Dreizehn

Geary sah Rione eindringlich an. »Sind Sie sich sicher, dass die dem Schiff nur einen Besuch abstatten wollen? Oder wollen sie es unter ihre Kontrolle bringen? Oder Ausrüstungsgegenstände mitnehmen?«

Desjani schaute stur geradeaus und tat so, als hätte sie nichts mitbekommen. Also lag die Entscheidung ganz allein bei ihm. »Na gut. Sagen Sie ihnen, sie können ein paar Teams rüberschicken«, sagte er zu Rione, ehe er eine andere Taste bediente. »Admiral Lagemann, sind Sie auf Besucher eingestellt?«

Es dauerte eine weitere halbe Stunde, ehe eines der Spinnenwolf-Schiffe sich der Luftschleuse näherte, die die Ingenieure dort eingebaut hatten, wo von den Marines Löcher in den Rumpf des Superschlachtschiffs gesprengt worden waren, um an Bord zu gelangen. Inzwischen stand ein Empfangskomitee bereit, unter anderem bestehend aus Admiral Lagemann, dem hochrangigsten Marine an Bord, sowie einigen Ingenieuren. Obwohl die Menschen allesamt Schutzanzüge oder Gefechtsrüstungen trugen und die Spinnenwölfe selbst auch von ihrer Schutzpanzerung eingehüllt waren, vollzogen sie ihre obligatorische Begrüßung in Form der vorsichtigen »Luftumarmung«, bei der jeder unmittelbare Körperkontakt mit den Menschen vermieden wurde.

Als er sich die Abordnung der Allianz ansah, bemerkte Geary, dass zu ihr auch Lieutenant Jamenson gehörte, auch wenn er das nur anhand des angezeigten Namens erkennen konnte. Der Helm machte es unmöglich, ihr leuchtend grünes Haar zu sehen. Er rief den Chefingenieur der Tanuki. »Captain Smythe, ich dachte, Lieutenant Jamenson befindet sich an Bord der Orion

»Richtig, Admiral, aber ich habe ihr eine Individualbewegung von Schiff zu Schiff aufgetragen, damit sie Teil des Empfangskomitees sein kann.«

»Wieso?«

Smythe grinste ihn an. »Zum einen möchte ich wissen, wie die Spinnenwölfe auf einen Menschen reagieren, dessen körperliches Erscheinungsbild nicht dem… na, dem Muster entspricht, das sie gewöhnt sind. Natürlich wird das nur funktionieren, wenn sie sich in einen Bereich begeben, in dem Lieutenant Jamenson ihren Helm abnehmen kann. Außerdem ist mir eingefallen, dass sie sich mit ihren besonderen Fähigkeiten nützlich machen könnte, wenn sie die Spinnenwölfe in Aktion erlebt. Vielleicht fällt ihr etwas auf, das keiner von uns bislang bemerkt hat.«

»Zwei gute Ideen, Captain. Vielen Dank.«

Desjani machte eine skeptische Miene. »Das ist der Lieutenant, die Dinge durcheinanderbringt, nicht wahr? Ich meine die Frau, die das absichtlich macht.«

»Richtig«, bestätigte Geary.

»Und wie soll uns das bei den Spinnenwölfen behilflich sein?«

»Es ist die Kehrseite ihrer Fähigkeit, die uns helfen könnte«, erklärte Geary. »Lieutenant Jamenson kann auch Informationen entdecken, die unter Bergen von anderen Daten vergraben liegen, die aber mit einem Sachverhalt zusammenhängen.«

»Sie meinen, sie kann Strukturen erkennen?«

»Sozusagen.«

»Dann ist es vielleicht gut, dass sie mit dabei ist.« Desjani lehnte sich in ihrem Sessel nach hinten und berührte die Taste für die schiffsinterne Kommunikation. »Wir haben etwas mehr als neunzehn Stunden Reisezeit bis zum Hypernet-Portal vor uns«, ließ sie ihre Crew wissen. »Die Zeit werden wir nutzen, um das Schiff von außen auf Vordermann zu bringen.«

Die Spinnenwölfe verbrachten sechs Stunden an Bord des gekaperten Kriegsschiffs, wobei sie sich vor allem auf die Kontrollen und die Maschinenräume konzentrierten. Die menschliche Delegation konzentrierte sich ihrerseits darauf, die Spinnenwölfe aufmerksam zu beobachten. Lieutenant Jamenson erhielt zwar die Gelegenheit, ihren Helm abzunehmen, doch die Aliens ließen sich nicht anmerken, ob der Anblick sie in irgendeiner Weise irritierte.

