Vier

Geary saß in seinem Kommandosessel auf der Brücke der Dauntless und verfolgte, wie die Zahl auf der Entfernungsanzeige zur nächstgelegenen Festung der Aliens in rasendem Tempo kleiner wurde. Da die Flotte nach wie vor weit von ihrem Ziel entfernt war, wurde die Festung aber noch nicht erkennbar größer. Dennoch hatte Geary das Gefühl, dass sich die Dauntless und alle übrigen Schiffe ihr im Sturzflug näherten. Es war eine sonderbare Empfindung, geboren aus den Instinkten jener Vorfahren, die sich auf der Oberfläche einer weit entfernten Welt fortbewegt hatten.

Da das eigentliche Ziel der Flotte der Sprungpunkt war, über den die Festung der Aliens wachte, musste sie einen leichten Bogen am Rand des Sternensystems entlangfliegen. Dabei schien sich die Festung nur leicht rechts von Geary zu befinden — oder an Steuerbord, wie es auf den Schiffen der Menschen üblicherweise formuliert wurde. Sie waren noch immer vierzig Lichtminuten von der Festung entfernt, und da Geary beschlossen hatte, die Flotte weiter mit 0,1 Licht fliegen zu lassen, würde es noch fast sieben Stunden dauern, ehe sie die Festung erreichten.

Viel weiter seitlich und damit fast mittschiffs hing die Armada im All, die die Allianz-Flotte verfolgte. Für das menschliche Auge waren diese Schiffe noch nicht wahrnehmbar, doch die Displays gaben exakt an, dass diese Armada noch gut eine Lichtstunde entfernt war. Die relative Flugrichtung der Aliens hatte sich seit Stunden nicht mehr geändert, aber der Abstand zu ihnen schrumpfte immer mehr, da ihr Kurs sie in knapp acht Stunden mit der Allianz-Flotte zusammentreffen lassen würde.

Die Allianz-Flotte, die Festung der Aliens und deren Armada bildeten die Spitzen eines Dreiecks mit gewölbten Seiten, die von den Flugbahnen gezeichnet wurden, auf denen sich die verschiedenen Objekte einander näherten. Diese Seiten veränderten sich unablässig, da beide Flotten mit unverminderter Geschwindigkeit auf die Festung zuhielten.

Geary konzentrierte sich auf die Darstellung seiner Flotte. Eine ganze Reihe von Offizieren hatte erschrocken auf die Formation reagiert, in die er die Flotte gebracht hatte. Entgegen seiner Gewohnheit, die Schiffe zu mehreren Unterformationen zu ordnen, die unabhängig voneinander operierten, wies die Flotte diesmal eine einzelne, flache Kastenform auf. Die Hilfsschiffe und die Sturmtransporter befanden sich in der Mitte des Kastens, während die Schlachtschiffe, Schlachtkreuzer, Kreuzer und Zerstörer die Seiten und den Boden bildeten.

»Was genau versuchen wir hier eigentlich zu erreichen?«, hatte sich Captain Duellos erkundigt.

»Wir geben dem Gegner ein klares, konzentriertes Ziel«, hatte Gearys Antwort gelautet.

»Normalerweise versuchen Sie das doch zu vermeiden«, hatte Duellos erwidert.

Das stimmte zwar, jedoch ging es ihm jetzt darum, ein Ziel zu schaffen, das die Bärkühe einfach nicht ignorieren konnten.

Das größte Problem bei diesem Plan bestand darin, das richtige Timing zu finden. Alles, was seine Flotte tun sollte, musste exakt in dem Augenblick geschehen, in dem die Aliens reagieren mussten, damit alles wie vorgesehen ablief. Geary konnte vorläufig nichts anderes machen, als zu warten. Also versuchte er, sich zu entspannen, damit er fühlen konnte, wann der Moment gekommen war. »An alle Einheiten: Bei Zeit drei null drehen Sie zwei null Grad nach Steuerbord und fünf Grad nach unten.« Das sollte genügen.

Im All gab es kein Oben und kein Unten, und kein Schiff konnte von sich aus bestimmen, wo links und rechts war, ganz gleich in welche Richtung es sich bewegte. Also hatten die Menschen dafür eigene Regeln festlegen müssen. Bei der Ankunft in einem Sternensystem schufen die Flottensysteme eine Bezugsfläche, und zwar diejenige Ebene, auf der sich die Mehrheit der vorhandenen Planeten bewegte. Anhand dieser Ebene wurde »oben« und »unten« festgelegt, damit jedes Schiff wusste, was gemeint war. Genauso war jedem Schiff klar, dass Steuerbord die Seite bedeutete, die dem Stern zugewandt war, während Backbord in die entgegengesetzte Richtung wies. Es war ein simples, aber funktionierendes System, an dem man seit Jahrhunderten nichts mehr verändert hatte.

Desjani saß in ihrem Sessel gleich neben Gearys Platz. »Da die Flotte so konzentriert ist, erreichen wenigstens Ihre Nachrichten schneller den jeweiligen Empfänger.«

»Eine Sorge weniger«, pflichtete Geary ihr bei.

Dreißig Minuten nach der vollen Stunde vollzogen alle Schiffe der Formation gleichzeitig den befohlenen Kurswechsel, sodass sich die Kastenform selbst nicht änderte, wohl aber die Richtung, in die sie flog, da sie sich nun der gegnerischen Armada näherte. Von einem gewissen Stolz erfüllt, sah Geary mit an, wie das Manöver ausgeführt wurde. »Verdammt, die machen das richtig gut.«

»Wir wussten schon immer mit unseren Schiffen umzugehen«, betonte Desjani. »Sie haben uns nur wieder beigebracht, wie wichtig es ist, aufeinander abgestimmt zu agieren.«

»Kommen Sie, Tanya, Sie können mit einem Schiff im Schlaf besser umgehen als ich im hellwachen Zustand.«

»Ach, das sagen Sie doch jetzt nur, weil es wahr ist.« Sie nahm irgendeine Berechnung vor. »Also gut, die Bärkuh-Armada ist etwas mehr als neunundfünfzig Lichtminuten von uns entfernt. Das heißt, unsere Kursänderung sehen die in nicht ganz einer Stunde. Da wir uns jetzt schneller an sie annähern als zuvor, sollten wir ihre Reaktion in… weiteren sechsundfünfzig Minuten sehen können.«

»Sie dürften mit dieser Reaktion nicht lange auf sich warten lassen. Lieutenant Iger und die zivilen Experten sind anhand der mitgeschnittenen Videos der einhelligen Meinung, dass die Bärkühe tatsächlich wie eine Viehherde organisiert sind. Der Anführer entscheidet, was getan wird, und das stimmt er mit niemandem vorher ab.«

»Und der oberste Herdenanführer auf dem Planeten ist fünf Lichtstunden entfernt, also kann er nicht erst mit ihm Rücksprache nehmen«, ergänzte Desjani. »Wie werden Sie die nächsten zwei Stunden verbringen?«

»Mit Warten.«

»Ich wollte Ihnen eigentlich vorschlagen, sich ein wenig auszuruhen. Haben Sie schon gegessen?«

Als er den Kopf schüttelte, zog sie einen Verpflegungsriegel hervor, dessen Verpackung ungewöhnlich bunt war. »Versuchen Sie mal.«

Stirnrunzelnd nahm er ihn und betrachtete das Etikett. »Das ist kein Verpflegungsriegel, sondern ein ›Fusion-Cuisine Wrap‹. Nur für VIPs?«, las er vor und warf Desjani einen verwunderten Blick zu. »Wie viele haben wir davon?«

»Oh, einige«, antwortete sie, während sie genießerisch ihren eigenen Wrap kaute. »Die Crew wird sich über diese Abwechslung bei den Gefechtsrationen freuen.«

»Ich weiß, ich sollte das besser nicht fragen, aber wie sind die an Bord der Dauntless gelangt?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

»Mit anderen Worten: Sie haben nicht gefragt.«

»Sehe ich aus, als sei ich so dumm?«, gab Desjani zurück. »Wenn Sie Master Chief Gioninni fragen wollen, woher er die hat, nur zu. Aber ich wette, er wird Ihnen erzählen, dass die irgendwo rumlagen und vernichtet werden sollten, und er hat sie davor bewahrt.«

