Fünf

Die Rückkehr in den Normalraum kam ihm seltsam abrupt vor, als sei der Sprungpunkt selbst in irgendeiner Weise gestört. Da Sprungpunkte durch die Masse des in der Nähe befindlichen Sterns erzeugt wurden, wusste Geary, dass das Problem sehr wahrscheinlich mit dem Stern Kalixa zusammenhing. Dann verschwand das graue Nichts, und die Allianz-Flotte hatte Kalixa erreicht.

Eine Zeit lang sagte niemand ein Wort, alle starrten nur auf das, was einmal das Sternensystem Kalixa gewesen war. Nach einigen Minuten wandte sich Geary von dem Anblick auf seinem Display ab und verglich die aktuellen Daten mit denen aus den Syndik-Archiven, die die Flotte bei Sancere in ihren Besitz gebracht hatte.

Zwischen der alten Karte und der aktuellen Situation gab es nicht viele Übereinstimmungen, oder besser gesagt: nicht mehr viele. Die Karte zeigte ein recht abgelegenes Sternensystem mit einem Planeten, der von Menschen bewohnt wurde, sowie mit weiteren Welten und Monden, auf denen man unterirdische Kolonien angelegt hatte, durch die sich die systemweite Bevölkerung auf über einhundert Millionen Menschen belief. Das in der Nähe befindliche Hypernet-Portal hatte entscheidend dazu beigetragen, den Wohlstand nach Kalixa zu bringen.

Bis das Portal kollabierte und eine Energiewelle freisetzte, deren Stärke den Bruchteil einer typischen Nova erreichte. Trotz der erschreckenden Berichte von Augenzeugen, mit denen Geary gesprochen hatte, war von der Welle doch nicht alles restlos zerstört worden. Es wäre sicherlich erträglicher gewesen, stattdessen jedoch fanden sich überall genügend Spuren dessen, was dort einmal existiert hatte.

»Auf keinem Planeten scheint sich mehr Leben zu befinden«, meldete der Ablauf-Wachhabende fast im Flüsterton. »An den Rändern der Gebiete, die von der Welle direkt getroffen wurden, sind zerfetzte Trümmerreste festzustellen. Sogar die Regionen, die sich zu dem Zeitpunkt auf der abgewandten Seite befanden, sind verwüstet, vermutlich durch Erdbeben und andere Naturkatastrophen. Die größte bewohnbare Welt weist nur noch eine sehr dünne Atmosphäre auf, was der einzige Grund dafür sein dürfte, warum nicht alles auf dem Planeten restlos verbrannt ist.«

Geary hatte sein Display auf einen vergrößerten Ausschnitt gerichtet, der die Überreste einer Stadt auf dieser Welt darstellte. Einige wenige Ruinen ragten aus dem Trümmerfeld heraus, die Stadt an sich war auf Schutt- und Geröllhaufen reduziert worden. Das Ganze war mit einer unnatürlich wirkenden Klarheit zu sehen, wie sie möglich war, wenn etwas nicht von einer störenden Atmosphäre umgeben wurde. »Lässt sich sagen, wie viele Schiffe sich hier aufgehalten haben?«

»Nein, Sir. Die Sensoren haben zwar Trümmer entdeckt, die im Orbit treiben, aber die sind so weit verstreut und so verdreht, dass man daraus keine Rückschlüsse mehr ziehen kann. Dieser Syndik-Offizier von dem Schweren Kreuzer hatte davon berichtet, dass es das einzige größere Kriegsschiff im System war. Nach den Schäden zu urteilen, die dieser Kreuzer davongetragen hatte, lässt sich sagen, dass kein Leichter Kreuzer und kein Jäger das hier überlebt haben kann. Schiffe ohne Panzerung und ohne Schilde nach Militärstandard hatten überhaupt keine Chance.«

Desjani zeigte auf das Bild von Kalixa. »In welchem Zustand befindet sich der Stern?«

»Höchst instabil. Aber da so viel von seiner solaren Masse weggerissen wurde, ist er selbst nicht auch noch zur Nova geworden. In diesem Sternensystem ist auf lange Sicht kein Leben möglich, Captain.«

Mit versteinerter Miene sah sie Geary an. »Einhundert Millionen Menschen. Diese Kerle haben auf einen Schlag einhundert Millionen Menschen umgebracht. Mir ist egal, ob das einhundert Millionen Syndiks waren, aber so etwas darf sich nicht wiederholen.«

Hatten die Aliens gewusst, wie viele Menschen hier gelebt hatten? War es ihnen egal gewesen? »Zumindest können sie das in keinem System wiederholen, dessen Portal mit einer Schutzvorrichtung versehen ist.«

»Bis sie einen Weg finden, um die Schutzvorrichtung zu umgehen.« Da Desjani merkte, dass die Wachhabenden auf der Brücke neugierig in ihre Richtung schauten und herauszufinden versuchten, was ihre Äußerung zu bedeuten hatte, beugte sie sich zu Geary hinüber, um in dessen virtuelle Privatsphäre einzutauchen. »Die Aliens dürfen nicht glauben, dass sie mit so etwas ungestraft davonkommen können. Lakota war schon schlimm genug, aber wenigstens waren es da andere Menschen, die den Auslöser betätigt haben. Das hier ist dagegen das Werk der Aliens.«

»Das sehe ich auch so. Wir müssen sie aufhalten.« Er atmete tief durch und dachte einen Moment lang darüber nach, dass diese Bilder der Verwüstung ihn für alle Zeit begleiten würden. »Madam Co-Präsidentin, sorgen Sie bitte dafür, dass die Senatoren Costa und Sakai sich dieses Sternensystem ganz genau ansehen. Ich möchte, dass ihnen wirklich bewusst ist, wie ein Krieg aussehen würde, der mit kollabierenden Hypernet-Portalen geführt wird.«

»Ja, Admiral Geary«, bestätigte Rione, die ungewöhnlich bedrückt klang.

»Captain Desjani, lassen Sie Kurs auf den Sprungpunkt nach Indras nehmen. Ich will hier keine Sekunde länger bleiben als unbedingt nötig.«

»Lieber würde ich um ein Schwarzes Loch herumfliegen«, stimmte Desjani ihm zu.

Abgesehen davon, dass das System deutlich vor Augen führte, welchem Schicksal die Menschheit in zahllosen weiteren Sternensystemen nur um Haaresbreite entgangen war, erteilte Kalixa auch jeder übermäßig guten Laune einen Dämpfer. Alle wurden auf drastische Weise daran erinnert, welche Risiken trotz allem immer noch auf sie lauerten, wenn sie sich einen Fehler leisteten und scheiterten. Während Geary die Reaktionen der Besatzungsmitglieder um ihn herum beobachtete, überlegte er unwillkürlich, was sie sagen oder tun würden, wenn sie wüssten, dass dies hier kein Unfall oder irgendein Fehler seitens der Syndiks, sondern ein vorsätzlicher Akt gewesen war. So abstoßend er die Zerstörung von Kalixa auch empfand, musste er sich fragen, ob seine größte Herausforderung womöglich darin bestand, die Aliens in ihre Schranken zu verweisen, ohne einen Vergeltungsfeldzug der Menschen gegen sie auszulösen.

Seinen ersten Gedanken, dass die Aliens für dieses Verbrechen bezahlen mussten, würde vermutlich jeder Mensch teilen. Aber ein Angriff auf die Aliens, der im Gegenzug zur Auslöschung weiterer von Menschen bewohnter Systeme führte, konnte nur einen neuen Teufelskreis aus Schlag und Gegenschlag, aus Rache und Vergeltung nach sich ziehen. Und solange sie nicht mehr über die Fähigkeiten der Aliens wussten und niemand zu sagen vermochte, ob sie – wie von Desjani spekuliert – über andere Mittel verfügten, um ganze Sternensysteme im Handumdrehen zu verwüsten, war ein Vergeltungsschlag einfach zu riskant. So gern ich jemanden dafür bezahlen lassen würde, können wir im Moment doch nur alles versuchen, um eine Wiederholung zu verhindern und mehr über diejenigen in Erfahrung zu bringen, die das hier zu verantworten haben. Vielleicht kann ja unser mitreisender Syndik etwas dazu beitragen, unsere Kenntnisse zu erweitern.

