, daß es in falsche Hände gerät, und mit ihm jedes andere Schiff, das sich auf weniger als tausend Kilometer nähert.“ Shadow Jack kam mit fragendem Gesicht wieder an ihre Seite. Die anderen warteten schweigend ab, ihre Frustration und Gier leckten an ihr wie Rammen. „Nun gut. Sie scheinen einen toten Punkt erreicht zu haben. Aber ich bin hier, um ein Geschäft zu machen, und ich bin immer noch bereit dazu — da ich leider keine andere Wahl habe. Aber wahrscheinlich werden Sie uns auf keinen Fall gehen lassen wollen.

Daher… schlage ich vor, Sie erzählen mir alle, weshalb Sie mein Schiff unbedingt haben wollen, und dann entscheide ich mich, wer es bekommt. Und bestimmt können Sie mir auch gleich hinzufügen, was für mich dabei herausspringt…“ Rusty begann sich zu winden; sie suchte nach einem Halt an dem glatten Anzug. Wie Bertha bemerkte, betrachtete Abdhiamal die Katze fasziniert, bevor er ihr wieder den Blick zuwandte. Er antwortete nicht. Wahrscheinlich wollte er abwarten, was die Gegenseite zu sagen hatte, dachte sie. „Nun?“ Sie wandte sich ab, fürchtete sich vor ihm, fürchtete sich vor sich selbst, fürchtete sich davor, ihn das sehen zu lassen.

Die Tirikis unterhielten sich leise miteinander. Schließlich wandten sie sich ihr wieder zu, wunderschön und entschlossen. „Ihr Schiff würde einen immensen Gewinn für unsere Gesellschaft bedeuten und gleichzeitig den Handel des Demarchy revolutionieren. Augenblicklich haben wir nicht allen Schnee dort, wo wir ihn am dringendsten brauchen würden. Wir müssen zu den Ringen reisen, und das ist mit Nuklearraketen verdammt anstrengend. Und die Ringbewohner erschweren zusätzlich noch alles, denn die wissen genau, wir können nichts tun, was unsere Gasversorgung gefährden würde. Wenn wir Ihr Schiff hätten, dann wären wir nicht mehr so sehr von ihnen abhängig. Ihr Schiff könnte aus dem Demarchy eine bessere Heimat machen… Sie könnten auch weiterhin der Kapitän sein, aber Sie würden für uns arbeiten. Wir würden Sie gut bezahlen. Wir sind eine der reichsten und mächtigsten Gesellschaften des Demarchy…“

„Und wenn das Demarchy etwas dagegen hat, dann wird diese Gesellschaft Ihr Schiff in eine Superwaffe umwandeln und alles übernehmen.“ Abdhiamal hielt ihrem Blick stand.

Ihre Lider zitterten. Sein Bild verschwamm, sie schüttelte verneinend den Kopf. „Niemand wird mein Schiff als Waffe verwenden. Nicht mal Sie, Abdhiamal, wenn Sie darauf aus sind.“

„Die Regierung will es haben, damit es keine Waffe wird, die einen neuen Bürgerkrieg auslöst. Gott weiß, der letzte tötet uns immer noch auf Raten. Jemand muß sich darum kümmern, daß das Schiff zum Wohl des ganzen Demarchy eingesetzt wird, nicht dagegen. Es könnte der Stimulus sein, mit dem wir das ganze System revitalisieren können, den ganzen Gürtel — mit der Technologie, die Sie an Bord haben. Wir könnten vielleicht Ihren Antrieb nachbauen und eine Art regelmäßiger Kommunikation mit Welten außerhalb des Demarchy wiederherstellen. Sie könnten uns helfen…“

„Hören Sie nicht auf ihn!“ fuhr die Frau dazwischen. „Wir sind die Regierung, wir sind das Volk. Er hat keine Autorität, irgend etwas zu tun. Jeder, der Ihr Schiff haben will, würde Sie dafür in Stücke reißen — und er kann Sie nicht beschützen. Bleiben Sie bei uns. Wir kümmern uns um Sie.“ Sie hob ihre Hände. „Sie können sowieso nirgendwo anders hingehen.“ Bertha überhörte die Drohung hinter diesen Worten nicht.