Daten über die bewohnten Welten des Systems strömten in Massen in die Speicher der Allianz-Schiffe. Froh darüber, dass er keine möglicherweise bedrohlichen Aktivitäten analysieren musste, überließ Geary diese Arbeit den zivilen Experten und den Geheimdienstleuten, die Lieutenant Iger unterstellt waren. Von Zeit zu Zeit sah er sich Ansichten der Planeten an, die nahe genug waren, um vom gesamten Spektrum der Sensoren erfasst zu werden. Er entdeckte weitläufige Groß- und Kleinstädte, die nach menschlichen Maßstäben nur mäßig bevölkert waren. Die Bevölkerung der Spinnenwölfe war zahlenmäßig recht groß, doch sie schienen es zu bevorzugen, großen Abstand zueinander zu wahren, anstatt dicht gedrängt zu leben. Im Gegensatz zum Sternensystem der Bärkühe fand sich auf diesen Planeten vielfältige Vegetation, auch innerhalb der Städte.

Vier Stunden waren vergangen, seit die Spinnenwölfe mit erneuten berührungsfreien Luftumarmungen das gekaperte Schiff verlassen hatten, und es verblieben noch zehn Stunden bis zum Erreichen des Hypernet-Portals, als sich Rione in Gearys Quartier meldete. »Ich muss Sie von einigen Dingen in Kenntnis setzen«, sagte sie.

»Reden Sie, ich höre zu.«

»Nein, persönlich.«

Er seufzte. Es war spät in der Nacht, und Rione wollte ihn in seinem Quartier aufsuchen. Admiral Timbale hatte ihn gewarnt, dass die Leute sehr genau darauf achten würden, ob er oder Desjani irgendwelche Anzeichen für unprofessionelles Verhalten zeigten. »Madam Gesandte…«

»Commander Benan kann mich begleiten«, sagte sie in einem Tonfall, als würde sie sich auf einen Witz beziehen, der nur ihnen beiden vertraut war.

Als ihr Ehemann würde Commander Benan darüber auch nicht begeistert sein. »Also gut«, sagte er.

Nur Minuten später traf sie ein. Commander Benan begleitete sie mit steifen Bewegungen, dann sah er sich argwöhnisch im Quartier um, als suche er nach versteckten Gefahren. Schließlich salutierte er, machte kehrte und verließ den Raum, um vor der Luke Position einzunehmen.

Erst als die Luke sich hinter ihm geschlossen hatte, fragte Geary: »Wie geht es ihm?«

»Seit dem Gespräch mit Ihnen auf jeden Fall besser.«

»Zumindest kennen wir jetzt den Grund für seine Probleme, und ich weiß nun, wie Sie erpresst werden.«

Eine Weile saß sie schweigend da. »Ohne den letzten Teil Ihrer Aussage damit zu bestätigen, ist es doch unerfreulich, dass keine von beiden Informationen mit irgendeinem unmittelbaren Nutzen für uns verbunden ist.«

»Ja, da haben Sie recht. Aber Sie sagten, Commander Benans Zustand hat sich stabilisiert.«

»Ich sagte, es geht ihm besser.« Sie ging zu einem Stuhl und nahm Platz. Ihr Blick war auf das Sternendisplay gerichtet. »Ein wenig hat er sich stabilisiert, aber er ist immer noch gefährlich.«

»Seien Sie vorsichtig.«

»Das bin ich immer. Ich möchte Sie darüber informieren, welche Erkenntnisse ich aus Unterhaltungen mit verschiedenen Spinnenwölfen gewonnen habe, während General Charban und die zivilen Experten mit anderen Vertretern der Spezies geredet haben.«

Geary setzte sich ihr gegenüber hin. »Haben Sie mit jemandem gesprochen, der etwas zu sagen hat? Welchen Dienstgrad haben die Spinnenwölfe, die mit uns geredet haben?« Die Frage war ihm schon ein paar Mal durch den Kopf gegangen, aber nie, wenn er mit jemandem redete, der sie hätte beantworten können.

»Das weiß ich nicht. Das weiß keiner von uns.« Mit den Händen beschrieb sie eine hilflose Geste. »Die Organisationsstruktur der Spinnenwölfe ist entweder zu kompliziert oder zu fremdartig für uns, weshalb wir sie bislang nicht begriffen haben. Diese Dr. Shwartz von den zivilen Experten glaubt, dass das Organigramm einem Netz ähnelt, und damit könnte sie durchaus recht haben. Ganz egal, wie ihre Dienstgrade aufgebaut sind, wir haben das Prinzip noch nicht durchschauen können, auch wenn die Spinnenwölfe damit wohl zurechtkommen. Nun«, fügte sie an, um das Thema zu wechseln, »man hat mir Dinge gesagt, von denen ich glaube, Sie müssen sie erfahren. Ich weiß nicht, wer sonst in der Flotte noch davon erfahren sollte, deshalb bringe ich Sie auf diese Weise und hier auf den neuesten Stand der Dinge.«

