Im Konferenzraum herrschte eine entspannte Atmosphäre, wie Geary sie sich beim besten Willen nicht hätte vorstellen können. Aber warum sollten die Captains der Flotte nicht gelassen sein? Er wusste, dass die Gerüchteküche längst dafür gesorgt hatte, dass man auf allen Schiffen von dem Friedensvertrag mit den Syndiks gehört hatte.
Nun musste er sie davon in Kenntnis setzen, dass die Arbeit noch nicht getan war.
Geary stand auf, und alle drehten sich zu ihm um. Als sie seine ernste Miene bemerkten, wurde das Lächeln auf ihren Gesichtern schwächer und verschwand bei einigen ganz. »Ich nehme an, Sie haben alle bereits davon gehört, dass die neuen Führer der Syndikatwelten sich zu einer Beendigung des Krieges und einem sofortigen Ende der Feindseligkeiten bereit erklärt haben. Sie haben außerdem versprochen, alle gegenwärtigen Kriegsgefangenen freizulassen und eine vollständige Liste aller Männer und Frauen vorzulegen, die in der Gefangenschaft gestorben sind.«
Eine Mischung aus Freude und Melancholie erfasste die Captains, die ihn weiter erwartungsvoll anschauten. Die Toten wurden durch diese Geste der Syndiks nicht wieder lebendig, aber ihre Zahl würde nicht durch unablässige Kämpfe immer weiter ansteigen. Diejenigen, die man für tot gehalten hatte, die aber in Wahrheit in einem Gefangenenlager untergebracht worden waren, würden heimkehren können. Doch eine große Zahl an Häftlingen, die zu Lebzeiten Tag für Tag auf ihre Befreiung gehofft hatten, war aufgrund gesundheitlicher Probleme oder schlicht an Altersschwäche gestorben.
Während sich verschiedene Offiziere gegenseitig gratulierten, hörte Geary wiederholt, wie von dem singenden Affen gesprochen wurde.
»Das sind die guten Neuigkeiten«, fuhr Geary fort und bemerkte, dass sein Tonfall etwas schroffer wurde. Aber das spiegelte nur seine Empfindungen wider, war er doch wütend darüber, dass das Ende nun doch nicht das Ende bedeutete. »Die schlechten Neuigkeit ist die, dass die Syndikatwelten im Zerfall begriffen sind. Wir werden uns mit langfristigen Problemen befassen müssen, die von den Nachfolgeregierungen ausgehen können, denen dann klargemacht werden muss, dass sie sich an die Bedingungen des Friedensvertrags zu halten haben.«
Commander Landis von der Valiant meldete sich zu Wort, als Geary eine kurze Pause machte: »Aber wir reden von kleinen Einsätzen im Vergleich zum Krieg, richtig, Sir?«
»Relativ betrachtet ja«, bestätigte Geary. »Aber es werden viele von diesen kleinen Einsätzen sein, und denjenigen, die sie ausführen müssen, kommen sie dann vielleicht gar nicht so klein vor.«
»Die Reglementierung des verrottenden Leichnams der Syndikatwelten«, brummte Armus.
Commander Neeson schüttelte den Kopf. »Dieser Leichnam könnte manche regionale Macht hervorbringen, die stark genug ist, um Ärger zu machen. Das ist das Problem, das das Kriegsende mit sich bringt, aber das war wohl unvermeidlich. Die Syndiks haben sich auf ihre Kriegsschiffe verlassen, um die einzelnen Systeme einzuschüchtern, aber wir mussten diese Schiffe zerstören, um zu siegen.«
Badaya schnaubte verächtlich. »Wenn die Syndiks schon vor langer Zeit so schlau gewesen wären, den Krieg zu beenden, dann hätten sie auch weiter an ihrer Macht festhalten können. Aber sie haben es übertrieben, und dafür bekommen sie jetzt die Rechnung.«
»Dutzende von Sternensystemen wie Heradao?«, fragte Captain Vitali von der Daring. »Die Syndiks werden für diesen Krieg teuer bezahlen.«
»Unwichtig«, meinte Badaya. »Wir haben gewonnen, und die militärischen Bedrohungen, mit denen wir von jetzt an zu tun haben, werden vergleichsweise harmlos sein.«
»Bis auf eine«, warf Geary ein und sah die allgemeine Verwirrung, als er das Sternendisplay über dem Tisch so veränderte, dass es die Grenze zwischen den Syndiks und den Aliens zeigte. »Die Syndiks haben zugegeben, dass auf der anderen Seite des Syndik-Territoriums, also auf der der Allianz abgewandten Seite, eine intelligente, nichtmenschliche Rasse existiert.«
Sekundenlang herrschte derart völlige Stille, dass Geary sich fragte, ob er plötzlich taub geworden war. »Wer ist das?«, fragte Captain Duellos, der so klang, als hätte er soeben zum ersten Mal davon gehört.
»Das wissen die Syndiks nicht. Diese Aliens haben sich bislang erfolgreich bedeckt gehalten und existieren so völlig zurückgezogen, dass es den Syndiks in den letzten hundert Jahren nicht gelungen ist, irgendetwas Nennenswertes über sie in Erfahrung zu bringen. Sie bezeichnen die Aliens als die Enigma-Rasse.«
General Carabali atmete lautstark aus. »Lassen Sie mich raten. Die sind feindselig.«
»Offenbar ja, allerdings wissen wir nicht, in welchem Ausmaß.«
Schließlich hatte sich Badaya wieder genügend im Griff, um zu fragen: »Welchen Beweis haben die Syndiks geliefert, dass diese Rasse tatsächlich existiert?«
»Ich werde es Ihnen darlegen, aber einen Beweis dafür haben wir sogar selbst in den Händen gehalten. Sie erinnern sich an die Entdeckung von Würmern in unseren Betriebssystemen, die zur Programmierung Quantenwahrscheinlichkeiten benutzten. Solche Würmer übersteigen unsere technischen Fähigkeiten, und wir haben nun Belege dafür, dass die Syndiks derartige Fähigkeiten ebenfalls nicht besitzen. Soweit wir das beurteilen können, ist ihnen die Existenz der Würmer überhaupt nicht bekannt. Doch in den Systemen der kampfunfähig geschossenen Syndik-Schiffe haben wir genau die gleiche Software gefunden, wie Ihnen General Carabali bestätigen kann. Die Würmer müssen folglich das Werk dieser Rasse sein. In unsere Systeme hatten sie die eingespeist, um unsere Flugbewegungen beobachten zu können.«
»Arbeiten sie gegen uns, oder überwachen sie uns nur?«
»Sie arbeiten gegen uns. Sie können mit einer Art Fernsteuerung die Hypernet-Portale zusammenbrechen lassen. Das ist bei Kalixa geschehen, und hier ebenfalls.«
»Die haben versucht, uns auszulöschen?«
»Offenbar ja. Lassen Sie mich alles darlegen, was wir inzwischen über diese Aliens wissen und wie sich die Situation an der Syndik-Grenze zu ihnen gestaltet.«
Er holte aus, umriss die Belege für deren Existenz, zeigte die Aufzeichnung der um Hilfe bittenden Syndik-CEO und berichtete das Wenige, das er über ihre Fähigkeiten erzählen konnte. Als er zum Abschluss seiner Ausführungen kam, sagte lange Zeit niemand auch nur ein Wort.
Dann setzte der Captain der Dragon dem Schweigen ein Ende. »Reden wir hier davon, uns mit den Syndiks zu verbünden, um gemeinsam gegen diese Aliens vorzugehen?«
»Nein.« Geary sah, wie die Anspannung von einigen Männern und Frauen vor ihm am Tisch abfiel. »Niemand hat vorgeschlagen, dass wir uns einverstanden erklären sollen, die Syndikatwelten zu verteidigen. Eine solche Vereinbarung könnte zu leicht in ihr Gegenteil verkehrt werden.« Viele der Anwesenden nickten bekräftigend, da niemand hier den Syndiks traute. »Aber es ist eine andere Sache, wenn es darum geht, eine Invasion aufzuhalten. Wir wissen nicht, welche Absichten die Enigma-Rasse verfolgt, und wir wissen auch nicht, wie weit sie tatsächlich vorrücken würde, wenn die Grenze zu den Syndiks zusammenbricht.«
»Sie reden doch nicht von einer Bedrohung für die Allianz, oder? Das ist doch eine viel zu große Strecke.«
»Vier Wochen Reisezeit von der Grenze der Allianz bis zur Grenze mit den Aliens«, hielt Desjani dagegen. »Im Hypernet.«
»Können die das Hypernet benutzen?«, wollte der Captain der Warspite wissen.