Er ließ den Syndik-CEO Boyens wieder aus der Arrestzelle in den Verhörraum bringen. »Wir wissen, dass Ihre Reserveflotte Varandal angegriffen hat, um Vergeltung für den Zusammenbruch des Portals im Kalixa-System zu üben«, sagte Geary. »Sie müssen doch gewusst haben, dass das nicht das Werk der Allianz war.«

»Nein, das wussten wir nicht«, stritt Boyens ab. »Wer sollte es denn sonst gemacht haben?«

»Sie sind doch derjenige, der so viele Jahre quasi Tür an Tür mit den Aliens gelebt hat.«

Der CEO sah Geary lange Zeit an, als versuche er, einen Zusammenhang zwischen dem Kollaps des Portals und der letzten Aussage herzustellen. »So weit sind die nie in das Gebiet der Syndikatwelten vorgedrungen. Außerdem haben wir die Aufzeichnung vom Zusammenbruch begutachtet, die Kreuzer C-875 bei Heradao ausgelöst hat. Da gab es keinen Hinweis auf einen Angriff der Aliens auf das Portal. Die Aliens können das nicht herbeigeführt haben. Aber wir wissen, dass Sie mindestens ein Hypernet-Portal in einem Sternensystem der Syndikatwelten haben zusammenbrechen lassen.«

»Reden Sie von Sancere?«, wollte Geary wissen. »Wo wir einen Kollaps aufhalten mussten, der von Syndik-Kriegsschiffen in Gang gesetzt worden war? Wo wir verhindert haben, dass dort alles das gleiche Ende nimmt wie hier bei Kalixa? Oder meinen Sie Lakota, wo Syndik-Schiffe das Portal zerstörten, während diese Flotte etliche Lichtstunden entfernt war?«

Boyens schob trotzig den Unterkiefer vor. »Ich habe Aufzeichnungen gesehen, ich weiß, dass Ihre Schiffe auf das Hypernet-Portal bei Sancere gefeuert haben.«

»Um einen kontrollierten und damit sicheren Zusammenbruch herbeizuführen. Aber wenn Sie die Aufzeichnungen kennen, die dieser Schwere Kreuzer von Kalixa mitgebracht hat, dann wissen Sie, dass sich bei Kalixa kein Kriegsschiff der Allianz-Flotte aufgehalten hat, als dieses Portal hier kollabierte.«

»Das scheint zu stimmen.« Boyens legte die Stirn in Falten und sah nachdenklich auf das Deck. »Die Allianz-Flotte war nahe genug, um das ausgelöst zu haben. Das war unsere Überlegung. Sie haben die Aliens erwähnt, aber die haben in der ihnen zugewandten Grenzregion nie ein Hypernet-Portal zusammenbrechen lassen. Wenn sie uns angreifen wollten, warum sollten sie das dann so weit von ihrer eigenen Grenze entfernt machen?«

Irgendetwas ging da vor sich, überlegte Geary, als das Gespräch beendet war. Etwas, das weitaus bedeutender war als der Gedanke, dass die Syndiks der Allianz den Zusammenbruch der Hypernet-Portale bei Kalixa und Sancere in die Schuhe zu schieben versuchten. Es hatte irgendetwas damit zu tun, wie die Syndiks über die Aliens dachten. Da er einfach nicht dahinterkam, um was es ging, schob er den halbfertigen Gedanken in eine Ecke seines Gedächtnisses, damit er später noch einmal darauf zurückkommen konnte.

Es dauerte dreieinhalb Tage, um den Sprungpunkt nach Parnosa zu erreichen. Als die Ruinen von Kalixa dem grauen Nichts des Sprungraums wichen, konnte Geary nahezu spüren, wie sich eine Welle der Erleichterung ihren Weg durch die Dauntless bahnte. Er selbst entspannte sich auch, da er wusste, dass ein langer Sprung vor der Flotte lag. Achteinhalb Tage und damit fast das äußerste Limit der normalen Reichweite des Sprungantriebs. In einer Woche würde der eigenartige Druck des Sprungraums die Besatzungsmitglieder nervös und gereizt reagieren lassen, aber Geary ging nicht davon aus, dass das zu echten Problemen führen würde.

Sieben Tage später saß Geary in seinem Quartier und betrachtete die Lichter des Sprungraums, während er versuchte, sich nicht von diesem seltsamen Kribbeln anstecken zu lassen, das umso stärker wurde, je länger man sich im Sprungraum aufhielt. Auf einmal wurde die Türglocke auf eine Weise betätigt, die etwas auffallend Hastiges, Dringendes an sich hatte.

Einen Augenblick später kam Tanya Desjani hereingestürmt und wirkte so wütend, als wollte sie mit bloßen Händen ein Loch in die Schiffshülle reißen. »Diese Frau werde ich nicht länger auf meinem Schiff tolerieren!«

»Welche Frau?«, fragte Geary, auch wenn er die Antwort längst kannte. »Und was hat sie getan?«

»Diese Politikerin! Sie wissen doch, wie sie sich benommen hat! Sie waren dabei, als sie etwas Nettes zu mir sagte!«

Geary sah sie einen Moment lang verdutzt an. »Ähm… ja, ich weiß.«

»Haben Sie sich nicht gefragt, warum sie das gemacht hat?« Ohne seine Antwort abzuwarten, redete sie weiter: »Ich habe sie jetzt endlich danach gefragt, und wissen Sie, was sie gesagt hat? Wissen Sie’s?«

»Nein.« Knappe Antworten schienen ihm die sicherste Taktik zu sein.

»Weil ich für Sie wichtig bin. Das hat sie gesagt. Ich bin für Sie wichtig, und deshalb versucht sie, mich bei Laune zu halten!«

Offensichtlich hatte Riones Taktik nicht funktioniert. Geary nickte nur, da ihm keine unbedenklich erscheinende Antwort in den Sinn kommen wollte.

Desjani hob wütend eine Faust, Zornesröte hatte ihr Gesicht fest im Griff. »Das ist genau das Gleiche wie ihr Vorschlag, ich sollte mich Ihnen als Belohnung anbieten, falls Sie bereit wären, Diktator zu werden! Ich bin kein Spielzeug und keine Schachfigur, die von Ihren Feinden oder Ihren Freunden nach Belieben benutzt werden kann! Ich bin ein Captain der Allianz-Flotte, diesen Rang habe ich mir mit meinem Schweiß und meinem Blut und mit einem ehrenvollen Dienst erarbeitet. Ich lasse nicht zu, dass irgendjemand versucht, mich zu manipulieren, mich zu benutzen oder mit mir zu spielen, nur weil er auf Sie Einfluss nehmen will!«

Er sah ihr in die Augen. »Ich verstehe, was Sie meinen.«

»Tun Sie das?«, gab sie zurück und bedachte ihn mit einem wütenden Blick. »Können Sie das? Würden Sie in meinem Schatten stehen wollen?«

»Ich würde niemals…«

»Um Sie geht es hier nicht! Es geht um jeden anderen in diesem verdammten Universum, der uns beide anschaut und dabei nur Sie sieht! Ich habe nicht mein Leben damit verbracht, diese Position zu erreichen, damit ich zur unbedeutenden Begleiterin von irgendwem werde!«

Diese Möglichkeit war ihm in den Sinn gekommen, und das war eine Tatsache, die ihm gar nicht gefiel. Ihm hätte bewusst sein sollen, wie sehr sich Black Jack auf Tanyas eigenes Image auswirken würde. »Sie könnten niemals unbedeutend sein.«

»Erzählen Sie das mal dem Universum!« Mit einer ausholenden Handbewegung schien sie auf die gesamte Schöpfung zu zeigen.