Geary biss von seinem Wrap ab, der gut schmeckte. Sehr gut sogar! Und vor allem viel, viel besser als die Verpflegungsriegel, die üblicherweise in der Flotte verteilt wurden. »Oh, ist das schön, ein VIP zu sein.« Er bemerkte ihren amüsierten Blick und stellte klar: »Nein, ich bin keiner. Und wieso tauchen diese Wraps erst jetzt auf?«

»In der Kantine der Chiefs stehen die bereits zur Verfügung, seit wir Varandal verlassen haben«, sagte sie. »Ich…«

»Sie haben die Chiefs ertappt?«

»Ich habe von der Verfügbarkeit der Wraps erfahren«, redete Desjani in todernstem Tonfall weiter, »und Master Chief Gioninni angewiesen, sie umgehend im Kontrollsystem für den Lebensmittelbestand an Bord dieses Schiffs zu erfassen.«

»Verstehe.« Geary biss wieder von seiner Portion ab. »Hat der Master Chief irgendwelche ungewöhnlichen Aktivitäten auf den Hilfsschiffen berichtet?«

Desjani schüttelte den Kopf. »Da war nichts los, ›womit man den Admiral behelligen müsste‹, wie er es ausdrückt. Mit anderen Worten, es laufen die üblichen inoffiziellen Dinge ab, würde ich sagen, aber nichts Bedenkliches.« Sie aß den Rest ihres Wraps. »Was macht Ihr grünhaariger Lieutenant?«

»Seit wir hier eingetroffen sind, habe ich von Lieutenant Kleeblatt nichts mehr gehört.«

»Kleeblatt?«

»Das ist ihr Spitzname. Ich weiß nicht, wieso ich mir den Spitznamen besser merken kann als ihren richtigen Namen. Vielleicht liegt’s an den Haaren. Lieutenant… Jamenson.«

Desjani grinste. »Ich bin froh, dass meine Vorfahren nicht auf die Idee gekommen sind, mir in meinem Gencode grünes Haar angedeihen zu lassen.«

»Geht mir ganz genauso.« Geary wurde wieder ernst und dachte über die mysteriösen Aktivitäten rund um den Bau von Kriegsschiffen nach, auf die sie gestoßen war, nachdem sie Hunderte von Routinenachrichten auf Details und scheinbare Nebensächlichkeiten untersucht hatte. »Alle Ingenieure haben rund um die Uhr gearbeitet, um die Schäden zu reparieren. Ich bezweifle, dass noch Zeit geblieben ist, um sich damit weiter zu beschäftigen.«

»Captain Smythe hat vermutlich Klüngeleien durchgezogen, von denen Master Chief Gioninni nur träumen kann«, warnte sie ihn.

»Solange er dafür sorgt, dass meine Schiffe einsatzbereit bleiben, soll es mir egal sein.« Geary aß den Rest seines Wraps auf. »Stimmt doch, oder?«

»Ja, natürlich. Noch einen?«

Die Crew war nicht glücklich, da sie wusste, dass die Kursänderung die Flotte früher als bis dahin erwartet mit der feindlichen Armada zusammentreffen lassen würde. Geary spürte die besorgten Blicke der Wachhabenden um ihn herum.

»Diese Bärkühe werden vermutlich glauben, dass wir vorhaben, sie zu rammen«, sagte er zu Desjani und war dabei laut genug, um von den Wachhabenden gehört zu werden.

»Dann wartet jetzt schon eine Enttäuschung auf sie«, erwiderte sie in der gleichen Lautstärke, fügte dann aber leiser hinzu: »Sofern das hier funktioniert.«

»Captain«, meldete Lieutenant Yuon. »Wir empfangen Sensorwerte zur Ablenkung der kinetischen Projektile durch die Festung der Aliens.«

»Und was sagen uns diese Werte?«, fragte Desjani.

»Ähm… Captain…« Yuon schüttelte hilflos den Kopf. »Die Werte sagen uns, dass die Projektile abgelenkt wurden.«

Sie drehte sich auf ihrem Platz um und sah Yuon an. »Das ist alles?«

»Ja, Captain. Die Sensoren haben nichts registriert außer der Änderung des Vektors, die dazu führte, dass die Festung verfehlt wurde.«

»Leiten Sie die Werte an alle Schiffe der Flotte weiter«, befahl Geary. »Vielleicht fällt ja irgendjemandem irgendetwas auf.«

Yuon zögerte. »Sir, Lieutenant Iger hat gesagt, dass die Werte geheim sind und unter der Aufsicht eines einzelnen Benutzers bleiben müssen.«

Auf eine sonderbare Art ergab das einen Sinn, da eine solche Technologie der Bärkühe in den Händen bestimmter Menschen einen immensen taktischen Vorteil gegenüber anderen Menschen darstellen würde.

Aber damit es dazu überhaupt kommen konnte, musste die Flotte erst einmal diese Technik der Bärkühe überwinden, und dazu war es nötig, so viel wie möglich so schnell wie möglich über deren Funktionsweise in Erfahrung zu bringen. »Lassen Sie Lieutenant Iger wissen, dass ich seinen Befehl widerrufe. In diesem Fall ist der Sicherheit der Flotte am ehesten gedient, schnellstens alles über die Technologie der Aliens herauszufinden.«

Geary lehnte sich zurück und musste wieder warten, da es im Augenblick nichts gab, mit dem er sich hätte beschäftigen können.

»Da haben wir es«, sagte Desjani. »Nicht mal eine Minute, nachdem sie unsere Vektoränderung bemerkt haben, sind sie auf einen neuen Kurs zu uns gegangen.«

Geary nickte. Sein Blick war auf das Display gerichtet, auf dem zu sehen war, dass die Aliens ihre Armada nach Backbord hatten schwenken lassen, damit sie noch früher mit der Allianz-Flotte zusammentreffen konnten. »Augenblick mal. Wie viel Geschwindigkeit haben sie weggenommen?«

»Um einiges«, erwiderte sie und klang nachdenklich, während sie mit einer Hand die neuen Daten auf ihrem Display nachvollzog. »Interessant. Als wir den Kurs änderten, erhöhte sich dadurch die kombinierte Geschwindigkeit, mit der wir aufeinandertreffen würden.«

»Richtig, und zwar auf gut 0,25 Licht, wenn wir beide unsere Geschwindigkeit nicht verringert hätten. Also deutlich zu schnell für unsere Gefechtssysteme, um die relativistische Verzerrung auszugleichen.« Je schneller sich ein Schiff im normalen Raum bewegte, umso verzerrter war das Bild des umgebenden Universums, da es den Gesetzen der uralten Relativitätstheorie folgte. Wenn es daran ging, bei einem wenige Millisekunden dauernden Feindkontakt Waffen auf den Gegner zu richten, genügte schon eine winzige Abweichung zwischen der Wahrnehmung des Universums durch das Schiff und dessen tatsächlichen Zustandes, um das Ziel weit zu verfehlen. Die Gefechtscomputer der Menschen konnten diese Verzerrung bis zu einer Geschwindigkeit von 0,2 Licht recht gut ausgleichen, doch alles, was darüber hinausging, führte seitens der Systeme zu so vielen Fehlberechnungen, dass ein Treffer praktisch unmöglich wurde. »Ich bin davon ausgegangen, dass sie irgendwann langsamer werden, aber sie haben ja augenblicklich ihre Geschwindigkeit reduziert.«

»Und sie bremsen immer noch ab«, sagte Desjani. »Diese Superschlachtschiffe benötigen eine Weile, ehe sie spürbar langsamer werden. Lieutenant Castries.«

»Ja, Captain?«

»Behalten Sie die Flugbewegungen der gegnerischen Armada im Auge und geben Sie Bescheid, wenn sich ihre Geschwindigkeit stabilisiert hat.« Desjani lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen, als würde sie mit einer Waffe ein Ziel anvisieren. »Zuvor hatten sie früher als erwartet aufgehört zu beschleunigen.« Sie betätigte einige Kontrollen. »Ja. Als wir aufeinandertrafen, betrug unsere kombinierte Geschwindigkeit… 0,17 Licht.«

»0,17.« Geary rieb sich das Kinn. »Ich dachte, sie würden wieder beschleunigen, wenn sie sich uns ein Stück genährt haben. Aber vielleicht wollen sie nicht, dass wir uns bei einer darüber liegenden Geschwindigkeit begegnen.«

»Wollen wir wetten, dass sie so stark abbremsen, bis wir uns wieder bei 0,17 Licht begegnen werden?«, fragte Desjani.

