Drei

Admiral Timbales Bild salutierte ungelenk. Zu Gearys Erstaunen schien sogar ein so hochrangiger Offizier wie Timbale Gefallen daran zu finden, diese Geste des Respekts zu üben, die Geary in der Flotte wiedereingeführt hatte. »Wir können Ihnen leider nicht so viele Schnelle Hilfsschiffe zur Verfügung stellen, wie wir es bei einer Mission gern machen würden, die so tief in feindliches Gebiet hineinführt. Bloch ist mit zehn Schiffen aufgebrochen, die nahezu unseren gesamten Bestand darstellten. Von diesen zehn haben Sie vier geerbt und drei heil nach Hause gebracht, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wie Sie das angestellt haben. Sie behalten die Titan, die Witch und die Jinn. Die Tanuki und die Alchemist sind nach Varandal geschickt worden und sollten in Kürze hier eintreffen. Sie bekommen beide.«

»Fünf sind immer noch besser als drei. Vielen Dank, Sir.« Er überprüfte seine Daten und stellte fest, dass die Tanuki zur gleichen Klasse gehörte wie die Titan, während die Alchemist ein Schwesterschiff der kleineren Modelle Witch und Jinn war.

»Und wir versorgen Sie mit aller Feuerkraft, die wir Ihnen geben können«, fuhr Timbale fort. »Es sind fünf frisch fertiggestellte Schlachtkreuzer auf dem Weg hierher, die alle zur neuen Adroit-Klasse gehören.«

»Ich bin mir sicher, dass die sich als nützlich erweisen werden.« Geary las die Namen: Adroit, Auspice, Assert, Agile und Ascendant. Brandneue Schiffe mit brandneuen Crews, darunter vermutlich nur ein paar Veteranen. Er musste sich immer wieder vor Augen führen, dass die Verluste in diesem Krieg durchweg so schwer ausgefallen waren, dass Besatzungen mit auch nur ein wenig Erfahrung die Ausnahme darstellten. Zumindest war das bislang so gewesen. Er hatte die meisten seiner Schiffe mitsamt ihren Besatzungen am Leben erhalten, sodass sie die dabei gewonnenen Erfahrungen bei zukünftigen Gefechten einsetzen konnten.

»Und Sie bekommen eine neue Invincible«, ergänzte Timbale. »Sie absolvierte die letzten Testflüge, als Sie zurückkehrten und den Verlust der alten Invincible bestätigten. Deshalb behält sie jetzt den eigentlich nur vorläufig vergebenen Namen.«

Geary entging nicht die Ironie des Schicksals, dass die ältere, zerstörte Invincible durch eine neue Invincible ersetzt werden sollte. Er äußerte sich nicht dazu, dennoch schien Timbale ihm seinen Gedankengang angemerkt zu haben.

Der Admiral grinste ihn schief an. »Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist, aber in der Flotte gelten Schiffe mit dem Namen Invincible als mit einem Fluch belegt, weil sie meistens sehr schnell zerstört werden. Warum, kann sich niemand erklären. Die Matrosen schieben es darauf, dass der Name für die lebenden Sterne eine zu stolze Herausforderung darstellt.«

»Und trotzdem geben wir weiterhin Schiffen diesen Namen?«

»Ich glaube, die Flottenbürokraten sind entschlossen, diesen Fluch zu widerlegen, auch wenn noch so viele Schiffe mit diesem Namen dabei zerstört werden«, merkte Timbale an.

Geary verzog den Mund. »Vor der Schlacht bei Grendel war mal davon die Rede gewesen, Schiffe nach Planeten oder Personen zu benennen.«

»Das wird immer noch von Zeit zu Zeit diskutiert, aber jedes Mal wieder zurückgestellt, weil sich niemand auf ein Prinzip einigen kann, welchen Planeten und Personen die Ehre zuteil werden soll. Die Diskussionen darüber werden so hitzig und so erbittert geführt, dass wir letztlich doch wieder Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer nach Eigenschaften und Attributen benennen, bei denen jeder vorgeben kann, dass er damit einverstanden ist.« Timbale zuckte mit den Schultern. »Die fünf Adroits, die neueste Invincible sowie die Intemperate und die Insistent sind also Ihre neuen Schlachtkreuzer. Dann wären da noch die Schlachtschiffe. Sie haben bereits die Dreadnaught und die Dependable. Die Resound, die Sustain und die Encroach sind hierher unterwegs. Neben diesen großen Kriegsschiffen bekommen Sie noch zwölf neue Schwere Kreuzer, zehn Leichte Kreuzer und neunzehn Zerstörer.« Der Admiral machte eine entschuldigende Geste. »Der Große Rat will viele Zerstörer zurückbehalten, um sie als Späher und Kuriere einzusetzen.«

»Das ist schon in Ordnung. Ich bin für alles dankbar, was für die Flotte erübrigt werden kann«, versicherte Geary ihm.

»Brauchen Sie sonst noch etwas? Irgendwas?«

Geary betrachtete die Statusanzeige, dann machte er eine vage Geste. »Nichts, worum ich Sie guten Gewissens bitten könnte. Die Allianz überlässt mir auch jetzt schon sehr viel von dem, was ihr noch geblieben ist.«

Admiral Timbale nickte. »Ich wünschte nur, wir hätten hier Kapazitäten, um Reparaturen durchzuführen.« Dann zögerte er kurz. »Flottenadmiral Geary, es gibt da etwas, was ich gerne aussprechen würde. Als Sie in diesem Sternensystem eintrafen, da hätten Sie mich zerquetschen können. Sie hätten arrogant auftreten und mich vor dem ganzen Universum lächerlich machen können, aber das haben Sie nicht getan. Sie haben mich so höflich und respektvoll behandelt, wie ein vorgesetzter Offizier sich das nur wünschen kann. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich jetzt unter Ihnen dienen kann. Vielen Dank.«

Das Lob war Geary unangenehm, und die gleiche Reaktion zeigte sich auch, wenn er mit seinem neuen Dienstgrad angesprochen wurde, dennoch lächelte er den anderen Offizier an. »Das war nur meine Pflicht, Admiral Timbale.«

»Sie hatten die Wahl«, widersprach ihm Timbale. »Wann bricht die Flotte auf?«

»In zwei Tagen, sofern die zusätzlichen Schiffe bis dahin eingetroffen sind.«

»Das sollten sie eigentlich.«

Nachdem Timbales Bild verschwunden war, wandte sich Geary wieder seinem Display zu, das den Flottenstatus anzeigte. Es waren beachtlich umfangreiche Reparaturarbeiten durchgeführt worden, die Einrichtungen bei Varandal hatten rund um die Uhr gearbeitet. Allerdings waren die Schiffe der Flotte auf dem Weg in das System auch stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Dennoch war der Schlachtkreuzer Incredible seinem Namen gerecht geworden und hatte es geschafft, trotz der ihm zugefügten massiven Schäden wieder gefechtsbereit zu sein. Die Inspire unter dem Kommando von Captain Duellos war ebenfalls einsatzbereit, auch wenn nicht alle der vorgenommenen Reparaturen bei einer Flotteninspektion akzeptiert worden wären. Duellos meldete, dass ein großer Teil der Crew dieses Schiffs noch immer unter Schock stand, nachdem sie erfahren hatte, was aus ihrem früheren befehlshabenden Offizier geworden war. Wenn ein Captain in einer Schlacht starb, war das eine Sache, aber es war etwas grundlegend anderes, einen Captain durch Verrat zu verlieren.

Andere Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer waren entweder zu fast voller Gefechtsbereitschaft wiederhergestellt worden, zumindest aber so weit, dass sie in der Lage waren, die Flotte wieder zu begleiten. Mit genügend Ressourcen ließ sich jedes Schiff zusammenflicken, wenn es nicht gerade vom Feind in Stücke geschossen worden war. Varandal und die umliegenden Sternensysteme hatten alles gegeben, um die maximale Anzahl von Schiffen in kürzestmöglicher Zeit wieder einsatzfähig zu machen.

Mit mürrischem Blick betrachtete Geary den Namen Orion. Die Leistungen dieses Schlachtschiffs waren unter dem Kommando von Captain Numos und auch danach immer wieder enttäuschend ausgefallen. Seine Absicht, die Besatzung auf andere Schiffe umzuverteilen und eine komplett neue Crew zusammenzustellen, war jedoch durch den Umstand verhindert worden, dass diese Versetzungen einen immensen Aufwand bedeutet hätten, zumal jeder mehr als genug damit zu tun hatte, die Flotte wieder in Form zu bringen.

Er fragte sich, wie die Captains der neuen Schiffe wohl sein würden und wie viel Umerziehung von seiner Seite aus erforderlich war, damit sie im Einklang mit dem Rest der Flotte kämpfen konnten. Der Gedanke brachte ihn auf die Idee, die Daten über die neuen Schlachtkreuzer aufzurufen, da ihn interessierte, was es mit dieser neuen Adroit-Klasse auf sich hatte. Als er die Angaben las, hätte er am liebsten das Display mit der Faust traktiert. Unter dem Vorwand, eine neue Schiffsklasse zu bauen, hatte die Allianz die Größe und die Gefechtsfähigkeiten beschnitten, was sie natürlich preiswerter machte. Die Schiffe der Adroit-Klasse waren kürzer als die Dauntless und ihre Schwesterschiffe, sie besaßen eine geringere Masse, verfügten über weniger Höllenspeere in kleineren Batterien, und führten auch nicht so viele Phantom-Flugkörper, Kartätschen und Minen mit sich. Wenigstens schien die Antriebsleistung mit der der älteren Schlachtkreuzer weitgehend identisch zu sein.

