Sieben

»Eine gute Seite hat das Ganze wenigstens«, sagte Geary, während die letzten zehn Minuten bis zum Beginn des ersten Manövers anbrachen.

»Ich würde zu gern wissen, was das wohl sein mag«, erwiderte Desjani.

»Nun, die Bärkühe können nicht erkennen, wie viele unserer Schiffe unter Systemausfällen leiden und wie umfangreich diese Ausfälle im Einzelnen sind. Sie müssen jedes unserer Schiffe so behandeln wie eine vollwertige Bedrohung.«

»Ausgenommen«, machte sie ihm klar, »die Schiffe mit geschwächten Schilden. Das sollten die Kiks feststellen können.«

»Ja, die ausgenommen«, räumte Geary ein.

»Was werden Sie tun, wenn die Titan nicht mithalten kann?«

»Improvisieren.«

Desjani nahm eine Meldung entgegen und wandte sich mit einem Nicken an Geary: »Mein Komm-Offizier schwört bei der Ehre all seiner Vorfahren, dass Ihr Komm-System diesmal fehlerfrei arbeiten sollte, Admiral.«

»Admiral!« Captain Smythe machte einen so abgekämpften Eindruck, als hätte er nicht nur eine halbe Stunde, sondern einen ganzen Tag anstrengender Arbeit hinter sich. »Wir helfen den betroffenen Schiffen per Ferndiagnose, aber das sind verdammt viele Schiffe.«

»Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst, Captain«, gab Geary zurück. »Wie sieht es auf der Titan aus?«

»Commander Lommand hat die Probleme unter Kontrolle und glaubt, das Schiff wird auch unter Belastung durchhalten.«

»Commander Lommand hat sich bislang immer gut bewährt«, betonte Geary. »Ich bin bereit, ihn beim Wort zu nehmen. Was ist mit der Witch? Kann Captain Tyrosian deren Schilde in den nächsten Minuten hochfahren?«

Die Hilfsschiffe waren bei einem Gefecht immer die größten Sorgenkinder, da man auf ihre Unterstützung zwischen zwei Raumschlachten unmöglich verzichten konnte. Sie verfügten ohnehin über einen nur schwachen Schutz, und jeder weitere Leistungsabfall der Schilde war daher umso beunruhigender.

»Sie arbeitet daran«, sagte Smythe.

Damit blieb nichts anderes zu tun als zu warten und von Zeit zu Zeit einen Blick auf die aktualisierten Statusanzeigen der diversen Schiffe zu werfen, an deren plötzlich ausgefallenen Systemen emsig gearbeitet wurde. Nein, das war eigentlich falsch formuliert, überlegte Geary. Schließlich bedeutete der Begriff »plötzlich«, dass etwas unerwartet kam. In Wahrheit wusste er aber seit einer Weile, dass man diese Schiffe so konzipiert hatte, dass sie die wenigen Jahre bis zu ihrer erwarteten Zerstörung durch die Syndiks gerade eben überstehen konnten. Gearys Auftauchen und das mit ihm verbundene Ende des Kriegs gegen die Syndikatwelten hatten diese Erwartungen über den Haufen geworfen, und nun blieben die Kriegsschiffe viel länger als geplant in einem Einsatz, der mit weiteren Schlachten verbunden war. Die internen Systeme gaben allmählich den Geist auf, da sie längst hätten abgeschaltet werden müssen. Smythe und seine Leute arbeiteten auf Hochtouren daran, die befallenen Komponenten zu verbessern oder auszutauschen, doch das Ganze war ein langer und schwieriger Prozess.

In der Zwischenzeit musste er in eine Schlacht ziehen, obwohl seine Kriegsschiffe nach vier oder auch nur nach zwei Jahren zu »plötzlichen« Systemausfällen neigten.

»An alle Einheiten: Bei Zeit drei null führen Sie das vorgegebene Manöver Alpha One aus.« Es fiel ihm schwer, den Blick von der Titan zu nehmen, während die Sekunden weiter verstrichen. Was würde geschehen, wenn die Titan versuchen sollte, die in Mitleidenschaft gezogene Antriebseinheit zu aktivieren? Das erste Mal, als ihm von der Titan Probleme gemeldet worden waren, hatten die sich auch schon um den Antrieb gedreht. Und jetzt waren sie genau dorthin zurückgekehrt.

Bei jenem ersten Mal war vermutlich sein Großneffe Michael Geary an Bord der Repulse ums Leben gekommen, mit der er versucht hatte, für die Titan ein wenig Zeit herauszuholen.

So etwas würde diesmal nicht geschehen. Auf gar keinen Fall.

»Es ist so weit«, verkündete Desjani, als die Steuerdüsen die Dauntless nach oben schoben, unmittelbar gefolgt vom Schub des Hauptantriebs, der den Schlachtkreuzer aufwärts und nach Backbord lenkte. Gleichzeitig beschrieb gut ein Drittel der anderen Kriegsschiffe seiner in Auflösung befindlichen Flotte die gleiche Flugbewegung.

Die Bärkühe würden diese Manöver nur wenig später sehen, da sie nur noch fünfzig Lichtsekunden voneinander entfernt waren, doch es sollte sie einige Zeit kosten, ehe sie durchschauten, was die Allianz-Flotte vorhatte. Und dann würden sie noch einmal ein paar Sekunden benötigen, um zu entscheiden, wie sie vorgehen sollten.

Zahlreiche Schiffe nahmen rings um die Dauntless ihre Positionen ein, die nach wie vor das Leitschiff für diesen Teil der Flotte war. Ein anderes Drittel hatte sich nach Steuerbord verlagert, um sich um die Leviathan von Captain Tulev zu scharen, während der Rest der Streitmacht ein Stück weit abtauchte und dabei der Illustrious von Captain Badaya folgte.

Die Titan folgte Captain Badayas Flottenteil, genauso wie die Kupua, die Alchemist und die Cyclops. Die Kriegsschiffe rund um Tulevs Leviathan wurden von der Tanuki, der Domovoi, der Witch und der Jinn begleitet. Unterdessen hatten sich die vier Sturmtransporter Tsunami, Typhoon, Mistral und Haboob um die Dauntless herum angeordnet. »Wenn die Kiks sich die leichter bewaffneten Versorgungsschiffe vornehmen wollen, können sie sich nicht darauf beschränken, sich auf eine einzelne der drei Formationen zu konzentrieren«, stellte Desjani fest. »Schön gemacht.«

Die Kriegsschiffe rings um die Dauntless nahmen eine ovale Formation ein, wobei die Sturmtransporter sich auf der von den Bärkühen abgewandten Seite in Position brachten. Die Flugbahn dieses Ovals beschrieb eine lang gestreckte Kurve, die auf die Kik-Armada zuführte.

