Sechs

Ein Gebrüll wie von einem Rudel Löwen, das seine Beute entdeckt hatte, erfüllte die Brücke der Dauntless, als die Wachhabenden auf den Displays das Syndik-Heimatsystem zu sehen bekamen. Sechs Monate zuvor war die Flotte vor einer überlegenen feindlichen Streitmacht aus diesem System geflohen, sie war um ihr Leben gerannt und hatte dabei schreckliche Verluste erlitten. Und nun war sie zurück. Die Wracks der auf der Flucht zerstörten Syndik-Kriegsschiffe säumten den Weg, den die Flotte damals genommen hatte. »Jetzt haben wir sie«, flüsterte Desjani, in ihren Augen schimmerte ein erwartungsvoller Glanz.

Geary hielt inne, um diesen Augenblick zu genießen, auch wenn er sich vorgenommen hatte, sich durch nichts ablenken zu lassen. Die Allianz-Flotte war in einem Winkel relativ zu der Position eingetroffen, an der sie sich aufgehalten hatte, als Geary das Kommando übernahm, gut ein Viertel entlang des äußeren Randes des Sternensystems vom Sprungpunkt, den die Flotte benutzt hatte, um nach Corvus zu entkommen. Drei Lichtstunden entfernt hing das Hypernet-Portal des Systems im Raum, und selbst auf diese beträchtliche Entfernung konnten die Sensoren der Flotte den dicken Schutzwall aus Minenfeldern unmittelbar vor dem Portal wahrnehmen, so zahlreich und dicht nebeneinander waren die Minen dort platziert worden. Gleich hinter dieser Barrikade warteten zahllose Handelsschiffe, an denen Hunderte SAS festgemacht waren, die sofort zuschlagen sollten, sobald die von den Minen in Mitleidenschaft gezogenen Allianz-Schiffe die Minenfelder hinter sich gelassen hatten. Hinter den Handelsschiffen und nur fünfzehn Lichtminuten vom Hypernet-Portal entfernt hatte sich die Flotte der Syndik-Verteidiger in Position gebracht, lediglich zwölf Schlachtschiffe und sechzehn Schlachtkreuzer, begleitet von immerhin einundsechzig Schweren Kreuzern, fünfzig Leichten Kreuzern und hundertsiebenundneunzig Jägern.

Das Wichtigste war aber die Erkenntnis, dass die Flottensensoren das Vorhandensein einer Schutzvorrichtung am Hypernet-Portal bestätigten. Zwar hatte vonseiten der Allianz niemand erwartet, dass sie fehlen könnte, dennoch wurden durch diese Meldung alle noch verbliebenen Zweifel ausgeräumt.

An anderer Stelle im System flogen ein paar Leichte Kreuzer und einige Jäger zwischen Planeten hin und her, und fast am anderen Ende des Sternensystems fand sich eine kleine Gruppe aus einem einzelnen Schlachtschiff und drei Schweren Kreuzern.

»Ich weiß ja, dass viele dieser Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer neu gebaut worden sind, aber wie kommen die an so viele Eskortschiffe?«, wunderte sich Geary.

»Sie müssen die Verteidigung aus zahlreichen Sternensystemen fast komplett abgezogen haben«, überlegte Desjani. »Wären wir auf direktem Weg hergekommen, hätte es eine Wiederholung des letzten Besuchs der Flotte in diesem System gegeben. Bis wir uns durch das Minenfeld gekämpft hätten, wären schon so viele Schiffe verloren gewesen, dass die Syndiks uns hätten besiegen können.« Ihr Blick wanderte über das Display. »Alles, was sich in einem fixen Orbit befindet, sind entweder auf Schienen montierte Geschütze oder Partikelstrahl-Batterien. Gut, dass Sie mit unseren Steinen sparsam umgegangen sind.«

Das Heimatsystem der Syndiks war ohne jeden Zweifel eine an Zielen reiche Umgebung. Neben den festen Verteidigungsanlagen wiesen die Planeten eine Vielzahl an Städten und Kolonien auf, doch die vorrangig besiedelte Welt wurde auch großflächig von Parklandschaften überzogen, in denen ausladende Villen standen, die mit so großem Abstand zueinander verteilt waren, dass die Bewohner der einen Villa von keinem Bewohner einer anderen gesehen werden konnten. »Sieht ja hübsch aus«, kommentierte Geary.

»Die Hauptwelt, die acht Lichtminuten vom Stern entfernt liegt, ist nahezu perfekt«, stimmte Desjani ihm zu. »Der viereinhalb Lichtminuten entfernte Planet ist viel zu heiß, aber der andere in fünfzehn Lichtminuten Entfernung scheint auch ganz passabel zu sein, weil sich dort etliche Kuppelstädte befinden. Und der zweiunddreißig Minuten entfernte Gasriese eignet sich hervorragend für den Bergbau. Ein gutes Sternensystem. Können wir es knacken?«

»Ja, das können wir. Fangen wir mit den fest installierten Verteidigungsanlagen an. Industrieanlagen und Transportsysteme behalten wir als Druckmittel erst einmal zurück. Die zerstören wir nur, wenn wir die Syndiks anders nicht an den Verhandlungstisch holen können.« Geary gab die Befehle an die Gefechtssysteme der Flotte ein. Er markierte die fixen Verteidigungseinrichtungen auf Planeten, Monden, Asteroiden und künstlichen Satelliten, außerdem Kommando- und Kontrollstationen und die mit den Einrichtungen verbundenen Sensorsysteme, dann ließ er von den automatisierten Systemen einen Bombardierungsplan erstellen. Die Zahl der Ziele war so groß, dass die Gefechtssysteme spürbar Zeit benötigten, ehe sie eine Lösung vorschlagen konnten. Als er die Zahlen sah, konnte sich Geary einen leisen Pfiff nicht verkneifen. »Ich muss veranlassen, dass die Hilfsschiffe mehr Steine für uns produzieren. Das hier wird unseren Bestand ziemlich schwinden lassen.«

Er bewegte den Finger zur Bestätigen-Taste, dann veränderte er eine Einstellung und sah Desjani an. »Machen Sie das.«

»Was?«

»Ich habe Ihnen die Berechtigung übertragen, den Plan zu bestätigen. Machen Sie schon und starten Sie das Bombardement.«

Sie reagierte mit einem angenehm überraschten Lächeln. »Sie wissen, wie man eine Frau glücklich macht. Jedenfalls mich.« Dann nahm ihr Lächeln einen boshaften Zug an. »Vielen Dank, Admiral. Das ist für alle Kameraden, die wir beim letzten Mal hier verloren haben«, verkündete sie und betätigte die Taste.

Überall in der Flotte begannen Kriegsschiffe damit, kinetische Projektile abzuwerfen. Es würde Stunden oder sogar Tage dauern, ehe sie ihr Ziel erreichten, doch wenn sie einschlugen, würden sie das ausgeklügelte Verteidigungsnetzwerk der Syndiks in einen Trümmerhaufen verwandeln.

Im Verlauf dieses hundert Jahre währenden Kriegs hatte das Heimatsystem der Syndiks nie unmittelbar die Auswirkungen der Kampfhandlungen zu spüren bekommen, doch das würde sich jetzt ändern, wie Geary mit einer gewissen Befriedigung feststellen durfte. »Dann wollen wir uns mal diese Syndik-Flotte vornehmen. An alle Einheiten der Allianz-Flotte: Drehen Sie bei Zeit drei null nach backbord vier zwei Grad und nach unten null eins Grad.« Die Formation würde er erst mal eine Weile beibehalten, bis er erkennen konnte, wie die Syndiks reagierten. Auch wenn bislang alles nach Plan verlaufen war, machte ihm die Sorge zu schaffen, dass die Syndiks irgendwelche Fallen im System platziert hatten, die ihnen bislang bloß noch nicht aufgefallen waren. »Halten Sie wie bisher Ausschau nach Hinweisen auf weitere Minenfelder in diesem Sternensystem.«

Nachdem er die Flotte auf den Weg geschickt hatte, wurde es Zeit, sich dem Grund zu widmen, der sie eigentlich hergeführt hatte. Er rief die Geheimdienstabteilung an Bord der Dauntless: »Lieutenant Iger, wie exakt können Sie mir angeben, wo sich in diesem System der Syndik-Exekutivrat befindet?«

Igers Gesichtsausdruck war der eines Untergebenen, der wusste, dass die Antwort seinen Vorgesetzten nicht zufriedenstellen würde. »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir Ihnen exakte Koordinaten geben können. Momentan scannen wir alle unverschlüsselten Nachrichten, ob sich Hinweise finden. Außerdem versuchen wir, aus verschlüsselten Übermittlungen so viel wie möglich herauszuholen. Wahrscheinlicher ist es aber, dass wir nur mit den Sendungsprioritäten im Komm-Netz dieses Systems weiterkommen.«

»Sie können die Sendungsprioritäten lesen?«

»Nein, Sir, nicht im eigentlichen Sinn. Aber wir können feststellen, welche Übertragungen von den Routern im Sternensystem vorrangig weitergeleitet werden. Indem wir die zu ihrem Ursprung zurückverfolgen, können wir in einem groben Rahmen feststellen, wo derjenige sitzt, der dazu autorisiert ist, die größte Anzahl an Übertragungen mit hoher Priorität zu senden.«

Das klang vielversprechend. »Und wie grob ist dieser Rahmen?«

Das Unbehagen des Geheimdienstoffiziers wurde noch offensichtlicher. »Sobald eine Nachricht in ein geschlossenes Übertragungssystem gelangt, können wir sie nicht mehr zurückverfolgen. Das wäre zum Beispiel eine Orbitaleinrichtung… oder ein Planet.«

»Ein Planet?« Geary sah Iger ungläubig an. »Soll das heißen, Sie können mir nur sagen, dass sich die Quelle irgendwo auf einem Planeten befindet?«

»Vermutlich ja, Sir«, erläuterte Iger. »Sobald wir uns auf Planetenebene bewegen, haben wir es mit allen möglichen Übertragungsmethoden zu tun, die wir von hier draußen nicht überwachen können. Zum Beispiel unterirdisch verlegte Kabel. Außerdem liegen Kommandoknoten auf Planeten meist extrem abgelegen, damit man bei drahtlosen Übertragungen nicht die Position des Absenders feststellen kann. Aber wir sollten Ihnen auf jeden Fall sagen können, auf welchem Planeten der Syndik-Exekutivrat zu finden ist.«

Es war eindeutig eine Erklärung und keine Entschuldigung, weshalb Geary verstehend nickte. »Also gut. Wie lange wird es dauern, bis Sie mir diese Informationen geben können?«

»Das hängt davon ab, wie engmaschig das Syndik-Netz ist. Ein paar Stunden mindestens, aber maximal weniger als ein Tag. Admiral, wenn irgendeine Quelle bessere Informationen liefert, werden wir den Exekutivrat auch schneller und präziser lokalisieren können. Wir sollten nur nicht darauf bauen, dass wir so bald genau diese Informationen bekommen.«

»Verstehe. Haben Sie schon irgendwelche Kriegsgefangenenlager identifizieren können?«

Iger schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Nichts sieht nach einem Kriegsgefangenenlager oder einem Arbeitslager aus, und es ist auch kein Komm-Verkehr zu diesen Themen feststellbar. Aber wir halten weiter Ausschau.«

»Gut, aber Vorrang hat die Suche nach dem Standort der Syndik-Führung. Geben Sie mir Bescheid, sobald Sie etwas haben. Und halten Sie sich ran.« Er kannte Iger inzwischen gut genug, um zu wissen, dass seine Wortwahl den Mann dazu veranlassen würde, seine Abteilung auf Hochtouren arbeiten zu lassen.

Weniger als ein Tag, aber mindestens einige Stunden. Das war einfach viel zu viel Zeit, in der die Syndiks weitere Angriffe planen konnten, ehe sie zu Verhandlungen bereit sein würden. Aus Erfahrung wusste Geary, dass man leichter die Ausarbeitung eines Plans als seine Umsetzung verhindern konnte.

