Sieben

Zunächst hatte die Syndik-Flotte gar nicht auf die Kursänderung der Allianz-Flotte reagiert, aber zehn Stunden später nahm sie Kurs auf den Sprungpunkt nach Mandalon, während die Schiffe gleichzeitig langsamer wurden. »Offensichtlicher können sie es nun wirklich nicht mehr machen, dass wir sie verfolgen sollen«, merkte Geary an.

Desjani verzog den Mund. »Ich finde, sie machen sich nur noch mehr über uns lustig. Sehen Sie das nicht auch so?«

»Es ist zu offensichtlich«, beharrte er.

»Für Sie vielleicht.« Sie schüttelte den Kopf, ihr Blick auf einen Punkt irgendwo in der Vergangenheit gerichtet. »Für Sie sind solche Manöver ein nachvollziehbares taktisches Positionieren. Wir sind es gewöhnt, den Feind zu sehen und direkt auf ihn loszufliegen, weil er genau das Gleiche macht. Ihnen ist noch immer nicht ganz klar, wie Ihre vielen Manöver die Syndiks wahnsinnig gemacht haben, weil dieses Spiel eigentlich nicht so gespielt wurde, nicht wahr? Und jetzt revanchieren sich die Syndiks. ›Hier sind wir, versucht doch mal, uns zu fangen und zu töten!‹ Die Syndiks hoffen, dass sie uns im Gegenzug genauso rasend machen, damit wir Kurs auf sie nehmen und sie in einen richtigen Kampf verwickeln.«

Er hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, ob ein Kampf richtig oder nicht richtig war, er unterschied nur nach klugen und dummen Taktiken. Im Training zu Friedenszeiten hatte es manch Dummes gegeben, das von der Doktrin oder von demjenigen gefordert wurde, der gerade der dienstälteste Commander war. Aber diese Dummheiten waren stets von einer klaren oder angedeuteten Anmerkung begleitet worden, dass man es in einem tatsächlichen Gefecht anders handhaben würde. Vielleicht ließ sich in Friedenszeiten leichter herausfinden, welcher der kluge Weg war, oder es erschien einem nur leichter, weil es keine echten Schlachten waren und keine Menschenleben auf dem Spiel standen. »Ich schätze, ich muss immer noch einiges lernen.« Desjani gelang es, auf die respektvollste Weise ihre Skepsis erkennen zu lassen, während er fortfuhr. »Auf jeden Fall sollte es jetzt nicht mehr viel ausmachen, ob wir ihnen folgen oder nicht. Wir sind längst viel zu weit von jedem Sprungpunkt entfernt, um noch fliehen zu können, wenn die Flotte zum Sprung nach Mandalon ansetzt.«

Diesmal rieb sich Desjani das Genick, dann ließ sie vom System etwas durchrechnen. »Die Syndik-Flotte ist gerade mal zwei Lichtstunden von uns entfernt. Theoretisch ist es möglich, dass wir jetzt sofort wie verrückt beschleunigen und Kurs auf den Sprungpunkt nach Tremandir nehmen. Wenn wir alle Faktoren einbeziehen, dann wäre unsere Flotte wohl in der Lage, noch rechtzeitig nach Tremandir zu entkommen. Da wäre zum einen die Zeitverzögerung für die Syndik-Führer am Mandalon-Sprungpunkt, bis sie sehen, in welche Richtung wir fliegen. Dann die Zeit, die es braucht, bis sie den Befehl an die Syndik-Flotte gesendet haben, sofort zu beschleunigen, um den Sprungpunkt schnellstens zu erreichen. Und schließlich wären da noch die Verzögerungen, durch erstens die Zeit, die deren Flotte für diese Strecke benötigt, zweitens die Zeit, die das Signal der Syndik-Führer braucht, um das Hypernet-Portal zu erreichen, und drittens die Zeit, bis die Schockwelle uns einholt. Ich möchte zwar nicht mein Leben darauf verwetten, aber die Syndik-Führer könnten versuchen, absolut sicherzugehen, dass sie ihre Flotte aus dem System holen können, während es für uns gleichzeitig unmöglich ist zu fliehen, bevor sie das Hypernet-Portal kollabieren lassen.«

Er zeichnete einige der Flugbahnen durch das Sternensystem nach und erkannte, was Desjani meinte. »Wenn wir diese Flotte verfolgen, dann nehmen wir wieder Kurs auf die Syndik-Führer und verringern so die Zeitverzögerung, bis sie sehen können, was wir machen, und gleichzeitig kommen wir dem Hypernet-Portal näher, womit für uns die Zeitspanne etwas verkürzt wird, bis die Schockwelle uns trifft. Weniger Ungewissheit für sie, auch wenn ihre eigene Flotte nicht kontinuierlich der Sicherheit entgegenfliegt.« Plötzlich ging ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf. »Das sind überwiegend Politiker, aber sie treffen eine militärische Entscheidung darüber, wann sie das Portal kollabieren lassen sollen.«

Damit brachte er Desjani zum Grinsen. »Dann werden sie’s wahrscheinlich falsch machen.« Gleich darauf wurde sie wieder ernst. »Was für uns ein böses Ende haben könnte, wenn sie zu früh zuschlagen.«

»Ganz genau.« Costa saß auf dem Beobachterplatz auf der Brücke, aber sie schien eingedöst zu sein. Anstatt sie aufzuwecken, tippte Geary auf seine Komm-Kontrolle. »Madam Co-Präsidentin, ich könnte die Meinung einer Politikerin zu einem Thema gebrauchen.«

Rione hörte sich an, was er zu sagen hatte, dann zuckte sie mit den Schultern. »Das kann in die eine oder die andere Richtung gehen, Admiral. Wenn ein Politiker zu entscheiden hat, wann die Falle zuschnappen soll, könnte er zu lange zögern, weil er darauf hofft, dass die Situation immer noch etwas perfekter und der Erfolg umso sicherer wird. Ich würde diese Entwicklung für die wahrscheinlichere halten, weil sie sich in ihrem Raumschiff sehr sicher fühlen müssen, so dicht neben einem Sprungpunkt, der es ihnen erlaubt, jederzeit die Flucht zu ergreifen. Trotzdem bleibt die Möglichkeit, dass sie in Panik geraten und ihren Plan zu früh in die Tat umsetzen. Zum großen Teil kann die Entscheidung auch davon abhängen, was ihre Militärberater ihnen sagen.«

»Und was wird das sein?«

»Das, wovon sie glauben, dass ihre Vorgesetzten es hören wollen, und wovon sie glauben, dass ihnen diese Vorgesetzten genau das befehlen werden, was sie selbst wollen.« Rione machte eine vage Geste in Richtung der Arrestzellen. »Sehen Sie sich doch nur an, wie der Syndik-CEO bei uns an Bord versucht hat, mit Ihnen umzugehen. Er sagt Ihnen etwas Bestimmtes, weil er glaubt, dass Sie dann auf eine bestimmte Weise reagieren werden, aber alles andere versucht er zu verschweigen. Ich garantiere Ihnen, dass unser Gast ebenso aus Gewohnheit wie aus Berechnung handelt.«