Die Schiffe der Allianz bewegten sich mit 0,15 Licht durch den Raum, während die Bärkühe bis auf 0,23 Licht beschleunigt hatten, was vor dem jetzigen Kurswechsel eine Annäherungsgeschwindigkeit von 0,08 Licht zur Folge gehabt hatte. Da alle Allianz-Formationen aber zwischenzeitlich gewendet hatten und auf ihre Verfolger zuhielten, stieg die Annäherungsgeschwindigkeit damit auf fast 0,4 Licht. Geary beobachtete, wie die Positionen der Kik-Kriegsschiffe auf seinem Display von klar definierten Lichtpunkten zu verwischten Klecksen wurden, da die enorme kombinierte Geschwindigkeit für Verzerrungen der Realität sorgten, die selbst mit den besten technischen Mitteln nicht ausgeglichen werden konnten. Die Allianz-Schiffe jagten an den Bärkühen vorbei, ehe der Gegner überhaupt richtig verstehen konnte, was um ihn herum geschah.

»Sie fliegen stur geradeaus weiter«, meldete Desjani. »Ihr Ziel sind die Spinnenwölfe.«

»Dann wollen wir mal unseren neuen Freunden helfen.« Geary schickte neue Befehle an die Flotte. »Sofort ausführen: Alle Einheiten in Gamma One One, drehen Sie eins neun null Grad nach Steuerbord und null zwei Grad nach unten. Einheiten in Gamma One Two, drehen Sie eins acht fünf Grad nach Steuerbord. Einheiten in Gamma One Three, drehen Sie eins drei Grad nach oben.« Er schaltete auf die individuellen Komm-Kanäle um. »Captain Tulev, Captain Badaya, sobald Ihre Formationen auf ihrem neuen Kurs sind, arbeiten Sie eigenständig. Konzentrieren Sie sich darauf, die Begleitschiffe auszuschalten.«

Desjani sah ihn erstaunt an. »Sie befehlen den Formationen von Tulev und Badaya nicht, was sie zu tun haben?«

»Nein. Nach allem, was wir über diese Kiks herausgefunden haben, glauben sie an das Prinzip, dass nur einer das Sagen hat. Wenn alle Schiffe meinen Befehlen folgen, dann erfüllen wir ihre Erwartungen, und es wird ein Kampf, bei dem ein Verstand gegen einen anderen arbeitet. Würde jedes unserer Schiffe völlig eigenständig handeln, dann wären sie uns mit ihren aufeinander abgestimmten Aktionen überlegen.«

Sie nickte verstehend. »Aber drei Formationen erlauben es uns, ihnen drei schwere Schläge gleichzeitig zu verpassen, während die Kiks es gleich mit drei Widersachern zu tun haben, die zwar zusammenarbeiten, aber dabei dennoch individuell agieren.«

»Vier Widersacher«, korrigierte Geary sie. »Vorausgesetzt, die Spinnenwölfe versuchen nicht bloß, dem Kampf aus dem Weg zu gehen. Ich hoffe, das unterschiedliche Temperament der Formationsbefehlshaber verwirrt die Bärkühe noch etwas mehr. Tulev arbeitet methodisch und konstant, während Badaya schnell und wagemutiger ist.«

»Und Sie selbst sind unberechenbar«, ergänzte Desjani.

»Das will ich doch hoffen.«

Vor ihnen hatte die Formation der Spinnenwölfe begonnen sich aufzulösen. Das komplexe Muster zerbrach in Scherben, die sich gleich darauf zu neuen Wirbelformen zusammenzusetzen schienen, die dann aber auch sofort zerfielen, bis jedes Schiff der Spinnenwölfe auf einem anderen Vektor davonraste.

»Sieht so aus, als würden sie individuell kämpfen«, beobachtete Desjani.

Da die Schiffe der Spinnenwölfe nun zum ersten Mal seit dem Zusammentreffen mit ihrer Flotte ihre Position verließen, war es den Sensoren der Allianz möglich, die Fähigkeiten ihrer Steuerdüsen und Antriebseinheiten zu erforschen. »Das ist ja irre«, stellte Desjani bewundernd fest, was nach Gearys Meinung nicht treffender hätte ausgedrückt werden können.

Leitklappen hatten sich nach außen geöffnet und gaben den Blick frei auf beeindruckende Antriebsaggregate. Ähnliche Klappen waren an anderen Stellen der Hüllen zur Seite geschoben worden, damit leistungsfähige Steuerdüsen ihre Arbeit aufnehmen konnten. Dabei schien das Verhältnis zwischen der Leistung der Düsen auf der einen und der Masse der Schiffe auf der anderen Seite deutlich höher zu liegen als bei jedem bekannten von Menschen gebauten Schiff. Das bedeutete, sie konnten fast so gut manövrieren wie die Enigma-Schiffe — und sie alle hielten auf die Bärkuh-Armada zu…

Er presste die Lippen zusammen, während er darüber nachdachte, dass es schlicht unmöglich wäre, den Schiffen der Spinnenwölfe auszuweichen, die um die Formation der Bärkühe herumschwirrten. »Sie sollten sich besser von uns fernhalten, denn wir können nicht zwischen ihnen hindurchmanövrieren und sie angreifen.« Das brachte ihn auf einen anderen Gedanken, der ihm bislang überhaupt nicht gekommen war, wie er zu seiner eigenen Schande gestehen musste. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn es dazu gekommen wäre. »An alle Einheiten: Überprüfen Sie, ob Ihre Gefechtssysteme alle so eingestellt sind, dass sie nicht irrtümlich das Feuer auf Schiffe der Spinnenwölfe eröffnen, ausgenommen sie werden auf Befehl von mir zum Ziel erklärt.«

Nachdem den Bärkühen die Spinnenwolf-Formation als geschlossenes Ziel genommen worden war, hatten sie sich nun endlich entschieden, auf wen sie ihren Angriff fortsetzen wollten. Die Kik-Formation bremste so schnell ab, wie es der Pulk aus Superschlachtschiffen erlaubte, dabei nahm sie zugleich Kurs auf die Formation von Captain Badaya. Dessen Schiffe stiegen kontinuierlich auf, um sich den Bärkühen zu nähern, wobei die Kriegsschiffe sich so drehten, dass sie einen schützenden Schild bildeten, hinter dem die vier Hilfsschiffe sicher aufgehoben waren.

