Neun

Geary sah sofort wieder auf sein Display, wo das dargestellte Hypernet-Portal rot pulsierte. Jetzt? Was für ein grausamer Scherz sollte denn das sein, nun doch alles so enden zu lassen, nachdem sie jedes andere Hindernis gemeistert hatten? »Wie viel Zeit bis zum vollständigen Kollaps?«

Als er keine Antwort bekam, schaute er zu dem Wachhabenden und stellte fest, dass der, wie alle anderen auch, voller Entsetzen auf das Display vor ihm starrte.

Mit energischer Stimme und lauter als sonst üblich meldete sich Desjani zu Wort: »Der Admiral hat um eine Angabe gebeten, wie viel Zeit noch bis zum vollständigen Kollaps des Portals bleibt!«

Der Lieutenant zuckte zusammen und nahm seine Umgebung wieder wahr. »Entschuldigen Sie, Captain. Fünfzehn Minuten, Sir.«

»Fünfzehn Minuten?«, wiederholte Geary.

»Ja, Sir. Mehr nicht. Es fällt sehr schnell in sich zusammen.«

Geary kniff die Augen zu und atmete tief durch, dann sah er auf das Display. »Das reicht ja nicht mal, um die Flotte in eine Defensivformation zu bringen.«

»Nein, Sir«, stimmte Desjani ihm zu. Ihre Stimme klang jetzt viel gedämpfter.

Daraufhin öffnete Geary den entsprechenden Komm-Kanal. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte: Hier spricht Admiral Geary. Wie Ihnen bewusst sein dürfte, bricht das Hypernet-Portal in sich zusammen. Uns wurde mitgeteilt, dass die Programmierung abgeschaltet wurde, die die Energie-Entladung verstärkt, aber wir haben keine Bestätigung dafür, ob die Schutzvorrichtung noch aktiv ist, die die Entladung minimiert. Wir können daher keine Einschätzung zur Stärke der Entladung abgeben. Alle Schiffe bringen sich sofort in eine Position, in der der Bug zum Hypernet-Portal zeigt. Die vorderen Schilde sind auf maximale Leistung hochzufahren.« Irgendetwas musste er noch sagen, immerhin würde dies vielleicht das letzte Mal sein, dass er zur Flotte sprach. »Wenn es hart auf hart kommt, haben wir zumindest die Gewissheit, dass die Reste der Regierung der Syndikatwelten und ihrer mobilen Streitkräfte gemeinsam mit dieser Flotte ausgelöscht werden. Unser Opfer wird nicht vergebens gewesen sein, und unsere Kinder werden von diesem Krieg befreit.«

Plötzlich stürmte Rione auf die Brücke und blieb vor dem Display an ihrem Platz stehen, starrte es einen Moment lang an, ehe sie sich hinsetzte. Ihr Blick schien dabei gar nicht das Display zu erfassen, sodass Geary sich fragte, was sie wohl vor ihrem geistigen Auge sah. »Was machen die Verhandlungen?«, fragte er und wunderte sich darüber, dass diese Frage nicht in einem verbitterten, sondern einem sarkastischen Tonfall über seine Lippen kam.

Rione schüttelte hastig den Kopf, dann konzentrierte sie sich auf Geary. »Die Syndiks stehen genauso unter Schock wie wir. Als ich wegging, beteuerten sie händeringend, dass sie das nicht waren, dass sie nicht den Befehl gesendet haben. Ihrer Meinung nach können die Algorithmen für eine katastrophale Entladung nicht mehr funktionstüchtig sein.«

Was sollte er dazu sagen? »Danke.«

»Fünf Minuten bis zum Kollaps«, verkündete der Ablauf-Wachhabende mit erstickter Stimme.

»Vordere Schilde auf Maximum«, meldete der Gefechtswachhabende.

»Sehr gut.« Mit den Fingerspitzen massierte Desjani leicht ihre Stirn, um so ihren Gesichtsausdruck zu verbergen. Schließlich drehte sie sich zu Geary um und erlaubte sich ein flüchtiges wehmütiges Lächeln. »Wenn es hart auf hart kommt – es war schön, Sie gekannt zu haben.«

»Ganz meinerseits.« Vermutlich blieben ihnen nur noch Minuten, aber selbst jetzt brachten sie es nicht fertig, sich an den Händen zu halten. Bis zu diesem Moment hatten sie ihre eigene Ehre und die des anderen geachtet, und so sollte es auch bleiben, wenn es das war, was das Schicksal für sie vorgesehen hatte.

Eigentlich war das Hypernet-Portal bereits vor über sieben Stunden zusammengebrochen, nur erreichte sie jetzt erst das Licht dieses Ereignisses. Die Schockwelle würde schon bald folgen. Geary sah auf sein Display und nahm mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis, dass möglicherweise alles im näheren Umfeld des Portals längst zerstört war.

»Eine Minute.« Die Stimme des Wachhabenden versagte.

»Also gut«, sagte Desjani gefasst und wieder lauter als üblich. »Wir stellen uns dieser Gefahr so, wie es die Dauntless und ihre Crew bei jeder anderen Gefahr auch gemacht haben – voller Ehre und Mut.«

Ein Chor aus zustimmendem Gemurmel folgte ihren Worten, Desjani warf Geary wieder ein Lächeln zu, er reagierte mit einem Nicken. Rione blickte unverändert starr auf irgendeinen fernen Punkt.

»Dreißig Sekunden bis zum geschätzten Eintreffen der Schockwelle… zehn Sekunden… fünf Sekunden… vier… drei… zwei… eins.«

Der Augenblick war gekommen und sofort wieder verstrichen, so wie bei Lakota. »Geben Sie mir eine aktualisierte Schätzung, wenn das geht, Lieutenant«, befahl Desjani.

»Ja, Captain, ich… Captain?« Der Ablauf-Wachhabende betrachtete eindringlich sein Display. »Ich glaube, es ist bereits geschehen. Ja, genau. Eine Sekunde nach der Schätzung. Die Energieentladung war so minimal, dass unsere Instrumente sie kaum feststellen konnten. Wir haben freie Sicht auf die Stelle, an der sich das Portal befand. Es ist weg, aber im System ist alles bestens.«

»Verdammt noch mal«, murmelte Desjani und sah verdutzt Geary an. »Diese Syndik-CEOs haben die Wahrheit gesagt.«

Er fühlte sich ein wenig schwindlig, als er zustimmend nickte. »Sieht ganz so aus. Wir leben alle noch.«

»Ein Wunder«, sagte Desjani kopfschüttelnd. »Dass wir noch leben, meine ich. Aber das größere Wunder ist, dass die Syndiks die Wahrheit gesagt haben. So was hätte ich nie für möglich gehalten.«

»Ich würde sagen, wir verdanken den lebenden Sternen dieses Wunder genauso wie die Tatsache, dass wir noch leben.« Geary betätigte seine Kontrollen. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte: Hier spricht Admiral Geary. Die Schutzvorrichtung am Hypernet-Portal hat ordentlich funktioniert. Die Bedrohung wurde abgewendet. Widmen Sie sich wieder Ihren ursprünglichen Aufgaben.« Er drehte sich zu Rione um. »Ich glaube, Sie können Ihre Verhandlungen fortsetzen, Madam Co-Präsidentin.«

Sie stand lächelnd auf. »Das werde ich machen, Admiral. Ich werde heute Abend auch eine Kerze für Captain Cresida aufstellen.«

Nachdem sie gegangen war, wandte sich Geary an Desjani: »Erinnern Sie mich später daran, dass ich das auch mache.«

»Daran sollte ich Sie nicht erinnern müssen«, gab sie in dem gleichen schroffen Tonfall zurück, in dem sie zuvor mit ihren Wachhabenden gesprochen hatte. »Aber ich werde es machen, bevor ich heute Abend eine Kerze für sie anzünde. Aber warum ist das Portal kollabiert?«

»Vielleicht wurde das Signal von jemandem gesendet, der den vormaligen Syndik-Führern treu ergeben ist – und der bereit war, für seine Loyalität sein Leben zu opfern«, überlegte Geary. »Oder…«

»Ja. Oder unsere mysteriösen Feinde hatten die Finger im Spiel. Irgendwie haben sie davon erfahren, dass wir hier sind, und daraufhin haben sie den Befehl an das Portal gesendet.« Desjani lehnte sich zurück, war aber immer noch angespannt. »Hätten sie den Befehl früher gesendet, dann wären die Syndikatwelten jetzt führungslos, und die Allianz-Flotte würde nicht mehr existieren.«

»Wie praktisch für sie«, meinte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Es wird hier nicht enden, richtig?«

