Zwölf

»An alle Einheiten: Bei Zeit vier null drehen Sie null zwei null Grad nach Steuerbord und vier Grad nach unten, dann beschleunigen Sie auf 0,1 Licht.« Die Erste Flotte der Allianz war zwar unter massiven Beschuss geraten, fühlte sich aber jetzt wieder bereit, sich allem zu stellen, was sie erwartete. Ihr Ziel war der von den Spinnenwölfen vorgegebene Sprungpunkt. Vor der Flotte wahrten die sechs sie nun begleitenden Schiffe der Aliens einen Abstand von exakt einer Lichtminute.

Da sie das Gebiet der Spinnenwölfe durchfliegen würden, anstatt sich durch feindliches Territorium kämpfen zu müssen, hatte Geary die Flotte eine schlichte, große Ellipsenformation einnehmen lassen, die relativ kompakt war und nicht bedrohlich wirkte. Zudem war es eine der eleganteren Anordnungen seiner Schiffe, unter denen er hatte wählen können. Im Vergleich zur Formation der Spinnenwölfe wirkte die Ansammlung der Allianz-Schiffe grobschlächtig, als sei eine Bande Barbaren mitten in einen streng geordneten Tanz geraten. Immerhin jedoch sah es nicht ganz so schrecklich aus wie manche der anderen Alternativen. Im Zentrum der Ellipse mühten sich von Sturmtransportern und Hilfsschiffen schützend umgeben vier Schlachtschiffe damit ab, das erbeutete Superschlachtschiff der Bärkühe in Richtung Sprungpunkt zu schleppen.

Als sie sich am Rand des Systems entlangbewegten, zog zu ihrer Rechten die Hauptformation der Spinnenwölfe vorbei, die nach wie vor auf den nach Pandora führenden Sprungpunkt ausgerichtet war. Die wunderschönen Wirbel und Muster veränderten sich, als der Blickwinkel der Menschen wechselte, und es schien, als würden die Kurven sich bewegen und ineinander zerfließen.

»Viereinhalb Lichtstunden bis zum Sprungpunkt, also fünfundvierzig Stunden Reisezeit, wenn Sie die Geschwindigkeit von 0,1 Licht beibehalten wollen«, verkündete Desjani.

»Es wäre den Verbrauch an Brennstoffzellen nicht wert, jetzt zu beschleunigen und kurz vor dem Sprung abzubremsen«, meinte Geary. »Jedenfalls nicht für die wenige Zeit, die wir dabei einsparen würden. Außerdem ist es nicht ganz so einfach, das Schiff der Bärkühe schneller fliegen zu lassen.«

»Befindet sich das Hypernet-Portal im nächsten Sternensystem?«

»Da sind sich unsere Gesandten und Experten nicht ganz sicher«, antwortete er. Sein Blick ruhte auf dem Display, während er die Anspannung zu bekämpfen versuchte, die von der Erwartungshaltung ausging, dass jeden Moment wieder irgendein Problem auftauchte. Aber die Antriebseinheiten fielen nicht aus, es gab keine Probleme mit der Steuerung, und es wurde auch von keinem Schiff gemeldet, dass es im Flug irgendwelche Teile verloren hatte. Wie leicht ich doch heutzutage zufriedenzustellen bin. Als ich vor hundert Jahren zu Friedenszeiten an Bord von Schiffen unterwegs war, die viele Jahrzehnte halten sollten, wäre mir nie der Gedanke gekommen, ich könnte mich eines Tages mal darüber freuen, dass keines meiner Schiffe in Stücke zerfällt, wenn die Flotte sich in Bewegung setzt. »Wenn sich das Hypernet-Portal nicht im nächsten System befindet, können wir die Transitzeit nutzen, um noch mehr Reparaturen durchzuführen.«

»Sie sind sehr gut darin geworden, Dinge vernünftig zu begründen«, sagte Desjani.

»Mir bleibt ja gar keine andere Wahl. Wir müssen Midway vor den Enigmas erreichen, aber wir können deswegen nicht schneller reisen, als es uns überhaupt möglich ist.« Er hatte eine Weile mit dem Gedanken gespielt, das Superschlachtschiff mit einer schlagkräftigen Eskorte folgen zu lassen, während er mit dem Rest der Flotte vorausflog. Aber General Charban hatte ernsthafte Zweifel angemeldet, dass er den Spinnenwölfen würde erklären können, wieso sich die Flotte teilte und das System in zwei Schüben durchflog. Abgesehen davon wussten sie nicht, was das jeweils nächste System ihnen bringen würde, in das sie nach dem Verlassen des Hypernets der Spinnenwölfe sprangen, um nach Hause zu gelangen. Was, wenn eines dieser Systeme von den Enigmas bevölkert wurde? Was würden sie unternehmen, wenn sie sahen, dass die Allianz-Flotte ein Kriegsschiff der Bärkühe im Schlepptau hatte? Vermutlich irgendetwas Drastisches.

Aber bislang war alles gut gelaufen, und als Geary dasaß, ohne dass ihm irgendwelche Probleme gemeldet wurden, wurde ihm erst bewusst, wie sehr die unablässige Arbeit in den letzten Tagen an seinen Kräften gezehrt hatte. Die erholende Wirkung des von ihm angeordneten Ruhetags hatte nicht lange vorgehalten, was vermutlich daran lag, dass er sich an diesem Tag kaum Ruhe gegönnt hatte. »Ich werde mich eine Weile schlafen legen.«

Er machte sich auf den Weg in sein Quartier. Auf dem Weg dorthin bemerkte er bei den ihm entgegenkommenden Besatzungsmitgliedern eine Mischung aus Anspannung, Erleichterung und Freude. Freude, weil sie sich wieder auf dem Heimweg befanden. Erleichterung, nicht länger in diesem System verharren zu müssen. Anspannung, weil keiner wusste, was unterwegs noch alles passieren mochte.

Senior Chief Tarrini lächelte Geary an, als sie ihm begegnete, und salutierte. »Benötigen Sie Antworten auf weitere Fragen, Admiral?«

Fast hätte er verneint, da fiel ihm noch rechtzeitig etwas ein: »Ja, Senior Chief. Ich habe gehört, wie die Matrosen ein Wort benutzt haben, das ich zuvor noch nie gehört habe.«

»Na ja, Admiral, Sie wissen doch, wie Matrosen sind. Da kann…«

»Nein, ich rede nicht von einem Wort dieser Art, Senior Chief. Jedenfalls glaube ich das nicht. Wissen Sie, was GeV bedeutet?«

»GeV?«, wiederholte Tarrini.