»Falls ja…« Geary merkte, dass er zu lächeln begonnen hatte. »Unsere Gefechtssysteme sind besser als ihre.«

»Deutlich besser«, ergänzte Desjani. »Aber was glauben Sie, warum sie ihre Geschwindigkeit schon so früh drosseln? Warum warten sie nicht noch?«

»Gute Frage.« Die Antwort darauf konnte seinen gesamten Plan in Gefahr bringen, basierte der doch auf der Annahme, dass der Feind auf seine Flotte losstürmen würde. Geary gab die Frage weiter an die zivilen Experten und hoffte darauf, dass sie etwas Brauchbares liefern konnten.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, ehe Lieutenant Castries sich bei Desjani meldete. »Sie haben jetzt eine gleichbleibende Geschwindigkeit erreicht, Captain.«

»Danke. Was sagen die Steuersysteme zur kombinierten Geschwindigkeit, wenn wir den Bärkühen begegnen?«

»Wenn es keine Veränderungen mehr gibt, dann wird die bei… 0,17 Licht liegen, Captain.«

»Na bitte.« Desjani lachte leise auf.

»Gut erkannt, Tanya.« Geary nahm verschiedene Aktualisierungen an seinem Plan vor und berücksichtigte dabei die Tatsache, dass die Armada der Bärkühe ihre Geschwindigkeit reduzierte, wenn der Kontakt bevorstand. »Das heißt, unser nächstes Manöver findet erst in eineinhalb Stunden statt.«

»Admiral, jemand von einem der Sturmtransporter möchte mit Ihnen sprechen«, meldete der Komm-Wachhabende. »Aber Ihr Komm ist so eingestellt, dass der Ruf blockiert wird.«

Er konnte jetzt eigentlich keine Ablenkung gebrauchen, dennoch sah er nach, wer da etwas von ihm wollte. Es war Dr. Setin, einer der zivilen Experten. »Warum blockiert meine Software Setin?«, grummelte er vor sich hin.

Desjani hörte es und warf dem Komm-Wachhabenden einen finsteren Blick zu. »Die Systemfachleute sollen sich die Filtersoftware des Admirals ansehen und herausfinden, warum die falschen Kontakte blockiert werden.«

Geary widerrief die Sperre, sofort tauchte ein Fenster auf, das Dr. Setins Gesicht zeigte, gleich daneben befand sich Dr. Shwartz. »Admiral«, sagte Setin freudig. »Dr. Shwartz hat eine interessante Theorie über die Aliens in diesem Sternensystem. Sie beruht auf einer Vielzahl von Beobachtungen und Analysen und…«

»Doctor«, unterbrach Geary ihn. »Im Moment stecke ich mitten in den Vorbereitungen für eine erneute Konfrontation mit diesen Aliens. Können Sie Ihre Theorie so knapp wie möglich zusammenfassen?«

»Als Menschen sind wir den Umgang mit Wesen gewöhnt«, begann Dr. Shwartz hastig, »die bei einer Bedrohung oder Verfolgung zuerst abrupt beschleunigen, entweder weil sie ihrem Verfolger entkommen wollen oder weil sie eine Beute fangen wollen, wobei sie für einen kurzen Zeitraum auf maximale Beschleunigung gehen. Aber ein intelligentes Wesen — und damit rede ich von einer Intelligenz, wie sie der typische Jäger oder die typische Beute besitzen — ist sich einer Sache bewusst: Wenn ihm erst einmal die Flucht gelungen ist oder wenn ihm die Beute doch noch entwischt ist, dann kann sich eine lange Jagd anschließen. Bei dieser Jagd bewegt sich der Jäger ebenso wie die Beute mit einer Geschwindigkeit fort, die sie über lange Zeiträume hinweg halten können.«

Geary dachte darüber nach, sein Blick kehrte zurück zum Display. »Das machen die Bärkühe jetzt gerade mit uns? Anstatt sich mit maximaler Geschwindigkeit zu nähern, bewegen sie sich in einem Tempo auf uns zu, das für sie am effizientesten ist?«

»Das würde ich so sagen, Admiral.«

»Dr. Shwartz, das ergibt doch keinen Sinn. Sie laufen nicht hinter uns her, sie sind in Raumschiffen unterwegs. Die Antriebssysteme werden nicht wegen Überlastung ausfallen, und der Treibstoff geht ihnen auch nicht aus, es sei denn, sie hätten ihre Schiffe so widersinnig konstruiert, dass sie tatsächlich keine Belastung aushalten. Wenn wir dieses Sternensystem schon längst verlassen haben, werden sie noch immer nicht die Reserven ihrer Brennstoffzellen antasten müssen.«

»Admiral«, sagte Dr. Shwartz, hielt kurz inne und redete dann weiter: »Sie gehen von der Annahme aus, dass diese Aliens uns nur so lange verfolgen wollen, wie wir uns hier in ihrem System aufhalten.«

Geary musste diese Worte erst einmal verarbeiten, um zu verstehen, was Dr. Shwartz damit in letzter Konsequenz meinte. Die Aussichten gefielen ihm ganz und gar nicht. »Sie meinen, die könnten uns verfolgen? Durch den Sprungpunkt?«

»Admiral, es ist möglich, dass sie uns verfolgen werden, solange sie nur können, um uns zu vernichten und so sicherzustellen, dass wir nicht zurückkehren und die Herde noch einmal bedrohen. Diese Pflanzenfresser haben die Kontrolle über ihre Welt erlangt, sie haben diese Festungen errichtet. Das heißt, sie müssen beharrlich sein und über lange Zeit Ziele verfolgen können. Und sie müssen bereit sein, alles zu tun, um Bedrohungen unschädlich zu machen.«

»Danke, das ist eine… interessante Auslegung. Allerdings will ich sehr hoffen, dass Sie sich irren.« Nachdem sich das Fenster geschlossen hatte, wandte sich Geary zu Desjani um und berichtete ihr von der Theorie, die ihm soeben erklärt worden war.

»Na, toll.« Sie ballte die Fäuste, als wollte sie sich für einen Nahkampf bereit machen. »Ich frage mich, ob die genug Ressourcen besitzen, um uns bis ins Gebiet der Allianz zu verfolgen.«

»Ohne Hilfsschiffe, die sie mit neuen Brennstoffzellen versorgen oder was immer sie für ihren Antrieb benutzen?«, gab Geary zurück.