Die Vorschlaghammerformation der Kiks begann, sich mit der Drehung auszubreiten, wobei zwei ihrer Superschlachtschiffe den seitlichen Abschluss bildeten, während die übrigen sechs sich weiter nahe dem Mittelpunkt aufhielten. »Sie werden es uns nicht leicht machen«, sagte Desjani.

Geary passte den Kurs seiner Formation an, sodass sie auf eines der Superschlachtschiffe auf der ihm zugewandten Seite der Armada zielte.

»An alle Einheiten in Gamma One One: Sofort ausführen! Verringern Sie die Geschwindigkeit auf 0,08 Licht.« Die Dauntless und die anderen Schiffe drehten sich daraufhin um ihre Achse, bis die Antriebseinheiten in die eigentliche Flugrichtung wiesen. Trotz der Trägheitsdämpfer spürte Geary, wie er in seinen Sessel gepresst wurde, als die Antriebseinheiten mit aller Kraft die Geschwindigkeit des Kriegsschiffs zu drosseln begannen.

Trotz der tatsächlich immensen Entfernungen waren die Unterformationen alle recht dicht zusammen. Da die Distanz zwischen den Streitkräften nur gut eine Lichtminute betrug, konnte Geary nahezu in Echtzeit sehen, was die anderen Teile seiner Flotte taten. Badaya hatte bislang noch keine Kursänderung vorgenommen, seine Formation näherte sich nach wie vor von unten den Bärkühen, während Tulev so wie Geary auf einen bestimmten Teil der feindlichen Armada zuflog.

Als seine Streitmacht auf die gegnerischen Kriegsschiffe zuraste, ging Geary das Bild eines wütenden Stiers durch den Kopf, der auf ihn zustürmte, wobei die Hörner und der Schädel von den riesigen Superschlachtschiffen gebildet wurden. »Fünf Minuten, bis wir in Reichweite sind«, warnte ihn Desjani.

»Verstanden.« Er wartete, da er beabsichtigte, dass die Kiks seinen Kurswechsel zu spät zu sehen bekommen sollten, um noch reagieren zu können. Als es noch drei Minuten bis zum Kontakt waren, hielt er den richtigen Zeitpunkt endlich für gekommen. »An alle Einheiten in Gamma One One: Sofort ausführen! Drehen Sie vier Grad Steuerbord, ein Grad nach oben. Feuern Sie auf die feindlichen Begleitschiffe, sobald Sie in Reichweite sind.«

Die Allianz-Formation drehte sich leicht nach rechts und nach oben, sodass der Vektor nicht länger auf das nächstgelegene Superschlachtschiff gerichtet, sondern so ausgelegt war, dass der obere Teil der Bärkuh-Formation wegrasiert werden konnte. Die Kiks hatten so lange wie möglich abgebremst, um Gefechtsgeschwindigkeit zu erreichen, doch nun drehten sie ihre Formation in letzter Sekunde so, dass die am stärksten gepanzerten und am besten bewaffneten Schiffe den Angreifern der Allianz im Weg waren. Die kombinierte Annäherungsgeschwindigkeit hatte sich auf 0,18 Licht verringert und lag damit innerhalb der Zielerfassungsparameter der Allianz-Schiffe, aber knapp oberhalb der Fähigkeiten der Bärkühe. »Es ist zu schnell für sie, allerdings nicht sehr viel«, merkte Desjani im Augenblick des Kontakts an.

Phantomraketen schossen aus den Schächten und jagten auf die Kriegsschiffe der Bärkühe zu, dann folgten Höllenspeere und Kartätschen, und in einigen wenigen Fällen kamen Nullfelder zum Einsatz, die ihre Ziele umschlossen und in nichts auflösten.

Die Dauntless wurde von einem einzigen Beinahetreffer durchgeschüttelt, während Geary das Display nicht aus den Augen ließ, das ständig die Angaben über die Flotte der Bärkühe aktualisierte. Sechs der kleineren Schiffe — vier von der Größe eines Schweren Kreuzers, ein Leichter Kreuzer und ein Gegenstück zu einem Schlachtschiff der Allianz — hatten schwere Treffer erlitten. Zwei Kreuzer waren in kleine Stücke zerrissen worden, das Schlachtschiff trudelte handlungsunfähig durchs All, und die anderen versuchten irgendwie, Anschluss zu ihrer Formation zu finden, obwohl Schilde, Panzerung und Waffen brutal zusammengeschossen worden waren.

Desjani rief etwas, gleichzeitig setzten Sirenen ein, um in ohrenbetäubender Lautstärke vor einer bevorstehenden Kollision zu warnen. Erschrocken sah Geary, wie zwanzig bis dreißig Kriegsschiffe der Spinnenwölfe mit ungeheurer Geschwindigkeit zwischen den Schiffen seiner Formation hindurchrasten. Dabei kamen ihnen manche dieser Schiffe so nahe, dass jeder menschliche Captain Todesängste verspürt hätte, wäre er der Pilot gewesen, der solche Manöver fliegen musste.

Kaum hatten sie die Allianz-Schiffe hinter sich gelassen, eröffneten die Spinnenwölfe das Feuer auf die Wracks der Bärkühe, bis von ihnen nur noch Trümmer übrig waren.

»Darf das wahr sein?«, rief Desjani und starrte auf ihr Display. »Um ein Haar hätten sie uns erwischt, nicht die Kiks!«

»Captain?«, meldete sich Lieutenant Castries in einem Tonfall zu Wort, der Ehrfurcht und Entsetzen zugleich vermittelte. »Unsere Systeme sind der Ansicht, dass die Spinnenwölfe ihre Schiffe manuell zwischen unseren hindurchgesteuert haben.«

»Manuell? Das ist unmöglich! Niemand kann…« Sie schüttelte den Kopf. »Jedenfalls kein Mensch. Admiral, diese Kreaturen sind vollkommen verrückt!«

»Zumindest sind sie auf unserer Seite«, erwiderte er und versuchte einzuschätzen, wann der ideale Moment für sein nächstes Manöver kommen würde. Tulevs Streitmacht hatte sich soeben durch den unteren Rand der Bärkuh-Formation gepflügt und fünf Kik-Begleitschiffe zu Trümmern reduziert, dabei allerdings im Verhältnis mehr Schäden bei seinen eigenen Schiffen erlitten, als es bei Gearys Formation der Fall gewesen war. Das hing jedoch damit zusammen, dass die kombinierte Geschwindigkeit der beiden Formationen kurz vor dem Kontakt auf einen Wert gesunken war, der es den Bärkühen erlaubte, ihre gegnerischen Ziele besser zu erfassen. Geary beobachtete einen weiteren Schwarm Spinnenwolfschiffe, die um jedes Hindernis herumflogen, um den Opfern von Tulevs Attacke den Rest zu geben.