»Es ist möglich«, antwortete Geary. »Wir haben sogar Grund zu der Annahme, dass es die Aliens waren, die die Allianz und die Syndikatwelten mit der Hypernet-Technologie versorgt haben.«
Wieder starrten ihn alle an, dann sagte Commander Neeson, als würde er mit sich selbst reden: »Das würde erklären…, dass es so viele Dinge gibt, die wir am Hypernet gar nicht verstehen… Und diese Würmer haben sich über die Hypernet-Schlüssel an Bord unserer Schiffe geschlichen.«
»So sieht es aus.«
»Aber warum?«, fragte Badaya und kniff bedrohlich die Augen zusammen. »Warum geben sie beiden Seiten solche Technologie? Was hatten sie vor?«
Duellos’ Blick schien auf einen Punkt in weiter Ferne gerichtet zu sein. »Das Hypernet sorgte für einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Allianz ebenso wie bei den Syndikatwelten, der in dem Moment einsetzte, als die Ausgaben für den Krieg für beide Seiten zu hoch zu werden drohten. Außerdem machten sie das Kämpfen viel einfacher, da die Logistik verbessert wurde, weil Schiffe und Material viel schneller von System zu System gelangen konnten.«
»Die wollten also, dass wir weiterkämpfen?« Badaya lehnte sich nach hinten, Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. »Sie wollten beide Seiten immer weiter schwächen, bis sie uns unterwerfen konnten.«
»Das war möglicherweise die Absicht dahinter«, stimmte Geary ihm zu. »Unsere Absicht ist es, diesen Aliens zu verstehen zu geben, dass wir eine solche Einmischung in unsere Angelegenheiten nicht dulden. Wir wollen ihnen klar machen, dass interne Konflikte die Menschheit nicht davon abhalten werden, sich zur Wehr zu setzen, wenn jemand versucht, in ihr Territorium vorzudringen und es für sich zu beanspruchen.«
»Was einen Kampf erforderlich machen könnte«, warf Jane Geary ein. »Einen Kampf gegen einen Kontrahenten, von dem wir nicht wissen, wie stark er ist und über welche Ressourcen er verfügt, welche Waffen er besitzt und wie es um seine Verteidigungsfähigkeiten bestellt ist.«
»Das ist richtig. Aber wenn wir nicht jetzt kämpfen, werden wir es irgendwann später dennoch müssen, wenn wir schwächer und die Aliens stärker sind. Wir haben jetzt die Chance, eine Linie zu ziehen und ihnen zu sagen, dass sie diese Linie nicht überschreiten sollen, weil sich die Menschheit nicht zum Rückzug zwingen lässt.«
Das kam bei den Offizieren gut an. Er sah, wie etliche von ihnen die Schultern strafften, als er sie mit dem Gedanken an einen Rückzug konfrontierte. Sie waren der Ansicht, dass sie niemals vor den Syndiks zurückgewichen waren, und sie würden erst recht nicht vor irgendwem sonst zurückweichen.
»Sie sagten, sie haben schon zuvor Planeten der Syndiks übernommen«, meldete sich Captain Parr von der Incredible zu Wort. »Waren das Planeten, auf denen noch Menschen zurückgeblieben waren? Wissen wir irgendetwas darüber, was aus diesen Menschen geworden ist?«
»Nein, das wissen wir nicht. Von den Menschen, die in die Gewalt der Aliens geraten sind, hat niemand je wieder etwas gehört.« Das störte alle Anwesenden, das konnte er deutlich merken. Es waren nicht bloß Ängste, die durch über Jahrtausende hinweg erzählte Geschichten entstanden waren, in denen fremde Rassen die Menschheit zu versklaven oder zu vernichten versuchten. Geschichten, die in jüngerer Zeit mehr und mehr als Fantastereien abgetan wurden, da bislang nirgends eine nichtmenschliche intelligente Spezies entdeckt worden war. Nein, überlegte Geary, es ging darum, Menschen zurückzulassen. Die Flotte tat so etwas nicht freiwillig, und wenn es sein musste, dann wurde jedes Mal das Versprechen gegeben, irgendwie zurückzukehren und sich um die zu kümmern, die man zurückgelassen hatte. In der Praxis wurden diese Versprechen nicht oft eingelöst, dennoch waren sie stets ehrlich gemeint, wenn sie gegeben wurden.
Badaya betrachtete finster das Sternendisplay. »Das sind zwar Syndiks, aber es sind Menschen. Und vielleicht werden sie bald keine Syndiks mehr sein. Sie werden ihre CEOs aufknüpfen oder erschießen und dann Regierungen bilden, mit denen wir vernünftig umgehen können. Diese Sternensysteme müssen evakuiert werden, aber das können die Syndiks nicht bewerkstelligen, richtig?«
»Richtig«, bestätigte Geary. »Sie haben nicht genug Schiffe, und die Zeit reicht auch nicht. Sie wissen ja, wie kompliziert es ist, nur ein einziges Sternensystem zu evakuieren, selbst wenn man alle Ressourcen der Allianz zur Verfügung hat. Millionen Menschen müssten auf diesen Welten zurückgelassen werden.«
»Dann müssen wir hin und die Aliens aufhalten! Mag ja sein, dass sie in der Lage waren, auf die Syndiks einzuprügeln, aber dann werden sie feststellen, dass der Angriff der Allianz-Flotte eine Bedrohung ist, mit der sie es nicht aufnehmen können!«
Zustimmender Jubel folgte Badayas Worten.
Nachdem die Konferenz beendet war, stand Geary da und fragte sich, wie lange der Enthusiasmus für eine Offensive gegen einen neuen Feind anhalten würde.
Duellos war noch geblieben und schüttelte amüsiert den Kopf. »Captain Badaya hält die Flotte für den größten und schwersten Hammer, der je gefertigt worden ist. Und sobald er ein Problem als einen Nagel betrachten kann, drängt er unweigerlich darauf, die Flotte zum Einsatz zu bringen.«
»Ja«, bestätigte Geary. »Badaya hat mir in der Vergangenheit immer wieder Kopfschmerzen bereitet, aber seine direkte Art kann manchmal ganz nützlich sein.« Das klang erschreckend nach etwas, das Rione sagen würde.
Plötzlich begann Desjani zu lachen. Als sie bemerkte, dass Geary und Duellos sie anschauten, zeigte sie auf das Display. »Diese Syndik-CEO bei Midway sitzt da und wartet, dass Hilfe eintrifft. Sie rechnet damit, dass die Aliens jeden Moment auftauchen, und dann kommt statt einer kleinen Syndik-Flotte die komplette Allianz-Flotte aus dem Hypernet-Portal geflogen. Die wird den Schock ihres Lebens kriegen.«
Es dauerte einige Tage, um die notwendigsten Reparaturen zu erledigen. Am liebsten hätte Geary die am schwersten in Mitleidenschaft gezogenen Schiffe auf die Heimreise geschickt, aber auch wenn man in der Allianz damit beschäftigt war, anhand der Daten des Hypernet-Schlüssels an Bord der Dauntless weitere Schlüssel zu produzieren, war von denen kein Exemplar zeitig genug fertig geworden, um es der Flotte als Reserve mitzugeben. Nur Schiffe, die von der Dauntless begleitet wurden, konnten das Syndik-Hypernet benutzen, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als bei der Flotte zu bleiben und den Hilfsschiffen Gesellschaft zu leisten. Diese Hilfsschiffe verteilten Brennstoffzellen, Flugkörper und Kartätschen an die Schiffe, damit die ihre Bestände auffüllen konnten, und produzierten alle notwendigen Ersatzteile.
Er konnte mit der Flotte nach Mandalon oder zurück nach Zevos springen, seine Entscheidung fiel auf letzteres System, da es dort ein Hypernet-Portal gab. Auch wenn dem Vertrag nach zwischen den Syndikatwelten und der Allianz Frieden herrschte, fühlte sich Geary wie der Befehlshaber einer Besatzungsmacht, während er die Flotte zum Sprungpunkt führte, wusste er doch, dass jeder Mann, jede Frau und jedes Kind im Sternensystem seine Flotte mit Furcht und Misstrauen betrachtete.