»Diese Superschlachtschiffe sind groß genug, um solche Produktionsanlagen und die entsprechenden Vorratsräume zu beherbergen«, machte sie ihm klar. »Wissen Sie, diese Schiffe sind längst nicht so unsinnig, wie ich bislang gedacht habe. Vielleicht pflanzen sie auf manchen Ebenen sogar ihre Nahrung an. Ein sich selbst versorgendes Kriegsschiff, das jedes benötigte Ersatzteil herstellen kann, ist in der Lage, unbegrenzte Zeit zu reisen, solange es von Zeit zu Zeit die Vorräte an Rohstoffen und allem anderen auffüllt, wenn es in einem System unterwegs ist.«

Er betrachtete die Darstellung der Superschlachtschiffe und sah sie auf einmal mit ganz anderen Augen. »Sie haben recht. Es könnte sein, dass sie nicht allein aus gefechtstaktischen Überlegungen so riesig sind. Damit hätten wir eine Sorge mehr.«

»Wir könnten sie bis ins Syndik-Gebiet locken und dann abschütteln, damit sie sich da austoben können«, schlug Desjani vor und fügte sogleich hinzu: »Das war übrigens nur ein Scherz.«

»Danke, dass Sie das klargestellt haben«, meinte er nur halb im Scherz. Als er Tanya das erste Mal begegnet war, hatte sie noch viele der hässlichen Einstellungen und Überzeugungen mit sich herumgetragen, die in hundert Jahren Krieg entstanden waren. Damals gab es nur wenig, was sie den verhassten Syndikatwelten nicht angetan hätte, ohne Rücksicht darauf, ob sie Militär oder Zivilisten vor sich hatte. Auf ihrer Seele fanden sich noch viele Narben dieses Kriegs, aber sie ließ sich nur selten etwas davon anmerken. »Aber wenn sie uns folgen, werden wir sie irgendwo kampfunfähig machen müssen, wo sie nicht von ihren Festungen unterstützt werden und wo sie nicht auf all die Ressourcen zurückgreifen können, die dieses System ihnen bietet.«

Sie nickte und lächelte flüchtig. »Mir ist aufgefallen, dass Sie noch kaum ein Wort über den Stern verloren haben, zu dem wir springen wollen.«

»Wir werden sehen, was uns da erwartet, und dann werden wir uns damit auseinandersetzen.«

»Admiral?«, meldete sich der Komm-Wachhabende zu Wort. »Captain Smythe von der Tanuki versucht Sie zu erreichen, aber er sagt, dass er eine Sperrmitteilung angezeigt bekommt.«

»Captain Smythe?« Geary sah zu Desjani. »Ich weiß ganz genau, dass meine Komm-Einstellungen keine Sperre bei ihm enthalten.«

Desjanis Miene verfinsterte sich, und er haute mit Wucht auf die interne Komm-Kontrolle. »Systemwartung, hier spricht der Captain. Etwas stimmt nicht mit der Komm-Software für den Flottenkommandanten. Finden Sie heraus, was es ist, und beheben Sie es auf der Stelle. Verstanden?«

»Ja, Captain!« Die Stimme des Mitarbeiters aus der Systemüberwachung klang beunruhigt, was auch nur angebracht war, wenn Desjani in diesem Tonfall mit jemandem redete.

»Stellen Sie Captain Smythe zu mir durch«, wies Geary den Komm-Wachhabenden an.

Ein Fenster öffnete sich, der verwundert dreinblickende Smythe tauchte darin auf. »Komm-Probleme, Admiral? Ist nur so eine Vermutung, aber anders lässt sich eigentlich nicht erklären, dass ich nicht direkt zu Ihnen durchgekommen bin.«

»Offenbar ja«, antwortete Geary. »Es wird bereits daran gearbeitet.«

»Wahrscheinlich haben Sie… ist das der einzige Vorfall? Oder haben Sie noch was in dieser Art mitgekriegt?«

»Mindestens ein weiteres Problem bei meinen Komm-Einstellungen.«

»Admiral, ich will Sie nicht unnötig beunruhigen«, sagte Smythe, dessen Gesichtsausdruck mit einem Mal große Sorge verriet. »Möglicherweise ist das kein Softwareproblem. Jedenfalls dann nicht, wenn die Betriebssysteme ordentlich arbeiten. Aber wenn die Prozessoren und Speicherstifte des Komm-Systems physische Fehler entwickeln, wird das bei der Software für widersprüchliches Verhalten sorgen.«

Geary wusste, dass wegen der geringen Lebenserwartung der Schiffe alles in der Flotte kurz vor dem Zusammenbruch stand, doch an dieses spezielle Problem hatte er nicht gedacht. Wenn er jetzt Probleme mit dem Komm hatte, so kurz vor einem neuerlichen Zusammentreffen mit den Aliens, dann… »Captain Desjani, ich höre gerade von Captain Smythe, dass es ganz gut wäre, wenn Ihre Systemtechniker auch die Hardware im Komm-System überprüfen, also Prozessoren und Speicherstifte.«

Sie verstand sofort die Bedeutung dieser Worte und sah Geary nur einen Moment lang stumm an. »Systemwartung! Hardware überprüfen! Chefingenieur! Ich benötige eine sofortige und umfassende Überprüfung aller Prozessoren, die mittelbar oder unmittelbar mit dem Komm zu tun haben.«

Smythe, der nichts von Desjanis Befehlen hören konnte, sagte zu Geary: »Ich melde mich eigentlich wegen der Orion. Die Kupua hat alle Reparaturen an der beschädigten Hauptantriebseinheit ausgeführt. Die Bereitschaftssysteme der Flotte werden Ihnen anzeigen, dass die Orion wieder bei hundert Prozent Leistung ist. Allerdings hat die Befehlshaberin der Kupua, Commander Miskovic, mir gesagt, sie sei besorgt.«

»Besorgt?« Sie ist besorgt? Was würde sie wohl dazu sagen, dass im Augenblick nicht klar ist, ob das Komm-System funktioniert, während wir auf eine Begegnung mit einer gegnerischen Flotte zurasen. »Aus welchem Grund?«

»Die Systemtests sind fehlerlos verlaufen«, erklärte Smythe und suchte nach den richtigen Worten »Aber… Miskovic hat mir gesagt, dass sie sich ihrem Gefühl nach nicht gut anfühlen.«

»Was soll das heißen?«, wollte er wissen.

»Das soll heißen, dass es kein erkennbares Problem mit dem Antrieb der Orion gibt, Admiral. Trotzdem hat eine begabte und erfahrene Frau kein gutes Gefühl.« Smythe machte eine frustrierte Geste. »Ich muss Sie ja nicht erst darauf aufmerksam machen, dass die Orion im abgelaufenen Jahr etliche Treffer hat einstecken müssen und dementsprechend oft repariert worden ist. Manchmal waren das sogar sehr hastige Reparaturen. So etwas kann auf manchmal undefinierbare Arten zusammenspielen.«

»Ich verstehe nicht.«

Ein paar Sekunden lang wirkte Smythe erschrocken, dann bekam er sich wieder unter Kontrolle. »Oh ja, natürlich. Sie haben nicht Ihre ganze Karriere über im Gefecht verbracht, jedenfalls nicht nach der Schlacht bei Grendel. Ich bitte um Verzeihung, Admiral, aber heute neigt jeder zu der Annahme, dass alle Offiziere, die man kennt, ihr Leben lang von einer Schlacht zur nächsten gezogen sind. Aber es bedeutet, dass Sie keine große Erfahrung mit Systemen haben, die wiederholt im Gefecht beschädigt und repariert wurden. Ich muss allerdings auch einräumen, dass das nicht so oft vorgekommen ist, wie man eigentlich meinen sollte, weil einfach zu viele Schiffe vollständig zerstört wurden oder sie nur noch ausgeschlachtet werden konnten. Aber so etwas addiert sich mit der Zeit, genauso wie die normale Beanspruchung ihre Spuren hinterlässt.«

Geary spürte, wie Kopfschmerzen einsetzten, und er versuchte, sich zu entspannen. Wenn er zuließ, dass die persönliche Beanspruchung Spuren bei ihm hinterließ, dann konnte das zu gravierenden Fehlurteilen und falschen Entscheidungen führen, die sich diese Flotte nicht leisten konnte. »Was genau bedeutet das in diesem konkreten Fall?«

»Das bedeutet, dass zwar alle Tests ein einwandfreies Funktionieren der Antriebssysteme der Orion ergeben. Dennoch ist die Ingenieurin, die diese Tests vorgenommen hat, der Meinung, dass bei dem Schiff mit nur minimaler oder sogar ganz ohne Vorwarnung ein massives Problem mit dem Antrieb auftauchen kann. Ich finde, das sollten Sie wissen.«

»Kann ich von mir aus irgendetwas tun?«, wollte Geary wissen.

»Dann müssten Sie schon alle Systeme der Orion überholen, austauschen oder neu bauen«, antwortete Smythe. »Das ist zwar geplant, aber der Termin wird kontinuierlich nach hinten geschoben.«

Geary nickte verstehend. »Danke, Captain Smythe. Falls es unerwartete Probleme mit den Antriebssystemen der Orion geben sollte, bin ich wenigstens schon geistig darauf gefasst.« Bitte, Vorfahren, legt bei den lebenden Sternen ein gutes Wort ein, damit das nicht ausgerechnet mitten in einem Gefecht passiert!