Nachdenklich rieb sich Geary das Kinn. »Wir wissen nicht, was dem Commander des Schiffs, auf dem sich die Syndik-Führer befinden, vorschwebt, was die tun sollten, wenn es nach ihm ginge. Irgendeine Ahnung, was der CEO, der die Flotte führt, ihnen erzählen könnte?«

Nun geriet Rione ins Grübeln, verzog den Mund und legte die Stirn in Falten. »Ich würde darauf tippen, dass er sich so ehrlich wie möglich gibt, um zu beweisen, wie loyal er ist, und um Wiedergutmachung dafür zu leisten, dass ihm unsere Flotte bei der letzten Begegnung entkommen war.«

»Meinen Sie, er weiß von dem Plan mit dem Hypernet-Portal?«

Sie gab einen verächtlichen Laut von sich. »Würden Sie ihm eine solche Information anvertrauen? Das Wissen könnte er dazu benutzen, es an uns oder andere Syndik-CEOs zu verkaufen, um seine gegenwärtigen Führer zu stürzen. Aber selbst wenn er so etwas versuchen würde, könnten wir ihm nicht vertrauen.«

»Weil er Admiral Bloch und die anderen Allianz-Unterhändler ermordet hat.«

Ärgerlich schüttelte Rione den Kopf. »Weil er Sie mit aller Macht besiegen will. Sie, Black Jack Geary, der ihm seinen perfekten Sieg entrissen hat. Ohne Sie würde er heute vielleicht zur Führungsriege gehören.«

Diese Überlegung brachte ihn auf eine andere Idee. »Vielleicht sollte ich ihn verspotten, ich persönlich. Wenn wir die Syndik-Flotte dazu bringen, kehrtzumachen und uns zu verfolgen, bringt das den Plan der Führer durcheinander.«

»Das würde nichts…«, begann Rione, hielt aber gleich wieder inne und überlegte kurz. »Doch, das könnte funktionieren. Aus der Sicht dieses CEO muss es für ihn die ideale Lösung sein, Sie zu besiegen. Er weiß nicht, dass er damit seinen Vorgesetzten einen Strich durch die Rechnung macht, und er wird glauben, dass man ihn als den großen Helden feiern wird, der er schon vor Monaten hätte sein sollen. Ja, treiben Sie ein Messer in sein Ego und drehen Sie die Klinge rum.«

»Ich werde es versuchen.« Geary lehnte sich zurück und dachte nach. Den Syndik-CEO zu verspotten könnte zu der Absicht passen, die Eingreiftruppe aus Schlachtkreuzern abzulenken. »Captain Desjani, abgesehen davon, dass diesem Syndik-CEO unsere Flotte schon einmal entwischt ist, was würde den Mann Ihrer Meinung nach so richtig bis aufs Blut reizen?«

Desjani konnte ihm mit Vergnügen eine ganze Reihe von Vorschlägen liefern.

Dann aktivierte Geary eine Übertragung an die Syndik-Flotte, von der er wusste, dass jedes Schiff in dieser Streitmacht seine Nachricht empfangen würde. Das sollte den CEO noch heftiger zum Kochen bringen. »An Shalin, den gegenwärtigen Befehlshaber der Flotte der Syndikatwelten in diesem System: Ich bedauere, dass Sie kein Interesse daran haben, sich uns im Kampf zu stellen, aber vielleicht hat das ja mit Ihrem Unvermögen zu tun, diese Flotte vor einigen Monaten bei ihrem letzten Aufenthalt in diesem System zu besiegen. Ich kann Ihren Unwillen, sich auf ein Gefecht einzulassen, gut verstehen, trotzdem ist die Allianz-Flotte bereit, Ihnen eine weitere Gelegenheit zum Kampf zu bieten, wenn Sie damit aufhören, vor uns davonzulaufen. Wie gesagt, ich kann es gut verstehen, dass Sie sich mir nicht noch einmal stellen wollen. Es ist eine wohltuende Abwechslung, endlich auf einen Syndik-Führer zu treffen, dem das Überleben und das Wohlergehen seiner Untergebenen wichtiger ist als die eigene Ehre und irgendwelche Privilegien. Wenn Sie einfach kapitulieren, dann garantiere ich Ihnen, dass Ihren Leuten nichts geschehen wird. Sie könnten dann auf mein Flaggschiff kommen, um mir Ihr Einverständnis mit meinen Bedingungen für Ihre Kapitulation zu erklären. Denken Sie in Ruhe drüber nach, Shalin. Ein Befehlshaber mit Ihrem Ruf sollte keine Schwierigkeiten damit haben, sich zu entscheiden. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Flottenadmiral Geary, Ende.«

Desjani musste laut lachen. »Wenn er das nicht schon längst wollte, wäre er spätestens jetzt davon besessen, Sie zu töten. Zu schade, dass wir vier Stunden warten müssen, bis wir seine Reaktion darauf zu sehen bekommen. Aber wir können ein bisschen Zeit totschlagen, indem wir auf den dritten Planeten einprügeln.«

»Was wollen Sie eigentlich als Zeitvertreib machen, wenn man Sie keine Planeten mehr verwüsten lässt?«

»Dann werde ich mir wohl ein neues Hobby zulegen müssen.«

Für Menschen bewohnbare Welten, die nur eine Klimazone besitzen, sind sehr selten zu finden, aber der fünfzehn Lichtminuten vom Stern entfernte Planet war buchstäblich eine Eiswelt. Er war groß genug für eine Atmosphäre, er besaß Wasser im Überfluss, da er in einer relativ kurzen Phase nach dem Abkühlen und Verfestigen der Landmassen von riesigen Ozeanen und Meeren überzogen gewesen war. Da er aber zu weit von dem wärmenden Stern entfernt war, hatte sich allmählich alles Wasser in Eis verwandelt und existierte seitdem nur noch in gefrorenem Zustand.

Inmitten der Eis- und Schneeflächen fanden sich Städte und Siedlungen, in denen weniger als eine halbe Million Menschen lebten. Zwar ließen sich etliche Sport- und Erholungsanlagen ausmachen, doch Industrie war so gut wie gar nicht zu entdecken. »Ich schätze, wenn man Wintersport mag, dann dürfte man da unten bestens aufgehoben sein«, kommentierte Geary.