»Ja, und an Ihrer Antwort kann ich ablesen, dass Sie wissen, was es bedeutet.«

Die Frau nickte flüchtig. »Das steht für große, eklige Viecher, Admiral«, sagte sie. »So nennen die Matrosen die…«

»…die Spinnenwölfe.« Geary machte keinen Hehl aus seiner Verärgerung über diesen Sprachgebrauch. »Die Spinnenwölfe sind unsere Verbündeten, Senior Chief. Sie haben an unserer Seite gekämpft und so wie wir selbst Verluste einstecken müssen. Außerdem helfen sie uns, schneller heimzukehren.«

»Ich weiß, Admiral«, stimmte sie ihm zu. »Aber Sie wissen ja, wie Matrosen sind. Für sie sind das einfach nur die GeVs. Allerdings glaube ich, der Begriff könnte von den Marines geprägt worden sein. Sie wissen ja, wie Marines sind.«

Aufgebracht sah er sich um. »Ich weiß auch, was passieren wird, wenn ich der Flotte die Verwendung dieses Begriffs verbiete.«

»Ja, jeder Matrose würde dann erst recht von den GeVs reden«, sagte Senior Chief Tarrini. »Und die Marines würden das Ganze sogar noch schlimmer machen.«

»Haben Sie etwas gegen Marines, Senior Chief?«

»Keineswegs, Admiral. Ich war sogar eine Zeit lang mit einem Marine verheiratet, bis der sich einem neuen Ziel zuwandte, wie die es formulieren. Ich verschwende kaum noch einen Gedanken an dieses A-… an dieses Individuum, wollte ich sagen, Sir.«

»Ich glaube Ihnen.« Geary sah ihr tief in die Augen. »Tun Sie mir einen Gefallen. Verbreiten Sie überall, dass ich den Begriff ›GeV‹ gehört habe und dass er mir nicht gefällt. Ich finde es äußerst bedauerlich, dass die Leute so von ihnen reden.«

»Auf jeden Fall, Admiral.« Senior Chief Tarrini salutierte abermals. »Jeder soll erfahren, dass sie diesen Begriff besser nicht benutzen sollten. Wenn es sich unter Kontrolle halten lässt, dann nur so. Aber ganz ausrotten kann man es jetzt nicht mehr. Sie wissen ja, wie Matrosen sind.«

»Ja, ich weiß, Senior Chief. Vielen Dank.«

Als er den Rest des Weges zu seinem Quartier zurücklegte, nahm er von irgendwoher die Kraft, um sich mit unbesorgter Miene zu zeigen und auf alles gefasst zu sein, während er einen Salut nach dem anderen erwiderte. In seinem Raum angekommen, ließ er sich einfach nur aufs Bett fallen, ohne sich erst noch die Uniform auszuziehen. Jetzt, fand er, war der Moment gekommen, an dem er sogar vor sich selbst rechtfertigen konnte, dass er eine Weile schlafen musste.

Sein Komm summte unaufhörlich.

Endlich war Geary wach genug, um auf die Wartetaste zu drücken, damit das Summen aufhörte. Wenn es sich um einen echten Notfall gehandelt hätte, wäre ein ganz anderer Weckton zu hören gewesen. Er nahm sich die Zeit, seine Uniform so zurechtzuziehen, dass sie zumindest halbwegs passabel saß, dann erst meldete er sich.

Captain Smythe tauchte vor ihm in einem Fenster auf und lächelte so strahlend, dass es irgendwie nicht zu ihm zu passen schien.

»Einen schönen Nachmittag wünsche ich, Admiral. Ich habe gute Neuigkeiten.«

»Das wäre ja mal eine erfreuliche Abwechslung«, sagte Geary, setzte sich hin und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht.

»Unsere Ingenieure haben sich eingehend mit den Systemausfällen befasst, die sich ereignet hatten, als sich die Flotte für die Schlacht bereit machte. Sie haben festgestellt, dass der plötzliche Anstieg an Ausfällen durch die zusätzlichen Belastungen der bereits geschwächten Systeme während der Aufwärmphase ausgelöst wurde.

»Ich dachte, das wäre längst bekannt.«

»Das ist richtig.« Smythes Grinsen wurde noch etwas breiter. »Aber, Admiral, Folgendes wussten wir nicht. Es sind nur die schwächsten Systemkomponenten durchgebrannt. Wir hatten zwar dadurch einen extremen Anstieg an Ausfällen, aber es bedeutet auch, dass uns jetzt erst einmal eine Phase mit relativ wenigen Störungen bevorsteht. Die Komponenten, die am ehesten hätten versagen müssen, haben versagt, während die anderen vermutlich noch eine ganze Weile länger funktionieren werden.«

Geary ließ sich das Ganze erst zweimal durch den Kopf gehen, damit er sicher sein konnte, dass er es auch richtig verstanden hatte. »Mit anderen Worten: Wenn wir das nächste Mal in eine Schlacht ziehen, wird es wohl nicht zu einer ganzen Serie von Systemausfällen quer durch die Flotte kommen?«

»Solange diese Schlacht nicht in zu ferner Zukunft stattfindet. Innerhalb der nächsten vier Wochen dürfte es keine Probleme geben.«

»Das nenne ich eine gute Neuigkeit.«

»Sie müssen dabei aber nicht so überrascht klingen, Admiral.«

Während ihm klar wurde, dass er freudig lächelte, legte Geary noch eine Frage nach: »Heißt das, wir haben eine Chance, uns mit Reparatur- und Austauscharbeiten einen kleinen Vorsprung zu verschaffen?«

Aber Smythe schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Wir hängen da im Zeitplan so hinterher, dass wir keine Chance auf einen Vorsprung haben. Wir werden weiterhin tun, was wir können, aber bevor wir es schaffen, dermaßen viele interne Systeme auf einer so großen Zahl von Schiffen zu ersetzen, wird es noch einige Ausfälle geben.«

»Verstehe.«

»Hilfreich wäre es natürlich«, ergänzte Smythe, »wenn wir nicht so viel Zeit damit verbringen müssten, die Gefechtsschäden zu reparieren.«

»Ich werde tun, was ich kann, um weitere Gefechtsschäden zu vermeiden, Captain Smythe.« Geary überlegte angestrengt. Da war doch noch irgendwas gewesen… »Hat Lieutenant Jamenson noch irgendetwas zu dem Thema herausgefunden, in das sie sich vertieft hat?«

»Vertieft? Ach, jetzt weiß ich, was Sie meinen. Nein, tut mir leid, sie war in letzter Zeit genauso eingespannt wie wir alle. Im Augenblick ist sie auf der Orion und kümmert sich mit ihrem Team um die Taue, die das GKS halten.«

»Das GKS?« Geary blinzelte und versuchte, der Abkürzung einen Sinn zu verleihen.

»Das Große Kik-Schiff«, erklärte Smythe.

Ich brauche dringend einen offiziellen Namen für das Ding, dachte Geary.

»Gut, Captain Smythe. Und vielen Dank für die erfreulichen Neuigkeiten.«

Nachdem Smythes Bild verschwunden war, schaute Geary sehnsüchtig zu seinem Bett. Doch mit der letzten Unterhaltung war er an Dinge erinnert worden, um die er sich auch noch kümmern musste. Er rief Admiral Lagemann auf dem von den Bärkühen erbeuteten Superschlachtschiff.