Verärgert darüber, dass die neuen Schiffe verschlechterte Versionen ihrer Vorgänger waren, konnte Geary besser nachvollziehen, wieso die Flotte mit der Regierung so unzufrieden war. Zwar wusste er, wie sehr die Allianz unter den Kosten und den Ressourcenanforderungen dieses Krieges litt, dennoch störte es ihn, dass das zu Lasten der Gefechtstauglichkeit der Adroit-Klasse ging.

Allerdings war es mittlerweile für ihn nichts Neues, mit dem Wenigen auszukommen, das ihm für ein Gefecht zur Verfügung stand, und fünf weitere Schlachtkreuzer waren immer noch besser als gar nichts, selbst wenn sie nicht seinen Erwartungen entsprachen.

Geary sah auf, als die Türglocke zu seinem Quartier betätigt wurde. »Herein.«

Die Luke flog förmlich auf, so wutentbrannt kam Tanya Desjani hereingestürmt.

Während sie die Luke hinter sich zuschlug, stand Geary auf. »Was ist los?«, fragte er, als sie sich direkt vor ihm aufbaute.

»Diese Frau! Diese Politikerin! Sie hat einen Syndik an Bord meines Schiffs gebracht, ohne mich darüber zu informieren!«

Geary spürte, wie allzu vertraute Kopfschmerzen einsetzten. »Warum hat Rione einen Syndik an Bord gebracht?«

»Sie hat es nicht für nötig gehalten, mir das zu sagen!« Desjani war so wütend, wie er sie schon lange nicht mehr erlebt hatte, und er konnte das nur zu gut verstehen, war doch offensichtlich ihre Stellung als befehlshabender Offizier der Dauntless missachtet worden. »Flottenadmiral Geary, ich bitte respektvoll darum, dass Sie in dieser Angelegenheit einschreiten, da die Senatorin nicht meinem Befehl untersteht!«

Es gab tausend andere Dinge, die in diesem Moment wichtiger gewesen wären. Angesichts der Feindseligkeiten zwischen den beiden konnte er sich gut vorstellen, warum Rione Desjani nicht informiert hatte – aber warum war er ebenfalls übergangen worden? Gerade wollte er sie über Komm rufen, da ertönte abermals die Türglocke. »Herein.«

Co-Präsidentin Rione trat ein und schien Desjanis zornigen Blick nicht wahrzunehmen. »Oh, gut, dass Sie beide hier sind. Ich wollte den Captain wissen lassen, dass es in letzter Minute eine dringende Verlegung eines Gefangenen gegeben hat. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie nicht früher davon in Kenntnis setzen konnte.«

Desjani war anzuhören, wie sehr sie sich beherrschen musste, als sie entgegnete: »Madam Co-Präsidentin, als Captain dieses Schiffs hat man mich erst zu informieren und meine Zustimmung abzuwarten, bevor irgendwelche Gefangene auf mein Schiff gebracht oder von hier weggeholt werden sollen.«

»Wie ich schon sagte, es war in letzter Minute. Ich musste spontan entscheiden, um zu verhindern, dass dieser Syndik auf das Gefangenenschiff gelangt, das die anderen zum Lager auf Tartarus bringen soll.«

Bevor Desjani dazu etwas sagen konnte, mischte sich Geary ein: »Was ist so besonders an diesem Syndik?«

»Er will mit Ihnen reden.«

Geary bedachte Rione mit einem verärgerten Blick. »Eine Milliarde Menschen wollen unbedingt mit mir reden. Was ist so besonders an diesem Syndik?«

Sie sah ihn völlig leidenschaftslos an. »Er ist der CEO, der der Stellvertreter des Commanders der Syndik-Reserveflotte war. Er wurde von uns gefangengenommen, nachdem sein Schiff in der Schlacht hier zerstört worden war.«

»Tatsächlich?« Seine Wut begann abzuebben. »Warum will er mit mir reden?«

Rione lehnte sich mit dem Rücken gegen das Schott und verschränkte die Arme. »Er sagt, er will einen Handel mit Ihnen abschließen.«

»Einen Handel?« Geary hatte nur begrenzt Erfahrungen mit Syndik-CEOs machen können, doch die waren bei ihm größtenteils in unangenehmer Erinnerung geblieben. Andererseits waren auch ein paar darunter gewesen, die sich durchaus ehrbar verhalten hatten.

Desjani, deren Meinung zur Vertrauenswürdigkeit eines Syndiks sich allenfalls knapp über Null bewegte, behielt ihren finsteren Blick bei. »Was für ein Handel soll das sein?«

»Ist das denn nicht offensichtlich?«, gab Rione zurück. »Als hochrangiger Offizier der Reserveflotte weiß er wahrscheinlich so viel über die Aliens wie jeder Syndik außerhalb ihres Exekutivrats. Er will dieses Wissen gegen irgendetwas eintauschen.«

Geary betrachtete Rione skeptisch. »Was für ein Typ ist er?«

»Ich weiß nicht genug über ihn, um Ihnen eine Einschätzung zu geben.«

»Trotzdem meinen Sie, ich sollte mit ihm reden.«

Rione verdrehte die Augen. »Ja, Black Jack. Reden Sie mit dem Mann.«

»Flottenadmiral Geary«, meldete sich Desjani in beherrschtem Tonfall zu Wort. »Ich rate zur Vorsicht beim Umgang mit einem Feind, der nichts zu verlieren hat.«

Ohne Gearys Erwiderung abzuwarten, nickte Rione Desjani zu. »Das sehe ich auch so. Wären Sie einverstanden, beim Verhör ebenfalls anwesend zu sein, Captain?«

Die höflichen Worte ließen Desjani mit Argwohn reagieren, dennoch nickte sie. »Ja, danke.«

Geary schluckte noch rasch etwas gegen seine Kopfschmerzen, dann ging er zur Luke. »Kommen Sie.«

Der Syndik war in einen der Verhörräume in der Geheimdienstabteilung des Schiffs gebracht worden – Räume, deren Systeme von außen alles beobachteten und aufzeichneten, was in und mit einer Person vor sich ging, die man dort platziert hatte. Geary sah sich an, was über den Syndik-CEO bekannt war. Name: Jason Boyens. Dienstgrad: CEO Dritter Ebene. Letzte bekannte Position: Stellvertreter eines Flottenbefehlshabers. Von dem Namen des Mannes abgesehen war an diesen Angaben für ihn nichts neu. »Also gut, dann bringen wir das mal hinter uns.« Geary sah zu Desjani und stellte fest, dass sie ihren Zorn noch immer kaum im Zaum halten konnte. »Was ist los?«

»Ich musste gerade an den letzten Syndik-Überläufer denken, der uns einen Handel angeboten hatte, Sir«, gab sie schroff zurück. »Er war im Besitz eines Syndik-Hypernetschlüssels, mit dem wir ihr Heimatsystem erreichen konnten.«

»Oh«, machte Geary, was sich nicht nur dumm, sondern auch unangemessen anhörte. »Ist der Kerl denn nie in einem Verhörraum befragt worden?« Bislang hatte er nie den Wunsch verspürt, mehr über die Ereignisse zu erfahren, die der Beinahevernichtung dieser Flotte vorausgegangen waren.

Ohne den Blick von den Anzeigen abzuwenden, antwortete Rione: »Doch, das wurde gemacht. Aber entweder war er so geschickt darin, falsche Antworten so überzeugend von sich zu geben, dass wir sie nicht als Lügen durchschauen konnten, oder aber er war selbst von den Syndiks in die Irre geführt worden, sodass er gar nicht wusste, welche Rolle er für sie spielte.«

»Was ist aus ihm geworden? Ich bin immer davon ausgegangen, dass das Schiff, auf dem er sich befand, beim Hinterhalt der Syndiks zerstört wurde.«

Rione sagte nichts dazu, doch ihr Blick wanderte vielsagend zu Desjani, deren Miene sich daraufhin regelrecht versteinerte. »Er befand sich an Bord der Dauntless, Sir.«

»Und was ist dann…?« Er ließ die Frage unvollendet, da er sich die Antwort denken konnte. Die Flotte, über die er das Kommando übernommen hatte, kannte zu der Zeit keine Skrupel, wenn es darum ging, einen Kriegsgefangenen zu töten. Man konnte sich leicht ausrechnen, was mit einem Syndik passiert sein musste, nachdem klar geworden war, dass er die Flotte mit seinem verlockenden Angebot in eine Falle gelockt hatte.

Dennoch antwortete Desjani: »Er wurde auf Befehl von Admiral Bloch auf der Stelle hingerichtet. Die fragliche Stelle befindet sich drei Meter hinter und einen halben Meter links vom Sessel des Flottenkommandanten auf der Brücke.«

Geary benötigte ein paar Sekunden, ehe er verstand. »Er saß auf dem Beobachterplatz?« Unwillkürlich musste er Rione ansehen, die üblicherweise auf eben diesem Platz zu finden war, seit er das Kommando über die Flotte übernommen hatte. Sie schien über diese Enthüllung nicht erstaunt zu sein.

