Ranger (Diskanisches Hoheitsgebiet) + 2,74 Megasekunden

„Alles klar, Pappy, die Kabel sind gesichert. Wir haben uns wirklich selbst übertroffen, als wir diese Ladung an Bord brachten. Hol uns rein.“ Bertha hob ihr Kinn vom Helmmikrofon weg und umschlang mit dem Arm das starke Stahlkabel, das zwischen den Sauerstoffbehältern gespannt war. Sie spürte einen abrupten Stoß, als die Winden ihre Arbeit begannen und den letzten Zylinder in die Schleuse der Ranger hievten.

„Das war’s, Bertha.“ Clewells lächelnde Stimme hallte in ihrem Helm. Sie stellte sich sein Lächeln vor, das sie durch die Hülle spüren konnte.

„Das war’s. Wir haben es geschafft, Pappy! Wir haben es wirklich geschafft.“ Durch die- verdunkelte Gesichtsplatte ihres Helmes sah sie die an geschmolzenes Silber erinnernde Szenerie und davor den funkelnden Rubin von Diskus, der von der Hülle der Ranger reflektiert wurde und gerade hinter den dunkelgrünen Behältern der Wasserstofftanks, zwischen denen man vereinzelte schwarze Flecken erkennen konnte, aufzugehen schien. Den Schatten von Schnee-der-Errettung… oder das gezackte Loch, das in die Hülle gerissen worden war. Sie wandte rasch den Blick ab und betrachtete die Gestalt von Shadow Jack, die in ihrem hellen Anzug über einem der fünfzig Meter langen Zylinder schwebte. Und dann hinaus in die Leere… sie stellte sich den gnadenlosen Sog der diskanischen Gravitationsquelle vor, der sie hinaus in die endlose Nacht riß… wie schon fünf andere vor ihr. Sie schloß die Augen und klammerte sich an das Kabel, öffnete sie wieder und betrachtete die solide Oberfläche der Tanks, von deren stumpfer, grüner Oberfläche ihr Blick weiterging zu dem einsilbigen Abdhiamal, der am anderen Ende des Schiffes verharrte. Mit dem massiven Schutz der Ranger war nun alles so gut wie gelaufen. Bald war alles überstanden. Einmal noch, nur noch einmal… Schweiß kitzelte ihr Gesicht, und sie schüttelte zornig den Kopf in ihrem Helm. Verdammt! Du wirst nicht fallen…

„Bertha!“ Das war die Stimme Bird Alyns, die sich deutlich vom Rauschen des Helmfunks abhob. Bertha sah, daß sie sich wie eine Mücke an die Außenhülle klammerte. „Die Ladung fügt sich nicht genau passend ein…! Abdhiamal, Ihr Ende — das Kabel hat sich zwischen den Tanks verfangen…“

„Ich kümmere mich darum.“

„Abdhiamal, warten Sie!“ Bertha sah, wie er sich zum Ende des Schiffes bewegte, sah den Lichtblitz seiner Führungsrakete, als er verschwand. „Pappy! Sofort das Heckkabel lösen!“ Sie aktivierte ihre eigene Führungseinheit, drückte den Auslöser und folgte ihm zum Ende der Welt. Hinabblickend, sah sie ihn zwischen zwei Zylindern kauern. Das Kabel war eingeklemmt. Sie sah, wie er nach dem Kabel griff, sich mit den Füßen abstemmte und zog — „Abdhiamal! Aufhören, aufhören!“ —, sah wie das Kabel freikam… sah, wie die losgelösten Tanks unter ihr aufeinander zuschwebten und das Kabel sich wie eine zornige Schlange zu ihr heraufkräuselte. Sie wich verzweifelt zurück, wußte… wußte…

„Clewell!“ Ihr Gesicht prallte in einer grellen Korona gegen das Glas des Helms, als das Kabel sie an der Brust traf und sie hinaus und weg vom Schiff schleuderte. Sie rang nach Atem, Blut war in ihrem Mund, ihre Lungen schmerzten stechend, sie sah das Schiff wie ein Feuerrad aus ihrem Blickfeld verschwinden, Schwärze, geschmolzenes Silber, Schwärze… Sie suchte nach dem Auslöser ihrer Führungsrakete, aber ihre Hände waren leer. Und sie fiel.