Badaya war in letzter Sekunde nach unten ausgewichen, sodass seine Formation die Unterseite der feindlichen Armada anvisieren und vier Begleitschiffe komplett außer Gefecht setzen und etliche andere schwer beschädigen konnte. Allerdings hatten die Illustrious und die Incredible selbst auch einige Treffer abbekommen, für die zwei der Superschlachtschiffe verantwortlich waren.

»An alle Einheiten in Gamma One One: Sofort ausführen! Drehen Sie nach oben um neun null Grad«, befahl Geary. »Geschwindigkeit erhöhen auf 0,1 Licht.« Er wollte mit seiner Formation nach oben fliegen und dann zu einem Halbkreis ansetzen, der sie hinter die Bärkuh-Armada bringen würde, die jetzt nur noch mit 0,09 Licht unterwegs war.

Ein Alarmsymbol flammte auf. »Die Titan hat die gleiche Antriebseinheit erneut verloren«, sagte Geary und ließ einen ausgiebigen lautlosen Fluch folgen.

Damit war Badayas Formation mit einem Mal in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, zu beschleunigen, zu bremsen und Kehren zu fliegen. Die Bärkühe mussten erkannt haben, dass etwas mit der Titan nicht stimmte, da sie auf einmal eine Kurve flogen und auf einen Abfangkurs zu Badayas Streitmacht gingen. Die Incredible begab sich mühsam in Position nahe der Titan, da ihre eigenen Antriebseinheiten durch die zuvor erlittenen Treffer in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Fast im gleichen Moment fielen bei der Illustrious fast alle Schutzschilde aus.

Geary erteilte weitere Befehle und ließ seine Unterformation härter wenden. Das Stöhnen der Trägheitsdämpfer war genauso deutlich zu hören wie das Ächzen der Hülle der Dauntless, die mit der extremen Belastung zu kämpfen hatte. Die anderen Kriegsschiffe folgten dem Kurs der Dauntless, lediglich die Sturmtransporter mussten eine ausladendere Kurve fliegen, da die Manöver der übrigen Schiffe sie überfordert hätten.

Wenn er so weitermachte, kam er mit der Bärkuh-Armada in Berührung, während seine eigene Formation völlig aufgelöst war und die Sturmtransporter ungeschützt unterwegs waren.

»Admiral?«, fragte Desjani.

»Es geht nicht«, murmelte er. »Jedenfalls nicht so.« Aber er musste irgendetwas unternehmen, um den auf Badaya lastenden Druck zu lindern, der vergeblich versuchte, seine Formation geschlossen zu halten, während die wendete, um der heranstürmenden Armada der Bärkühe auszuweichen. Tulevs Unterformation war zu weit entfernt gewesen, als die Kiks Kurs auf Badaya nahmen, und nun musste er sich beeilen, um an den eigentlichen Ort des Geschehens zurückzukehren. Sicher war dabei, dass Tulev nicht rechtzeitig eintreffen würde, um den Angriff auf Badayas Unterformation zu stören.

Geary hatte in seiner eigenen Formation fünf Schlachtkreuzer, die Dauntless, die Daring, die Victorious, die Intemperate und die Adroit. Seine Finger berührten hastig die Komm-Kontrollen. »An alle Einheiten in Gamma One One: Sofort ausführen! Drehen Sie zwei null Grad nach oben. Ihr neues Leitschiff ist die Warspite. Daring, Victorious, Intemperate, Adroit, Sie alle passen Ihre Bewegungen an die Dauntless an.«

Er wandte sich an Desjani: »Captain, steuern Sie die Dauntless mitten durch die feindliche Formation, und zwar mit der maximalen Geschwindigkeit, die Sie vertreten können.«

Daraufhin grinste sie ihn so breit an, dass ihre Zähne aufblitzten. Dieses Bild hätte jede Bärkuh wohl auf das Äußerste verunsichert. »Auf geht’s«, sagte sie zu ihrer Crew, dann ließ sie die Dauntless zu einer Kurve ansetzen, die noch enger war als die vorangegangene und die sie mit noch höherer Geschwindigkeit durchfliegen musste, was mit einer umso stärkeren Belastung des Schiffs verbunden war. Die übrigen vier Schlachtkreuzer folgten ihr.

Auf Gearys Display leuchteten immer mehr rote Warnsymbole auf, da Desjani ihr Schiff bis an seine Grenzen führte. Irgendwie gelang es den vier anderen Schiffen, mit der Dauntless mitzuhalten, als die winzige Formation geradewegs auf die Streitmacht der Bärkühe zuhielt.

Rasend schnell jagten sie zwischen den feindlichen Schiffen hindurch, die Hauptantriebseinheiten arbeiteten nach wie vor mit maximaler Leistung. Eines der Superschlachtschiffe und ein Dutzend leichterer, aber immer noch schlagkräftiger Kik-Kriegsschiffe feuerten alles auf die kleine Formation ab, die auf sie zugeschossen kam. Desjani hatte aber in der Zwischenzeit die relative Geschwindigkeit auf fast 0,2 Licht erhöht, sodass der Feind kein Ziel erfassen konnte, während die Allianz-Schiffe mit einem blitzschnellen Sperrfeuer antworteten, das zwei der Kik-Schlachtschiffe traf.

Dann waren sie auch schon vorbeigeflogen, und Geary übernahm wieder das Kommando über die Dauntless. Sofort ließ er die Schlachtkreuzer kehrtmachen, damit sie sich mit dem Rest seiner Formation zusammenschließen konnten.

Eine Art Schutzschirm aus Spinnenwolfschiffen hatte sich derweil zwischen Badayas Streitmacht und den näher kommenden Bärkühen in Position gebracht, doch die konnten dem Feind nur geringfügige Schäden zufügen, ehe sie sich mit den Superschlachtschiffen konfrontiert sahen und sich in alle Richtungen zurückziehen mussten. Jetzt gab es nichts mehr, was die Kik-Armada noch davon abhalten konnte, Badayas Schiffe in Trümmer zu schießen, zumal es so schwierig war, diese Superschlachtschiffe ernsthaft zu beschädigen oder zum Rückzug zu veranlassen.

Ohne Vorwarnung brachen die Schlachtschiffe Dreadnaught und Orion aus Badayas Unterformation aus, dicht gefolgt von der Dependable und der Conqueror. Die Relentless, Reprisal, Superb und Splendid flogen den anderen Schlachtschiffen Hals über Kopf hinterher, wobei jedes Schlachtschiff in Badayas Formation gleichmäßig und schwerfällig auf einen Vektor schwenkte, der genau auf den herannahenden Feind ausgerichtet war.