»Wir haben die Sitzkissen verbrannt«, ergänzte Desjani. »Die Blutflecken wären auch rausgegangen, aber niemand wollte sie noch benutzen.« Sie hielt inne, als sie Geary in die Augen sah. »Nein, Sir. Ich hatte alle Hände voll zu tun, um mein Schiff lebend durch den Hinterhalt zu bringen. Die Hinrichtung wurde von dem Marine ausgeführt, der dazu abgestellt worden war, den Überläufer zu bewachen.«

Für einen Moment wich er ihrem Blick aus. »Es war ein rechtmäßiger Befehl. Ich könnte Ihnen keinen Vorwurf daraus machen, wenn Sie ihn ausgeführt hätten.« Er erinnerte sich noch gut daran, welchen Schock der Hinterhalt bei der Crew ausgelöst hatte, nachdem so viele Schwesterschiffe in kürzester Zeit zerstört worden waren. Keiner von ihnen hätte auch nur eine Sekunde gezögert, an der Person Rache zu üben, die an dieser Katastrophe die Hauptverantwortung trug. »Wir werden nicht zulassen, dass diesem Syndik etwas Ähnliches gelingt.«

»Wir können ihm nicht vertrauen«, beharrte Desjani.

»Ich habe auch nicht die Absicht, ihm zu vertrauen.« Gearys Antwort schien Desjani ein wenig zu beruhigen, also wandte er sich ab und betrat den Verhörraum, während Desjani und Rione gemeinsam mit dem Geheimdienstpersonal draußen blieben und die Monitore beobachteten.

Als Geary eintrat, stand CEO Boyens auf. Er machte einen nervösen Eindruck, was aber nur zu verständlich war. An einem Bein trug er noch einen leichten flexiblen Gips aufgrund einer im Gefecht erlittenen Verletzung, die noch nicht ganz verheilt war. Beim Anblick der Rangabzeichen zögerte der Mann leicht. »Admiral Geary?«

»Ja«, erwiderte Geary in abweisendem Tonfall. »Um was für einen Handel geht es?«

Bevor der Syndik darauf antwortete, atmete er erst einmal tief durch. »Ich bin im Besitz von Informationen, die Sie benötigen. Im Gegenzug möchte ich Ihre Zusicherung, das von Menschen besiedelte Weltall vor den Aliens zu beschützen.«

Das musste Geary erst verarbeiten, ehe er nachhaken konnte: »Sie sind der erste Syndik, der offen zugibt, dass diese Aliens existieren, und Sie wollen, dass wir die Syndikatwelten vor ihnen beschützen?«

»Ja.«

Bislang sagt er die Wahrheit, meldete Lieutenant Iger über die Komm-Verbindung an Geary.

Gleich darauf hörte er Riones Stimme: Wie viel weiß er wirklich?

Das war eine gute Frage. Geary sah den Syndik-CEO skeptisch an. »Woher weiß ich, dass Sie wirklich so viel wissen, wie Sie behaupten?«

Boyens setzte ein schiefes Lächeln auf. »Ich war zehn Jahre lang Stellvertreter des Befehlshabers der Reserveflotte. Ich weiß das, was der Exekutivrat gesagt hat und was ich persönlich beobachten konnte.«

Zehn Jahre?, wiederholte Desjani ungläubig.

Geary wusste, was sie damit meinte. »Das ist eine lange Zeit, um sie auf einem einzigen Posten zu verbringen. Warum waren Sie so lange dort?«

Daraufhin zuckte Boyens mit den Schultern. »Ich wurde auf diesen Posten abgeschoben, anders kann ich es nicht formulieren. Ich bin ein ausgebildeter Ingenieur, und ich hatte ein Erfolg versprechendes Unternehmen gegründet. Ein viel größeres Unternehmen wollte uns schlucken, und dessen Geschäftsführer besaßen gute Kontakte zu den CEOs, die die Syndikatwelten regieren. Man nahm mir mein Unternehmen. Anstatt so schlau zu sein, den Mund zu halten und mich auf der Karriereleiter nach oben zu arbeiten, um ein paar Jahrzehnte später Vergeltung zu üben, machte ich Theater und berief mich auf die Gesetze der Syndikatwelten, gegen die durch dieses Vorgehen verstoßen worden war. Ehe ich mich versah, bekam ich einen Posten in der Reserveflotte zugeteilt.« Wieder zuckte er flüchtig mit den Schultern. »Ein Posten an der Grenze, ohne jegliche Aufstiegschancen. Ich konnte nicht mal jemandem sagen, wieso ich in Wahrheit dort war, weil die Reserveflotte offiziell nur als Verstärkung gegen die Allianz existierte. Von dort versetzt werden konnte ich auch nicht, weil ich mich mit den falschen Leuten angelegt hatte.«

Bislang stimmt das alles, meldete Iger.

Geary nahm Platz und lehnte sich leicht nach hinten, während er Boyens nicht aus den Augen ließ. »Und jetzt soll die Allianz-Flotte Ihnen dabei helfen, sich an diesen Leuten zu rächen?«

Der CEO schüttelte den Kopf. »Nein, darum geht es nicht. Diese Leute sind Teil einer herrschenden Gruppe, die die Syndikatwelten in diesen Krieg getrieben hat und deren Auslöschung man ein ums andere Mal irgendwie verhindern konnte. Ich erwarte nicht, dass Sie mir glauben, wenn ich das sage, aber mich treibt auch das Verlangen an, meine Heimat vor der Korruption und der Idiotie jener Leute zu beschützen, die über die Syndikatwelten herrschen.«

»Würden Sie sich als Patriot bezeichnen?«, fragte Geary.

Boyens zuckte leicht zusammen. »Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass die Syndikatwelten dank der Entscheidungen unserer Führer und dank der von Ihnen errungenen Siege inzwischen weitgehend schutzlos einem Angriff durch die Allianz, aber auch durch die Aliens ausgeliefert sind. Ich weiß so viel oder so wenig wie jeder andere Mensch über ihr Verhalten, und niemand kann ihre Denkweise verstehen. Aber ich bin in großer Sorge.«

»Sie reden jetzt von den Aliens, oder geht es immer noch um die Führer der Syndikatwelten?«, hakte Geary ein.

»Sowohl als auch«, gab der CEO mit einem schwachen Lächeln zurück. »Ich würde mein Leben darauf verwetten, dass die CEOs des Exekutivrats in diesem Moment alle noch verbliebenen Kriegsschiffe im Heimatsystem zusammenziehen.«

»Sie scheinen davon fest überzeugt zu sein.«

»Deshalb würde ich ja auch mein Leben verwetten.«

Dieser CEO machte auf ihn den Eindruck, dass er offen und ehrlich, wenn auch durchtrieben war. Während Geary sich nachdenklich das Kinn rieb, flüsterte Rione ihm zu: Seine Aussagen werden als ehrlich bewertet. Und er ist tatsächlich besorgt. Aber das könnte eher Sorge um seine eigene Sicherheit als Angst um die Menschen der Syndikatwelten sein.

Fragen Sie ihn nach den Aliens, Sir, damit wir mehr haben, um seine Aussagen insgesamt bewerten zu können, drängte Iger ihn.

»Ich muss alles über das wissen, was Sie mir anzubieten haben«, erklärte Geary. »Erzählen Sie mir etwas über diese Aliens.«

Boyens zögerte. »Was ich weiß, ist alles, was ich für meinen Handel in der Hand habe. Wenn ich Ihnen zu viel sage, müssen Sie sich möglicherweise zu nichts mehr bereit erklären.«

»CEO Boyens«, gab Geary in frostigem Ton zurück. »Ich werde mich auf keinen Handel mit Ihnen einlassen, solange ich nicht weiß, dass es Ihnen tatsächlich um das Wohl der Allianz und der gesamten Menschheit geht. Daher schlage ich vor, dass Sie sich anstrengen, mich zu überzeugen.«

Der CEO betrachtete Geary sekundenlang und nickte schließlich. »Das passt zu dem Verhalten, das wir bei Ihnen beobachtet haben. Was wollen Sie wissen?«

»Wie sehen diese Aliens aus?« Das war zwar nicht die dringendste Frage, aber darüber rätselte er schon seit einer Weile.

»Das weiß ich nicht. Und soweit mir bekannt ist, weiß das auch sonst niemand.« Auf Gearys skeptischen Blick reagierte er mit einem schwachen Lächeln. »Das stimmt. Falls irgendein Mensch jemals persönlich den Aliens begegnet ist, dann hat er niemandem davon berichtet. Es sind Schiffe verschwunden, die sich in der Grenzregion aufhielten. Und vor langer Zeit haben wir auch Schiffe verloren, die zu Erkundungszwecken die Grenze überquert haben. Vielleicht wurden die Besatzungen gefangengenommen, vielleicht sind sie auch tot. Auf jeden Fall ist keiner von ihnen jemals zurückgekehrt.«

»Haben die Syndiks nie mit den Aliens Kontakt aufgenommen?«

»Doch, über Komm-Verbindungen. Verhandlungen mit ihnen finden nur sehr selten statt, aber ich hatte zweimal die Gelegenheit, das mitzuerleben.« Boyens beschrieb mit den Händen eine frustrierte Geste. »Ich rede hier nicht von virtuellen Treffen, sondern nur über Bildschirm. Was sie uns dabei zeigen, sind eindeutig menschliche Avatare. Gefälschte Bilder von Menschen vor gefälschten Hintergründen.«

Woher weiß er, dass sie gefälscht waren?, wollte Iger wissen. Digitale Signale enthalten keinen Hinweis darauf, ob der Inhalt authentisch ist oder ob er verändert wurde.