Rione redete recht pragmatisch, aber sie hatte auch nur Fakten mitzuteilen. »Zunächst einmal haben die Spinnenwölfe mich auf eine unmissverständliche Weise wissen lassen, dass sie uns bei einem Angriff auf die Enigmas nicht unterstützen werden, sobald wir denen begegnen sollten. Und genauso werden sie nicht zu unserer Verteidigung eilen, wenn die Enigmas uns angreifen. Sie werden sich verteidigen, wenn sie selbst angegriffen werden, aber ein Eingreifen zwischen uns und den Enigmas kommt für sie nicht infrage.«

»Sind Sie sich da ganz sicher?«

»Absolut sicher. Wenn wir den Enigmas begegnen, sind wir auf uns allein gestellt.«

»Hat General Charban mit Ihnen über seinen Eindruck von den Spinnenwölfen und deren Einstellung zum Krieg gesprochen?«

»Ja.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist eine mögliche Erklärung, aber wir wissen nicht, ob es zutrifft. Ich weiß nur, dass sie nicht gegen die Enigmas kämpfen werden, außer sie müssen sich selbst zur Wehr setzen.«

»Wenigstens haben sie uns vorgewarnt«, meinte Geary. »Halten Sie es für möglich, dass die Enigmas und die Spinnenwölfe einen Nichtangriffspakt geschlossen haben?«

Sie setzte eben zu einer Antwort an, als ihr ein Gedanke durch den Kopf ging, der sie listig lächeln ließ. »Sie meinen, wenn es einen solchen Pakt zwischen ihnen gibt, dann könnten wir darauf hoffen, mit den Enigmas die gleiche Vereinbarung zu treffen?«

»Richtig.«

»Ich weiß nicht, aber ich werde sehen, was ich dazu herausfinden kann.« Rione betätigte die Kontrollen des Sternendisplays und beugte sich vor, bis sie dicht bei Geary war.

Auch wenn sie sich nicht berührten, spürte er ihre Nähe, die unerwünschte Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit ihr weckte, bevor er und Tanya sich zu ihren Gefühlen füreinander bekannt hatten. Er ließ Rione nicht erkennen, was er soeben dachte, und sie zeigte selbst auch keine entsprechende Reaktion. Auch ihre Stimme klang weiterhin so sachlich wie schon die ganze Zeit. »Wir verlassen bei diesem Stern das Hypernet der Spinnenwölfe. Es ist von Menschen katalogisiert worden, aber einen Namen hat es nicht erhalten. Die Syndiks sind bei ihrer Expansion vor mehr als hundert Jahren nicht bis dorthin vorgedrungen. Von diesem Stern unternehmen wir einen kleinen Sprung bis zu dem Stern dort, der ebenfalls von Menschen keinen Namen bekommen hat. Aber als die Spinnenwölfe von dem Stern sprachen, verwendeten sie das gleiche Symbol wie beim System Honor, obwohl es sich um einen Stern eines ganz anderen Typs handelt.«

Geary betrachtete stur das Display, während er nachdachte. »Ein Symbol… ein Etikett… Vielleicht nicht für den Stern selbst, sondern für irgendetwas anderes? Bei Honor hatten sie eine Streitmacht postiert, um Angriffe der Bärkühe abzuwehren. Dient der Stern dem gleichen Zweck, nur dann mit Blick auf die Enigmas? Das Symbol könnte Festung oder etwas in dieser Art bedeuten.«

»Könnte sein«, stimmte sie ihm zu. »Von diesem Stern springen wir weiter zu diesem, den die Syndiks auf den Namen Hua getauft hatten. Sie könnten bis dort vorgedrungen sein, ehe sie von den Enigmas nach Midway zurückgetrieben wurden. Allerdings glaube ich nicht, dass sie es bis dort geschafft haben, denn die Spinnenwölfe haben angedeutet, dass Hua fest in der Hand der Enigmas sein soll. Sie haben gesagt, dass dort Gefahr lauert.«

»Hoffentlich kein Enigma-Hypernet-Portal«, murmelte Geary. »Davor möchte ich nicht noch mal davonlaufen müssen.« Er streckte die Hand aus und zeichnete auf dem Display einen Kurs ein. »Und Hua ist in Sprungreichweite von Pele.«

»Und von Pele gelangen wir nach Midway«, ergänzte Rione.

»Vielen Dank, das sind alles sehr wichtige…«

»Da ist noch etwas.« Sie hielt ihm ihre Datentafel hin. Das Symbol, mit dem sich die Schiffe der Syndikatwelten identifizierten, war darauf zu sehen. »Ich habe das den Spinnenwölfen gezeigt, mit denen ich gesprochen habe. Sie haben es wiedererkannt.«

Geary sah auf das Symbol. »Ganz sicher?«

»Sie haben mir gesagt, dass sie es kennen.«

»Die Spinnenwölfe wissen von den Syndiks? Sie hatten Kontakt mit den Syndikatwelten?«

»Das glaube ich nicht. Meine Vermutung ist, dass die Syndiks so wenig von der Existenz der Spinnenwölfe wussten wie wir. Aber das Interessante kommt erst noch, Admiral. Ich habe sie gefragt, was dieses Symbol repräsentiert, und bei ihrer Antwort benutzten sie die Symbole für ›Feind Ihres Volks‹.«