»Verdammt richtig, Sir.«

»Es ist möglich, dass die Aliens durch die Syndik-Schiffe herausgefunden haben, dass wir hier sind.« Mit den Fingern trommelte er auf die Armlehne. »Einige der Syndik-Schiffe sind flugunfähig, insbesondere die Schlachtschiffe. Wir müssen ein paar unserer Schiffe zu ihnen schicken, um ihnen zu ›helfen‹.« Desjani sah ihn daraufhin ungläubig an. »Wir bringen ein paar von unseren Leuten an Bord, ob es den Syndiks gefällt oder nicht, und betonen die humanitäre Geste, indem wir den Verwundeten helfen und Leute evakuieren, die es nicht mehr in die Rettungskapseln geschafft haben. Bei der Gelegenheit suchen wir in ihren Betriebssystemen nach Hinweisen auf die Würmer der Aliens.«

Desjanis Miene hellte sich auf. »Wenn wir dort Würmer finden, ist klar, dass die Syndiks davon nichts wussten.«

»Ganz genau. Und es ist dann auch klar, wie die Aliens von unserer Anwesenheit erfahren konnten. Falls da keine Würmer sind, könnte es bedeuten, dass die Syndiks ebenfalls einen Weg gefunden haben, um sie zu neutralisieren, oder aber dass die Aliens entschieden hatten, die Syndiks nicht auszuspionieren.«

»Ich an Ihrer Stelle würde auf die letzte Möglichkeit lieber kein Geld setzen. Was immer es mit diesen Aliens auf sich haben mag, ich habe jedenfalls den Eindruck, dass sie jeden Vorteil nutzen, der sich ihnen bietet.« Desjani schüttelte den Kopf. »Aber offiziell muss es darum gehen, dass wir den Syndiks helfen, auch wenn sich nicht viele Matrosen freiwillig für einen solchen Einsatz melden werden.«

»Das ist mir klar«, meinte Geary und grinste. »Aber ich habe jede Menge Marines.«

General Carabali nahm ihre Befehle gelassen entgegen, und nur ein ganz flüchtiges Lächeln verriet ihre Zufriedenheit, als sie den wahren Grund für die Hilfsmission erfuhr. »Admiral, ich empfehle Ihnen, dass Sie die Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer mit meinen Marines an Bord sehr nah an die betroffenen Syndik-Kriegsschiffe heranbringen. Wenn sie die Feuerkraft der Flotte ganz dicht vor Augen haben, wird das das Risiko verringern, dass die Besatzungen Widerstand leisten, der nur zu weiteren Schäden bei ihren Systemen führen würde.«

Ganz zu schweigen davon, dass die Syndik-Crews sich dabei selbst Schaden zufügen konnten. »Gute Idee. Wir stellen in diesem Augenblick den Plan zusammen. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald die Schiffe ausgewählt sind, damit Sie Ihre Marines informieren können. Wenn Sie Experten für die Flottensysteme benötigen, lassen Sie es mich wissen. Ich werde dann genug ›Freiwillige‹ zusammentreiben.«

»Danke, Sir. Ich habe unter meinen Marines eine Reihe von Systemspezialisten, die der Aufgabe gewachsen sein sollten. Es könnte allerdings sein, dass sie mehr über die Würmer erfahren müssen, nach denen sie suchen sollen, zumal Sie ja gesagt haben, dass die auf einem ungewöhnlichen Prinzip basieren.«

»Auf einem sehr ungewöhnlichen, General. Ich werde veranlassen, dass die Systemsicherheitsoffiziere der ausgewählten Schiffe sich bereithalten, um die notwendigen Angaben zu machen.«

Wieder versuchte er, sich zu entspannen. Sofern nicht der Stern ohne Vorwarnung zur Nova wurde, sollte es keine weiteren Bedrohungen geben, die seiner Flotte gefährlich werden konnten. Als aber auch am letzten Syndik-Schlachtschiff die Lichter erloschen, da Duellos’ Eingreiftruppe sie alle außer Gefecht gesetzt hatte, meldete sich Geary bei den Politikern. »Sie können dem neuen Exekutivrat ausrichten, wenn er uns zusichert, dass die überlebenden Kriegsschiffe uns nicht angreifen, dann werden wir davon Abstand nehmen, diese Schiffe zu zerstören.«

Rione lächelte ihn humorlos an. »Ich glaube, die neuen Syndik-Führer werden alles tun, um dafür zu sorgen, dass möglichst keines der verbliebenen Kriegsschiffe zerstört wird. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Sieg, Admiral.«

»Danke. Ich zähle darauf, dass Sie diesen Sieg in einen Friedensschluss verwandeln.«

»Ich werde tun, was ich kann.«

In den nächsten Stunden gab es genügend Ablenkung, um die Zeit schnell verstreichen zu lassen, während Teile der Allianz-Flotte sich den Wracks der Syndik-Streitmacht näherten und damit begannen, Hilfsteams der Marines zu den Schiffen zu schicken, die sich in ihrer Zusammensetzung, Panzerung und Bewaffnung nicht allzu sehr von den Sturmtruppen zu unterscheiden schienen. »Ein MHT erfüllt eine primär nicht auf Kampf ausgerichtete Mission, während ein MST in erster Linie eine Kampfmission verfolgt«, erklärte General Carabali. »Natürlich ist jedes MHT so zusammengesetzt, dass es jederzeit als MST zum Einsatz kommen kann. Umgekehrt ist das genauso möglich.«

»Also kann man sagen«, erwiderte Geary, »dass es sich um die gleiche Sache handelt, die zwei verschiedene Namen trägt.«

»Nein, Sir«, antwortete Carabali völlig ernst. »Es sind zwei verschiedene Dinge, die exakt die gleichen Fähigkeiten besitzen. Die taktischen Anweisungen sind da sehr eindeutig.«

Mit einer Marine über semantische Spitzfindigkeiten zu diskutieren, während sie die offiziellen Definitionen auf ihrer Seite hatte, erschien ihm nicht als ein nutzbringender Zeitvertreib, also akzeptierte Geary die Logik dahinter als gegeben und befasste sich lieber damit, den Marines dabei zuzusehen, wie sie die Wracks der Syndik-Schlachtschiffe durchkämmten. Ein paar Mal erlag er der Versuchung und zoomte Bilder von einem der Marines heran, um sich anzusehen, was vom jeweiligen Helmvisier übertragen wurde und exakt dem entsprach, was auch der Marine in dem Moment sah. Das Innere der Syndik-Schiffe sah immer gleich aus, überall bot sich die gleiche Verwüstung als Folge der Konfrontation mit der Allianz-Flotte. Sobald überlebende Syndik-Matrosen gefunden wurden, die mangels funktionierender Rettungskapseln nicht von Bord hatten gelangen können, bestanden die Marines darauf, die Syndiks aus den Wracks herauszuholen, was allerdings etwas völlig anderes war als eine Festnahme der Syndiks, wie General Carabali ihm versicherte.

»Die meisten Systeme auf den Schlachtschiffen wurden zerstört, und alles, was noch funktionierte, wurde von den Syndiks gelöscht, bevor sie das Schiff aufgaben«, berichtete Carabali schließlich. »Aber die Fachidioten für Flottensystemcodes haben uns gesagt, dass diese außergewöhnlichen Würmer bei einer normalen Systemlöschung nicht gelöscht werden, und sie haben Recht behalten. An mehreren Stellen haben wir Spuren dieser Würmer gefunden.«

Also hatte Boyens ihnen keine Informationen über die Würmer der Aliens verschwiegen, den Syndiks war deren Existenz vielmehr tatsächlich nicht bekannt gewesen. »Welche Systeme waren betroffen?«

»Das können wir nicht so genau sagen«, räumte Carabali ein. »Die gegnerischen Schlachtschiffe sind so sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, dass Funktionen durch Schadenskontrollroutinen automatisch über alle verfügbaren Prozessoren und internen Server und Netzwerke umgeleitet wurden. Als Folge davon können wir keine spezifischen Untersysteme mehr isolieren, die ursprünglich von den Würmern infiziert worden sind.«

»Danke, General. Hervorragende Arbeit.«

»Werden Sie noch mehr Arbeit für meine Marines haben, Sir? Irgendwo auf der Planetenoberfläche?«

»Ich weiß nicht, General. Sobald sich etwas ergibt, werde ich Sie sofort benachrichtigen.«

Geary rieb sich wieder die Augen und wünschte, er könnte sich mal für eine Weile richtig ausruhen. Er hatte sich zwar in sein Quartier zurückgezogen, doch das Abteil kam ihm eher wie eine Gefängniszelle vor, nicht wie eine Zuflucht. Wie lange würden die Politiker wohl noch verhandeln? Sie hatten CEO Boyens aus seiner Zelle geholt, damit er ihnen half. Das mochte ein gutes Zeichen sein, es konnte aber ebenso gut das Gegenteil davon bedeuten.