»Gefälscht?«, gab Geary die Frage weiter. »Was macht Sie so sicher, dass sie gefälscht sind?«

»Oh, die Bilder sind realistisch genug, um sie auf den ersten Blick echt aussehen zu lassen, aber nach einer Weile fallen einem kleine Unstimmigkeiten auf, die sich falsch anfühlen. Das ist so, als ob… Na ja, stellen Sie sich vor, Sie würden sich als Katze ausgeben. Vermutlich würde es Ihnen gelingen, andere Menschen zu täuschen, aber eine echte Katze würde den Unterschied bemerken.«

Er hält das für die Wahrheit, versicherte Iger Geary.

Der sah Boyens eindringlich an. »Jeder Mensch ist anders. Wie wollen Sie wissen, dass sie nicht doch Menschen sind?«

Diesmal begann Boyens zu lachen, aber damit wollte er bestenfalls Galgenhumor vermitteln. »Wenn Sie sie zu Gesicht bekommen, werden Sie es wissen. Ich habe mit Menschen von unterschiedlichster kultureller Herkunft gesprochen, und ich weiß, wie verschieden Menschen und ihre Ansichten sein können. Aber bei diesen Aliens gibt es irgendetwas, das darüber hinausgeht, auch wenn sie sich noch so viel Mühe geben, es zu verbergen. Sie können mir vertr…« Wieder lachte er. »Gerade wollte ich sagen: ›Sie können mir vertrauen.‹ Aber das wird wohl nicht passieren, nicht wahr?«

»Nein. Verraten Sie mir, was diese Aliens wollen. Darüber müssen Sie doch irgendetwas wissen.«

Der CEO legte die Stirn in Falten. »Nur in groben Zügen. Ich konnte nur auf wenige Aufzeichnungen zugreifen, weil alles, was diese Aliens angeht, streng geheim ist und jeder Beteiligte nur so viel erfährt, wie unbedingt nötig. Nach dem Erstkontakt sah es so aus, als wollten die Aliens nur, dass wir nicht in ihr Gebiet vordringen. In den darauffolgenden Jahrzehnten entstand der Eindruck, als wollten sie sich in unser Territorium vorwagen, allerdings nur sehr behutsam. Vor ungefähr siebzig Jahren stellten sie diese Anstrengungen ein, und bislang haben sie sich ruhig verhalten, wenn man von gelegentlichen Versuchen absieht, unsere Verteidigungsbereitschaft auf die Probe zu stellen. Warum sie sich zurückgezogen haben, weiß niemand, denn wer jemals mit ihnen gesprochen hat, der bekommt den Eindruck, dass sie an einigen von den Syndikatwelten besiedelten Sternensystemen interessiert sind. Aber in den letzten fünf oder sechs Monaten, bevor man unsere Flotte von der Grenze abgezogen hat, um die Allianz anzugreifen, hat es von ihrer Seite keinen Vorstoß mehr gegeben.«

Das waren für Geary keine Informationen, mit denen er etwas anfangen konnte. »Wie sehen deren Schiffe aus?«

»Das wissen wir nicht. Sie verfügen über irgendeine Art von Tarnvorrichtung, die unserer Technologie Millionen von Lichtjahren voraus ist. Auf den Sensoren nimmt man nur einen großen Fleck wahr, von dem unsere besten Geräte keinerlei Details ausmachen können.« Boyens warf Geary einen forschenden Blick zu, als erwarte er, dass der dieser Aussage widersprach. »Wir haben alles versucht, um uns ein Bild von ihren Schiffen zu machen. Vor etlichen Jahrzehnten wurden ein paar Freiwillige in Tarnanzügen in Richtung einiger Schiffe der Aliens geschickt, die für Verhandlungen in ein Sternensystem der Syndikatwelten gekommen waren. Unsere Hoffnung war, dass sie nahe genug an sie herankommen, um in diese Tarnblase zu gelangen oder was immer das ist, das ihre Schiffe umgibt. Aber all starben, bevor sie irgendetwas zurückmelden konnten.«

»Die Syndiks haben noch nie ein Schiff der Aliens zerstören und das Wrack untersuchen können?«, forschte Geary nach.

»Nein.« Der CEO richtete seinen Blick auf den Boden.

Er verschweigt irgendetwas, meldete Lieutenant Iger.

»Haben Sie je gegen sie gekämpft?«

»Nein.«

Diese Antwort verblüffte Geary, daher wartete er, dass Iger sie als Lüge identifizierte. Er überlegte, welche Frage er als Nächstes stellen sollte, da meldete sich Rione zu Wort: Fragen Sie ihn, ob die Syndiks jemals gegen die Aliens gekämpft haben. Nicht er persönlich, sondern die Syndiks im Allgemeinen.

Nachdem Rione das gesagt hatte, wurde für Geary die dreiste Täuschung auch offensichtlich. Mit verärgertem Unterton fragte er: »Haben die Syndiks jemals gegen die Aliens gekämpft?«

Einen Moment lang reagierte Boyens mit einer verkniffenen Miene, dann nickte er. »Vor Jahrzehnten.«

»Was geschah damals?«

»Ich war nicht dabei.«

Ausflucht, warf Iger ein.

»Wissen Sie, was damals geschah?« Der Syndik stand nur schweigend da, woraufhin Geary sich erhob. »Sie wollen, dass wir Ihnen vertrauen, wenn Sie ganz offensichtlich entscheidende Informationen für sich behalten? Warum soll ich nicht einfach das Syndik-Grenzgebiet sich selbst überlassen?«

Der Syndik bekam einen roten Kopf, was anscheinend von einer Mischung aus Wut und Verlegenheit verursacht wurde. »Die Aliens scheinen uns immer einen Schritt voraus zu sein. Ich wurde einmal in ein Programm eingearbeitet, das eigentlich hätte funktionieren sollen. Wir sprangen mit unseren Schiffen in Sternensysteme, die nur etwa ein Lichtjahr von Systemen der Aliens entfernt lagen. Dann starteten wir Asteroiden, die wir zuvor ausgehöhlt und mit Sensoren ausgerüstet hatten. Bei der Geschwindigkeit, mit der wir sie losschickten, hätten sie Jahrzehnte benötigt, um ihre Ziele zu erreichen. Aber sie hätten wie Felsbrocken wahrgenommen werden sollen, weil es sich um passive Sensoren handelte und die Energieversorgung massiv abgeschirmt worden war. Es hat nicht funktioniert. Unsere Sensoren, die die Flugbahn der Asteroiden verfolgten, stellten fest, dass sie kurz vor Erreichen der Sternensysteme zerstört wurden.«

Zwar interessant, meinte Rione leidenschaftslos, aber am Thema vorbei. Er sagt noch immer nichts dazu, was passiert ist, als die Syndiks gegen die Aliens gekämpft haben.

Geary rieb sich das Kinn, während er überlegte, wie er den Syndik dazu bringen konnte, ihm mehr über die Sensoren und die Gefechtsfähigkeiten der Aliens zu verraten. »Ich nehme an, die Syndikatwelten haben auch versucht, bemannte Missionen in von den Aliens besiedelte Sternensysteme zu schicken, oder?«

»Ja, aber keine dieser Missionen ist jemals zurückgekehrt. Und wir haben auch nie wieder etwas von ihnen gehört.«

»Was ist mit den Sternensystemen, die Sie ihnen überlassen haben? Haben Sie versucht, dort irgendwelche Anlagen zu installieren, die Sie mit Informationen über die Aliens versorgen sollten?«

Boyens sah ihn verblüfft an. »Woher wissen Sie…? Ja, wir haben einige Systeme aufgegeben, um an der Grenze den Frieden zu wahren, und wir haben auch Sensoren zurückgelassen. Wir haben automatisierte Kurierschiffe in den Systemen versteckt, damit sie aufzeichnen, was die Sensoren wahrnehmen, und dann mit diesen Informationen das System verlassen. Von keinem der Schiffe haben wir je etwas gehört. Es ist so, als wüssten diese verdammten Aliens alles, was wir vorhaben, und zwar nicht erst in dem Moment, in dem wir es tun, sondern schon davor.«

»War das auch der Fall, als die Syndiks gegen sie gekämpft haben?«, hakte Geary sofort nach.