Desjani zeigte mit dem Finger auf einen Ausschnitt des dargestellten Planeten. »Sehen Sie nur, wie sie riesige Eisflächen glatt geschliffen haben. Die haben ausladende Eisebenen geschaffen, auf denen sie Rennen fahren können. Stellen Sie sich vor, Sie segeln mit einem Eisboot Tausende Kilometer über eine makellos glatte Eisfläche. Sehen Sie das da? Eine Eisyacht, eine richtig große.« Sie schnaubte verächtlich. »Das ist ein Urlaubsplanet. Diese verdammten Syndik-Führer haben doch tatsächlich gleich neben der Primärwelt einen Urlaubsplaneten angelegt.«

Er versuchte sich vorzustellen, wie viel Geld nötig sein mochte, um eine ganze Welt zu unterhalten, die nur der Oberschicht als Urlaubsziel diente. »Vielleicht sollten wir dankbar dafür sein, dass sie ihr Geld für solche Spielereien ausgeben, anstatt das auch noch in den Krieg zu stecken. Welche Ziele bieten sich hier an?«

»Raumhäfen, Kommunikationszentren, ein paar Sicherheitseinrichtungen.« Desjani machte aus ihrer Abscheu keinen Hehl. »Ich nehme an, alles andere außer Luxustourismus hätte die schöne Aussicht verschandelt.«

»Wir haben bislang noch keine Arbeitslager entdeckt«, wandte Rione ein. »Aber es würde zur Arroganz der Syndik-Führer passen, wenn sie ihren Kriegsgefangenen die schwierige und unangenehme Aufgabe übertragen haben, diesen Planeten sauber zu halten. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass dieser Syndik-CEO uns nur verunsichern wollte, als er davon sprach, unsere Leute seien an wichtigen Punkten untergebracht. Ich schlage vor, dass wir bei der Auswahl der Ziele große Sorgfalt walten lassen. Zwangsarbeiter könnten in einzelnen Gebäuden oder sogar in Gebäudeteilen untergebracht sein.«

»Gutes Argument.« Es ließ sich nicht sagen, wie viele Besatzungsmitglieder von den in diesem System zerstörten Allianz-Schiffen als lebende Kriegsbeute hierbehalten worden waren. »Wie heftig hat denn Senatorin Costa diesen Widerling bedroht?«

»Ich selbst bin ja nicht schnell von Worten beeindruckt, aber was sie gesagt hat und vor allem wie sie es gesagt hat, das hätte sogar mich dazu gebracht, mein Handeln noch einmal zu überdenken«, gab Rione amüsiert zurück.

»Danke.« Geary verdrängte die wieder auflebenden Gedanken an seinen Großneffen Michael Geary und befahl den Gefechtssystemen, alle Ziele auszunehmen, bei denen es sich um Kasernen oder um Wohnquartiere für Arbeiter handelte oder wo diese zu dicht bei geeigneten Zielen gelegen waren. Auch wenn Desjani nicht sehr glücklich über die eingeschränkte Auswahl war, hatte sich dennoch eine zwar nicht große, dennoch brauchbare Anzahl an Zielen ergeben. Geary hielt kurz inne, dann ergänzte er diese Liste um ein paar verstreut liegende Punkte auf den völlig planen Segelflächen. »Wollen wir ihnen doch mal ein bisschen ihr Urlaubsparadies verunstalten.«

»In den tieferen Regionen einige Kilometer unter dem Eis ist flüssiges Wasser vorhanden«, ließ Desjani ihn wissen. »Warum bohren wir nicht ein bisschen tiefer, einfach nur zum Spaß?«

Ein so tiefes Loch mitten im Segelgebiet würde die Syndik-Führung ganz sicher verärgern, und es würde lange Zeit daran erinnern, dass es der Allianz möglich gewesen ist, hier im Heimatsystem zuzuschlagen. »Klar, warum nicht?« Die Stunden, die sie mittlerweile damit verbrachten, sich möglichst unauffällig der abgewandten Seite der Sonne zu nähern, waren sehr angespannt, da sie sich unwillkürlich ständig fragten, ob die Syndik-Politiker wohl das Hypernet-Portal kollabieren lassen würden, noch bevor ihre eigene Flotte sie erreicht hatte, nur um ganz sicherzugehen, dass die Allianz-Schiffe auch tatsächlich vernichtet wurden. Ein kilometertiefes Loch in die Eisdecke eines gefrorenen Ozeans zu schlagen, war vielleicht genau das Richtige, um diese Anspannung ein wenig abzubauen. Die Gefechtssysteme hatten dafür schnell eine Feuerlösung errechnet, die darin bestand, mehrere kinetische Salven kurz hintereinander an immer der gleichen Stelle einschlagen zu lassen. »Überprüfen Sie bitte diese Feuerlösung. Ich möchte nicht versehentlich eine Stelle unter Beschuss nehmen, an der sich Kriegsgefangene aufhalten könnten.«

Desjani sah sich den Plan an und reichte ihn dann vorsichtshalber an einen ihrer Wachhabenden weiter. »Ich glaube, etwas Besseres kriegen wir nicht hin, Sir. Wir sind nicht sehr weit vom Planeten entfernt, aber die kinetischen Geschosse werden sie früh genug entdecken, um die Zielgebiete zu evakuieren.«

Er genehmigte die Bombardierung, und dann wurde einmal eine Welle aus kinetischen Geschossen von den Schiffen der Allianz-Flotte ausgestoßen. Für einen Moment veränderte Geary den Maßstab seines Displays, um nach den anderen Steinen zu sehen, die sie vor über zwei Tagen gestartet hatten und die immer noch auf dem Weg zu ihren Zielen waren. »Gut. So viel zum Winterwunderland der Syndiks. Dann werden wir jetzt so tun, als würden wir als Nächstes das Gleiche mit der vorrangig bewohnten Welt machen.«

Desjanis Laune schien sich dank des jüngsten Feuerbefehls etwas gebessert zu haben. »Die versuchen uns dazu zu verleiten, dass wir sie verfolgen, und wir machen das Gleiche mit ihnen, aber beide haben wir es in Wahrheit auf etwas ganz anderes abgesehen.«

»Ich habe mit… jemandem darüber gesprochen, und der meinte, dass CEO Shalin vermutlich nichts von den Plänen der Syndik-Führer weiß.«

Sein kläglicher Versuch, Riones Namen aus dem Spiel zu lassen, konnte Desjani nicht täuschen, die daraufhin wieder den Mund verzog. »Man muss schon Politiker sein, um andere Politiker zu verstehen.«

Costa war unterdessen auf die Brücke gekommen, ihre Miene verriet keine Regung. Sie musste Gearys Bemerkung gehört haben, nicht aber Desjanis gemurmelte Bemerkung. »Ich sehe das so wie Ihre Quelle, Admiral. Es ist nicht anzunehmen, dass CEO Shalin eingeweiht wurde. Man wird ihn bestraft haben«, erklärte sie geradeheraus. »Ich habe eine Weile damit verbracht, mir seine Mitteilung anzusehen, bis ich in der Lage war, meine eigene Wut zu ignorieren, um das beurteilen zu können, was er über sich selbst verschweigt. Sehen Sie sich genau an, welchen Eindruck er von sich vermittelt. Trotz seiner Ehrenabzeichen und des arroganten Auftretens wird deutlich, dass ihm die jüngere Vergangenheit geistig und körperlich zugesetzt hat. Er hat Ihre Flotte entkommen lassen, und er weiß genau, er ist ersetzbar.«

Rione sah Costa fragend an. »Meinen Sie, wir könnten mit ihm etwas aushandeln?«

Desjani drehte sich hastig auf ihrem Platz um. Ihr Gesicht verriet keine Regung, aber Geary konnte ihr deutlich anmerken, wie aufgebracht sie war. Schließlich erging es ihm selbst nicht anders. Eine Abmachung mit diesem CEO? Nicht nur, dass er für den Hinterhalt verantwortlich war, der dieser Flotte schwere Verluste zugefügt hatte, auf sein Konto ging auch der kaltblütige Mord an den Offizieren, die sich mit ihm zu Unterhandlungen getroffen hatten. Aber Rione hatte bereits davon gesprochen, dass es aufgrund eben dieser Vorfälle keinerlei Vertrauensbasis für Shalin gab. Wieso sprach sie dann aber jetzt Costa auf diese Möglichkeit an?