»Woher wollen sie…?« Geary sah Rione an. »Die Grenze zur Allianz ist von hier sehr weit entfernt. Von unserer Flotte abgesehen haben sich im Syndik-Gebiet seit über hundert Jahren keine Schiffe der Allianz mehr aufgehalten. Und Gefechte hat es nirgendwo in dieser Region gegeben. Wie können sie wissen, dass wir einen Krieg gegen die Syndiks geführt haben?«

»Eine sehr gute Frage, Admiral.« Rione stützte das Kinn auf eine Hand und schaute nachdenklich drein. »Wir haben herausgefunden, dass die Enigmas uns ausspioniert haben, lange bevor wir etwas von ihrer Existenz wussten. Vielleicht…«

»…sind die Spinnenwölfe bis ins Gebiet der Allianz vorgedrungen?«, führte er ihren Satz zu Ende und zwang sich dazu, über diese Möglichkeit nachzudenken.

»Die Enigmas haben Würmer in unsere Sensorsysteme geschleust, damit wir ihre Anwesenheit nicht wahrnehmen konnten«, sprach Rione. »Könnten die Spinnenwölfe das auch gemacht haben?«

»Falls ja, dann verwenden sie ein grundlegend anderes Prinzip. Wir haben die Systeme von allem gesäubert, was wir uns nur irgendwie vorstellen können, und wir haben nichts weiter gefunden.«

»Haben Sie jemals gehört, ob etwas von der Art eines Spinnenwolfschiffs im Allianz-Gebiet gesichtet wurde?«

Er durchforstete sein Gedächtnis, aber er konnte nichts Auffälliges zutage fördern. »Falsche Sichtungen nennen wir so was. Die Sensoren sagen, dass da etwas ist, weshalb wir noch mal hinsehen und manchmal trotzdem nichts entdecken können. Oder wir schicken ein Schiff hin, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dann kommt es vor, dass das Schiff auf etwas stößt, das einfach nur schwer auffindbar war.« So war die Allianz-Flotte auch auf ihn gestoßen, als er in einer defekten Rettungskapsel im Kälteschlaf durchs All getrieben war. Das Funksignal war ausgefallen, die Energieversorgung stand kurz vor dem Zusammenbruch und arbeitete auf einem so niedrigen Niveau, dass die Flottensensoren der neuesten Generation sie kaum wahrnehmen konnten. Wären sie nicht auf ihn aufmerksam geworden, hätten sie nicht erkannt, dass es sich um mehr als nur ein Trümmerteil handelte. Hätte sich der Zerstörer nicht gründlich umgesehen und ihn entdeckt… Geary versuchte, die Erinnerung an jenes Eis aus seinem Kopf zu verbannen, das in der Zeit danach seinen Körper erfüllt hatte. »Üblicherweise wird nichts von dem gefunden, wonach sie suchen sollten. Deshalb nennt man es falsche Sichtung.«

»Wodurch wird so etwas verursacht?«

»Jedes System hat seine Macken, und die führen dazu, dass etwas als vorhanden angezeigt wird, das gar nicht da ist. Oder irgendein Ablauf, der gar nicht stattfindet, wird als gerade im Gange befindlich angezeigt. So etwas findet sich bei allem, das mit Elektronik und Kodierungen arbeitet. Deshalb können alle Systeme manuell abgeschaltet werden, damit nicht etwas geschieht, was besser nicht geschehen sollte.«

Sie nickte. »Bevor ich herkam, habe ich erst noch eine Weile recherchiert. Beispiele für ›falsche Sichtungen‹ finden sich in der gesamten Menschheitsgeschichte, bis zurück in die Zeit der Alten Erde. Die meisten davon ließen sich problemlos erklären, andere wurden einfach ignoriert. Aber wenn wir wüssten, dass solche Dinge geschehen sind, dann könnte man Dinge erklären, die keineswegs durch technische Probleme verursacht wurden. Wenn die Spinnenwölfe über eine gute Tarntechnologie verfügen…«

»Sie verfügen sogar über eine exzellente Tarntechnologie.« Er musste an die Minen bei Honor denken.

»Dann, Admiral, müssen wir die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass die Menschheit seinerzeit mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt war und sich darüber beklagte, im Universum finde sich keine zweite Intelligenz so wie unsere, während eine solche Intelligenz längst vor unserer Haustür stand und so viel wie möglich über uns herauszufinden versuchte.«

Er drückte die Handflächen gegen seine Augen. »Aber warum haben die Spinnenwölfe dann nicht mit uns Kontakt aufgenommen? Wir wissen, warum die Enigmas sich zurückgehalten haben. Aber die Spinnenwölfe? Wieso auch sie?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was hätten sie mit uns gemacht, wenn unsere Kolonien und unsere Forschungsschiffe sich schon viel früher ihren Grenzen genähert hätten?«