Da er seine Nachricht noch nicht an eine bestimmte Position schicken konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sie systemweit zu senden. Bevor er damit begann, setzte er sich zunächst gerader hin. »An die Mitglieder des Exekutivrats der Syndikatwelten: Hier spricht Admiral Geary, Befehlshaber der Allianz-Flotte. Wir sind gekommen, um diesem Krieg zu Bedingungen ein Ende zu setzen, die beide Seiten akzeptieren können. Wir werden den Krieg nach Möglichkeit durch Verhandlungen beenden, notfalls aber auch durch Gewaltanwendung. Dieser Übertragung folgt eine Liste mit Vorschlägen, die die Grundlage eines Friedensvertrags bilden sollen. Sehen Sie sich diese Liste sobald wie möglich an und reagieren Sie zustimmend darauf. Die Allianz-Streitkräfte in diesem System werden ihre Offensiven fortsetzen, bis ein Vertrag zustande gekommen ist.« Rione hatte das als einen Weg vorgeschlagen, um die Syndiks daran zu hindern, Verhandlungen so lange wie möglich hinauszuzögern. »Auf die Ehre unserer Vorfahren.«

Kaum hatte er geendet, hörte Geary Lärm vom hinteren Teil der Brücke. Verärgert drehte er sich um und sah, dass Rione mit den beiden anderen Senatoren dastand und sich mit ihnen über irgendetwas zu streiten schien. Desjanis Blick ließ vermuten, dass sie überlegte, ob sie die drei wohl verhaften lassen konnte, ohne sich damit Ärger einzuhandeln. »Entschuldigen Sie«, sagte Geary lauter als üblich, »aber wir stehen hier einer starken Streitmacht der Syndiks gegenüber, und es wäre uns lieber, wenn wir dabei nicht gestört würden.«

»Auch wenn wir damit schon eine ganze Weile leben müssen«, fügte Desjani leise genug hinzu, um von den Politikern nicht gehört zu werden.

Senatorin Costa machte eine großspurige Geste. »Admiral Geary, wir versuchen nur, einen gerechten Plan auszuarbeiten, wer wann den Beobachterposten auf der Brücke einnehmen kann.«

So, dass Costa und Sakai davon nichts sehen konnten, machte Rione eine entschuldigende Geste in Gearys Richtung. »Vielleicht sollten wir diese Diskussion woanders führen«, schlug sie vor, »wo wir die Besatzung nicht stören.«

»Zum Beispiel in der Arrestzelle«, murmelte Desjani.

»Tanya«, warnte Geary leise, dann hob er seine Stimme wieder an. »Ein guter Vorschlag, Madam Co-Präsidentin. Machen Sie das bitte unter sich aus.« Er wollte sich nicht einmischen, da er ansonsten fürchtete, die Geduld mit den Politikern zu verlieren und ihnen vorzuschreiben, wann wer auf der Brücke sein durfte. So etwas konnte allzu schnell zu einer Gepflogenheit werden, und er wollte sich nicht angewöhnen, Politiker herumzukommandieren, weil es genügend Leute in der Flotte und in der Allianz gab, die sich genau das von ihm wünschten.

Sakais Einstellung war nur schwer auszuloten, aber er war bereit, die Brücke zu verlassen. »Gut, Admiral. Wir gehen davon aus, dass wir umgehend benachrichtigt werden, wenn die feindliche Streitmacht eliminiert worden ist.«

Aus Sakais Mund hörte sich das an, als sei es eine reine Formsache, die Syndik-Flotte zu eliminieren, dachte Geary, aber nach außen hin nickte er nur und sagte: »Selbstverständlich.«

»Ich bin sehr stolz«, fuhr Sakai fort, »hier so viele tapfere Bürger von Kosatka zu sehen, die in dieser Schlacht eine so entscheidende Rolle spielen. Ohne ihr Opfer könnten wir heute nicht hier stehen.«

Desjani verdrehte die Augen, was Sakai nicht sehen konnte, und sagte dann in einem respektvollen Ton: »Vielen Dank, Senator.« Auch die Wachhabenden auf der Brücke gaben knappe, aber höfliche Bemerkungen von sich, dann zogen sich die drei Senatoren zurück.

Es wunderte Geary nicht, dass Senatorin Costa kurze Zeit darauf wieder auf die Brücke kam und den Platz im Beobachtersessel einnahm. Er war davon ausgegangen, dass Rione einen ihrer Kollegen für eine Weile den Platz überlassen würde, da sie aus Erfahrung wusste, dass erst einmal für Stunden Ruhe herrschte. Immerhin dauerte es ja zunächst noch zwei Stunden, bevor die Syndik-Flotte, die das Hypernet-Portal bewachte, die Ankunft der Allianz-Flotte überhaupt wahrnehmen konnte. Und erst fast drei Stunden danach würde man sehen, wie die Syndiks darauf reagierten.

Nach einer Stunde war noch immer nicht viel geschehen, außer dass die Allianz-Flotte weiter auf die Syndiks zusteuerte und dass ein paar kinetische Geschosse die in der Nähe befindlichen gegnerischen Verteidigungsanlagen trafen. Costa war inzwischen etwas unruhig geworden. Eine Stunde später hatte sich noch immer nichts Nennenswertes ereignet. 0,1 Lichtgeschwindigkeit hörte sich nach hohem Tempo an, was auch zutraf, bewegte sich doch die Flotte mit rund dreißigtausend Kilometern in der Sekunde durchs All. Doch angesichts der gewaltigen Entfernungen, die es zu überwinden galt, konnte sich sogar diese Geschwindigkeit manchmal so anfühlen, als würde man im Schneckentempo unterwegs sein. Da zehn Stunden erforderlich waren, um die Strecke einer einzelnen Lichtstunde zurückzulegen, und da der Feind fast drei Lichtstunden entfernt war, würde es weit über einen Tag dauern, ehe ein Gefecht überhaupt in greifbare Nähe rückte.

»Inzwischen sollten sie uns entdeckt haben«, merkte Desjani an Geary gerichtet an und war dabei laut genug, dass Costa sie hören konnte. »Nur noch drei Stunden, dann wissen wir, wie sie reagieren werden.«

Die bereits gelangweilt dreinblickende Costa verzog entsetzt den Mund.

Geary stand auf. »Ich muss ein wenig spazieren gehen, um in Ruhe nachzudenken. Lassen Sie mich wissen, wenn sich vor Ablauf der drei Stunden etwas ereignet.«

»Wird gemacht, Sir.«

Als er zwei Stunden später auf die Brücke zurückkehrte, hatte Rione wieder den Beobachterplatz eingenommen, doch sie machte nicht den Eindruck, dass sie sich darüber freute, die Rotation unter den Senatoren so eingeteilt zu haben, dass sie die beste Schicht hatte. Stattdessen glaubte Geary bei ihr einen besorgten Gesichtsausdruck zu bemerken. »Was ist los?«

»Ich weiß nicht.«

Da sie sich weiter nicht äußerte, setzte sich Geary wieder auf seinen Platz und nickte Desjani zu, die ebenfalls irgendwie irritiert wirkte. »Wie sieht es da draußen aus?«

»Gut.« Trotzdem schien sie sich darüber nicht zu freuen.

»Woran stören Sie sich?«, wollte Geary wissen.

»Das kann ich nicht sagen, Admiral. Woran stören Sie sich?«

»Das kann ich auch nicht sagen.«

Die Minuten zogen sich zäh dahin, aber schließlich blinkten Warnlichter auf dem Steuerdisplay auf, da sich die Syndik-Flotte in Bewegung gesetzt hatte.

»Sie weichen dem Kampf aus«, stellte Desjani verblüfft fest.

Die Kriegsschiffe der Syndiks hatten abgedreht und verließen ihre Positionen in der Nähe des Hypernet-Portals, jedoch nicht auf einem Vektor, der sie zu den näher kommenden Schiffen der Allianz geführt hätte. »Ich frage mich, wohin sie wollen«, wunderte sich Geary. Falls die feindliche Flotte vorhatte, sich immer wieder außer Reichweite der Allianz-Streitmacht zu begeben, würde sie als lästige und konstante Bedrohung über allem schweben. Im Normalraum konnten Menschen mit der Physik spielen, beispielsweise in der Gestalt von Trägheitsdämpfern, die es ihnen erlaubten, so schnell zu beschleunigen und abzubremsen, dass Schiffe und Besatzungen unter gewöhnlichen Umständen von den Fliehkräften zerrissen worden wären. Aber niemand hatte bislang einen Weg gefunden, wie man die simplen Faktoren Entfernung und Zeit in den Griff bekommen konnte. Die Syndiks waren einfach zu weit entfernt, als dass die Allianz-Flotte eine Chance gehabt hätte, sie zu fassen zu bekommen. Für ein Gefecht mussten die Syndiks schon deutlich näher herankommen, doch im Augenblick schienen sie daran nicht interessiert zu sein.

»Wo immer die auch hin wollen, sie wollen auf jeden Fall nicht zu uns«, sagte Desjani, als die berechneten Vektoren sich von Kegeln zu immer dünner werdenden Linien veränderten, da die Syndiks ihren Kurs und die beabsichtigte Geschwindigkeit erreichten. »Sieht aus, als wollten sie ein Segment des Systems durchqueren. Sie fliegen zwar nicht von uns weg, aber nennenswert näher kommen sie auch nicht.«

Hatten die Syndiks beschlossen, lieber zu verhandeln, anstatt einen aussichtslosen Kampf zu beginnen? Bislang war bei Geary noch keine Reaktion auf seine im System ausgestrahlten Forderungen eingegangen. »Sie bleiben eine Bedrohung, aber wir erreichen sie nicht. Auch gut, dann nehmen wir eben Kurs auf den Planeten mit der höchsten Bevölkerungsdichte. Damit kann die Syndik-Flotte dann gut zwei Tage lang darüber nachdenken, ob sie wirklich tatenlos zusehen will, wie wir uns zu ihren Führern begeben und ihnen die Pistole an den Kopf setzen. Entweder sie kämpfen, oder wir gewinnen.« Sehr befriedigend kam ihm das alles nicht vor, aber es schien die beste Lösung zu sein.

»Wenn wir sie nicht einholen können, müssen wir sie eben dazu zwingen, dass sie zu uns kommen«, stimmte Desjani ihm unüberhörbar frustriert zu.

Die Flotte drehte bei und nahm Kurs auf den Planeten, der in nur acht Lichtminuten den Stern dieses Systems umkreiste.

Weitere zehn Stunden vergingen wie im Schneckentempo, in deren Verlauf immer mehr feste Verteidigungsanlagen auf ihren Bahnen vom Allianz-Bombardement getroffen wurden. Ein Sperrfeuer aus kinetischen Projektilen wurde von einigen der weiter entfernten Einrichtungen auf die Allianz-Flotte abgefeuert, die so entlegen waren, dass die Steine der Allianz sie noch nicht erreicht hatten. Der Flotte blieben buchstäblich Tage Zeit, um den Projektilen auszuweichen, weshalb niemand sich die Mühe machte, ihretwegen besorgt zu sein.

Als dann endlich eine Nachricht von den Syndiks eintraf, stammte die nicht von einem der Planeten. »Wir haben eine Übertragung vom Flaggschiff der Syndik-Flotte«, meldete der Komm-Wachhabende.

Geary überkam ein Déjà-vu-Gefühl, als das Bild auf dem Display auftauchte. Er hatte schon einmal in diesem Sessel gesessen, an Bord dieses Schiffs – und dabei das Gesicht dieses Syndik-CEO gesehen. »Er?«

»Der gleiche Mann, der zuletzt auch die Syndik-Streitkräfte in diesem System befehligt hat… und der die Ermordung von Admiral Bloch und dessen Begleitern angeordnet hat«, bestätigte Desjani, deren Tonfall mit jedem Wort härter wurde. Sie hatte Admiral Bloch nicht bewundert, doch das änderte nichts an ihrer Wut über die Tatsache, dass er und seine Leute unter dem Vorwand von Verhandlungen von Bord gelockt worden waren, um sie töten zu können.

»Ja, genau der.« Geary sah noch deutlich vor sich, wie dieser CEO die bedingungslose Kapitulation jenes Teils der Flotte gefordert hatte, der dem Hinterhalt entgangen war. Wenn er gewollt hätte, wäre er in der Lage gewesen, die Aufzeichnung jener Szene abzurufen, die zeigte, wie Bloch und die anderen auf dem Hangardeck des gegnerischen Schiffs erschossen wurden. Alte Wut flammte in Geary auf, als er nun wieder in dieses Gesicht sah.