»Ist Commander Shen davon in Kenntnis gesetzt worden?«

»Ja, Admiral. Er schien nicht sonderlich erfreut zu sein. Allerdings macht Commander Shen nie einen erfreuten Eindruck.«

Desjani beugte sich vor. »Der Fehler steckte in den Prozessoren, die die Kommunikation auf einer übergeordneten Ebene koordinieren. Bei mehreren Speicherstiften sind die Updates nicht mehr vorhanden.«

Smythe hörte sie reden und nickte. »Genau das ist es. Sie verlieren nach und nach ihre Speicherfähigkeit. Deshalb kehren Ihre Systeme in die Grundeinstellung zurück. Es ist nichts, was im ersten Moment sonderlich auffällt, aber die Speicherprobleme werden sich auf alle Ihre Systeme ausweiten.«

»Meine Systemingenieure tauschen momentan die betroffenen Stifte aus«, sagte Desjani. »Können sie sonst noch etwas tun?«

»Sie können den Rest des Systems durch ein neues ersetzen«, meinte Smythe seufzend. »Das Versagen dieser Stifte ist in Ihrem Komm-System das Gleiche wie der Kanarienvogel in einer Kohlenmine. Verlassen Sie sich ab sofort nicht auf die normalen physischen Ausrüstungsdiagnosen und Selbsttests. Betrachten Sie das System als krank, bis wir alles ausgetauscht haben.«

»Captain Smythe«, erwiderte Geary, wobei er alle Mühe hatte, ruhig und gelassen zu klingen. »Wir sind auf dem Weg in eine Schlacht. Wollen Sie mir erzählen, dass ich mich nicht auf das Komm-System der Dauntless verlassen kann?«

Er spürte, wie sich Desjani neben ihm verkrampfte. Sie war immer besonders stolz darauf gewesen, dass ihr Schiff das Flaggschiff war, außerdem eilte ihr der Ruf voraus, dass alles und jeder an Bord der Dauntless stets in bester Verfassung und jederzeit einsatzbereit war. Wenn er so kurz vor dem nächsten Gefecht mit seiner Flagge auf ein anderes Schiff wechseln musste, weil entscheidende Systeme der Dauntless nicht zuverlässig arbeiteten, wäre das für Tanya und ihre Crew eine Blamage.

Smythe dagegen behandelte die Frage lediglich aus der Sicht eines Ingenieurs. »Ich müsste eine umfassende Inspektion und einen Testlauf vornehmen, um auf diese Frage antworten zu können, Admiral. Allerdings gibt es ja offensichtlich erste Probleme an Bord der Dauntless

Desjanis Miene hatte sich verfinstert, und sie schien zu einer hitzigen Erwiderung bereit zu sein.

Sollte er seine Loyalität gegenüber Tanya und seine Vertrautheit mit der Dauntless und ihrer Besatzung schwerer wiegen lassen als seine Verantwortung, über ein Flaggschiff zu verfügen, das ein zuverlässiges Komm-System vorweisen konnte? Die Konsequenzen einer Entscheidung auf Grundlage seiner Gefühle anstelle kalter Logik konnten extrem gravierend sein.

Aber in einem Krieg gab es auch noch andere Faktoren, die mit kalter Logik rein gar nichts zu tun haben. Faktoren, die über den Ausgang einer Schlacht entscheiden konnten. Wie würde die Flotte reagieren, wenn sie alle miterlebten, wie er in letzter Minute ein neues Flaggschiff bestimmte und die Dauntless verließ, obwohl die äußerlich keine Schäden aufwies? Wie viele Mutmaßungen über den Grund für eine solche Maßnahme würden im nächsten Augenblick überall in der Flotte die Runde machen? Welchen Schaden konnten solche Gerüchte dem Kampfgeist und der Disziplin dieser Flotte zufügen?

Ohne zu ahnen, was Geary in diesem Moment durch den Kopf ging, redete Smythe weiter. Seine Miene war ernst, sein Blick auf einen weit entfernten Punkt gerichtet, während er über das Problem nachdachte. »Offensichtlich ist auch, dass die Dauntless das Problem bereits erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet hat. Außerdem kann sich auf jedem anderen Schiff jederzeit die gleiche Situation ergeben. Aber niemand weiß, wie langwierig oder umfangreich die Reparaturen ausfallen können…«

»Vielen Dank, Captain Smythe«, unterbrach ihn Geary, der die Anspannung inzwischen bei jedem auf der Brücke spürte, nicht nur bei Desjani. Auch wenn er nicht wusste, ob es die richtige Entscheidung war, sagte ihm sein Verstand, dass er diesmal seinem Gefühl den Vorrang geben musste. »Die Dauntless arbeitet an dem Problem, und ich habe volles Vertrauen in meine Crew, dass sie dieses Problem auch beheben kann. Ich bin von ihr noch nie enttäuscht worden.«

»Wie Sie meinen, Admiral. Es ist Ihre Flotte. Ach ja, vergessen Sie nicht diese Sache bei der Orion

»Glauben Sie mir, Captain Smythe, das werde ich ganz bestimmt nicht vergessen.« Er lehnte sich zurück und atmete aus. Als er zu Desjani schaute, sah er, wie sie über ihre internen Komm-Leitungen mit ihren Leuten redete. Von Anspannung war ihr nun nichts mehr anzumerken. Ringsum arbeitete die Brückencrew der Dauntless und strahlte dabei Ruhe und Entschlossenheit aus. »Wie sieht es aus?«, fragte er Desjani.

Sie beendete ihre Unterhaltung und drehte sich zu ihm um. »Noch zehn Minuten, dann sind der Austausch der Komponenten und die Systemüberprüfungen abgeschlossen. Eine umfassende Inspektion der physischen Komponenten wird erheblich länger dauern, aber wir arbeiten dran, Admiral.«

»Vielen Dank.«

»Nein, Sir, ich habe zu danken.« Sie lächelte ihn an. »Sie haben öffentlich Ihr Vertrauen in mein Schiff und meine Crew ausgesprochen.«

Er zuckte mit den Schultern und fühlte sich ein wenig verlegen, dass seine Worte ihr und ihren Leuten so viel bedeuteten. »Ich habe nur die Wahrheit gesagt. Die Dauntless hat mich nie enttäuscht. Wenn es ein Schiff in dieser Flotte gibt, das wirklich unbesiegbar ist, dann die Dauntless

Desjani wurde schlagartig ernst. »Und jetzt versuchen Sie, mein Schiff mit einem Fluch zu belegen.«

»Ich wollte nur…«

»Hören Sie lieber auf, solange es noch geht, Admiral. Ich bin mir sicher, Sie werden sich später bei den lebenden Sternen für diese Äußerung entschuldigen, aber für den Augenblick tun wir einfach so, als hätten Sie das nicht gesagt. Konzentrieren wir uns stattdessen auf die Tatsache, dass Black Jack kein anderes Flaggschiff haben möchte.«

Fast hätte er damit gezögert, seine nächsten Manöverbefehle auszusenden, da er sich unwillkürlich fragte, ob die den Rest der Flotte erreichen oder ob sich weitere Probleme beim Komm-System bemerkbar machen würden. Doch Desjanis Personal hatte gemeldet, dass das System zumindest im Augenblick ordentlich arbeitete. »An alle Einheiten: Bei Zeit eins fünf drehen Sie sechs fünf Grad nach Steuerbord und drei Grad nach unten.«

Alle Schiffe befolgten gleichzeitig den Befehl, und wieder änderte die Schachtelformation ihre Richtung, ohne dabei die Form zu verlieren. Die Flotte beschrieb nun eine Kurve weg vom Stern und von der herannahenden Flotte, die jetzt nur noch zwanzig Lichtminuten entfernt war.

»Das wird den Bärkühen aber gar nicht gefallen«, merkte Desjani an.