»Ein Handel?« Costa zog die Mundwinkel nach unten. »Das möchte ich bezweifeln, selbst dann, wenn wir ihm vertrauen könnten. Wenn ich ihn richtig einschätze, wird er, sobald er sich im Nachteil wähnt, alles unternehmen, um die Oberhand zu gewinnen. Er würde uns ohne zu zögern hintergehen.«

»Ja, das sehe ich auch so«, sagte Rione.

Geary entging nicht, dass die Augen der anderen Senatorin vor Freude kurz aufblitzten. Dann wurde ihm klar, dass Rione diese Frage nur gestellt hatte, damit sie öffentlich der Meinung dieser Frau zustimmen konnte, um sich auf diese Weise eine gewisse Dankbarkeit zu sichern. Ich könnte niemals ein Politiker sein. Solche Spielchen würde ich niemals beherrschen. Aber die Unterhaltung warf eine andere Frage auf. »Warum trägt er Auszeichnungen, wenn man ihn bestraft hat? Warum haben die Syndiks ihm weitere Orden verliehen, wenn sie wütend auf ihn sind, dass er uns hat entwischen lassen?«

»Plausibilität.« Costa beschrieb eine vage Geste in die Richtung, in der sich in etwa das Schiff mit den Syndik-Führern befand. »Während diese Flotte als verschollen galt, verbreiteten die Syndiks weiter ihre Propaganda, dass die Flotte hier vollständig vernichtet worden sei. Hätte man den CEO, der damals den Angriff geleitet hat, nicht mit Orden behängt, wären Fragen laut geworden, ob mit den Behauptungen vom Sieg an ganzer Front vielleicht etwas nicht stimmt. Glauben Sie mir, wir hätten uns auf unserer Seite auch über so etwas gewundert.«

»Wenn er aus dem Grund diese Auszeichnungen erhalten hat, dann wundert es mich, dass er sie tatsächlich trägt«, meinte Geary und wandte sich an Desjani, die sich wieder beruhigt hatte, nachdem sie wusste, dass niemand versuchen würde, mit dem CEO der Syndik-Flotte zu verhandeln. »Noch zwei Stunden, dann können die Syndiks das Portal nicht mehr zeitig genug kollabieren lassen, um uns noch zu erwischen.«

»Das dürfte ein interessantes Experiment in Sachen Zeitdehnung werden«, erwiderte sie. Ihr Blick kehrte zurück zum Display. Geary wusste, wohin sie sah, nämlich auf den Punkt, von dem auch er immer wieder wie magisch angezogen wurde. Das Hypernet-Portal hing wie ein riesiges Auge im All, das sie beobachtete, das mit ihnen spielte und das wie ein Zyklopengott aus einer primitiven Mythologie bereit war, entsetzliche Kräfte zu entfesseln. »Diese Stunden werden uns vermutlich wie Tage vorkommen«, fuhr Desjani fort. »Wann werden Sie die Eingreiftruppe losschicken?«

»Sobald wir Kurs auf den Windschatten der Sonne nehmen.« Bislang hatte er die Aufgabe vor sich hergeschoben, Duellos detaillierte Befehle zu geben, doch das musste nun erledigt werden.

Als sie nickte, wurde Desjani bewusst, dass sie ihn wieder einmal ganz beiläufig dazu gebracht hatte, sich einer Betätigung zu widmen, um die er lieber einen Bogen gemacht hätte. »Der Rest der Flotte kann weitere Ziele in festen Orbits bombardieren, sobald wir es hinter den Stern geschafft haben«, machte sie deutlich. »Aber wenn die Syndiks beschließen, die Flucht anzutreten, dann hat unsere Eingreiftruppe keine Chance mehr sie einzuholen. Selbst ein Schlachtschiff kann sich einen Schlachtkreuzer vom Hals halten, wenn er nur genügend Vorsprung hat.«

»Ich weiß. Das ist einer der Hauptaspekte, den ich in meinen Befehl an Duellos einzuarbeiten versuche. Ich wünschte, wir könnten auf eine andere Weise an die Syndik-Führung herankommen. Meine Hoffnung war, sie auf dem zweiten Planeten festzusetzen, aber da sie nun auf dem Schlachtschiff darauf lauern, durch den Sprungpunkt zu entkommen, habe ich kein Druckmittel gegen sie in der Hand, um sie von da hinten wegzuholen.« Rione hatte zuvor davon gesprochen, dass diese Syndik-Führer nur auf ihre eigenen Interessen konzentriert waren; solange er sie nicht unmittelbar bedrohen konnte, war er praktisch machtlos. Sein Blick wanderte zu dem Teil des Displays, wo das Syndik-Schlachtschiff zu sehen war, auf das sich die Angehörigen des Syndik-Exekutivrats zurückgezogen hatten. Das Schiff war viel zu weit entfernt, um etwas unternehmen zu können, solange die anderen Schiffe ihnen nicht entgegenkamen. Wenn er doch irgendwie deren Befehlshaber beeinflussen könnte…

»Admiral, ich…«, begann Desjani.

»Warten Sie.« Geary versuchte, alles um sich herum auszublenden, um diesen einen Gedanken zu fassen zu bekommen, der sich ganz am Rand seines Verstands hielt. Das Schlachtschiff und die Schweren Kreuzer. Da war etwas, das die Syndiks ebenso betraf wie den gefangenen Syndik-CEO an Bord der Dauntless, etwas, das Boyens gesagt hatte… »Senator Costa, im Sternensystem Unity ist doch eine Verteidigungsstreitmacht stationiert, richtig?«

Costa nickte ein wenig irritiert. »Ja, natürlich.«

»Lassen Sie die rotieren? Kommen da in Abständen neue Einheiten hin, während die anderen woanders eingesetzt werden?«

»Nein«, kam die verwunderte Antwort. »Wir ziehen es vor, Einheiten vor Ort zu haben, die…« Sie verstummte und sah sich um, da ihr soeben bewusst wurde, dass sie um ein Haar die Angst ihrer eigenen Regierung enthüllt hätte, nicht alle Allianz-Kriegsschiffe könnten loyal sein. »Einheiten, die eine bekannte Größe sind«, sagte sie stattdessen.