„Sie kümmern sich bereits um uns“, flüsterte ihr Shadow Jack zu. Seine Hand umklammerte Berthas Handgelenk und drückte es, bis es schmerzte. „Tu’s nicht, Bertha! Sie sind alle Lügner. Du kannst keinem vertrauen.“

„Shadow Jack.“ Sie wandte sich langsam um und streifte ihn mit ihrem Blick. Er ließ sie los, und sie sah, wie der Zorn von ihm wich. „Was ist mit dem Wasserstoff — für Lansing?“

„Wir senden ihnen eine Schiffsladung. Soviel sie brauchen.“

„Und Sie?“ Sie wandte sich wieder an Abdhiamal. „Ist es wahr, daß Ihre Versprechungen wertlos sind?“

„Die Regierung tut nur das, was das Demarchy will. Warum also fragen wir das Demarchy nicht selbst? Wir berufen eine Generalversammlung ein, bei der Sie alles über Ihr Schiff erzählen können. Sagen Sie jedem den Aufenthaltsort — aber warnen Sie auch jeden, nicht zu nahe ranzugehen. Sagen Sie ihnen alles, was Sie uns auch gesagt haben. Dann hat keiner einen Vorsprung. Ich werde ihnen begreiflich machen, was Ihr Schiff für uns alle bedeuten kann, für den ganzen Gürtel. Es wird in jedermanns Hand liegen, zu entscheiden, wie man diese Gelegenheit am besten nützt, wie man alles am besten einfädelt… Das Demarchy will Ihnen nichts Böses, Kapitän. Aber wir brauchen Ihre Hilfe. Gewähren Sie uns diese Hilfe — und Sie können Ihre Forderungen stellen.“

„Ich will nur wieder nach Hause.“ Shadow Jack suchte in ihrem Gesicht, und sie wandte den Blick ab.

„Gut.“ Sie griff nach Rustys Tragetasche, zwang sich dann aber, wieder Abdhiamal anzusehen. „Abdhiamal, ich werde es auf Ihre Weise versuchen…“

Er lächelte, doch sie konnte nicht hinter die Fassade sehen. Sie kämpfte den Wunsch nieder, ihm zu vertrauen. „Danke.“ Er wandte sich an die Tirikis. „Berufen Sie eine Versammlung ein.“

„Nein. Warten Sie.“ Bertha schüttelte den Kopf. „Nicht hier. Ich möchte auf meinem Schiff sein, wenn ich verkünde, was ich zu sagen habe. Wenn ich bekanntgebe, wo es ist, dann wird es doch einen Verrückten geben, der versuchen wird, es in seine Gewalt zu bringen, ganz gleich, wo es ist oder was ich sage. Ich muß dort sein, um meine Befehle geben zu können. Ich will mein Schiff jetzt nicht verlieren. Und Sie doch bestimmt auch nicht?“ Sie sah ihn an. „Wir bringen Sie zum Schiff. Wir können von dort übertragen… Schließlich können wir Ihnen ja ohne Treibstoff nicht entwischen, oder?“

„Ich glaube kaum. Außerdem glaube ich, Sie haben recht.“ Nickend betrachtete er die Tirikis. „Gut, ich akzeptiere Ihre Bedingungen.“

„Gehen Sie mit ihnen, Abdhiamal.“ Esrom Tirikis Stimme triefte vor Sarkasmus. „Das gibt uns verdammt viel Zeit, die Neuigkeiten zu verbreiten. Die Medienmänner werden Sie in Stücke reißen. Zu dem Zeitpunkt, an dem Sie die öffentliche Versammlung einberufen, werden Sie zum Öffentlichkeitsfeind Nummer eins geworden sein. Keiner wird Ihnen mehr zuhören. Darauf können Sie wetten.“ Seine Hand verharrte kurz an der Schreibtischkante, sank dann tiefer.

Sie sah, wie Abdhiamals Lächeln sich verzerrte. „Gehen wir.“

Sie stieß die protestierende Rusty in ihre Schachtel und versiegelte sie. Sie verspürte eine vage Freude, daß sie dieses Opfer nicht hatte bringen müssen. Tirikis Augen zogen sich zu schmalen, neidischen Schlitzen zusammen. Sie lächelte.

„Wie kannst du nur lachen, nach allem, was passiert ist?“ murmelte Shadow Jack. Er griff nach seinem Helm.

Sie antwortete leise und sehr sanft. „Sagte ich dir nicht schon einmal, daß es immer einen Grund gibt zu lachen?“

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