»Das werde ich. Es tut mir leid, ich trage eben sehr viel Vergangenheit mit mir herum.«

»Ich sagte schon, es geht nicht um Sie, sondern um alle anderen und darum, wie sie mich wahrnehmen. Oder wie sie mich eben nicht wahrnehmen.« Sie ballte beide Fäuste. »Warum musste mir das alles passieren? Warum konnte mein Herz nicht auf meinen Verstand hören? Als diese Hexe mir ihre Motive sagte, da musste ich irgendwie Dampf ablassen, sonst wäre ich in die Luft gegangen… und mit mir das ganze Schiff! Bei Ihnen kann ich wenigstens… Aber bei Ihnen kann ich’s eben eigentlich nicht… Oh, verflucht!« Desjani machte einen Schritt nach hinten und fuhr sich durch die Haare. »Wir sind bedenklich dicht davor, über etwas zu reden, über das wir beide gar nicht reden können.«

»Jedenfalls nicht im Moment.«

»Nicht bis… haben Sie noch einmal über alles nachgedacht? Werden Sie Flottenadmiral bleiben? Werden Sie das Kommando über die Flotte behalten?«

»Nein«, antwortete Geary leise.

»Muss ich etwa diejenige sein, die die Vernunftentscheidungen trifft?«

»Das hängt davon ab, wie Sie Vernunft definieren.«

Frustriert und zugleich wütend sah sie ihn an. »Mir war wirklich nicht bewusst… Ich muss noch mal mit meinen Vorfahren reden.« Desjani drückte den Rücken durch und straffte die Schultern, dann fragte sie in ruhigerem, gefassterem Tonfall: »Gibt es sonst noch etwas, Admiral Geary?«

Er verkniff sich die Erwiderung, dass sie ihn aus eigenem Antrieb aufgesucht hatte, aber nicht von ihm herbestellt worden war. »Nein, sonst gibt es nichts.«

Sie salutierte und verließ sein Quartier.

Eine halbe Stunde später stattete Rione ihm einen Besuch ab. »Da ist etwas, was Sie vermutlich wissen sollten«, begann sie.

»Das weiß ich bereits. Sehen Sie nicht die Schneise der Verwüstung, die Desjani hinterlassen hat?«

»Sie scheinen es aber unbeschadet überstanden zu haben«, meinte Rione achselzuckend. »Ich wollte nur nett sein. Ich weiß nicht, warum sie sich so darüber aufgeregt hat.«

»Weil es für Sie untypisch war«, entgegnete Geary.

»Das muss sie wohl misstrauisch gemacht haben.« Anstatt sich über seine Bemerkung zu ärgern, wirkte Rione vielmehr amüsiert. »Sie ist hergekommen, um sich von Ihnen trösten zu lassen, nicht wahr?«

»Das ist nicht witzig.«

»Nein. Ich kann mir vorstellen, dass es für sie nicht so leicht ist. Dabei habe ich wirklich nur versucht, sie ein wenig aufzumuntern.« Rione hielt kurz inne. »Wenn sie sich wieder beruhigt hat, können Sie ihr ja vielleicht deutlich machen, dass ich nur gesagt habe, was ich glaube. Zu schade, dass sie nicht fähig ist, das zu akzeptieren.«

»Ich werde sehen, ob ich eine Möglichkeit finde, ihr das Erstgenannte zu sagen.« So viel also zu seiner Absicht, in irgendeiner Weise zwischen Rione und Desjani zu vermitteln. Die beiden waren so grundverschieden, dass sie eine kritische Masse zu bilden begannen, sobald sie sich zu nahe kamen. Eine Explosion ließ sich offenbar nur verhindern, wenn er dafür sorgte, dass die zwei Frauen immer so weit wie möglich voneinander entfernt waren. »Es ist ihr gutes Recht, auf das Schicksal wütend zu sein.«

»Das Recht haben Sie auch.« Rione atmete mit einem leisen Seufzer aus. »Ich werde versuchen, es für Sie beide nicht noch schwerer zu machen.«

»Wieso? Weil es für mich wichtig ist? Ich weiß, für Tanya Desjani haben Sie nichts übrig.«

»Nein«, antwortete sie und verfiel dann in ein so langes Schweigen, dass Geary sich allmählich zu fragen begann, ob sie überhaupt noch etwas sagen würde. Doch dann fuhr sie leise fort: »Weil die Frau, die ich einmal war, sich nicht darauf beschränkt hätte, sich darum zu sorgen, wie gut andere ihren Bedürfnissen und Zwecken dienen könnten. Lange Zeit dachte ich, ich hätte meine Seele für das eingetauscht, was ich für wichtig hielt. Aber ich habe festgestellt, dass ich meine Seele doch noch besitze. Und falls Sie davon irgendjemandem ein Wort sagen, werde ich alles leugnen, und niemand wird Ihnen glauben.«

»Ihr Geheimnis ist bei mir in guten Händen.«

Rione reagierte mit einem ironischen Blick. »Es wäre nicht gut, wenn die Leute wüssten, dass Politiker eine Seele haben, stimmt’s? Apropos seelenlose Politiker: Senatorin Costa sucht eifrig nach Informationen über Sie und Ihren Captain, weil sie gern für alle Fälle etwas gegen Sie in der Hand hätte. Sie ist inzwischen sehr frustriert, weil ihr niemand irgendein schmutziges kleines Geheimnis über Sie verraten will.«

»Es gibt ja auch keine schmutzigen Geheimnisse, die ihr jemand verraten könnte.« Er wollte gar nicht wissen, welche Verleumdungen Costa zu hören bekommen hätte, wären Leute wie Kila, Faresa oder Numos noch immer Schiffskommandanten in dieser Flotte.

»Völlig richtig. Nach allem, was ich gehört habe, sind Ihre Matrosen und Offiziere voll des Lobes darüber, wie ehrbar und vorbildlich Sie beide sich verhalten. Damit kann man jemanden nur schwer erpressen.«

Das war zwar erfreulich, aber auch ein wenig unangenehm. Mit Blick auf die Gerüchte über ein angebliches Verhältnis mit Desjani habe, die die Runde machten, lange bevor sie beide überhaupt begriffen hatten, was sie für einander empfanden, war ihm der Gedanke peinlich, dass man in der Flotte über sie beide redete, auch wenn es nur darum ging, wie gut sie sich in dieser Situation verhielten. »Macht Sakai das denn nicht?«

»Sakai arbeitet so nicht. Sein eigentlicher Vorteil Ihnen gegenüber sollte die Tatsache sein, dass er von Kosatka stammt. Hat Ihnen das niemand gesagt?«

»Nein.« Desjani und der größte Teil der Dauntless-Crew stammten von Kosatka.

»Sakai hat bereits einsehen müssen, dass ihm das nicht weiterhelfen wird, wenn er versuchen sollte, die Mannschaft gegen Sie aufzubringen. Er hat versucht, Ihren Captain zu bearbeiten, damit sie die Loyalität für ihre Heimatwelt an oberste Stelle rücken lässt, aber damit beißt er bei ihr auf Granit.«

Geary lehnte sich nach hinten und ließ sich anmerken, dass er über diese Situation gar nicht erfreut war. Gegen jede Vernunft hatte er die Hoffnung gehegt, dass die beiden anderen Senatoren ihm vertrauen würden, solange er ihnen keinen Grund lieferte, das nicht mehr zu tun. »Aber Sie sind weiter auf unserer Seite.«

»Ich bin auf der ›Seite‹ der Allianz, Admiral Geary«, erwiderte Rione energisch. »Sollten Sie nicht in deren Interesse handeln, werde ich alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Ich gehe zwar nicht länger davon aus, dass es dazu kommen könnte, aber Sie sollten meine Loyalität nicht als selbstverständlich hinnehmen. Ich bin nicht wütend auf Sie.« Dann machte sie kehrt und verließ sein Quartier.

Parnosa. Geary konnte den Anflug von Angst nicht unterdrücken, als die Flotte am Rand des Sternensystems Parnosa auftauchte. Sechs Lichtstunden vom Austrittspunkt aus dem Sprungraum entfernt befand sich am Rand des Systems das Hypernet-Portal. »Ich benötige umgehend eine Einschätzung zu diesem Portal. Ich will wissen, ob es mit einer Schutzvorrichtung versehen worden ist, bevor sich unsere Flotte zu weit vom Sprungpunkt entfernt hat.«

Für die optischen Sensoren der Allianz-Flotte war eine Entfernung von sechs Stunden ein Kinderspiel. Innerhalb von Sekunden wurden die Daten auf Gearys Display aktualisiert, während er mit kaum zu bändigender Ungeduld auf die eine Information wartete, die wichtiger war als alle anderen.