Geary betätigte ein paar Tasten an seinem Display und versuchte, eine ältere Anzeige aufzurufen. »Captain Desjani, ich benötige ein Bild von der Syndik-Flotte in diesem System, unmittelbar nachdem ich das Kommando übernommen hatte.«

Desjani gab einem Wachhabenden ein Zeichen, und nur Sekunden später tauchte neben Geary das alte Display auf. Er schwenkte fort von der gewaltigen Formation aus Syndik-Kriegsschiffen, die bislang immer seine Aufmerksamkeit ganz in Beschlag genommen hatte. Stattdessen zoomte er einen Ausschnitt heraus, der weit von der Position der Allianz-Flotte entfernt gewesen war. »Sehen Sie da, im Orbit um die bewohnte Primärwelt.«

»Ein Schlachtschiff und drei Schwere Kreuzer«, murmelte Desjani. »Was für ein interessanter Zufall.«

»Ja, nicht wahr? Lässt sich feststellen, ob es sich dabei um die vier Schiffe handelt, die am Sprungpunkt warten?«

»Wir können es versuchen. Auf den ersten Blick identisch aussehende Schiffe weisen meistens kleine Abweichungen auf. Lieutenant Yuon, lassen Sie die Sensoren so gründlich wie möglich die Schiffe am Sprungpunkt erfassen, und dann vergleichen Sie sie mit den Schiffen, die auf der alten Aufnahme den Planeten umkreisen.« Desjani war sichtlich neugierig, dennoch wartete sie geduldig ab, bis die Sensoren ihre Arbeit getan hatten.

»Captain«, meldete Lieutenant Yuon. »Die Sensoren bewerten die Übereinstimmungen bei den drei Schweren Kreuzern mit fünfundneunzig, zweiundachtzig und achtundneunzig Prozent, bei dem Schlachtschiff mit 99,7 Prozent. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es sich um dieselben Kriegsschiffe handelt wie bei unserem letzten Aufenthalt in diesem System.«

»Eine Palastwache«, sagte Geary. »Das Schlachtschiff und die Kreuzer halten sich demnach vielleicht schon seit Jahren hier auf.«

Senatorin Costa konnte ihm noch immer nicht folgen. »Das würde unserer eigenen Vorgehensweise entsprechen, was das Personal zum Schutz und zur Verteidigung der höchsten Regierungsebene angeht. Aber wieso ist das so wichtig, Admiral?«

»Weil der gefangene Syndik-CEO uns erzählt hat, dass die Syndik-Führer es nicht mögen, wenn die Besatzungen ihrer Kriegsschiffe allzu enge Beziehungen zu den Bewohnern des jeweiligen Systems entstehen lassen.«

»Natürlich mögen sie das nicht! Erst recht nicht, wenn sie sich gezwungen sehen, diesen Schiffen den Befehl zu erteilen, dieses Sternensystem zu bombardieren. Aber wieso…«

»Die sind bereits seit Jahren hier«, unterbrach Desjani sie. »Freunde, Freundinnen, Familien, alle möglichen persönlichen Beziehungen.«

»Eben«, bekräftigte Geary. »Diese Besatzungen sind hiergeblieben, weil die Syndik-Führer Schiffe in ihrer Nähe haben wollten, auf deren Loyalität sie sich blind verlassen können. Aber weil sie bleiben durften, haben die Syndiks gegen ihre eigenen Grundsätze verstoßen. Diesen Besatzungen müssen die Menschen im System am Herzen liegen. Diese Planeten sind für sie keine militärischen Ziele, sondern die Heimat von Menschen, deren Wohl für die Syndiks auf diesen Kriegsschiffen von Bedeutung ist.«

Desjani lächelte gehässig. »Jemand sollte ihnen erzählen, was ihre Führer mit dem Sternensystem vorhaben.«

»Richtig, das sollte jemand machen. Sobald die Flotte vor dem Hypernet-Portal sicher ist, werde ich mich wohl an jeden Syndik in diesem System wenden, damit sie alle erfahren, was ihre Führer für sie geplant haben, während sie selbst die Flucht ergreifen wollen, um sich in Sicherheit zu bringen.«

Rione beugte sich vor. »Glauben Sie, das wird auf den Schiffen zu einer Meuterei führen?«

»Ich glaube, wir haben eine Chance, einen Regierungswechsel auf den Syndikatwelten herbeizuführen, Madam Co-Präsidentin. Es wird davon abhängen, was die anderen Syndik-CEOs in diesem Sternensystem unternehmen werden. Schließlich werden sie ja erfahren, dass sie auch ersetzbar sind.«

»Der CEO, der die Flotte befehligt, wird einen Staatsstreich nicht unterstützen«, beharrte Costa. »Er weiß, dass derjenige, der dann an die Macht kommt, ihn uns zum Fraß vorwerfen wird.«

Das klang durchaus nachvollziehbar. »Dann hat man ihm das Kommando über die Flotte übertragen, weil die Syndik-Führer wissen, dass er zu ihnen steht, auch wenn er in deren Augen eigentlich ein Versager ist.«

»Egal, was er macht, es ist immer das Falsche«, merkte Desjani mit strahlendem Lächeln an. »Ich könnte mir niemanden vorstellen, der so etwas besser verdient hat als er.« Dann kniff sie die Augen zusammen und schaute skeptisch auf ihr Display. »Aber wenn die Besatzungen dieser vier Schiffe eine Meuterei anzetteln, dann wird sich Shalin gegen sie wenden. Er hat gar keine andere Wahl, weil die derzeitigen Syndik-Führer seine einzige Hoffnung sind.«

Rione nickte. »Ja, richtig. Also müssen wir uns darauf einstellen, diese vier Schiffe unter Umständen vor dem Rest der Flotte zu beschützen.«

»Wir sollen Syndik-Kriegsschiffe beschützen?«, rief Desjani mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Abscheu dazwischen.

Geary atmete frustriert aus. Die Befehle für Duellos wurden von Minute zu Minute schwieriger.

So ungern er die Brücke auch verließ, musste Geary sich doch in sein Quartier zurückziehen, um Duellos den Einsatzbefehl zu erteilen. Er wollte nicht riskieren, dass irgendjemand diese Unterhaltung belauschen konnte oder durch die virtuelle Privatsphäre rings um den Kommandosessel mögliche Reaktionen beobachtete.