Der Syndik-CEO schien zu überlegen, was er darauf erwidern sollte, dann sah er Geary in die Augen. »Ja. Und wenn es unseren Kriegsschiffen mal gelang, ein Ziel zu erfassen und das Feuer zu eröffnen, dann zeigten die Treffer keine Wirkung. Höllenspeere wurde einfach absorbiert, Kartätschen lösten sich in Nichts auf, sobald sie deren Schilde berührten. Und unsere Raketen wurden vor Erreichen ihrer Ziele zerstört.«

Geary erlaubte sich ein schwaches Lächeln. »Warum wollten Sie uns das nicht sagen?«

»Weil ich wollte, dass Sie den Kampf gegen sie aufnehmen. Ich dachte, wenn ich Ihnen das sage, dann beschließen Sie vielleicht, die Aliens zu meiden und die Syndikatwelten mit der Bedrohung allein zu lassen.«

»Sie glauben also, dass wir das erreichen können, was Ihren Kriegsschiffen nicht gelungen ist?«

Boyens bekam einen roten Kopf. »Spielen Sie nicht mit mir. Sie haben eine Syndik-Flotte nach der anderen ausgelöscht, darunter auch mehrere, die Ihrer Flotte zahlenmäßig weit überlegen waren. Ich weiß nicht, wie Sie das angestellt haben, aber ganz offenbar sind Sie im Besitz einer Technologie, die Ihnen diesen Vorteil verschafft.«

Wieder meldete sich Rione, diesmal klang sie amüsiert. Ich frage mich, ob ihm bewusst ist, dass diese ›Technologie‹ vor ihm steht.

Da er Rione keinen verärgerten Blick zuwerfen konnte, konzentrierte sich Geary weiter auf den Syndik. »Was können Sie uns noch erzählen?«

Der CEO zögerte, dann erklärte er: »Nicht viel. Wovon ich am meisten zu bieten habe, das ist Erfahrung aus erster Hand – im Umgang mit vorgesetzten CEOs und mit den Aliens. Ich kann Ihnen nützen. Ich möchte nur, dass Sie uns helfen, die Aliens von uns fernzuhalten.«

»Wieso?«

Boyens seufzte und spreizte hilflos die Hände. »Ich habe zehn Jahre lang geholfen, diese Leute zu beschützen. Ich habe sie näher kennengelernt, und ich… ich fühle mich für sie verantwortlich.«

»Sie sagen das, als wollten Sie sich dafür entschuldigen, dass Ihnen diese Leute am Herzen liegen«, warf Geary ihm herausfordernd hin.

Der Syndik antwortete zunächst nicht und wich Gearys Blick aus, dann jedoch schaute er ihm direkt in die Augen. »Den CEOs von mobilen Streitkräften, genau genommen allen Offizieren und dem Personal wird immer wieder dringend davon abgeraten, irgendwelche persönlichen Beziehungen zur lokalen Bevölkerung zu unterhalten… Es könnte dazu führen, dass sie zögern, wenn sie den Befehl erhalten, unverzichtbare interne Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.«

»Interne Sicherheitsmaßnahmen? Reden Sie davon, eigene Planeten zu bombardieren?«

»Ja.«

»Wie zum Teufel kann sich irgendein Mensch zu so etwas bereit erklären?«, wollte Geary wissen.

Abermals schwieg der Syndik eine Zeit lang. »Um die Sicherheit aller zu gewährleisten. Ich weiß, wie sich das anhört. Eine Drohung an die eigenen Leute, sie zu töten, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Aber so wird die Ordnung aufrechterhalten. Auf diese Weise bleiben wir stark genug, um uns Bedrohungen von außen zu stellen. Es geht darum, was für die Mehrheit das Beste ist. Wir können nicht zulassen, dass kleine Gruppen die Sicherheit der Masse in Gefahr bringen.«

Offenbar waren die Aliens nicht die Einzigen, mit deren Denkstrukturen Geary seine Schwierigkeiten hatte. Er überlegte, was er noch fragen konnte und ob er befehlen sollte, Boyens an Bord der Dauntless zu lassen, als sich Rione zu Wort meldete: Fragen Sie ihn nach Senator Navarro und warum Abassas nicht angegriffen wird.

Warum wollte Rione denn das wissen? Aber vielleicht würde die Antwort zu irgendeiner anderen hilfreichen Erkenntnis führen. »Eine Sache noch, CEO Boyens, und ich will Sie warnen, dass ich Sie sofort von diesem Schiff schaffen lasse, wenn mir Ihre Antwort nicht gefällt. Warum ist das Abassas-System schon seit einer Weile nicht mehr angegriffen worden?«

Boyens sah ihn verdutzt an. »Abassas? Liegt das an der Grenze zu den Syndikatwelten?«

»Ja, und es ist die Heimat des momentanen Ratsvorsitzenden der Allianz.«

Sekundenlang zeigte der Syndik eine rätselnde Miene, dann begann er auf einmal zu lachen. »Darauf sind Sie reingefallen? Allen Ernstes? Das ist doch der älteste Trick überhaupt.«

»Was für ein Trick?«

»Keine Angriffe auf das Zuhause eines feindlichen politischen Führers. Der Feind beginnt sich dann nämlich zu fragen, welchen Handel dieser Führer mit dem Gegner eingegangen sein könnte. Ich persönlich weiß nichts über Abassas, aber das ist eine übliche Strategie, um Argwohn zu säen.« Boyens wurde wieder ernst. »Ich weiß nicht, ob Ihnen die Antwort gefallen hat, aber es ist die Einzige, die ich Ihnen geben kann.«

Geary nickte knapp. »Danke. Sie werden in eine Arrestzelle gebracht, während wir uns mit Ihrem Angebot beschäftigen.« Dann drehte er sich um und ging nach draußen, während er sich dem heftigen Verlangen widersetzen musste, den Syndik anzubrüllen.

Im Beobachtungsraum blieb er stehen und sah sich die Displays an. »Was meinen Sie?«, fragte er in die Runde.

Rione antwortete als Erste, ohne den Blick von den Anzeigen zu nehmen. »Bei seiner Bitte um Hilfe hat er Sie nicht zu täuschen versucht, aber es gab einige andere Momente, in denen er ganz eindeutig über die Wahrheit hinweggegangen ist und sich Zeit gelassen hat, um seine Antworten gut zu formulieren.«

Lieutenant Iger nickte zustimmend. »Das passt zu meiner Einschätzung, Sir. Die Bitte um Hilfe ist ehrlich gemeint. Überhaupt war nichts von seinen Äußerungen gelogen. Natürlich heißt das nicht, dass er uns nicht etwas verheimlicht hat, was möglicherweise sehr wichtig für uns ist.«

In Gedanken versunken starrte Desjani auf einen fernen Punkt weit außerhalb dieses Raums. »Sie verhalten sich nicht so, als wären sie mächtiger als wir.«

Es dauerte einige Sekunden, ehe Geary verstand, worauf sie sich bezog. »Die Aliens?«

»Ja.« Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. »Die eigene Schlagkraft, Fähigkeiten und Neigungen zu verschleiern, ist in einem Gefecht für gewöhnlich eine gute Taktik, aber es gibt auch Situationen, da ist es nicht verkehrt, die Gegenseite wissen zu lassen, dass man ihr deutlich überlegen ist. Aber sie geben auf nichts einen Hinweis.«

Rione reagierte mit einem bestätigenden Nicken auf Desjanis Äußerung. »Das stimmt, und es gilt vor allem für Verhandlungen.«

»Allerdings«, fuhr Desjani fort, »ist es auch nicht verkehrt, den Gegner glauben zu lassen, dass man stärker ist, als es in Wahrheit der Fall ist. Diese Taktik ist vor allem dann von Vorteil, wenn man weiß, dass man es mit dem Gegner eigentlich gar nicht aufnehmen kann.«

Alle schwiegen sie einen Moment lang, während sie über diese Überlegungen nachdachten. »Woher wissen wir«, fragte Geary schließlich, »ob sie überhaupt so denken wie wir? Vielleicht ist diese Geheimniskrämerei für sie etwas ganz Normales.«

»Sogar, dass sie die Formen ihrer Schiffe unkenntlich machen?« Desjani schüttelte den Kopf. »Wenn es stimmt, was dieser Syndik gesagt hat, dann haben die Aliens sich sehr viel Mühe gegeben, um Menschen daran zu hindern, etwas über sie herauszufinden. Kann sein, dass sie davon besessen sind, sich selbst und alles, was mit ihnen zusammenhängt, zu verschleiern, zu tarnen und zu vertuschen. Aber bei einem menschlichen Gegner würde ich mich schon fragen, was andere nicht über sie in Erfahrung bringen sollen.«

In zurückhaltendem Tonfall wandte Lieutenant Iger ein: »Captain, das ist ein menschlicher Blickwinkel. Auf der Erde und auf vielen anderen Planeten bedienen sich die dominanten Lebensformen körperlicher Zurschaustellung, um bei ihren Widersachern Ehrfurcht zu wecken. Sie versuchen, sich größer zu machen, als sie es in Wahrheit sind. In gewisser Weise verhalten sich die Menschen ebenfalls so. Aber es gibt auch Lebensformen, die auf ganz andere Methoden zurückgreifen, indem sie sich zum Beispiel verstecken und tarnen, um abzuwarten, bis ihre Beute nahe genug ist, damit sie zuschlagen können, bevor das Opfer eine Chance hat zu reagieren.«

Rione gab ein verärgertes Schnauben von sich. »Man sollte meinen, dass die Syndiks in den hundert Jahren seit dem Erstkontakt mehr herausgefunden haben müssten. Dieser CEO hält ganz sicher Informationen zurück.« Auf einmal schien ihr etwas einzufallen. »Wie lange ist es her, dass die Allianz und die Syndikatwelten die Hypernet-Technologie ›entdeckten‹ und damit begannen, ein eigenes Hypernet zu schaffen?«

Desjani tippte etwas auf ihrer Dateneinheit ein, dann las sie vor: »Die ersten Segmente des Hypernets wurden auf beiden Seiten vor neunundsechzig Jahren aktiviert.«

Daraufhin zog Rione verärgert die Oberlippe kraus. »Der CEO hat behauptet, dass die Aliens bis vor etwa siebzig Jahren recht aktiv waren, und seitdem lassen sie so gut wie nichts von sich hören. Diese Mistkerle haben ein paar Jahrzehnte damit verbracht, mehr über die Menschheit in Erfahrung zu bringen, dann haben sie uns die Hypernet-Technologie geschenkt und warten seitdem in aller Ruhe darauf, dass wir uns selbst ausradieren.«

»Und warum dann die gelegentlichen Vorstöße?«, fragte Geary.