Lagemann antwortete recht schnell und grinste Geary an, während er eine ausholende Geste beschrieb. »Willkommen auf der Brücke des Schiffs, das mein Kommando darstellt, Admiral Geary.«

»Wissen wir inzwischen sicher, dass das die Brücke ist?«

»Wir sind uns ziemlich sicher«, antwortete der Admiral. »Die Designphilosophie der Kiks weicht in interessanten Punkten von den üblichen Gewohnheiten der Menschen ab.« Er bewegte seine Hand dicht über seinem Kopf hinweg. »Unter anderem ziehen sie ihre Decken niedriger ein als wir. Meine Crew klagt darüber, dass sich schon zu viele Leute den Kopf angestoßen haben, wenn sich einer von uns zwischendurch einfach mal unüberlegt bewegt. Auf die Dauer werden wir alle Haltungsschäden davontragen.«

»Wie viel Platz haben Sie?«

»Die Brücke, dazu ein paar angrenzende Abteile. Die Ingenieure haben für diese Gebiete eine tragbare Lebenserhaltungseinheit zusammengebaut. Wenn wir den Bereich verlassen, müssen wir Schutzanzüge tragen, weil die Atmosphäre im restlichen Schiff so übel ist wie in einer Kaschemme in einem Raumhafen.« Lagemann deutete auf einige Konsolen, die vor ihm aufgebaut waren. »Sie haben auch Sensor- und Komm-Kabel verlegt und ein einfaches Netzwerk eingerichtet, damit wir wenigstens sehen können, was draußen los ist.«

»Arbeiten irgendwelche von den Geräten der Bärkühe noch?«

»Keine Ahnung.« Lagemann streckte eine Hand nach einer der Originalkonsolen aus, hielt sich dann aber in letzter Sekunde davon ab, etwas zu berühren. »Die Ingenieure haben alles abgeschaltet, und sie raten uns dringlichst davon ab, auch nur ein einzelnes Kik-System wieder einzuschalten. Sie sind in Sorge, dass die Kiks vielleicht noch irgendeine Selbstzerstörungsroutine aktiviert haben, die nur nicht mehr ausgelöst werden konnte. Wenn wir irgendein System neu starten, dann könnte die Aktivierung dabei zu Ende geführt werden — mit sehr unerfreulichen Konsequenzen für uns alle hier.«

Geary schickte ein stummes Stoßgebet als Dank dafür zum Himmel, dass jemand klug genug gewesen war, solche Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. »Wie sieht es sonst bei Ihnen aus?«

»Wir haben Schlafsäcke und Nahrungsrationen von den Marines erhalten«, antwortete Lagemann. »Diese Schlafsäcke sind gar nicht so übel.«

»Und die Rationen?«

»Besser als die Rationen der Flotte, aber das sagt letztendlich nicht viel aus.«

»Allerdings nicht«, bestätigte Geary.

Der andere Admiral grinste. »Es ist insgesamt ein bisschen beengt und unbequem, aber wir haben alle schon Schlimmeres mitgemacht. Was mich betrifft, geht es mir bestens: Ich habe immerhin das Kommando über das größte Kriegsschiff, das je zur Allianz-Flotte gehört hat.«

»Geben Sie mir Bescheid, wenn sich die Zustände verändern oder wenn Sie auf irgendetwas stoßen, von dem ich wissen sollte.«

»Haben Sie mit Angela Meloch oder Bran Ezeigwe von der Mistral gesprochen?«, wollte Lagemann wissen.

»Nur kurz. Admiral Meloch und General Ezeigwe sind darüber informiert worden, dass sie eine direkte Leitung zu mir haben, damit sie mich rufen können, wenn es etwas gibt, das für mich von Bedeutung sein könnte.«

»Dann sind Sie bei den beiden genau richtig.« Lagemann streckte seinen Arm aus und strich mit den Fingern über die Kante einer Konsole der Bärkühe. »Die Unzufriedenen auf der Mistral und der Typhoon wollen die Vergangenheit einfach nicht ruhen lassen. Sie wollen wieder sein, wer sie früher einmal gewesen sind. Sie wollen die Rollen spielen, von denen sie während des Krieges immer geträumt hatten. Bevor ich gegangen bin, habe ich versucht klarzumachen: ›Das ist alles fort. Ihr könnt nichts von dem verändern, was einmal geschehen ist. Aber ihr könnt nach neuen Träumen Ausschau halten, weil wir von denen überall umgeben sind.‹ Viele von ihnen scheinen darüber ebenso bestürzt zu sein wie über die Ereignisse der letzten Monate. Hätten Sie uns sofort nach Hause gebracht, nachdem wir befreit worden waren, dann wäre die Heimkehr sicher sehr interessant verlaufen. Aber inzwischen hatten wir Zeit genug, uns mit all den Veränderungen vertraut zu machen, und Sie müssen sich zu dem Thema nicht mehr so viele Sorgen machen.« Das Lächeln auf Lagemanns Lippen kündete von seiner ehrlichen Freude. »Ein Raumschiff von Aliens, Admiral Geary. Etwas, das von einer nichtmenschlichen Intelligenz gebaut wurde, die so völlig anders ist als unsere eigene. Das ist einfach… atemberaubend.«

»Ja, das ist wahr«, stimmte Geary ihm zu. »Da sich so viele Dinge auf einmal ereignen, verliere ich so etwas schon mal aus den Augen. Wenn wir das Schiff nach Hause bringen, und wenn wir dazu die Delegation der Spinnenwölfe präsentieren, dann werden wir Dinge lernen und erfahren, über die wir nachgegrübelt haben, seit unsere fernsten Vorfahren zum ersten Mal nachts zum Himmel geschaut und die Sterne gesehen haben.«

»Ich frage mich nur, ob uns diese Antworten auch gefallen werden.«

»So oder so — wir werden sie akzeptieren müssen.«

Als sie sich fast zwei Tage später schließlich dem Sprungpunkt näherten, wanderte Gearys Blick wiederholt zu dem anderen Sprungpunkt, durch den sie in dieses System gelangt waren. Unwillkürlich fragte er sich, ob weitere Schiffe der Bärkühe hier eintreffen würden, eine zweite Angriffswelle, um die fleischfressenden Kreaturen auszulöschen, die plötzlich bei ihnen aufgetaucht waren.

Dann blieb sein Blick auf den Hunderten von winzigen Markierungen auf dem Display haften, die sich alle auf die Sonne zubewegten. Hunderte von Gefallenen seiner Flotte, auf ihrer letzten Reise in die Gluthitze des Sterns, wo die Flammen sie verzehren sollten, damit sie in einem anderen Teil des Universums wiedergeboren werden konnten. »Licht, dann Finsternis, dann Licht«, murmelte er die vertrauten Worte. »Das Dunkel ist nur ein Intervall.«

Desjani hörte ihn und warf ihm einen ernsten Blick zu. »Das Dunkel dauert nicht an«, ergänzte sie die entsprechende Formulierung aus dem Ritual. Dann redete sie in einem anderen Tonfall weiter: »Können wir uns eigentlich sicher sein, dass die Spinnenwölfe unsere Toten nicht entehren werden? Es dauert immerhin Monate, bis sie den Stern erreichen.«

»Die Gesandten und die Experten sind sich einig, dass die Spinnenwölfe verstanden haben, wie wichtig uns die sichere Reise unserer Toten ist«, antwortete Geary. »Um zu verhindern, dass sie sich den einen oder anderen Toten holen, um ihn zu sezieren, haben wir den Spinnenwölfen Scans und Informationen über unsere Biologie überlassen. Von den Toten können sie nicht mehr über unsere Spezies erfahren als das, was wir ihnen bereits zur Verfügung gestellt haben.«

»Haben wir solche Informationen auch schon von den Spinnenwölfen erhalten?«

»Noch nicht.«

»Politiker und Zivilisten«, murrte Desjani verächtlich.