Der Syndik-CEO auf dem Bildschirm lächelte, als wüsste er genau, dass sie ihn wiedererkannt hatten, und als wollte er ihnen zeigen, wie sehr er sich an ihren Reaktionen erfreute. »Die Syndikatwelten grüßen Admiral Geary. Ich bin CEO Ersten Grades Shalin.«

»Er trägt mehr Orden als letztes Mal«, flüsterte Desjani mit kaum beherrschter Wut. »Auszeichnungen für das, was er unserer Flotte angetan hat.«

CEO Shalin redete weiter. »Wir sind bereit, im Interesse der Menschheit einen Waffenstillstand in diesem System anzubieten. Und wir sind geneigt, Verhandlungen mit Ihrer Flotte aufzunehmen.«

Geary starrte das Bild an und fragte sich, ob er selbst wohl vor Unglauben den Mund nicht mehr zubekam, ohne dass er es wusste. Dass dieser Mann jetzt von Verhandlungen sprach, nachdem er die letzten »Verhandlungen« in ein Massaker verwandelt hatte, war der blanke Hohn.

»In diesem Sternensystem befindet sich eine Reihe von Kriegsgefangenen«, fuhr der CEO fast beiläufig fort. »Es handelt sich um Personal, das wir nach dem letzten Besuch Ihrer Flotte hier bei uns festgenommen haben. Diese Gefangenen sind weit verstreut an den verschiedensten Orten untergebracht, und wäre wirklich zu bedauerlich, wenn sie durch Bombardierungen zu Schaden kämen. Ich erwarte Ihre Antwort und vertraue darauf, dass Sie nicht zu Maßnahmen greifen, die die angespannte Atmosphäre und die Zahl der Opfer eskalieren lassen.«

Das Gesicht verschwand vom Bildschirm, und Geary schüttelte ungläubig den Kopf. »Was sollte denn das? Wollen die uns ärgern?«

»Das ist ihnen schon gelungen«, knurrte Desjani.

»Würden sie wirklich unsere Leute in ihren Verteidigungsanlagen unterbringen?« Die Antwort darauf kannte er längst, dennoch benötigte er eine Bestätigung. Der Geheimdienst hatte noch immer keine Gefangenenlager entdeckt, was bedeuten musste, dass die Allianz-Angehörigen in relativ kleinen Gruppen im System verstreut gefangen gehalten wurden.

»Ja, das würden sie.« Auch Desjani konnte nur den Kopf schütteln. »Aber es ist unsinnig, jetzt noch diese Drohung auszusprechen, nachdem wir bereits die Steine abgeworfen haben. Die können wir nicht aufhalten, und die Erklärung, dass sich unsere Leute dort befinden sollen, führt zu nichts.«

Er hatte auf die Syndik-Nachricht genauso reagiert wie Desjani. »Das ist der Sinn! Er will uns wütend machen, damit wir die Beherrschung verlieren und unüberlegt handeln. Wir haben diese Taktik gegen die Syndiks eingesetzt. Ich wüsste keinen anderen Grund für den Tonfall und die Wortwahl dieses Mannes.« Er überlegte kurz, dann drehte er sich zu Senator Sakai um, der inzwischen den Beobachterplatz auf der Brücke innehatte und bislang aufmerksam das Geschehen mitverfolgt, aber keinen Kommentar zum Besten gegeben hatte. »Senator, können Sie irgendetwas dazu sagen?«

Ohne eine Miene zu verziehen, erwiderte Sakai: »Nichts, was über Ihre und Captain Desjanis Überlegungen hinausgehen würde, Admiral. Ich bin Ihrer Meinung, dass die Nachricht des feindlichen Commanders darauf abzielte, Sie zu unüberlegtem Handeln zu provozieren. Allerdings bin ich nur mit den Tricks und Taktiken vertraut, mit denen auf dem politischen Parkett gefochten wird, nicht aber auf einem richtigen Schlachtfeld. Ich weiß nicht, zu welchen Aktionen die Syndiks uns herausfordern wollen, und im Moment weiß ich auch nicht, was ich noch dazu sagen könnte.«

»Danke, Senator.« Zumindest war Sakai intelligent genug, seine eigenen Grenzen zu erkennen und auch zu ihnen zu stehen. »Captain Desjani, leiten Sie bitte eine Kopie dieser Nachricht an Co-Präsidentin Rione weiter. Ich würde gern ihre Einschätzung zu den Absichten der Syndiks hören.«

Desjani gab einem Wachhabenden ein Zeichen, damit er die Aufgabe erledigte. »Wenn ich in Waffenreichweite dieses Mannes komme, und ich bete zu den lebenden Sternen, dass mir das gelingt, dann werde ich seine ewige Seele in so viele winzige Stücke zerschießen, dass nicht mal seine Vorfahren in der Lage sein werden, sie wieder zusammenzufügen.«

Ein gedämpfter Alarm ertönte und lenkte Gearys Blick auf das Display. »Die Syndik-Flotte hat Kurs auf uns genommen.«

Desjanis Augen leuchteten auf, während sie auf ihr eigenes Display schaute. Nach einigen Minuten hatten die Syndik-Schiffe ihren neuen Kurs eingeschlagen, aber Desjani machte eine mürrische Miene. »Sie haben sich unserer Steuerbordseite genähert, aber auf diesem Kurs passieren sie uns immer noch mit einem Abstand von gut einer Lichtstunde. Wenn wir auf Abfangkurs gehen, können sie uns nach wie vor mühelos ausweichen.«

»Was haben sie vor?«, rätselte Geary. »Erst ärgern sie uns, und dann bleiben sie doch außer Reichweite. Was erwarten die nur von uns?«

Desjani atmete tief und gleichmäßig durch, da sie ihre eigene Wut in den Griff bekommen musste, dann sah sie Geary an. »Erinnern Sie sich noch an Sutrah? Und Corvus?«

Es gefiel ihm nicht, über diese Kämpfe nachzudenken, in die er diese Flotte kurz nach Übernahme des Kommandos geführt hatte. Dennoch wusste er sofort, auf was sie hinauswollte. »Damals wäre diese Flotte auf den Gegner losgegangen, obwohl jeder wusste, dass es nicht möglich wäre, sie abzufangen.«

»Weil der Angriff immer die richtige Lösung war, und weil wir erwartet hätten, dass uns die Syndiks entgegenstürmen.« Desjani legte die Stirn nachdenklich in Falten. »Dieser CEO ist derjenige, an dem wir uns vor allem rächen wollen. Er sagt Dinge, die uns dazu provozieren sollen, ihn zu verfolgen, während seine Schiffe sich immer außerhalb unserer Reichweite bewegen.«

»Sie wollen uns so wütend machen, dass wir ihnen nachstellen, obwohl wir keine Chance haben, sie einzuholen.« Geary lehnte sich nach hinten und suchte sein Display nach irgendeinem Detail ab, das er bislang übersehen hatte. »Aber warum? Welchen Sinn hat das? Wir würden doch ein Minenfeld entdecken, das uns den Weg versperrt, und außerdem zwingen sie uns zu keinem engen Kurs, bei dem wir mit Minen in Berührung kommen könnten. Ist das eine Verzögerungstaktik? Aber das würde allenfalls ein paar Tage bringen, spätestens dann hätte die Flotte keine Lust mehr auf diese sinnlose Verfolgungsjagd.«

»Wenn unsere Formation zerfällt und die Flotte in die Länge gezogen wird, dann könnten sie auf einzelne Schiffe schießen, die sonst durch die anderen geschützt wären«, gab Desjani zu bedenken.

»Das wäre denkbar. Wenn unsere Schlachtkreuzer zum Beispiel zu weit vorstürmen, dann hätten sie eine Chance, diese Schiffe zu treffen. Aber wir wären zahlenmäßig immer noch deutlich überlegen.« Dann kam ihm eine andere Erklärung in den Sinn. »Könnten sie uns hinhalten, weil sie mit… Unterstützung rechnen?«

Desjani stutzte. »Unterstützung von außen?«, gab sie zurück und mied es, die Aliens zu erwähnen. »Warum sollten die Syndiks ihnen auf einmal wieder vertrauen?«

»Vielleicht weil es ihre einzige Chance ist. Aber warum wollen sie uns dann zu einer sinnlosen Verfolgung anstiften, wenn sie das Gleiche doch auch erreichen könnten, indem sie einfach anfangen mit uns zu verhandeln und dabei die Verhandlungen hinauszögern?« Das waren zu viele Fragen, auf die es keine befriedigenden Antworten gab. »Bleiben wir erst mal auf Kurs und warten, was sie machen, wenn sie merken, dass wir nicht mitspielen.«

»Wollen Sie diesem Abschaum eine Antwort senden?«, fragte Desjani.

»Noch nicht.« Zum Teil, weil er nicht wusste, ob er tatsächlich die Ruhe bewahren konnte, wenn er mit diesem Syndik reden musste, zum Teil aber auch, weil er erst mehr erfahren wollte, bevor er sich auf eine Antwort festlegen musste.

Eine halbe Stunde später und damit deutlich, bevor die Syndiks die Reaktion der Allianz-Flotte auf ihr vorangegangenes Manöver sehen konnten, änderten sie die Flugbahn ihrer Schiffe abermals nach Steuerbord und schwenkten so auf einen Vektor ein, der in gut drei Tagen den Kurs der Allianz-Flotte kreuzen würde. »Jetzt müssen wir nicht mal unseren Kurs ändern«, stellte Desjani finster fest. »Ich möchte diese Bastarde zu gern in Stücke schießen, aber wenn sie wirklich kämpfen wollten, würden sie uns viel eher abfangen. Die werden einfach wieder ausweichen, sobald wir ihnen zu nahe kommen.«

»Dann müssen wir sie also gar nicht jagen, und trotzdem sind sie für den Augenblick glücklich, wenn wir weiter so verfahren, wie wir das schon die ganze Zeit machen.« Geary betrachtete mit zusammengekniffenen Augen sein Display, als könnte er so irgendwelche verborgenen Objekte erkennen. »Und auf unserem Kurs befindet sich nichts, was für uns eine Bedrohung darstellen könnte?«

»Überhaupt nichts, es sei denn, sie haben bei der Technologie ihrer getarnten Minen auf einmal einen Quantensprung gemacht.«

Das war theoretisch im Bereich des Möglichen, weil die Aliens den Syndiks dabei unter die Arme gegriffen haben könnten, überlegte Geary. Aber die Syndiks hatten nicht vorhersehen können, dass die Allianz-Flotte auf diesem Weg ins System kommen würde. Folglich konnten sie auch nicht in Erwartung ihres Auftauchens Minenfelder gelegt haben, in die sie sie jetzt hineinzulocken versuchten. Warum aber genügte es den Syndiks, die Allianz-Schiffe hinter sich her fliegen zu lassen?

Als Rione auf die Brücke kam, dachte er noch immer über diese Frage nach. »Wir glauben, dieser CEO will uns zu einem Angriff verleiten. Was meinen Sie?«, fragte Geary sie.