Duellos lehnte sich nach hinten und wirkte äußerlich völlig entspannt, da nur seinen Augen die Wachsamkeit und Anspannung anzusehen war. »Ein Kampf an drei Fronten? Das klingt… interessant.«

»Ein einziges Durcheinander«, erwiderte Geary. »Würden Ihre Schlachtschiffe Syndik-Kriegsschiffe beschützen?«

»Nicht, wenn ich den Befehl so formuliere. Um das Syndik-Schlachtschiff zu beschützen, müsste ja erst einmal die Syndik-Flotte angegriffen werden. Das kann ich meinen Schlachtkreuzern befehlen, ohne mir Sorgen machen zu müssen, ob sie das auch ausführen.« Duellos seufzte. »Eigentlich würde ich ja am liebsten jedes feindliche Kriegsschiff in diesem System vernichten, damit die Syndiks anschließend allein zusehen können, wie sie zurechtkommen.«

»Wir benötigen jemanden, mit dem wir verhandeln können«, antwortete Geary und zögerte, da er den nächsten Teil des Befehls eigentlich nicht aussprechen wollte, ihm aber gar keine andere Wahl blieb. »Wenn Sie vor der Wahl stehen, dieses Kriegsschiff zu zerstören oder zuzulassen, dass es von der Syndik-Flotte wiedereingenommen wird, dann müssen Sie sicherstellen, dass diese Syndik-Führer uns nicht entwischen.« Nein, das genügte nicht. Er musste den Befehl eindeutig abfassen, er durfte keine vagen Formulierungen verwenden, die ihm zwar helfen würden, den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können, die aber Duellos im Unklaren darüber ließen, was nun genau von ihm erwartet wurde. »Mit anderen Worten: Zerstören Sie das Schlachtschiff.«

Duellos nickte. »Und wer entscheidet, wann wir den Punkt erreicht haben, an dem das Schlachtschiff zerstört werden muss?«

»Sie werden zu dem Zeitpunkt einige Lichtstunden weit von mir entfernt sein, deshalb treffen Sie die Entscheidung abhängig von den Umständen. Egal, wie Sie sich entscheiden, meine Rückendeckung haben Sie in jedem Fall.«

»Als ich so etwas von einem Admiral gesagt bekam, hatte ich meine Zweifel, wie ernst er das meinte«, stellte Duellos fest. »Aber der Admiral waren nicht Sie. Ich werde mein Bestes geben, um das Vertrauen nicht zu enttäuschen, das Sie in mich gesetzt haben.«

»Ganz meinerseits«, gab Geary zurück und schaute auf die Darstellung der Eingreiftruppe, die zwischen ihm und Duellos in der Luft schwebte. »Ich gebe Ihnen drei Geschwader Leichte Kreuzer und fünf Zerstörergeschwader, die Ihre neun Schlachtkreuzer unterstützen werden. Ich will nicht zu viele Schiffe mitschicken, damit Ihre Eingreiftruppe kein allzu lohnendes Ziel abgibt. Glauben Sie, das genügt?«

»Hängt davon ab, was passieren wird, aber es dürfte genügen, um mit allem klarzukommen, auch wenn wir es nicht sofort überwinden können.« Duellos hielt kurz inne. »Und es hängt davon ab, was Captain Kattnig machen wird.«

»Versuchen Sie, ihn an der kurzen Leine zu halten. Er ist viel zu versessen darauf zu kämpfen.«

»So etwas gibt es in dieser Flotte nicht, Admiral.« Duellos zuckte mit den Schultern. »Ich werde mein Bestes geben. Die Schiffe der Adroit-Klasse werden bei einem Frontalangriff keine gute Figur machen.«

»Das letzte Scout-Schlachtschiff wurde im Gefecht zerstört, aber jetzt muss ich mir um die Adroit und ihre Schwesterschiffe Sorgen machen. Wann wird diese Regierung endlich begreifen, dass niemandem damit gedient ist, Schiffe aus Kostengründen so klein und spartanisch ausgestattet zu bauen wie die Adroit?«

»Wenn Sie mal Diktator sind, werden Sie diesem Unsinn als Erstes ein Ende setzen.« Duellos grinste ihn breit an, um ihn wissen zu lassen, dass er es nicht so meinte. »Kattnig hat in der Vergangenheit gut gekämpft, daher glaube ich nicht, dass er sich zu irgendeiner Dummheit verleiten lässt.«

»Das sollte er auch besser bleiben lassen. Hatten Sie Gelegenheit, sich mit seinem letzten Gefechtseinsatz zu befassen?«

Wieder nickte Duellos. »Bei Beowulf, richtig? Hässliche Sache, aber Kattnig hat sich gut geschlagen.«

»Hässlich« war eine milde Formulierung für eine Schlacht, bei der beide Seiten fast gleich stark waren und es zu einem langwierigen Gefecht kam, in dessen Verlauf die Allianz sich nur sehr langsam einen Vorteil verschaffen konnte. Das Ergebnis war ein Sieg, der angesichts der Gefallenen und der zerstörten Schiffe genauso schmerzhaft ausfiel wie eine Niederlage. »Sein Schiff wurde zu einem fliegenden Schrotthaufen zusammengeschossen, aber es kämpfte immer weiter«, stimmte Geary ihm zu. Danach hatte sich Kattnig ganz auf das Wohlergehen der Überlebenden seiner Crew fixiert, sodass er schließlich ärztlich behandelt und ruhiggestellt werden musste. Es gab keinen Grund, sich für ein solches Verhalten zu schämen, und der Ärztestab der Flotte hatte Kattnig wenig später wieder diensttauglich geschrieben. Geary sah grundsätzlich keine Charakterschwäche darin, dass ein Befehlshaber um seine Crew besorgt war.

Dennoch stand diese Tatsache im Widerspruch zu Kattnigs schier unbändigem Willen, sich in einen Kampf stürzen zu können. »Behalten Sie ihn einfach im Auge. In weniger als zwei Stunden werde ich die Eingreiftruppe losschicken, wenn der Rest der Flotte Kurs auf den Windschatten des Sterns nimmt. Ich weiß nicht, was passieren wird, aber wir alle werden spontan auf das reagieren müssen, was sich uns in den Weg stellen wird. Viel Glück.«

»Wenn das Hypernet-Portal kollabiert, während meine Schiffe da draußen unterwegs sind, wird mir nicht viel Zeit bleiben, um mir Sorgen darüber zu machen, was ich tun soll«, betonte Duellos. »Ansonsten werde ich versuchen, Sie nicht zu enttäuschen.«

»Es wird Ihnen nicht gelingen, mich zu enttäuschen, Roberto.«

Duellos grinste ihn wieder an, salutierte, und dann löste sich sein Bild in nichts auf. Daraufhin verließ Geary sein Quartier und kehrte auf die Brücke der Dauntless zurück.

Das Bombardement der Eiswelt stellte eine angenehme Ablenkung dar, da ansonsten jeder nur gebannt auf einen Hinweis wartete, ob das Hypernet-Portal schon bald zusammenbräche. Die Serie von Steinen, die in kurzen Abständen auf einen einzelnen Punkt des riesigen erstarrten Ozeans trafen, bildete dabei von allem den spektakulärsten Anblick. Eine Fontäne aus verdampfendem Wasser stieg höher und höher in die Atmosphäre auf, da jeder Einschlag unter der Oberfläche erfolgte. Die immense Hitze, die von jedem der Steine ausging, ließ das Wasser tief unter der Eisschicht verkochen, aber der durch das kilometerweite Loch aufsteigende Dampf erstarrte in der eisigen Luft gleich wieder. Ein Multispektral-Beobachtungssatellit der Flotte wurde im Orbit über dem Loch im Ozean ausgesetzt, sodass die Crew der Dauntless immer noch in die Tiefe schauen konnte, als der Planet längst hinter ihnen zurückfiel. Das Ergebnis empfand Desjani allerdings als enttäuschend. »Am Boden ist flüssiges Wasser, aber das stammt vermutlich nur von den eisigen Wänden. Ob wir tatsächlich bis zum Ozean unter dem Eis vorgedrungen sind, lässt sich nicht erkennen.«

»Tut mir leid«, sagte Geary daraufhin. »Aber es ist immer noch ein gigantisches Loch.«

»Können Sie sich vorstellen, wie das sein wird, wenn die Wände wieder gefroren sind? Steile, glatte Wände, fast ohne Reibungswiderstand, und das bis in etliche Kilometer Tiefe. Aber ich wette mit Ihnen, die Syndiks werden uns nicht dafür danken, dass wir ihnen eine Kletterwand geschenkt haben, die es wirklich in sich hat.«

»Das sehe ich auch so. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Eisozean jetzt in alle Richtungen auf Hunderte von Kilometern Risse aufweist.« Eigentlich war es albern, sich über solche Dinge zu freuen, aber es war immer noch besser als unentwegt auf das Hypernet-Portal zu starren.