»Sprungpunkt in fünf Minuten«, meldete Lieutenant Castries.

Geary aktivierte sein Komm. »An alle Einheiten, hier spricht Admiral Geary. Wir erwarten im nächsten Sternensystem keine feindseligen Handlungen, und wir dürfen in dem von den Spinnenwölfen kontrollierten Gebiet nicht in einer bedrohlich wirkenden Weise auftreten. Daher gibt es kein vorbereitetes Ausweichmanöver für den Augenblick des Austritts aus dem Sprungpunkt, und es werden dann auch keine Waffen einsatzbereit gemacht. Allerdings werden die Schilde auf Maximum hochgefahren, und sämtliches Personal macht sich auf alle Eventualitäten gefasst. Alle Einheiten springen wie geplant.«

Der Augenblick des Sprungs war gekommen, die Sterne verschwanden, und Geist und Körper der Menschen wurden durch den Wechsel von einem Ort an einen völlig anderen kurzzeitig in Verwirrung gestürzt.

Wenigstens würde die Zeit im Sprungraum Gelegenheit bieten, sich auszuruhen, wenn auch nicht sonderlich viel. Im Sprungraum selbst konnten die Ingenieure der Hilfsschiffe nicht von einem Schiff zum anderen reisen und Reparaturen vornehmen, aber zumindest konnten sie vor Ort die Zeit nutzen, um neue Ersatzteile und Austauscheinheiten für jene Systeme herzustellen, für die die Nachfrage innerhalb der Flotte besonders groß war. Das galt auch für Brennstoffzellen und Raketen, mit denen die Bestände aufgefüllt werden sollten. Die Besatzungen der einzelnen Schiffe waren größtenteils damit beschäftigt, Wartungsarbeiten und Reparaturen durchzuführen.

Geary saß da und betrachtete das Display, das die Umgebung des Schiffs anzeigte. Das matte Grau des Sprungraums erstreckte sich in alle Richtungen, eine Unendlichkeit aus Nichts. Es war möglich, im Sprungraum ein Schiff zu verlassen, um beispielsweise an der Außenhülle Reparaturen vorzunehmen. Aber sobald der Kontakt mit dem Schiff auch nur für einen Sekundenbruchteil unterbrochen wurde, war der betroffene Mensch oder das benutzte Werkzeug verschwunden. Es befand sich nach wie vor im Sprungraum, jedoch an irgendeiner anderen Stelle. In ähnlicher Weise galt das auch für die Schiffe dieser Flotte, die sich alle gemeinsam im Sprungraum befanden, die sich aber gegenseitig nicht sehen konnten. Sie waren zwar in der Lage, untereinander Kontakt zu halten, doch die Nachrichten mussten sehr kurz und einfach sein. Der Unterschied zu Menschen oder Material bestand darin, dass jedes der Schiffe die Fähigkeit besaß, den Sprungraum auch wieder zu verlassen, wenn man am Ziel angekommen war. Wer aber den Kontakt zu seinem Schiff verloren hatte, für den gab es keine Rettung.

Als Folge dieser Risiken wurden Menschen im Sprungraum nicht für Reparaturarbeiten draußen eingesetzt. In Notfällen konnten Roboter zum Einsatz gebracht werden, doch in diesen Fällen musste man von vornherein damit rechnen, dass man diese Roboter nicht wiedersehen würde.

War das vielleicht die Erklärung für die rätselhaften Lichter im Sprungraum? Waren das verzweifelte Lichtsignale von Personen oder Objekten, die für alle Zeit im Nichts gefangen blieben? Der Gedanke ließ Geary schaudern. Da lebte es sich doch schon angenehmer mit dem vorherrschenden Glauben, der den Lichtern irgendeine mystische Bedeutung zuschrieb.

Beruhigend war auch die Tatsache, dass sich von außen keine Bedrohung nähern konnte, solange man im Sprungraum unterwegs war. Das gab ihm die Möglichkeit, sich für eine Weile auf andere Dinge zu konzentrieren.

»Ich gehe runter in mein Quartier«, sagte er zu Desjani. »Sind noch welche von diesen VIP-Wraps übrig?«

»Ich habe keine mehr ausfindig machen können«, erwiderte sie.

»Na, vielleicht esse ich ja auch was zusammen mit der Crew, um einen Eindruck von der momentanen Moral der Truppe zu bekommen.«

»Die Moral auf meinem Schiff ist in bester Verfassung, Admiral«, ließ Desjani ihn wissen. »Ich musste schon seit Tagen niemanden mehr auspeitschen lassen, nur damit die Moral sich bessert.«

»Das hört man gern, Captain.«

Der Spaziergang zum Speisesaal hatte fast etwas Entspannendes an sich. Die Mannschaft verspürte offenbar die gleiche Begeisterung wie Geary, endlich die Bärkühe hinter sich zu lassen und nach Hause aufzubrechen. Beim Essen unterhielt er sich mit einigen Besatzungsmitgliedern. Er fragte sie nach ihren Heimatwelten und erfuhr, dass der größte Teil von Kosatka stammte. Ein paar von ihnen waren dort gewesen, als er und Tanya auf dem Planeten wenige, aber umso unvergesslichere Tage verbracht hatten, die als Flitterwochen hatten reichen müssen. »Ich musste in der Zeit nicht ein einziges Mal einen Drink bezahlen«, berichtete ein Matrose. »Sobald ich eine Bar betrat und man sah den Namen Dauntless auf meinem Schiffsabzeichen, wurde mir prompt etwas spendiert.«

»Ich bekam zwei Heiratsanträge«, erzählte eine jüngere Frau. »Beiden habe ich gesagt, dass ich nichts dagegen einzuwenden hätte, dass aber mein Ehemann vermutlich nicht so begeistert wäre.«

Als das Gelächter nachließ, kamen andere Themen zur Sprache. Wenn man einen Admiral am Tisch hatte, kamen Matrosen üblicherweise auf Dinge wie Lebens- und Arbeitsbedingungen, auf Verpflegung und Freizeit zu sprechen, doch diesmal gab es für sie Bedeutsameres. Die Marines, die zu Tausenden an Bord des Superschlachtschiffs gegangen waren, hatten jedem davon erzählt, was sie dort erlebt hatten, sodass alle bereits einiges über diese Kreaturen wussten. Dennoch gab es immer noch Grund zur Sorge. »Werden wir dorthin zurückkehren, wo die Kiks leben, Admiral?«