»Um sicherzustellen, dass sich unsere Sensoren- und Waffentechnologie nicht deutlich weiterentwickelt hat«, spekulierte Desjani.

»Das ist ein plausibles Argument«, stimmte Iger ihr zu.

Es gab noch immer viel zu viele Fragen, und wie es schien, wusste der Syndik-CEO auf viel zu wenige davon eine Antwort. »Lohnt es sich, ihn an Bord zu behalten?«, wollte Geary wissen.

»Ich würde es empfehlen«, sagte Rione. »Ich nehme ihm seine Antwort ab, was die ausbleibenden Angriffe auf Abassas angeht. Sie wurde als ehrlich erfasst, und ich muss sagen, das ist eine sehr wirkungsvolle Taktik. Vielleicht werde ich sie selbst einmal anwenden müssen.«

»Ich rate auch dazu, ihn an Bord zu lassen, Sir«, ergänzte Iger. »Er könnte noch mehr Informationen besitzen, und er hat gesagt, dass er die Leute in den Sternensystemen entlang der Grenze kennt, die dort das Sagen haben. Vielleicht werden wir solche Kontakte benötigen.«

Desjani machte einen missmutigen Eindruck, nickte aber bedächtig. »Wir müssen jeden Vorteil nutzen, der sich uns bietet, da wir zu wenig über diese Aliens wissen. Sollte er versuchen, uns zu hintergehen, dann will ich, dass sich ein Marine mit entsicherter Waffe in seiner Nähe aufhält.«

Zweieinhalb Tage später befahl Geary der Flotte, sich in Marsch zu setzen. Er sah mit an, wie der Schwarm aus Raumschiffen jene große Formation einzunehmen begann, die er für diesen Teil des Transits angeordnet hatte. Wenn man von den flammenden Antriebseinheiten am Heck absah, erinnerten die Kriegsschiffe an Haie von unterschiedlicher Größe, wobei sie im Fall der Schlachtschiffe für einen Hai etwas zu kurz und zu klobig ausfielen. Ansonsten war es ein Vergleich, der einem schnell in den Sinn kam. Die Flossen mit den Sensoren, den Waffen und den Schildgeneratoren ragten aus den geschwungenen Rümpfen, die so entworfen waren, dass Treffer abgelenkt wurden. Die schnellen, schlanken Haie, als die sich die Zerstörer präsentierten, nahmen zügig die ihnen zugewiesenen Positionen rings um die Dauntless ein, wobei sie von den deutlich größeren Leichten Kreuzern begleitet wurden, die sich mit fast der gleichen Wendigkeit bewegten. Die Schweren Kreuzer zogen mit gelassener Autorität ihre Bahnen, ihre stärkere Panzerung und Bewaffnung sowie der größere Rumpf spiegelten dabei deutlich ihren vorrangigen Auftrag als Killer innerhalb der Gruppe wider.

Die Schlachtschiffe bewegten sich wie riesige Monster, sie strotzten vor Waffen, waren wegen ihrer enormen Größe und der dadurch bedingten Trägheit aber fast schon als plump und träge zu bezeichnen. Dabei waren sie zugleich jedoch auch nahezu unzerstörbar. Um sie herum waren die Schlachtkreuzer angeordnet, in etwa so groß wie die Schlachtschiffe, jedoch schlanker und schneller, wobei die bessere Beschleunigung und die leichtere Manövrierbarkeit mit einer schwächeren Panzerung erkauft worden war.

Nahe dem Mittelpunkt der Formation befanden sich die sogenannten Schnellen Hilfsschiffe, wobei den Zusatz »schnell« wohl nur derjenige verstehen konnte, der ihnen seinerzeit diesen Namen gegeben hatte. Sie hatten weder einen abgerundeten Rumpf wie die anderen Schiffe, noch traf bei ihnen der Vergleich mit einem Hai zu. Die kantigen, klobigen Konturen erinnerten vielmehr an die Fabrikhalle, die sie im Grunde auch waren, handelte es sich doch um mit einer Antriebseinheit ausgestattete Fabrikationsanlagen, die ihre eigenen Rohstoffe an Bord mit sich führten, um Ersatzteile ebenso zu produzieren wie neue Brennstoffzellen, Flugkörper, Kartätschen und Minen, die das ersetzten, was von den anderen Schiffen verbraucht wurde. In einer Schlacht waren sie ein ständiger Grund zur Sorge, da sie weder die Wendigkeit eines Kriegsschiffs besaßen, noch in der Lage waren, sich vor Angreifern vernünftig zu schützen. Doch ohne den von den Hilfsschiffen gelieferten Nachschub wäre es Geary niemals gelungen, die Flotte aus dem Syndik-Gebiet herauszuführen. Er konnte nur hoffen, dass er diesmal nicht so sehr auf sie angewiesen sein würde.

Der Anblick der Schlachtkreuzer der neuen Adroit-Klasse ließ ihn einen Moment lang innehalten, wobei er sich zwingen musste, sein Display nicht missbilligend anzustarren. Er konnte nicht einschätzen, wie jemand, der ihn in diesem Moment beobachtete, seine mürrische Miene gedeutet hätte, aber aus langjähriger Erfahrung wusste er, dass jeder die ranghöchsten Offiziere im Auge behielt, um deren Gefühlsregungen einzuschätzen. Das war eine der ersten Überlebenstaktiken, die sich jeder halbwegs intelligente Junioroffizier schnell aneignete.

Aber seine Unzufriedenheit galt weder einer Person in dieser Flotte noch dem Verhalten eines der Kriegsschiffe. Vielmehr war sie die Folge eines virtuellen Rundgangs durch die Adroit selbst, ermöglicht durch die Flottensoftware. Geary hatte sich schon vor einer Weile damit abgefunden, dass die Kriegsschiffe dieser Zeit keine Meisterwerke mehr waren, deren Lebenserwartung sich auf Jahrzehnte belief. Stattdessen wurden die Raumer in aller Eile zusammengeschustert, da sie erwartungsgemäß so bald zerstört werden würden, dass ihre Montage kein handwerkliches Geschick mehr rechtfertigte.

Doch mit der Adroit war ein neuer Tiefpunkt erreicht worden, der sich in der Praxis als viel erbärmlicher gestaltete, als Geary es beim Studium der offiziellen Daten und Fakten über die neuen Schlachtkreuzer für möglich gehalten hatte. Während sich sein Avatar durch das Schiff bewegt hatte, war er gezwungen gewesen, sich noch stärker zu beherrschen, damit niemand ihm sein Entsetzen ansehen konnte. Die Kompromisse, die man beim Design eingegangen war, um Zeit und Geld zu sparen, hatten bei der Adroit und ihren Schwesterschiffen zu gravierenden Schwächen in der Konstruktion geführt. Captain Kattnigs Erklärungen und seine gelegentlichen Entschuldigungen zum Zustand mancher Ausrüstungselemente hatten ihm klargemacht, dass der Befehlshaber des Schiffs um die Unzulänglichkeiten wusste, was mit Sicherheit auch für die erfahreneren Offiziere an Bord galt. Aber es wäre nutzlos gewesen, diese Schwächen hervorzuheben und offen auszusprechen. Geary war mit dieser Seite des Dienstes in der Flotte bestens vertraut, da auch er mit solchen Mängeln konfrontiert worden war, die es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen. Fast noch schlimmer waren dabei die schlechten Bewertungen und die harsche Kritik gewesen, die Inspektionsteams an seine Adresse und die seiner Crew gerichtet hatten, als könnte eine Schiffsbesatzung Wunder wirken und alle Fehler ausbügeln, die sich beim Design, bei der Konstruktion und in der Testphase angesammelt hatten.