»Solange sie das tun, was wir von ihnen erwarten«, meinte Geary.

»Und was genau erwarten wir?«, fragte Victoria Rione von ihrem Platz im hinteren Bereich der Brücke aus.

Geary drehte sich mit seinem Sessel zu ihr um. »Wir versuchen, sie dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen. Ich nehme an, wir haben von ihnen immer noch nichts gehört, richtig?«

»Nein«, erwiderte Rione. »Nicht mal ein trotziges ›Muh‹, das einem das Blut in den Adern gefrieren lassen könnte. Ich glaube, Ihre Experten haben recht. Diese Wesen reden nicht mit ihren Feinden, sondern räumen sie einfach aus dem Weg.«

In diesem Moment betrat General Charban die Brücke. »Schlecht für jeden, der eigentlich nie ein richtiger Feind gewesen ist. Allerdings nehme ich an, dass sie den Begriff Feind sehr weit auslegen. Ich hatte gerade eine faszinierende Unterhaltung mit Dr. Shwartz.«

»Irgendwelche neuen Erkenntnisse?«, erkundigte sich Geary. Es dauerte noch gut vierzig Minuten, bis sie die Reaktionen der Bärkühe auf ihr jüngstes Flugmanöver beobachten konnten, also konnte er diese Zeit auch nutzen und womöglich noch etwas Brauchbares herausfinden.

»Jedenfalls nichts Gutes«, sagte Charban.

»Wie kommt es nur, dass von Dr. Shwartz so selten etwas Erbauliches kommt?«

Charban lächelte ihn an. »Dazu kann ich leider nichts sagen. Aber ich kann Ihnen berichten, welche Schlussfolgerungen unsere Experten aus den fortgesetzten Analysen der Oberfläche des bewohnten Planeten gezogen haben. Wie Sie wissen, ist fast sämtliches Land mit Gebäuden bedeckt.«

»Genau. Gebäude, auf deren Dächern Getreide angebaut wird.«

»Es ist überall das gleiche Getreide, Admiral. Welchen Bereich der Oberfläche wir uns auch angesehen haben, es existiert dort unten so gut wie keine Abwechslung in der Vegetation.«

»Auf dem ganzen Planeten?«

Desjani bekam das mit und schnaubte ungläubig. »Sie haben alles andere ausradiert? Der Planet ist mit ihnen bedeckt und dem, was sie als Nahrung anbauen?«

»So gut wie restlos«, entgegnete Charban. »Sie haben nicht nur sämtliche Jäger ausgerottet, sondern auch alles andere aus dem Verkehr gezogen, was ihnen im Weg hätte sein können. In den abgefangenen Videos sahen wir hin und wieder vogelähnliche Kreaturen, außerdem ein paar kleinere Bestien, bei denen es sich um Haustiere zu handeln scheint. Aber wenn man davon absieht, begegnet man überall auf dieser Welt nur Bärkühen. Ausgenommen irgendwelche Aufführungen, bei denen wohl historische Ereignisse nachgespielt werden. Dort tragen diese Wesen primitive Rüstungen und liefern sich Gefechte mit anderen Kreaturen. Bei denen handelt es sich klar erkennbar um digitale Spezialeffekte, die vermutlich die inzwischen ausgestorbenen Jäger darstellen.«

»Gefechte?« Das klang nach einer Gelegenheit, einen genauen Eindruck von der Art und Weise zu erhalten, wie diese Geschöpfe kämpften. »Können Sie mir ein solches Video sofort rüberschicken?«

»Auf jeden Fall, Admiral.« Charban drückte auf seine Komm-Einheit und nickte Geary zu.

Desjani beugte sich zu Geary hinüber, um sich Charbans Übermittlung ansehen zu können. Dabei ignorierte sie den herablassenden Blick, den Rione ihr wegen dieser körperlichen Nähe zu Geary zuwarf.

Ein neues virtuelles Fenster öffnete sich vor Geary, und er sah ganze Reihen von Bärkühen, die Schilde und lange Speere trugen, während sie gegen Widersacher vorrückten, die vergeblich auf die Wand aus Schilden einschlugen. Früher oder später wurden sie alle von den Speeren ihrer Widersacher durchbohrt.

»Eine beeindruckende Zurschaustellung in Sachen Disziplin«, merkte Charban an. »Die Bärkühe bleiben in der Formation, jede an ihrer Position. Sie bewegen sich im Gleichschritt vorwärts, alle reagieren sofort auf die erteilten Befehle.«

»Ich sehe nicht besonders viel Drama«, kommentierte Desjani. »Sie bedienen sich ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit, um die Jäger zurückzudrängen, einzukreisen und schließlich aufzuspießen.«

»Das ist auch alles, was sich da ereignet«, sagte Charban. »All diese Geschichtsvideos laufen gleich ab. Wir konnten nicht einen einzigen Fall finden, in dem eine einzelne Bärkuh den Helden spielt. Offenbar gefällt es diesen Kreaturen, dabei zuzusehen, wie die Massen ihrer eigenen Armee in Bewegung sind. Ich habe das nachgeprüft und konnte Vorfälle in der Menschheitsgeschichte finden, die grobe Ähnlichkeiten dazu aufweisen. Eine antike Gesellschaft auf der Alten Erde beispielsweise kämpfte in ganz ähnlichen Formationen mit einer geschlossenen Front aus Schilden. Heldentum und Drama drehten sich einzig um die simple Frage, ob jeder Soldat seinen Platz in der Formation beibehalten konnte, wenn die zwei Streitmächte aufeinandertrafen.«

»Sie sind gar nicht so anders als wir«, warf Rione ein. »Es gibt Dinge, bei denen wir Gemeinsamkeiten feststellen könnten, wenn sie nur mit uns reden würden. Aber unsere anfängliche Vermutung, dass diese Pflanzenfresser uns einzig aus dem Grund angegriffen haben, weil sie uns für Jäger hielten, war unvollständig.«

»Es gibt noch einen anderen Grund?«, hakte Geary nach.

Sie deutete in die Richtung, in der sich der weit entfernte Heimatplanet der Bärkühe befand. »Wir sind für sie Konkurrenz, Admiral, und Konkurrenz können sie nicht dulden. Sie haben auf ihrer Heimatwelt alle Konkurrenz vernichtet, und wären sie nicht durch die Anwesenheit der Enigmas darauf beschränkt, hier in ihrem System zu bleiben, hätten sie sich inzwischen vermutlich bis in die von den Menschen kontrollierten Gebiete vorgewagt und dabei jede andere Lebensform überrannt, auf die sie dabei gestoßen wären.«

»Was ist mit den Systemen, die in entgegengesetzter Richtung liegen? Müssen wir davon ausgehen, dass die Bärkühe zu allen Seiten von den Enigmas umgeben sind?«

»Das können wir zumindest hoffen«, meinte Rione. »Ja, ich weiß, keiner von uns hätte vor dem Eintreffen in diesem System so etwas für möglich gehalten, aber inzwischen kommen einem die Enigmas als das kleinere Übel vor.«

»Pandora«, sagte Desjani.

»Was?«, fragte Geary stellvertretend für jeden auf der Brücke.

»Eine von den alten Legenden«, erläuterte sie. »Von der Sorte, die den Frauen die Schuld an allem Schlechten gibt. Pandora hat irgendeine Kiste oder etwas in der Art aufgemacht, und darin befanden sich alle möglichen üblen Dinge. Ich glaube, Pandora wäre ein passender Name für diesen Stern.«

»Die alten Legenden gaben nicht den Frauen die Schuld an allem Schlechten«, widersprach Charban. »Das betraf nur Frauen, die… die nicht auf das hörten, was man ihnen gesagt hatte.«

»Was für eine feinsinnige Unterscheidung«, kommentierte Rione sarkastisch. »Es ist ja auch so schwer zu betonen, wie wichtig es ist, dass eine Frau gehorsam ist.«

Desjani grinste, als sie Charbans Verlegenheit bemerkte, bis ihr klar wurde, dass sie sich damit auf Riones Seite gestellt hatte. Rasch konzentrierte sie sich wieder auf Geary. »Nur noch fünf Minuten, bis wir ihre Reaktion zu sehen bekommen.«

Um nicht in eine Diskussion über die historischen Ansichten zum »angemessenen« Verhalten einer Frau hineingezogen zu werden, nickte Geary nur und wandte den Blick nicht von seinem Display ab. Die Bärkühe sollten auf sein jüngstes Manöver in der Form reagieren, dass sie ihren Kurs nach Backbord und leicht nach unten korrigierten und erneut beschleunigten, um auf einen neuen Abfangkurs zur Allianz-Flotte zu gehen.