Entschieden schüttelte Geary den Kopf. »Nein.« Er sah, wie die Frauen und Männer um ihn herum augenblicklich entspannter wurden, als sie seine eindeutige Antwort hörten. »Jedes Schiff, das in absehbarer Zeit zu ihnen geschickt werden sollte, muss schon vollautomatisch arbeiten. Ich werde nicht ein einziges weiteres Menschenleben opfern, um mit den Bärkühen Kontakt aufzunehmen.«

»Warum nehmen wir dieses riesige Schiff mit, Sir?«, wollte ein anderer wissen. »Es hält uns doch eigentlich auf, oder nicht?«

»Nur ein wenig«, räumte Geary ein. »Aber es ist von unschätzbarem Wert. Es steckt randvoll mit Bärkuh-Technologie. Wenn wir erst mal zurück in der Allianz sind und Zeit haben, jeden Aspekt zu analysieren, kann es natürlich sein, dass sich gar nichts Unbekanntes in diesem Schiff finden lässt. Vielleicht können sie ja gar nicht mehr als wir und erledigen die Dinge einfach nur auf eine andere Weise. Aber vielleicht stoßen wir auch auf Vorrichtungen, von denen wir gar nicht wussten, dass sie möglich sind.«

Ein älterer Systemtechniker nickte zustimmend. »Etwas Revolutionäres, das uns nie in den Sinn gekommen wäre. Wie soll man beziffern, welchen Wert so etwas haben könnte?«

»Ganz genau. Und falls wir nichts finden, was über unseren derzeitigen Wissensstand hinausgeht, dann haben wir uns zumindest ein Bild von den Grenzen gemacht, die den Bärkühen gesetzt sind.«

Wieder wurde zustimmend genickt, dann hielt ihm eine Matrosin ihre Dateneinheit hin, auf der ein Foto zu sehen war. »Admiral, sehen die G-… die Wesen, die uns geholfen haben… sehen die tatsächlich so aus?«

Es war eine gute Darstellung eines Spinnenwolfs, vermutlich stammte sie aus einer der Mitteilungen, die die Aliens der Flotte insgesamt geschickt hatten, kurz nachdem die das Honor-System erreicht hatte. Aber auch wenn die Matrosin sich noch rechtzeitig davon abgehalten hatte, in Gearys Gegenwart den Begriff GeV zu verwenden, kursierte der offensichtlich immer noch. »Ja, so sehen sie aus. Hässlich anzusehen, nicht wahr?«, fragte Geary, der damit versuchte, irgendwelchen abfälligen Bemerkungen schon im Voraus den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Aber das ist äußerlich. Innerlich scheinen sie uns viel ähnlicher zu sein als die Bärkühe oder die Enigmas.«

»Ein paar von ihnen wollten einer Rettungskapsel von der Balestra helfen«, merkte ein anderes Crewmitglied an.

»Damit sind sie sogar noch besser als die Syndiks«, warf jemand ein.

Das sich anschließende Gelächter klang ein wenig nervös. »Worauf es ankommt«, sagte Geary so überzeugend, wie er nur konnte, »ist die Tatsache, dass sie Seite an Seite mit uns gekämpft haben und dass sie auch versucht haben, uns in anderer Hinsicht zu unterstützen. Sie lassen uns ihr Hypernet benutzen, was uns viel schneller nach Hause bringt. Man beurteilt einen anderen nach seinem Handeln, nicht nach seinem Aussehen.«

»Sagen Sie das mal meinem Chief, wenn er das nächste Mal die Uniformen inspiziert, Admiral!«

»Ja, Admiral. Darf ich Sie dann mit diesen Worten zitieren?«

Geary lachte und stand auf. »Ich bin auch nur ein Admiral. Ich kann einem Chief nicht sagen, was er tun und lassen soll. Außerdem weiß ich von Captain Desjani, dass Sie die besten Matrosen der Flotte sind. Warum soll ich mich für eine Sonderbehandlung für Sie einsetzen?«

Als er den Speisesaal verließ, fühlte er sich besser, doch die Fragen der Matrosen hatten einige seiner eigenen Bedenken wiedererwachen lassen. In seinem Quartier angekommen, rief er General Charban an und bat ihn, so bald wie möglich vorbeizukommen.

»Admiral.« Endlich konnte sich auch der General ein wenig ausruhen, da er während des Flugs durch den Sprungraum nicht ständig versuchen musste, mit den Spinnenwölfen zu kommunizieren. »Sie wollten mich sprechen?«, fragte er, als er Gearys Quartier betrat.

»Ja, richtig.« Er deutete auf einen Stuhl, auf dem Charban Platz nahm. »Ich hatte schon befürchtet, Sie könnten schon eingeschlafen sein.«

»Nachdem ich so viele Tage hintereinander wach bleiben und Verhandlungen führen musste, wird mein Metabolismus noch ein paar Stunden benötigen, bis er sich so sehr verlangsamt hat, dass ich schlafen kann«, sagte Charban. »Ich könnte ihn mit Medikamenten dazu zwingen, aber mir ist es lieber, wenn mein Körper auf natürliche Weise in seinen Normalzustand zurückkehrt.«

»Ein kluger Zug«, meinte Geary. »Ich benötige eine offene, ehrliche Aussage von Ihnen, ohne den Druck, der durch die Anwesenheit weiterer Personen entstehen könnte. Sie hatten von allen an Bord den engsten Kontakt zu den Spinnenwölfen.«

»Gesandte Rione ist genau genommen die Einzige, die tatsächlich Kontakt mit ihnen hatte«, betonte Charban. »Aber diese Unterscheidung scheint das medizinische Personal nicht zu machen, das uns beide dem gesamten Spektrum aller nur denkbaren Untersuchungsmethoden ausgesetzt hat. Um mich auf das Treffen mit den Spinnenwölfen vorzubereiten, hatte ich ein paar Berichte über fiktive Begegnungen mit fremden Lebensformen gelesen, wie man sie sich in der fernen Vergangenheit vorstellte. In diesen alten Geschichten wird oft davon erzählt, dass die Aliens die Menschen mit Sonden und anderen Methoden der körperlichen Untersuchung überraschten. Aber die Spinnenwölfe waren äußerst höflich, stattdessen haben uns unsere eigenen Ärzte so eifrig mit Sonden traktiert, dass uns Hören und Sehen verging.«

»Das tut mir leid.« Geary nahm Charban gegenüber Platz. »General, ich möchte von Ihnen jeden Eindruck zusammengestellt bekommen, den Sie nicht in einem der vielen formalen Berichte erwähnt haben.«

»Einen Eindruck, Admiral? In welcher Hinsicht? Ich kann stundenlang meine Eindrücke zum Besten geben, aber es wäre hilfreicher, wenn ich ganz konkret wüsste, was Sie wissen wollen.«

»Können wir ihnen vertrauen?« Geary sah, dass Charban mit Erstaunen auf seine Frage reagierte. »Ja, ich weiß, sie haben Seite an Seite mit uns gegen die Bärkühe gekämpft. Aber wie sieht es jetzt aus? Der Sprungraum ist keine Frage des Vertrauens, weil wir wissen, wohin wir wollen. Mein Gefühl warnt mich jetzt nicht, dass wir etwa mit einer Falle oder einem Hinterhalt vonseiten der Spinnenwölfe rechnen müssen. Aber wir werden mit ihnen in ihr Hypernet vordringen, und dann sind wir völlig von ihnen abhängig, was den Ort angeht, wo wir letztlich rauskommen werden.«

»Verstehe.« Charban bedachte Geary mit einem ironischen Blick. »Admiral, hatten Sie schon mal mit Leuten zu tun, die Sie als gefährlich angesehen haben, weil sie unberechenbar sind? Sie wissen, was ich meine. Leute, die zu allem fähig sind und die jederzeit auf jeden losgehen könnten. Oder die etwas völlig Unerwartetes tun.«

Er nickte und musste unwillkürlich an Jane Geary denken, gleich danach kam ihm Commander Benan in den Sinn. Keinen von beiden Namen sprach er jedoch laut aus.

