Zwölf

Es war ein eigenartiges Gefühl heimzukehren, ohne dass die nächste Schlacht bevorstand. Es war auch ein eigenartiges Gefühl, ganz offiziell das Hypernet der Syndiks zu benutzen und Syndik-Sternensysteme (oder ehemalige Syndik-Sternensysteme) zu durchfliegen, ohne einen Angriff fürchten zu müssen. Einige Syndik-CEOs boten ihnen sogar an, ihnen Rohstoffe zu verkaufen, um die Lager der Hilfsschiffe aufzufüllen, aber niemand in der Allianz-Flotte war bereit, jetzt schon einem solchen Handel zu vertrauen.

Als sie das letzte Syndik-Sternensystem durchquerten, um zum Sprung nach Varandal und damit zurück ins Allianz-Gebiet anzusetzen, hielt Geary eine weitere Besprechung mit seinen engsten Vertrauten ab. Er hatte das Gefühl, dass es das letzte Treffen dieser Art sein würde. Desjani wirkte nachdenklich, aber da sie in der letzten Zeit immer wieder einen anderen Grund gefunden hatte, um nicht mit ihm reden zu müssen, kannte er den Anlass für ihre ernste Miene nicht. Duellos hatte sogar jene melancholische Aura abgelegt, die auch sonst hinter seinem Übermut nur schlecht zu erkennen war. Tulev machte den Eindruck, als erwäge er, wieder das Lächeln zu erlernen, auch wenn er sich selbst noch nicht so recht davon hatte überzeugen können. »Fühlt sich so Frieden an?«, fragte er.

»Ich weiß nicht«, gestand Geary ihm. »Bei den vielen Bedrohungen, die nach wie vor existieren, ist das für mich kein Frieden.«

»Aber die Syndikatwelten werden nur noch ein Schatten ihrer Selbst sein.«

»Die Allianz kann aber mit dem gleichen Druck wie zuvor konfrontiert werden. Rione erwartet, dass viele Sternensysteme und Gruppen von Systemen so wie die Rift-Föderation und die Callas-Republik nach mehr Autonomie und weniger Verpflichtungen gegenüber der Allianz streben werden.«

»Weniger Verpflichtungen«, wiederholte Desjani verächtlich. »Das heißt doch nichts anderes als ›weniger Geld‹. Jetzt, da sie sich sicher fühlen, wollen sie zwar, dass die Allianz sie weiterhin schützt, aber im Gegenzug wollen sie nichts für diesen Schutz bezahlen.«

»Darauf läuft es im Prinzip hinaus. Die große Gefahr, die alle bedroht hat, existiert nicht mehr, und es wird nicht leicht sein, einer kriegsmüden Bevölkerung klar zu machen, dass man sich nun mit den Nachfolgestaaten der Syndikatwelten ebenso befassen muss wie mit den unbekannten Dimensionen der Gefahr, die von den Aliens ausgeht.«

»Der Preis für den Sieg war sehr hoch«, erklärte Duellos. »Für die Allianz fast zu hoch. Aber der Preis für die Niederlage ist für die Syndiks noch viel höher.«

Sie gratulierten sich zum Sieg und zu ihrem Überleben, dann zogen sich die virtuellen Bilder von Duellos und Tulev zurück.

Desjani dagegen blieb am Tisch sitzen. Sie hielt die Hände verschränkt und den Kopf leicht gebeugt.

Eine Zeit lang wartete Geary, aber als deutlich wurde, dass sie von sich aus nichts sagen würde, fragte er: »Was ist los?«

»Ich weiß nicht«, kam ihre gedämpfte Antwort.

»Ist es irgendetwas, worüber Sie reden können?«

»Es ist die eine Sache, über die ich nicht reden kann.«

»Oh.« Er ließ ein paar Sekunden verstreichen. »Können wir über Sie reden?«

»Über mich? Nein, Admiral. Das halte ich für keine gute Idee.«

Diese Luke war mit Schwung zugeschlagen worden. Unwillkürlich verspürte Geary eine gewisse Verärgerung. Sie schien reden zu wollen, und trotzdem tat sie es nicht. »Dann versuchen wir es eben anders. Der Admiral macht sich Sorgen, da einer seiner besten Befehlshaber wegen einer persönlichen Angelegenheit sehr aufgewühlt ist. Gibt es irgendetwas Angemessenes, das dieser Offizier ihm mitteilen kann, ohne seine Ehre zu kompromittieren?«

»Vielleicht ja.« Desjani schaute zur Seite und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich habe so viele Jahre damit zugebracht, ich selbst zu werden. Die Vorstellung, dass man mich anschaut und dabei nicht mich, sondern jemand anders sieht, kann ich nur sehr schwer akzeptieren.«

»Davon sprachen Sie bereits. Ich wünschte, ich wüsste darauf eine Antwort.«

»Ich kann darauf keine Antwort erwarten, erst recht keine offene Diskussion. Im Moment geht es mir nur darum, dass ich wissen muss, ob Sie wirklich verstehen können, wie ich mich fühle.«

»Sehr gut sogar«, erwiderte Geary. Während er weiterredete, musterte sie ihn skeptisch. »Als ich das erste Mal auf der Dauntless erwachte, da standen Sie alle da und redeten über diesen Black Jack, diesen Helden und alle diese Legenden, die ihm zugeschrieben werden. Und dabei sahen Sie alle mich an. Ich weiß seitdem, wie sich das anfühlt.«

Ihr finsterer Ausdruck wich sichtlicher Verlegenheit. »Da sagen Sie genau das Richtige. Ich habe einige Zeit benötigt, bis ich Sie anschauen konnte und Sie selbst sah, nicht mehr Black Jack.«

»Aber Sie haben selbst gesagt, dass das Universum in mir immer Black Jack sehen wird.«

»Wird es dadurch richtiger?«, fragte sich Desjani. »Zwei falsche Vorstellungen von zwei Menschen. Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Und ich weiß auch nicht, ob Sie mich wirklich sehen. Wen sehen Sie? Was glauben Sie, wer ich bin? Sagen Sie nichts, wir können darüber noch nicht reden.«

»Ich glaube, ich sehe Ihr wahres Ich«, antwortete Geary vorsichtig.

»Sie sind auf der Dauntless, seit Sie aufgewacht sind. Sie waren fast die ganze Zeit über in diesem Schiff eingeschlossen, während wir beide großen Belastungen ausgesetzt waren, weil es von Ihnen verlangt wurde, sich in meiner Gegenwart aufzuhalten.«

»Und?«

»Denken Sie mal darüber nach.« Mit diesen Worten stand sie auf und verließ den Konferenzraum.

Geary saß eine Weile da, dann rief er seine Nichte auf der Dreadnaught. Sie unterhielten sich eine Zeit lang, und schließlich gestand Jane Geary ihm, dass sie nicht entscheiden konnte, was sie sich von der Zukunft erwartete. »Seit mir klar war, was es bedeutet, eine Geary zu sein, habe ich die Flotte immer als unentrinnbares Schicksal angesehen. Aber die Flotte ist auch alles, was ich mein ganzes Erwachsenenleben lang gekannt habe. Die Flotte ist etwas, womit ich mich auskenne. Ich weiß, die Überlebenden von der Repulse, die wir auf dem Rückflug aus dem Heimatsystem der Syndiks mitgenommen haben, glauben nicht, dass Michael es geschafft hat, das Schiff zu verlassen. Aber es gab auch niemanden, der mit Sicherheit sagen konnte, dass er tot ist. Vielleicht lebt er ja noch, und wenn ich bei der Flotte bleibe, kann ich bei der Suche nach ihm mithelfen.«

»Die Entscheidung liegt ganz bei dir«, sagte Geary. Als sie erkannte, dass er damit recht hatte, sah er sie zum ersten Mal lächeln.

Am nächsten Morgen sprangen sie nach Varandal, und Geary verspürte eine wachsende Rastlosigkeit, da die letzten Tage immer langsamer zu vergehen schienen. Er wollte sicherstellen, dass entscheidende Funktionen fortgeführt werden konnten, ohne dass er persönlich in Varandal anwesend sein musste. Aber er konnte nicht unendlich viele Pläne ausarbeiten, damit die Reparaturen von Gefechtsschäden und die Wartungsaufgaben erledigt wurden und die Besatzungen gleichzeitig genug Zeit bekamen, um sich auszuruhen und zu erholen.