Er rief ein Display auf und veränderte den Maßstab, um sich ein Bild davon zu machen, was ringsum geschah. In der Nähe der Stelle, an der sich das Hypernet-Portal befunden hatte, hielten sich noch immer die Handelsschiffe mitsamt den SAS auf, als würden sie nach wie vor auf ihre Befehle warten, obwohl ihre Mission durch die Ereignisse überholt worden war und sogar das Portal verschwunden war, sodass dort auch kein Angreifer mehr eintreffen konnte, den man aufhalten konnte. Der einzelne Jäger, der kurz vor dem Kollaps durch das Hypernet-Portal eingetroffen war, bewegte sich jetzt am Rand des Systems entlang zum Sprungpunkt nach Mandalon, doch seine Geschwindigkeit ließ vermuten, dass er nicht davon ausging, in nächster Zeit einen Sprungbefehl zu erhalten.

Captain Smyth von der Tanuki hatte sich in einen Wirbelwind aus Aktivitäten verwandelt, indem er die anderen Hilfsschiffe zu den am schwersten beschädigten Kriegsschiffen schickte und selbst für Unterstützung bei der Reparatur der schlimmsten Schäden sorgte.

Geary hatte kurz mit Commander Lavona auf der Adroit gesprochen und sie bis auf Weiteres zur Befehlshaberin des Schiffs ernannt. Bei dieser Gelegenheit hatte er sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er die Untersuchung des Todes von Captain Kattnig bald abgeschlossen wissen wollte. Dabei ließ er auch keinen Zweifel daran, wie das Ergebnis aussehen sollte. Lavona schien sehr angetan davon, Gearys Wunsch nachzukommen. »Ich weiß nicht, warum die Dinge im Verlauf der Schlacht so gekommen sind, aber er war ein guter Offizier, Admiral.«

»So wird man ihn auch in Erinnerung behalten«, versprach Geary ihr.

Er beobachtete, wie sich seine Flotte bewegte, er überflog Statusberichte über Tote und Verletzte, über Schäden und die Fortschritte bei den Reparaturen. Er wartete und kam sich für einen Flottenadmiral seltsam machtlos vor.

Als er schließlich in den Verhandlungsraum gerufen wurde, nahm sich Geary einen Moment Zeit, um den Sitz seiner Uniform zu überprüfen. Dann durchschritt er in gemäßigtem Tempo die Korridore der Dauntless, bis er das gesicherte Abteil in der Nähe der Räumlichkeiten des Geheimdienstes erreichte. Marines waren als Wachposten davor aufgestellt; einige sorgten für die Sicherheit der Verhandlungsteilnehmer, andere hatten Boyens hergebracht und warteten nun darauf, ihn nach getaner Arbeit in seine Zelle zurückzubringen. Im Raum selbst saßen die Allianz-Senatoren und Syndik-CEO Boyens an einem Tisch. Weder virtuelle Bilder noch aktive Komm-Schirme zeigten irgendwelche Führer oder Unterhändler der Syndiks. Costa wirkte zornig und störrisch, Sakai machte einen etwas unschlüssigen Eindruck, und Rione verbarg wie gewohnt ihre wahren Gefühle hinter einer Maske. Syndik-CEO Boyens schien einfach nur deprimiert zu sein.

Als Geary sich zu ihnen setzte, schob Rione ihm eine Dateneinheit zu. »Wir sind zu einer Einigung gekommen. Die neuen Führer der Syndikatwelten haben sich mit den Bedingungen einverstanden erklärt, die im Wesentlichen dem entsprechen, was der Große Rat der Allianz vorgeschlagen hatte.«

Diese Neuigkeit stand so sehr im Widerspruch zu den Mienen der Beteiligten, dass sich Geary die Worte lange durch den Kopf gehen lassen musste, ehe er sich sicher sein konnte, dass er sich nicht verhört hatte. »Ist das nicht gut?«

»Das ist sehr gut, Admiral«, erwiderte Sakai, der die Stirn in Falten legte und Geary in die Augen sah. »Was Sie sehen, ist zum Teil Unglauben. Keiner von uns kann im Moment so richtig begreifen, dass die formellen Feindseligkeiten zwischen der Allianz und den Syndikatwelten ein Ende haben werden. Der Krieg hat uns unser Leben lang begleitet.«

Ein Wort ließ Geary aufhorchen. »Formelle Feindseligkeiten?«

»Ja.« Costa verlieh dem einen Wort besondere Betonung. »Die Syndik-Führer, also die ehemaligen Führer, haben ihre Planeten zu sehr drangsaliert. Die neuen Führer haben eingeräumt, dass es ihres Wissens überall im Syndik-Territorium so aussieht wie in Atalia und Parnosa. Rebellion, Revolutionen und in manchen Fällen reine Anarchie.«

»Die Syndikatwelten«, fuhr Rione nahtlos fort, »sind im Zerfall begriffen. Wir haben ihnen den Todesstoß versetzt, als wir die Flotte hier im System auslöschten. Damit hat die letzte größere mobile Streitmacht aufgehört zu existieren, die dem Befehl der zentralen Autorität unterstand.«

»Diese Streitmacht befolgte allerdings nicht mehr die Befehle der zentralen Autorität, als sie von Ihnen vernichtet wurde«, warf Boyens niedergeschlagen ein.

»Das stimmt. Aber auf jeden Fall war diese Flotte das letzte noch existierende Mittel, mit dem eine zentrale Autorität die Faktoren hätte unterdrücken können, die nun das zerreißen, was lange Zeit Welten und Bevölkerungen zusammengehalten hatte. Der Prozess spielt sich überall im Syndik-Gebiet ab, wenn auch unterschiedlich schnell und unterschiedlich heftig. Das Problem dabei ist, dass die neuen Führer der Syndikatwelten nicht all das kontrollieren, was bislang die Syndikatwelten darstellte. Das wird die Rückkehr von Kriegsgefangenen in die Allianz erschweren, und es könnte dazu kommen, dass diese Flotte in Aktion treten muss, um sicherzustellen, dass einzelne Sternensysteme sich an diese Abmachung halten und die Kriegsgefangenen ausliefern.«

Dann endlich wurde ihm klar, wieso sie alle so finster dreinblickten. »Das heißt, der Vertrag ist bedeutungslos.«

»Nein, Admiral«, gab Sakai kopfschüttelnd zurück. »So schlimm ist es nicht. Wir müssen nicht länger Angriffe von Streitmächten fürchten, die der Kontrolle der Syndikatwelten unterstehen.«

»Aber die Nachfolgekräfte der Syndikatwelten sind ein ganz anderes Thema«, spie Costa förmlich aus. »Die Syndiks hier haben keinen großen Einfluss auf das, was sich anderswo in ihrem Gebiet abspielt, oder besser gesagt: in ihrem ehemaligen Gebiet. Aber sie wissen, dass sich einzelne Sternensysteme und ganze Blöcke aus Systemen abspalten. Sie werden versuchen, die Syndikatwelten bestehen zu lassen, aber die Chancen stehen nicht besonders gut, dass sie hinsichtlich ihrer Größe und Stärke noch viel mit den alten Syndikatwelten zu tun haben werden.«

»Keine der Nachfolgekräfte ist mächtig genug, um für sich betrachtet eine Bedrohung für die Allianz darzustellen«, warf Sakai ein.

»Noch nicht«, mahnte Costa. »Aber es gibt wohlhabende ehemalige Syndik-Sternensysteme mit großen Schiffswerften, was bedeutet, dass sie im Lauf der Zeit ihre eigenen Flotten bauen werden – entweder zu ihrer eigenen Verteidigung oder zu Eroberungszwecken.«

Geary rieb sich über die Stirn, während er zu Ende dachte, was er zu hören bekam. »Das heißt, der große Krieg ist vorbei, aber dafür haben wir es jetzt überall im Syndik-Gebiet mit kleineren Sicherheitsrisiken zu tun.«

»Bei denen wir nicht zulassen dürfen, dass sie zu einer größeren Bedrohung zusammenwachsen, die irgendwann für die Allianz zu einem Problem werden könnte.« Costa schaute finster auf den Tisch. »Was nicht heißen soll, dass da draußen nicht schon längst eine größere Bedrohung auf uns wartet.« Sie betätigte die Kontrollen vor ihr auf der Tischplatte. »Vor nicht allzu langer Zeit ist ein Syndik-Kurierschiff in diesem Sternensystem eingetroffen. Die von diesem Schiff gesendete Nachricht wurde von den neuen Führern der Syndikatwelten an uns weitergeleitet, begleitet von einer Bitte um Unterstützung. Eben noch haben sie versucht, uns umzubringen, und eine Minute später betteln sie uns an, ihnen zu helfen.«