Ob sich Desjani auch an den wachsamen Blicken der argwöhnischen Syndiks störte, war ihr nicht anzusehen. »Zurück nach Zevos durch den Sprungraum, danach per Hypernet weiter nach Midway. Wenn man den Syndik-Daten trauen kann, dann kommen wir gut hin und werden etwa einen Tag vor Ablauf des Ultimatums dort eintreffen.«
»Ich glaube nicht, dass die Syndiks sich darüber beklagen werden.«
»Das sollten sie sich auch besser verkneifen.«
Er rief Carabali. »General, ich wollte mich nur vergewissern, dass wir alle Syndik-Gäste abgesetzt haben, die Ihre Marines von den Wracks mit an Bord gebracht haben.«
»Jeder unserer Gäste wurde in reparierten Rettungskapseln untergebracht, die sie zu sicheren Standorten bringen werden«, bestätigte Carabali. »In den Datenbanken der Flotte ist vermerkt, dass sich ein einzelner Syndik noch an Bord der Dauntless befindet, aber man hat mir gesagt, dass er einen Sonderfall darstellt.«
»Das ist richtig, General. Wir bringen CEO Boyens zurück nach Hause.«
»Was ist mit den Kriegsgefangenen hier im System, Admiral?«, hakte sie nach. »Die würden sicher auch gern nach Hause gebracht werden.«
»Die will ich jetzt nicht an Bord nehmen«, erklärte Geary. »Mit ihnen wären zum einen unsere Schiffe überlaufen, und ich möchte nicht, dass die befreiten Kriegsgefangenen gleich darauf in Gefechte hineingezogen werden, falls wir doch gegen die Aliens kämpfen müssen. Wenn wir bei Midway mit den Aliens fertig sind, kommen wir hierher zurück und holen unsere Leute ab. Ich habe mit den Gefangenen gesprochen und ihnen die Situation erklärt. Die neue Syndik-Führung weiß, dass sie den Leuten besser kein Haar krümmt, bis wir wieder da sind.« Geary lächelte. »Ich habe diesen Syndiks persönlich erklärt, wenn sie sich nicht gut um unsere Leute kümmern, dann wird jeder von ihnen Besuch von den Allianz-Marines bekommen.«
Es war das erste Mal, dass er Carabali lachen hörte.
Zweieinhalb Wochen später kam die Allianz-Flotte aus dem Hypernet-Portal bei Midway geschossen, sie war damit tiefer ins Syndik-Territorium vorgestoßen als jedes andere Allianz-Schiff vor ihnen. Sie verfügten zwar über Sternenkarten dieser Region, aber keiner von ihnen hätte es für möglich gehalten, eines dieser Systeme jemals zu Gesicht zu bekommen.
Das Erste, was die Flottensensoren registrierten, waren Scharen von Transportern, die mit zusätzlichen Passagiermodulen versehen worden waren. Diese Schiffe flogen in weitem Bogen von den bewohnten Planeten zum Hypernet-Portal sowie zu den Sprungpunkten, um die Menschen in andere Systeme zu befördern. Die Werte, die sie für den Planeten empfingen, ließen jedoch keinen Zweifel daran, dass der weitaus größte Teil der Bevölkerung dort zurückbleiben würde, da er bis zum Ablauf des Alien-Ultimatums nicht evakuiert werden konnte.
Es hielten sich auch Syndik-Kriegsschiffe im System auf, jedoch waren es nicht viele. In einer Entfernung von fünf Lichtstunden kreiste eine kleine Syndik-Flotte durch das All. »Sechs Schwere Kreuzer, vier Leichte Kreuzer, fünfzehn Jäger«, merkte Desjani an. »Wahrscheinlich ist das alles, was sie in dieser Region noch zusammenkratzen konnten.«
»Captain?«, rief der Ablauf-Wachhabende. »Einige der Schiffe lassen erkennen, dass sie nicht vollständig ausgestattet sind. Es sieht so aus, als wären sie hergeschickt worden, obwohl sie noch gar nicht fertig montiert waren.«
»Dann werden die Crews auch nichts taugen. Völlig ungeübt und ohne jede Erfahrung.« Desjani warf Geary einen sehnsüchtigen Blick zu. »Die wären so leicht in Stücke zu schießen.«
Er zog mahnend eine Augenbraue hoch. »Ich dachte, Sie bevorzugen einen fairen Kampf.«
»Also… ja. Es ist ohnehin egal. Wir würden sie niemals zu fassen bekommen, außer sie nehmen geradewegs Kurs auf uns. Aber ob sie unerfahren sind, möchte ich doch eher bezweifeln.«
»Oder so selbstmörderisch veranlagt. Dafür sind wir sowieso nicht hergekommen.« Sobald das Licht von der Ankunft der Flotte jeden erreichte, würde man überall im System in Panik geraten, vor allem natürlich auf den wehrlosen Transportern mit ihrer menschlichen Fracht an Bord. Geary sammelte sich kurz, dann betätigte er die Komm-Kontrollen. »An die Menschen im Midway-Sternensystem: Hier spricht Admiral Geary, der Befehlshaber über die Allianz-Flotte. Zwischen der Allianz und den Syndikatwelten wurde ein Friedensvertrag geschlossen. Der Krieg ist zu Ende. Wir sind nicht hergekommen, um Sie anzugreifen, sondern wir folgen einer Bitte der gegenwärtigen Führer der Syndikatwelten, jeden Versuch abzuwehren, der zum Ziel hat, die geforderte Evakuierung dieses Sternensystems durchzusetzen. Ich betone: Wir sind hergekommen, um zu unterbinden, dass aggressive Akte gegen dieses Sternensystem gerichtet werden. Wir werden keine mit Menschen besetzten Schiffe angreifen, und wir werden auch gegen keine Einrichtung der Menschen in diesem System vorgehen, es sei denn, wir werden angegriffen. Dann werden wir auch nur im Rahmen der Selbstverteidigung zur Tat schreiten. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Er beendete die Übertragung, dann betätigte er eine andere Taste und richtete einen eng gebündelten Funkstrahl auf den Punkt auf der bewohnten Primärwelt, wo sich nach Boyens Angaben das Kommando-und Kontrollzentrum der Syndiks befinden musste. »CEO Iceni, hier spricht Admiral Geary, befehlshabender Offizier der Allianz-Flotte. Wir sind hier, weil die neuen Führer des Exekutivrats der Syndikatwelten uns gebeten haben, Sie dabei zu unterstützen, die zu erwartende Aggression der Enigma-Rasse zurückzuschlagen. Wir bitten Sie darum, uns umgehend über die aktuelle Situation zu informieren und uns darüber hinaus alle Informationen über die Enigma-Rasse zur Verfügung zu stellen, von denen Sie glauben, sie könnten uns bislang noch nicht zugänglich gemacht worden sein.«
Geary gab Boyens ein Zeichen, daraufhin trat der Syndik-CEO vor und stellte sich ins Transmissionsfeld. »Sie kennen mich, Gwen. Ich wurde gefangengenommen, als die Reserveflotte zerstört wurde. Die Flotte wird nicht wiederkehren, sie wurde vernichtet. Die Syndikatwelten haben keine Schiffe mehr, die sie herschicken könnten, aber es stimmt, was Admiral Geary gesagt hat. Der Krieg ist vorbei, und die Allianz hat sich bereit erklärt, bei der Verteidigung dieses Systems zu helfen. Admiral Geary ist ein Ehrenmann. Sie können ihm vertrauen. Er ist unsere einzige Hoffnung, um dieses und viele andere Sternensysteme zu verteidigen, die alle evakuiert werden müssten, wenn dieses hier von der Enigma-Rasse übernommen werden sollte.«
Boyens ging wieder einen Schritt nach hinten, dann redete Geary weiter: »Wir bitten Sie, Ihrer Flotte und anderen Verteidigungseinrichtungen in diesem System den Befehl zu geben, keine Maßnahmen zu ergreifen, die als provozierend gedeutet werden könnten. Wir bitten Sie ferner noch einmal, uns alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die für die Verteidigung dieses Sternensystems von Nutzen sein könnten. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Desjani betrachtete stirnrunzelnd ihr Display. »Wir sind da, aber wohin jetzt?«
»Ich würde Ihnen empfehlen, sich in diese Region zu begeben«, schlug Boyens vor und deutete auf einen Teil des Displays. »Das ist die Seite des Systems, die zum Territorium der Aliens hin gelegen ist. Wenn sie ankommen, dann irgendwo in diesem Gebiet.«
»Danke«, erwiderte Geary und wartete, bis Boyens von der Brücke eskortiert worden war. Dann erst befahl er der Flotte, auf einen Vektor einzuschwenken, der in die von dem CEO empfohlene Region führte.
Sie warteten wieder eine Weile, während die Crews auf den beschädigten Kriegsschiffen weiterhin darum bemüht waren, so viele Reparaturen wie möglich zu erledigen. Die Flotte zog an davoneilenden Syndik-Handelsschiffen vorbei, in denen sich die Menschen drängten, die die Ankunft der Allianz-Streitmacht zweifellos mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst mitverfolgten.
Die Antwort der Syndiks traf so schnell ein, wie es die Verzögerungen bei der Übermittlung erlaubten.