Drei Tage nach dem Sprung stattete Rione ihm einen ihrer selten gewordenen Besuche in seinem Quartier ab. »Ob Sie es glauben oder nicht, aber mein Gewissen belastet mich. Muss ich Sie vor dem warnen, was geschehen wird, wenn wir zurückgekehrt sind?«

»Ich glaube nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn es um die Versprechen geht, die der Große Rat mir gegeben hat.«

Rione lächelte ihn schief an. »Der Große Rat wird sich ganz exakt an seine Versprechen halten. Mehr als das sollten Sie nicht erwarten.«

»Ja, so was habe ich auch schon von anderer Seite gehört. Aber ich werde eine Weile freinehmen, um einige persönliche Dinge zu regeln.«

»Freinehmen?«, wiederholte sie skeptisch. »Meinen Sie, das wird man Ihnen erlauben?«

»Als Befehlshaber der Flotte werde ich mir das selbst erlauben«, entgegnete er.

»Wie praktisch. Und? Wollen Sie lange freinehmen?«

»Nein. Dreißig Tage.«

Sie machte eine beeindruckte Miene. »Wenn es Ihnen gelingt, sich so lange von der Allianz-Bürokratie fernzuhalten, dann wird das eine beachtliche Leistung sein. Sie müssen während Ihres Kälteschlafs eine stattliche Anzahl an Urlaubstagen angesammelt haben, aber ich nehme an, der Sold für diese hundert Jahre ist für Sie der größere Trost.«

»Urlaubstage? Sold?« Geary schüttelte den Kopf. »Da hat sich gar nichts angesammelt.« Er sah Riones verständnislosen Blick und erklärte: »Irgendwann während der Zeit, als ich im Kälteschlaf lag, wurden die Vorschriften über den Sold und die Urlaubstage ›angepasst‹, nachdem ein paar Leute nach mehreren Jahren aus dem Kälteschlaf geholt worden waren. Die Personalbürokratie legte fest, dass im Kälteschlaf verbrachte Zeit nicht als Pflichtzeit im Dienst angesehen wird und daher auch kein Anspruch auf Sold und bezahlten Urlaub besteht.«

»Verstehe.« Rione reagierte mit einem ungläubigen Kopfschütteln. »Die Bürokratie hat also einen Weg gefunden, wie sie es vermeiden kann, Sold zu zahlen und Dienstzeiten anzuerkennen. Und wie haben sie das argumentiert?«

»Indem sie sagen, dass man sich nicht in einem ›dienstbereiten Status‹ befindet, weil man nicht zum Dienst erscheinen kann, wenn man benötigt wird.« Geary zuckte mit den Schultern. »Zum Glück ist das Thema Dienstalter nie angesprochen worden, deshalb zählen meine Jahre im Kälteschlaf als Dienstjahre. Ansonsten wäre ich vermutlich der jüngste Captain der Flotte gewesen.«

»Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was aus uns geworden wäre, wenn das gezählt hätte«, meinte Rione seufzend. »Sogar ein Skeptiker müsste zugeben, dass einige für die Allianz sehr kritische Dinge in Ihrem Fall genau richtig verlaufen sind, Admiral Geary.«

Er lachte kurz. »Zu schade, dass sich die lebenden Sterne nicht um meine Bankkonten gekümmert haben. Die wurden nämlich aufgelöst, als man mich für tot erklärte, also kann ich mich nicht mal auf Zinsen aus einhundert Jahren freuen. Ich besitze nur, was ich seit meinem Aufwachen verdient habe. Der Sold als Admiral ist ein ganz angenehmer Bonus, aber ich gehe nicht vermögend aus dieser Sache hervor. Allerdings habe ich noch Resturlaub aus meiner Zeit vor dem Kälteschlaf, und den hat man mir nicht streichen können.«

»Na ja, wenigstens wissen Sie so, dass sie es nicht auf Ihr Geld abgesehen hat.«

Geary warf Rione einen verärgerten Blick zu. »Ich habe weder ihr noch sonst jemandem so etwas unterstellt.«

Rione verzog das Gesicht, als hätte er ihr einen Stich versetzt. »Das hat sehr wehgetan.« Geary reagierte nicht auf ihren Humor, woraufhin sie ihn fragend ansah. »Was ist los? Ist jetzt nicht alles bestens? In ein paar Tagen können Sie mit ihr über alles reden. Ob Sie’s mir glauben oder nicht, aber ich weiß, wie schwierig es gewesen sein muss, immer darauf zu achten, dass man nichts sagt oder tut, was einen von beiden in eine missliche Lage gebracht hätte.«

»Danke.« Er wusste, er schaute missmutig drein, während er sich den Nacken rieb. »Es ist nur… ich weiß nicht.«

»Kalte Füße?«, fragte sie leise.

»Nein, nicht von meiner Seite.«

»Oh.«

Er hob den Kopf und stellte fest, dass sie mit nichtssagender Miene in eine Ecke des Raums blickte. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, Admiral, dass Sie damit allein klarkommen müssen.«

»Ich wollte nicht…«

»Ich bin nicht diejenige, mit der Sie über Ihre persönlichen Beziehungsprobleme reden werden. Sie ist diejenige, und Sie müssen schon mit ihr reden.«

»Das kann ich nicht. Frühestens in einer Woche, und ich kann nur hoffen, dass ich dann die richtigen Worte finde.«

Wieder schüttelte sie den Kopf. Bevor sie aber das Quartier verließ, sagte sie noch zu ihm: »Verlassen Sie sich auf Ihre Instinkte, Admiral.«

Nachdem sie gegangen war, saß Geary eine Weile da und grübelte über seine Situation nach. Schließlich verließ er ebenfalls sein Quartier und streifte durch die Korridore der Dauntless. Überall wimmelte es zu dieser späten Stunde von Besatzungsmitgliedern, die sich darüber unterhielten, dass der Krieg vorüber war und sie nach Hause zurückkehren würden. Diesmal bedachten sie ihn nicht mit hoffnungsvollen, sondern mit dankbaren Blicken, was Geary leichter ertragen konnte, auch wenn er sich bei jedem von ihnen die Mühe machte zu betonen, dass sie diejenigen waren, die all diese Schlachten gewonnen hatten, die schließlich zum Sieg geführt hatten. Er selbst konnte für sich nur das Glück reklamieren, sie in diesen Schlachten geführt zu haben.

Geary begab sich bis zu den Gebetskammern, wo regelrechtes Gedränge herrschte, da hier diejenigen zusammenkamen, die lieber den höheren Mächten dankten als ihrem Admiral. Nach kurzem Warten fand er einen freien Raum. Dort saß er eine Weile in der Stille und Einsamkeit, ehe er die Kerze entzündete und zu seinem vor langer Zeit gestorbenen Bruder sprach. »Manchmal frage ich mich, ob das alles eigentlich wirklich real ist. Ob ich wirklich vom befehlshabenden Offizier eines einzelnen Schweren Kreuzers zum Befehlshaber über eine Flotte aufgestiegen bin, die größer ist als alles, was die Allianz zu meiner Zeit hätte aufbieten können. Wer hätte gedacht, dass ich versuchen würde, eine Flotte nach Hause zu bringen, die weit hinter den feindlichen Linien in der Falle saß? Und dass man von mir erwarten würde, dass ich die Allianz rette? Ich weiß, deine Enkelin Jane sagt, du hättest ihr immer erzählt, ich sei alles, was die Legenden über mich behaupteten. Aber du und ich, wir wissen es besser. Ich bin nur ich. Ich weiß nicht, wie ich das alles geschafft habe, aber ich weiß, mir wurde sehr viel geholfen.«

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Richte deinem Enkel Michael von mir aus, dass es mir leidtut. Er war ein guter Offizier, und er war der wahre Held. Wir bringen einen Teil der Repulse-Crew nach Hause. Die Leute wurden noch immer im Heimatsystem der Syndiks festgehalten. Sie können nicht bestätigen, dass Michael tot ist, aber keiner von ihnen hat beobachten können, wie er lebend das Schiff verlassen hat. Ich werde es immer bedauern, dass ich ihn nicht retten konnte.