Plötzlich musste Geary an etwas denken, das Captain Mosko zu ihm gesagt hatte. Es ist das, was Schlachtschiffe tun.

»Die werden in Stücke geschossen«, flüsterte Geary. Meine Großnichte. Sie fliegt unter meinem Kommando in den sicheren Tod, so wie zuvor ihr Bruder. Mögen die Vorfahren mir das verzeihen!

Desjanis Gesicht war von einem Ausdruck geprägt, der so etwas wie tragischen Stolz vermittelte. »Ja. Aber so könnten sie Badayas Streitmacht genug Zeit verschaffen, um sich vor dem Ansturm in Sicherheit zu bringen.«

Sein Blick huschte über das Display und suchte nach einem Wunder. Tulevs Unterformation war noch immer zu weit entfernt, und die Spinnenwölfe machten lediglich den Rändern der Bärkuh-Armada zu schaffen. Seine eigenen Schlachtschiffe befanden sich noch immer auf dem Rückweg zum Rest seiner Unterformation, die ihrerseits nach wie vor ein Wendemanöver beschrieb, um ihm entgegenzukommen und dann gemeinsam der feindlichen Armada in den Rücken zu fallen.

Keine Wunder. Nur Männer und Frauen, die alles taten, was sie tun konnten, und die wussten, es würde nicht genügen.

»Was machen die…?«, platzte Desjani heraus.

Geary sah wieder zu den acht Schlachtschiffen, die als Selbstmordkommando unterwegs waren. Er benötigte einen Moment, um zu begreifen, was er da sah: Hunderte Projektile, abgefeuert von diesen Schlachtschiffen, auf Flugbahnen geschickt, auf denen sie mit den noch eine Minute entfernten feindlichen Schiffen zusammenprallen würden. »Kinetische Projektile? Bei einem Kampf zwischen Schiffen? Das ist…« Dann auf einmal begriff er. »…genial.«

Normalerweise konnte ein Schiff einem stur seiner Bahn folgenden kinetischen Projektil problemlos ausweichen, doch hier war alles losgeschickt worden und bildete ein todbringendes Feld für die feindliche Armada. Sogar die größten Projektile waren zum Einsatz gekommen, die nur äußerst selten benutzt wurden, weil sie auf einem Planeten für extreme Verwüstungen sorgten. Sie alle befanden sich nun auf Flugbahnen, die sie schnurstracks zum Feind führten. Nur eine große Zahl an Schlachtschiffen konnte so viele kinetische Projektile schnell genug auf den Weg schicken, um eine Armada von dieser Größe zu einem Ausweichmanöver zu zwingen.

Sollten die Kiks nicht ausweichen, sondern den Kurs auf Badayas Formation beibehalten, dann würden sie geradewegs in dieses Sperrfeuer hineinrasen, und niemand konnte…

Mit wachsender Verwunderung verfolgte Geary mit, wie die verbleibenden Sekunden bis zum Kontakt verstrichen. Die Allianz-Schiffe schickten den Projektilen ihre Phantomraketen hinterher, so schnell sie nur konnten. Die Kiks blieben auf Kurs und feuerten ihre eigenen Raketen ab. So wie sie es in den Videos der Bärkühe gesehen hatten, schreckte keines ihrer Schiffe zurück, und es wagte auch niemand, aus der Formation auszubrechen. Jeder blieb genau an dem Platz, der ihm zugeteilt worden war.

Als die zwei Streitkräfte und das kinetische Bombardement zusammentrafen, wurde der Raum von einem solchen Chaos erfüllt, dass die Flottensensoren nicht mehr feststellen konnten, was genau sich dort abspielte. Geary konnte nur fassungslos auf sein Display starren, während ihm angesichts des Ausmaßes der Zerstörungen der Atem stockte.

Ein Schlachtschiff der Allianz kam aus dem Durcheinander zum Vorschein, zwar massiv beschädigt, aber immer noch flugtauglich. Die Dreadnaught. Gleich dahinter tauchte die Orion auf, die mit verbissener Entschlossenheit der Dreadnaught folgte. Auch die Dependable und die Conqueror wurden von den Sensoren registriert, beide erstaunlich wenig in Mitleidenschaft gezogen. Dann sah er die Relentless, Reprisal, Superb und Splendid auftauchen, die Panzerung mit tiefen Narben übersät, die Schilde kaum noch vorhanden, etliche Waffensysteme ausgefallen, aber nach wie vor funktionstüchtig.

Die Armada der Bärkühe war stur weitergeflogen, doch die Energien, die inmitten dieser Szene freigesetzt worden waren, hatten die anderen Schiffe teilweise in Stücke gerissen und so dem Ansturm ein Ende gesetzt.

Und Badaya war es inzwischen gelungen, genau das richtige Manöver anzuordnen, indem er seine Formation steil aufsteigen ließ, um seine Schiffe außer Reichweite der meisten feindlichen Kriegsschiffe zu bringen, die irgendwie immer noch weiterflogen.

Dann endlich wurde Geary klar, was sich da abgespielt hatte: keine Wunder, sondern etwas Unerwartetes. »Sie haben ein Loch in die Kik-Formation gesprengt. Sie konnten durchkommen, weil alles vor ihnen von den kinetischen Projektilen pulverisiert worden war, da die feindlichen Schiffe auf ihrem Kurs blieben.« Warum waren sie nicht ausgewichen? Nur weil ihre Taktiken kein individuelles Handeln erlaubten? War der gegnerische Befehlshaber von dieser neuen Vorgehensweise überrascht worden? Hatte er noch versucht, ein Ausweichmanöver anzuordnen, aber hatte ihm dazu die Zeit gefehlt? Und waren die einzelnen Kik-Schiffe deswegen auf ihrem Kurs geblieben, weil niemand einen gegenteiligen Befehl erteilt hatte?

»Drei Superschlachtschiffe sind zerstört, zusammen mit fast allen Schiffen, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielten.« Unter Desjanis Stolz mischte sich nun auch Schadenfreude. »Mögen die lebenden Sterne niemals vergessen, was hier geschehen ist!«

»Wir haben sie noch nicht besiegt«, warnte Geary sie, während sich die Bärkühe neu ordneten. Nach jedem Verlust hatten sie ihre Formation immer nur wieder so kompakt gemacht wie zuvor, sodass sie zwar kleiner und kleiner wurde, aber nach wie vor kampfbereit schien. Genau das war jetzt auch wieder der Fall.

Geary hörte den Jubel durch die Dauntless hallen, als sich herumsprach, was die anderen Schlachtschiffe erreicht hatten. Auch auf den anderen Schiffen wurde in diesem Moment zweifellos gejubelt, sodass die Moral derzeit kein Problem darstellte.