Das Bild einer Syndik-CEO tauchte über dem Tisch auf. Im Gegensatz zu der äußeren Gelassenheit und Überheblichkeit, die Geary von diesen Leuten gewöhnt war, machte die CEO keinen Hehl aus ihrer Verzweiflung. »Wir haben zahlreiche Bitten um defensive Unterstützung gesendet, die alle unbeantwortet geblieben sind. Jetzt brauchen wir dringend Hilfe. Die Enigma-Rasse hat uns ein Ultimatum gestellt und verlangt, dass die Menschen dieses Sternensystem komplett evakuieren.«

»Die Enigma-Rasse?«, wiederholte Geary. »Bezeichnen die Syndiks so die Aliens?«

Boyens nickte. »Das schien mir keine wichtige Information zu sein. Falls es Sie tröstet, nur drei Mitglieder des neuen Exekutivrats wussten zuvor von der Existenz der Aliens. Die anderen besaßen nie eine Freigabe für diese Informationen. Das dort auf dem Bildschirm ist übrigens CEO Gwen Iceni vom Midway-Sternensystem. Eine anständige Frau, auch wenn sie eine CEO ist, wenn Sie mein Urteil über sie interessiert.«

CEO Iceni redete immer noch: »Das Ultimatum lässt keinerlei Spielraum für Verhandlungen oder Kompromisse, und alle Versuche, mit der Enigma-Rasse Kontakt aufzunehmen, sind bislang gescheitert, außer dass sie immer wieder ihre Forderungen senden. Von den fest installierten Verteidigungsanlagen in diesem Sternensystem abgesehen stehen nur einige kleinere mobile Einheiten zur Verfügung. Wie ich hörte, existiert die Flotte nicht mehr, die früher diese Region überwacht hat. Alle anderen Schiffe wurden ebenfalls von dieser Grenze abgezogen und in Richtung Allianz geschickt, um dort zu kämpfen. Jetzt besitzen wir keine Möglichkeit mehr, um uns zur Wehr zu setzen, und zugleich können wir bis zum Ablauf des Ultimatums der Enigma-Rasse nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung evakuieren. Wir benötigen alle Hilfe, die Sie uns senden können, sonst werden die Menschen hier so gut wie schutzlos der Enigma-Rasse ausgeliefert sein, wenn die nach Ablauf des Ultimatums das Sternensystem an sich nimmt. Wir werden kämpfen, aber wenn wir keine Hilfe bekommen, können wir nicht auf einen Sieg hoffen.« Das Bild verschwand, an seine Stelle trat ein schlichtes Textdokument, das die Forderungen der Aliens auflistete und den Zeitpunkt nannte, an dem das Ultimatum ablief. Geary sah, dass es bis zu diesem Termin nur etwas mehr als drei Wochen war.

In die Stille hinein, die sich dem Ende der Mitteilung angeschlossen hatte, sprach Rione: »Noch ein Fall, den wir befürchtet haben, ist eingetreten. Die Aliens wollen in Syndik-Territorium vordringen und nutzen dabei die Tatsache aus, dass die Syndiks geschwächt sind.«

»Sie wollen in von Menschen bewohntes Territorium vordringen« wurde sie von Sakai korrigiert. »Ein Teil der Menschheit ist geschwächt, aber jeder Vorteil, den diese Aliens jetzt erringen, geht zu Lasten der Stärke der gesamten Menschheit, wenn die sich ihnen später in den Weg stellen will.«

»Von dieser Grenze bis zur Allianz ist es ein weiter Weg«, grummelte Costa.

»Das hängt davon ab, wie man den Weg misst«, hielt Rione dagegen. »In Lichtjahren ausgedrückt ist es ein weiter Weg, das stimmt. Durch den Sprungraum dauert es auch lange, bis man die Allianz erreicht. Aber im Hypernet benötigt man gerade mal vier Wochen.«

»Das kommt hin«, stimmte Sakai ihr zu.

Costas Miene verfinsterte sich noch mehr. »Der Große Rat kann über die Situation diskutieren und entscheiden, was zu tun ist.«

»So viel Zeit haben wir nicht mehr«, beharrte Sakai. »Das Ultimatum läuft ab, noch bevor wir das Allianz-Gebiet wieder erreicht haben.«

»Pech für die Syndiks. Der Große Rat…«

»…hat Admiral Geary bereits die Autorität übertragen, im Umgang mit den Aliens entscheiden zu dürfen«, unterbrach Rione sie. »Wir können ihm beratend zur Seite stehen, aber er hat die Macht, die Vorgehensweise zu bestimmen.«

Wieder richteten sich alle Blicke auf ihn. Mit einem Mal verspürte Geary Sehnsucht nach der guten alten Zeit, als er nur einer von vielen Offizieren gewesen war, der einen Vorgesetzten hatte, der darüber entscheiden musste, wie man sich aus einer verfahrenen Situation retten sollte. Aber seit dem unerwarteten Angriff der Syndiks bei Grendel hatten die Leute damit begonnen, von ihm zu erwarten, dass er einen Weg aus einer verfahrenen Situation fand. Seltsam, dass er sich noch immer nicht daran hatte gewöhnen können.

Dass die Aliens in Aktion treten könnten, damit hatte er gerechnet. Nun gab es eine konkrete Situation, der er sich widmen musste. Und seine Flotte, die endlich ihren Krieg gewonnen hatte, würde bald erfahren, dass sie sich einem neuen Gegner stellen musste.

Aber es gab zumindest jemanden, dem er Fragen stellen konnte, und deshalb wandte er sich an Boyens. »Warum da? Was ist so besonders an diesem Sternensystem? Wieso wollen die Aliens dieses System besetzen?«

»Das hat mit seiner Lage zu tun.« Boyens rief ein Display auf, das diese Region des Syndik-Gebiets darstellte, dann zeigte er auf einen Stern an der Grenze zu den Aliens. »Das Midway-Sternensystem verdankt seinen Namen der Tatsache, dass es sich in einer guten Position zu anderen Sternen befindet. Von Midway aus können Schiffe direkt zu acht anderen Sternensystemen springen. Es ist ein hervorragender Knotenpunkt.«

Geary presste unwillkürlich die Lippen aufeinander, als er das Display betrachtete. »Und damit ist das System auch der Dreh- und Angelpunkt für die Verteidigung dieses gesamten Sektors, nicht wahr? Wenn die Aliens die Kontrolle über Midway erlangen, können sie als Nächstes diese acht anderen Sternensysteme bedrohen und deren Evakuierung fordern. Damit bricht die gesamte Verteidigung der Grenze zusammen.«

»Eines dieser acht Systeme wird zwar bereits von den Aliens kontrolliert, aber im Wesentlichen stimmt es. Es wären zu viele Sterne in Reichweite, die alle von uns verteidigt werden müssten. Wir müssten uns entlang der Grenze zurückfallen lassen, bis wir eine neue Linie gefunden haben, bei der durch die Sprungreichweiten möglichst wenige Systeme direkt bedroht sind.«

»Wir?«, fragte Costa spitz.

Boyens’ Gesicht lief leicht rot an. »Ich meinte die Syndikatwelten.«

»Die Syndikatwelten existieren nicht mehr.«

»Die Situation ist derzeit völlig unklar, vor allem in den Systemen entlang der Grenze. Aber wenn es nicht anders geht, werden wir dort irgendeine neue Gruppierung bilden. Wir können es uns nicht leisten, dass dieses Gebiet zerfällt. Einzelne Sternensysteme können nicht die Ressourcen aufbringen, um die Region zu verteidigen.«

»Und mit ›wir‹«, warf Rione ein, »meinen Sie jetzt die Bevölkerung in den Sternensystemen der Grenzregion?«

»Richtig.« Boyens schaute auf das Display. »Oder das, was noch davon übrig ist. Hören Sie, ich weiß, wie Sie über uns denken – und über mich persönlich. Aber wir haben es hier mit einem gemeinsamen Feind zu tun, was Grund genug sein sollte, um sich gegen ihn zusammenzuschließen.«

»Warum sind die Aliens Ihr Feind?«, fragte Sakai. »Wie sind die Syndikatwelten bislang mit der Enigma-Rasse umgegangen?«

»Ich kenne nicht alle Einzelheiten«, beharrte Boyens, »erst recht nicht über die Anfangsphase vor über hundert Jahren. Ich weiß, dass wir versucht haben, ihre Geheimnisse herauszufinden, aber soweit mir bekannt ist, sind wir dabei nie erfolgreich gewesen.«

»Sie haben sie provoziert«, warf Costa ihm vor. »Und jetzt wollen Sie, dass wir Sie vor dem Schicksal bewahren, dass Sie sich selbst eingebrockt haben.«