Deine Enkelin Jane ist eine gute Frau. Ich werde versuchen, auf sie aufzupassen. Aber sie ist eine Geary. Starrköpfig und entschlossen. Ich weiß nicht, ob sie in der Flotte bleiben oder vielleicht doch noch Architektin werden wird. Jetzt kann sie wählen. So wie Michaels Kind. Ich danke den lebenden Sternen dafür, dass ich wenigstens das erreicht habe.«

»Admiral, die letzten Einheiten der Flotte sind in ihren vorgegebenen Orbit im Varandal-Sternensystem eingeschwenkt.«

»Danke.« Das Komm-Feld in seinem Quartier wurde wieder dunkel, und Gearys Blick wanderte zurück zu dem Display, das über seinem Tisch schwebte. Die Dauntless und etliche andere Kriegsschiffe befanden sich seit mehr als einem Tag auf ihren Positionen in der Nähe der Ambaru-Station. Shuttles hatten bereits etliche Dauntless-Besatzungsmitglieder auf die Station gebracht, manche, weil sie offizielle Angelegenheiten zu erledigen hatten, andere, weil sie ihren immer wieder verschobenen Landurlaub nehmen wollten. Andere Kriegsschiffe hatten länger benötigt, um den ihnen zugewiesenen Orbit zu erreichen, einige von ihnen in der Nähe anderer Orbitalstationen. Die Flotte war so groß, dass man nicht bloß ein oder zwei Einrichtungen im System mit den Massen an Personal überfordern wollte, die sich an Bord so vieler Kriegsschiffe befanden.

Das war es dann. Die Befehle und Pläne, die er für die Flotte nach ihrer Rückkehr ausgearbeitet hatte, waren verschickt worden und wurden zum Teil bereits umgesetzt. Er hatte nun jeden zufriedengestellt: Er hatte seine Versprechen eingelöst und seine Pflicht erfüllt, und für den Augenblick war sogar die Gefahr eines Militärputsches gebannt. Badaya und seine Anhänger waren mit dem formalen Kriegsende mehr als zufrieden, da sie davon überzeugt waren, dass jede wichtige Entscheidung in Wahrheit hinter den Kulissen von Geary getroffen worden war.

Geary hob die Hand und nahm das Abzeichen ab, das ihn als Admiral der Flotte auswies. Er tat es mit einem gewissen Bedauern, da Tanya diejenige gewesen war, die es ihm angesteckt hatte. Dann stellte er sich vor den Spiegel und steckte das Captainsabzeichen fest.

Er ließ den Blick durch sein Quartier auf der Dauntless schweifen, sah die Sternenlandschaft an einem Schott, die Stühle, den Tisch, an dem er unzählige Simulationen und Schlachtpläne entwickelt hatte. Bis auf die wenigen Wochen vor Admiral Blochs Tod war dies Gearys Zuhause gewesen, sein einziges Zuhause.

Für eine Weile würde er es verlassen. Ganz sicher schuldete die Allianz ihm ein paar Wochen Ruhe und Erholung, und in so kurzer Zeit konnte nicht so viel schiefgehen. Er überlegte, wohin er sich in dieser Zeit begeben und was er unternehmen sollte. Überall würden die Menschen nur darauf warten, ihn zu bestürmen, während er sich eine Zeit lang irgendwo zurückziehen und verstecken wollte, um zur Abwechslung einmal keine Entscheidungen treffen zu müssen, von denen das Schicksal einer Flotte oder sogar der gesamten Allianz abhing.

Er hoffte, diese Zeit nicht allein zu verbringen, immerhin gab es da jemanden, dem er jetzt endlich seine wahren Gefühle offenbaren konnte – auch wenn Tanya Desjani ihn in den letzten Tagen beharrlich gemieden hatte. Vielleicht war es ihr genauso ergangen wie ihm, und sie hatte befürchtet, ihr könnten im letzten Moment doch noch die Worte rausrutschen, unmittelbar bevor sie beide sie aussprechen konnten, ohne damit ihrer Ehre zu schaden.

Obwohl er das Schiff verließ, war er davon überzeugt, schon bald auf die Dauntless zurückzukehren. Die Allianz würde zweifellos Black Jack bald wieder zu sich bestellen, weil das Universum noch nicht ganz aufgeräumt war. Inwieweit die Allianz sich in das Chaos einmischen würde, das nach dem Zerfall der Syndikatwelten in ihrer bisherigen Form unweigerlich kommen musste, war zwar noch ungewiss, aber für Geary gab es keinen Zweifel daran, dass die Flotte dabei wieder zum Einsatz kommen würde. Zumindest gab es Heerscharen von Kriegsgefangenen, die in den diversen Arbeitslagern erst einmal gefunden werden mussten, damit sie heimkehren konnten.

Und dann waren da ja immer noch die Aliens, über die man nach wie vor viel zu wenig wusste und die auf der entlegenen Seite der Syndikatwelten eine hartnäckige Bedrohung darstellten. Ganz sicher beobachteten sie in diesem Moment weiter die Menschheit und suchten nach neuen Wegen, wie sie die Menschen als Nächstes gegeneinander aufbringen konnten. Und vielleicht planten sie bereits neue Offensiven, auch wenn niemand zu sagen vermochte, welche Gefühle die ihnen zugefügten Verluste in ihren Reihen auslösen mochten. Und was sich jenseits der Heimat der Aliens befand, war ein noch größeres Rätsel. Aber wo es eine nichtmenschliche intelligente Rasse gab, konnten auch noch viele weitere existieren.

Nein, die Geschichte hatte kein rundum glückliches Ende genommen. Aber er hatte die Flotte gerettet und den Krieg beendet – und das war mehr als er je für möglich gehalten hätte.

Geary warf einen letzten Blick auf die eingegangenen Nachrichten und ignorierte geflissentlich die lange Liste an Übermittlungen vom Flottenhauptquartier. Die konnten noch warten. Ganz bestimmt fand sich mindestens eine Nachricht darunter, mit der ihm mitgeteilt wurde, dass er mit sofortiger Wirkung wieder zum Admiral befördert worden war, und mindestens eine andere Mitteilung enthielt neue Befehle für ihn. Aber der Große Rat und das Flottenhauptquartier hatten sich selbst ein Bein gestellt, indem sie alle ihre Nachrichten mit Standardpriorität und unverfänglichen Betreffzeilen geschickt hatten. Die Absicht dahinter war natürlich, ihn nicht erahnen zu lassen, welchen Inhalt eine bestimmte Nachricht hatte, damit er sie ganz arglos öffnete. Aber da keine von ihnen den Anschein erweckte, besonders dringend zu sein, konnte man ihm keinen Vorwurf daraus machen, dass er sie nicht sofort gelesen hatte. Ich bin vielleicht nur ein Flottenoffizier, aber ich bin kein dummer Flottenoffizier, vor allem nicht mehr, nachdem ich lange genug Rione bei der Arbeit habe zusehen können.

Dann schrieb er eine knappe Nachricht an seine Vorgesetzten.

Entsprechend der getroffenen Vereinbarung gebe ich hiermit den mir vorübergehend verliehenen Dienstgrad zurück und nehme wieder meinen vormaligen Dienstgrad als Captain an. Damit trete ich ebenfalls das Kommando über die Flotte ab. Als eine meiner letzten Amtshandlungen als Flottenadmiral habe ich mir dreißig Tage Landurlaub gewährt, der mit sofortiger Wirkung beginnt. Hiermit übertrage ich das Kommando über die Flotte vorübergehend an Admiral Timbale unter der Voraussetzung, dass das Flottenhauptquartier und der Große Rat keine anderslautende Entscheidung fällen.

Hochachtungsvoll

John Geary

Captain der Allianz-Flotte

Nachdem er dann noch den Befehl gegeben hatte, dass diese Mitteilung erst in zehn Stunden übertragen werden sollte, ging er zur Luke, um sich auf die Suche nach Desjani zu machen.