»Warum sind die nicht ausgewichen?«, wunderte sich Desjani. »Die Kiks mussten doch wissen, was eine solche Masse an kinetischen Projektilen anrichten würde…« Auf einmal drehte sie sich zu Geary um und nickte verstehend. »Sie wussten es nicht. Sie haben an Bord ihrer Schiffe keine kinetischen Projektile, und sie setzen solche Projektile nicht ein, weil sie in der Lage sind, sie abzulenken, wenn sie gegen Planeten zum Einsatz kommen sollen. Da Schiffe diesen Steinen üblicherweise mühelos ausweichen können, gibt es keinen Grund, warum sie auf ihren Kriegsschiffen Steine transportieren sollten.«

»Der älteste Trugschluss überhaupt«, entgegnete Geary. »Die Annahme, dass die Fähigkeiten, Taktiken und Absichten des Gegners den eigenen entsprechen. Den lebenden Sternen sei Dank, dass wir nicht so denken.« Allerdings hatte er seine Zweifel, dass diese Taktik ein zweites Mal funktionieren würde, nachdem die Bärkühe nun die Konsequenzen zu spüren bekommen hatten.

Die fünf Schlachtkreuzer schlossen sich mit dem Rest der Unterformation Gamma One One zusammen, die Dauntless nahm wieder ihre Rolle als Leitschiff ein. Die Kiks waren eine weite Kurve nach links und nach oben geflogen und versuchten, Badayas Schiffe zu erwischen, aber die Trägheit der überlebenden Superschlachtschiffe hinderte sie an einem zügigen Vorankommen. Badaya ließ seine Streitmacht weiter steil nach oben fliegen, aber da er in seinen Reihen Schiffe mit eingeschränkter Leistung des Antriebs hatte, konnte er den Verfolgern letztlich nicht entkommen. Zumindest jedoch gelang es ihm, ein wenig Zeit zu gewinnen, ehe die Bärkühe ihn einholen würden. Tulevs Formation befand sich auf einem Abfangkurs zu den Kiks, während es überall von den Schiffen der Spinnenwölfe wimmelte, die mit unglaublicher Gelassenheit zwischen den Allianz-Schiffen hin und her jagten und jedes Bärkuh-Schiff in Stücke schossen, das beschädigt aus der Armada ausgeschert war.

Die acht Schlachtschiffe aus Badayas Formation waren unterdessen auf einen Kurs gegangen, der sie zu ihrer Streitmacht zurückführen sollte. Die Dependable und die Conqueror schirmten dabei ihre stärker in Mitleidenschaft gezogenen Schwesterschiffe ab, zudem sorgte ein Schwarm aus Spinnenwolfschiffen für eine Barriere zwischen den Allianz-Schiffen und der Armada der Bärkühe.

Wer hat diesen Vorstoß angeordnet?, fragte sich Geary. Hat Badaya ihnen gesagt, sie sollen so vorgehen? Oder hat Jane Geary die Initiative ergriffen? Wer immer es war, er hat richtig entschieden. Und wessen Idee war es, die kinetischen Projektile gegen diesen Feind einzusetzen?

Er stellte die Fragen zurück, auf die er im Moment keine Antwort finden konnte, und sorgte stattdessen dafür, dass seine Formation nahezu stur geradeaus flog, um die Bärkühe zu fassen zu bekommen, die ihrerseits auf einen neuen Abfangkurs zu Badaya eingeschwenkt waren. Er sollte wenige Minuten nach Tulev dort eintreffen.

»Wie haben die Spinnenwölfe die Kiks in Schach gehalten?«, fragte Desjani. »Mit ihrer Feuerkraft und ihren Taktiken hätten sie niemals die Kiks daran hindern können, dieses Sternensystem zu durchqueren und einen der anderen Sprungpunkte zu erreichen.«

»Gute Frage. Die sollten wir ihnen stellen, wenn das hier alles überstanden ist.«

Er sah, wie die Schadensmeldungen und die Verletztenstatistiken von den acht Schlachtschiffen eingingen. Dabei kam es ihm so vor, als würde sich eine zentnerschwere Last auf ihn legen, während die Flottensysteme unbeirrt automatisch alles auflisteten, was es aufzulisten gab. Die Schlachtschiffe hatten ihren Erfolg teuer bezahlt.

Hier und da auf dem Display flammten neue Schadenswarnungen auf, da für viele der veralteten Systeme die Belastung des Gefechts zu viel geworden war. Doch zumindest hatte der regelrechte Ausbruch von Ausfällen nachgelassen. Die gemeldeten Probleme waren zwar nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen konnte, aber wenigstens löste sich die Flotte nicht vor seinen Augen in ihre Bestandteile auf.

Tulevs Formation passierte die feindliche Armada an einer Seite und nahm die Kriegsschiffe so unter Beschuss, dass zwei weitere von ihnen nicht länger einsatzfähig waren. Bei den Superschlachtschiffen zeigte diese Attacke jedoch kaum Wirkung, weshalb die Armada der Bärkühe unverdrossen weiter auf Badayas Streitmacht zuhielt und dabei kontinuierlich beschleunigte, um den Abstand zu verringern. Badaya konnte wegen der Probleme mit dem Antrieb der Titan und der Incredible nicht schneller als etwa 0,06 Licht fliegen.

Geary ließ seine Formation Kurs auf die Unterseite der feindlichen Streitmacht nehmen. Immer wieder ging ein Zittern durch die Dauntless, da die Kiks sie mit schwerem Sperrfeuer belegten, das zu einigen Treffern und etlichen Beinahetreffern führte. Mit halbem Ohr bekam er die Schadensmeldungen mit, die bei Desjani eingingen. An manchen Stellen hatten die Schilde versagt, die leichte Panzerung des Schlachtkreuzers war getroffen und hier und da durchschlagen worden, aber es war nicht zu Systemausfällen gekommen. Auf seinem Display wurden ähnliche Meldungen von den anderen Schiffen seiner Formation aufgelistet. Keines von ihnen war schwer getroffen worden, dennoch hatten viele Einheiten umfangreiche Schäden erlitten.

Eines der Bärkuhschiffe hinkte hinter seiner Formation her und verlor trudelnd den Anschluss, woraufhin es einem Schwarm der Spinnenwolfschiffe zum Opfer fiel. Auch andere feindliche Kriegsschiffe waren beschädigt worden, doch das genügte alles nicht, um den Feind zur Umkehr zu bewegen.