»CEO Iceni ist immer noch hier«, stellte Rione fest, die zurück auf der Brücke war. Sie hatte die rotierende Besetzung mit Sakai und Costa abermals so eingerichtet, dass sie anwesend sein konnte, wenn es etwas Interessantes zu beobachten gab. »Ich würde sagen, Iceni verdient unsere Anerkennung dafür, dass sie sich nicht unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand gleich als Erste selbst evakuiert hat.«
Desjani murmelte etwas Unverständliches, das sich ungefähr so anhörte wie: »Aber nicht von mir.«
CEO Iceni machte einen verwirrten und entsetzten Eindruck. »Hier spricht die Seniorrepräsentantin der Syndikatwelten. Uns war bislang von der Unterzeichnung eines Friedensvertrags nichts bekannt, aber die von Ihnen übermittelten Dokumente und das Echtheitszertifikat scheinen authentisch zu sein. Wir sind auf Ihre Ankunft nicht vorbereitet, eine solche Situation hat es… noch nie gegeben. Aber… wir sind Ihnen für Ihre Unterstützung dankbar. Wir hatten nicht erwartet, hier zu siegen… oder auch nur zu überleben. Mein Stab stellt in diesem Augenblick alle Informationen zusammen, die für Sie hilfreich sein können. Was ich Ihnen jetzt schon mitteilen kann, ist, dass die Enigma-Rasse am wahrscheinlichsten durch den Sprungpunkt herkommt, der zu dem Stern führt, den wir unter dem Namen Pele kennen. Ich habe Anweisungen an den CEO gesendet, der die kleine Flotte in diesem System befehligt, damit er unmittelbar mit Ihnen Kontakt aufnimmt und nicht das Feuer auf Ihre Flotte eröffnet, es sei denn, er wird selbst angegriffen. Alle Verteidigungsanlagen der Syndikatwelten sind angewiesen worden, Ihre Schiffe nicht als Ziele zu erfassen.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie CEO Boyens zugestehen würden, eigenständig mit mir Kontakt aufzunehmen.«
»Träum weiter«, murmelte Desjani, dann hellte sich ihre Miene auf. »Wir können alles überwachen, was er sendet und was von ihr zurückkommt.«
»Stimmt«, sagte Geary. »Können Sie alles Notwendige veranlassen, Captain Desjani? Und denken Sie bitte daran, Lieutenant Iger einzubeziehen, damit er auf dem Laufenden ist.«
Fast drei Stunden später ging endlich eine Nachricht von der kleinen Syndik-Flotte ein. »Hier spricht CEO Vierten Grades Kolani, Befehlshaberin der Flotte Sieben Drei Vier der Syndikatwelten.« Kolanis Stimme und Körperhaltung waren ungewöhnlich steif und förmlich, sie ließ das typische falsche Lächeln ebenso vermissen wie die echte Arroganz eines Syndik-CEOs. Für ihren Posten wirkte sie recht jung, andererseits waren die älteren und erfahreneren Commander alle dazu verdammt gewesen, im letzten Aufgebot gegen die Allianz im Heimatsystem zu sterben. Ihre Uniform saß genauso tadellos wie ihre Frisur. Allem Anschein nach war schon etwas Schlimmeres als diese gegenwärtige Krise nötig, um selbst einen Junior-CEO der Syndiks aus der Ruhe zu bringen. »Mir wurde befohlen, mich wegen der Verteidigung dieses Sternensystems mit Ihnen in Verbindung zu setzen.«
»Und dieser Befehl macht sie ja so unglücklich«, merkte Desjani schadenfroh an.
»Ich… bitte… darum«, fuhr CEO Kolani fort, wobei ihr das Wort »bitte« fast im Hals stecken blieb, »dass Sie Ihre… Vorschläge übermitteln, wie die mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten und der Allianz…« Wieder hielt sie kurz inne. »…gemeinsam die Verteidigung dieses Sternensystems übernehmen sollten.« Die Augen der CEO loderten förmlich, und sie verkrampfte sich noch etwas mehr. »Wir sind bereit, bei der Verteidigung unserer Bevölkerung zu sterben. Kolani Ende.«
Desjanis Schadenfreude hatte sich in ein widerstrebendes Lächeln verwandelt. »Sie ist zäh. Mit ihr hätte ich mir gern ein Feuergefecht geliefert.«
»Das glaube ich gern«, antwortete Geary.
»Haben Sie vor, sie Seite an Seite mit uns kämpfen zu lassen?«
Er sah sie an. »Das halte ich für keine gute Idee. Was meinen Sie?«
»Es wäre eine schreckliche Idee«, betonte Desjani. »Mit einem Syndik-Kriegsschiff in Waffenreichweite ins Gefecht zu ziehen? Mir ist egal, was in diesem Vertrag steht, und mir ist auch egal, dass wir uns auf einmal auf derselben Seite befinden sollen. Es besteht immer noch ein großes Risiko, dass mehr als nur ein Allianz-Schiff ›versehentlich‹ auf die Syndiks feuert.« Nach kurzer Denkpause ergänzte sie: »Genau genommen könnte es im Eifer des Gefechts tatsächlich dazu kommen, dass die Syndiks rein aus Gewohnheit beschossen werden, ohne dass da irgendeine Absicht im Spiel ist. Wir haben die Syndiks unser Leben lang als Feinde angesehen, das kann man nicht von jetzt auf gleich einfach abschalten.«
Desjani sah ihm einen Moment lang in die Augen, dabei erkannte er, was sie ihm sagen wollte, ohne es laut auszusprechen. Wenn die Dauntless in die Nähe dieser Syndiks gerät, könnte es mir im Eifer des Gefechts passieren, sie als Ziele anzusehen, weil sie schon immer der Feind gewesen sind. Ich würde es wahrscheinlich nicht absichtlich machen, aber ich hätte deswegen anschließend bestimmt kein schlechtes Gewissen.
Daraufhin nickte er bedächtig, um ihr zu verstehen zu geben, dass ihre stumme Botschaft angekommen war. »Danke für Ihre offenen Worte. Es ist sehr wichtig für mich, solche Dinge zu hören. Auch wenn ich Ihre Bedenken außer Acht ließe, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine enge Zusammenarbeit mit den Syndiks funktionieren dürfte. Wir haben für einen solchen Fall keine festgelegten Protokolle, die sicherstellen, dass einer dem anderen sagen kann, was er tun soll, und dass das dann auch geschieht.«
»Ja, das auch. Werden Sie ihr sagen, dass sie sich weit, weit weg von uns aufhalten soll?«
»Sagen wir, ich werde nicht genau diese Wortwahl benutzen.« Mit ruhiger Stimme und neutraler Miene schickte er seine Antwort an die Befehlshaberin der Syndik-Flotte. »Ich danke Ihnen für Ihr Angebot, uns zu unterstützen, aber mit Blick auf die bis vor Kurzem noch ausgetragenen Feindseligkeiten zwischen unseren Völkern und angesichts der Tatsache, dass wir nicht über von beiden Seiten einvernehmlich festgelegte Ablaufprotokolle verfügen, ist das Risiko zu groß, dass es zu Missverständnissen kommt. Wir bitten Sie daher, mit Ihrer Flotte eine Position einzunehmen, die gut bei einem Drittel der Strecke zwischen der bewohnten Primärwelt dieses Systems und jenem Punkt liegt, an dem mit dem Auftauchen der Aliens zu rechnen ist. Unsere Flotte wird sich in einen Orbit begeben, der gut zwei Drittel der Entfernung zu Ihrer Primärwelt beträgt, also ein Drittel zur erwarteten Position der Aliens. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Voller Unglauben schüttelte Desjani den Kopf. »Ich weiß nicht, wie Sie mit denen reden können.«
»Sie meinen, woher ich weiß, wie ich mich ausdrücken muss? Ich bin schon früh in meiner Karriere Syndik-Kriegsschiffen begegnet, vor über hundert Jahren, als noch Frieden herrschte. Damals musste ich lernen, wie ich reden muss.«
»Das habe ich damit nicht gemeint.« Desjani schob leicht den Unterkiefer vor, während sich ihr Blick auf ferne Erinnerungen richtete. »Ich weiß nicht, wie Sie mit denen reden können, ohne Drohungen oder Forderungen auszusprechen. Ich könnte das nicht, und ich glaube kaum, dass irgendein anderer Offizier dieser Flotte dazu in der Lage wäre.« Dann sah sie ihn wieder an, diesmal mit einem abwägenden Ausdruck in den Augen. »Die lebenden Sterne wussten mehr, als wir uns vorstellen konnten. Sie wussten, wir brauchen Sie, um diese Flotte zu retten und den Krieg zu gewinnen. Aber ihnen war auch klar, dass wir Sie jetzt immer noch brauchen; einen Mann, der frei ist von der Verbitterung und dem Zorn, die wir alle empfinden, weil wir unser ganzes Leben lang gegen diese Bastarde kämpfen. Jemanden, der in der Lage ist, mit den Syndiks zu reden.«
Da war wieder seine Mission. Er hatte gehofft, nach Kriegsende würde dieses Gerede endlich aufhören, die lebenden Sterne hätten ihn aus der Vergangenheit in diese Zeit geschickt. Aber Desjani hatte bislang immer an ihrem Glauben festgehalten, und sie war ganz sicher nicht die Einzige, die der Meinung war, dass höhere Mächte ihre Finger im Spiel hatten. Also versuchte Geary, sich nicht anmerken zu lassen, wie er innerlich bei diesen Worten zusammenzuckte.