»Ich bin nicht mit allem vertraut, was wir getan haben! Aber was macht das jetzt noch aus? Was geschehen ist, gehört der Vergangenheit an! Es ist passiert, und es kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Jetzt und hier werden unzählige unschuldige Menschen leiden, wenn Sie nichts unternehmen!«

Rione hatte währenddessen die Tastenfelder an ihrem Platz bedient, nun sah sie Boyens an. »Es sieht so aus, dass Sie bei einer Übernahme dieses Systems durch die Aliens über zwanzig andere Sternensysteme aufgeben müssten, um eine Grenze einrichten zu können, die sich verteidigen lässt.«

Boyens sah auf das Display, dann nickte er. »Das dürfte stimmen. Mehrere Milliarden müssten umgesiedelt werden.«

»Haben Sie genügend Schiffe, um das zu bewerkstelligen?«

»In der Grenzregion auf keinen Fall. Was das ganze Syndik-Territorium angeht, weiß ich es nicht, allerdings möchte ich es bezweifeln. Und selbst wenn, wir könnten nicht sofort darauf zurückgreifen.«

»Was passiert mit Menschen, die auf einem Planeten zurückbleiben, der von den Aliens übernommen wird?«

»Ich weiß es nicht. Das weiß keiner. Von ihnen haben wir nie wieder etwas gehört oder gesehen. Alles, was wir zu ihnen geschickt haben, hat sich in Luft aufgelöst und keinerlei Spuren hinterlassen.«

Eine Weile herrschte Schweigen im Raum, dann wandte sich Rione zu Geary um. »Haben wir irgendeine andere Wahl?«

»Was halten Sie von dem Ultimatum?«, gab er zurück. »Passt es zu dem, was der andere CEO dazu gesagt hat?«

»Ja. Es ist direkt und bedingungslos, es duldet keinen Widerspruch. Und es gibt absolut keinen Hinweis darauf, wie die Aliens denken. Es könnte von einem Menschen verfasst worden sein.«

»Vielleicht ist das ja auch der Fall, immerhin wissen die Syndiks nicht, was die Aliens mit Menschen machen, die in ihre Gewalt geraten.«

Sakais Blick ruhte auf dem Text des Ultimatums. »Gefangene? Sklaven? Diener? Gäste? Haustiere? Wenn wir zumindest wüssten, was davon zutrifft.«

»Sie haben in Ihrer Aufzählung ›tot‹ vergessen«, fügte Rione leise an. »Auf jede nur denkbare Weise. Wir müssen eine Antwort auf diese Frage finden, sonst können wir nicht beurteilen, ob eine friedliche Koexistenz möglich ist.«

»Friedlich?«, schnaubte Costa entrüstet. »So etwas ist doch sehr unwahrscheinlich. Sie haben selbst gesehen, was sie bei Kalixa gemacht haben! Diese Wesen sind unmenschlich!«

Rione warf der anderen Senatorin einen zornigen Blick zu. »Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie eine gewisse Senatorin vorgeschlagen hat, wir sollten doch die Hypernet-Portale als Waffen einsetzen, obwohl ihr bekannt war, welche Verheerung sie anrichten. Die vormaligen Führer der Syndikatwelten haben eine solche Entscheidung getroffen. Würden sich diese Aliens als menschlich entpuppen, wäre das für mich kein Trost.«

Costa wurde rot im Gesicht, wandte sich aber wieder an Geary. »Also, Admiral, was werden Sie machen?«

Den Vorfahren dafür danken, dass ich niemals Politiker werden wollte. Nach außen hin machte er nur eine vage Geste in Richtung des Ultimatums und des Sternendisplays. »Ich möchte erst mit einigen meiner Offiziere reden, bevor ich eine Entscheidung treffe.« Er erhob sich von seinem Platz und sah dabei wieder Boyens an. »Gibt es sonst noch irgendetwas, das Sie uns sagen können? Je mehr ich weiß, umso wahrscheinlicher wird es, dass ich mich entscheide, diesen Leuten zu helfen.«

»Meinen Leuten«, murmelte Boyens. »Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß. Da wäre nur noch eine Sache: Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten die Enigma-Rasse provoziert und sie dazu gebracht, sich der Menschheit gegenüber so feindselig zu verhalten. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nicht weiß, was die Syndikatwelten in den ersten Jahrzehnten nach dem Erstkontakt getan haben, und das entspricht der Wahrheit. Aber unser Befehl in den letzten zehn oder mehr Jahren lautete, nichts zu tun, was die Aliens verärgern oder zu einer angespannteren Situation beziehungsweise zu echten Problemen führen könnte. Ich war immer davon ausgegangen, dass dieser Befehl erteilt wurde, weil wir es uns nicht leisten können, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Vielleicht gab es ja noch einen anderen Grund. Auf jeden Fall haben wir uns seit Langem ruhig verhalten.«

»Vielleicht haben diese Aliens ja ein gutes Gedächtnis«, gab Sakai zu bedenken.

Boyens schaute ihn lange an, dann nickte er. »Ja, vielleicht. Ich kann nicht schwören, dass nichts vorgefallen ist, aber mir ist nichts bekannt, schon gar nicht aus jüngerer Zeit.«

»Es gibt gegliederte Aktionen«, warf Rione ein. »Maßnahmen, von denen nicht mal diejenigen etwas wissen, die in der gleichen Region aktiv sind. Würden Sie davon etwas wissen?«

Geary sah dem Mann an, wie er zögerte. Er benötigte keinen Verhörraum, um sagen zu können, dass der Syndik-CEO überlegte, ob er lügen oder die Wahrheit sagen sollte. Schließlich jedoch schüttelte Boyens den Kopf. »Nein, nicht zwangsläufig. Aber warum sollte irgendjemand so was gemacht haben?«

»Warum haben die Syndikatwelten einen Krieg gegen die Allianz begonnen?«, fragte Geary.

Boyens sah ihn an. »Das weiß ich nicht. Ich vermute, sie dachten, sie könnten gewinnen. Warum sie das gedacht haben, kann ich mir nicht erklären.«

»In den Reihen der CEOs der Syndikatwelten hat man doch sicher darüber spekuliert, oder nicht?«, fragte Rione.

»Eigentlich nicht. Es ist nicht so wichtig… es war nicht so wichtig. Vor hundert Jahren hat es interessiert, als sie diesen idiotischen Entschluss fassten, den Krieg zu beginnen. Wenn wir darüber redeten, war es das Einzige, was gesagt wurde. Eben, dass es idiotisch war. Aber die Gründe für den Krieg interessierten schon lange niemanden mehr. Wir hatten den Krieg am Hals, und niemand wusste, wie wir ihm ein Ende setzen sollten.« Der CEO ließ den Kopf sinken, doch seine schmerzverzogene Miene entging keinem der Anwesenden. »Glauben Sie mir, einige von uns wollten den Krieg beenden. Aber niemand hatte eine Vorstellung davon, wie man das anstellen sollte, und deshalb haben wir einfach weitergekämpft.«

»Vielen Dank. Admiral, würden Sie CEO Boyens von Ihren Marines zurück in sein Quartier bringen lassen?« Rione wartete, bis der Syndik gegangen war, dann seufzte sie leise. »Meine Empfehlung lautet, verteidigen Sie die ehemalige Syndik-Grenze. Wenn wir sie zerfallen lassen und es den Aliens erlauben, über etliche ehemalige Syndik-Systeme die Kontrolle zu übernehmen, könnte es am Ende die Fähigkeiten der Allianz übersteigen, diese Grenze wiederherzustellen.«

Sakai nickte bedächtig. »Mein Rat lautet ganz genauso.«

»Ich kann mich dem nicht anschließen«, erklärte Costa. »Wir haben wegen der Syndiks genug geblutet. Sie haben sich das Ganze selbst eingebrockt, sollen sie zusehen, wie sie sich da wieder rausmanövrieren.«

»Und wenn ihnen das nicht gelingt?«, hielt Sakai dagegen. »Wird die Allianz dann nicht früher oder später gezwungen sein, sich mit den Folgen zu befassen?«

»Die Syndiks haben uns hundert Jahre lang abwehren können«, sagte die Senatorin. »Wenn sie sich wirklich mit diesen Aliens auseinandersetzen wollen, dann sollen sie es selbst machen, anstatt uns darum zu bitten, den Scherbenhaufen wegzufegen, den sie zu verantworten haben. Wir haben in diesem Krieg schon genug Männer und Frauen und auch Kinder verloren. Die Allianz wurde durch den Krieg fast in den Bankrott getrieben. Wir haben das alles geschehen lassen, weil es sein musste. Aber wir müssen uns nicht in einen Streit zwischen den Syndiks und einer fremden Rasse einmischen, über deren Motive wir so wenig wissen wie über deren Fähigkeiten. Wir müssen keine idiotische Entscheidung treffen, mit der wir vielleicht den nächsten Krieg auslösen.« Die Anspielung auf die Dummheit der Syndiks war nicht zu überhören gewesen.