»Das ist möglich«, erwiderte Rione und setzte sich, nachdem Senator Sakai seinen Platz geräumt hatte, aber neben dem Beobachtersessel stehen blieb. »Aber die Lage liefert keinen vernünftigen Grund zu der Annahme, dass diese Taktik erfolgreich sein könnte. Ich hätte erwartet, dass die Syndik-Führer versuchen, Zeit zu schinden. Aber das hier ist etwas anderes… ein Versuch, unsere Aufmerksamkeit auf die Flotte gerichtet zu lassen. Gibt es in diesem Sternensystem irgendetwas, das wir nicht bemerken sollen?«

Mit dieser Frage im Hinterkopf betrachtete er sein Display, dann zeigte er auf etwas. »Ich hatte erwartet, dass dieses Schlachtschiff dort und die drei Schweren Kreuzer sich der Flotte anschließen würden, aber stattdessen warten sie einfach da, während sich die Flotte ihnen allmählich nähert.«

»Sie befinden sich in der Nähe eines Sprungpunkts«, betonte Desjani. »Nach Mandalon. Ich weiß allerdings nicht, warum die Syndiks diese Schiffe abstellen, um einen Sprungpunkt bewachen zu lassen. Vielleicht erwarten sie Verstärkung, die durch diesen Sprungpunkt kommen soll, und die Flotte nähert sich ihnen, um sich mit der Verstärkung zusammenzuschließen.«

»Das wäre denkbar.« Geary rieb sich den Nacken, während er dahinterzukommen versuchte, was die Syndiks beabsichtigten. »Sie gehen davon aus, dass sie früher oder später gegen uns kämpfen müssen, und wenn sie erst die Ankunft ihrer Verstärkung abwarten wollen, dann würde das ihr Verhalten erklären. Wenn die Syndik-Flotte einfach nur entkommen wollte, hätte sie das Hypernet-Portal nehmen oder auf direktem Kurs zum Sprungpunkt fliegen können.«

»Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre«, sagte Rione. »Aber ein Schlachtschiff und drei Schwere Kreuzer mehr werden doch das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Flotten nicht entscheidend verändern. Außerdem kann keine nennenswerte Verstärkung unterwegs sein, es sei denn, unsere Geheimdienste liegen völlig verkehrt. Also fehlt noch irgendetwas, das wir nicht sehen sollen.« Kopfschüttelnd sah sie sich ihr Display an. »Die Syndik-Führung ist an der Macht geblieben, weil sie zu allen Mitteln greift, um diese Macht zu behalten. Sie wissen, dass Sie jede von deren Flotten besiegt haben, und sie wissen, dass ihre festen Verteidigungsanlagen in diesem Sternensystem keine gegnerische Flotte vernichtend schlagen können. Wir haben gesehen, welchen Hinterhalt sie am Hypernet-Portal eingerichtet hatten, weil sie von dort unsere Ankunft erwarteten. Es war eine gründliche und todbringende Falle, aber es ist nicht das erste Mal, dass die Flotte unter dem Kommando von Admiral Geary dem sicheren Untergang entwischen konnte. Welchen Trumpf halten sie noch in der Hand? Was können die Syndik-Führer tun, wenn alle anderen Versuche gescheitert sind, den Mann aufzuhalten, den sie auch zuvor nicht aufhalten konnten?«

Mit übertriebener Geduld gab Desjani zurück: »Madam Co-Präsidentin, die Sensoren unserer Flotte sind nicht unfehlbar, aber wir haben dieses System wiederholt gescannt. Es ist keine Überheblichkeit, wenn ich sage, dass wir alles erfasst haben, was die Syndiks hier haben. Sie haben sich in ihrer Planung auf den Hinterhalt konzentriert, mit dem sie diese Flotte am Hypernet-Portal zerstören wollten.«

»Mir ist bewusst, was die Sensoren melden.« Riones Tonfall blieb unverändert emotionslos, während sie auf ihr Display sah. »Irgendetwas fehlt hier. All meine Instinkte sagen mir, dass die Syndiks irgendeine Rückversicherung haben müssen, ein letztes Mittel für den allzu wahrscheinlichen Fall, dass Black Jack Geary wieder einmal ein Wunder bewerkstelligt.«

Geary sah zwischen Rione und Desjani hin und her, während ihm seine eigenen Vorbehalte wieder durch den Kopf gingen. »Das Verhalten der Syndik-Flotte legt den Verdacht nahe, dass sich hier noch irgendetwas anderes abspielt. Aber wenn es tatsächlich eine Bedrohung gibt, die groß genug ist, um diese Flotte in Gefahr zu bringen, dann haben wir sie bislang nicht finden können. Was kann das sein?«

Zum ersten Mal meldete sich daraufhin Sakai zu Wort: »Wie ich bereits sagte, habe ich wenig direkte Erfahrung mit militärischen Angelegenheiten, aber ich kenne mich darin aus, mit Gegnern auf eine Weise umzugehen, die sie nicht erwarten. Wenn das, was Sie suchen, hier ist, und wenn Sie davon überzeugt sind, dass wir alles gesehen haben, dann haben wir das Gesuchte bereits gesehen, ohne zu wissen, welche Bedeutung ihm zukommt.«

»Vielleicht haben die Leute vom Geheimdienst ja noch etwas entdeckt. Es ist deren Job, herauszufinden, ob irgendeiner Sache eine Bedeutung zukommt.« Wieder wandte sich Geary an Lieutenant Iger, der diesmal eine Miene machte, als habe er etwas zu berichten, das seinen Vorgesetzten überhaupt nicht erfreuen würde. »Lieutenant, können Sie mir irgendetwas über mögliche Bedrohungen in diesem System erzählen, die bislang nicht als solche zu erkennen gewesen sind?«

Iger schien diese Frage zu erschrecken. »Nein, Sir. Es gibt nichts, was wir nicht längst gemeldet haben. Wir haben alle Daten über mögliche Bedrohungen in die Gefechtssysteme eingespeist. Allerdings wollte ich mich noch bei Ihnen melden, Sir, wenn wir mit der dritten Überprüfung unserer Analyse des Syndik-Netzes fertig sind. Da scheint sich irgendetwas Eigenartiges abzuspielen.«

Noch etwas Eigenartiges. Wieso auch nicht? »Und was soll das sein?«

»Sir, es geht um den Standort des Syndik-Exekutivrats.« Lieutenant Iger stutzte, als er etwas auf seinem eigenen Display sah, dann zuckte er hilflos mit den Schultern. »Wir haben einen Standort lokalisieren können, der innerhalb des Netzes höchste Priorität besitzt.«

»Auf welchem Planeten?«, hakte Geary ungeduldig nach.

»Auf gar keinem Planeten, Sir. Es handelt sich um die kleine Gruppe von Kriegsschiffen am Sprungpunkt nach Mandalon.«

Geary schaute auf sein Display. »Die sind auf dem Schlachtschiff?«

»Das ist unsere Einschätzung, Sir. Wie gesagt, wir waren noch mit der Analyse…«

»Wieso? Was wollen sie auf einem Schlachtschiff?«

»Wir müssen davon ausgehen, dass sie die Flucht antreten wollen, Sir.«

»Aber wenn die Syndik-Führer sich auf diesem Schiff aufhalten, damit sie fliehen können, warum haben sie das dann nicht schon längst gemacht? Es wäre doch logischer, das System zu verlassen, bevor wir eintreffen, damit ihre Flucht nicht so offensichtlich wird. Und wie wollen sie ihre Autorität wahren, wenn sie sich aus dem Heimatsystem absetzen?«

Igors Gesichtsausdruck bekam einen bedauernden Zug. »Sir, darauf wissen wir keine Antworten. Wir können nur davon ausgehen, dass es für die Syndik-Führer einen Grund gibt, warum sie immer noch hier sind. Ferner müssen sie auch Grund zu der Annahme haben, dass sie eine solche Flucht politisch überleben können.«

»Vielen Dank, Lieutenant.« Geary sah Desjani, Rione und Sakai an. »Der Geheimdienst sagt, dass der Syndik-Exekutivrat sich auf dem Schlachtschiff am Sprungpunkt nach Mandalon befindet. Er kann aber nichts dazu sagen, warum der Rat nicht längst die Flucht ergriffen hat, wenn das seine Absicht ist.«

»Die haben noch irgendetwas vor, bevor sie sich absetzen«, entgegnete Desjani.

»Das denkt der Geheimdienst auch. Die Frage ist nur: Was haben sie vor?«

»Ich weiß nicht. Ich kann mir nur einen Grund vorstellen, warum ich als Offizier einen Ort möglichst schnell verlassen will, nachdem ich noch eine letzte Sache erledigt habe.«

Erinnerungen jagten durch Gearys Kopf: die letzten Augenblicke seines Schweren Kreuzers Merlon im Grendel-Sternensystem. »Wenn diese letzte Sache darin bestanden hat, die Überladung der Antriebseinheit zu aktivieren. Der Befehl zur Selbstzerstörung. Wenn man den Befehl erteilt hat, muss man das Schiff so schnell wie möglich verlassen.«

»Richtig. Aber über welches Gegenstück zu einem Selbstzerstörungsbefehl verfügt der Syndik-Exekutivrat hier im System?«

Rione antwortete auf Desjanis Frage, auch wenn ihre Erwiderung mehr nach einem Gebet klang. »Mögen die lebenden Sterne uns beschützen.« Sie stand auf, ihr Gesicht wurde vor Entsetzen kreidebleich. »Senator Sakai hat recht. Wir haben es direkt vor unserem Gesicht. Bei den Vorfahren, es ist da, und wir haben es nicht gesehen!«

»Wovon reden Sie?«, wunderte sich Desjani, während sie ihr Display betrachtete.

»Ich rede von dem, was wir zu sehen erwarten, und dem, was tatsächlich da ist! Wie hat diese Flotte die Syndiks bei Lakota geschlagen? Indem eine große Anzahl Schiffe als improvisiertes Minenfeld herhielt, was den Syndiks nicht klar war, weil es nicht wie ein Minenfeld aussah.« Rione hob ihre Hand und zeigte auf das Display. »Das Hypernet-Portal.«

Geary fühlte, wie sich sein Magen verkrampfte. »Das verfügt über eine Schutzvorrichtung. Das haben wir bestätigen können.«

»Das ist richtig.« Rione warf ihm einen eindringlichen Blick zu, dann trat sie vor und beugte sich so weit nach vorn, dass nur Geary und Desjani sie hören konnten. »Aber man kann Systeme umprogrammieren, Admiral Geary. Der Kollaps eines Hypernet-Portals kann abgeschwächt werden, damit nur wenig Energie freigesetzt wird, aber er kann auch verstärkt werden, sodass man eine noch tödlichere Waffe besitzt.«

In dem Moment verstand er. Als Captain Cresida an den notwendigen Algorithmen gearbeitet hatte, um die Energieentladung eines kollabierenden Hypernet-Portals zu reduzieren, musste sie auch den gegenteiligen Effekt errechnen. Diese Algorithmen hatte er an Rione übergeben, da er sich selbst nicht genügend vertraute, das Wissen über eine solch verheerende Waffe unter Verschluss zu halten.

Aber die Syndiks hatten natürlich die gleichen Berechnungen durchgeführt und waren zu den gleichen Schlussfolgerungen gelangt – sie hatten ebenfalls herausgefunden, wie sie ein Hypernet-Portal in eine Waffe verändern konnten, die Flotten und ganze Sternensysteme auf einen Schlag auszulöschen imstande war. Ein Selbstzerstörungsbefehl, der das Heimatsystem auslöschte, um die Allianz-Flotte zu vernichten.

Desjanis Miene wirkte versteinert, und sie sprach sehr behutsam: »Kann man die Wirkung einer Schutzvorrichtung umkehren? Um das Portal zu einer Waffe zu machen, die Schlimmeres anrichtet als das Portal bei Kalixa?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Geary energisch. »Ich kann es herausfinden.« So wie Desjani zweifelte er nicht daran, dass die Syndik-Führung dieses Sternensystem auslöschen würde, wenn das der Preis dafür war, die Allianz-Flotte ein für alle Mal zu vernichten. Zu oft war er Zeuge davon geworden, wie die CEOs von diesem Sternensystem mit unglaublicher Missachtung und Kaltblütigkeit gegen die Menschen vorgegangen waren, die ihnen in ihrem System unterstellt waren.