Noch eine Stunde, bis sie das Manöver beginnen konnten, das sie in den Windschatten des Sterns bringen würde. Wenn das Hypernet-Portal innerhalb der nächsten halben Stunde kollabierte, würde es eine grausame Ironie sein, weil die Rettung zum Greifen nah war. Trotz der völlig irrationalen Sorge, es könnte irgendetwas Verheerendes passieren, sobald er die Brücke der Dauntless verließ, rang Geary sich dazu durch, die kleinen Räume nahe dem Mittelpunkt des Schiffs aufzusuchen, wo die Besatzungsmitglieder zu den Ahnen beten konnten. In Augenblicken wie diesen schien es ihm eine gute Idee zu sein, um Hilfe und Gnade zu bitten. Zumindest konnte es nicht schaden. Er versuchte Michael Geary zu finden, aber weder sein Bruder noch sein Großneffe schienen ihm zu antworten. Schließlich streckte er die Hand aus, um die Flamme der zeremoniellen Kerze zu löschen, da verharrte er mitten in der Bewegung. »Ich habe deine Nachricht erhalten, Mike. Deine Enkelin Jane hat sie mir überbracht. Du fehlst mir auch.«

Wenige Minuten später war er zurück auf der Brücke und betrachtete die Darstellung der Flotte auf dem Display, die sich scheinbar im Schneckentempo durch die Weiten des Sternensystems bewegte. Der Punkt, an dem sie sich hinter den Stern zurückziehen konnten, kam ihm dabei noch immer unendlich weit entfernt vor.

Die letzten fünf Minuten dauerten länger als eine Ewigkeit. Auf der Brücke der Dauntless herrschte gebannte Stille, selbst beim Atmen schien jeder zu versuchen, keinen Laut von sich zu geben. Nur Desjani erweckte den Anschein, als könne das Ganze sie nicht beeindrucken, da sie damit beschäftigt war, routinemäßigen Verwaltungskram zu erledigen. Erst als Geary von der ihm als Flottenbefehlshaber zustehenden Autorität Gebrauch machte und sich auf seinem Display ansah, was Desjani eigentlich machte, erkannte er, dass sie die Seiten viel zu schnell umblätterte, als dass sie irgendetwas hätte lesen können.

Der Zähler schlug auf null um, und als Geary daraufhin einmal tief durchatmete, fiel ihm erst auf, dass er mindestens im Verlauf der letzten dreißig Sekunden die Luft angehalten hatte. Während er zum Dank ein Stoßgebet hauchte, betätigte er die Komm-Taste an seinem Platz. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte: Hier spricht Admiral Geary. Bei Zeit zwei fünf beschleunigen Sie auf 0,15 Licht und drehen dabei null vier Grad nach unten und drei sechs Grad nach Steuerbord. Einheiten, die zur Eingreiftruppe Eins gehören wechseln bei Zeit drei null auf die taktische Kontrolle von Captain Duellos auf der Inspire

Von da an war es nur eine Frage der Zeit, da sich das Signal mit Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen bewegte und die am weitesten entfernten Einheiten erst nach einigen Minuten erreichte. Dann wartete Geary weiter, bis jedes Schiff den Befehl bestätigte, wobei die Symbole auf dem Display anzeigten, welches von ihnen verstanden hatte und bereit war. Danach hieß es weiter warten, bis die Zeit zwei fünf erreicht war.

Desjani gab ihrem Steuer-Wachhabenden ein Zeichen, der tippte den Befehl für die Geschwindigkeits- und Kursänderungen ein. Die Dauntless neigte sich leicht nach vorn und zur Seite, dann schalteten sich die Hauptantriebseinheiten ein und trugen das Schiff voran, dem der Rest der Flotte folgte.

»In etwa vier Stunden und dreiundzwanzig Minuten«, ließ Desjani verlauten, »werden die Syndik-Führer eine sehr bestürzte Miene machen.«

»Wir haben es noch nicht geschafft«, warnte Geary sie. »Wenn die Syndiks das Portal bereits haben hochgehen lassen, können wir immer noch von der Druckwelle erfasst werden.«

»Es ist ja nicht so, dass ich den Syndiks besonders hohe Intelligenz unterstellen möchte, aber nicht mal sie werden so dumm sein, ihre eigene Flotte auszulöschen, wenn es nicht danach aussieht, als ob sie das tun müssten.« Sie sah zu, wie die Schiffe der Eingreiftruppe aus der Formation ausscherten und beschleunigten. »Wie lange noch, bis Sie allen im System erzählen, was ihre ach so anständigen Führer vorhaben?«

»Nicht mehr lange. Ich will, dass der Syndik-Exekutivrat sieht, wie wir auf den neuen Vektor einschwenken, und anfängt zu überlegen, was wir damit bezwecken. Dann soll meine Mitteilung sie noch mehr verwirren und unter Druck setzen.«

Desjani warf einen Blick auf den hinteren Teil der Brücke, wo Sakai saß und schweigsam, aber mit hellwachen Augen alles verfolgte, was sich um ihn herum abspielte. »Apropos Leute verwirren und unter Druck setzen: Haben die Politiker versucht, Ihnen bei Ihrer Übertragung reinzureden?«

»Costa schlug vor, ich sollte ihnen den Text vorlegen. Sakai konnte sich nicht so recht entscheiden, und Rione war strikt dagegen, weil sie meinte, ich sollte nach mir selbst klingen, nicht nach einem Politiker.«

»Verdammt, ich bin schon wieder einer Meinung mit dieser Frau.«

»Daran muss man sich erst mal gewöhnen.« Eine Weile saß Geary schweigend da und versuchte, sich in die richtige Stimmung zu versetzen, dann sah er auf die Uhr. Ja, das würde passen. Seine Erklärung an die Bewohner des Systems würde das Schiff, auf dem sich die Syndik-Führer aufhielten, erst erreichen, wenn die bereits sehen konnten, wie sich die Flotte hinter den Stern zurückzog. Die meisten Menschen auf den Planeten und anderswo im System würden lange vor ihren Führern zu hören bekommen, was er zu sagen hatte. Sein Hohn und Spott, den er über CEO Shalin verbreitet hatte, war bislang ohne Erwiderung geblieben, von daher würde es sogar noch interessanter sein, wie diese Nachricht aufgenommen werden würde.