»Das Portal verfügt über eine Schutzvorrichtung«, meldete einer der Wachhabenden, als die Sensoren ihre Analyse übermittelten. »Es scheint mit unserer Version weitgehend identisch zu sein.«

Geary atmete erleichtert aus, obwohl ihm gar nicht bewusst war, dass er gebannt den Atem angehalten hatte. Nachdem er nun wusste, wie es um die größte potenzielle Bedrohung bestellt war, konnte er sich in Ruhe dem System insgesamt widmen.

»Ein Leichter Kreuzer und ein halbes Dutzend Jäger«, sagte Desjani. »Keiner davon weniger als vier Lichtstunden von unserer Position entfernt.«

»Außerdem die übliche Ansammlung fest eingerichteter Verteidigungseinrichtungen.« Dann fiel ihm auf, was fehlte. »Es halten sich keine Jäger an den Sprungpunkten auf.«

»Dafür wartet einer vor dem Hypernet-Portal«, erklärte sie. »Sie wissen, wohin wir von hier aus wollen, oder zumindest glauben sie das zu wissen. Wenn der Jäger uns in etwa sechs Stunden sieht, wird er durch das Portal fliegen, um sich ins Heimatsystem zu begeben.« Desjani verzog den Mund. »Zwei zu eins, dass sie nicht versuchen werden, das Portal zu schließen.«

Geary schaute sie fragend an. »Das ist einer der Punkte, der mir Sorgen bereitet. Wieso sollten sie es nicht machen? Sie haben schon zuvor versucht, uns auf diese Weise zu stoppen, und dank der Schutzvorrichtung müssen sie sich nicht mal Gedanken darüber machen, was aus ihrem eigenen Sternensystem wird.«

»Der Syndik-Regierung geht es um Unternehmensgewinne«, stellte Desjani klar. »Wenn dieses Portal abgeschaltet würde, wäre das ein schwerer Schlag für die lokale Wirtschaft. Das ist der Ansporn für die Menschen in diesem System, das Portal geöffnet zu lassen. Und der Exekutivrat der Syndiks ist davon überzeugt, für unser Auftauchen in ihrem Heimatsystem gewappnet zu sein, wie Sie ja selbst gesagt haben. Das heißt, sie wollen, dass wir zu ihnen kommen und nicht erst noch lange von einem System zum anderen umherziehen. Und sie wollen, dass wir das Hypernet-Portal nehmen, damit sie uns abermals in einem Hinterhalt aufreiben können.«

»Gute Argumente. Dann sollten wir den Exekutivrat nicht länger als unbedingt nötig warten lassen.«

Er ordnete keine Bombardierung der festen Verteidigungsanlagen an, sondern wartete ab, was die Syndiks tun würden. Als sich die Allianz-Flotte am Rand des Systems in Richtung Hypernet-Portal bewegte, flog der Jäger tatsächlich wie von Desjani vorausgesagt ins Portal, während die Syndik-Autoritäten im System keinen Angriff starteten und auch die wenigen gegnerischen Schiffe auf Abstand zu ihnen blieben. »Wir sollten diese Anlagen dennoch außer Gefecht setzen«, beharrte Desjani nach einer längeren Pause.

Geary schüttelte den Kopf. »Die Steine kosten zwar nicht viel, aber wir haben keinen unendlich großen Vorrat. Mein Gefühl sagt mir, dass es im Syndik-Heimatsystem von Zielen nur so wimmeln wird, und dann werden wir froh über jeden Stein sein, den wir dann noch an Bord haben.«

Als sie noch einen Tag vom Hypernet-Portal entfernt waren, nahmen die Syndik-Autoritäten schließlich doch noch Kontakt mit Geary auf. Auf dem Display war nur ein Syndik-CEO zu sehen, ein älterer Mann, der ohne Umschweife erklärte: »Ich rufe Sie im Namen der unschuldigen Zivilbevölkerung in diesem System.«

Desjani gab einen verächtlichen Laut von sich.

»Wir wissen, Sie besitzen die Fähigkeit, unser Hypernet-Portal zu zerstören und alles Leben in unserem System auszulöschen«, fuhr der CEO fort. »Im Namen der Menschlichkeit bitten wir Sie, davon Abstand zu nehmen. Sollte Captain Geary diese Flotte befehligen, dann richte ich meine Bitte direkt an Sie und versichere Ihnen, dass wir keine Angriffe gegen Ihre Schiffe starten werden, wenn Sie uns versprechen, nicht unser Portal zu zerstören.«

»Interessant«, merkte Rione an, nachdem die Nachricht geendet hatte. »Er hat auf einem eng gebündelten Strahl gesendet. Die Syndik-Kriegsschiffe im System werden davon nichts mitbekommen haben.«

»Typisch Syndiks. Hintergehen ihre eigenen Verteidiger«, brummte Desjani.

»Von denen sie vermutlich sofort bombardiert würden, wenn die wüssten, dass sich die Planetenbevölkerung über die Befehle der Syndik-Regierung hinwegsetzt«, entgegnete Geary und sah wieder zu Rione. »Wieso sind die so in Sorge, dass wir das Portal zerstören könnten? Es ist doch mit einer Schutzvorrichtung ausgestattet.« Abrupt drehte er sich zu Desjani um. »Ist das vielleicht nur eine Attrappe?«

Rione kam Desjani mit ihrer Antwort zuvor: »Die Menschen in diesem System haben zweifellos die Aufzeichnungen gesehen, die unsere Flotte von den Geschehnissen in Lakota ausgestrahlt hat, und sie werden von dem Vorfall bei Kalixa gehört haben, also wissen sie, was passieren kann, wenn ein Portal kollabiert. Ihre Regierung hat ihnen natürlich versichert, dass die Schutzvorrichtung so etwas verhindert, aber ich habe so meine Zweifel, ob die Syndiks hier dieser Vorrichtung wirklich trauen.«

Geary nickte. »Sie gehen davon aus, dass ihre Regierung sie belügen könnte.«

»Ist das ein so ungewöhnlicher Gedanke?«, fragte Rione sarkastisch.

Er vermied es, Desjani direkt anzusehen. Die Offiziere der Flotte misstrauten ihren politischen Führern, und er fragte sich, wie viele von ihnen wohl an die Funktionstüchtigkeit der Schutzvorrichtung glauben würden, wäre die nicht hier in dieser Flotte entwickelt worden. »Also gut. Glauben Sie, es wird Costa oder Sakai etwas ausmachen, wenn ich das hier regele? Oder werden sie sagen, dass ich Verhandlungen führe?«

»Das hier ist eine Gefechtssituation«, gab Rione zurück. »Das fällt ganz allein in Ihre Zuständigkeit, Flottenadmiral Geary.«

»Captain Desjani, lassen Sie bitte von Ihrem Komm-Wachhabenden einen eng gebündelten Strahl öffnen, damit ich dem Syndik-CEO antworten kann.«