Doch als sich die Luke öffnete, stand Victoria Rione im Gang davor und sah ihn erstaunt an. »Wollten Sie gerade gehen?«

»Ja, das wollte ich. Wenn Sie nichts dagegen einzuwenden ha…«

»Hat man Sie nicht wieder zum Admiral befördert?«

»Vermutlich ja, aber diese Beförderung wird eine von vielen ungelesenen Nachrichten im Eingangskorb sein, genauso wie die Aufforderung, mich irgendwo zu melden, um irgendwas zu befehligen. Aber alle diese Nachrichten werde ich erst in dreißig Tagen lesen. Mir ist nichts anderes bekannt, als dass ich ein Captain bin und ich keine Verpflichtungen zu erfüllen habe, die mich von meinem Landurlaub abhalten könnten.« Dann sah er Rione mit einer Mischung aus Bedauern und Verärgerung an. »Ich muss jetzt los.«

»Aber da ist noch etwas, worüber wir beide reden müssen, Captain Geary.« Sie ging an ihm vorbei in sein Quartier, woraufhin er ihr folgte und sich Mühe gab, nicht auf Rione wütend zu sein. »Habe ich Ihnen gesagt, wie dankbar ich bin, Captain Geary?«, fuhr sie fort. »Für alles, was Sie für die Allianz getan haben? Für alles, was Sie hätten tun können, wenn Sie nur gewollt hätten? Ich bin Ihnen als Senatorin, als Co-Präsidentin der Callas-Republik und als Mensch etwas schuldig.«

»Das ist schon in Ordnung.« Er winkte beiläufig ab. »Ich habe nur meine Pflicht getan.«

»Sie haben mehr als nur Ihre Pflicht getan, Captain Geary. Und das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Denn trotz aller persönlichen Vorbehalte, die ich im Hinblick auf eine bestimmte, uns beiden bekannte Befehlshaberin Ihrer Flotte hege, sollten Sie dennoch wissen, dass sich in Ihrer Mailbox eine Nachricht befindet, die Sie lesen sollten, bevor Sie durch dieses Schiff spazieren, um nach jemandem zu suchen.«

Was hatte Rione jetzt schon wieder vor? »Wieso?«

»Vertrauen Sie mir, rufen Sie ihre Mailbox auf.«

Da ihre Worte ihn nicht nur noch ärgerlicher, sondern auch neugierig machten, öffnete er erneut die Mailbox. »Und welche von diesen Nachrichten ist so wichtig?«

»Keine von denen da. Ich meine die, die so markiert ist, dass sie erst verspätet zugestellt wird. Sie ist in diesem Ordner, Sie können sie nur noch nicht sehen, sondern erst in ungefähr einer Stunde. Es sei denn, Sie geben diesen Widerrufcode ein.« Riones Finger tanzten über die Tasten, und einen Moment später tauchte eine weitere Nachricht auf. »Na, sieh mal einer an.«

Irritiert sah er sich die Nachricht an. Vertraulich. Persönlich. Sie war von der Dauntless geschickt worden. Er öffnete sie und las:

Lieber Flottenadmiral Geary,

ich hoffe, Sie werden mir verzeihen, dass ich mich auf diesem Weg an Sie wende, aber es scheint mir der beste Weg, um Ihnen eine unangenehme oder peinliche Situation zu ersparen.

Sie haben alle Versprechen erfüllt, die Sie gegeben haben, aber zwischen uns gibt es unausgesprochene Versprechen. Wir wissen beide, was ich damit meine. Ich habe keinen Zweifel an Ihrer Ernsthaftigkeit, aber seit Sie auf der Dauntless aus dem Kälteschlaf erwacht sind, haben Sie Ihre gesamte Zeit auf diesem Schiff eingesperrt zugebracht. Sie waren großem Stress ausgesetzt, Sie waren gezwungen, sich mit gewissen Individuen zu arrangieren, um Ihren Pflichten als Flottenkommandant nachzukommen. Angesichts dieser Umstände war es nur natürlich, dass Sie eine persönliche Bindung entwickeln würden. Aber jetzt, da Sie Zeit und Ihre Freiheit haben, werden Sie möglicherweise die unausgesprochenen Versprechen bereuen, die Sie unter Stress gegeben haben. Das kann und werde ich Ihnen nicht verübeln.

Ich werde Sie nicht an Versprechen binden, die nie ausgesprochen wurden.

Wenn wir uns wieder begegnen, werden Sie die Gelegenheit gehabt haben, das Leben abseits der Enge der Dauntless zu genießen und eine Entscheidung zu treffen, die Sie auch wirklich treffen wollen. Vor Ihnen liegen noch viele Herausforderungen, und auf Sie warten viele Gelegenheiten.

Es war mir eine große Ehre, unter Ihrem Kommando dienen zu dürfen, und ich hoffe, Sie werden beim nächsten Mal wieder die Dauntless zu Ihrem Flaggschiff machen.

Hochachtungsvoll

Tanya Desjani

Captain der Allianz-Flotte

Er starrte die Nachricht eine scheinbare Ewigkeit lang an, dann endlich drehte er sich zu Rione um. »Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«

»Wieso glauben Sie, ich hätte diese Nachricht gelesen?«

»Weil ich Sie kenne! Wovon redet Tanya da?«

Rione machte eine kapitulierende Geste. »Sie spricht das alles mehr oder weniger deutlich an. Sie ist besorgt, dass der große Held Black Jack Geary, der jede Frau kriegen kann, die er haben will… dass er früher oder später tatsächlich eine andere Frau haben will.« Rione lächelte ironisch. »Genau wie ich möchte sie nicht die zweite Wahl eines Mannes sein.«

»Wie kommt sie denn auf diese Idee?« Dann ging ihm eine andere Frage durch den Kopf. »Warum hat sie dafür gesorgt, dass ich die Nachricht erst in einer Stunde erhalten soll?«

»Woher soll ich das wissen?«, gab Rione mit gespielter Ahnungslosigkeit zurück. »Haben Sie Ihre Nachricht, mit der Sie dem Hauptquartier mitteilen, dass Sie Urlaub nehmen, sofort zukommen lassen?«

»Natürlich nicht. Ich wollte erst weit genug weg sein, bevor…« Er verstummte, da ihm eine Zeile aus Desjanis Nachricht ins Auge sprang: Wenn wir uns wieder begegnen… »Desjani ist weg? Wohin ist Sie?«

»Muss ich Ihnen eigentlich alles erklären?«

Er hörte auf, krampfhaft zu überlegen, und dann kam ihm die Antwort sofort in den Sinn. »Kosatka. Sie reist nach Hause, um dort Urlaub zu machen.« Er atmete tief durch, um zur Ruhe zu kommen. »Warum hat sie nicht erst mit mir geredet? Wir wären jetzt endlich in der Lage gewesen, offen zu reden.«

»Sie haben die Nachricht gelesen. Sie glaubt, dass Sie noch nicht bereit sind, um zu reden.«

»Wie kann sie eine solche Entscheidung allein treffen?« Geary merkte, dass er allmählich wütend wurde. »Ich kann es nicht fassen, dass sie wegläuft, anstatt…«

Riones aufgebrachtes Schnauben war heftig genug, um ihn verstummen zu lassen. »Haben Sie vor, ihr zu sagen, dass Sie glauben, sie ist ›weggelaufen‹?«

Wieder atmete er tief durch. »Nein.«

»Gut, dann sind Sie ja doch kein hoffnungsloser Fall. Aber Sie machen sich keine Gedanken darüber, was in ihr vorgeht. Pflicht und Ehre verlangen von ihr, sich nicht dem in den Weg zu stellen, was Sie in Zukunft für die Allianz tun müssen. Selbst ich muss ihr Respekt zollen, dass sie darüber besorgt ist. Ihre eigenen Zweifel stellen sie vor die Frage, wie echt Ihre Gefühle für sie sind. Gefühle, über die Sie bislang nicht mit ihr reden konnten. Und sie fragt sich, wie lange diese Gefühle anhalten werden. Fühlen Sie sich nur zu ihr hingezogen, weil Sie in dieser Flotte so isoliert sind? Ist eine Frau mit ihrem Dienstgrad eine würdige Partnerin für einen Flottenadmiral? Sie wird sich wahrscheinlich sogar fragen, ob Sie jetzt zu mir zurückkehren werden – als ob ich Sie wiederhaben wollte.«

Geary schüttelte den Kopf, da er versuchte, irgendeine Lücke in Riones Argumenten zu finden. »Aber…«

»Und dem«, redete Rione weiter und wechselte dabei zu einem energischeren Tonfall, »hat Ihre Tanya Desjani nur ihre eigene Liebe entgegenzusetzen, die sie auch noch nie offen hat aussprechen können und die ihr mit Sicherheit ein schlechtes Gewissen bereitet, wenn sie es wagt, darüber nachzudenken. Liebe muss zum Ausdruck gebracht werden, Captain Geary, sonst bringt das Schweigen Zweifel am anderen und Zweifel an sich selbst.«

Wieder atmete er tief durch, dann nickte er. »Sie haben etwas vergessen. Sie hat Angst, nur noch als meine Partnerin wahrgenommen zu werden, als Black Jacks Gefährtin, aber nicht als Frau, die etwas Eigenes geleistet hat.«

»Ah, ja. Das ist eine große Sache. Also, was werden Sie tun, Black Jack?«

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Was soll ich denn tun?«

Seufzend gab sie zurück: »Was würde Ihr Captain Ihnen raten, wenn Sie vor einer sehr schwierigen Entscheidung stehen?«