Doch Desjani entging seine Reaktion nicht. »Tut mir leid. Ich weiß, es ist Ihnen unangenehm, wenn ich davon rede.«
»Ich bin auch nur ein Mensch«, hielt er ihr vor Augen.
»Nur?« Sie grinste ihn an. »Jawohl, Sir.« Er war schon vor einer Weile dahintergekommen, dass sie, wenn sie mit einem simplen »Jawohl, Sir« antwortete, in Wahrheit gar nicht seiner Meinung war. Aber dann verschwand das Lächeln so schnell, wie es gekommen war. »Tatsache ist, dass Sie nach wie vor gebraucht werden.«
»Ich kann nicht der Einzige sein, der in der Lage ist, bestimmte Dinge zu erledigen, Tanya. Andere müssen das auch lernen, weil ich nicht überall zugleich sein kann. Außerdem werde ich nicht ewig leben.«
»Ja, das stimmt.« Sie verzog den Mund. »Ich werde mir Mühe geben.«
»Sie haben bereits eine Menge mehr gemacht, als sich nur Mühe zu geben, Captain Desjani, und das weiß ich zu schätzen. Na gut, in ungefähr sechs Stunden werden wir wissen, was die Syndik-Flotte tun wird. Bis dahin sind wir schon in Position gegangen. Wenn diese Aliens auftauchen, werden wir sie in Empfang nehmen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann improvisieren wir eben, Captain Desjani.«
»Ja, das werden wir machen«, gab sie grinsend zurück.
Sie befanden sich im Orbit und warteten, als die Antwort der Syndik-Flotte einging. Die befehlshabende CEO machte den gleichen mürrischen Eindruck wie bei der ersten Übermittlung, ihre Worte kamen wie ein einstudierter Text über ihre Lippen. »Die mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten in diesem Sternensystem entsprechen Ihrer Bitte. Wir werden in einen Orbit einschwenken, von dem aus wir so reagieren können, wie es die Ereignisse erfordern. Für das Volk. Kolani Ende.«
Senator Sakai beugte sich auf seinem Platz vor und machte eine beeindruckte Miene. »Sie hat die Übertragung mit der förmlichen Floskel beendet. Vor über einer Generation haben die Syndiks aufgehört, so mit uns zu reden. Ich kenne das nur noch aus historischen Aufzeichnungen. Vielleicht ist es ja ein Zeichen, dass sie bereit sind, wieder ernsthaft mit uns zu reden.«
Desjani wirkte einen Moment lang beunruhigt, dann erklärte sie entschlossen: »Aber nicht als Erste. Sie werden nicht lernen, mit uns ernsthaft zu reden, bevor wir gelernt haben, wieder mit ihnen zu reden.«
Und dann warteten sie weiter. Die Allianz-Flotte hatte einen Orbit in einer festen Position zum Sprungpunkt nach Pele eingenommen, während sich die Syndik-Flotte gut eine Lichtstunde näher zur Primärwelt aufhielt. Die Syndik-Transporter mit den Evakuierten an Bord versuchten weiter, so viele Menschen wie möglich aus dem System zu bringen, während die Planeten und Asteroiden ihre Bahnen zogen, wie sie es seit Jahrtausenden taten. Nur die Kriegsschiffe waren nicht in Bewegung. Von den Syndiks wurden keine weiteren Mitteilungen übertragen, und Geary fiel auf, dass seine eigenen Offiziere ganz bewusst die Gegenwart der Syndik-Schiffe ignorierten. Es wirkte, als wäre es ihnen lieber, ein verlassenes Sternensystem zu verteidigen, anstatt eines, das von den Menschen bevölkert wurde, die in ihren Köpfen noch immer die Feinde waren.
Geary fühlte sich einmal mehr rastlos und unternahm einen seiner typischen Spaziergänge durch die Dauntless, auf denen er in den Gängen des Schiffs unterwegs war und die Offiziere und Matrosen grüßte, denen er dabei begegnete. Mit dem einen oder anderen wechselte er ein paar Worte, aber nur einer, ein Chief Petty Officer, stellte die Frage, die allen in der Flotte durch den Kopf gehen musste. »Wer sind die, Admiral? Diese Aliens, meine ich.«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Geary. »Das ist einer der Gründe, weshalb wir hier sind, Chief. Wir wollen herausfinden, wer sie sind und was sie vorhaben.«
»Die Leute erzählen sich, dass die sich ein paar Sternensysteme der Syndiks einverleiben wollen, Admiral.«
»Danach sieht es aus, Chief. Aber wir wissen nicht, wann sie zufrieden sind oder ob sie nicht auf einmal bei uns zu Hause vor der Tür stehen und Allianz-Systeme übernehmen wollen. Sollten sie tatsächlich feindselig sein, dann wollen wir uns ihnen hier in den Weg stellen, bevor sie bei uns auftauchen.«
Der Chief und die Matrosen, die mit ihm in einer Gruppe standen, nickten zustimmend. Das war die Art von Logik, die einen Sinn für sie ergab. »Hatten sie was mit Kalixa zu schaffen?«
»Wir glauben ja.«
Alle verzogen sie angewidert den Mund. »Hässliche Sache«, meinte der Chief. »Wir wollen nicht, dass sie so was in einem Allianz-System versuchen.«
»Ganz bestimmt nicht«, pflichtete Geary ihm bei. »Wir wollen nicht mal, dass sie auch nur glauben, sie könnten mit so was ungeschoren davonkommen.«
»Ist ja fast wie Grendel, nicht wahr?«, merkte der Chief an. »Nur dass es diesmal nicht die Syndiks sind, die einen Überraschungsangriff auf uns planen. Wir danken den lebenden Sternen, dass Sie hier bei uns sind, Sir. So wie Sie damals auch dort waren.« Wieder folgte zustimmendes Nicken.
»Danke, und ich danke den lebenden Sternen, dass Sie heute alle bei mir sind.« Er wusste nie so recht, wie er mit Bemerkungen umgehen sollte, wie sie der Chief gemacht hatte, aber eine schlichte, ehrliche Antwort erschien ihm immer noch die beste Antwort. Die Matrosen schienen sich darüber zu freuen.
Als er weiterging, musste er wieder an das denken, was der Chief gesagt hatte. In gewisser Weise erinnerte das hier tatsächlich an Grendel. Die Syndik-Flotte entsprach in ihrer Größe in etwa der, der sich Geary bei Grendel gegenübergesehen hatte. Doch während es damals nur ihn und die Crew seines Schweren Kreuzers Merlon gegeben hatte, wurde er nun von einer eigenen Flotte begleitet. Und diesmal waren es die Kriegsschiffe der Allianz-Flotte gewesen, die ohne Vorwarnung in einem Syndik-Sternensystem aufgetaucht waren und ihre friedlichen Absichten bekundet hatten, und das war das genaue Gegenteil der Ereignisse bei Grendel. Genau genommen war die Allianz-Flotte sogar darum gebeten worden herzukommen. Und sie hegte keine feindseligen Absichten gegen die Bevölkerung dieses Systems. Manches war wie bei Grendel, aber vieles war auch völlig anders.
Die Leute aus dieser Zeit glaubten unbeirrbar daran, dass er bei Grendel gesiegt hatte, obwohl die Merlon zerstört worden war. Unwillkürlich fragte er sich, wie man wohl in hundert Jahren die jetzt anstehende Konfrontation in Erinnerung haben würde – und wie hoch der Preis war, den sie kosten würde.
Schließlich kehrte Geary auf die Brücke zurück, wo er auf sein Display starrte, auf dem sich keine bedeutenden Veränderungen abgespielt hatten, obwohl das Ultimatum der Aliens vor Stunden abgelaufen war. Desjani saß immer noch in ihrem Sessel und schien sich in der ganzen Zeit nicht gerührt zu haben. Sie wirkte wie eine große Raubkatze, die geduldig darauf wartete, dass ihre Beute auftauchte und sie sich auf sie stürzen konnte. Auch die Wachhabenden schienen auf eine ganz ähnliche Weise angespannt zu sein, da sich unter ihre Zuversicht in ihre Vorgesetzten und ihr eigenes Können die Sorge vor dem Unbekannten mischte, das auf sie alle wartete. Hinter Geary gab Senatorin Costa nur unwillig ihren Platz an Rione ab, die sich wortlos hinsetzte und nach außen hin völlig unbesorgt erschien.