Nachdem die Verbindung hergestellt war, setzte Geary die ernste Miene eines Flottenbefehlshabers auf und aktivierte sein Komm. »Hier spricht Flottenadmiral Geary, ich rufe die CEOs der Syndikatwelten und das Volk im Parnosa-Sternensystem. Die Allianz war nicht verantwortlich für den Zusammenbruch der Hypernet-Portale in irgendeinem System der Syndikatwelten. Ganz im Gegenteil haben sogar Schiffe dieser Flotte sich den größten Risiken ausgesetzt, um dafür zu sorgen, dass das Portal bei Sancere bei seinem Kollaps nur minimalen Schaden anrichtet. Es ist nicht unsere Absicht, das Portal in diesem System zu zerstören.« Das musste er vorwegschicken, weil er nicht einmal die Andeutung einer Bereitschaft vermitteln wollte, ein Portal als Waffe gegen die Bevölkerung eines Systems einzusetzen. »Wenn Sie diese Flotte nicht angreifen, werden wir auch keine Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, die sich gegen Ihre Bevölkerung oder gegen Ihre Einrichtungen wenden.« Er hielt kurz inne, dann ergänzte er noch etwas, das ihm immer nur schwer über die Lippen kam, weil es eine Bedrohung betraf, die von der Allianz niemals hätte ausgehen dürfen. »Diese Flotte führt keinen Krieg gegen Zivilisten.« Jedenfalls nicht mehr und auch nicht weiterhin, solange er das Kommando hatte. Er war sich sicher, dass die meisten Offiziere seiner Flotte diese Haltung unterstrichen. »Wir eröffnen das Feuer nur auf militärische Ziele, was Ihnen aufgrund unserer Aktivitäten in den letzten Monaten in anderen Sternensystemen bekannt sein dürfte. Halten Sie Ihre Streitkräfte von dieser Flotte fern und greifen Sie uns nicht an, dann müssen wir uns auch nicht zur Wehr setzen. Auf die Ehre unserer Vorfahren.«

Desjani schüttelte den Kopf. »Wir befinden uns in einem ziemlich wohlhabenden System, und die Flotte wird wahrscheinlich keinen Schuss abfeuern.« Sie warf Geary einen zynischen Blick zu. »Früher hätten wir uns einen Spaß daraus gemacht, hier alles in die Luft zu jagen.«

»Sie meinen ›vor ein paar Monaten‹, nicht wahr?«

»Es sind mehr als ›ein paar Monate‹ vergangen, Admiral.« Dann veränderte sich ihr Minenspiel. »Wenn mir vor einem Jahr jemand gesagt hätte, was sich bis zum heutigen Tag alles verändern würde, ich hätte ihm kein Wort geglaubt.«

Fast hätte er darauf etwas erwidert, doch dann wurde ihm bewusst, wo er vor einem Jahr gewesen war. Da hatte er noch im künstlichen Tiefschlaf gelegen, in einer beschädigten Rettungskapsel, die in einem Trümmerfeld im Grendel-System trieb. Nicht ahnend, dass die allerletzten Energiereserven der Kapsel angezapft wurden und er in ein paar Monaten sterben würde, weil die lebenserhaltenden Systeme dann unwiderruflich ausfielen.

»Was ist los?«, fragte Desjani, die ihn mit Sorge musterte.

»Mir war nur für einen Moment kalt«, murmelte er und fragte sich, ob er die Erinnerung an das Eis, das seinen Körper erfüllt hatte, wohl jemals ganz loswerden würde.

Sie sah ihn noch einen Augenblick lang an, dann beugte sie sich vor, bis sie sich wieder in Gearys virtueller Privatsphäre befand. »Egal, was ich in den letzten Wochen gesagt oder getan habe, ich danke den lebenden Sternen dafür, dass Sie überlebt haben, dass Sie auf mein Schiff gekommen sind und dass ich Sie kennenlernen durfte.«

Er nickte und musste sich zwingen, nicht zu lächeln. »Danke.«

Dann lehnte sich Desjani wieder zurück und wurde ernst. »Noch ein Tag, dann werden wir wissen, ob dieser Schlüssel noch funktioniert.« Ihr Lächeln hatte etwas Wölfisches an sich. »Ich kann es nicht erwarten, ins Heimatsystem der Syndiks zurückzukehren. Diese Flotte hat mit ihnen noch eine Rechnung zu begleichen.«

Zwei Stunden vor Erreichen des Hypernet-Portals gab Geary vor, sich noch ein wenig ausruhen zu wollen. Die Stimmung auf der Brücke der Dauntless war auch so angespannt genug. In einer Stunde würde er dorthin zurückkehren, um das letzte Stück des Anflugs auf das Portal mitzuverfolgen, dem die erst zweite Hypernet-Erfahrung in seinem Leben folgen würde. Von der ersten hatte er so gut wie nichts mitbekommen, da er geistig und körperlich noch posttraumatischem Stress ausgesetzt gewesen war.

Plötzlich versprach ein eingehender Anruf eine willkommene Ablenkung. »Geary hier«, meldete er sich.

»Es ist eine Bitte um eine Konferenzschaltung für Sie eingegangen, Admiral«, meldete ihm der Komm-Wachhabende der Dauntless. »Von der Dreadnaught

Hastig stand Geary auf und zog seine Uniform zurecht. »Nehmen Sie sie an.«

Einen Augenblick später tauchte das Bild von Captain Jane Geary in seinem Quartier auf, als würde sie leibhaftig vor ihm stehen. Ihre Miene verriet nichts, ihr Tonfall war neutral. »Captain Geary. Ich bitte um eine private Besprechung mit Admiral Geary.«

»Gewährt.« Er konnte ihr nicht anmerken, was sie empfand, und er hatte auch keine Ahnung, was sie ihm sagen wollte. »Bitte, setzen Sie sich doch.«

Auf der Dreadnaught nahm Jane Geary steif in einem Sessel in ihrem eigenen Quartier Platz, ihr virtuelles Abbild tat genau das Gleiche. Sie sahen sich gegenseitig an, wobei es ihn sogar jetzt erschreckte, als er erkannte, dass seine Großnichte um einige Jahre mehr gealtert war als er. Bislang hatte er nur ein Foto von ihr gekannt, doch als sie jetzt in Person vor ihm saß, konnte er eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Bruder erkennen. »Darf ich nach dem Grund für diese private Besprechung fragen?«, erkundigte er sich schließlich.

»Ja, Sir. Zunächst würde ich gern wissen, warum Sie die Dreadnaught und die Dependable der Dritten Schlachtschiffdivision zugeteilt und mir den Befehl über diese Division übertragen haben.«

Diese Frage konnte er problemlos beantworten. »Die Dritte Schlachtschiffdivision hatte etliche Probleme hinsichtlich ihrer Führung, der Moral und der Effizienz. Die überlebenden Schiffe dieser Division benötigten gute Vorbilder und eine gute Führungspersönlichkeit. Nach allem, was ich während der Kämpfe bei Varandal beobachten konnte, war ich der Ansicht, dass die Dreadnaught und die Dependable die erste Anforderung und Sie persönlich die zweite erfüllen.«

Jane Geary dachte kurz über seine Antwort nach, dann sagte sie: »Ich habe gehört, Sie haben eine Nachricht von meinem Bruder Captain Michael Geary für mich.« Sie sprach ohne erkennbare Gefühlsregungen.

»Ja. Ich hatte Ihnen angeboten, eine Kopie der Übertragung an Sie weiterzuleiten.«

»Können Sie mir nicht einfach erzählen, was er gesagt hat?«

»Natürlich.« Er hatte sich die ganze Zeit über auf diese Unterhaltung gefreut, sich aber gleichzeitig davor gefürchtet, und daran hatte sich auch jetzt nichts geändert. »Er sagte, ich soll Ihnen ausrichten, dass er mich nicht mehr hasst.«

Eine Zeit lang sah Jane Geary ihn nur an, dann wandte sie ihren Blick von ihm ab und atmete angestrengt. »Ist das alles?«

»Wir hatten nicht viel Zeit. Wie viel wissen Sie über das, was sich abgespielt hatte?«

»Ich kenne die offiziellen Berichte und habe mit ein paar Offizieren der Flotte gesprochen, Admiral.«

Er lehnte sich zurück und atmete schnaubend aus. »Was erwarten Sie von mir, Jane? Sind Sie als meine Großnichte hier oder als eine der mir unterstellten Commander? Verdammt, Sie sind meine nächste noch lebende Verwandte.«

»Viele von uns sind in diesem Krieg gestorben.« Sie schaute ihn wieder an. »Sagen Sie mir die Wahrheit: Hat Michael sich freiwillig für dieses Himmelfahrtskommando gemeldet? Oder haben Sie es ihm vorgeschlagen?«

»Er hat sich freiwillig gemeldet. Ich hatte noch genug damit zu tun, mich an die Tatsache zu gewöhnen, dass ich das Kommando über die Flotte hatte. Ich war noch gar nicht bereit, jemanden… jemandem einen solchen Befehl zu erteilen.«