»Dann«, redete Charban weiter, »gibt es noch andere Typen, beispielsweise General Carabali, also Leute, die wegen ihrer Fähigkeiten gefährlich sind, die sie aber in einem eng gesteckten Rahmen zum Einsatz bringen. General Carabali schlägt erst zu, nachdem sie alle Optionen durchgespielt und entschieden hat, dass dieses bestimmte Ziel auf diese bestimmte Weise angegriffen werden muss.«

»Richtig«, stimmte Geary ihm zu. »Ich habe beide Typen kennengelernt.«

»Bei den Spinnenwölfen habe ich den Eindruck, dass sie zu diesem zweiten Typ gehören. Sie können äußerst todbringend sein, aber sie überlegen sich jeden Schlag gegen den Feind ganz genau. Sie handeln immer zugunsten ihrer Ziele, und diese Ziele und Pläne sind alle bestens durchdacht. Zum Beispiel diese Sache mit dem Muster, auf das die zivilen Experten gekommen sind. Allein so zu denken, also zu überlegen, wie eine Tat sich nicht nur auf die unmittelbare Umgebung, sondern auf alles auswirkt, das damit verbunden ist, das erfordert schon eine gründliche Planung. Sie und ich, wir könnten auf diese Weise vorgehen, weil wir das für besonders klug oder geschickt halten. Aber bei den Spinnenwölfen bin ich davon überzeugt, dass sie so handeln, weil sie glauben, sie müssen das tun.«

Geary dachte eine Weile darüber nach, während Charban geduldig wartete. »Ist schon irgendwie unheimlich, nicht wahr?«, entgegnete er schließlich. »Eine intelligente Spezies, die sich verpflichtet fühlt, über die Folgen und die Konsequenzen ihres Handelns erst einmal gründlich nachzudenken. Das macht sie intelligenter, als wir es sind.«

»Vielleicht, aber es ist auch immer eine Frage, wie man ›intelligent‹ definiert.« Charban schüttelte den Kopf. »Gehen sie Risiken ein? Ich glaube nicht. Jedenfalls nicht in einer Weise, wie wir es tun. Was ist mit Vertrauensvorschuss? Unwahrscheinlich, würde ich sagen. Spontane Handlungen? Plötzliche Inspiration, die sofortiges Handeln nach sich zieht? Halte ich bei ihnen auch nicht für möglich. Alles ist sorgfältig geplant.«

»Ingenieure«, sagte Geary. »Richtig gute Ingenieure. Sie planen, bevor sie handeln. Sie bauen nichts, von dem sie nicht genau wissen, dass es funktioniert. Wir könnten sie vermutlich überrumpeln.«

»Oder zumindest in Verwirrung stürzen.« Charban beugte sich vor und sah Geary eindringlich an. »Aber lassen Sie mich zum wichtigsten Teil meiner Einschätzung kommen, Admiral. Würde eine Rasse, die immer vorausplant, die sich mit unerwarteten oder unkontrollierbaren Ereignissen oder Konsequenzen beschäftigen möchte, eine Rasse, die stets Gewissheit darüber haben möchte, was als Nächstes geschieht… würde eine solche Spezies jemals absichtlich einen Krieg beginnen?«

Die Frage war leicht zu beantworten. »Nein.«

»Richtig. Krieg ist Chaos, Krieg ist unberechenbar. Ich habe mal eine Geschichte von einem König in der Antike gehört, der ein unfehlbares Orakel gefragt hat, was geschehen wird, wenn er in ein benachbartes Königreich einfällt. Das Orakel sagte ihm, wenn er das mache, werde ein mächtiges Königreich untergehen. Überzeugt davon, dass ihm der Sieg sicher war, begann er einen Angriff. Doch er verlor, und es war sein Königreich, das vernichtet wurde. Er hatte bei der Antwort des Orakels nicht in Erwägung gezogen, dass sein eigenes Reich gemeint sein könnte.«

»Unvorhersehbare Umstände«, sagte Geary.

»Ganz genau. Wären wir Menschen eine rationale Spezies, dann würden wir an unserer Geschichte ein Beispiel nehmen und nie wieder einen Krieg beginnen. Aber es gibt immer wieder Menschen, die sich einreden, dass es diesmal anders kommen wird und dass sie ganz genau voraussagen können, wie es ausgehen wird. Warum hat der Syndik-Exekutivrat vor hundert Jahren den Krieg gegen die Allianz begonnen, wenn ihnen doch hätte klar sein müssen, dass sie nicht mal mit der Hilfe der Enigmas gewinnen könnten? Ihnen hätte klar sein müssen, dass sie bei allem Blutvergießen nicht mehr als eine Pattsituation erreichen konnten. Aber wir Menschen finden eben immer wieder Mittel und Wege, anderen und uns selbst etwas vorzumachen. Ich glaube nicht, dass die Spinnenwölfe so denken. Ganz im Gegenteil: Ihre Neigung, alles Unberechenbare zu vermeiden, könnte sie daran hindern, ihren Nachbarn gegenüber je aggressiv aufzutreten.«

Geary nickte nachdenklich. »Aber Selbstverteidigung ist ein anderes Thema. Ein Zuwenig an Verteidigungseinrichtungen würde ein von ihnen nicht gewolltes Ergebnis herbeiführen, oder es würde einen Unsicherheitsfaktor ins Spiel bringen, weil sie nicht sagen könnten, ob jemand angreifen wird oder nicht.«

»Ja. Und das alles ist eine sehr verworrene Art, auf Ihre Frage zu antworten. Ja, ich glaube, wir können den Spinnenwölfen vertrauen. Ich bin mir sicher, dass sie keinen Krieg mit uns anfangen werden. Würden wir einen Krieg beginnen, dann würden sie mit all ihrer Schläue und ihrem Können zurückschlagen. Aber sie werden einen Krieg nicht anzetteln. Sie wissen nicht, welche Folgen das für die Strukturen und Muster haben könnte.«