»Wenn wir jetzt entscheiden, nicht dieses Sternensystem aufzusuchen«, argumentierte Rione, »dann berauben wir uns zugleich aller anderen Optionen, uns mit diesen Aliens zu befassen. Wir werden nicht mal in der Lage sein, mit ihnen in direkten Kontakt zu treten, wenn die Syndiks damit nicht einverstanden sind. Wenn wir aber dieses System aufsuchen, dann bewahren wir uns die Fähigkeit, selbst zu entscheiden, was wir tun wollen. Lassen wir es bleiben, dann haben wir keinerlei Einfluss mehr darauf, was die Aliens und die Syndiks machen werden. Ich persönlich traue keiner von beiden Seiten genügend über den Weg, um sie gewähren zu lassen. Die Allianz muss mit am Verhandlungstisch sitzen, und das bedeutet, den Sprung nach Midway zu unternehmen.«

»Allein unsere Anwesenheit könnte genügen, um der Bedrohung ein Ende zu bereiten«, warf Sakai ein. »Wenn sie diesen Zug machen, weil sie bei den Syndiks Schwäche erkannt haben, dann reicht unter Umständen eine Machtdemonstration, um sie zur Umkehr zu bewegen.«

»Dann schlagen Sie doch mal in den Geschichtsbüchern nach!«, hielt Costa dagegen. »Unzählige Kriege sind allein aus dem Grund ausgebrochen, weil irgendwer glaubte, er müsse seine Macht demonstrieren!«

»Ich habe ja nicht behauptet, dass die Gefahr damit auf jeden Fall gebannt wird. Mein Gedanke war lediglich, dass es ein Weg sein könnte, das Problem aus der Welt zu schaffen. Wenn nicht, gibt es bestimmt noch Alternativen zum Einsatz von Waffen.«

»Meinen Sie, eine Allianz-Flotte wird im Angesicht einer feindlichen Streitmacht klein beigeben?«

»Das hängt davon ab«, meinte Rione, »wer diese Flotte anführt. Admiral Geary hat bislang seine Meinung noch nicht geäußert, aber er kennt jetzt unsere Einstellung. Ich schlage vor, wir lassen ihm Zeit, um über unsere Optionen nachzudenken und um sich mit den Leuten aus seinem Stab zusammenzusetzen, denen er vertraut.« Sie nickte Geary zu, Sakai schloss sich sofort an, nur Costa zögerte und folgte dann mit unübersehbarem Widerwillen dem Beispiel der anderen.

Geary erwiderte das Nicken und versuchte, seine Gefühle vor den dreien zu verbergen. Er war längst zu der Ansicht gelangt, dass es notwendig war, die Flotte nach Midway zu schicken. Vor seiner Entscheidung wollte er jedoch mit anderen Flottenoffizieren reden und deren Meinung hören. Aber er wusste auch, dass er noch etwas anderes zur Sprache bringen musste. »Haben die Syndiks irgendeinen Hinweis darauf geben können, wer den Befehl gesendet hat, der das Hypernet-Portal zusammenbrechen ließ?«

Sakai schüttelte den Kopf. »Sie behaupten, es nicht zu wissen, und sie sagen, dass es keine Aufzeichnung in irgendeinem ihrer Systeme gibt, die belegt, dass ein entsprechendes Signal gesendet wurde. Auch nicht von der Flotte, bevor sie zerstört wurde.«

»Wer soll denn sonst versucht haben, unsere Flotte zu vernichten?«, wollte Costa wissen.

»Ich glaube, wir haben gerade eben ausführlich über diejenigen gesprochen, die dafür infrage kommen, Senatorin«, erwiderte Geary. »Ein Hypernet-Portal kollabiert ohne einen Hinweis darauf, wer das Signal gesendet hat. Das haben wir schon einmal erlebt. Das Gleiche könnte hier auch passiert sein, wobei wir alle froh sein können, dass es dazu erst gekommen ist, nachdem die zerstörerische Programmierung gelöscht wurde. Ich habe die Bestätigung, dass sich in den Systemen der Syndik-Schiffe die Würmer der Aliens finden. Darüber könnten die Aliens erfahren haben, dass wir uns hier im Heimatsystem aufhalten, allerdings glücklicherweise nicht mehr rechtzeitig genug, um das Portal zu einer Zeit zusammenbrechen zu lassen, als es noch das gesamte System ausgelöscht hätte.«

»Dann«, begann Sakai leise, während Costa Geary ansah, »befinden wir uns bereits mit ihnen im Krieg, obwohl der größte Teil der Menschheit noch gar nicht weiß, dass sie überhaupt existieren.«

»Kriege lassen sich beenden, Senator«, gab Geary zurück, dann verließ er den Raum.

Eine Viertelstunde später saß er im Flottenkonferenzraum. Die reale Captain Tanya Desjani sowie die Captains Duellos und Tulev in Form virtueller Darstellungen waren die einzigen Anwesenden. Zunächst erklärte er den Inhalt des Friedensvertrags und hielt inne, um die Reaktionen der drei Offiziere zu beobachten.

Duellos schloss die Augen. »Ich hatte nicht gedacht, dass ich jemals diesen Tag erleben würde.«

»Es hat zu lange gedauert«, murmelte Tulev. »Viel zu lange, aber es ist vollbracht. Der Affe hat gesungen.«

»Was?«, fragte Geary. »Wer hat gesungen?«

»Der Affe«, wiederholte Desjani, die den Eindruck machte, als müsse sie gegen Tränen ankämpfen. »Das bedeutet, es ist vorbei.«

»Nein, warten Sie. Wenn etwas vorbei ist, sagt man: ›Klappe zu, Affe tot.‹ Wenn etwas noch nicht vorbei ist, heißt es: ›Es ist noch nicht aller Tage Abend.‹«

Duellos machte die Augen wieder auf und sah Geary verwundert an. »Wirklich?«

»Ja.«

»Welcher Abend denn?«

»Keine Ahnung, das ist so eine Redewendung.«

»Und was ist mit dem Affen?«, wollte Desjani wissen. »Warum ist er tot, wenn die Klappe zu ist? Und was für eine Klappe soll das sein?«

»Weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass das vor einem Jahrhundert zwei verschiedene Redewendungen waren. Sie haben die irgendwie zu einer zusammengesetzt.«

»Vielleicht hatte es ja ursprünglich mit einem Affen zu tun, der gern gesungen hat«, warf Duellos ein, dann begann er zu lachen und Desjani stimmte mit ein. Sogar Tulev ließ sich zu einem Lächeln hinreißen.

Geary konnte diese Reaktionen gut verstehen. Sie alle waren wie berauscht vor Freude. Sie waren von der Nachricht überwältigt, dass der Krieg doch noch ein Ende nehmen würde. Die Senatoren der Allianz hatten sich nicht annähernd so erfreut gezeigt, da ihnen die nachfolgenden Probleme Kopfzerbrechen bereiteten. Das zeigte auch, dass für sie der Krieg immer nur etwas weit Entferntes, fast schon Abstraktes gewesen war. Im Gegensatz zu ihnen hatten die Flottenoffiziere ein Leben lang Tod und Zerstörung aus erster Hand erleben müssen.

Und nun würde er ihnen eröffnen müssen, dass der Krieg zwar vorüber war, ein Frieden aber noch in weiter Ferne lag.

Etwas an seinem Gesichtsausdruck musste ihn verraten haben, denn plötzlich wurde Desjani ernst und fragte besorgt: »Was ist? Sind es die Aliens?«

»Ja, und von denen abgesehen werden wir es mit vielen kleinen Gruppierungen zu tun bekommen, die bislang im Rahmen der Syndikatwelten zusammengeschlossen waren. Wir haben also jede Menge Probleme vor unserer eigenen Tür, und die Aliens versuchen, das zu ihrem Vorteil auszunutzen.« Die aufgekommene Unbeschwertheit wich schnell wieder, als die drei Offiziere hörten, was er zu berichten hatte. »Captain Tulev, ich wäre Ihnen dankbar, von Ihnen eine offene und ehrliche Meinung zu dieser Situation zu hören.«

Tulev sah ihn ausdruckslos an und ließ durch nichts erkennen, dass seine gesamte Familie mit allen Angehörigen vor Jahrzehnten umgekommen war, als die Syndiks seine Heimatwelt mit einem ungeheuren Bombenteppich überzogen hatten. »Sie wollen von mir wissen, ob wir denjenigen helfen sollen, die uns so viel Tod und Zerstörung gebracht haben?« Einen Moment lang saß er schweigend da, schließlich seufzte er. »Meine Vorfahren haben mir vor langer Zeit aufgetragen, dass ich andere vor den Syndiks beschützen soll. Aber sie sagten auch, dass ich bereit sein sollte zu vergeben, weil der Hass sonst meine Seele so zerstört, wie der Krieg alles andere kaputtmacht.«

»Tanya?«

»Was ist?«, fragte sie und wirkte mit einem Mal wütend.