»Vermutlich das Gleiche, was sie jetzt auch gemacht haben«, sagte Rione. »Aus irgendeinem Grund haben sie darauf gewartet, dass wir zu ihnen kommen. Dieser Grund muss einen Sinn für sie ergeben. In der Praxis hielten sich die Enigmas auf den Wegen auf, auf denen sich die Menschheit in dieser Region ausdehnte. Daher haben die Enigmas die Menschen am Kontakt mit den Spinnenwölfen gehindert.«

Geary betrachtete wieder sein Display und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. »Wenn die Spinnenwölfe wissen, dass die Syndiks unsere Feinde sind… waren, was glauben sie dann, wieso wir unbedingt vor den Enigmas nach Midway gelangen wollen?«

Wieder reagierte Rione mit einem Lächeln. »Die Spinnenwölfe glauben, dass wir unseren Bruder-Feinden im Kampf gegen unsere Nicht-Bruder-Feinde beistehen, und das scheint sie zutiefst zu beeindrucken.« Sie stand auf. »Ich sollte mich nicht so lange hier aufhalten.«

»Ich verstehe.« Er erhob sich ebenfalls, doch als Rione sich zum Gehen wandte, sagte er: »Victoria, ich werde ihm helfen. Ich weiß, was unternommen werden muss, und wenn wir zurück im Allianz-Gebiet sind, werde ich dafür sorgen, dass es unternommen wird.«

Sie musterte ihn lange, dann nickte sie einmal. »Hoffen wir, dass er lange genug lebt.«

Rione war nicht mal eine Minute weg, da ertönte von Gearys Komm-Einheit ein vertrautes Signal.

»Oh, Sie sind noch auf«, sagte Desjani.

»Als ob Sie das nicht wüssten. Wollen Sie herausfinden, wieso die Gesandte Rione bei mir war?«

»War sie das?«

»Ja. Sie hat mich über Dinge informiert, die sie von den Spinnenwölfen erfahren hat.« Es waren Dinge, die Desjani auch wissen musste. »Da ich heute Nacht die Gerüchteküche schon genug zum Brodeln gebracht habe, werde ich Ihnen alles morgen erzählen.«

»Vielen Dank, Admiral.« Desjani warf ihm einen sonderbaren Blick zu. »Was immer es ist, das bei Ihnen so einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat — müssen wir uns deswegen Sorgen machen?«

»Das weiß ich noch nicht. Im Moment kann ich dazu nur sagen, dass die Menschheit sich selbst lange Zeit auf die Schultern geklopft hat, weil sie ja so viel über das Universum weiß. Nur scheint es so, als hätte das Universum während dieser ganzen Zeit hinter unserem Rücken Grimassen geschnitten und uns ausgelacht.«

Er wusste nicht, wieso er erwartet hatte, dass das Hypernet-Portal der Spinnenwölfe anders aussehen sollte als das von den Menschen und den Enigmas konstruierte, aber auf jeden Fall wurden Gearys Erwartungen nicht enttäuscht. Die Spinnenwölfe hatten die Trossen auf eine Weise gearbeitet, dass sie tatsächlich das Bild eines Spinnennetzes hervorriefen, das Dr. Shwartz immer wieder als Metapher benutzte. Aus Gearys Sicht wirkte dieses Hypernet-Portal nicht nur wie eine gewaltige technische Leistung (was auch bei dem von Menschen erbauten Portal der Fall war), es hatte auch etwas von einem Kunstwerk.

Letztlich blieb es trotzdem immer noch ein Hypernet-Portal.

»Ich mag das Hypernet nicht«, murmelte er gerade laut genug, um von Desjani gehört zu werden. Er wollte nicht, dass alle auf der Brücke wussten, was er empfand.

Sie war damit beschäftigt, den Status der Dauntless zu überprüfen, damit das Schiff für den Transit bereit war. »Wieso nicht?«

»Es fühlt sich unnatürlich an.«

»Im Vergleich zu was? Zum Sprungraum?«

Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Sie wissen genau, was ich meine.«

»Weiß ich nicht«, gab sie zurück. »Wirklich nicht. Wenn man von einem Stern zum nächsten reisen und dafür nicht Jahrzehnte vergeuden will, dann muss man dafür schon irgendwas Eigenartiges machen. Ich persönlich halte den Hypernet-Raum für nicht so eigenartig wie den Sprungraum.«

Er erwiderte nichts, da er schlecht gelaunt war. Riones Erkenntnisse machten ihm zu schaffen, und immer wieder regte sich die Sorge, wie es wohl um Midway bestellt war. Und die Tatsache, dass es keine brauchbaren Informationen darüber gab, womit die Enigmas bei Hua aufwarten mochten, war für ihn ein weiterer Grund zur Sorge…

»Die Spinnenwölfe wollen wissen, ob wir bereit sind«, meldete sich General Charban.