»Dass ich auf meine Instinkte hören soll.«

»Und was habe ich Ihnen vor ein paar Tagen geraten, was Sie mit Blick auf Ihren Captain machen sollen?«

Er dachte kurz nach. »Dass ich auf meine Instinkte hören soll.«

»Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass Sie auf einen von uns hören. Was sagen Ihnen Ihre Instinkte?«

»Dass ich nach ihr suchen sollte, um ihr zu sagen, was ich für sie empfinde. Um ihr zu versichern, dass sie meiner Pflicht nicht im Weg stehen wird. Dass ihre Ehre mir die Kraft gibt, das zu tun, was ich tun muss. Dass ich immer zu ihr stehen werde und dass ich mich niemals für eine andere Frau interessieren werde.«

»Nicht schlecht.« Sie deutete auf die Luke. »Worauf warten Sie dann noch?«

»Ich verstehe immer noch nicht, wieso sie nicht gewartet hat, bis wir reden konnten. Es ist das erste Mal, dass wir die Gelegenheit haben. Warum trifft sie sich dann nicht mit mir, solange wir uns auf dem gleichen Schiff befinden?«

Diesmal verdrehte Rione frustriert die Augen. »Sie meinen, warum sie nicht in Ihr Quartier gekommen ist? Auf ihrem eigenen Schiff, auf dem Sie monatelang mehr oder weniger eingesperrt waren? Sollte sie Sie zu fassen bekommen, ehe Sie ihr entwischen?«

»Das ist nicht… Sie hat etwas in dieser Art gesagt.«

»Natürlich hat sie das. Sie bietet Ihnen eine Ausflucht, eine Chance, die Dinge neu zu ordnen… Wegzugehen, wenn Sie das wollen, Ihre Ehre und Ihren Stolz zu wahren, ohne Sie dazu zu zwingen, ihr sagen zu müssen, dass sich ›die Dinge geändert haben‹.«

»Aber wie soll ich sie zu fassen bekommen, wenn sie das Schiff bereits verlassen hat?« Eine innere Stimme sagte ihm, dass sie längst von Bord gegangen war.

Rione zog eine Augenbraue hoch. »Sie haben eine Chance, John Geary, wenn Sie sie tatsächlich einholen wollen. Das ist das, was sie wissen will, und Sie haben eine Möglichkeit, es ihr zu beweisen. Stattdessen stehen Sie hier und diskutieren mit mir.«

Geary war schon fast aus seinem Quartier gestürmt, da blieb er stehen und drehte sich zu Rione um. »Danke.«

»Sie danken mir?« Rione zuckte mit den Schultern. »Wenn mein Mann noch lebt, dann werden das Kriegsende und der Austausch der Kriegsgefangenen ihn zu mir zurückbringen. Und da glauben Sie, Sie müssen sich bei mir bedanken?«

»Ja. Wir sehen uns, Madam Co-Präsidentin.«

»Ja, das werden wir, Captain Geary. Es gibt noch viel zu tun.« Sie deutete auf die Luke. »Ihr Ziel entwischt Ihnen.«

Er eilte durch den Korridor, dann blieb er an der erstbesten Komm-Einheit stehen und rief die Brücke. »Wo ist Captain Desjani?«

Der Wachhabende auf der Brücke sah ihn nervös an. »Ähm… Sir… Captain Desjani ist derzeit nicht zu sprechen. Sie hat darum gebeten, nicht gestör…«

»Befindet sie sich noch auf dem Schiff?«, unterbrach er den Mann.

Der zögerte, dann fasste er erkennbar einen Entschluss. »Nein, Sir. Sie hat das Schiff verlassen, um Landurlaub zu nehmen. Sie hat sich mit einem Shuttle zum Haupt-Passagierterminal bringen lassen.« Der Wachhabende klang fast erleichtert.

»Sie haben über Bord-Komm nicht mitgeteilt, dass der Captain das Schiff verlässt?«

»Sir, Captain Desjani hat uns befohlen…«

»Ja, schon gut. Ich brauche ein Shuttle der Dauntless, das mich zum Haupt-Passagierterminal auf der Ambaru-Station bringt, und zwar sofort.«

Der Wachhabende auf der Brücke machte einen entsetzten Eindruck. »Sir, alle Shuttles der Dauntless werden zurzeit gewartet und können nicht benutzt werden. Es ist sehr ungewöhnlich, alle Shuttles gleichzeitig stillzulegen, aber Captain Desjani hat genau diesen Befehl gegeben. Das Shuttle, das sie genommen hatte, wurde gleich nach der Rückkehr einem Wartungsteam übergeben.«

Noch mehr Steine konnte sie mir wohl nicht in den Weg legen, dachte Geary kopfschüttelnd und versuchte zu überlegen, wie er jetzt am besten vorgehen sollte. Ein Shuttle von einem anderen Schiff zur Dauntless kommen zu lassen, nahm Zeit in Anspruch, vermutlich zu viel, und womöglich wurde man dann im Hauptquartier darauf aufmerksam, dass er zu entwischen versuchte. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Geary war im Begriff, den Befehl zu geben, da meldete sich der Wachhabende auf der Brücke wieder zu Wort und klang sehr verdutzt.

»Sir, ein Shuttle von der Inspire meldet soeben, dass es im Landeanflug auf unseren Hangar ist. Der Pilot sagt, er habe den Befehl, einen Passagiertransport der höchsten Priorität durchzuführen. Betrifft das Sie, Sir?«

Vielen Dank, Captain Duellos. Ich weiß zwar nicht, wie Sie das angestellt haben, aber Sie haben was bei mir gut. »Ja, das betrifft mich. Dieses Shuttle muss startklar sein, wenn ich den Hangar erreiche.«

Letztlich musste er doch noch ein paar Minuten warten, ehe das Shuttle der Inspire die Dauntless verließ. »Irgendein bestimmtes Dock im Passagierterminalbereich, Sir?«, wollte der Shuttlepilot wissen.

»Ich benötige ein Dock, das möglichst nahe an einem Passagierschiff liegt, das in Kürze nach Kosatka starten wird.«

»Ziviler Passagierverkehr?«, fragte der Pilot zweifelnd. »Ich kann zwar schnell herausfinden, welches Dock das ist, Sir, aber ich soll nur militärische Docks anfliegen. Das heißt, ich müsste trotzdem ziemlich weit entfernt andocken.«

»Gibt es denn gar keine Möglichkeit, ein ziviles Dock zu benutzen?«

»Nein, Sir. Na ja, es gibt nur eine Ausnahme. Wenn es beim Anflug einen Notfall an Bord gibt, der mich zwingt, das nächstgelegene Dock zu erreichen.«

»Ein Notfall?«, gab Geary zurück und bemühte sich, möglichst desinteressiert zu klingen.

»Ja, Sir, zum Beispiel… ähm… die Alarmmeldung, dass der Druck in der Kabine abfällt.«

»Verstehe. Was würden Sie sagen, wie die Chancen stehen, dass ein solcher Alarm in dem Moment losgeht, wenn wir uns in der Nähe des Docks befinden, zu dem ich muss?«

Er konnte förmlich hören, wie der Pilot bei der Antwort grinste. »Für Sie, Sir? Ich kann schon spüren, wie der Alarm sich darauf gefasst macht, gleich loszugehen. Ich nehme an, ich soll das Terminal in der kürzestmöglichen Zeit erreichen, richtig, Sir?«

»Sie haben es erfasst.«

»Ist schon so gut wie erledigt, Sir.«

Gut fünfundzwanzig Minuten später verließ Geary auf wackligen Beinen das Shuttle, dessen Pilot seinen Vogel mit nicht zu bremsendem Enthusiasmus durchs All gejagt hatte. Am Dockausgang ging er an ein paar mürrisch dreinblickenden Zivilisten vorbei, deren Kleidung ihm völlig fremdartig erschien. Einer von ihnen versuchte, ihn aufzuhalten, aber Geary hob eine Hand. »Ich bin in Eile.«

»Sie müssen trotzdem…« Als der Zivilist Gearys Gesicht genauer betrachtete, bekam er mit einem Mal den Mund nicht mehr zu. »Ich… ich…«

»Tut mir leid, ich bin in Eile«, wiederholte Geary und lief an dem Mann vorbei.