»Ihren Ratschlag. Ich möchte wissen, was Sie denken.«

»Ich denke, das ist alles großer Mist, Sir«, sagte sie und beugte sich vor, während sie schnaubend ausatmete. »Ich kann in der Analyse keinen Denkfehler entdecken. Mindestens zwanzig Sternensysteme, das ist eine Menge, zumal einige dieser Systeme ein erstklassiges Territorium darstellen. Ich wünschte nur, wir wüssten mehr über diese Aliens. Wie kann es sein, dass die Syndiks so wenig über sie herausgefunden haben, wenn es doch seit hundert Jahren Kontakt zu ihnen gibt?«

»Es wäre auch schön, etwas über ihre Bewaffnung zu wissen«, ergänzte Geary. »Oder überhaupt irgendetwas über ihre Schiffe.«

»Mein Gefühl sagt mir, dass wir das alles wohl auf die harte Tour rausfinden müssen«, meinte Desjani und warf Geary einen gereizten Blick zu. »Die Alternative besteht darin, dass wir uns von einem Gegner, über den wir so wenig wissen, einen beträchtlichen Teil eines von Menschen bewohnten Territoriums einfach so wegnehmen lassen.«

»Richtig«, stimmte Geary ihr zu, während sein Blick auf der Darstellung des Midway-Systems ruhte. »Was glauben Sie, wie die Flotte reagieren wird?«

»Das hängt davon ab, was Sie den Leuten sagen werden. Wenn Sie ihnen erzählen, dass wir den Syndiks helfen wollen, wird das nicht so gut ankommen.«

»Und wenn ich sage, es geht darum, die Menschheit zu beschützen. Was wird die Flotte dazu sagen?«

Sie verzog das Gesicht. »Nicht ganz so schlimm, aber es sind Syndiks, die diesen Teil der Menschheit ausmachen, und damit sind wir wieder beim ersten Problem. Etwas verteidigen oder beschützen, das sind alles passive Aktivitäten. Diese Flotte glaubt an den Angriff.«

Er nickte verstehend. »Also soll ich sagen, wir werden den Aliens in den Hintern treten?«

»Den Aliens, die sich in die Angelegenheiten der Menschheit eingemischt haben«, gab Desjani grinsend zurück. »Sie müssen der Flotte Gründe liefern, damit klar wird, dass diese Enigma-Irgendwas bereits die Allianz bedroht haben. Dass sie uns mit dem Kollaps des Hypernet-Portals umzubringen versucht haben.« Sie wurde ernster. »Aber wenn die Flotte den Eindruck bekommt, dass das nur das Vorspiel zu einem neuen endlosen Krieg ist, dann wird die Begeisterung nicht sehr groß sein.«

Duellos hatte sich in der Zwischenzeit das Ultimatum genauer angesehen. »Wer oder was diese Aliens auch sein mögen, auf jeden Fall kennen sie sich mit der Anwaltssprache der Menschen aus. Dieses Dokument könnte ebenso gut von einem menschlichen Anwalt aufgesetzt worden sein.«

»Das war auch die Ansicht der Politiker«, ließ Geary seine Offiziere wissen.

»Vielleicht haben sie ja ein paar von unseren Anwälten entführt«, überlegte Desjani.

»Das könnte erklären, warum sie uns vernichten wollen«, stimmte Duellos den anderen zu. »Was würden wir machen, wenn uns plötzlich ein paar Anwaltsaliens einen Besuch abstatten würden?«

»Ich glaube, das ist längst passiert. Vielleicht sind einige von unseren Anwälten in Wahrheit Aliens.«

»Ich kenne ein paar, auf die das zutreffen könnte.«

Desjani schnaubte und schüttelte den Kopf. »Admiral, Sie fragen uns, ob wir den Kampf gegen diese Aliens aufnehmen sollen, aber das haben wir doch schon längst gemacht. Nämlich bei Lakota, wissen Sie noch?«

»Ja.« Er würde nie den Anblick vergessen, wie sich die Indefatigable, die Defiant und die Audacious opferten, um den Rest der Flotte zu retten. »Ich schätze, wir sind es unseren Toten schuldig, dass wir uns den Aliens in den Weg stellen. Also ein Grund mehr, der dafür spricht.«

Duellos nickte. »Darüber hinaus sagten Sie, dass dieser Boyens kein völlig hoffnungsloser Fall ist.«

»Nun, er scheint in groben Zügen wie unsere Politiker zu sein.«

»Das spricht nicht unbedingt für ihn«, murmelte Desjani.

»Trotzdem«, hielt Duellos dagegen. »Wenn wir die Syndik-Grenzregion retten können und diesen Sternensystemen helfen, ihre eigene politische Koalition zu bilden, dann könnten wir in dieser Region des Alls eine uns freundlich gesinnte Macht etablieren. Zwar nur eine kleine Macht, das ist gar keine Frage, aber immer noch besser als eine ganze Grenzregion, die in viele einzelne Systeme zerfällt.«

»Mit einer solchen Macht, die mit unserer Unterstützung einverstanden ist, würden wir außerdem Zugang zu den von ihr kontrollierten Gebieten erlangen«, ergänzte Tulev. »Das wäre für die zukünftige Verteidigung der Allianz von entscheidender Bedeutung, immerhin müssen wir in der Lage sein, unmittelbar mit diesen Aliens zusammentreffen zu können.«

»Die Aliens treffen nie unmittelbar mit Menschen zusammen«, brummte Desjani.

»Vielleicht können wir daran ja etwas ändern«, gab Geary zu bedenken. »Dann sind wir also alle einer Meinung?« Duellos und Tulev nickten sofort bestätigend, Desjani folgte mit leichter Verzögerung und machte dabei den Eindruck einer Frau, die sich in ihr Schicksal gefügt hatte. »Danke. Es wird sicher interessant werden, welche Reaktionen kommen, wenn ich das allen Offizieren auf einer Flottenkonferenz mitteile. Ich habe keine Ahnung, wie das ankommen wird.«

»Die anderen werden Ihnen folgen«, erklärte Tulev geradeheraus. »Sie haben sie aus der Hölle herausgeführt, und Sie haben sie hierher an diesen Punkt geführt, an dem der Krieg endet.«

»Aber jetzt muss ich ihnen sagen, dass ich ihnen wichtige Informationen vorenthalten habe, die eine ernste Bedrohung dieser Flotte und der Allianz darstellen.«

Desjani und Duellos zögerten, da sie beide überlegten, was sie darauf entgegnen sollten, aber Tulev schüttelte sofort den Kopf. »Ich habe nicht oft das Vergnügen, einen Admiral sagen zu können, dass er sich irrt. Welche wichtige Information wurde denn zurückgehalten? Es ging doch nur um Mutmaßungen, Annahmen, Möglichkeiten. Wir wussten bislang doch nicht mal, dass diese Enigma-Rasse tatsächlich existiert. Die Bestätigung haben wir erst von den Syndiks erhalten.«

»Wir haben wegen der Bedrohung durch die Aliens um Sternensysteme mit Hypernet-Portal einen Bogen gemacht«, wandte Geary ein.