Geary betrachtete die Anzeige für den Flottenstatus. Es könnte besser sein, viel besser sogar. Zu viele Schäden und nicht genug Zeit und Ressourcen, um alle notwendigen Reparaturen durchzuführen. Waren sie dennoch bereit aufzubrechen? »Ja, die Flotte ist bereit. Werden die Spinnenwölfe uns einen Countdown vorgeben?«

»Da bin ich mir nicht sicher«, erwiderte Charban, nachdem er die Frage über den Koordinationskanal weitergeleitet hatte. Kaum waren ihm diese Worte über die Lippen gekommen, da zuckte das Universum zusammen, die Sterne verschwanden, und rings um die Dauntless gab es nur noch völlige Schwärze. »Ich korrigiere mich. Die Antwort lautet: Nein, sie werden uns keinen Countdown vorgeben.«

»Danke, General.« Geary betrachtete das andere Nichts, das ein Schiff während eines Durchflugs des Hypernets umgab. Eine Blase aus Nichts, in der die Schiffe hingen, so hatte Desjani es einmal bezeichnet.

Den Physikern zufolge bewegten sie sich eigentlich nicht von der Stelle, dennoch würden sie weit von ihrer letzten Position entfernt sein, wenn sie durch das andere Hypernet-Portal in den Normalraum zurückkehrten.

»Vier Tage, sagen die Spinnenwölfe«, machte Charban Geary klar.

»Wir haben eine lange Strecke vor uns«, merkte Desjani an. »Habe ich Ihnen schon mal gesagt, dass, je länger der Weg durch den Hypernet-Raum ist, man umso kürzer unterwegs ist?«

»Ja, das haben Sie.« Er konnte sich noch lebhaft an diesen Augenblick erinnern. Damals hatte er darauf gewartet, das erste Mal den Konferenzraum der Dauntless zu betreten, um das Kommando über die in der Falle sitzende Flotte zu übernehmen. Es war seine erste richtige Begegnung mit Tanya gewesen, die ihn seinerzeit mit ihrem grenzenlosen Vertrauen in seine Fähigkeit regelrecht erschreckt hatte.

Sie hatte zwar recht behalten mit ihrer Überzeugung, er werde sie schon alle retten, doch er selbst war nach wie vor der Meinung, dass das Glück bei dem Ganzen eine viel zu große Rolle gespielt hatte.

Vielleicht lag es daran, dass sie sich im Hypernet-Raum befanden, also genau genommen nirgendwo, was eigentlich kein Anlass zur Sorge sein sollte. Dennoch war Geary nach wie vor besorgt, was wahrscheinlich etwas damit zu tun hatte, dass zu viele unbekannte Größen im Spiel waren. Womöglich hatte ihn auch irgendwas an vorangegangene Erlebnisse erinnert.

Auf jeden Fall wachte er mitten in der Nacht nass geschwitzt auf. Sein Blick ruhte auf dem Deckendisplay, das ihm zeigte, dass alles in Ordnung war. Der Lärm von Sirenen, das Dröhnen von Explosionen, die Schreie der Sterbenden — das alles hallte in seinem Kopf nach, doch in seinem Quartier herrschte die übliche nächtliche Stille, auch wenn es nur eine künstliche Nacht war wie auf jedem Schiff, das sich weit von irgendeinem Planeten entfernt befand.

Geary setzte sich in der Dunkelheit auf, rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht und stellte die Füße auf den Fußboden, um zu spüren, dass das Schiff um ihn herum tatsächlich existent war. Die leichten Vibrationen, die sich von verschiedenen Quellen kommend von einem Deck zum nächsten fortsetzten, sagten ihm, dass die Dauntless quicklebendig war.

»Admiral?« Desjanis Gesicht tauchte auf dem Komm-Schirm auf. Ihr Haar war zerzaust, ihr Blick war vor Müdigkeit noch unkonzentriert. Im Hypernet-Raum ebenso wie im Sprungraum war es sogar dem Befehlshaber eines Schlachtkreuzers möglich, nachts einmal durchzuschlafen.

Geary atmete tief durch, ehe er fragte: »Was gibt es?«

»Was es gibt? Sie haben mich gerufen.«

»Nein, habe ich nicht.«

Desjani runzelte die Stirn. »Wenn Sie wollen, kann ich die Aufzeichnungen des Komm-Systems aufrufen. Vielleicht haben Sie die Taste im Schlaf betätigt, aber auf jeden Fall haben Sie mich gerufen.«

Zerknirscht schaute er auf die Tasten vor dem Bildschirm an seinem Bett. Er könnte tatsächlich versehentlich die Taste berührt haben, die ihn direkt mit Tanya verband, vor allem weil dies die vorderste Taste war. Wenn er im Schlaf mit den Armen gefuchtelt hatte, dann war das durchaus möglich. »Tut mir leid, das war keine Absicht.«

Anstatt abzuschalten, betrachtete sie ihn: »Sie sehen aus wie durch die Mangel gedreht.«

»Besten Dank.«

»Albtraum?«

»Ja.«

Sie wartete einfach ab und sah ihn so geduldig an wie eine Katze, die vor einem Mauseloch darauf lauerte, dass die Beute zum Vorschein kam, und die bereit war, notfalls auch die ganze Nacht darauf zu warten.