Jane Geary schien ein wenig in sich zusammenzusinken und kniff kurz die Augen zu. »Er war alles, was ich noch hatte, und Sie haben ihn im Heimatsystem der Syndiks zurückgelassen.«

»Ja, das habe ich.« Er würde es nicht auf den Druck des Kommandos oder auf seine Pflicht gegenüber der Flotte schieben. Nichts davon würde etwas daran ändern, was er getan hatte. »Ich hoffe immer noch, dass er überlebt hat und dass wir ihn wiedersehen werden.«

»Sie wissen, wie schlecht die Chancen dafür stehen.«

»Ja, das weiß ich.« Er bemerkte einen bitteren Geschmack im Mund. »Viele haben es nicht nach Hause geschafft. Es tut mir leid.«

Sie lehnte sich nach vorn und sah ihn mit großen Augen eindringlich an. »Wir beide haben Sie gehasst. Wir konnten nie unser eigenes Leben leben. Als wir noch Kinder waren, gab es bei uns ein Spiel. Einer von uns war Black Jack, der böse Schwarze Mann, der den anderen jagt, um ihn zu fangen und mit sich in den Krieg zu nehmen. Michael haben Sie schon erwischt, und nun mich auch noch, nicht wahr?«

»Ich bin nicht Black Jack. Ich will diesem Krieg ein Ende setzen. Es tut mir leid, was Ihnen und Michael passiert ist, was allen Gearys passiert ist, die dazu gezwungen worden sind, in meine angeblichen Fußstapfen zu treten und in den Krieg zu ziehen. Aber ich schwöre bei der Ehre unserer Vorfahren, ich wäre niemals damit einverstanden gewesen, dass eine Legende um mich herum entsteht, die mich zu jemandem macht, der ich nie war. Ich habe diese Dinge nicht getan, aber ich bedauere trotzdem, was diese Legende Menschen wie Ihnen und Michael angerichtet hat.«

Wieder saß Jane Geary eine Weile schweigend da. »Haben Sie jemandem von dieser Nachricht von Michael erzählt?«

Er wollte verneinen, doch dann wurde ihm klar, dass er das nicht konnte. »Nur einer Person.«

»Ich kann mir schon denken, wer das war.« Sie schaute sich um, als erwarte sie, irgendwo Tanya Desjani zu sehen. »Und was soll ich nun machen, Admiral?«

»Fragen Sie mich das als meine Nichte oder als Captain Jane Geary?«

»Als Ihre Nichte. Captain Jane Geary kann ein völlig professionelles Verhältnis wahren. Ich weiß, wie man das macht.«

Er stutzte, da ihm die gar nicht so unterschwellige Anspielung auf Desjani nicht entgangen war. »Da sind Sie nicht die Einzige.«

Daraufhin entspannte sie sich ein wenig. »Entschuldigen Sie bitte. Es war nicht so gemeint, wie es rausgekommen ist. Mir ist nichts zu Ohren gekommen, was auf ein ungebührliches Verhalten von Ihrer oder von anderer Seite hingedeutet hat. Aber in Kürze werden wir ins Hypernet der Syndiks überwechseln, und dann wird keine Kommunikation mehr möglich sein. Danach könnten wir unmittelbar in Kämpfe verwickelt werden, deshalb wollte ich diese vielleicht letzte Gelegenheit nutzen, um mit Ihnen zu reden. Schließlich könnte es sein, dass einer von uns anschließend nicht mehr da ist.«

»Danke.« Geary entspannte sich. »Seien Sie bitte für eine Weile meine Nichte. Ich weiß nicht, ob ich mir vorstellen kann, wie es gewesen sein muss, im Schatten von Black Jack aufzuwachsen und dabei ständig von diesem Krieg begleitet zu werden. Daran kann ich nichts ändern, genauso wenig wie an den anderen Dingen, die sich zugetragen haben, als ich im Kälteschlaf lag. Aber ich möchte wiedergutmachen, so viel nur geht. Sie müssen wissen, ich…« Einen Moment lang brachte er keinen Ton heraus, da er in ihrem Gesicht Züge seines Bruders wiederfand. Die meiste Zeit über konnte er so tun, als hätte sich zu Hause nichts verändert, dass sein Bruder daheim in Glenlyon seiner Arbeit nachging und dass seine Eltern immer noch lebten. Aber wenn er Jane Geary gegenübersaß, konnte er das nicht.

Sie beobachtete ihn, dann schien sie das Thema wechseln zu wollen. »Als wir beide noch Lieutenants waren, habe ich eine Weile unter Captain Kila gedient.«

Dieser Name weckte prompt Erinnerungen, die seine anderen Gedanken verdrängten. »Mein Beileid. Das muss unangenehm gewesen sein.«

»Das war es auch«, bestätigte Jane Geary. »Hätten Sie sie erschossen?«

»O ja, an ihren Fingern klebte Allianz-Blut.«

»Captain Falco habe ich auch gekannt«, fuhr sie fort.

Er verzog kurz den Mund. »Er… starb einen ehrenvollen Tod.«

Etwas an seinen Antworten schien sie zufriedenzustellen, da sie abermals nickte. »Es gibt da etwas, das ich Ihnen erzählen muss. Ich habe auch eine Nachricht für Sie. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich Ihnen das erst jetzt sage.«

Solche Worte hätte er von ihr nicht erwartet. »Eine Nachricht?«

»Als ich noch ein junges Mädchen war, haben wir einmal abends meinen Großvater besucht, also Ihren Bruder. Er stand draußen und sah hinauf zu den Sternen. Ich fragte ihn, was er da macht, und er sagte, dass er etwas sucht. Daraufhin fragte ich, was er denn sucht, und er antwortete: ›Meinen Bruder. Er fehlt mir. Wenn du ihm da oben irgendwo mal begegnen solltest, dann richte ihm von mir aus, dass er mir fehlt.‹«

Sekundenlang war er von ihren Worten so überwältigt, dass er seine Trauer vergaß und Jane nur anschaute. »Das hat er Ihnen gesagt?«

»Ja. Ich habe nie ein Wort davon vergessen, obwohl ich nicht davon ausgegangen bin, diese Nachricht tatsächlich eines Tages zu überbringen.« Sie seufzte leise. »Ich hätte Ihnen das schon früher ausrichten sollen. Er hat uns immer gesagt, dass Sie genauso waren, wie es die Legende besagt. Absolut vollkommen und der größte Held aller Zeiten.«

»Mike hat das gesagt? Dass ich vollkommen bin?«

»Ja.«

Unwillkürlich musste er lachen. »Das hat er mir aber nicht gesagt, als er… als er noch lebte. Verdammt, er ist tot. Er ist schon eine Ewigkeit tot, so wie alle anderen auch.« Monatelanges Leugnen stürzte auf ihn ein, er sank in sich zusammen und vergrub das Gesicht in seinen Händen.

Schließlich brach Jane Geary die Stille. »Es tut mir leid. Ich muss Ihnen auch noch etwas anderes sagen. Michael und ich, wir haben nie richtig an Sie geglaubt. Black Jack war ein Mythos. Aber wir haben uns geirrt.«

Das riss ihn aus seiner Trauer. »Nein, Sie haben sich nicht geirrt. Black Jack ist ein Mythos. Ich bin nur ich selbst.«

»Ich habe mir die Aufzeichnungen angesehen, seit Sie das Kommando übernommen haben, und ich habe mich mit den Offizieren dieser Flotte unterhalten! Ich hätte nicht das leisten können, was Sie geschafft haben, und es wäre auch keinem anderen gelungen.« Sie hielt kurz inne, dann platzte sie plötzlich heraus: »Seit Ihrer Wiederkehr haben Sie doch mit unseren Vorfahren gesprochen, nicht wahr? Fühlen Sie, ob Michael noch lebt?«

Geary ballte die Faust und schlug auf die Armlehne. »Ich weiß es nicht. Meine Vorfahren haben mir nie ein klares Gefühl vermittelt, das in die eine oder andere Richtung geht.«

Fast erleichtert nickte sie. »So geht es mir auch. Sie wissen, was das heißt, nicht wahr?«

»Nein, das weiß ich nicht.«

»Tatsächlich nicht? Es kann bedeuten, dass ein Leben auf Messers Schneide steht. Es kann bedeuten, dass Ihre Entscheidungen und Ihr Handeln etwas bewirken können, dass sie darüber entscheiden, ob diese Person gestorben ist oder noch lebt.«

»Das habe ich noch nie gehört.« Offenbar hatte sich der Glaube in den letzten hundert Jahren auch verändert, aber auch das war kein Wunder. Immerhin gab es so viele Kriegsgefangenen, über deren Schicksal man nichts erfuhr, dass die Angehörigen nach jedem Strohhalm greifen mussten, um nicht die Hoffnung zu verlieren.