Also achtete er sorgfältig darauf, seine wahre Reaktion zu verbergen, weil die Besatzungsmitglieder der Adroit allzu leicht hätten glauben können, dass sein Missfallen ihnen galt. Die Crew brannte darauf, ihr Können unter Beweis zu stellen, und zeigte sich enttäuscht darüber, dass ihr die Beteiligung an der verzweifelten Heimreise verwehrt worden war. Umso entschlossener waren sie alle, die Gunst von Black Jack Geary für sich zu gewinnen. Captain Kattnig kannte Captain Tulev. »Als Unteroffiziere dienten wir gemeinsam auf der Determined, unsere Beförderung erhielten wir nach einer Schlacht bei Hattera.« Einen Moment lang nahmen Kattnigs Augen einen wehmütigen Ausdruck an. »Das ist viele Schiffe und viele Schlachten her, aber Tulev und ich sind immer noch hier.«

»Ich bin froh, Sie beide unter meinem Kommando zu haben«, erwiderte Geary. »Wie ich höre, ist die Adroit erst vor zwei Monaten in Dienst gestellt worden.«

»Ja, in etwa, Sir. Aber wir sind bereit«, beteuerte Kattnig. »Wir können mit der Flotte mithalten.«

»Daran habe ich keinen Zweifel«, sagte Geary laut genug, um von den in der Nähe befindlichen Crewmitgliedern gehört und verstanden zu werden. »Die Adroit fühlt sich für mich an wie ein Schiff mit Erfahrung. Ich weiß, Sie werden gut kämpfen.«

Captain Kattnig nickte, seine Miene wirkte angespannt. »Das werden wir, Sir. Keiner von uns konnte Sie auf dem langen Weg nach Hause begleiten, was wir alle sehr bedauern.«

Die absurde Tatsache, dass jemand bedauerte, eine verzweifelte Heimreise nicht mitgemacht zu haben, die er vielleicht gar nicht überlebt hätte, entlockte Geary ein Lächeln, das er aber zu einer verständnisvollen Geste umzugestalten wusste. Er konnte nur zu gut verstehen, warum jemand in einer solchen Zeit an der Seite seiner Kameraden sein wollte. »Wir hätten Sie gut gebrauchen können, aber dafür begleiten Sie uns ja jetzt.«

»Wie ich hörte, hat sich Captain Tulev gut geschlagen«, fügte Kattnig mit gesenkter Stimme hinzu. »Er hat sich selbst übertroffen.«

»Ja, das hat er. Captain Tulev ist ein zuverlässiger und fähiger Offizier. Ich war wirklich froh, dass er mit dabei war.«

»Es tut gut, das zu hören. Captain Tulev und ich bekamen zur gleichen Zeit unser eigenes Kommando.«

»Ja, das sagten Sie.«

»Wirklich? Entschuldigen Sie bitte, Admiral.« Captain Kattnig schaute sich um, als würde er sein eigenes Schiff zum ersten Mal sehen. »Es heißt, Sie werden den Krieg beenden. Das hier könnte der letzte Feldzug sein.«

»Wenn die lebenden Sterne uns diesen Segen geben, dann wird es tatsächlich der letzte Feldzug in diesem Krieg sein«, stimmte Geary ihm zu.

»Ja, das wäre eine gute Sache«, erklärte Kattnig, klang dabei aber ein wenig unschlüssig. »Ich konnte nicht bei der Flotte sein, müssen Sie wissen. Mein letztes Schiff, die Paragon, war bei den Kämpfen bei Valdisia schwer beschädigt worden und musste bei T’shima umfangreichen Reparaturen unterzogen werden.«

»Ich verstehe.«

»Dann wurde die Paragon überhastet wieder ins Gefecht geschickt, als die Allianz-Flotte… unauffindbar war. Bei der Verteidigung von Beowulf bekamen wir so schwere Treffer ab, dass das Schiff aufgegeben werden musste.«

»Das muss ein mutiger Einsatz gewesen sein«, meinte Geary, während er sich wunderte, warum Kattnig so beharrlich zu erklären versuchte, wieso er beim ersten Angriff der Flotte auf das Heimatsystem der Syndiks nicht dabei gewesen war.

»Das war es, Sir, das war es.« Kattnig flüsterte die Worte, während sein Blick in die Ferne gerichtet war. Dann auf einmal sah er wieder Geary an. »Ich bestand darauf, ein anderes Schiff zu bekommen. Um… um diesmal bei der Flotte zu sein.«

»Die Verteidigung der Allianz in der Zeit, als die Flotte sich im Syndik-Territorium aufhielt, stellte eine äußerst wichtige Aufgabe dar. Ansonsten wären wir in eine Heimat zurückgekehrt, die nur noch aus Ruinen und Toten bestanden hätte. Sie haben Großes geleistet.«

»Vielen Dank, Sir. Sie werden sehen, wozu mein Schiff in der Lage sein kann«, versprach Kattnig ihm.

Geary hatte alles in seiner Macht Stehende unternommen, um die Moral auf der Adroit zu fördern, aber seine Inspektion hatte zu viele Belege dafür ergeben, dass diese Crew eigentlich um Längen besser war als das ihr zugeteilte Schiff. Notwendige Sicherungen in wichtigen Systemen waren bis unter die minimalen Sicherheitsanforderungen abgebaut worden, die Leistungsfähigkeit der Waffensysteme wurde durch Einsparungen bei den Energieleitungen zu den Höllenspeeren eingeschränkt, und die Magazine konnten nur mit wenigen Phantom-Flugkörpern bestückt werden, obwohl bei einer vernünftigen, aber kostenintensiveren Planung selbst auf dem beengten Raum für deutlich mehr Platz gewesen wäre. Auch den Sensoren fehlte es an Sicherungen und an Leistungsfähigkeit, sodass die Adroit-Klasse von den Daten abhängig war, die ihnen die Sensoren anderer Schiffe lieferten. Bei einem größeren Gefecht war das ja noch hinnehmbar, aber ein auf sich gestelltes Schiff dieser Klasse befand sich dadurch deutlich im Nachteil. Geary konnte ein Adroit-Schiff nicht einmal nur von Eskortschiffen begleitet losschicken, da die Fähigkeiten von Kreuzern und Zerstörern nicht die Schwächen auszugleichen vermochten, mit denen die neuen Schlachtkreuzer wegen der Probleme mit den Sensoren zu kämpfen hatten.

Diese Erkenntnisse hatten Geary einmal mehr deutlich gemacht, wie schlecht es um die Allianz bestellt war. Ein Jahrhundert Krieg hatte die wirtschaftliche und industrielle Grundlage so ausbluten lassen, dass die interstellaren Zivilisationen nicht in der Lage waren, das Militär finanziell ausreichend zu unterstützen. Wenn es ihm nicht gelang, den Krieg zu beenden, würde der Zerfall immer weiter voranschreiten und sich mehr und mehr beschleunigen, so als wäre der Krieg ein Schwarzes Loch, das die Menschheit und alles von ihr Geschaffene verschlucken wollte. Jetzt verstand er auch die Verzweiflung, die Desjani dazu getrieben hatte, ihm das Versprechen abzuringen, dass er nicht dieser Mission den Rücken kehrte, die ihm ihrer Meinung nach von den lebenden Sternen persönlich übertragen worden war. Und er verstand, warum die Menschen ihre ganze Hoffnung in ihn setzten. Zugleich fragte er sich, wie vielen von ihnen eigentlich klar war, welche Belastung das alles für ihn bedeutete.

Zumindest Desjani wusste das, davon war er überzeugt. Sie wusste es gut genug und wäre sogar bereit gewesen, ihre Ehre für ihn aufzugeben, wenn er sie darum gebeten hätte. Seine Reaktion auf dieses Angebot, nämlich die strikte Weigerung, ihr etwas Derartiges anzutun, hatte ihm die Kraft zum Weitermachen verliehen. Die Zivilisationen der Menschheit mochten im Zerfall begriffen sein, doch solange Leute wie Desjani den Glauben nicht aufgaben und weiterkämpften, so lange gab es die Hoffnung, dass dieser Prozess gestoppt werden konnte.

Und so saß Geary ein weiteres Mal auf dem Platz des Flottenbefehlshabers auf der Brücke der Dauntless, während die Schiffe seiner Flotte ihren Platz in der Formation einnahmen. Sie beschleunigten und nahmen Kurs auf den Sprungpunkt zu dem von Syndiks kontrollierten System Atalia.

Ihm wurde bewusst, dass Desjani ihn beobachtete, ohne etwas von den Gedanken zu ahnen, die ihm durch den Kopf gingen. Zumindest hoffte er, dass sie nichts ahnte, denn zeitweise hatte Desjani eine beunruhigende Fähigkeit zur Schau gestellt, seine Gedanken zu lesen. »Was ist?«

»Ein schöner Anblick, nicht wahr, Sir?«, sagte sie. »Ich habe sie noch nie so manövrieren sehen. Früher waren wir immer viel nachlässiger. Was da zählte, war, den Feind in den Griff zu bekommen. Auf das Aussehen der Formation kam es uns nicht so an, weil uns nicht klar war, dass ein Zusammenhang zwischen beidem besteht.«

»Sie geben ein sehr gutes Bild ab, und sie sind auch sehr gut. Aber sie werden nicht alle heimkehren«, gab Geary leise zu bedenken.

»Nein. Es ist ein Jahrhundert vergangen, seit sie alle heimgekehrt sind, Flottenadmiral Geary. Vielleicht werden Sie daran endlich etwas ändern.«

»Falls ja, wird das nicht allein mein Verdienst sein, Captain Desjani.«

Die Flotte war aufgebrochen, alle Augen im Varandal-System waren auf sie gerichtet.