Ja, es passte alles zusammen. »Eigeninteresse.«

»Wie bitte?«

»Eigeninteresse«, wiederholte Geary und erklärte: »Wie verhält sich jede nichtmenschliche intelligente Spezies? Auf eine Weise, von der sie glauben, dass sie ihren eigenen Interessen dient. Die Enigmas sind davon überzeugt, dass es für sie von entscheidender Bedeutung ist, alles über ihr Volk geheim zu halten, also tun sie alles, damit wir nichts über sie herausfinden. Die Bärkühe glauben, wir wollten sie aufessen, folglich greifen sie zu allen Mitteln, um uns davon abzuhalten. Und die Spinnenwölfe sind der Meinung, wir können ihnen helfen, ihre Muster und Strukturen zu verankern, wenn wir mit ihnen zusammenarbeiten. Würden wir sie attackieren, dann würden diese Strukturen gravierend gestört. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie nach dem streben, was ihrem Ermessen nach ihr Eigeninteresse darstellt.«

General Charban lehnte sich zurück und überlegte einen Moment lang. »Wir Menschen sind genauso. Warum sind wir jetzt hier? Weil wir es für wichtig hielten, über die Enigmas in Erfahrung zu bringen, ob wir mit ihnen fertigwerden können, ohne einen Krieg zu beginnen. Und weil wir herausfinden wollen, wie schlagkräftig sie sind. Es lag in unserem Eigeninteresse, die Flotte allen Risiken zum Trotz auf diese Mission zu entsenden.«

»Das Eigeninteresse der Menschheit als Ganzes, meinen Sie«, sagte Geary in stechendem Tonfall.

»Ja, richtig«, bestätigte Charban. »Diese Mission stellt nicht das Eigeninteresse des einzelnen Menschen in dieser Flotte in den Mittelpunkt. Vielleicht unterscheiden wir uns in dieser Hinsicht ja gar nicht so sehr von den Enigmas oder den Bärkühen. Die Menschheit ist bereit, für das Wohl der Gesamtheit ein paar aus ihren eigenen Reihen zu opfern. Ich werde Ihren Gedanken an die zivilen Experten weiterleiten, wenn Ihnen das recht ist. Das könnte ein Konzept sein, das uns hilft, auf emotionaler Ebene sogar mit der fremdartigsten Spezies in Kontakt zu treten.«

»Gut.« Geary hob eine Hand, um Charban davon abzuhalten aufzustehen. »Was die zivilen Experten angeht…«

»Ich glaube, denen können wir vertrauen, Admiral«, scherzte Charban, bemerkte dann aber Gearys Reaktion. »Sind Sie deswegen besorgt?«

»Ich weiß nicht. In letzter Zeit habe ich von ihnen einen wechselnden Eindruck. Jedenfalls von denen, die mit mir regelmäßig in Verbindung stehen. Sie müssen wissen, dass ich außer mit Dr. Setin und Dr. Shwartz kaum mit einem von ihnen etwas zu tun habe.«

»Verstehe.« Charban setzte sich wieder entspannter hin. »Ich habe mit jedem von ihnen zu tun. Wussten Sie, dass sich unsere zivilen Experten in drei Gruppen aufteilen? Eine kleine Gruppe war vor der Begegnung mit unserer ersten außerirdischen Spezies davon überzeugt, dass es zwischen unseren Rassen zu einem Kampf bis zum Tod kommen würde. Interessanterweise glauben sie das jetzt immer noch und betrachten jede neue Erkenntnis als Argument, das für ihre Einstellung spricht. Eine andere kleine Gruppe war der Ansicht, das Universum würde uns mit offenen Armen empfangen und uns Frieden und Freundschaft schenken. Diese Gruppe ist von ihrer Meinung ebenfalls nach wie vor fest überzeugt. Alle Probleme beim Kontakt mit den anderen Spezies beruhen demzufolge auf unseren Fehlleistungen.«

»Auf den Fehlleistungen des Militärs, wollten Sie sagen«, kommentierte Geary ironisch.

»Richtig. Und dann ist da noch die dritte und zugleich größte Gruppe. Diese Leute warten ab, bis sie einen Beweis sehen, um dann zu entscheiden, was dieser Beweis bedeutet. Um ehrlich zu sein, überrascht es mich, dass diese Gruppe so groß ausfällt, aber das hat meiner Meinung nach mit Dr. Setins Bemühungen zu tun, Einfluss darauf zu nehmen, welche Zivilisten uns begleiten sollten und welche nicht.« Sekundenlang schwieg Charban. »Diese Gruppe war zutiefst erschüttert über die Reaktionen der Enigmas und der Bärkühe, weil dieses Verhalten für die Gruppe spricht, die die Ansicht vertritt, dass das Universum uns hasst. Der Kontakt mit den Spinnenwölfen war ausgesprochen wichtig, um ihnen den Glauben an das Universum und an diese Mission zurückzugeben.«

»Meinen Sie denn, es ist da unten wieder alles in Ordnung? Gibt es keinen Anlass zur Sorge?«

»Das habe ich damit nicht gesagt, Admiral.« Zwar lächelte Charban, jedoch nicht, weil ihn irgendetwas amüsiert hätte. »Wenn wir ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt sind, wird es in akademischen und populären Veröffentlichungen zweifellos nur so von Artikeln wimmeln, in denen sich unsere Experten darüber auslassen, wie schlecht das Militär und einige der anderen Experten die Situation hier draußen gehandhabt haben. Und natürlich wird der jeweilige Verfasser darauf hinweisen, dass allein durch ihn eine völlige Katastrophe verhindert werden konnte.«

»Dann hat sich das Verhalten der Akademiker in den letzten hundert Jahren also kein bisschen verändert«, stellte Geary fest.

»Nein, natürlich nicht.« Nachdenklich sah Charban auf das Sternendisplay. »Dr. Setin war einer Ihrer größten Fürsprecher unter den zivilen Experten. Aber das Gemetzel auf dem Superschlachtschiff der Bärkühe hat ihn zutiefst erschüttert. Ich glaube, ihm ist klar, dass Sie keine andere Wahl hatten und dass wir alles versucht haben, die Bärkühe zur Kapitulation zu bewegen, anstatt auf Leben und Tod gegen sie zu kämpfen. Aber emotional haben ihm diese Geschehnisse große Schwierigkeiten bereitet. Dennoch ist er ein guter Mann mit klarem Verstand, und ich glaube, er wird darüber hinwegkommen.«

»Und Dr. Shwartz?«

»Eine bessere Verbündete als sie können Sie sich gar nicht wünschen, Admiral. Sie haben ihr gleich drei intelligente nichtmenschliche Spezies präsentiert, mit denen sie sich befassen kann. Die Umstände, unter denen wir mit diesen Spezies zusammengetroffen sind, waren nicht immer so, wie wir sie uns gewünscht hätten. Aber Dr. Shwartz ist eine von den wenigen Akademikerinnen, denen klar ist, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Universum, in dem sich ihre Theorien bewegen, und dem realen Universum.«

»Vielen Dank, General«, sagte Geary. »Kehren Sie jetzt bitte in Ihr Quartier zurück und fahren Sie Ihren Metabolismus weit genug runter, damit Sie sich ausruhen können.«

Die nächsten dreieinhalb Tage im Sprungraum verliefen ruhig. Geary fiel auf, dass Desjani ihre Crew zwar nach wie vor beschäftigte, aber gleichzeitig ungewöhnlich viel Freizeit gewährte, damit jeder sich eine längere Pause gönnen konnte. Er selbst gab sein Bestes, obwohl ihn ständig die Sorge plagte, wie weit die Enigmas noch von Midway entfernt waren. Hinzu kam die Frage, ob die Spinnenwölfe nicht vielleicht doch zu dem Schluss kommen würden, dass die Menschen eigentlich zu unberechenbar waren und es sich nicht lohnte, in ihnen Freunde oder Verbündete zu sehen.