Jane Geary nickte nachdrücklich. »Die ganze Familie war sich einig, was Sie anging. Wir sprachen mit unseren Vorfahren, aber keiner von uns hatte jemals das Gefühl, dass Sie auch dabei waren. Das schwöre ich. Deshalb trug Großvater mir auch auf, Ihnen seine Botschaft zu überbringen, falls ich Ihnen begegnete. Wären Sie tot gewesen, hätte er damit gerechnet, der Erste von uns zu sein, der Sie wiedersieht. Aber keiner von uns glaubte, dass Sie dort sind.« Ihr Gesichtsausdruck wurde beseelter. »Wir haben außerhalb der Familie mit niemandem darüber gesprochen. Die Legende begann, um sich zu greifen, dass Sie eines Tages zurückkehren würden, um die Allianz zu retten. Aber aus der Familie hat das niemals jemand öffentlich gesagt, deshalb weiß ich nicht, wie die Legende entstanden ist. Aber sie ist wahr. Es hat lange gedauert, bis ich das akzeptieren konnte.«

»Jane, bitte nicht. Auf meinen Schultern lasten schon die Erwartungen all dieser Menschen, die nicht mit mir verwandt sind.« Er spreizte die Hände. »Es ist schön, wenn es Leute gibt, die mir glauben, dass ich ein Mensch bin. Das ist für mich wichtig.«

Sie dachte kurz nach und nickte. »Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen. Trotzdem muss ich Sie als Mitglied der Familie nach der Wahrheit fragen. Wo waren Sie all die Jahre? Bei den Lichtern im Sprungraum? Bei den lebenden Sternen?«

Sie meinte die Frage offenbar völlig ernst, also verkniff sich Geary ein Lachen, weil seine Großnichte sich davon vermutlich verletzt gefühlt hätte. »Ich weiß nicht. Eigentlich kann ich mich an gar nichts erinnern. Ich weiß nur, ich bin eingeschlafen, und dann bin ich auf der Dauntless aufgewacht.«

»Nicht mal irgendwelche Träume?«, forschte sie sichtlich enttäuscht nach.

»Ich kann… Nicht dass ich wüsste«, korrigierte er sich. »Von Zeit zu Zeit glaube ich, mich an irgendwelche Fragmente zu erinnern. Aber die Ärzte haben mir erklärt, dass im Kälteschlaf alle Körperfunktionen angehalten oder so weit wie möglich gedrosselt werden. Das gilt auch für den Denkprozess. Ich habe nicht gedacht, also konnte ich auch nicht träumen. Jedenfalls sagen das die Ärzte. Falls doch irgendetwas geschehen ist, dann kann ich mich daran nicht erinnern.« Geary sah seine Großnichte an und fühlte sich wegen der Richtung, in die ihre Fragen gegangen waren, ein wenig unbehaglich, weshalb er dringend das Thema wechseln wollte. »Was hätten Sie gemacht, wenn Sie nicht zur Flotte gegangen wären?«

Jane Geary lächelte ihn an. »Irgendetwas mit Gebäuden. Architektur. Die Leute orientieren sich seit Jahrtausenden an den gleichen Modellen, aber ich glaube, wir können mehr lernen, wenn wir etwas Neues entwerfen.« Dann wurde sie wieder ernst. »Michael hat eine Tochter und zwei Söhne. Die Tochter ist in sechs Monaten alt genug, um mit dem Training zum Flottenoffizier zu beginnen.«

Er hatte das gewusst, das Thema aber nicht anschneiden wollen, weil er sich fragte, was diese Kinder wohl von Black Jack hielten, der ihren Vater im Heimatsystem der Syndiks zurückgelassen hatte. »Ist es das, was sie will?«

»Vielleicht bekommen Sie ja eine Gelegenheit, sie selbst zu fragen.«

»Solange sie wirklich eine Wahl hat.«

Jane Geary nickte. »Womöglich bekommt sie ja durch Sie diese Wahl. Verzeihen Sie bitte, dass ich nicht schon früher mit Ihnen gesprochen habe. Ich sollte jetzt besser gehen, Sie haben sicher noch viel vorzubereiten.«

Er warf einen Blick auf die Uhr und nickte widerstrebend. »Vielen Dank. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet hat.«

»Vielleicht bekommen wir ja beide noch eine Gelegenheit, mit Michael zu reden.« Sie stand auf und salutierte ganz so wie jemand, der sich mit dieser Geste erst vor Kurzem vertraut gemacht hatte. »Wenn Sie gestatten, Admiral.«

»Selbstverständlich.« Geary erwiderte den Salut und erhob sich von seinem Platz. Er starrte einen Moment auf die Stelle, an der sich eben noch ihr Bild befunden hatte, und begab sich dann auf die Brücke.

Auf Gearys Display war das Hypernet-Portal zu sehen, das fast den ganzen Bildschirm ausfüllte. Das eigentliche Portal war eine Matrix aus gebundener Energie, die mit menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar war. Sichtbar war dagegen ein Ring aus Hunderten von Objekten, den sogenannten Trossen, die diese Matrix stabil hielten und dafür sorgten, dass sich ihre Position nicht veränderte. Seit Sancere war er keinem Portal mehr so nah gewesen wie in diesem Moment, und dieses andere Portal war im Kollabieren begriffen gewesen, da zu viele Trossen von Syndik-Kriegsschiffen zerschossen worden waren, nur um zu verhindern, dass die Allianz-Flotte das Portal benutzte. Als ihm ins Gedächtnis kam, wie das All selbst fluktuiert hatte, als das Portal zusammenbrach, musste Geary tief durchatmen, um wieder ruhig zu werden.

»Keine Probleme«, meldete Desjani und lächelte ihn zuversichtlich an.

»Captain Desjani, ich habe mich bislang nur einmal einem Hypernet-Portal genähert, und Sie werden sich erinnern, dass das keine angenehme Erfahrung war.«

»Wir haben’s überlebt.«

Wenn er berücksichtigte, dass diese Menschen seit hundert Jahren mit dem Krieg lebten, war das allerdings ein überzeugender Maßstab für Erfolg und Misserfolg.

»Jetzt werden wir herausfinden, ob alles so funktioniert, wie es soll«, meinte Desjani.