In der Menge fanden sich genug Uniformierte, aber die Zivilpersonen wirkten auf ihn völlig fremdartig, was nicht nur damit zu tun hatte, dass er seit Monaten auf der Dauntless nur von Offizieren und Matrosen umgeben gewesen war. Es lag auch daran, dass sich der Stil der Mode so grundlegend verändert hatte, seit er vor hundert Jahren das letzte Mal mit Zivilisten zusammengekommen war. Die Senatoren waren alle förmlich gekleidet gewesen, ihr Kleidungsstil hatte sich in einem Jahrhundert nur wenig weiterentwickelt, weshalb er sich an das erinnert gefühlt hatte, was ihm vertraut gewesen war. Diese Zivilisten dagegen in ihrer legeren Kleidung wirkten einfach nur fremdartig, aber Geary war bewusst, dass dies nur die Spitze des Eisbergs war, ein winziger Teil all jener Veränderungen in der Gesellschaft, an die er sich erst noch würde gewöhnen müssen.

Das musste aber warten, bis er das richtige Dock erreicht hatte. Sofern er es überhaupt rechtzeitig erreichen würde. Immer wieder wurde er durch stehende Gruppen am Vorankommen gehindert, da er sich erst einen Weg durch die Menge bahnen musste, wobei er den Kopf gesenkt hielt, um nicht erkannt zu werden. Während er die neugierigen Blicke ignorierte, die ihn auf allen Seiten begleiteten, lief er weiter in Richtung der Docknummer, die der Pilot ihm genannt hatte. Dann aber drehte sich eine Gruppe Matrosen um, entdeckte ihn und salutierte ihm mit breitem Grinsen, was andere anwesende Militärangehörige stutzen ließ, da sie mit der Geste nichts anzufangen wussten.

Geary blieb nichts anderes übrig als den Salut zu erwidern, dann suchte er nach der Nummer des Docks, vor dem er sich im Augenblick befand. Einer der Matrosen, dessen Emblem ihn als von der Daring kommend auswies, trat aus der Gruppe vor. »Sir? Suchen Sie etwas Bestimmtes?«

»Ja, Dock Eins-vierundzwanzig Bravo«, erwiderte er. »Ich muss da schnellstens hin.«

»Wir bringen Sie hin, Sir. Folgen Sie uns!« Die Matrosen der Daring hakten sich gegenseitig unter, um einen Keil zu bilden, dann rückten sie vor und schnitten eine Schneise in die Menge, um Geary den Weg freizumachen, auch wenn die Umstehenden lautstark protestierten, als sie von den Männern rigoros aus dem Weg geschoben wurden.

Unwillkürlich musste Geary grinsen, als er sah, wie die Männer sich für ihn einsetzten. Während er ihnen folgte, hörte er, wie hinter ihm erschrockene Stimmen seinen Namen aussprachen. Er konnte nur hoffen, dass keine Menschenmenge hinter ihm her war.

Augenblicke später blieben die Matrosen stehen, der Anführer der Gruppe wandte sich ihm zu. »Da wären wir, Sir. Mit freundlicher Empfehlung des Schlachtkreuzer Daring. Werden Sie die Flotte wieder anführen, Sir?«

Geary blieb stehen und erwiderte das Lächeln der Männer. »Wenn das Glück auf meiner Seite ist. Danke.« Nach einem raschen Salut betrat er den Wartebereich vor dem Dock.

Tanya Desjani drehte sich um, als er hereinkam. Sie trug ihre Galauniform und hob sich sogar von dem anderen Militärpersonal ab, das darauf wartete, auf das Passagierschiff gelassen zu werden. Abrupt blieb er stehen und konnte sich einen Moment lang nicht von der Stelle rühren, da er erst einmal die Tatsache begreifen musste, dass er sie noch eingeholt hatte, dass sie vor ihm stand und dass weder Ehre noch Pflichtgefühl sie und ihre Empfindungen trennte. Ihre Miene hellte sich auf, als sie ihn sah, und sie bekam vor Freude große Augen. Zumindest hoffte er, dass Freude der Grund für ihre Reaktion war.

Dann setzte sie rasch eine neutrale Miene auf und nahm die förmliche, professionelle Haltung an, die ihm längst so vertraut war. »Sir?«, fragte Desjani. »Was machen Sie hier?« Sie bemerkte seine Captainsabzeichen, und eine ganze Serie von Gefühlsregungen huschte über ihr Gesicht, die so schnell wechselten, dass er ihnen nicht folgen konnte.

»Ich glaube, die Antwort darauf dürften Sie kennen, Tanya. Und hören Sie auf, ›Sir‹ zu mir zu sagen. Ich befehlige nicht die Flotte, wir sind beide Captains, und Sie sind jetzt nicht mehr meine Untergebene. Wie haben Sie sich das eigentlich vorgestellt, dass ich es doch noch in letzter Sekunde schaffen würde, Sie einzuholen?«

Wieder blitzte in ihren Augen dieser Anflug von Freude auf. »Sie haben schon Schwierigeres geschafft, wenn Sie es wirklich gewollt haben. Freut es Sie, dass Sie es in letzter Sekunde geschafft haben?«

»Ob es mich freut?« Geary seufzte. »Tanya, als ich hier hereinkam und Sie sah, da hätte ich einen Moment lang schwören können, dass es außer Ihnen nichts und niemanden im ganzen Universum gibt. Freut es Sie, mich zu sehen?«

»Ich…« Sie verstummte und fing noch einmal von vorn an: »Wenn Sie meine Nachricht lesen…«

»Die habe ich bereits gelesen.«

»Die haben Sie…? Aber die sollte doch erst…« Nun machte sie einen verärgerten Eindruck. »Na gut. Habe ich mich da nicht klar und deutlich ausgedrückt?«

»Eigentlich nicht, aber ich bin trotzdem dahintergekommen.« Selbst ihm war in diesem Augenblick klar, dass es ein schwerer Fehler wäre, Riones Rolle bei dem Ganzen anzusprechen. »Ich brauche keine Zeit, um erst darüber nachzudenken. Ich weiß, was ich will. Ich hoffe nur, dass Sie das auch immer noch wollen.«

Ihre Verärgerung nahm einen aufgebrachten Unterton an. »Ich gebe Ihnen die Gelegenheit, sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen.«

»Vielen Dank, aber diese Gelegenheit brauche ich nicht.«

Desjani beugte sich vor und sprach im Flüsterton zu ihm, während ihm auffiel, dass die Blicke aller Umstehenden interessiert auf sie gerichtet waren. »Das war weder mir noch Ihnen gegenüber fair. Sie hatten noch keine Zeit, sich mit der heutigen Allianz zu befassen. In ein paar Monaten werden Sie Ihre Meinung geändert haben.«

»Ich werde meine Meinung nicht ändern, weil mein Herz seine Meinung nicht ändern wird«, widersprach er ihr mit einem nachdrücklichen Kopfschütteln. »Tanya, ich hatte ein Leben, bevor Grendel mich auf einen anderen Pfad schickte. Ich kannte damals viele Leute, ich kenne heute wieder viele Leute, auch wenn die meisten davon der Flotte angehören. Aber vor hundert Jahren gab es keine Frau, die so war wie Sie, und heute gibt es die auch noch nicht.«

»Fangen Sie nicht so an, Captain Geary! Ich weiß, wie schmerzhaft es für Sie ist, dass Sie Ihre ganze Vergangenheit verloren haben!«

Einen Moment lang sah er sie an, während ihm bewusst wurde, dass sich eine wachsende Anzahl Matrosen um sie scharte und sich mit dem Rücken zu ihnen im Kreis um sie stellte, um einen Schutzwall zwischen ihnen beiden und den Schaulustigen im Wartebereich zu schaffen. »Es war schmerzhaft, weil ich alles verloren hatte. Aber dann wurde mir schließlich klar, dass ich auch etwas gewonnen hatte. Wäre ich nicht in diese Zeit gekommen, dann hätte ich Sie nie kennengelernt. Vielleicht war das schon immer so vorgesehen, und ich habe nur etwas länger gebraucht, um es zu begreifen.«

Desjani sah ihn verwundert an. »Glauben Sie ernsthaft, dass die lebenden Sterne Sie in diese Zeit geschickt haben, weil ich hier lebe?«

»Warum nicht? Zugegeben, ich habe ein paar Dinge leisten können, wichtige Dinge sogar. Aber das wäre mir ohne die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, nicht möglich gewesen. Und von all diesen Menschen waren und sind Sie mir am wichtigsten. Sie geben mir die Kraft, um das zu tun, was ich tun muss. Ich habe Ihnen das schon einmal gesagt… Na ja, jedenfalls so in etwa… Ich hab’s so deutlich gesagt, wie es mir zu der Zeit möglich war. Ich kann mich ohne Sie nicht dieser Zukunft stellen, Tanya.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Sie übertreiben, was meine Bedeutung für Sie angeht, Captain Geary.«