Rione zeigte wieder auf das Display, diesmal auf das Schlachtschiff und die Schweren Kreuzer am Sprungpunkt nach Mandalon. »Sie haben alles vorbereitet und sich auf eine mögliche Flucht eingestellt. Wenn der Hinterhalt fehlschlägt, senden sie den Selbstzerstörungsbefehl an das Portal und bringen sich mit einem Sprung in Sicherheit.«

»Und anschließend geben sie uns die Schuld«, fuhr Desjani fort. »Wir wären alle tot. Verdammt. Sir, sie hat recht. Die Syndiks haben uns die größte Bombe der gesamten Galaxis vorgesetzt, und wir haben es nicht erkannt.«

»Das liegt daran, dass wir die Portale nach der Installation der Schutzvorrichtungen nicht mehr als Waffen angesehen haben. Wäre Cresida nicht bei Varandal gestorben, dann hätte sie uns ganz sicher davor gewarnt.« Geary betätigte seine Kontrollen. »Commander Neeson, ich benötige eine Analyse von Ihnen, und das am besten vorgestern.« Der Befehlshaber der Implacable war nach Cresidas Tod einer der herausragendsten Hypernet-Experten der Flotte. »Kann eine Schutzvorrichtung so umprogrammiert werden, dass der Energieausstoß eines Hypernet-Portals verstärkt wird? Und falls ja, wie lange benötigt man dafür?«

Die Implacable war ein paar Lichtsekunden entfernt, aber Neeson sah ihn auf dem Display deutlich länger an, als es die Zeitverzögerung hätte rechtfertigen können. Schließlich nickte er. »Ja, Admiral. Dafür muss ich keine Analysen durchführen. Die Ausrüstung kann auf diese Weise ebenfalls benutzt werden, auch wenn mir der Gedanke an eine solche Möglichkeit bislang nicht gekommen war.« Neeson hielt kurz inne und schluckte. »Wie lange man benötigt? Wenn man die Algorithmen berechnet hat, kann man sie als Wahlmöglichkeit in die Kontrollsoftware integrieren. Der Wechsel zwischen beiden Optionen geht so schnell, als würde man einen Schalter umlegen.«

Geary schwieg eine Zeit lang, bis er sich sicher war, dass ihn seine Stimme nicht im Stich lassen würde. »Danke, Commander. Behalten Sie diese Einschätzung bitte bis auf Weiteres für sich. Wir erwägen die möglichen Optionen des Gegners, keine tatsächlichen Szenarien.«

»Verstanden, Sir.« Neeson rieb sich mit einer Hand über die Mundpartie. »Sir, wenn die Syndiks so etwas machen sollten…«

»Ja, das wissen wir«, unterbrach Geary ihn und beendete die Verbindung, dann wandte er sich wieder an Desjani und Rione, während sich Sakai bescheiden im Hintergrund hielt, aber aufmerksam zuhörte. »Es ist machbar. Wenn die Syndiks die Berechnungen durchgeführt haben, dann können sie mit einem Tastendruck aus der Schutzvorrichtung einen Zünder für eine verheerende Bombe machen.«

»Es würde aber immer noch Zeit vergehen, bis das Signal das Portal erreicht«, gab Desjani zu bedenken.

Rione hatte die Augen geschlossen, offenbar musste sie um Fassung ringen. »Würden wir irgendwelche Warnsignale sehen?«

»Wir würden sehen, wie das Portal zu kollabieren beginnt, aber wenn wir uns in dem Moment nicht dicht vor einem Sprungpunkt befinden, hilft uns das auch nicht«, ließ Geary sie wissen. »Aber wenn das der Notfallplan der Syndiks ist, warum haben sie ihn nicht längst in Gang gesetzt?«

Wieder musterte Desjani ihr Display, dann nickte sie verstehend. »Weil sie diese Schiffe nötig haben.« Sie schaute zu Geary. »Die Syndik-Führer benötigen die Kriegsschiffe in dieser Flotte. Das ist ihre letzte nennenswerte Streitmacht. Ohne diese Schiffe verlieren sie die Fähigkeit, den nötigen Druck auszuüben, der die Syndikatwelten zusammenhält. Sie wollen nicht, dass ihre Flotte hier zerstört wird.«

»Darum hat sich die Flotte auch nicht auf den Weg zum Hypernet-Portal gemacht, nachdem der Hinterhalt fehlgeschlagen war«, erkannte Geary. »Cresida sprach davon, dass niemand weiß, was mit einem Schiff im Transit passiert, wenn eines der Portale zerstört wird. Eine Möglichkeit ist die, dass das Schiff ebenfalls vernichtet wird, aber sie hielt es für am wahrscheinlichsten, dass es irgendwo entlang der zurückzulegenden Route in den Normalraum zurückkehrt.«

»Lichtjahre vom nächsten Stern entfernt?«, fragte Desjani. »Irgendwann würden sie irgendwo ankommen, wo sie den Sprungantrieb schließlich wieder benutzen können, aber das würde Jahrzehnte dauern, und bis dahin hätte niemand einen Nutzen von den Schiffen. Also werden die Syndiks nicht versuchen, ihre Flotte durch das Portal aus dem System zu schaffen. Sie hätten mühelos den Sprungpunkt nach Tremandir erreichen können, auch den nach Corvus, ohne dass wir sie hätten aufhalten können. Stattdessen haben sie eine Position erreicht, von der aus sie ungefährdet zum Sprungpunkt nach Mandalon gelangen können.«

»Aber warum hat die Flotte nicht den Sprungpunkt nach Corvus benutzt? Wieso ist Mandalon ein besseres Ziel als Corvus? Hat es nur damit zu tun, dass der Exekutivrat mit seinem Schlachtschiff dorthin entkommen will? Und warum fliegt die Flotte nicht direkt zu diesem Sprungpunkt, sondern nähert sich auf dem Weg dorthin auch noch unserer Position?«

»Sie wollen, dass wir diese Flotte verfolgen. Sie wollen, dass wir tiefer in das System vordringen.« Desjani machte eine nachdenkliche Miene. »Zeitverzögerungen. Sehen Sie sich die Geometrie des Ganzen an. Als wir in diesem Sternensystem eintrafen, waren wir nur etwas mehr als zehn Lichtstunden vom Sprungpunkt nach Mandalon und gut drei Lichtstunden vom Hypernet-Portal entfernt. Die Syndik-Führer auf dem Schlachtschiff konnten nur sehen, was wir zehn Stunden zuvor gemacht hatten. Jedes Signal an das Hypernet-Portal hätte… etwa sieben Stunden benötigt, um dort anzukommen. Dann hätte die Schockwelle drei Stunden benötigt, um unsere Position nahe dem Sprungpunkt nach Zevos zu erreichen. Ihre Informationen über uns wären zehn Stunden alt gewesen, und es hätte weitere zehn Stunden gedauert, bis ihr Überraschungsangriff uns erreicht hätte.«

»In zwanzig Stunden konnten wir schon weit weg sein«, stimmte Geary ihr zu. »Die Flotte hätte kehrtmachen und aus diesem Sternensystem springen können, während das Signal der Syndiks noch zum Portal unterwegs gewesen wäre. Also haben sie versucht, die Zeitverzögerung zu verringern und uns tiefer ins System zu lotsen, damit wir weiter von den Sprungpunkten entfernt sind. Deshalb haben die Flotte und ihr verdammter CEO uns geködert. Wir sollen den Syndik-Schiffen folgen, ohne auf andere mögliche Gefahren zu achten, bis wir so weit von allen Sprungpunkten in diesem System entfernt sind, dass wir nicht mehr entkommen können, wenn das Portal zusammenbricht und sich die Schockwelle ausbreitet.«

Sakai schüttelte den Kopf. »Aber den Syndik-Führern muss doch klar sein, welche Folgen es nach sich zieht, wenn sich herumspricht, dass sie ihr eigenes System vernichtet und jeden hier lebenden Syndik-Bürger ermordet haben. Die Angst vor Vergeltungsakten vonseiten der eigenen Regierung hat dazu beigetragen, die Syndikatwelten zusammenzuhalten, aber wenn den Menschen klar wird, dass sie trotz ihrer Loyalität von ihren eigenen Führer einfach ausgelöscht werden können, könnte das eine Revolte nach sich ziehen.«

»Die Syndik-Führer würden uns die Schuld geben«, erwiderte Rione. »Sie würden erzählen, dass die Allianz ein weiteres Hypernet-Portal zerstört hat, nachdem sie das bei Sancere und Kalixa schon mal üben konnte. Dabei ist unsere Flotte von der eigenen Waffe mit vernichtet worden. Genügend Syndik-Bürger würden diese Version glauben wollen, um nicht eine Revolte anzetteln zu müssen.«

»Aber sogar die Syndiks wissen inzwischen, dass diese Flotte unter dem Kommando von Admiral Geary keine grausamen Akte gegenüber Zivilisten begeht«, wandte Desjani fast beleidigt ein.

»Das stimmt«, räumte Rione ein. »Aber es wäre für sie nur ein schwacher Trost, wenn die Bürger der Syndikatwelten ihren Führern diese Geschichte nicht abnehmen, nachdem diese Flotte bereits ausradiert worden ist.« Sie wandte sich Geary zu. »Können wir noch entkommen? Bleibt noch Zeit, um umzukehren und durch den Sprungpunkt zu fliehen, durch den wir hergelangt sind?«

»Wahrscheinlich nicht«, antwortete Geary, der sich fragte, wie lange die Syndiks wohl zögern würden, bevor sie das Portal kollabieren ließen. »Wir sind bei 0,1 Licht bereits mehr als vierzehn Stunden vom Sprungpunkt nach Zevos entfernt. Der Sprungpunkt nach Mandalon ist nicht viel näher. Wenn sie das Portal zerstören, sobald sie sehen, dass wir umkehren, dann müssten wir schon extrem viel Glück haben, wenn wir unversehrt aus dem System entkommen wollen.«

»Dann fliegen Sie schneller! Wenn sie sowieso wissen, dass wir kehrtmachen…«

»Ich kann die Flotte nicht auf der Stelle wenden lassen, und ich kann nicht jedes Schiff genauso beschleunigen lassen wie einen Zerstörer oder einen Schlachtkreuzer. Es könnte funktionieren, wenn wir es auf der Stelle versuchen würden, aber ich habe da meine Zweifel.« Er hielt inne und fragte sich, ob es trotz aller Bedenken vielleicht genau das war, was er tun musste – ob es womöglich die einzige Chance war, die der Flotte blieb, wenn sie überleben wollte.

»Aber Sie können diese Flotte nicht einfach kehrtmachen lassen und sie zum Sprungpunkt schicken!«, wandte Desjani mit einem energischen Kopfschütteln ein. Sie sprach leise, aber eindringlich. »Das wäre nicht wie bei Lakota, wo wir sagen konnten, dass wir einen anderen Teil der Syndik-Streitkräfte angreifen wollen. Es wäre eine grundlose Flucht aus diesem System. Unsere Flotte glaubt an Sie, Admiral Geary, aber stellen Sie diesen Glauben bitte nicht auf eine solche Weise auf die Probe. Das würde gegen alles verstoßen, woran unsere Flotte sonst noch glaubt.« Ihr Blick wanderte zu Rione. »Und weil niemand akzeptieren wird, dass Sie so etwas tun würden, wird man stattdessen glauben, dass die Politiker Ihnen den Rückzug befohlen haben. Dass man Sie dazu gezwungen hat und dass Sie nachgegeben haben. Muss ich Ihnen noch erklären, was das nach sich ziehen könnte?«

Rione betrachtete Desjani ohne eine Gefühlsregung und nickte schließlich. »Sie hat völlig recht. Man würde glauben, dass wir, die Politiker, die Allianz an den Feind verkauft oder sie verraten haben – dass wir Ihnen den Rückzug befohlen haben.«

Aufgebracht atmete Geary mit einem lauten Schnauben aus. »Wie kommt es nur, dass mir mein Leben immer noch etwas schwerer gemacht wird, wenn Sie beide sich in einer Sache einig sind?«

»Das haben gute Ratschläge so an sich«, meinte Rione. »Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, schlechte Ratschläge sorgen für gewöhnlich dafür, dass Sie sich nur kurze Zeit besser fühlen.«

Desjani hatte den Blick wieder auf ihr Display gerichtet. »Mit jeder Sekunde, die wir ungenutzt verstreichen lassen, kommen wir der Syndik-Falle ein Stück näher, aber wenn wir wenden und den Sprungpunkt ansteuern, dann werden die Syndiks die Falle zuschnappen lassen, sobald sie unser Manöver bemerken, während wir mit einer Meuterei konfrontiert werden. Im Moment weiß ich mir einfach keinen Rat.«

Geary tippte mit den Fingern auf die Armlehne und suchte nach Alternativen. »Besteht die Chance, dass wir das Hypernet-Portal erreichen, bevor die Syndik-Flotte am Sprungpunkt nach Mandalon angelangt ist? Dass wir also in diese Richtung fliegen, um das Portal kontrolliert abzuschalten?«

»Mal sehen.« Desjanis Finger tanzten über die Tastatur vor ihrem Display, als sie die erforderlichen Manöver durchrechnete, dann machte sie eine ermattete Geste. »Ja und nein. Wir könnten nur mit den Schlachtkreuzern hinfliegen, und indem wir maximal beschleunigen und maximal verzögern würden wir theoretisch dort eintreffen. Um aber nahe genug heranzukommen, damit wir den Selbstzerstörungsbefehl der Syndiks verhindern können, müssen wir erst noch das Minenfeld durchqueren. Wir würden jedes Schiff verlieren, das versucht, sich den Weg freizurammen. Wir könnten mit den Null-Feldern eine Schneise schlagen, doch dafür müssten wir erheblich langsamer werden.«

»Womit wir dann zu spät eintreffen würden.«

»Richtig, und zwar sogar dann, wenn die Syndiks bis dahin mit der Zerstörung des Portals warten.«

»Sie könnten doch diese Projektile abfeuern«, schlug Rione vor.