»Es besteht immer noch das Risiko«, merkte Desjani an, »dass die Flotte sich zurückzieht und uns ihre Festung überlässt.«

»Ich weiß. Unser nächstes Manöver wird uns aber viel näher an sie heranbringen. Wenn das zutrifft, was wir über diese Aliens wissen und vermuten, sollten sie dann dicht hinter uns bleiben.«

Die feindliche Armada änderte ihren Vektor genau im erwarteten Moment und nahm damit exakt die Kursänderung vor, die nötig war, um weiterhin auf Abfangkurs zu bleiben. Außerdem beschleunigten die Kriegsschiffe. Geary ließ ihnen Zeit, bis die Bärkühe ihren neuen Kurs erreicht hatten. Er gab den nächsten Befehl an seine Flotte aus, während die gegnerischen Schiffe immer noch beschleunigten. »An alle Einheiten: Bei Zeit zwei sieben drehen Sie eins drei vier Grad nach Steuerbord und fünf Grad nach oben.«

Diesmal näherte sich die Allianz-Flotte in einem weiten Schwenk der Armada, wobei sich jedes Schiff innerhalb der Kastenformation drehte.

»Sie sind achtzehn Lichtminuten entfernt«, sagte Desjani. »Aber auf unserem neuen Kurs verkürzen wir diese Strecke. Momentane Näherungsgeschwindigkeit liegt bei 0,24 Licht, und sie werden weiter beschleunigen, bis sie sehen, dass wir Kurs auf sie genommen haben.«

Geary nickte, seine Aufmerksamkeit galt ganz der Festung der Aliens. Die Flotte hatte sich auch ihr inzwischen genähert, sodass die Schiffe auf der Backbordseite nur noch gut zweiundzwanzig Lichtminuten davon entfernt waren. Die Armada befand sich an der Steuerbordseite der Allianz-Schiffe, womit Festung, Allianz-Flotte und Armada fast eine Linie bildeten. »Von jetzt an werden wir schnellere Kursänderungen vornehmen, und vieles davon muss instinktiv geschehen, da uns keine Zeit bleibt, erst einmal die Reaktion der Bärkühe abzuwarten, ehe wir unseren nächsten Zug machen. Lassen Sie es mich wissen, sobald Sie ein ungutes Gefühl haben.«

»Bei Flottenmanövern sind Sie besser als ich«, sagte Desjani. »Sehr viel besser sogar.«

»Aber Sie können einschätzen, ob sich die Dauntless in die gewünschte Richtung bewegt. Geben Sie mir einfach Bescheid, wenn Ihnen etwas seltsam vorkommt. Jedes Schiff in dieser Flotte hält seine Position zur Dauntless, und wenn sie sich so bewegt, wie wir es wollen, dann bewegt sich auch die Flotte so, wie wir es wollen.«

»Ja, Sir.«

Fünfundsiebzig Minuten bis zum Kontakt — oder eher nur noch siebzig, wenn die Bärkühe weiter so beschleunigten wie bisher.

Er hatte seine Captains davon in Kenntnis gesetzt, was passieren sollte. Im Verlauf der nächsten Stunden beschrieb die Flotte wiederholt Wendemanöver, mal nach Backbord, nach Steuerbord, mal um hundertachtzig, mal um dreihundertsechzig Grad. Damit wurden die gegnerischen Kriegsschiffe gezwungen, ihrerseits auch immer wieder Kursänderungen vorzunehmen und die Geschwindigkeit zu drosseln oder zu erhöhen. Wären diese Gegner Menschen, dann würde sich in ihnen längst Frust und Ärger regen, da die Flotte immer wieder dazwischen wechselte, auf ein früheres Zusammentreffen zuzusteuern oder die Verfolgungsjagd in die Länge zu ziehen. Natürlich bestand das Risiko, dass Gearys eigene Captains die gleiche Reaktion verspürten. Aber mit jedem Manöver kamen die Bärkühe mit ihren Kriegsschiffen den Menschen ein Stück näher, während sich die Allianz-Flotte der Orbitalfestung näherte. Die doppelte Bedrohung aus Armada auf der einen und Festung auf der anderen Seite genügte hoffentlich, um die hitzköpfigsten Captains in Gearys Flotte davon abzuhalten, aus der Formation auszuscheren und auf den Feind loszugehen.

Als die Flotte wieder einen weiten Bogen nach Backbord flog, dachte Geary über die Vor- und Nachteile der Art und Weise nach, wie die Bärkühe kämpften. Jeder Kämpfer blieb exakt an dem Platz, den man ihm zugeteilt hatte, und er tat genau das, was sein Commander ihm befahl. Es musste ein gutes Gefühl sein, sich keine Sorgen darüber machen zu müssen, jemand könnte plötzlich ausscheren und irgendetwas auf eigene Faust versuchen.

Aber dann hätte er eine Flotte voller Schiffskommandanten, von denen jeder noch schlimmer war als Captain Vente. Unfähig zu eigenständigem Handeln, wenn die Umstände das erforderten; völlig fixiert darauf, exakte Anweisungen zu erhalten; so blind, dass sie jeden Befehl befolgten, selbst wenn der offensichtlich verkehrt war. Zu viel und zu wenig Disziplin waren die beiden Seiten ein und derselben Münze, mit der sich nur die Niederlage erkaufen ließ.

»Der Anführer dieser Armada dürfte inzwischen vor Wut kochen«, sagte Desjani. »Sie spielen nur mit ihnen, anstatt zum Angriff überzugehen.«

»Das ist der Sinn der Sache.« Nicht mehr lange. Die Kastenformation seiner Flotte hatte sich Stück für Stück vorgearbeitet und war nur noch ein paar Lichtminuten von der Festung entfernt. Damit befand sie sich inzwischen aber auch fast auf der gegenüberliegenden Seite der Armada, die sich soeben abmühte, zum wiederholten Mal nach Steuerbord zu drehen. Die gewaltigen Superschlachtschiffe benötigten dabei jedoch einen enormen Wendekreis und wurden währenddessen von den kleineren Schiffen begleitet, die ihre relative Position zu den Riesen zu keiner Zeit verließen. Geary hatte seine Flotte immer wieder nach oben und unten fliegen lassen, während die Einheiten der Bärkühe hin und her zogen, und das jüngste Manöver dieser Art brachte seine Schiffe einige Grad unter die Ebene dieses Systems.

Auf seinem Display beobachtete Geary, wie die Bestandteile dieser bislang unblutigen Schlacht auf den Kurs schwenkten, auf den er den ganzen Tag hingearbeitet hatte. Dieser Kurs lenkte die Allianz-Flotte unter die Festung. Gleich hinter ihr befand sich auf fast gerader Linie der Sprungpunkt, den sie erreichen mussten. Auf der Backbordseite der Allianz-Flotte und der Festung glitt die Armada auf einem Kurs auf Gearys Schiffe zu, der sie dicht an der Festung vorbeiführen würde. Das wird den Commander der Bärkühe nicht stören. Er will mich, er will meine Flotte, und er muss sich keine Sorgen machen, von der Festung angegriffen zu werden. Und die Festung ihrerseits hat mich fest im Blick, während sie darauf wartet, dass wir nahe genug kommen, damit sie ihre Raketenschiffe starten können.

Der eine achtet nicht auf den anderen, weil beide meinen, dass das nicht nötig ist.

Hoffe ich zumindest.

Jetzt.