»Es ist gar nicht möglich, Ihre Bedeutung zu übertreiben«, erwiderte er leise, aber eindringlich. »Sie stehen nicht zwischen mir und meiner Pflicht. Sie stehen an meiner Seite, als ein starkes und bemerkenswertes Individuum. Ich schwöre Ihnen, das wird jeder wissen.«

»Sie sind ein hoffnungsloser Fall. Glauben Sie wirklich, irgendjemand wird zuhören?«

»Dann werde ich es eben so oft sagen, bis mir alle zuhören. Sie wissen, wenn es sein muss, kann ich sehr starrsinnig sein.«

»Das müssen Sie mir nicht sagen.« Fast hätte Desjani gelächelt, dann aber wurde sie gleich wieder ernst. »Aber dafür gab es viele andere Dinge, die Sie mir nicht sagen konnten. Und Dinge, die ich Ihnen nicht sagen konnte.«

»Ich weiß. Aber jetzt können wir es sagen, ohne unsere Ehre anzutasten. Wir können uns die Wahrheit sagen.«

»Und was ist die Wahrheit, Captain Geary?«

»Dass ich Sie liebe. Davon bin ich fest überzeugt.«

»Sie haben in einer schwierigen Zeit Trost gesucht.«

»Wenn ich nur Trost suchen würde, gäbe es einfachere Mittel und Wege.«

»Das ist mir bewusst. Eine Zeit lang haben Sie ja auch Trost gefunden – in den Armen einer anderen Frau.« In Desjanis Augen blitzte Zorn auf, als sie auf Gearys kurze Affäre mit Rione zu sprechen kam.

Daran gab es nichts zu leugnen. »Ja, das stimmt. Das war ein Fehler. Ich habe sie nicht geliebt, sie hat mich nicht geliebt.«

»Und das genügt als Rechtfertigung, dass sie Ihr Bett geteilt hat?«

»Nein, das entschuldigt es nicht. Es tut mir leid, dass das passiert ist. Die einzige Entschuldigung, die ich Ihnen bieten kann, ist die, dass mir da meine Gefühle für Sie noch nicht bewusst waren. Als der Moment kam, habe ich es beendet. Das schwöre ich Ihnen.«

Wieder sah sie ihn aufgebracht an. »Es würde mir leichter fallen, weiterhin wütend auf Sie zu sein, wenn Sie nicht so reumütig und so ehrlich wären. Ich bin auch nicht fehlerlos, aber es hat mir wehgetan.«

»Ich weiß. Ich werde Ihnen nie wieder wehtun.«

»Geben Sie keine Versprechen, von denen niemand – weder Mann noch Frau – hoffen kann, dass er sie auch halten kann.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wer ich bin, und ich habe eine ziemlich gute Vorstellung davon, wer Sie sind. Selbst wenn wir alle anderen Probleme lösen würden, wäre eine Beziehung zwischen uns… Nun, sagen wir, sie wäre fordernd.«

»Ich weiß, es wird von Zeit zu Zeit schwierig werden«, gab Geary zurück. »Das ist es schon gewesen. Sie zu lieben, Ihnen nichts davon sagen zu können, das war für mich sehr schwierig. Vielleicht werden Sie mir das nicht glauben, aber ich suche für gewöhnlich nicht nach Mitteln und Wegen, damit ich mich elend fühle.«

Desjani sah ihn forschend an und kniff gereizt die Lippen zusammen. »Sie fühlen sich elend, weil Sie mich lieben?«

»Ja, weil ich nichts tun oder sagen konnte.« Er machte eine frustrierte Geste. »Ich kriege das nicht richtig ausgedrückt. Ich bin in so was nicht gut. Ich glaube, ich kann ganz gut eine Flotte führen, aber mit Frauen komme ich nicht annähernd so gut klar.«

»Ach, wirklich?«

»Ja, wirklich.« War sie noch immer wütend auf ihn, oder machte sie sich über ihn lustig?

»Haben Sie sich das wirklich gut überlegt?«, wollte sie wissen. »Glauben Sie mir, ich habe das gemacht. Im Moment sind wir beide Captains, aber nur im Moment. Sie wissen, die Allianz wird Sie umgehend wieder zum Admiral befördern. Eine entsprechende Nachricht wartet mit Sicherheit schon in Ihrer Mailbox auf Sie.«

»Wahrscheinlich ja, aber ich habe nicht nachgesehen.«

»Was glauben Sie, wie lange Sie das vor sich herschieben können? Captains können untereinander eine Beziehung eingehen, solange sie nicht zur gleichen Befehlskette gehören. Zwischen Admiral und Captain darf es keine persönlichen Beziehungen geben.« Desjani kniff die Augen zu, ihre Miene verhärtete sich. »Ich werde nicht Ihre heimliche oder auch nicht-ganz-so-heimliche Geliebte sein.«

»Darum würde ich Sie auch niemals bitten. Das habe ich nicht getan, und das werde ich nicht tun.«

»Aber welche Alternative bleibt dann noch?«, wollte sie wissen und schaute ihm ins Gesicht. »Vermutlich sind Sie schon längst wieder Admiral.«

Dem konnte er nicht widersprechen. »Dann heißt das wohl, dass wir uns schnell etwas einfallen lassen müssen, bevor ich meine Nachrichten lese oder jemandem begegne, der es bereits weiß. Es gibt eine Möglichkeit, um zu beweisen, dass ich mit Ihnen und nur mit Ihnen zusammen sein möchte. Eine Möglichkeit, damit es zwischen Admiral und Captain eine persönliche Beziehung geben darf: wenn wir beide verheiratet sind, bevor ich von meiner Beförderung weiß.«

Desjani schien sich bei seinen Worten zu versteifen, dann wiederholte sie langsam: »Verheiratet?«

»Ja. Willst du mich heiraten? Es ist mein Ernst. Ich schwöre dir, mir war in meinem Leben noch nichts so ernst wie das.«

»Du machst mir einen Heiratsantrag? An einem öffentlichen Passagierdock?«

»Ähm… ja. Es tut mir leid, dass ich mir dafür keinen besseren Ort aussuchen konnte.«

Desjani schaute hoch und wirkte auf ihn untypisch nervös, während ihr Mienenspiel ihn abermals nicht erkennen ließ, was in diesem Moment in ihr vorging. »Und wenn ich Nein sage? Wenn ich dir von Captain zu Captain, von Frau zu Mann sage, dass ich das nicht will und dass ich es so nicht will? Was wirst du dann machen?«

Nun war es Geary, der sekundenlang nichts anderes tun konnte als ihr in die Augen zu sehen. Hatte er jede ihrer Gefühlsregungen womöglich falsch gedeutet? »Dann werde ich dich bitten, dass du es dir noch einmal gründlich überlegst. Dann werde ich dich bitten, mir zuzuhören, was ich für dich empfinde. Wenn du aber von deinen Gefühlen nicht abzubringen bist, werde ich das respektieren. Von da an werde ich dich wieder wie der Captain behandeln, der du bist, und das Thema nie wieder zur Sprache bringen.«

»Ich werde gleich mit diesem Schiff abreisen. Uns bleiben nur noch ein paar Minuten. Du würdest mir doch nicht befehlen, hierzubleiben, um dir zuzuhören, oder?«

Er verspürte eine Leere in sich, als wäre soeben tief in seinem Inneren ein winziges Schwarzes Loch entstanden, das alles zu verschlingen drohte, aber er schüttelte den Kopf. Vielleicht würde es ihn das Wichtigste kosten, was er in diesem Universum noch besaß, aber er musste die Wahrheit aussprechen, er musste ihre Frage ehrlich beantworten. Er konnte sie nicht belügen. »Nein, Tanya, wenn du wirklich gehen willst, dann geh. Ich besitze keine Autorität über deine Person und deine Entscheidungen, und die möchte ich auch niemals besitzen wollen. Wenn du nicht glaubst, dass ich dir deine Ehre bereits zurückgegeben habe, dann tue ich das jetzt ohne irgendwelche Vorbehalte oder Bedingungen. Du bist Captain deiner Seele, genauso wie du Captain der Dauntless bist, aber das sind zwei völlig verschiedene Dinge. In dem einen Fall kann ich dir Befehle erteilen, im anderen nicht. Und das weiß ich auch.«

Ein Mundwinkel zuckte leicht, und schließlich begann Desjani zu lächeln. Dann tat sie einen Schritt nach vorn und drückte ihm einen verlangenden Kuss auf den Mund.