»Es gab einen Kampf«, sagte er. »Weiter nichts. Das Übliche eben.«

»Das Übliche?« Tanya seufzte. »Sie sind nicht der Einzige, der Rückblenden erlebt. Außerdem weiß ich von den Albträumen wegen der Merlon, schon vergessen? Damit haben Sie mich einmal während unserer Flitterwochen aus dem Schlaf gerissen. Ging es wieder um die letzten Momente an Bord der Merlon?«

Er hätte es bejahen und das Gespräch beenden können, aber sie hätte wahrscheinlich gewusst, dass er ihr etwas vormachte. »Zum Teil. Es war auch noch anderes mit dabei.« Und wieder wartete sie. »Ich habe manchmal diese Träume. Ich stehe auf der Brücke der Dauntless oder der Merlon, und ich befehlige eine Flotte. Einen einzigen, winzigen Moment bin ich unaufmerksam, und dann ist auf einmal der Feind da, genau über uns. Ein hoffnungslos übermächtiger Feind. Ich gebe Befehle aus, aber die kommen zu spät und sind alle falsch. Ringsum werden meine Schiffe zerstört, und das Schiff, auf dem ich mich befinde, wird schwer getroffen. Mir ist bewusst, das ist das Ende, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein Schiff verloren ist. Und alles ist allein meine Schuld.«

»Also gut«, sagte Tanya. »Das kenne ich alles, nur dass ich nie eine Flotte befehligt habe. Haben Sie sich einer Stresstherapie unterzogen?«

»M-hm.« Allein, dass er mit ihr reden konnte, machte es ihm etwas leichter, auch wenn er wieder von den Bildern von Zerstörung und Verwüstung aus seinem Albtraum heimgesucht wurde. »Sie helfen einem, es besser zu ertragen, aber sie lassen es nicht verschwinden.«

Sie lachte leise und verbittert. »Meinen Sie, das wüsste ich nicht? Ich kämpfe schon länger als Sie, Matrose.«

»Ich hatte gehofft, dass man bei einem Jahrhundert Krieg bessere Behandlungsmethoden entwickelt hätte.«

»Sollte man meinen, schließlich konnten sie an genügend Versuchskaninchen herumexperimentieren«, antwortete Desjani von rabenschwarzem Humor erfüllt. »Aber es ist nicht so. Menschen sind kompliziert. Wenn in unserem Kopf etwas verkehrt läuft, dann lässt sich der Urzustand nicht so leicht wiederherstellen. Heute helfen uns die Ärzte gleich wieder weiterzumachen, obwohl wir eigentlich gar nicht mehr funktionieren dürften. Aber diese Ärzte sind auch nur Menschen, keine Götter. Stress und Traumata sind zwei der niemals endenden Freuden beim Militär, so wie schlechtes Essen, zu wenig Schlaf und miserable Unterkünfte. Und wir sind eine Ewigkeit von unseren Familien getrennt.«

Er lächelte flüchtig. »Bei so vielen Freuden muss man sich fragen, warum sie uns überhaupt noch Sold zahlen müssen.«

»Ja, das ist wirklich erstaunlich. Und? Fühlen Sie sich jetzt besser?«

»Ja.«

»Lügner. Was bedrückt Sie noch?«

Mit einer Hand fuhr er sich durchs Haar. »In diesem Albtraum sah ich… da sah ich dich sterben, Tanya. Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, was ich tun würde, wenn…«

»Wenn ich sterben sollte?« Sie sprach es schroff und direkt aus. »Wenn das passiert, wirst du dich zusammenreißen, deine Pflicht tun und dein Leben weiterleben.«

Er starrte sie an. »Meinst du wirklich, es wäre so einfach?«

»Nein, aber darum geht es nicht. Glaubst du, ich möchte einen am Boden zerstörten, gebrochenen Mann hinterlassen? ›Oh ja, das ist Black Jack. Früher war er mal ein Held, bevor sie gestorben ist und ihn zerstört hat.‹ Oh ja, so sollen doch bitte alle über mich denken, wenn ich nicht mehr da bin.«

»Tanya…«

»Nein«, unterbrach sie ihn erneut. »Das ist nicht verhandelbar. Sollte es dazu kommen, dann wirst du den Rest deines Lebens leben. Du wirst neues Glück finden, und du wirst weiterhin tun, was du tun musst und was du tun sollst. Ist das klar?«

»Glasklar«, sagte Geary. »Wirst du das auch so machen?«

»Was? Wenn du stirbst? Du, der legendäre vergötterte Held der Allianz? Wahrscheinlich werde ich eine Enthüllungsbiografie schreiben und damit mehr Geld verdienen, als ich jemals ausgeben kann. Vergiss nicht, dass mein Onkel nicht nur Literaturagent ist, sondern auch noch nie bei etwas Unmoralischem ertappt wurde. Meine Nächte mit Black Jack. Wie klingt das als Buchtitel?«