»Nein. Die Steine würden zwar das Portal zerstören, aber die Syndiks würden sie entdecken und hätten noch genügend Zeit, die Selbstzerstörung zu aktivieren, bevor die Steine auch nur in die Nähe kämen. Vielleicht würde es sie diese Flotte kosten, die sie so gern retten wollen, aber es würde garantiert unser Ende bedeuten, und ich kann mir vorstellen, dass es ihnen das wert wäre.«

Desjani nickte. »Was machen schon eine Flotte und ein Sternensystem mehr oder weniger aus? Das sind nur Posten in einer Bilanz. Es zählt nur, dass sie uns die Schuld geben können.«

Eine Umkehr stand nicht zur Diskussion. Ein Weiterflug brachte sie nur tiefer in die Syndik-Falle hinein. »Sie hatten mich ja gewarnt«, raunte er Rione zu. »Ich soll nicht anfangen zu glauben, dass ich wirklich Black Jack bin. Aber ich hab’s getan. Ich habe mich für so verdammt schlau gehalten. Aber die Syndiks haben von mir erwartet, dass ich irgendetwas tue, womit sie nicht rechnen, und sie haben auch für diesen Fall vorgesorgt.«

»Sie sind nicht der Einzige, der das übersehen hat«, stellte Rione schroff klar. »Aber Sie könnten der Einzige sein, der uns hier noch herausbringen kann.«

»Sie hat recht«, stimmte Desjani ihr zu.

»Hören Sie endlich auf, einer Meinung zu sein!«, herrschte Geary die beiden an. Er wusste, sie hatten beide recht, aber in diesem Moment hören zu müssen, wie sie sich gegenseitig recht gaben, das war einfach zu verrückt. »Wir sind so weit vom Sprungpunkt entfernt, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Flotte sich in Sicherheit bringen könnte, selbst wenn wir sofort kehrtmachen. Ein Rückzug wird uns nicht helfen, wenn die Syndiks uns tatsächlich die Falle gestellt haben, die wir vermuten. Wir können aber auch nicht einfach nach wie vor in diesem Teil des Systems bleiben, was bedeutet, dass wir uns weiter der primären Welt und der Syndik-Flotte nähern, während wir nach einer anderen Lösung suchen. Solange die Syndiks glauben, dass wir tiefer ins System eindringen, und solange sie eine Chance sehen, ihre Flotte unversehrt hier rauszuholen, werden sie mit der Zerstörung des Hypernet-Portals noch warten. Sehen Sie beide das auch so?«

Desjani zuckte mit den Schultern. »Ich hätte eigentlich schon sterben sollen, als ich das letzte Mal in diesem System war. Wenn es diesmal passieren soll, dann würde ich lieber im Kampf sterben. Oder zumindest bei der Verfolgung des Feindes.«

Rione benötigte einen Augenblick, ehe sie sagte: »Ich wüsste keine Alternative, Admiral Geary, aber ich hoffe, einem von uns fällt bald etwas ein.«

»Dann werden wir den Syndiks zeigen, was sie von uns sehen wollen«, erklärte er, berechnete ein Manöver, um den Abfangkurs zu verändern, damit sie dichter an die Syndiks herankamen, und sendete den Befehl an die Flotte. »Soll ich dem CEO eine Antwort übermitteln?«

»Was wollen Sie ihm denn sagen?«

»Nichts, was meine Mutter als jugendfrei bezeichnet hätte.«

»Dann lassen Sie ihn lieber noch eine Weile zappeln. Bevor wir uns an diesen CEO wenden, müssen wir erst entschieden haben, was wir ihm sagen wollen.«

Das hing wiederum ganz davon ab, was sie unternehmen würden. Er wünschte, er hätte eine Ahnung davon, was das sein sollte. »Ich muss einen Spaziergang machen, um nachzudenken«, verkündete er und stand auf. Wenn sie mit ihren Vermutungen richtig lagen, würde vorläufig nichts passieren, und wenn er noch weiter einfach nur dasaß, würde er irgendwann noch durchdrehen. Ein Spaziergang erzeugte zumindest die Illusion einer sinnvollen Betätigung, die es seinem Verstand erlaubte, sich auf die Suche nach einer Antwort zu konzentrieren.

Rione machte einen Schritt nach hinten. »Sie haben noch immer eine Lösung gefunden.«

»Das hatte nur damit zu tun, dass es bislang immer Alternativen gab, zwischen denen ich wählen konnte. Im Moment will mir nicht mal eine einzige einfallen.«

Zu Gearys Überraschung präsentierte ihm Desjani ein verkniffenes Lächeln. »Sir, haben Sie jemals den Text auf der Widmungsplakette der Dauntless gelesen?«

»Ich habe ihn gesehen.« Die eingravierten Informationen an einem Schott nahe dem Herzen des Schiffs gaben Auskunft darüber, wann der Stapellauf der Dauntless stattgefunden hatte, wann sie in Dienst gestellt worden war und welche anderen Schiffe zuvor diesen Namen getragen hatten, als jedes Kriegsschiff der Menschen ausschließlich auf der Erde zu Wasser unterwegs gewesen war.

»Auch das Schiffsmotto?«

»Das ist in irgendeiner alten Sprache verfasst«, antwortete er. Er wusste längst nicht mehr, wie oft er sich vorgenommen hatte, jemanden danach zu fragen oder nachzusehen, was die Worte bedeuteten, aber es war immer irgendetwas dazwischengekommen, das ihn dann doch wieder davon abgehalten hatte.

»In einer sehr alten Sprache, die so wie der Name Dauntless von Schiff zu Schiff weitergegeben wurde. Jeder Befehlshaber erfährt, was es bedeutet. ›Nil Desperandum‹, das heißt so viel wie ›niemals verzweifeln‹.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gab eine Zeit, da dachte ich, dieses Motto verhöhnt uns. Das war, als wir das letzte Mal den Syndiks in ihrem Heimatsystem gegenüberstanden, als unsere Vernichtung beschlossene Sache zu sein schien und wir keinen Ausweg mehr sahen. Dann haben Sie das Kommando über die Flotte übernommen, und seitdem gab es für mich keinen Grund mehr zu verzweifeln.«

Sprachlos sah er sie sekundenlang an. Hätte Desjani soeben gesagt, sie sei davon überzeugt, dass er eine Lösung finden würde, hätte das nur noch mehr Druck auf ihn ausgeübt. So aber hatte sie nur indirekt ihrem Vertrauen in seine Fähigkeiten Ausdruck verliehen, indem sie uralte Worte aussprach, deren Bedeutung so eindringlich war, wie sie es immer schon gewesen sein musste. Und so erwiderte Geary ihre Geste mit einem finsteren Lächeln, nickte Rione zu und begab sich dann in die Korridore der Dauntless, als würde dort irgendwo die Lösung zu finden sein.

Eine Stunde später betrat er müde und völlig uninspiriert sein Quartier, wo er sich in einen der Sessel fallen ließ, um einen düsteren Blick auf das Sternendisplay über dem Tisch zu werfen. Der Stern selbst schien ihn mit seinem grellen Schein anzustarren, woraufhin er sich vorbeugte, um ihn auszublenden.

Mitten in der Bewegung hielt er inne und sah weiter den Stern an.

Sie hatten die vom Hypernet-Portal ausgehende Gefahr vor Augen gehabt, ohne sie zu erkennen. Vielleicht hatten sie die rettende Lösung genauso vor Augen gehabt und sie ebenfalls nicht erkannt.

Er begann, vom Steuersystem Manöverlösungen abzufragen und spielte die verschiedenen Optionen durch, so schnell er sie anfordern konnte, um sich die Resultate zeigen zu lassen.

Im Konferenzraum hatten sich die vertrauten Gesichter versammelt, und während alle anderen Anwesenden mit Neugier darauf warteten, welchen Gefechtsplan ihnen Geary präsentieren würde, saß Commander Neeson dabei und verfolgte das Geschehen voll nervöser Anspannung. Desjani strahlte die übliche Zuversicht aus, und Rione hatte alle Gefühlsregungen und Gedanken hinter einer ausdruckslosen Miene versteckt.

Geary stand auf und entschied erst in diesem Moment, wie er am besten anfangen sollte. »Wir sehen uns mit einer unerwarteten und ernsthaften Bedrohung konfrontiert.« Dann ließ er eine kurze Pause folgen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Wie es aussieht, haben die Syndiks sich einen Notfallplan überlegt.« Als er ausführte, welche Gefahr von dem Hypernet-Portal für sie alle ausging, verwandelte sich der neugierige Gesichtsausdruck der meisten Anwesenden in Entsetzen und Sorge.

»Dieser widerwärtige Abschaum«, murmelte Captain Badaya, dessen Gesicht vor Wut rot anlief. »Wir machen immer wieder den gleichen Fehler und glauben, noch tiefer könnten sie nicht sinken, und dann zeigen sie uns, dass es doch einen neuen Tiefpunkt geben kann.«

»Das würden sie tatsächlich machen? Mit ihrem eigenen Sternensystem?«, fragte Captain Vitali von der Daring. »Ich kann mir gut vorstellen, dass sie so was bei uns machen würden, aber das hier, das ist ihr Heimatsystem!«

»Die Führer der Syndikatwelten haben das bereits in einem ihrer eigenen Systeme gemacht, nämlich bei Lakota«, antwortete Tulev. »Sie wussten, was passieren könnte, und trotzdem gaben sie den Befehl, das dortige Portal zu zerstören. Bei der Gelegenheit konnten sie es vor dem, was sie wohl als ihr Gewissen bezeichnen, noch mit dem Argument rechtfertigen, dass der schlimmste Fall nur eine mögliche Folge war. Aber sie waren da schon bereit, den schlimmsten Fall in Kauf zu nehmen. Uns wäre nie in den Sinn gekommen, dass sie Maßnahmen ergreifen, die die völlige Auslöschung ihres eigenen Systems garantiert, nur um unsere Flotte zu schlagen.«

»Das liegt nur daran, dass wir niemals eines unserer eigenen Systeme vernichten würden«, fügte Neeson hinzu.

Tulev schüttelte sich und machte keinen Hehl aus seiner Abscheu. »Die Syndik-Führung weigert sich, diesen Krieg zu verlieren, ganz gleich, wie sehr die eigene Bevölkerung darunter leiden muss.«

»Politiker«, schnaubte Captain Armus, als würde er einen wüsten Fluch ausstoßen.

»Manche Politiker«, korrigierte Geary. »Ihnen sollte bekannt sein, dass wir von drei unserer Politiker begleitet werden, die sich den gleichen Risiken aussetzen wie wir.« Keiner der drei machte einen besonders glücklichen Eindruck darüber, diesen Gefahren ausgesetzt zu sein, doch es gab keinen Grund, auf diesen Umstand hinzuweisen. »Wir sind außerdem Syndik-Führern begegnet, die ihrem Volk gegenüber nicht so kaltblütig agieren. Die oberste Führungsriege scheint sich von alledem allerdings abgekapselt zu haben. Diese Leute tun alles, um den Krieg zu gewinnen, oder besser gesagt: um ihn nicht zu verlieren, weil sie sonst für ihre Fehler zur Rechenschaft gezogen würden. Aber sie werden keinen Erfolg haben, und wenn wir erst einmal allen in diesem System klar gemacht haben, was sie planen, dürfte das die Situation umkehren.«

»Das ist Ihr Plan?«, warf Armus ein. »Wir sollen darauf hoffen, dass die Syndiks ihren eigenen Führern doch noch Manieren beibringen?«

»Nein, das ist das, was geschehen wird, wenn wir meinen Plan ausgeführt haben.« Die Nervosität im Raum war mit einem Mal verschwunden, und Geary sah in den Mienen fast aller Offiziere die gleiche Zuversicht, die auch Desjani ausstrahlte. »Die Syndiks haben ein Detail übersehen. Die Energieentladung dieses Portals wird so gewaltig sein, dass unsere Schiffe nicht darauf hoffen können, sie irgendwie zu überstehen. Aber es gibt in diesem Sternensystem etwas, das groß genug ist, um von der Schockwelle nicht zerstört zu werden, und das auch groß genug ist, um die gesamte Flotte dahinter zu verstecken.« Er zeigte auf die Darstellung des Sterns auf dem Display. »Es gibt einen Ort in diesem Sternensystem, der dieser Flotte Schutz bieten sollte, falls wir ihn erreichen können.« Die Ansicht des Sterns drehte sich um ihre Achse. »Und zwar hier, auf der abgewandten Seite des Sterns.«