Eine weitere Stunde verstrich, und Gearys Gedanken kreisten um die Schlachten, in denen er das Kommando gehabt hatte, und um die Männer, Frauen und Schiffe, die diese Schlachten nicht überlebt hatten. Seine Entscheidungen, seine Verantwortung. Ihm kamen Carabalis Worte in den Sinn: Ich bin es leid, entscheiden zu müssen, wer überlebt und wer stirbt.
Dann auf einmal waren sie da und rissen Geary aus seinen Überlegungen. Das All, das eben noch leer gewesen war, hatte sich schlagartig mit Schiffen gefüllt.
Mit einer großen Menge an Schiffen.
Geary spürte, wie die Anspannung auf der Brücke abrupt in die Höhe ging, und er bemühte sich, nach außen hin Ruhe zu bewahren. »Sieht aus, als wären sie uns zahlenmäßig überlegen.«
»Ungefähr im Verhältnis zwei zu eins«, bestätigte Desjani genauso gefasst wie er. Er fragte sich, ob sie ihre Gelassenheit auch nur so vortäuschte wie er. Bei Desjani hatte er schon immer das Gefühl gehabt, dass sie umso ruhiger wurde, je näher ein Gefecht rückte. »Sie sind ungefähr zweieinhalb Lichtstunden von uns entfernt und gleichzeitig ungewöhnlich weit weg vom Sprungpunkt. Lieutenant Commander Kosti, was erzählen die Schiffssysteme?«
Kosti, der offensichtlich froh war, sich auf etwas anderes konzentrieren zu dürfen als auf die Anzahl an Alien-Schiffen, betrachtete aufmerksam seine Displays. »Sie sind tatsächlich deutlich weiter vom Sprungpunkt entfernt, als es unsere Schiffe wären. Die Systeme können aber nicht feststellen, ob die Aliens einen völlig anderen Antrieb verwenden, um das Sprungphänomen zu nutzen, oder ob sie bei der gleichen Antriebsart andere Ergebnisse erzielen.«
Desjani nickte. »Danke. Das heißt, sie könnten auch über größere Sprungreichweiten verfügen.«
»Ja, Captain. Vielleicht sogar deutlich größere, aber dazu lassen sich keine Angaben machen.«
Geary konzentrierte sich wieder auf die Aliens, deren Armada in sechs Unterformationen aufgeteilt war, die alle die Form einer Scheibe aufwiesen. Die Unterformationen waren zu zwei V-förmigen Gruppen angeordnet, in denen eine Formation ein Stück weit vor den beiden anderen positioniert war. Beide V-Gruppen hatte man übereinandergestapelt, wobei die untere ein Stück nach hinten zurückversetzt war. »Ich habe keine Ahnung, wie sie in dieser Formation kämpfen wollen. Ist das eigentlich die beste Auflösung, in der die einzelnen Schiffe dargestellt werden?« Die Sensoren zeigten nur vage Schemen an.
»Ja, Admiral«, bestätigte Lieutenant Commander Kosti. »Das ist alles, was wir sehen. Wir können zwar sagen, dass sich da ein Schiff befindet, aber das ist auch schon alles. Wir wissen nicht mal, wie groß es ist, von irgendwelchen Details ganz zu schweigen. Und ich habe keine Ahnung, wie es den Aliens möglich ist, etwas von den Ausmaßen eines Raumschiffs so gut zu verschleiern.«
»Stellen Sie eine Verbindung zu Boyens her. Er soll die gleichen Bilder zu sehen bekommen wie wir, aber er soll uns nicht hören können, es sei denn, wir sprechen ihn direkt an.«
»Ich sagte Ihnen ja, dass die über unglaubliche Tarnfähigkeiten verfügen«, ließ CEO Boyens verlauten, als seine virtuelle Präsenz auf der Brücke erschien und er die Informationen auf den Displays zu sehen bekam. Er selbst sollte keinen Zugang zur Brücke erhalten, erst recht nicht, wenn mit einem Gefecht zu rechnen war. »Ein besseres Bild als das da haben wir auch nie empfangen können. Manchmal sind sie vollständig unsichtbar, bis sie sich aus irgendeinem Grund entscheiden, sich einem zu zeigen.«
»Haben Sie schon einmal so viele Schiffe gesehen?«, wollte Geary wissen.
»Nein, nicht annähernd so viele.« Der Syndik-CEO musterte ratlos die Displays. »Warum so viele? Sie können nicht erwartet haben, dass wir als Syndikatwelten noch eine Flotte zusammenstellen können, die eine solche Armada rechtfertigt.«
»Wollen sie immer so deutlich die Oberhand demonstrieren, wenn sie mit Menschen zu tun haben?«, fragte Rione.
»Schwer zu sagen. In den letzten Jahrzehnten gab es nur selten Kontakte, und soweit ich weiß, ist es auch genauso lange nicht mehr zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen.«
»Dann werden wir abwarten müssen, was diesmal geschieht«, sagte Geary. Obwohl sich Allianz-Politiker an Bord der Dauntless befanden, hielt er es für angebracht, dass er sich an die Aliens wandte. Das hier vermittelte eher den Eindruck einer militärischen Konfrontation als den einer diplomatischen Mission. »Hier spricht Admiral Geary, befehlshabender Offizier der Allianz-Flotte. Ich wende mich an die unbekannten Schiffe, die im Midway-Sternensystem eingetroffen sind. Identifizieren Sie sich und dringen Sie nicht tiefer in das System ein. Wir wünschen keine Gewaltanwendung, aber die Allianz-Flotte wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um jeden Angriff auf dieses Sternensystem abzuwehren.«
Rione war kreidebleich, als sie auf ihr Display schaute. »Also wird es einen Kampf geben, einen weiteren Krieg.«
»Möglicherweise. Ich werde versuchen, so etwas zu vermeiden.«
»Ich weiß, Sie werden das tun, aber die Aliens haben uns gesehen, als sie hier aufgetaucht sind, und trotzdem nähern sie sich weiter dem Stern. Ich hatte gehofft, wir könnten mit ihnen reden, aber wenn sie uns zahlenmäßig so überlegen sind, sehen sie dazu womöglich gar keine Veranlassung.« Auf den Displays war zu sehen, wie die Schiffe der Aliens einem Kurs folgten, der sie tiefer ins System führte – und damit in Richtung der Allianz-Flotte.
»Sie werden meine Nachricht erst in zweieinhalb Stunden empfangen. Wir werden sehen, wie sie dann reagieren.«
»Aber sie wissen bereits, dass wir hier sind, und trotzdem kommen sie näher.«
»Ja.« Mehr als das gab es dazu nicht zu sagen.
Rione kam näher und fragte fast im Flüsterton: »Können Sie eine so große Armada besiegen, Admiral Geary?«
»Das weiß ich nicht, weil es zu vieles gibt, was uns über die Aliens noch nicht bekannt ist.«
Desjani meldete sich zu Wort und erklärte lauter als Rione: »Wenn jemand sie besiegen kann, dann ist es Admiral Geary.«
Ohne den Blick von Geary abzuwenden, stimmte Rione der Kommandantin der Dauntless zu: »Da bin ich wieder einmal Ihrer Meinung. Tut mir leid.«
»Versuchen Sie nur, daraus keine Angewohnheit zu machen. Das ist nämlich ein bisschen beunruhigend.«
»Ich glaube, darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen«, gab Rione ironisch zurück, während Desjani nickte und dabei stur auf ihr Display sah.
Die Antwort der Aliens traf nach etwas über fünf Stunden ein, was verriet, dass sie ein wenig Zeit benötigt hatten, um ihre Erwiderung zu formulieren. Alle drei Senatoren waren auf der Brücke, da sie darauf hofften, den historischen Moment mitzuerleben, wenn die Aliens sich zum ersten Mal an die Vertreter der Allianz wandten. Da sich die drei ruhig verhielten, gab es für Geary keinen Grund, sie wegzuschicken.
Die Übertragung der Aliens zeigte eine Brücke, die an die eines Syndik-Kriegsschiffs erinnerte. Bevölkert wurde sie von Menschen, die völlig unscheinbare Kleidung trugen. Boyens zeigte auf das Bild. »Sehen Sie? Das ist alles nicht echt. Bei unserer ersten Nachricht an die Enigma-Rasse haben wir Bild und Ton gesendet, während von ihnen nur Audioantworten zurückkamen, die aus ein oder zwei Worten bestanden. Dann auf einmal bekamen wir von ihnen solche Bilder geliefert. Wir haben sie analysieren lassen und fanden heraus, dass ihre Brücke aus Elementen der Brücken jener Syndik-Schiffe bestand, die mit den Aliens kommuniziert hatten. Das Gleiche gilt auch für die ›Menschen‹, die wir sehen. Sie sind nichts als digitale Kombinationen aus dem Personal, das zuvor mit ihnen zu tun hatte.«
Geary betrachtete die Darstellung der Brücke und nickte zustimmend. »Das ist ja eigenartig. Ich kann sogar Elemente von Syndik-Kriegsschiffen wiedererkennen, wie sie vor hundert Jahren ausgesehen haben. Die Aliens haben ihre Bilder nie aktualisiert.«
»Ganz richtig«, bestätigte Boyens. »Wir haben überlegt, ob sie nichts aktualisiert haben, weil es ihnen egal ist, dass wir ihre Fälschung durchschauen, oder ob ihnen nicht klar ist, wie verräterisch diese alte, immer gleiche Brücke ist.«
Der »Mann« im Kommandosessel lächelte exakt so, wie man es von einem Syndik-CEO kannte. »Möchte wissen, ob ihnen bewusst ist, dass es sich um ein offensichtlich aufgesetztes Lächeln handelt«, sagte Rione leise.