Nein… Bertha begann zu schreien.


Als er die Stimme des Kapitäns hörte, die ihm befahl aufzuhören, war das Kabel bereits gelöst. Er ließ sich zurückfallen und sah überrascht auf, sah die gelösten Tanks, sah das Seil, das sie wie eine Peitsche wegschlug, sah ihre Führungsrakete davonschweben, ein greller Lichtpunkt. „O mein Gott…“ Er erkannte, was er getan hatte, hörte die Schreie von Bird Alyn und Shadow Jack, seine eigenen, aber keinen Laut von Bertha Torgussen. Er winkte die anderen zurück, als er ihr in die Nacht folgte.

Das alles verdrängende Gefühl der Isolation raubte ihm den Atem und erfüllte die schwarze Wüste wie Sand, der an ihm zerrte und ihn zurückhielt… wie die Isolation seiner eigenen Taten ihn sein Leben lang von der Wahrheit abgeschnitten hatte. Er näherte sich ihrer sich überschlagenden Gestalt langsam, Zentimeter um Zentimeter… in Gedanken sah er einen zerrissenen Anzug, eine erstarrte, gefrorene Gestalt, ihr bleiches, anklagendes Gesicht, das ihn noch im Tod verfluchte und anklagte wegen der Last seiner vergeudeten Jahre. Und doch wünschte er sich sehnlicher als alles bisher im Leben, den Abgrund zwischen ihnen schließen zu können, um zu erkennen, daß es noch nicht zu spät war…

Und nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, umklammerte seine suchende Hand einen Knöchel. Er zog sie an sich und benutzte seine Führungseinheit, um ihren Fall zu stoppen. Er konnte schließlich ihren Helm mit den Händen umklammern, fühlte sie gegen sich gepreßt, während er hinter der rotverschmierten Scheibe nach einem Blick von ihr suchte. „Bertha… Bertha… Bertha, ist mit dir alles in Ordnung?“ wiederholte er immer wieder mit wilder Erleichterung.

Ihr schattenhaftes Gesicht beugte sich nach vorn und starrte heraus, ihr Kinn preßte den Lautsprecherknopf. „Eric… oh, Eric.“ Er hörte sie schluchzen. „Laß mich nicht los… ich falle… nicht loslassen…“ Ihre Arme krallten sich konvulsivisch an ihm fest, dann stellte die Stille sich wieder zwischen sie. Er streichelte das verschmierte Glas. „Das werde ich nicht…alles ist in Ordnung… ich werde dich nicht loslassen.“ Die Ebene der diskanischen Ringe blendete ihn mit ihrer strahlenden Pracht, unnahbar und kalt wie der Tod, er wandte sich ab und startete durch die Sandwüste der Nacht zu dem kaum mehr sichtbaren Schiff zurück. Sie bewahrte Funkstille, und er suchte nicht mehr nach ihrem Gesicht, das hinter der blutverschmierten Scheibe kaum zu erkennen war. Er gewährte ihr das Alleinsein mit ihrem Kummer und fühlte die Anwesenheit von fünf menschlichen Wesen, die sie begleiteten. Bis er schließlich hörte, wie sie seinen Namen nannte, ihm dankte und wieder seinen Namen rief…

„Was ist geschehen?“

„Geht es ihr gut?“

„Bertha, ist mit dir alles in Ordnung?“

Die Stimmen von Shadow Jack und Bird Alyn zeterten in seinem Helm, als er wieder bei ihnen war, ihre verborgenen Gesichter wandten sich Bertha zu, Handschuhe griffen nach ihr.

„Sie ist verletzt. Helft mir, sie hineinzubringen.“ Sie wehrte sich nicht gegen seinen Griff, als er sie in die Luftschleuse zog.

Als sie im Kontrollraum ankamen, hatte sie ihre Hände immer noch fest um seinen Anzug geklammert. Er sah zur Konsole, suchte Welkin und bemerkte plötzlich, daß sich nichts bewegte. „Welkin?“ Er sah eine bewegungslose Hand im Kommandosessel. Seine Kehle war wie zugeschnürt.