Badaya verfügte noch über zwei Schlachtkreuzer, die sich in guter Verfassung befanden, und jetzt lösten sich die Inspire und die Formidable vom Rest der Formation, um der Kik-Armada entgegenzufliegen.

Geary verschaffte sich einen Überblick über die Situation. Tulevs Formation flog einen weiten Bogen, der viel Zeit kosten würde. Seine eigene Formation näherte sich dem Feind von unten, was aber auch zu lange dauern würde. Badaya war auf einen Kurs gegangen, der ihn vom Gegner wegführte, weil er nur so möglichst viel Zeit schinden konnte, ehe man ihn eingeholt hatte. Und dann waren da noch die acht Schlachtschiffe auf der anderen Seite des Feindes, die darum bemüht waren, zu Badaya zurückzukehren. In aller Eile ließ Geary sich von den Gefechtssystemen verschiedene Manöver berechnen, dann stieß er auf eine Lösung, die zwar verzweifelt, aber umsetzbar war. »Dependable, Conqueror, hier spricht Admiral Geary. Gehen Sie mit maximaler Geschwindigkeit auf einen Abfangkurs zum Feind.«

In zwei Minuten würden die beiden Schlachtschiffe wenden und beschleunigen und dabei ihre schwerer beschädigten Schwesterschiffe zurücklassen. Womöglich würde das die Bärkühe ablenken, doch das hielt Geary für eher unwahrscheinlich. Wichtig war nur, mit allem auf die Armada loszugehen, was ihm zur Verfügung stand. »Captain Tulev, ich übernehme die Steuerkontrolle über Ihre Unterformation.«

Ihm blieb keine Zeit, das erst von den Gefechtssystemen durchrechnen zu lassen, keine Zeit, um die ständig wechselnden Entfernungen und die damit verbundenen Zeitverzögerungen zu berechnen. Er musste sich ganz auf sein eigenes Geschick verlassen, auf seine eigene Erfahrung und auf die einzigartige Fähigkeit des menschlichen Gehirns, solch komplexe Situationen aus dem Stegreif zu lösen. »Captain Badaya, bei Zeit eins sieben schicken Sie alle Ihre Eskortschiffe los und befehlen ihnen, mit 0,15 Licht auf Abfangkurs zur feindlichen Formation zu gehen.«

Desjani hatte die Bewegungen innerhalb der Flotte bemerkt und sah stirnrunzelnd auf ihr Display. »Was haben Sie vor?«

»Ich werde mit dem Hammer zuschlagen. Wenn ich das nicht mache, verlieren wir alle beschädigten Schiffe und die unversehrten Hilfsschiffe in Badayas Formation.« Neben der Incredible, Titan und Illustrious schloss das auch die Kupua, die Alchemist, die Cyclops, zwei Schwere und mehrere Leichte Kreuzer sowie Zerstörer mit ein.

Die Inspire und die Formidable, die sich zu schnell bewegten, um von den Bärkühen zuverlässig erfasst zu werden, schlugen auf den Feind ein, doch es genügte nicht, um wenigstens ein oder zwei Kriegsschiffe außer Gefecht zu setzen.

»Captain Duellos«, befahl Geary. »Stimmen Sie die Flugbewegungen der Inspire und der Formidable mit denen der Dependable und der Conqueror ab. Nehmen Sie den nächsten Feindbeschuss zusammen mit ihnen vor.«

Desjanis Blick zuckte auf ihrem Display hin und her. »Sie lassen uns alle zusammenkommen. Wir werden die Armada fast simultan angreifen. Meinen Sie, das wird genügen?«

»Das will ich doch hoffen.« Er blickte sein Display aufmerksam an. Badayas Gruppe aus beschädigten Schiffen bewegte sich nach wie vor steil aufwärts, seine Kreuzer und Zerstörer bremsten ab, um sich hinter ihren Kameraden zurückfallen zu lassen und sich dem herannahenden Feind entgegenzustellen. Die Armada der Bärkühe flog eine Kurve und näherte sich von rechts unten, um Badaya zu erreichen. Tulev war auf einem weiten Bogen unterwegs, an dessen Ende er die Kiks vorfinden würde, während Gearys eigene Unterformation leicht aufwärts flog, um sie ebenfalls zu erwischen. Links vom Feind kam unterdessen Duellos mit seiner kleinen Streitmacht herbeigeeilt. »An alle Einheiten: Wir müssen das Vorrücken der feindlichen Armada zum Stillstand bringen. Greifen Sie die Formation an, sobald Sie nahe genug sind, und setzen Sie auch kinetische Projektile ein.«

»Wenn irgendwas sie dazu bringen wird umzukehren, dann die Projektile«, meinte Desjani.

»Wenn sie nicht umkehren und wir treffen sie mit so vielen Steinen, dann werden sie es nicht bis zu Badaya schaffen.« Wie sehr war der feindliche Commander darauf versessen, an die ramponierten Allianz-Schiffe heranzukommen? Gab es bei den Bärkühen das gleiche Phänomen wie bei den Menschen, sich so sehr auf ein Ziel zu fixieren, dass man von den Hindernissen auf dem Weg zu diesem Ziel keine Notiz nahm?

»Wissen Sie«, sagte Desjani ruhig und gelassen, während die verschiedenen Gruppen auf den Feind zurasten, »die Kiks haben eine wichtige Tatsache nicht berücksichtigt.«

»Und zwar?«, fragte Geary, ohne den Blick von seinem Display abzuwenden.

»Die wissen nicht, wie verrückt Menschen sein können. Wären wir vernünftig, hätten wir längst die Flucht ergriffen, und Badayas Formation wäre längst in alle Richtungen verstreut. Sie könnten uns jagen und vernichten. Aber wir sind verrückt, und deshalb bleiben wir zusammen und schießen ihnen den Hintern weg.«

Geary lächelte und sah mit an, wie Badayas Kreuzer und Zerstörer kinetische Projektile in Richtung des Feindes abfeuerten.

Die Bärkuhschiffe veränderten leicht ihre Position, da sie versuchten, dem Steinhagel auszuweichen. Vermutlich wäre ihnen das auch gelungen, immerhin konnten ihnen noch so viele kinetische Projektile den direkten Weg versperren, das All war weit genug, um auszuweichen. Allerdings hatte jetzt auch Tulev die Armada erreicht und schickte ebenfalls eine Steinlawine auf den Weg, sodass die Bärkühe sich mit einem Mal einem Kreuzfeuer ausgesetzt sahen. Und dann kam auch noch Duellos’ kleine Formation ins Spiel, die ebenfalls Steine auf den Feind abfeuerte.