»Das würde ich auch gern wissen«, erwiderte Boyens. »Sie scheinen falsche menschliche Gefühlsregungen besser nachahmen zu können als echte.«
»Kriegsschiffe der Allianz«, begann der menschliche Avatar zu reden, wobei sich der Gesichtsausdruck auf eine Weise veränderte, die nicht so ganz zum Tonfall passte. Der Effekt war nur sehr unterschwellig zu bemerken, wie Boyens bereits gesagt hatte. Aber er war erkennbar. »Ihrer Flotte gehört dieser Stern nicht, ihre Flotte gehört nicht hierher. Verhandelt wird mit denen, die diesen Stern besetzt haben, denen er aber nicht gehört. Verlassen Sie diesen Stern, und Sie werden in Ruhe gelassen werden. Vernichtung wird jeden treffen, der hier bleibt. Durch eine vor langer Zeit getroffene Vereinbarung ist dies unser Stern.«
Geary sah zu Boyens’ Bild, der schüttelte sofort den Kopf. »Keine Vereinbarung, die die Syndikatwelten mit ihnen getroffen haben.«
»Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass er ihnen als göttliches Geschenk übertragen wurde«, warf Rione ein. »Oder dass sie einen Anspruch auf dieses Gebiet angemeldet hatten, lange bevor sie überhaupt in der Lage waren, die Kontrolle darüber zu übernehmen.« Sie sah die beiden anderen Senatoren an. »Die Behauptung, dass sie nicht kämpfen wollen, gepaart mit Drohungen, was geschehen wird, wenn wir nicht ihre Forderungen befolgen.«
Costa machte eine wütende Miene. »Sie wollen diese Art Frieden, bei dem uns nichts passiert, wenn wir tun, was sie sagen.«
»Das sehe ich auch so«, stimmte Sakai der Senatorin zu. »Allerdings kann es auch aggressives Gehabe sein, um die Verhandlungen zu eröffnen.«
»Vielleicht ja. Glauben Sie, unsere Anwesenheit hier im System könnte sie verwirrt haben?«, wollte Geary wissen.
Die drei Senatoren dachten darüber nach, schließlich nickte Rione. »Vielleicht keine Verwirrung, aber wie es scheint, wollen sie nur mit den Syndiks zu tun haben.«
»Wegen der Würmer in den Systemen der Syndik-Schiffe müssen sich die Aliens daran gewöhnt haben, immer zu wissen, wo sich Schiffe der Menschen gerade aufhalten. Möglicherweise hat es sie überrascht, uns hier vorzufinden, und jetzt versuchen sie, uns mit einem Bluff loszuwerden. Es kann nicht schaden, weiter mit ihnen zu reden, damit wir herausfinden, ob sie einen Rückzieher machen, wenn wir dazu nicht bereit sind.« Geary überlegte kurz, dann betätigte er seine Kontrollen. »Hier spricht Admiral John Geary von der Allianz-Flotte. Der Krieg zwischen der Allianz und den Syndikatwelten wurde beendet. Wir sind darum gebeten worden, bei der Verteidigung dieses Systems gegen jegliche Bedrohung mitzuhelfen. Es hat nie eine Vereinbarung gegeben, dieses Sternensystem an Sie zu übergeben. Wir erkennen die Berechtigung Ihres Ultimatums nicht an. Wir wollen keinen Kampf mit Ihnen beginnen, aber wir werden jeden Angriff auf dieses Sternensystem abwehren, ebenso Angriffe auf jedes andere System, das von Menschen bewohnt wird oder das sich innerhalb der Grenzen der von Menschen bewohnten Gebiete befindet. Ziehen Sie Ihre Streitmacht zurück, dann können wir Gesandte losschicken, um mit Ihnen zu verhandeln und Bedingungen für eine friedliche Koexistenz festzulegen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
»Als ob die sich zurückziehen«, murmelte Desjani.
»Ich weiß. Aber ich will es zumindest versucht haben.«
Da die Armada der Aliens weiter mit 0,1 Licht auf die Allianz-Flotte zusteuerte, vergingen bis zur Antwort nicht ganz vier Stunden. Diesmal jedoch nahm der erste Teil der Erwiderung eine Form an, die wohl die Fähigkeiten der Aliens unter Beweis stellen sollte.
Die Formation bewegte sich abrupt nach oben, dann zur Seite und kehrte danach in perfektem Einklang zu den alten Vektoren zurück. Die Schnelligkeit des Manövers und die abrupten Richtungswechsel waren beeindruckend und beängstigend zugleich. Geary schaute verdutzt auf sein Display. »Habe ich das gerade richtig gesehen?«
»Ja«, antwortete Desjani, die die Kiefer so zusammenpresste, dass Geary das Spiel ihrer Muskeln sehen konnte.
»Captain«, meldete der Maschinen-Wachhabende fast im Flüsterton. »Die Schiffe der Aliens scheinen über Antriebssysteme zu verfügen, die ein deutlich besseres Verhältnis von Schub zu Masse aufweisen als unsere. Außerdem müssen ihre Trägheitsdämpfer viel leistungsfähiger sein.«
Die anderen Wachhabenden auf der Brücke schauten weiter auf ihre Displays, doch allein ihre Haltung verriet schon ihr plötzliches Unbehagen.
Desjani zwang sich dazu, sich zu entspannen, was Geary als genauso bemerkenswert empfand wie die Zurschaustellung der Manövrierkünste der Aliens. Dann wandte sie sich lässig an den Waffen-Wachhabenden: »Können wir sie treffen?«
»Captain?« Der Wachhabende benötigte einen Moment, ehe er die Frage erfasst hatte, dann begann er hastig zu rechnen. »Ja, Ma’am. Unsere Feuerkontrollsysteme können mit Zielen zurechtkommen, die solche Manöver fliegen.«
»Was ist mit Phantomen?«, hakte Desjani nach.
»Ja, Ma’am, wenn wir sie in der richtigen Überlappung abfeuern.« Während der Mann antwortete, wurde er sichtlich ruhiger, was auch für das übrige Brückenpersonal galt.
»Sie können also Phantomen und Höllenspeeren nicht ausweichen«, folgerte sie.
»Nein, Ma’am«, bestätigte der Wachhabende, der inzwischen zu grinsen begonnen hatte.
»Dann können sie tanzen, so viel sie wollen«, meinte sie und zwinkerte Geary verstohlen zu, während sich die Wachhabenden wieder mit gesteigerter Zuversicht ihren Displays zuwandten.
Er reagierte mit einem bewundernden Blick und beugte sich vor, um leise zu sagen: »Sie sind ein verdammt guter Offizier, Captain Desjani. Gut gemacht. Wollen Sie diese Beobachtung der gesamten Flotte mitteilen?«
Desjani lächelte zufrieden. »Das muss ich gar nicht. Die Wachhabenden sind längst damit beschäftigt, die Neuigkeit zu verbreiten. Manchmal haben die inoffiziellen Kanäle auch ihr Gutes.«
Er lehnte sich zurück und zwang sich dazu, genauso gelassen zu wirken wie Desjani, da er wusste, dass alle Blicke auf ihm ruhten. Dabei fragte er sich, wie gut die Aliens wohl solche menschlichen Gefühle begreifen konnten. Würden sie Ruhe und Zuversicht sehen? Oder Arroganz und Desinteresse? Oder nichts, was für sie irgendeinen Sinn ergab?