»Unseren ersten Stopp werden wir in Atalia einlegen«, bestätigte er den Offizieren, die ihn beobachteten. »Wir werden noch vor dem Sprung Gefechtsformation einnehmen, auch wenn wir nicht davon ausgehen, bei Atalia auf nennenswerte Gegenwehr zu stoßen. Sollten die Syndiks dort kämpfen wollen, dann werden sie ihren Kampf bekommen.« Der Konferenzraum wirkte riesig, den langen Tisch säumten die virtuellen Abbilder aller befehlshabenden Offiziere von jedem Schiff der Flotte. Ebenfalls anwesend waren die frischgebackene Marine General Carabali sowie Co-Präsidentin Rione mit zwei Vertretern des Großen Rats – der stämmigen Senatorin Costa und einem Senator namens Sakai, der kaum ein Wort gesagt hatte, als Geary vom Rat befragt worden war.

Die meisten Flottenoffiziere gaben sich Mühe, die beiden neuen Politiker zu ignorieren, während sie Rione mit einem Mindestmaß an Höflichkeit behandelten, seit bekannt war, dass Geary ihr vertraute. Die Offiziere von den Schiffen der Callas-Republik und Rift-Föderation hatten Rione von Anfang an als ihre Politikerin angesehen und ihr Handeln verteidigt, dennoch waren sie froh darüber gewesen, dass sich niemals eine Gelegenheit ergeben hatte, bei der sie sich zwischen ihr und Geary hätten entscheiden müssen.

Dort, wo sich Captain Cresidas Platz befunden hatte, saß nun ein Captain von einem der neuen Schlachtkreuzer. Er war ein Ersatz, aber gleichzeitig war er genau das nicht. Wenigstens waren Captain Duellos und Captain Tulev anwesend, zwei standhafte, zuverlässige Kommandanten. Und Desjani befand sich mit Geary in diesem Raum.

»Um die Sicherheit für unsere Pläne zu gewährleisten, werde ich bei Atalia weitere Befehle ausgeben«, fuhr Geary fort. »Es gefällt mir nicht, Sie bis dahin alle im Ungewissen zu lassen, aber es ist von entscheidender Bedeutung, dass unsere Pläne geheim bleiben. Gibt es irgendwelche Fragen?«

Die meisten Offiziere machten einen enttäuschten Eindruck, bekundeten aber mit einem Kopfschütteln, dass für sie alles klar war. Die Befehlshaber dagegen, die sich erst bei Varandal der Flotte angeschlossen hatten, schauten sich verständnislos um. Geary wusste, was sie von ihm erwarteten, nämlich eine ausführliche Vorstellung seines Plans und das anschließende Bemühen, die Offiziere seiner Flotte davon zu überzeugen, damit er ihre Unterstützung bekam. Sie erwarteten politisches Taktieren, bis der Flottenkommandant das Gefühl hatte, genügend Untergebene auf seiner Seite zu haben, um dann eine Abstimmung durchzuführen. Diese Angewohnheit hatte er schnellstens über Bord geworfen, trotzdem waren Flottenkonferenzen lange Zeit ein zermürbendes Unterfangen gewesen.

»Flottenadmiral Geary«, meldete sich Captain Olisa vom Schlachtkreuzer Ascendant zu Wort. Sein Tonfall schwankte zwischen Respekt und Herausforderung. »Flottenoffiziere sind es gewöhnt, zu diesem Zeitpunkt mehr Informationen über einen vorgeschlagenen Plan zu erhalten.«

Geary reagierte mit einem höflichen, aber entschlossenen Blick. »Meine Pläne werden nicht vorgeschlagen, Captain, sondern gefasst. Ich werde Sie mehr wissen lassen, sobald ich das vertreten kann.«

»Aber wir müssen darüber diskutieren, was…«

Leidenschaftslos fiel Tulev ihm ins Wort: »Flottenadmiral Geary hat nichts gegen Vorschläge und Anmerkungen einzuwenden, Isvan. Ich kann Ihnen versichern, dass er sich alles anhört, was Sie zu sagen haben. Aber er handelt nicht so, wie Sie es gewöhnt sind. Er folgt dem Pfad unserer Vorfahren.«

»Unserer Vorfahren?« Olisa verzog den Mund, nickte dann aber. »Ich hatte schon davon gehört, dass sich einiges geändert hat. Allerdings wird es eine Weile dauern, sich an alles zu gewöhnen.«

»Das kann ich verstehen«, erwiderte Geary. »Ich musste mich auch erst an einige Dinge gewöhnen.«

»Können Sie unsere Mission bestätigen, Flottenadmiral Geary?«, fragte Captain Armus von der Colussus. »Ist es wirklich unser Ziel, den Krieg zu beenden?«

Geary wog seine Antwort gründlich ab. Armus hatte sich gelegentlich als schwierig erwiesen, und er war alles andere als ein beseelter Offizier. Allerdings war er tapfer und befolgte die ihm erteilten Befehle. Im Moment verhielt er sich zudem respektvoll und angemessen, was ein entsprechendes Auftreten ihm gegenüber rechtfertigte. Schließlich nickte Geary. »Das ist korrekt. Unsere Absicht ist es, die Syndiks in eine Ecke zu treiben und sie dort festzusetzen, bis sie sich damit einverstanden erklären, die Kämpfe einzustellen. Es geht nicht nur um einen Waffenstillstand, sondern um ein Ende des Kriegs.«

Captain Badaya, der sich seit Gearys Beförderung überheblich und zufrieden zugleich zu geben schien, nickte bestätigend, als hätte Geary ein Geheimnis mit ihm geteilt. »Indem wir Ihren Plan anwenden, Flottenadmiral Geary.«

»Ja, richtig. Ich verspreche Ihnen, bei Atalia werden Sie alle viel mehr Details erfahren.«

Während sich die Bilder der Offiziere auflösten, bemerkte Geary, dass die beiden neuen politischen Beobachter zurückblieben, als ob sie noch irgendetwas erwarteten. »Ja, Senatoren?«

Costa lächelte Geary flüchtig an. »Jetzt, da die anderen weg sind, können Sie uns informieren.«

Desjani schien sich auf die Unterlippe zu beißen, um sich von einem Kommentar abzuhalten, während Geary nach der passenden diplomatischen Erwiderung suchte.

Plötzlich drehte sich Rione zu Costa um und sagte: »Ich werde sie auf den aktuellen Stand bringen, Flottenadmiral Geary.«

War das ihr Ernst? Er hatte Rione nicht in die Details seiner Pläne eingeweiht. Hatte sie die Sicherheitsvorkehrungen überwunden, um auf seine Daten zuzugreifen? Dann jedoch zwinkerte sie ihm so zu, dass die beiden Senatoren davon nichts mitbekommen konnten. »Okay«, meinte er. »Captain Desjani?«

Er und Desjani verließen zügig den Raum, während er sich fragte, was Rione den anderen wohl erzählen würde, um sie ruhigzustellen. »Möchte wissen, ob es eine Möglichkeit gibt, diese beiden aus der Konferenzsoftware herauszunehmen.«

»Wenigstens haben Sie diese Politikerin, die sich um sie kümmern kann«, grummelte Desjani. »Mögen die Vorfahren mir diese Worte verzeihen, aber im Augenblick bin ich tatsächlich dankbar dafür, dass sie an Bord ist.«

»Das wird schon wieder«, versicherte er ihr ironisch.

»Ja, und hoffentlich schon sehr bald«, stimmte Desjani ihm zu. »Werden Sie für den Sprung nach Atalia auf die Brücke kommen?«

»Selbstverständlich.« Geary schwieg kurz. »Davon hängt eine Menge ab. Aber erst sollte ich noch etwas anderes erledigen.«

»Dorthin bin ich auch unterwegs.« Sie begaben sich tief ins Innere der Dauntless, in den am besten geschützten Teil des Schiffs, wo sich die religiösen Zwecken dienenden Räumlichkeiten befanden. Desjani verabschiedete sich vor einem der Räume, wobei sie ihm einen Moment lang in die Augen sah, ehe sie die Tür hinter sich schloss.

Er setzte sich in seinem Raum auf die traditionelle Holzbank und fragte sich zum ersten Mal, von welcher Welt dieses Holz wohl stammte. Auf vielen Welten fanden sich Bäume und ähnliche Vegetation, und die Menschheit hatte von den langen Reisen durch die Weite des Alls sehr viele Pflanzen mitgebracht. Geary zündete die einzelne Kerze an, dann saß er da und betrachtete eine Weile die Flamme. Es fiel ihm schwer, seine vielen Empfindungen in Worte zu fassen, aber schließlich sprach er leise. »Ich bitte nicht um Erfolg für mich, sondern für alle, die auf mich zählen. Bitte helft mir, diesem Krieg ein Ende zu setzen. Wenn es mein Schicksal ist, auf dieser Mission zu sterben, dann sorgt bitte dafür, dass Tanya Desjani unversehrt nach Hause zurückkehren kann.«

Eine halbe Stunde später saßen er und Desjani auf der Brücke der Dauntless und sahen mit an, wie die in drei Unterformationen aufgeteilte, gefechtsbereite Flotte den Sprung nach Atalia unternahm.

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