Schweigen machte sich breit, als sich alle auf das Display konzentrierten. Duellos ergriff schließlich als Erster das Wort. »Das sollte funktionieren, aber es garantiert keine Sicherheit. Die Schockwelle wird aus Partikeln bestehen, die miteinander kollidieren und auch seitlich weggeschleudert werden. Also wird die Welle auch in den Bereich hinter dem Stern ausstreuen.«

»Wir haben eine gute Chance«, wandte Badaya ein, »wenn wir dicht genug an den Stern herankommen.«

»Das habe ich auch nicht abgestritten, aber wie es aussieht, bleibt uns auch gar keine andere Wahl.«

Captain Armus betrachtete kopfschüttelnd die Darstellung. »Die Syndiks sind zwar Dreck, aber sie sind keine Idioten. Die werden sehen, wohin wir wollen.«

Armus war nicht der hellste Kopf in der Flotte, doch selbst er war klug genug, um das zu erkennen. »Deshalb müssen wir unsere Absichten verschleiern«, fuhr Geary fort, »bis wir den Stern zwischen uns und dem Portal haben. Glücklicherweise liefern uns die Syndiks mit ihren Flugmanövern reichlich Anlass, um einen plausiblen Grund zu haben, wieso wir ausgerechnet in diese Richtung unterwegs sind.« Er gab einen Befehl ein, woraufhin verschiedene Routen eingeblendet wurden, denen die Flotte folgen konnte. »Die Syndik-Flotte täuscht vor, dass sie Kurs auf uns genommen hat. Angesichts der Tatsache, dass wir ihre Absicht durchschaut haben, gehen wir davon aus, dass sie in etwa sechs Stunden den Kurs ändern und den Sprungpunkt nach Mandalon ansteuern werden. Dann werden sie von uns eine von zwei Reaktionen erwarten: Entweder wir machen uns daran, die Syndik-Flotte noch eine Zeit lang zu verfolgen, oder wir versuchen, sie auf andere Weise zum Kampf zu zwingen, indem wir Einrichtungen in diesem System bedrohen.« Auf dem Display leuchteten mehrere Bögen hell auf. »Wir werden auf diese Vektoren einschwenken und an dem bewohnten Eisplaneten vorbeifliegen, der fünfzehn Lichtminuten von der Sonne entfernt ist. Dabei werden wir jedes militärische und industrielle Ziel in Reichweite ausschalten und anschließend Kurs auf die bewohnte Primärwelt nehmen. Allerdings erreichen wir diese Welt nicht auf einer schnurgeraden Flugbahn, sondern müssen um den Stern herumfliegen, um den Planeten auf seinem Orbit abzufangen.«

Duellos grinste. »Ein längerer Weg, der den Eindruck erwecken wird, dass wir die Syndik-Kriegsschiffe zu einem Kampf zwingen wollen. Werden sie glauben, dass Black Jack so offensichtlich vorgeht?«

»Im Augenblick freuen sie sich darüber, wie sie uns reingelegt haben«, erklärte Desjani. »Sie glauben, wir sind in ihre Falle getappt und haben das bis jetzt noch nicht bemerkt. Übermut ist genau das, was sie von uns erwarten, und da die Syndik-Führer sich auf dem Schlachtschiff befinden, das am Sprungpunkt nach Mandalon wartet, werden sie immer noch fünf Lichtstunden von uns entfernt sein, wenn wir in den Windschatten des Sterns eintauchen. Vom Portal sind sie sieben Lichtstunden entfernt.«

Badaya nickte. »Fünf Stunden, ehe sie sehen, dass wir auf einen anderen Kurs einschwenken. Selbst wenn sie sofort durchschauen, was wir vorhaben, benötigen sie immer noch sieben Stunden, bis ihr Signal das Portal erreicht. Die Schockwelle braucht dann weitere fünf Stunden, bis sie auf unsere Flotte trifft. Siebzehn Stunden also, während wir nur gut zehn Lichtminuten vom Stern entfernt sind, wenn wir unser Manöver beginnen. Sie werden uns nicht erwischen können.«

»Vorausgesetzt, sie warten so lange«, knurrte Armus. »Warum sollten sie das überhaupt tun?«

»Weil die Syndiks nicht wollen«, erwiderte Rione, »dass ein Augenzeuge überlebt, der davon berichten kann, was hier passiert ist. Die Flotte muss in einer Position sein, um den Sprungpunkt zu benutzen, bevor irgendjemand das Signal empfangen kann, das sie an das Portal senden. Dann können sie gemeinsam mit der Flotte das System verlassen, und außer ihnen weiß niemand, was sie getan haben. Wer nach der Schockwelle ins System zurückkehrt, findet nur noch Zerstörung vor, und es ist niemand da, der ihm noch erzählen kann, was geschehen ist.«

Einen Moment lang kniff Badaya die Augen zusammen, dann nickte er abermals. »Sie können behaupten, dass das unser Werk war, so wie sie es uns schon bei Kalixa angekreidet haben.«

Commander Landis sah das auch so, machte dennoch einen beunruhigten Eindruck. »Aber was ist, wenn sie eher durchschauen, was wir beabsichtigen? Wenn sie beschließen, ihre eigene Flotte zu opfern, und das Portal zerstören, bevor wir uns im Windschatten dieses Sterns befinden?«

Geary hatte sich bereits – wenn auch nur sehr widerstrebend – mit dieser Möglichkeit befasst. Er betätigte eine andere Taste, und eine Formation wurde angezeigt. »Wenn uns Zeit bleibt, nachdem wir festgestellt haben, dass das Portal kollabiert, dann werden wir uns so anordnen. Die Schlachtschiffe werden mit dem Bug zum Portal so dicht wie möglich zusammenrücken, um eine massive Mauer zu bilden. Der Rest der Flotte wird sich dahinter ebenfalls so angeordnet platzieren, damit wir eine Chance haben, dass wenigstens einige unserer Schiffe überleben.«

Jeder nickte ernst, auch die Captains der Schlachtschiffe. Deren Panzerung und Schilde waren zwar auf offensives Handeln ausgerichtet, aber diese Schiffe wurden oft als die letzte Verteidigungslinie ins Spiel gebracht, wenn der Rest der Flotte sie nötig hatte. Wie Captain Mosko bei Lakota angemerkt hatte, gehörte es zu den Aufgaben eines Schlachtschiffs, die übrigen Schiffe der Flotte vor Gefahren abzuschirmen. Sie hatten Mosko zusammen mit den drei Schlachtschiffen seiner Division zurückgelassen, um den Feind aufzuhalten. Dem Tod ins Auge zu sehen war etwas, woran sich jeder in der Flotte gewöhnt hatte, und für seine Kameraden zu sterben, war schließlich nicht die schlechteste Weise, um aus dem Leben zu scheiden.

Nicht, dass irgendjemand noch meinte, dass das diesmal eine Rolle spielte. Sie hatten gesehen, was der Zusammenbruch eines Hypernet-Portals in einem Sternensystem anrichten konnte. Die Schlachtschiffe und alles, was sich hinter ihnen befand, würden zweifellos in Stücke gerissen, wenn die Schockwelle auch nur ein wenig stärker ausfiel als die bei Kalixa. Dennoch war es notwendig, irgendetwas zu unternehmen.

Captain Armus zuckte mit den Schultern. »Na gut. Wenn unsere Vorfahren uns zulächeln, dann werden wir auch dieses Mal die Syndiks überlisten.«

»Und wenn sie es nicht tun«, warf Captain Tulev ein, »dann werden sie zumindest wissen, dass wir uns dem Feind zugewandt hatten, als der Tod uns ereilte.«

Jane Geary meldete sich auf einmal zu Wort: »Admiral, was werden wir tun, wenn wir es in den Windschatten des Sterns schaffen?«

»Das hängt davon ab, was sonst noch geschieht«, erwiderte er. »Wir werden nicht tatenlos dasitzen und abwarten, sondern Sensorbojen hinter der Flotte aussetzen, damit wir das Portal auch noch beobachten können, wenn wir uns hinter dem Stern befinden. Angenommen, sie lassen das Portal in Ruhe und springen aus dem System, dann werden wir einige Maßnahmen ergreifen, um ihnen das Leben schwer zu machen. Aus dem Windschatten des Sterns heraus können wir immer noch die Syndiks hier im System auslöschen, wenn das sein muss. Noch Fragen?«

»Admiral«, sagte Captain Kattnig hastig. »Darf ich eine Aktion vorschlagen, mit der wir den Syndiks lästig werden könnten? Aus ihrer Sicht muss diese Flotte vernichtet werden, aber wenn die komplett hinter dem Stern Zuflucht sucht, dann verliert sie die Möglichkeit, unmittelbar Druck auf die Syndiks auszuüben. Wenn wir aber eine Gruppe aus schnellen Schiffen auf direktem Weg zum Sprungpunkt nach Mandalon schicken, dann müssen die Syndik-Führer entweder dieses System zerstören, wobei sie wissen, dass sie eben nicht den Großteil ihrer Flotte in Sicherheit bringen können. Oder aber sie müssen in Richtung Sprungpunkt fliehen oder den Kampf aufnehmen.«

Viele Offiziere nickten zustimmend, als sie Kattnig reden hörten. Geary dachte über den Vorschlag nach und musste zugeben, dass er durchaus sinnvoll war, auch wenn es ihm widerstrebte, irgendeines seiner Schiffe auf ein so gut wie sicheres Himmelfahrtskommando zu schicken.

»Es müssten Schlachtkreuzer sein«, warf Desjani ein.

»Richtig«, stimmte Kattnig ihr zu. »Ich schlage daher die Fünfte Schlachtkreuzerdivision vor, die sich freiwillig für diesen Auftrag meldet.«

Einige der befehlshabenden Offiziere in dieser Division machten zwar einen erschreckten Eindruck, als sie Kattnig reden hörten, doch keiner von ihnen meldete Widerspruch an. In dieser Flotte mit ihrer Vorstellung von Ehre konnte keiner von ihnen widersprechen.

»Dieses Angebot entspricht ganz den besten Traditionen der Flotte«, wandte Duellos in bewusst neutralem Tonfall ein, »allerdings habe ich mir die Eigenschaften der Schlachtkreuzer aus der Adroit-Klasse angesehen, und ich muss sagen, dass das Design Ihrer Schiffe es erforderlich machen würde, dass andere große Schiffe Sie begleiten.«

»Ganz sicher«, stimmte Kattnig ihm zu. »Die Erste Schlachtkreuzerdivision?«, fragte er dann und benannte ausgerechnet Duellos eigene Einheit. »Wir wären stolz, Sie bei uns zu haben.«

Geary schaute vor sich, um in Ruhe darüber nachdenken zu können. Dabei fiel ihm auf, wie angestrengt Desjani auf die Tischplatte blickte. Er wusste, sie hätte die Dauntless auch zu gern für diesen Einsatz freiwillig gemeldet, doch wenn der Feind erkannte, dass das Flaggschiff mit Admiral Geary an Bord Teil dieser kleinen Streitmacht war, würde die vermutlich als ein lohnenswertes Ziel angesehen werden.

Er zögerte, Duellos ebenfalls loszuschicken. Aber Kattnigs Eifer, sich dem Gegner zu stellen, war zwar nichts Außergewöhnliches in dieser Flotte, dennoch bereitete er Geary Sorgen. Wenn Kattnig zurückgepfiffen werden musste, dann hatte Duellos nicht nur die Befehlsgewalt, sondern er war vernünftig genug, im richtigen Moment einzuschreiten. Tulev wäre dafür auch geeignet gewesen, aber im Augenblick war Duellos gefragt, und der wartete unübersehbar darauf, dass Geary seine Meinung äußerte, ehe er Kattnig eine Antwort gab.