Zweimal atmete er tief und gleichmäßig durch, um zur Ruhe zu kommen und sich auf seine Mitteilung an die Syndiks zu konzentrieren. Dann öffnete er die Frequenz, auf der er jeden Syndik-Empfänger überall im System erreichen konnte. »An die Bewohner der Syndikatwelten: Hier spricht Admiral John Geary. Es ist meine traurige Pflicht, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Führer nicht nur beabsichtigen, Sie alle im Stich zu lassen. Sie wollen außerdem alles Leben in diesem System auslöschen, nur um meine Flotte zerstören zu können.

Am Hypernet-Portal in Ihrem System befindet sich eine Schutzvorrichtung, die mit der Absicht entwickelt wurde, bei einem Kollaps des Portals die Energieentladung so sehr zu drosseln, dass sie keine Gefahr für Leib und Leben bedeutet. Diese Vorrichtung kann allerdings auch in ihr Gegenteil verkehrt werden, um dafür zu sorgen, dass die Zerstörung eine Schockwelle erzeugt, die fast genauso schlimm ist, als würde sich Ihre Sonne in eine Nova verwandeln. Ihre eigenen Führer beabsichtigen, diese Maßnahme zu ergreifen und Sie alle zu opfern, nur um die Allianz-Flotte zu besiegen. Dass sie das bislang noch nicht gemacht haben, liegt einzig daran, dass ihre eigene Flotte aus Kriegsschiffen der Syndikatwelten bislang keinen Sprungpunkt erreicht hat, um in ein anderes System zu entkommen. Anstatt diese Flotte einzusetzen, um Sie zu verteidigen und vor uns zu beschützen, wollen sie sie lieber mitnehmen, um mit ihrer Hilfe anderswo ihre Herrschaftsansprüche durchzusetzen.

Ihre eigenen Führer müssen sich keine Gedanken über die drohende Vernichtung Ihres Systems machen, da sie am Sprungpunkt nach Mandalon warten, wohin sie sich in Sicherheit bringen werden, nachdem sie den Kollaps des Hypernet-Portals in die Wege geleitet haben. Sie alle werden sterben, nachdem Ihre Führer sich längst abgesetzt haben. Kein Augenzeuge würde überleben, kein Aufzeichnungsgerät würde die Katastrophe überstehen, und Ihre Führer könnten ungestört einen sinnlosen Krieg weiter vorantreiben.

Wir haben ihnen angeboten, über ein Ende des Krieges zu verhandeln, wir haben Ihrem Exekutivrat die Bedingungen der Allianz übergeben und sie zudem im gesamten Sternensystem ausgestrahlt. Zum Abschluss dieser Mitteilung werde ich diese Bedingungen wiederholen, sodass Sie alle sich davon überzeugen können, dass sie auf ein Kriegsende in einer Form abzielen, mit der beide Seiten leben können. Aber Ihre Führer haben beschlossen, nicht zu verhandeln, stattdessen wollen sie lieber dieses Sternensystem vernichten, um nicht eigene Fehler einzugestehen oder sich mit Bedingungen einverstanden zu erklären, die sie nicht selbst diktiert haben.

Wenn diese Nachricht Sie erreicht, wird sich der größte Teil der Allianz-Flotte vor dem geplanten Anschlag in Sicherheit gebracht haben, nämlich im Schutz Ihres Sterns. Aber keiner von Ihnen kann sich schützen, es sei denn, Sie handeln in Ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Syndikatwelten insgesamt. Sie kennen meinen Ruf, Sie wissen, was Ihre gegenwärtigen Führer in der Vergangenheit getan haben. Sie müssen jetzt entscheiden, wem von uns Sie vertrauen. Ihr Überleben und die Zukunft der Syndikatwelten hängen davon ab. Auf die Ehre unserer Vorfahren.«

Desjani lächelte ihn zuversichtlich an, als er sich in seinen Sessel sinken ließ. »Jetzt können wir nur noch hoffen, dass die Syndiks ausnahmsweise einmal ihren Kopf benutzen, anstatt Befehle zu befolgen.«

Wieder mussten Stunden vergehen, ehe irgendetwas geschehen konnte. Durch die Korridore der Dauntless konnte Geary nicht spazieren, weil er dort unweigerlich Besatzungsmitgliedern begegnet wäre, die ihm seine Nervosität hätten anmerken können. Da er sich aber auch nicht imstande sah, einfach nur weiter auf der Brücke zu sitzen, zog er sich in sein Quartier zurück, wo er unentwegt wie ein Tier in Gefangenschaft auf und ab ging. Dort hielt er sich auch auf, als sich Lieutenant Iger bei ihm meldete. »Da findet ungewöhnliche Aktivität im Komm-Netz der Syndiks statt, Admiral. Ein anderer Standort versucht Priorität über das Schiff am Sprungpunkt zu erlangen.«

»Wo ist dieser andere Standort?«

»Irgendwo auf der Primärwelt. Aber sie benutzen zahllose Relais, deshalb hat es eine Weile gedauert, bis uns das überhaupt aufgefallen ist.« Lieutenant Iger lächelte flüchtig. »Auf der Primärwelt hat man vor gut zwei Stunden Ihre Nachricht empfangen, Sir.«

Genug Zeit, um jemanden dazu zu veranlassen, die Initiative zu ergreifen, und das erst recht, da der Exekutivrat rund fünf Lichtstunden entfernt war und die Ereignisse auf dem Planeten nicht in Echtzeit mitverfolgen konnte. »Irgendetwas Offensichtliches haben Sie noch nicht empfangen?«

»Nein, Sir. Keine Übermittlungen über Revolten, über eine neue Führung oder irgendetwas anderes in dieser Art. Es gibt auch keine Anzeichen für irgendwelche Konflikte oder Truppenbewegungen. Aber unsere politik-analytischen Routinen schätzen, dass derjenige, der den Exekutivrat absetzen will, noch damit beschäftigt ist, sich die Unterstützung verschiedener Militärbefehlshaber und anderer wichtiger Personen zu sichern. Derjenige wird sich bedeckt halten, bis er weiß, wen er hinter sich hat, anstatt den Exekutivrat zu früh auf sich aufmerksam zu machen.«

Die Syndik-Führer hatten die Allianz-Flotte in eine Falle locken wollen, und nun hatten sie sich selbst in eine Falle manövriert. »Geben Sie mir Bescheid, sobald Sie mehr wissen.«

Die nächste Nachricht traf jedoch von Desjani ein. »Die Flotte bewegt sich in den Windschatten des Sterns«, verkündete sie triumphierend. »Wir sind in Sicherheit.«

»Bis auf die Eingreiftruppe.«

»Ja, Sir, aber Duellos kann gut auf sich selbst achten. Bislang keine Reaktionen von der Syndik-Flotte oder vom Schlachtschiff am Sprungpunkt.«

Alles schien nach Plan zu verlaufen, und sofort begann Geary zu überlegen, was er wohl jetzt wieder übersehen hatte.

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