»Wir haben um diese Systeme schon davor einen Bogen gemacht, Admiral, weil die Syndiks dank der Hypernet-Portale zu schnell ihre Streitkräfte verlegen konnten.« Tulev zeigte auf das Sternendisplay. »Welchen Ihrer Befehle hätten Sie anders gegeben, welchen anderen Weg nach Hause hätte die Flotte eingeschlagen, wenn Sie nie auf die Vermutung gekommen wären, dass es diese Aliens geben könnte?«

Geary musterte das Display und ging in Gedanken die lange Heimreise durch. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, dann muss ich sagen, dass mir nichts einfällt, was ich anders gemacht hätte. Wir hätten sogar die Schutzvorrichtung entwickelt, um die Hypernet-Portale der Allianz vor Angriffen durch die Syndiks zu schützen, nachdem uns bewusst geworden war, welche Gefahr sie für unsere eigenen Sternensysteme darstellen.«

»Ganz genau. Sie haben nichts verschwiegen, das Sie zu einer anderen Vorgehensweise veranlasst hätte.« Tulev lehnte sich nach hinten und lächelte flüchtig. »In dieser Hinsicht gibt es für Sie keinen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben.«

Duellos sah zu Tulev, zog eine Augenbraue hoch und nickte schließlich. »Captain Tulev hat recht, Admiral. Selbst bei Lakota haben wir erst anschließend vom Eingreifen der Aliens erfahren, weshalb dieses Wissen keinen Einfluss auf Ihre Befehle hatte.«

Nachdenklich rieb sich Geary übers Gesicht. »Das ist ein gutes Argument, aber wir haben die Systeme unserer Kriegsschiffe von den Würmern der Aliens gesäubert. Andere Offiziere und Matrosen werden sich zu Recht fragen, warum wir ihnen zu dem Zeitpunkt nicht gesagt haben, dass wir eine nichtmenschliche Spezies für die Urheber dieser Würmer vermuteten.«

»Nein, das werden sie nicht«, sagte Desjani. »Sie werden annehmen, dass unsere politische Führung etwas wusste, aber geschwiegen hat. Ihnen wird niemand die Schuld daran geben, sondern den Politikern, weil sie das sonst auch immer machen. Und woher wissen wir, ob das wirklich so verkehrt ist? Wer sagt denn, dass die Allianz-Regierung wirklich niemals etwas über die Existenz dieser Aliens vermutet hat? Die Syndiks haben schließlich auch eisern geschwiegen und den größten Teil ihres Militärs für dumm verkauft. Die Flotte wird Ihnen keine Schuld geben.«

»Aber…« Er hielt inne und dachte darüber nach. Rione hatte erklärt, nichts über die Aliens zu wissen, und das hatte er ihr geglaubt, auch wenn er davon überzeugt war, dass sie ihn belügen würde, wenn sie es für notwendig hielt, um die Allianz zu beschützen. Aber Rione hatte auch zugegeben, dass der Große Rat durchaus Dinge wissen konnte, die er nicht einmal dem übrigen Senat anvertraute. »Also gut, das klingt plausibel.« In dem Moment bemerkte er bei Desjani einen Gesichtsausdruck, den er nicht deuten konnte. »Was ist?«

Sie schwieg beharrlich, woraufhin Duellos seufzend erklärte: »Captain Desjani hat die Wahrheit gesagt. Die Flotte wird Ihnen keine Schuld geben. Nicht in diesem Punkt und auch nicht in anderen Punkten. Dafür glauben alle viel zu sehr an Sie. Wenn doch etwas schiefgeht, muss ein anderer schuld sein. Manchmal sind das die Politiker, manchmal aber auch die militärischen Berater.«

Es dauerte einen Moment, ehe Geary verstand. »Sie? Sie drei?«

»Überrascht Sie das?«, fragte Desjani. »Sie haben doch diesen Dummkopf Badaya gehört. Solange ich das Richtige mache, sollten Sie glücklich sein und in die richtige Richtung gelenkt werden. Wessen Schuld ist es wohl, wenn Sie unglücklich sind?« Die letzten Worte schrie sie fast hinaus, dann verstummte sie und schaute vor sich auf den Tisch. Ihr Gesicht war rot angelaufen.

»Oder wenn Sie versagen?«, beendete Duellos das erneute Schweigen. »Zumindest erwartet von mir niemand, dass ich dafür sorge, dass Sie glücklich sind.«

»Sie sind ein freundlicher Mann, Roberto. Vielleicht sollten Sie es mal versuchen«, schlug Tulev vor und gab damit zum ersten Mal etwas von sich, was einem Witz gleichkam. »Admiral, das ist einfach die Kehrseite der Medaille. Viele sehen in uns diejenigen, denen Sie am stärksten vertrauen. Das ist ein Status, um den uns viele beneiden. Aber wenn Sie scheitern, wird jeder davon ausgehen, dass wir Sie nicht gut beraten haben.«

Na, großartig. Da hatte er alles versucht, um nicht den Eindruck zu erwecken, er würde irgendjemand begünstigen, und dabei war es offenbar schon genug gewesen, sich für Ratschläge auf bestimmte Offiziere zu verlassen. Was war womöglich noch alles so offensichtlich, ohne dass er es merkte?

In harschem Tonfall sprach Desjani, ohne den Blick von der Tischplatte abzuwenden: »Ich habe keine Angst davor, mich für meine dienstlichen Ratschläge zu rechtfertigen, die ich dem Admiral gebe.«

»Das sollen Sie auch gar nicht«, stimmte Duellos ihr zu.

Wieder machte sich betretenes Schweigen breit, dem Geary ein jähes Ende setzte. »Ich danke Ihnen allen. In etwa einer Stunde werde ich eine Flottenbesprechung einberufen und die Neuigkeit bekanntgeben. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass Sie drei unter mir dienen.«

Die virtuellen Bilder von Duellos und Tulev salutierten, wobei Duellos fast übermütig wirkte, während Tulev ruhig und präzise agierte. Dann verschwanden beide Männer aus dem Raum.

Desjani stand auf, ohne ihn anzusehen. »Wenn Sie gestatten, Sir.«

»Ja, natürlich.« Ihm gingen tausend Dinge durch den Kopf, die er ihr hätte sagen wollen, aber die meisten davon hätten vermutlich eine völlig verheerende Wirkung gehabt. Er war sich nicht einmal sicher, ob auch nur ein einziger dieser Gedanken nicht verkehrt gewesen wäre.

Dann aber war sie diejenige, die noch etwas anzufügen hatte, auch wenn sie dabei den Tisch nicht aus den Augen ließ. »Sie haben es nicht erwähnt, aber ich weiß, dass Sie Ihr Versprechen mir gegenüber eingelöst haben. Die Flotte ist heimgekehrt, der Krieg ist vorüber. Sie haben sich nicht dazu verpflichtet, sich das hier – die Aliens, der Trümmerhaufen der Syndikatwelten – auch noch anzutun.«

»Ich würde jetzt nicht einfach weggehen. Ich weiß, ich werde noch gebraucht.« Geary fragte sich, wann sich wohl seine Einstellung geändert hatte, wann ihm bewusst geworden war, dass er eine Flucht vor seiner Verantwortung nicht länger als ehrbar oder als realistisch ansehen konnte. Es ging einfach nicht, dass er die eine Mission ausführte und die Sache danach auf sich beruhen ließ, weil jede neue Mission nahtlos in die nächste Mission überging. »Ich habe eine Verpflichtung gegenüber der Allianz und gegenüber meinen Kameraden in der Flotte.«

»Allen Kameraden?«

»Allen Kameraden. Ich wünschte nur, meine Gegenwart würde nicht einigen von ihnen das Leben schwerer machen, ganz besonders einer Kameradin, die nicht meinetwegen irgendetwas über sich ergehen lassen sollte.«

»Ich bin ja nicht ganz schuldlos. Vielleicht muss ich diese Dinge über mich ergehen lassen, weil sie der Preis sind für… für das, was unausgesprochen bleiben muss.« Dann endlich sah sie ihn an. »Was ist passiert? Warum wollen Sie nicht mehr gehen?«

Er zuckte mit den Schultern, die Frage war ihm unangenehm. »Ich bin mir nicht sicher, aber zu einem großen Teil hat es damit zu tun, dass ich Leute wie Sie, Duellos und Tulev beobachten konnte. Keiner von Ihnen hat aufgegeben, Sie kommen alle Ihrer Pflicht nach, obwohl Sie in diesen Krieg buchstäblich hineingeboren wurden. Sie sind ein großartiges Vorbild dafür, das Richtige zu tun und seine Aufgaben zu erledigen, ganz gleich unter welchen Umständen.«

Sie schaute zur Seite. »Dann… dann bleiben Sie Befehlshaber der Flotte, Admiral?«

»Bis wir zurück in der Allianz sind, wo ich das Kommando über die Flotte abgeben und meinen vorübergehenden Dienstgrad als Flottenadmiral ablegen werde. Wenn man mich braucht, werde ich zur Verfügung stehen, aber zumindest für kurze Zeit werden sich die Dinge anders gestalten.«

»Sie sind extrem starrköpfig. Und verrückt. Das wissen Sie ja, oder?« Sie wollte zur Tür gehen, drehte sich aber noch einmal zu ihm um, wobei ein schwaches ironisches Lächeln ihre Lippen umspielte. »Tun Sie mir einen Gefallen und versuchen Sie, glücklich auszusehen.«

»Jawohl, Ma’am.«

»Aber nicht zu glücklich.«

Es war klar, was jeder glauben würde, was sich zwischen ihnen beiden abgespielt haben musste, wenn er auf einmal zu guter Laune war. »Ja, Ma’am.«

»Und hören Sie auf, Ma’am zu sagen. Sie haben den höheren Dienstgrad.«

»Ja, Tanya.«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, dann schüttelte sie den Kopf, konnte sich ein erneutes Lächeln aber nicht verkneifen und verließ den Konferenzraum.

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