Als sie sich wieder von ihm löste, musste sie erst nach Luft schnappen, ehe sie sagen konnte: »Darauf habe ich schon so lange gewartet. Das war übrigens die richtige Antwort.«

Geary fühlte sich von dem Kuss noch ein wenig schwindlig. »Ist das deine Antwort für mich?«

»War die nicht eindeutig genug? Ja. Ja zu allem, was du gesagt hast. Dein Verhalten mir gegenüber, deine Weigerung, meine Gefühle auszunutzen – das hat mir schon vor langer Zeit meine Ehre zurückgegeben. Aber wie sollen wir heiraten, bevor du von deiner erneuten Beförderung erfährst? Selbst wenn wir dieses System verlassen können, ohne dass man dich findet, wird deine Beförderung bestimmt einem schnellen Kurierschiff übergeben, das bereits auf uns wartet, wenn wir Kosatka erreichen. Also müssen wir auf dem Passagierschiff heiraten, so schnell sich das arrangieren lässt.«

»Auf dem Passagierschiff?«

Sein Tonfall musste etwas Zögerliches an sich gehabt haben, dass Desjani sofort argwöhnisch die Augen zusammenkniff. »Ja, auf dem Schiff. Oder bekommst du schon kalte Füße? Jetzt gibt es für dich kein Zurück mehr, dafür habe ich dir vorher jeden Fluchtweg offengehalten.«

Einen Moment lang stellte er sich vor, wie er einer rachsüchtigen Tanya Desjani zu entkommen versuchte. Das würde für ihn sicher ein ereignisreiches, aber sehr kurzes restliches Dasein bedeuten. »Nein… Das heißt ja. Ja, ich halte es für eine großartige Idee, auf dem Schiff zu heiraten. Und irgendwie auch passend.«

»Es ist zwar kein Kriegsschiff«, gab Desjani ein wenig wehmütig zu bedenken, »aber es wird genügen. Dir ist aber doch klar, dass die aktuellen Flottenvorschriften davon abraten, Ehepaare gemeinsam einem Schiff zuzuteilen, oder?«

Genau genommen hatte er völlig vergessen, sich danach zu erkundigen. »Falls ich wieder Admiral bin, werde ich ja nicht zu deiner Crew gehören, wenn ich auf der Dauntless bin.«

»Was für eine Haarspalterei«, schnaubte Desjani. »Aber du hast recht. Wenn wir allerdings wieder zusammenarbeiten sollten, können wir an Bord nicht wie ein Ehepaar auftreten, sondern wir müssen uns wieder so verhalten wie bisher.«

»Heißt das, ich muss mich dann wieder elend fühlen?«

»Wenn du damit noch mal anfängst…«

»Ja, Ma’am.« Geary lächelte sie an. »Das sehe ich auch so. Wir kriegen das schon hin, schließlich hat es bislang ja auch geklappt. Allerdings hatte ich gehofft, wir könnten auf Kosatka heiraten.«

Desjani grinste vergnügt. »Wir können da unsere Flitterwochen verbringen, bis dich deine Einsatzbefehle eingeholt haben. Was bedeutet, dass es sehr kurze Flitterwochen werden dürften. Unser Schiff wird bald aufbrechen. Wo ist eigentlich dein Gepäck?«

»Gepäck?« Erst jetzt fiel ihm auf, dass er außer seiner Uniform nichts mitgenommen hatte, als er die Dauntless verließ.

»Genau wie damals, als wir dich aus deiner Rettungskapsel geholt haben. Du bist nicht gut darin, irgendwelche Sachen zu packen, wie? Wir kaufen auf dem Schiff ein paar Dinge für dich. Ich nehme auch nicht an, dass du auf dem Weg hierher daran gedacht hast, dir ein Flugticket für dieses Schiff nach Kosatka zu besorgen, oder?«

»Ähm… ich hatte mehr damit zu tun, dich zu finden, und… Tja, was soll ich sagen?«

»Schon in Ordnung«, meinte sie lachend. »Ich habe eine Privatkabine gebucht. Eigentlich war es gegen jede Vernunft und auch gegen all meine Zweifel, aber ich hatte gehofft, ich würde die Kabine brauchen… Wir würden die Kabine brauchen. Und danach sieht es jetzt ja auch aus. Wir müssen nur noch den Fahrpreis für dich bezahlen.« Wieder musste sie lachen. »Ich glaube, meine Eltern werden aus dem Staunen nicht rauskommen. Sie dachten immer, ich bin mit der Dauntless verheiratet. Und stattdessen präsentiere ich dich als ihren Schwiegersohn. Oh, da fällt mir was ein. Es gibt da noch eine nicht verhandelbare Bedingung für unsere Ehe. Sollten wir eines Tages eine Tochter haben, dann muss sie nach Jaylen Cresida genannt werden.«

Lächelnd erwiderte Geary: »Aber natürlich. Meinst du, ich hätte damit ein Problem?«

»Nein, aber im Gegensatz zu dir überrasche ich andere Leute nicht. Ausgenommen meine Eltern, was diesen Fall betrifft.« Sie verstummte und sah ihn ernst an. »Was ist nach Kosatka? Wenn wir Zeit haben, möchtest du dann deine Heimatwelt Glenlyon besuchen? Die Leute dort würden dich bestimmt gern sehen.«

Er schüttelte den Kopf. »Eines Tages reise ich hin, aber im Moment macht mir allein schon der Gedanke daran Angst. Glenlyon war vor hundert Jahren meine Heimat, aber jetzt ist die Flotte meine Heimat… und jeder Ort, an dem du bist.«

»Du Glückspilz. Mein Zuhause ist ebenfalls die Flotte, also wirst du dich nicht zwischen zwei Orten entscheiden müssen.« Desjani stutzte, als sich ein Commander seinen Weg zwischen den dicht an dicht stehenden Matrosen hindurch bahnte. »Ja?«

Der Commander salutierte ernst, dann hielt er eine Reisetasche hoch, die zur Standardausrüstung der Flotte gehörte. »Captain Geary, Sir. Mit den besten Empfehlungen von Captain Tulev.«

»Vielen Dank, Commander.« Geary nahm die Tasche an sich und warf einen Blick hinein. In ihr befanden sich eine Ersatzuniform und diverse Reiseutensilien. »Bin ich eigentlich der Einzige in der gesamten Flotte, der nicht wusste, was heute passieren würde?«

»Nein«, erwiderte Desjani. »Wir beide sind die Einzigen, die nichts wussten. Allerdings waren wir beide ja auch die Einzigen, die nicht darüber reden konnten.« Ein Flugbegleiter stand neben der Einstiegsluke und versuchte vergeblich, die anderen Passagiere dazu zu bewegen, sich an Bord zu begeben. »Sollen wir?«, fragte sie Geary. »Oder möchtest du noch warten, bis ein Geistlicher auftaucht und uns unsere Heiratsurkunde in die Hand drückt?«

»Nein, ich glaube, das bekommen wir noch allein geregelt.«

»Ja, das sehe ich auch so.« Desjani hakte sich bei ihm unter, dann gingen sie gemeinsam zur Luke. »Selbst wenn die lebenden Sterne dich noch nicht in Ruhe lassen wollen und selbst wenn die Allianz dich erst recht nicht in Ruhe lassen wird, hast du dir für den Augenblick eine kurze Verschnaufpause verdient. Willkommen zum Rest deines Lebens, Black Jack.«

»Ich bin nicht Black Jack«, protestierte er. »Ich könnte niemals Black Jack sein.«

»Da irrst du dich, John Geary. Du bist immer dann Black Jack gewesen, wenn es darauf ankam.«

Die Matrosen lösten die Schutzmauer auf, und Desjani und er konnten Arm in Arm in die Richtung gehen, in die der Flugbegleiter sie dirigierte. Als die Matrosen und Offiziere hinter ihnen in Jubel ausbrachen, bekam Desjani rote Wangen, lächelte aber weiter und hob stolz das Kinn an. Dabei zwinkerte sie Geary zu, der den Matrosen mit seiner freien Hand zuwinkte und verdammt stolz auf die Frau war, die sich entschieden hatte, sich bei ihm unterzuhaken.

Die Vergangenheit würde niemals vergessen sein, aber sie schmerzte nicht länger, und egal welche Herausforderungen der nächste Tag auch mit sich bringen würde, heute fühlte es sich gut an, Black Jack zu sein.

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