»Es geht los«, merkte Desjani an, als die Gefechtssysteme in Gearys Unterformation ebenfalls kinetische Projektile ins All schossen, sodass die Bärkühe fast von allen Seiten gleichzeitig mit Steinen attackiert wurden.

Die letzten Sekunden verstrichen, während die Kik-Armada auszuweichen versuchte, ohne dabei allerdings die Verfolgung von Badayas Formation aufgeben zu wollen. Der Commander der Bärkühe war einen Kompromiss eingegangen, wie Geary unmittelbar vor dem Kontakt erkannte. Er hatte versucht, sein Ziel nicht aus den Augen zu lassen und dennoch irgendwie ein Ausweichmanöver zu fliegen. Solche Kompromisse — also das Unvermögen, sich nur für den einen oder nur für den anderen Weg zu entscheiden — waren schon unzähligen menschlichen Befehlshabern zum Verhängnis geworden.

Er sah, wie eines der fünf überlebenden Superschlachtschiffe von mehreren Treffern erschüttert wurde. Die eigentlich leistungsfähigen Schilde brachen unter dem Ansturm der Projektile zusammen, und dann raste einer der besonders großen Steine in das Raumschiff und zerriss es in Stücke. Im nächsten Moment hatte Gearys Unterformation die Armada auch schon wieder durchflogen und hinter sich gelassen.

Diesmal spürte Geary, dass die Dauntless nur wenige Treffer abbekam, und einen Augenblick später strömten die Schadensmeldungen auf sein Display — von Tulevs Unterformation, von Duellos’ kleiner Eingreiftruppe, von Badayas Eskortschiffen.

Ihm stockte der Atem, als er ein gefürchtetes Symbol aufblinken sah, neben dem mehrere Namen aufgelistet wurden. Kein Kontakt mehr. Als zerstört eingestuft. Die Brilliant. Ein leidgeprüftes Schiff, seit Captain Caligo wegen einer Verschwörung mit Captain Kila verhaftet worden war. Kaum zu glauben, dass der Schlachtkreuzer nicht mehr existieren sollte. Die Schweren Kreuzer Emerald und Hoplon, der Leichte Kreuzer Balestra, die Zerstörer Plumbatae, Bolo, Bangalore und Morningstar. Nicht alle diese Allianz-Schiffe waren in den Sekundenbruchteilen ausgelöscht worden, die der Schlagabtausch mit der feindlichen Armada gedauert hatte, sodass sich ihre Besatzungen nicht mehr hätten retten können. Einige von ihnen hatten allen Schäden zum Trotz lange genug überlebt, um der Crew Zeit zu geben, an Bord der Rettungskapseln zu entkommen, die nun geborgen werden mussten.

Immerhin hatten die Kiks ihren Starrsinn teuer bezahlt. Selbst die Superschlachtschiffe konnten nur einem gewissen Beschuss standhalten, und die wiederholten Salven unmittelbar nach der Lawine aus kinetischen Projektilen hatten genügt, um die Armada in die Knie zu zwingen. Zwei der vier überlebenden Superschlachtschiffe waren nichts weiter als im All treibende Wracks, ein drittes war so flugunfähig, dass es bereits von den Kriegsschiffen der Spinnenwölfe bestürmt wurde, die auf seine Zerstörung hinarbeiteten. Ein viertes Schiff trudelte davon und versuchte, die Kontrolle über die Steuerung zurückzuerlangen, was angesichts einer zerrissenen Hauptantriebseinheit so gut wie unmöglich war. Die kleineren Kriegsschiffe der Bärkühe waren drastisch dezimiert worden; die gut vierzig verbliebenen Schiffe nahmen in aller Eile Kurs auf denjenigen Sprungpunkt, durch den sie ins System gelangt waren.

Sie hatten es geschafft, aber als sich Geary in seinen Sessel sinken ließ, verspürte er kein Triumphgefühl.

»Es ist vollbracht«, stellte Desjani fest, doch auch ihre Stimme klang gedämpft, und nicht wie die eines Siegers.

»Ja«, stimmte er ihr zu. »Ist Frieden nicht eine tolle Sache?«

»Kommt mir mehr wie Krieg vor«, meinte sie.

Geary rappelte sich auf. Als Erstes mussten die Rettungskapseln eingesammelt werden, um die Überlebenden der zerstörten Schiffe zu bergen. Viele von ihnen waren vermutlich verletzt und bedurften medizinischer Hilfe. »Zweites und Fünftes Leichtes Kreuzergeschwader, bergen Sie alle Rettungskapseln. Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie dabei Unterstützung benötigen.« Damit war diese vordringliche Aufgabe in Angriff genommen. Nun musste nur wieder Ordnung in die Flotte gebracht werden, wozu gehörte, zunächst einmal die Schäden der Schwere nach zu beheben und den überlebenden Schiffen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie am dringendsten nötig hatten…

»Admiral«, sagte Desjani auf eine Weise, die ihn aufhorchen ließ.

Das letzte überlebende Superschlachtschiff hatte inzwischen seine Flugbewegungen halbwegs unter Kontrolle gebracht, aber die Steuerdüsen hatten ihre Arbeit eingestellt, obwohl es sich immer noch um seine eigene Achse drehte.

»Es sitzt auf dem Präsentierteller«, äußerte sich Desjani.

»Sollen die Spinnenwölfe sich…«, begann Geary, setzte sich dann aber wieder gerader hin. »Es kann nicht entkommen.«

»Ob sie die Selbstzerstörung einleiten werden?«, fragte sich Desjani.

»Wir haben bislang bei keinem ihrer Schiffe eine Selbstzerstörung beobachten können. Außerdem sind keine…« Er unterbrach sich, da ihm auf einmal etwas bewusst wurde. »Wir haben nicht eine einzige Rettungskapsel aus einem der von uns zerstörten Kik-Schiffe kommen sehen.«

»Ich schätze, sie betrachten so was als unnötige Ausgaben. Wenn man Milliarden von Bärkühen hat, die blindlings tun, was man ihnen sagt, warum sollte man sich dann die Mühe machen, hier und da ein paar von ihnen zu retten. Die Herde ist immer noch stark.« Dann hob Desjani einen Finger. »Aber, Admiral, wenn sie dieses Superschlachtschiff nicht zerstören wollen oder können, dann ist es unser gutes Recht, es zu entern und in Besitz zu nehmen.«

Ein riesiges Raumschiff vollgestopft mit der Technologie der Bärkühe, mit ihren Überlebenden, ihrer Literatur, ihrer Geschichte, Kunst, Wissenschaft…

»Es wird nicht einfach werden, das Schiff einzunehmen«, stellte Geary fest.

Dennoch wusste er, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als es zu versuchen.

Загрузка...