»Eine weitere Nachricht«, meldete der Komm-Wachhabende. »Als Ursprung wird die vordere Unterformation am unteren Rand der gesamten Formation angegeben.«
Die menschlichen Avatare der Aliens wirkten diesmal in ihren Bewegungen steifer, das Mienenspiel ernster. »Gehen Sie weg. Verlassen Sie diesen Stern. Dieser Stern gehört Ihnen nicht, Admiral Geary. Verhandelt wird nur mit denjenigen von den Syndikatwelten. Ihre Flotte muss abreisen. Wenn Sie kämpfen, werden Sie vernichtet werden. Verhandlungen werden erst geführt, wenn das, was uns gehört, von den Syndikatwelten verlassen worden ist.«
»Admiral«, meldete sich der Komm-Wachhabende abermals zu Wort. »Wir erhalten eine Nachricht von der Syndik-CEO, die das Sagen über dieses Sternensystem hat.«
CEO Iceni erschien nun auf dem Display und war sichtlich darum bemüht, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. »Admiral Geary, die Enigma-Rasse hat uns wissen lassen, dass man nicht mit Ihnen verhandeln will und Sie auffordert, dieses Sternensystem sofort zu verlassen. Ich habe mich entschieden, nicht auf diese Nachricht zu reagieren. Angesichts der zahlenmäßigen Stärke und des Tonfalls ihrer Mitteilungen müssen wir wohl davon ausgehen, dass die Enigma-Rasse zum Kampf bereit ist, um die Kontrolle über dieses System zu erlangen. Ich weiß nicht, unter welchen Bedingungen Sie sich bereiterklärt haben, das Midway-System zu verteidigen, aber indem Sie sich der Enigma-Rasse in den Weg gestellt haben, ist Ihre eigene Ehre gewährleistet. Wir werden Sie nicht bitten, unseretwegen einen aussichtslosen Kampf zu beginnen. Wenn Sie sich jetzt zurückziehen wollen, kann Ihnen niemand einen Vorwurf daraus machen. Wir bitten Sie nur darum, während Ihres Rückzugs die Aufmerksamkeit der Enigma-Schiffe zu binden, damit unsere Schiffe so viele Menschen wie möglich evakuieren können.«
In die Stille nach dieser Nachricht sprach Desjani: »Sie meint, wir wollen davonlaufen?« Ihre Entrüstung entsprach der des gesamten Brückenpersonals.
Geary dagegen hatte den Sinn dieser Bemerkung erfasst. »Die Aliens müssen ihr eine Nachricht geschickt haben parallel zu der, die wir empfangen haben. Für sie gibt es keinen Grund zu glauben, dass wir bereit sind, bei der Verteidigung eines Syndik-Systems zu sterben. Aber sie macht uns daraus auch keinen Vorwurf.«
»Was glaubt sie eigentlich, wer wir sind?«, ereiferte sich Desjani. »Diese Flotte zieht sich nicht zurück.«
Tatsächlich hatte sie das sehr wohl schon gemacht; zum ersten Mal, als sie unter Gearys Kommando aus dem Heimatsystem der Syndiks geflohen war, und danach noch einige Male, als sie sich auf dem Weg nach Hause befand. Aber er wusste, wie Desjani es meinte, und es ermutigte ihn, dass ihre Einstellung wahrscheinlich der der gesamten Flotte entsprach, nachdem alle gehört hatten, dass die Syndiks ihnen die Gelegenheit zum ehrenvollen Rückzug anboten. Sie mochten zwar nicht davon begeistert sein, Syndiks zu beschützen, doch wenn die einzige Alternative die Flucht vor dem Feind war, dann wollten sie lieber kämpfen.
Rione beobachtete Desjani erstaunt und zugleich berechnend, dann unterhielt sie sich leise mit den anderen Senatoren.
Geary lächelte Desjani finster an. »Nein, wir werden nicht davonlaufen.« Natürlich war es dumm, das Angebot zum Rückzug nicht wahrzunehmen. Schließlich waren die Aliens zahlenmäßig deutlich in der Übermacht, und auch wenn man über die Feuerkraft und andere Fähigkeiten der fremden Schiffe rein gar nichts wusste, war dennoch davon auszugehen, dass sie denen der Allianz-Flotte ebenfalls überlegen waren. Einen kleinen Vorgeschmack darauf hatte das kurze Flugmanöver geliefert. Allerdings war es eher unwahrscheinlich, dass sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Allianz-Flotte verschieben würde, wenn es anderswo zu einer Konfrontation kommen sollte. Vielmehr war davon auszugehen, dass die Chancen zunehmend schlechter standen, wenn die Aliens mehr und mehr Systeme an sich rissen und dadurch immer stärker wurden, während die Verteidigungsfähigkeit der Menschheit mit jedem verlorenen Sternensystem schwand. Da können wir auch direkt überprüfen, ob wir ihnen hier so starke Schmerzen zufügen können, dass sie umkehren und das Weite suchen. Fragt sich nur, wie sehr wir ihnen dafür wehtun müssen.
Zuerst wandte er sich an die Syndik-CEO. »Ihre Sorge um das Wohl unserer Leute wissen wir zu schätzen, und wir nehmen es entsprechend zur Kenntnis. Aber wir haben uns verpflichtet, jeden Aggressor abzuwehren, der dieses Sternensystem bedroht, und diese Pflicht werden wir erfüllen. Wir beabsichtigen, notfalls zu kämpfen, und wir haben vor, den Kampf auch zu gewinnen. Ich habe ein wenig Erfahrung mit scheinbar ausweglosen Situationen, und ich kann Ihnen versichern, dass sie nicht immer so hoffnungslos sind, wie man auf den ersten Blick meinen möchte. Ich wiederhole: Die Allianz-Flotte wird hier kämpfen, wenn das von uns verlangt wird. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Dann waren wieder die Aliens an der Reihe. »Die Flotte wird dieses Sternensystem nicht verlassen, bis sich Ihre Schiffe zurückgezogen haben. Sie werden mit uns verhandeln, oder Sie werden gegen uns kämpfen. Wir werden dieses System nicht aufgeben. Ihren Schiffen wird es nicht gestattet, an dieser Flotte vorbeizufliegen. Wir möchten mit Ihnen reden, aber wenn es sein muss, werden wir kämpfen.«
Geary machte eine kurze Pause, überlegte und betätigte dann erneut die Kontrollen. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte: Unsere Kommunikation mit den Schiffen der Aliens ist bislang ergebnislos verlaufen. Alle Einheiten machen sich gefechtsbereit. Wer immer diese Aliens auch sind, sie werden es noch bereuen, wenn sie sich mit der Allianz-Flotte anlegen wollen.«
Die Senatoren diskutierten aufgebracht untereinander, und obwohl sie nur tuschelten, zogen sie verärgerte Blicke von Desjani und den Wachhabenden auf sich. »Möchten Sie Ihre Diskussion gern in einem anderen Raum fortsetzen?«, schlug Geary den Politikern vor.
»Es ist nicht weiter wichtig«, antwortete Rione, während sie ihre beiden Kollegen wütend ansah. »Wir haben auch keinen besseren Vorschlag, wie man mit dieser Situation umgehen sollte.«
»Müssen wir kämpfen?«, fragte Sakai.
»Senator«, gab Geary zurück. »Ich will nicht gegen diese Wesen kämpfen, nicht angesichts dieses Kräfteverhältnisses. Aber ich wüsste nicht, was ich sonst machen soll, wenn sie weiter vorrücken. Sie müssen einfach lernen, dass die Menschheit sich zur Wehr setzen wird, um weitere Grausamkeiten wie die bei Kalixa zu verhindern.«
»Wenn unsere Flotte hier ausgelöscht wird, dient das auch nicht den Interessen der Allianz«, wandte Sakai ein, während Costa nachdrücklich nickte. »Wie es aussieht, will sich diese Enigma-Rasse nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen.«
Geary suchte noch nach der passenden Antwort, da murmelte Desjani nachdenklich: »Die Reserveflotte.«
Er sah sie an und überlegte, was ihre Bemerkung bedeuten sollte, als er es auf einmal begriff. »Als diese Region von der Reserveflotte der Syndiks kontrolliert wurde, haben die Aliens nicht angegriffen und auch nicht versucht, das System hier einzunehmen. Jahrzehntelang herrschte Ruhe in der Grenzregion, als die Reserveflotte hier stationiert war.«
»Und diese Reserveflotte war deutlich schwächer als unsere Flotte«, ergänzte Desjani.
Costa und Sakai schauten Desjani an, aber Rione nickte bedächtig. »Wie es aussieht, hat die Reserveflotte sie von irgendwelchen Aktionen abgehalten. Aber warum, wenn sie doch über so viele Schiffe verfügen, mit denen sie die Syndik-Flotte hätten angreifen können.«
Ein Alarm ertönte, und Geary sah ungläubig auf sein Display, wo auf einmal weitere gegnerische Schiffe auftauchten, jedoch nicht am Sprungpunkt, sondern inmitten der Armada. Urplötzlich waren dort drei weitere Unterformationen zu sehen, die ebenfalls ein V bildeten, das sich über und ein wenig vor den beiden anderen Unterformationen befand.
Wie aus dem Nichts hatte sich die Überlegenheit der Aliens von zwei zu eins auf drei zu eins erhöht.