Er nickte, da er wusste, dass sie sich auf Dinge bezog, über die sie auf der Brücke nicht diskutieren sollten. Alle wahrscheinlichkeitsbasierten Würmer, die sie hatten finden können, waren aus den Hypernet-, Steuer- und Komm-Systemen aller Schiffe der Flotte entfernt worden. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass die Aliens sie nicht umleiten konnten, sobald sie sich im Hypernet befanden, so wie sie es mit einer Syndik-Flotte gemacht hatten. Aber ob es sicher war oder nicht, würde die Allianz-Flotte erst in dem Moment herausfinden, wenn sie es versuchten. »Und wie funktioniert das noch mal mit diesem Hypernet-Schlüssel?«

»Wenn wir in das Feld des Hypernet-Portals eindringen, wird der Syndik-Schlüssel an Bord aktiviert. Wir legen die Parameter für das Transportfeld fest, damit es groß genug ist für die gesamte Flotte. Wir stellen sicher, dass das auf dem Schlüssel angezeigte Ziel auch das gewünschte ist, und dann befehlen wir dem Schlüssel, das Startkommando an das Portal zu übertragen. Es ist ganz einfach.«

Geary nickte. »Zu einfach sogar. Welcher menschliche Ingenieur hat jemals etwas konstruiert, das leicht zu bedienen war?«

»Da haben Sie recht. Wir hätten eigentlich von vornherein misstrauisch werden müssen, weil zum Aktivieren der Vorrichtung nicht irgendwelche mystischen Gesten in einer bestimmten Reihenfolge erforderlich sind und weil man den Namen des Ziels angezeigt bekommt, nicht aber einen endlosen Zahlencode, den man erst einmal Ziffer für Ziffer vergleichen muss. Kein menschlicher Software-Entwickler würde etwas so Benutzerfreundliches konstruieren.« Desjani grinste und deutete auf die Flotte. »Sind Sie mit der Formation zufrieden?«

»Ja. Diese Formation kommt mit allem zurecht, was uns erwarten könnte, falls die Syndiks am Hypernet-Portal auf uns warten sollten. Damit ist allerdings nicht zu rechnen.«

Desjani schaute auf einen anderen Teil des Displays. »Der Schlüssel ist aktiviert. Wollen Sie die Daten eingeben?«

»Nein, machen Sie das bitte.«

Ihre Finger huschten über das Tastenfeld, dann betrachtete sie kritisch die Anzeige. »Ablauf-Wachhabender, bestätigen Sie, dass die Größe des Transportfelds korrekt eingegeben ist.«

Einen Moment später nickte der Offizier. »Bestätigt, Captain. Das Feld umschließt die gesamte Flotte.«

»Bestätigen Sie Zevos als angegebenes Ziel.«

»Zevos als Ziel angegeben.«

Desjani schaute zu Geary. »Bitte um Erlaubnis, den Hypernet-Schlüssel für den Transport nach Zevos zu aktivieren.«

»Erlaubnis erteilt.«

Sie tippte auf verschiedene Tasten, dann verschwanden die Sterne.

Geary konnte sich kaum daran erinnern, welchen Blick man in einem Hypernet-Kanal nach draußen hatte. »Da gibt es wirklich gar nichts zu sehen.«

»Nein. Die Wissenschaftler sagen, dass wir uns in einer Art Blase befinden, die das Licht, wie wir es kennen, nicht durchdringen kann. Deshalb ist es einfach nur dunkel.«

Nur Dunkelheit. Kein Gefühl für die Geschwindigkeit oder dafür, dass sie sich überhaupt von der Stelle bewegten. »Wie lange dauert das, sagten Sie?«

»Acht Tage, vierzehn Stunden, sechs Minuten für diese Reise. Je weiter man reist, umso höher wird die Geschwindigkeit im Verhältnis zum umgebenden Universum. Es ist schon eigenartig, denn wir legen jetzt eine weite Strecke zurück, und dabei sind wir schneller, als wenn wir eine kürzere Strecke zurücklegen würden.«

»Eine kürzere Reise kann genauso lange dauern wie eine längere?«

»Ja, oder sogar länger.« Desjani deutete auf die Schwärze auf dem Display. »Wie gesagt, es ist eigenartig. Sie müssen schon einen Wissenschaftler bitten, Ihnen das zu erklären, auch wenn ich mir nicht so ganz sicher bin, ob die selbst überhaupt wissen, wovon sie reden. Allerdings haben sie ein paar beeindruckende Namen für das auf Lager, was sich dabei ihrer Meinung nach abspielt.«

Selbst wenn es mit einem einzelnen Sprung möglich gewesen wäre, hätte man für diese Strecke im Sprungraum mehrere Monate benötigt. Mit Blick darauf, dass das Ende des Krieges in greifbare Nähe gerückt war, erschienen jedoch selbst diese acht Tage, vierzehn Stunden und sechs Minuten als viel zu lange. »Ich will das hinter mich bringen.«

»Ja, Sir, ich auch. Denken Sie einfach nur daran, wie lange wir alle schon auf diesen Tag hoffen.«

Der Krieg hatte vor hundert Jahren begonnen, und bis auf Geary wartete jeder in dieser Flotte schon ein Leben lang auf sein Ende.

Wenn er es so betrachtete, dann konnte er auch noch acht Tage warten.

Falls die Aliens immer noch in der Lage waren, die Flotte einfach umzulenken, machten sie diesmal von dieser Fähigkeit keinen Gebrauch. Zevos präsentierte sich als System mit zwei nur eingeschränkt bewohnbaren Welten, einer dicht besiedelten Welt sowie zahlreichen Kolonien und Außenposten auf Monden, Asteroiden und Beinahe-Gasriesen. Nicht ein einziges Syndik-Kriegsschiff wurde von den Sensoren der Flotte entdeckt, als die das Hypernet-Portal verließ. »Sie haben alle mobilen Verteidigungen ins Heimatsystem verlegt«, mutmaßte Desjani. »Und vermutlich haben sie auch die festen Verteidigungsanlagen weggeschleppt und hingebracht.«

»Vermutlich.« Eine Kontrollboje nahe dem Portal forderte mit blecherner Stimme die Allianz-Flotte auf, den ausgewiesenen Strecken zu folgen, die für den ins System einfliegenden Flugverkehr bindend waren. »Diamond, schießen Sie diese Boje ab.«

»Diamond verstanden«, bestätigte der Schwere Kreuzer. »Boje wird in schätzungsweise fünfunddreißig Sekunden zerstört.«

Der Sprungpunkt, zu dem sie gelangen wollten, war vom Hypernet-Portal nur eineinhalb Lichtstunden entfernt. Geary ließ die Flotte Kurs auf den Punkt nehmen, während er sich darüber freute, dass die Syndik-Behörden im Zevos-System die Allianz-Kriegsschiffe erst in einigen Stunden sehen würden, kurz bevor die zum Sprung aus dem System ansetzten. Da die Syndiks vergessen hatten, wie man die erweiterte Sprungreichweite erzielen konnte, würden sie glauben, die Flotte habe einen Stern namens Marchen zum Ziel, der noch weiter vom Heimatsystem entfernt war als Zevos.

»Was sollen wir mit diesen Handelsschiffen machen, die sich dem Hypernet-Portal nähern?«, wollte Desjani wissen.

Trotz des Täuschungsmanövers wollte Geary nicht, dass sich die Nachricht von seiner Ankunft im Zevos-System zu schnell herumsprach. Er benutzte das Steuerdisplay, um verschiedene Lösungen so schnell durchzuspielen, wie er die verschiedenen Allianz-Einheiten markieren und die jeweiligen Abfangkurse abrufen konnte. »Zwanzigstes Zerstörergeschwader, fangen Sie die gekennzeichneten Syndik-Handelsschiffe ab und zerstören Sie sie. Verfolgen Sie keine anderen möglichen Ziele, solange Sie nicht den ausdrücklichen Befehl erhalten. Kehren Sie vor dem Sprung in die Formation zurück.«

»Zwanzigstes Zerstörergeschwader verstanden!« Froh darüber, sich auf ein paar Syndiks stürzen zu können, während der Rest der Flotte zum Sprungpunkt flog, machten sich die Zerstörer auf den Weg zu ihrer Beute.

Geary sah ihnen einen Moment lang nach, dann widmete er sich wieder den möglichen Formationen seiner Flotte. Er konnte davon ausgehen, dass die Syndik-Flotte sich überall in ihrem Heimatsystem aufhielt, nur nicht an der Stelle, an der die Allianz-Flotte aus dem Sprungraum kommen würde, dennoch wollte er für den Fall gewappnet sein, dass er sich irrte. »Captain Smyth, ich will, dass Ihre Hilfsschiffe auf allen Schiffen die Bestände an Brennstoffzellen und Munition auffüllen. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie Schwierigkeiten sehen, das noch vor dem Sprung zu erledigen.«

Fünfzehn Stunden bis zum Sprungpunkt, dann zehn Tage im Sprungraum. Und das alles nur, um dorthin zurückzukehren, wo er das Kommando über diese Flotte übernommen hatte.

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