Bertha hob wie lauschend den Kopf, konnte aber nicht antworten. Sie löste ihren Griff und stieß sich von ihm weg. „Pappy?“ Ihre Stimme zitterte, sie krümmte sich in der Luft, die Hände hatte sie gegen den Magen gepreßt. „Pappy… bist du da?“ Er hörte ein leises Stöhnen, als sie versuchte, die Arme zu heben. „Jemand… soll mir diesen Helm abnehmen… kann nichts sehen. Pappy?“

„Bertha…“ begann Shadow Jack, schwieg dann aber.

Bird Alyn nahm Bertha den Helm ab, hob ihn langsam und wich zurück, als sie das blutverschmierte Gesicht sah.

Aber Bertha hatte sich bereits abgewandt und schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben. Sie zerrte ungeduldig an ihren Handschuhen. Als sie die bewegungslose Hand des alten Mannes sah, erstarrte sie. „O mein Gott.“ Ihre eigene Hand griff um sich und klammerte sich schließlich schutzsuchend an Bird Alyns Anzug fest. Bird Alyn legte einen Arm um sie und half ihr, sich zu bewegen. Wadie folgte ihnen.

„Pappy…“ Ihre Stimme brach, als sie ihn erreicht hatten.

Als sie sein Gesicht berührte, öffnete Welkin die Augen und sah sie verständnislos an, die rechte Hand preßte er gegen die Brust. Lachend — oder schluchzend — rieb sie seine Schulter. „Gott sei Dank, Gott sei Dank… ich dachte schon… du bist so kalt…“

„Bertha. Bist du…?“

„Schon in Ordnung. Nicht schlimm.“ Sie berührte mit einer zitternden Hand ihr Gesicht und betrachtete die blutigen Fingerspitzen. „Nur… Nasenbluten. Was ist passiert?“

„Schmerz… in meiner Brust, als würde ich zerschmettert werden. Mein Arm… muß das Herz sein. Hatte Angst, mich zu bewegen. Als ich sah… was mit dir auf dem Schirm geschah…“

„Nicht. Nicht daran denken… es ist vorbei. Wir schaffen es, Pappy. Wir schaffen es trotzdem. Mach die Augen zu. Mach dir keine Sorgen, ruh dich einfach nur aus. Wir kümmern uns um dich.“ Sie rang sich zu einem Lächeln durch. Neues Blut rann an ihrem Kinn herab. Ihre Hand liebkoste sein Gesicht.

„Sollen wir ihn in die Krankenstation bringen?“ Wadie zögerte. Er mußte sich zum Sprechen zwingen.

„Nein.“ Welkin schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Zuerst müssen wir unsere Aufgabe erledigen.“

„Er hat recht. Außerdem sollten wir ihn nicht bewegen. Gott sei Dank sind wir in Nullgravitation…“ Bertha holte ein Taschentuch aus einer Schublade unter der Konsole hervor. Papiere schwebten davon. Stöhnend wischte sie sich das Gesicht ab. Wadie sah, wie sie sich um Kontrolle bemühte, sah ihr schmerzverzerrtes Gesicht und wie sich ihr Körper beugte, als sie sich von Welkin entfernte. Bird Alyn kehrte an ihre Seite zurück, ihr Mund stand offen; sie runzelte die Stirn, straffte sich, schüttelte den Kopf. „Schon gut. Pappy hat alles gesagt. Wir beenden zuerst unsere Arbeit. Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten! Ich bediene die Winde. Bird Alyn, geh wieder nach draußen und sieh nach, ob die Ladung ordentlich vertäut ist. Shadow Jack, du berechnest uns einen Kurs nach Lansing. Sag mir alles, was du dazu brauchst, ich werde dich überwachen… Abdhiamal…“

Er begegnete ihrem Blick und sperrte sich gegen das, was er zu sehen erwartete. „Wahrscheinlich soll ich mich hüten, Ihnen noch mal in die Quere zu kommen?“

Ihr Gesicht war ausdruckslos. „Gehen Sie zur Krankenstation und holen Sie ein paar schmerzlindernde Mittel für Clewell. Sie sind im Notfallschrank.“ Sie griff nach einer Stuhllehne. „Beeilen Sie sich. Und dann…“ — ihr Blick veränderte sich, ihre Augen schienen ihn zu durchbohren — „… hüten Sie sich, mir noch mal in die Quere zu kommen, Abdhiamal!“

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