Geary war längst wieder auf der Brücke der Dauntless, als die Flotte den Sprungraum verließ und in einem System auftauchte, das nach menschlichen Maßstäben erstklassig war. Zwölf Planeten kreisten um einen Stern, dessen nuklearer Hochofen so stabil lief, wie man es sich nur vorstellen konnte. Einer der Planeten war acht Lichtminuten von diesem Stern entfernt, sodass auf ihm ideale Voraussetzungen für Leben in der Form herrschten, wie die Menschheit es kannte. Zwei weitere Planeten kreisten auf ihrem Orbit bei neun Lichtminuten umeinander, beide waren relativ kühl, Ebbe und Flut mussten auf ihnen spektakulär sein. Zwei Lichtstunden seitlich der Flotte fand sich das, was nichts anderes als das Hypernet-Portal sein konnte.

»Richtig nett«, kommentierte Desjani zustimmend, während ihr Blick auf dem Display weiter nach irgendwelchen Bedrohungen suchte. In diesem System wimmelte es von Schiffen der Spinnenwölfe, die zwar alle die gleiche, wunderschön stromlinienförmige Bauart aufwiesen, von denen aber der größte Teil auf Strecken unterwegs war, die darauf hindeuteten, dass es sich bei ihnen um Handelsschiffe handelte, die von Planet zu Planet flogen.

Neben den sechs Schiffen der Spinnenwölfe, von denen die Allianz-Flotte begleitet wurde, hielten sich am Sprungpunkt nur zwei weitere ihrer Schiffe auf.

Geary schüttelte den Kopf. »Wir wissen, dass sie Schiffe vorausgeschickt haben, um unsere Ankunft anzukündigen, dennoch hätte ich erwartet, dass dieser Sprungpunkt von einer größeren Streitmacht bewacht wird, selbst wenn sie sich als Ehrengarde getarnt hätte. Können Sie sich vorstellen, dass Sie eine Flotte aus Kriegsschiffen einer fremden Spezies einfach Ihr Territorium durchfliegen lassen würden?«

»Vergessen Sie nicht diese getarnten Mega-Minen, die die Spinnenwölfe bei Honor versteckt hatten«, betonte Desjani. »Sie könnten hier alles Mögliche verborgen halten, das uns eine Menge Kummer bereiten würde, sobald wir was Verkehrtes machen.«

»Ich weiß Ihre Warnung zu schätzen, Captain«, erwiderte er. Sie hatte völlig recht. Nur weil er keine Vorsichtsmaßnahmen sehen konnte, bedeutete das nicht, dass da auch nichts war. »Gesandte Rione, General Charban, nehmen Sie bitte Kontakt mit unseren neuen Freunden auf und fragen Sie an, ob wir uns auf direktem Kurs zum Hypernet-Portal begeben sollen.«

Virtuelle Fenster öffneten sich rund um Geary. Dr. Setin, Lieutenant Iger, Captain Smythe… alle baten sie ihn inständig darum, so viel Zeit wie möglich zu schinden, damit sie mehr über dieses von den Spinnenwölfen bewohnte System herausfinden konnten. Geary schnitt ihnen allen das Wort ab, dankbar dafür, dass er als Flottenbefehlshaber diese Möglichkeit besaß. Dann antwortete er ihnen allen gleichzeitig: »Wir nehmen mit den Spinnenwölfen Kontakt auf, um sie zu fragen, auf welchem Kurs wir dieses System durchfliegen sollen. Wir werden ihre Wünsche befolgen müssen. Alle Sensoren dieser Flotte sammeln so viele Daten, wie sie nur können, und das werden sie auch weiter machen, solange wir uns in diesem Sternensystem befinden. Mehr kann ich Ihnen allen nicht versprechen.«

Desjani deutete auf ihr Display. »Unsere Eskorte nimmt Kurs auf das Portal. Folgen wir ihr?«

»Ja.« Bis die Gesandten den Kontakt zu den Aliens wiederherstellen konnten, mochte einige Zeit vergehen, daher hielt Geary es für das Sinnvollste, sich an die sicherste Vorgehensweise zu halten, und die bestand nun einmal darin, die Flotte hinter den sechs Schiffen der Spinnenwölfe herfliegen zu lassen. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass die vier mit dem erbeuteten Schiff der Bärkühe verbundenen Schlachtschiffe den Kurswechsel ebenfalls mühelos hinbekamen.

»Sie wissen ja, dass die uns genauso beobachten, nicht wahr?«, merkte Desjani an, während die Flotte auf den Kurs der Eskortschiffe einschwenkte.

»Ich weiß«, bestätigte er. Sein Blick war auf die beiden Schiffe der Spinnenwölfe konzentriert, die sie beim Verlassen des Sprungraums empfangen hatten. Ohne Vorwarnung beschleunigten sie und jagten zwischen den Schiffen der Allianz-Flotte hindurch, wobei sie sich mit der Eleganz eines Delfins bewegten, der unter Wasser um Hindernisse herumschwamm.

»Sie haben Kurs auf das GKS genommen«, sagte Desjani mit angespannter Stimme.

»Das GKS? Ach ja, das Superschlachtschiff der Kiks«, fiel Geary in diesem Moment wieder ein. Mit der Faust schlug er auf seine Komm-Kontrolle. »An alle Einheiten, hier spricht Admiral Geary. Stellen Sie sich keinem Schiff der Spinnenwölfe in den Weg, und eröffnen Sie nicht das Feuer, solange ich nicht ausdrücklich den Befehl dazu erteilt habe. Kein Waffenkontrollsystem darf ein Schiff der Spinnenwölfe auch nur als Ziel erfassen.«

Die beiden Spinnenwolf-Schiffe wurden langsamer und gingen auf einen Parallelkurs zu dem Superschlachtschiff und den vier Allianz-Schiffen, von denen es geschleppt wurde. Obwohl beide mit 0,1 Licht durchs All flogen, wirkte es, als würden diese Schiffe einfach im Weltraum stehen. Mit einer ungeheuer präzisen Bewegung teilten sich die Schiffe der Spinnenwölfe auf und flogen dicht über das ehemalige Kik-Schiff hinweg, um es genau zu untersuchen. Dieser Vorgang war noch nicht beendet, als sich Rione bei Geary meldete.

»Die Spinnenwölfe bitten um Erlaubnis, jemanden an Bord des gekaperten Bärkuh-Schiffs schicken zu dürfen.«

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