»An alle Einheiten: Bei Zeit vier neun drehen Sie drei fünf Grad nach Steuerbord. Beschleunigen Sie auf 0,15 Licht.«

Steuerdüsen arbeiteten mit maximaler Leistung, als die Flotte ihre Bewegung nach Backbord beendete und in einem wedelnden Manöver nach Steuerbord zurückkehrte. Die Hauptantriebseinheiten flammten auf und trieben die Kriegsschiffe zu einem höheren Tempo an, während ihre Drehung noch nicht ganz abgeschlossen war.

Geary ließ die schwerfälligen Hilfsschiffe in der Mitte der Formation nicht aus den Augen, da er wusste, dass dieses Manöver sie an die Grenzen ihrer Fähigkeiten brachte. Wenn eines von ihnen die Bewegung der Flotte nicht mitmachen konnte, musste er auf der Stelle eine Kurskorrektur anordnen, damit sie nicht in Gefahr gerieten.

Aber auch wenn die Hüllenbelastung der Hilfsschiffe auf seinem Display einen roten Alarm aufblinken ließ, hielten sie mit dem Rest der Flotte mit. Geary atmete angestrengt durch und merkte nichts davon, dass er den Schiffen beide Daumen drückte. »An alle Einheiten: Nehmen Sie die Modifizierte Formation Hotel ein.«

Auf der Backbordseite seiner Flotte würde die mittlerweile viel zu nahe Armada zwar das letzte Manöver sehen, das diesmal nicht ausreichte, um erneut einer Feindberührung auszuweichen. Und sie würden auch sehen, wie die Allianz-Schiffe abrupt ihre Geschwindigkeit veränderten und einen Satz nach vorn machten, um die Zielerfassungssysteme zu verwirren und eine direkte Konfrontation zu erschweren. Und dann würden sie sehen, wie sich mitten in diesem Flugmanöver die Ränder der Flottenformation auflösten.

Hunderte von Schiffen flogen scheinbar wild durcheinander, die einen tauchten ab, die anderen stiegen auf. In Wahrheit waren diese Manöver exakt aufeinander abgestimmt. Die Schlachtschiffe, die sich nicht ohnehin auf der obersten Ebene der Formation befanden, nahmen Kurs nach oben, um sich den anderen anzuschließen und eine geschlossene Lage aus schlagkräftigen Schiffen zu bilden. Die Schlachtkreuzer bildeten an der Vorder- und der Rückseite der Formation Schwärme, um diese Bereiche zu sichern oder um die Schlachtschiffe zu unterstützen. Schwere Kreuzer sanken ein Stück weit nach unten, damit sie die Hilfsschiffe und Sturmtransporter wie eine schützende Schicht umgeben konnten. Leichte Kreuzer und Zerstörer suchten sich einen Platz inmitten der Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer.

Die Masse der Formation blieb dabei allerdings relativ kompakt, während sie geradewegs auf die Festung zuflog, unter der sie dann aber hinwegtauchen würden.

Auf der Brücke der Dauntless herrschte gebannte Stille. Jeder hatte den Blick auf sein Display gerichtet und wartete darauf, wie die Armada reagieren und wann die Festung ihre Raketenschiffe starten würde.

»Jetzt gibt es kein Zurück mehr«, murmelte Desjani. Sie waren auf ihrem Kurs so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr schnell genug der Festung und der Armada ausweichen konnten, um eine Kollision zu verhindern.

»Da kommen sie«, sagte Geary.

Die Armada hatte beigedreht und drosselte ihre Geschwindigkeit, wobei die plumpen Superschlachtschiffe sich anstrengen mussten, um das Flugmanöver vollziehen zu können. Die Kurve, die die vorausberechnete Flugbahn der Armada anzeigte, driftete ein wenig zur Seite und kam direkt unter der Festung zum Stillstand. Die massigen Schiffe der Bärkühe konnten aber nicht schnell genug abbremsen. »Kombinierte Geschwindigkeit beim Zusammentreffen auf 0,19 Licht geschätzt«, verkündete Desjani mit jener unnatürlichen Ruhe und Gelassenheit, die bei ihr im Angesicht einer Schlacht völlig normal waren.

»An alle Einheiten«, wies Geary an. »Eröffnen Sie das Feuer auf jedes Ziel, das in Feuerreichweite gelangt.«

Tage waren vergangen, dann Stunden, danach Minuten, und nun blieben nur noch Sekunden, während die drei Elemente dieser Schlacht aufeinander zurasten. Würde die Festung ihre Raketen genau rechtzeitig abfeuern, um die Allianz-Flotte im Augenblick des Vorbeiflugs zu erwischen? Oder…?

»Da kommen sie«, sagte Desjani und wandte sich an ihre Brückencrew. »Schießen Sie auf alles, was uns nahe genug kommt.«

Die Raketenschiffe waren gestartet und sprangen förmlich von der Oberfläche der Festung ins All, doch die Starts kamen ins Stocken, da sich die Armada in ihrem blinden Eifer, die Allianz-Flotte zu treffen, zwischen die Flotte und die Festung schob. Mit einer kombinierten Geschwindigkeit von gut siebenundfünfzigtausend Kilometern in der Sekunde stellten sich die Schiffe den Raketen in den Weg, die die Allianz-Flotte zum Ziel hatten.

Geary hatte das Ganze wie einen antiken Stierkampf geplant. Indem er den Stier in Rage versetzte, dirigierte er ihn dorthin, wo er ihn haben wollte, bis es zum letzten Aufeinandertreffen kam. Bei dem würde der Stier allerdings an seinem Widersacher vorbeistürmen, da er ihn an einer anderen Stelle vermutete.

Das eigentliche Feuergefecht dauerte nur Millisekunden und lief zu schnell ab, als dass die menschlichen Sinne davon etwas hätten mitbekommen können. Automatische Gefechtssysteme wählten die Ziele aus und feuerten auf Gegner, die eben noch hier und im nächsten Augenblick bereits weit entfernt waren. Partikelstrahlen schnitten tödliche Wunden in Schiffsrümpfe, Phantomraketen wurden gestartet, um auf Ziele zu treffen, die zu nah waren, um Ausweichmanöver zu fliegen. Hier und da kamen sogar Kartätschen zum Einsatz, metallene Kugeln, die mit ungeheurer Wucht auf Schilde und Panzerplatten trafen. Die Dauntless wurde von Explosionen durchgeschüttelt, die bereits weit hinter ihr zurückgefallen waren.

Noch bevor Geary sich mit den Schäden befassen konnte, die seine Flotte erlitten hatte, rief er bereits neue Befehle: »An alle Einheiten: Mit maximaler Verzögerung auf 0,1 Licht abbremsen.«

Die Kriegsschiffe drehten sich auf der Stelle, während sich ihre Antriebseinheiten abmühten, die Geschwindigkeit weit genug zu drosseln, damit sie den Sprungpunkt benutzen konnten, der sich jetzt unmittelbar vor ihnen befand.

»Viele Fehlschüsse«, ließ Desjani ihn wissen und atmete hörbar erleichtert durch. »Sieht so aus, als hätten die Bärkühe blindlings auf uns gefeuert.«

Geary schaute kurz auf die Anzeigen für den Flottenstatus. Seine Schiffe hatten ihren Beschuss auf die Raketen des Gegners konzentriert und die kleine Welle kurz vor dem Erreichen ihrer Zeile ausgelöscht, allerdings hatten die Detonationen in unmittelbarer Nähe für einige Schäden gesorgt. Die Bärkühe, deren Feuerkontrollsysteme bei einer kombinierten Geschwindigkeit von 0,19 Licht mit denen der Menschen nicht mehr mithielten, hatten trotz der immensen Salven ihrer Superschlachtschiffe nicht viel Schaden anrichten können. Sein Blick kehrte zur anderen Anzeige zurück, auf der er mitverfolgte, wie seine Schiffe allmählich langsamer wurden und sich der Marke von 0,1 Licht näherten, während der Sprungpunkt mit sehr hoher Geschwindigkeit auf sie zuzurasen schien.

»Wir schaffen es«, stellte Desjani fest.

»Aber nur knapp.« Dennoch genügte es, um erfolgreich zu sein. »Alle Einheiten: Springen Sie jetzt!«

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