Soll ich Duellos sagen, er fliegt nicht mit, und stattdessen Tulevs Division mitschicken? Oder soll ich sagen, ich will über die Zusammensetzung dieser Streitmacht erst noch in Ruhe nachdenken, ehe ich die betreffenden Schiffe benenne? Nein, durch den Ablauf der Ereignisse bin ich gezwungen, jetzt und hier zu entscheiden. Wenn ich nicht ausdrücklich sage, ich will, dass die Erste Division mitfliegt, wird das so klingen, als wollte ich eben nicht, dass sie mitfliegt. Das Regelwerk der Flotte besagt zwar, dass ich nicht verpflichtet bin, diese Entscheidung zu erklären, aber praktisch gesehen würde ich sie trotzdem rechtfertigen müssen. Aber wie mache ich das, ohne den Matrosen und Offizieren der Ersten Division das Gefühl zu geben, dass ich sie benachteilige?

Ich stecke in der Zwickmühle. Duellos ist keine schlechte Wahl, aber ich weiß nicht, ob ich ihn ausgewählt hätte. Jetzt muss ich mich damit einverstanden erklären, da sonst der Eindruck entsteht, dass ich weder ihm noch seinen Schiffen vertraue.

Also nickte er Duellos zu. »Möchte die Erste Schlachtkreuzerdivision Teil dieser Streitmacht sein?«

»Selbstverständlich, Admiral«, erwiderte Duellos, der die Geste richtig gedeutet hatte. »Meine Schiffe sind bereit.«

Das war es dann also. Kattnig schaute sehr zufrieden drein, Duellos strahlte Ruhe und Zuversicht aus. Tulev ließ sich seine Gefühle nicht ansehen, und Badaya machte ebenfalls einen erfreuten Eindruck. Lediglich Desjani hatte sichtlich Mühe, sich davon abzuhalten, vor Frust die Tischplatte so lange mit den Fäusten zu traktieren, bis sie blutig waren.

Geary zwang sich zur Ruhe, obwohl es ihn ärgerte, dass man ihn so in Zugzwang gebracht hatte. »Ich muss die Mission und die Zusammensetzung der Eingreiftruppe festlegen. Die Schlachtkreuzer müssen von genügend schnellen Eskortschiffen begleitet werden, damit die Truppe allen Bedrohungen etwas entgegenzusetzen hat. Ich werde Sie über weitere Pläne informieren, sobald wir uns im Windschatten des Sterns befinden.«

Die Bilder der meisten Offiziere lösten sich auf, Duellos dagegen blieb noch lange genug zurück, um Geary einen resignierten Blick zuzuwerfen. »Das haben wir beide nicht kommen sehen.«

»Allerdings. Wir unterhalten uns später noch darüber, unter vier Augen.«

Während Duellos’ Bild verschwand, nickte Badaya zunächst Rione, dann Geary zu. »Es ist nützlich, wenn man jemanden hat, der die Denkweise der Syndik-Führer versteht.«

»Ja«, erwiderte Geary, sagte weiter aber nichts, da er wusste, dass Rione nach Badayas Meinung die Syndiks nur deswegen so gut verstand, weil sie selbst ganz genauso dachte.

»Machen die anderen Ihnen irgendwelche Schwierigkeiten?«

Hinter Badaya verdrehte Rione die Augen und sah gelangweilt zur Decke.

Mit Bedacht wählte Geary seine Worte, die er ruhig und gelassen aussprach: »Die Senatoren machen keine Schwierigkeiten.«

»Gut. Solange sie wissen, wer hier das Sagen hat, ist ja alles in Ordnung.« Dann salutierte Badaya lächelnd und verschwand ebenfalls.

Rione sah Geary interessiert an. »Was werden Sie eigentlich machen, wenn er irgendwann mal dahinterkommt, dass Sie der Regierung gar keine Befehle erteilen?«

»Wenn ich das wüsste.«

Da auch Badaya nicht mehr mit am Tisch saß, stand Desjani auf. »Es tut mir leid«, sagte Geary zu ihr. »Ich weiß, Sie hätten mit der Dauntless auch gern an diesem Einsatz teilgenommen.«

»Das Flaggschiff zu befehligen, hat üblicherweise seine Vorteile«, erwiderte sie mit einem Schulterzucken. »Aber ich müsste schon dumm sein, um in diesem Fall nicht zu erkennen, dass dieses Schiff für die Syndiks ein viel zu verlockendes Ziel darstellt.«

Sie war nicht allzu überzeugend in ihrem Bemühen, ihm vorzumachen, dass sie sich mit der Situation abgefunden hatte.

»Leider ist das so«, stimmte er ihr zu.

»Sie müssen Kattnig im Auge behalten«, fügte sie hinzu.

Er stutzte. »Aus welchem Grund?«

»Aus dem gleichen Grund, der Sie genauso beunruhigt wie mich. Ich konnte es Ihnen ansehen. Er ist übereifrig. Er ist zwar kein so maßlos aggressiver Idiot wie Captain Midea, aber er ist übereifrig.«

»Ja, Duellos wird auf ihn aufpassen müssen.«

»Tulev wäre besser gewesen, aber Sie hätten Duellos nicht vor versammelter Mannschaft die Zustimmung verweigern können. Der Schein ist wichtig. Ach, noch etwas, Admiral. Wenn wir sehen, dass das Portal kollabiert, und die Flotte ihre Verteidigungsformation einnimmt, wo wird dann die Dauntless sein?«

Er wich ihrem Blick aus. »Tanya, wenn es dazu kommen sollte…«

»Wenn es dazu kommen sollte, dann sind die Überlebenschancen für jedes Schiff in dieser Flotte gleich null. Daher bitte ich darum, wenn die Dauntless mitsamt ihrer Crew schon sterben muss, dann soll es wenigstens ein ehrenvoller Tod sein, und zwar an dem Platz, der einem Flaggschiff in der Flotte gebührt.« Sie sprach mit ruhiger, gefasster Stimme.

Ihm wollte kein Argument einfallen, mit dem er ihr hätte widersprechen können. »Wo ist Ihrer Meinung nach dieser Platz? In der vordersten Reihe, Seite an Seite mit den Schlachtschiffen?«

»Nein, Sir, dort würde sie eine Schwachstelle in der Mauer aus Schlachtschiffen darstellen. Aber die Dauntless sollte sich unmittelbar hinter ihnen befinden.«

Geary schloss die Augen, da er sie nicht ansehen wollte, während er das vermutliche Todesurteil für Desjani aussprach. Zwar war das auch sein Todesurteil, aber in gewisser Weise war seit dem Erwachen aus dem Kälteschlaf seine Zeit ohnehin abgelaufen. »Also gut, Captain. Die Dauntless wird den ihr gebührenden Platz einnehmen, sollte es dazu kommen, dass die Flotte mit dieser Situation konfrontiert wird.«

»Danke, Sir.«

Er schlug die Augen auf und sah, dass Desjani salutierte und ihn dabei dankbar anschaute. »Das ist das Mindeste, was ich der Dauntless und Ihnen schulde«, fügte er hinzu, während er den Salut erwiderte. »Aber ich hoffe, es kommt gar nicht erst dazu. Falls doch…«

»Nil Desperandum«, unterbrach sie ihn lächelnd, dann verließ sie entspannt den Konferenzraum.

Rione sah Desjani nach und schüttelte den Kopf. »Hat es irgendeiner von uns verdient, dass solche Leute für uns kämpfen?«

»Ich dachte, Sie mögen sie nicht.«

»Tu ich auch nicht. Sie kann fast so zickig sein wie ich. Aber ich danke den lebenden Sternen dafür, dass sie dieses Schiff befehligt, und nicht so jemand wie Badaya.«

Geary setzte sich wieder hin und schaute Rione an. Die virtuellen Bilder der Senatoren Costa und Sakai waren schon früher verschwunden, da keiner von ihnen damit gerechnet hatte, sie könnte noch bleiben und unter vier Augen mit Geary reden. »Badaya ist ein fähiger Offizier. Wenn wir sein Vertrauen in die Allianz-Regierung wiederherstellen können, wird er für die Flotte ein Gewinn sein.«

Rione reagierte mit einem traurigen Lächeln. »Ich glaube, solange nichts Verheerendes passiert, wird Captain Badaya davon überzeugt sein, dass Sie in Wahrheit das Sagen haben und heimlich alle Fäden in der Hand halten. Und er wird nicht der Einzige sein, der das glaubt.«

Er wollte sich nicht jetzt schon mit der Zeit nach dem Kriegsende befassen, wenn nicht mal sicher war, ob irgendeiner von ihnen das noch erleben würde. »Madam Co-Präsidentin, ist Ihnen irgendetwas eingefallen, was wir den Syndiks auftischen können, um sie in dem Glauben zu lassen, dass wir nichts von der Gefahr wissen, die vom Hypernet-Portal ausgeht? Wir müssen ihnen irgendetwas vormachen, das sie lange genug hinhält, damit wir die Rückseite des Sterns erreichen können.«

Während sie darüber nachdachte, verzog sie den Mund. »Ich glaube, wir müssen so weitermachen wie bisher und in Worten und Taten unsere Siegesgewissheit zum Ausdruck bringen. Sie sollten noch einmal Ihre Forderung nach Verhandlungen senden, diesmal mit mehr Arroganz und mit mehr Verachtung dem CEO gegenüber, der die Flotte befehligt. Vielleicht eine spitze Bemerkung darüber, wie sehr seine Flotte seit dem letzten Mal geschrumpft ist.«

»Vielleicht könnte ja einer unserer Regierungsvertreter mit dem richtigen Maß an Arroganz und Verachtung unsere Forderungen besser rüberbringen«, schlug Geary vor.

»Meinen Sie mich? Ich bin in Sachen Arroganz besser als Sie.« Rione lehnte sich nach hinten. »Aber Costa kann das noch besser als ich. Ich werde ihr sagen, Sie haben überlegt, dass sie die nächste Forderung übermitteln sollte. Das wird Costa glauben lassen, dass Sie von ihr beeindruckt sind.«

»Und sie wird nicht unsere Bedenken wegen einer Falle der Syndiks verraten?«

»Costa? Sie hütet ein Geheimnis besser als ein Priester seine Jungfräulichkeit. Das ist das Letzte, worum Sie sich bei ihr Gedanken machen müssen.« Rione lächelte flüchtig. »Ich werde ihr offen sagen, dass es darum geht, die Syndiks zum Narren zu halten. Das wird ihr so richtig gefallen, genauso wie die Gelegenheit, sich über einen Syndik-CEO lustig zu machen. Wie lange müssen wir ihnen eigentlich etwas vormachen?«

Geary deutete auf das Sternendisplay. »Sie wissen ja, wir können nicht auf direktem Kurs unser Ziel anfliegen, weil sie sonst unsere wahren Absichten durchschauen, also müssen wir einen Umweg nehmen. Wir brauchen etwas mehr als zwei Tage, dann können wir den Kurs ändern und direkt in den Windschatten des Sterns fliegen.«

»Werden die Syndiks uns so viel Zeit geben?«

»Wenn ihre eigene Flotte weiter kreuz und quer durch das System kreist, wird sie drei Tage benötigen, um den Sprungpunkt nach Mandalon zu erreichen.«

»Dann sollten wir ja Zeit genug haben. Möchten Sie wissen, was Sakai über Sie gesagt hat?«

Einen Moment lang dachte er über ihre Frage nach, schließlich nickte er.

»Senator Sakai sagte: ›Er hört uns zu.‹«

Geary wartete, aber mehr kam nicht von Rione. »Ist das alles?«

»Das ist eine Menge, Admiral Geary.« Sie betrachtete ihn eine Weile. »Ich weiß nicht, wann es passiert ist. Vielleicht war es schon immer so, und es ist nur viel schlimmer geworden. Aber irgendwann haben die ranghöchsten Offiziere und die ranghöchsten Politiker der Allianz sich gegenseitig einfach nicht mehr zugehört. Wir tun alle so, als würden wir zuhören, aber am Ende sehen und hören wir doch nur das, was wir erwarten.«

»So wie Badaya.«

»Oder Costa.« Sie stand auf und ging zur Luke, dann blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um. »Vielleicht gab es einen anderen Grund, dass ich die Flotte begleitete, als Admiral Bloch das Kommando hatte. Einen Grund, der mir gar nicht bewusst war. Damit die Allianz heilen kann, braucht man Offiziere, die Politikern vertrauen, und Politiker, die Offizieren vertrauen.«

Er grinste sie schief an. »Jetzt kommen Sie mir aber nicht so mystisch.«

»Das würde mir im Traum nicht einfallen, Admiral. Wenn die lebenden Sterne auf Leute wie mich angewiesen wären, um ihre Missionen auszuführen, dann wäre es wirklich schlecht um sie bestellt.«

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