Unwillkürlich musste er lächeln. »Könntest du wenigstens auf das Black Jack verzichten, wenn du schon reich wirst, indem du über unsere gemeinsame Zeit schreibst?«

Tanya schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Die Marketingabteilung wird ganz bestimmt darauf bestehen. Ich kann mir auch schon vorstellen, welches Titelbild ihnen vorschwebt. Irgendeine heldenhafte Pose, die dich bei etwas zeigt, das du nie getan hast. Vielleicht in einer Gefechtsrüstung. Mit einer Waffe in der Hand.«

»Als ob das passieren würde. Wenn ich sterbe, wirst du also deine Memoiren schreiben.«

»Ja, und ich werde mir wohl auch eine Katze zulegen.« Sie sah ihn amüsiert an. »Fühlst du dich jetzt besser?«

»Ja, Tanya, das tue ich allerdings. Danke. Wirst du dich jetzt wieder schlafen legen?«

»Ich werde es zumindest versuchen.« Sie wurde wieder ernst. »Geh morgen früh zu den Ärzten und finde heraus, ob du eine zusätzliche Therapie oder irgendetwas anderes brauchst. Dieser Mist kann einem sehr zusetzen.«

»Werde ich machen«, versprach Geary.

Nachdem der Bildschirm dunkel geworden war, legte er sich hin und starrte an die Decke, während er sich fragte, wo er wohl inzwischen wäre, wenn er sich alledem allein stellen müsste.

Das namenlose, von den Spinnenwölfen bevölkerte Sternensystem am anderen Ende der Hypernet-Reise war nicht annähernd so paradiesisch wie das System, das sie hinter sich gelassen hatten. Dennoch bot es eine immer noch überdurchschnittliche Anzahl an Planeten sowie Ressourcen, außerdem eine Vielzahl an Spinnenwolfstädten auf der einzigen besiedelten Welt. Geary und der Rest der Flotte bekamen jedoch nicht viel von diesem Sternensystem und seinen Eigenschaften zu sehen, da der Sprungpunkt, zu dem sie von den sechs Eskortschiffen geleitet wurden, nicht einmal eine Lichtstunde vom Hypernet-Portal entfernt war. Seine anhaltende Sorge, die Spinnenwölfe könnten sie zu einem völlig anderen als dem zugesicherten Ziel bringen, verflüchtigte sich in dem Moment, als die Flottenscanner die Umgebung abtasteten und die Bestätigung dafür lieferten, dass alle Sterne exakt dort zu finden waren, wo sie auch zu finden sein sollten.

Auch wenn Rione, Charban und die zivilen Experten auf Mitteilungen von den Spinnenwölfen warteten, meldeten sich weder lokale Stellen noch die Eskortschiffe, bis die Flotte fast den Sprungpunkt erreicht hatte.

»Sie wollen wissen, ob wir bereit sind«, fragte Charban wieder.

»Wir sind bereit«, erwiderte Geary, der dankbar dafür war, dass er diesmal die Kontrolle darüber hatte, wann die Schiffe zum Sprung ansetzten.

Nach dem Sprung betrachtete Desjani die graue Leere ringsum. »Der nächste Stern dürfte kein Problem darstellen. Der danach könnte uns Ärger einbringen.«

»Und der danach wird uns Ärger einbringen«, bekräftigte Geary.

Als sie den nächsten von den Spinnenwölfen kontrollierten Stern erreichten, war es für Geary keine große Überraschung, dass sich in der Nähe aller Sprungpunkte die bereits bekannten schweren, getarnten Minen fanden. Das galt auch für eine weitere grandiose Formation aus Spinnenwolf-Kriegsschiffen, die so positioniert waren, dass sie jede Streitmacht abwehren konnten, ganz gleich durch welchen der beiden Sprungpunkte die ins System gelangte. »Es ist wohl offensichtlich, dass die Spinnenwölfe den Enigmas nicht über den Weg trauen.«

»Sehen Sie sich das an.« Desjani tippte mit einem Finger auf die Anzeigen für den Stern, dann zeigte sie auf die Werte, die die Sensoren für die vier Planeten in diesem System ermittelt hatten. »Der Stern zeigt einen unregelmäßigen Ausstoß. Irgendetwas hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Und diese Planeten sind mehr als einmal schwer getroffen worden.«

Ein unregelmäßiger Stern könnte dafür verantwortlich sein…« Geary betrachtete die Anzeigen. »Aber der hat nicht den richtigen Typ, um von Natur aus so zu sein. Und er dreht sich auch nicht ungewöhnlich schnell.«

»Wo haben wir das schon mal gesehen?«, fragte Desjani. Ihre Stimme klang unterkühlt und weit entfernt.

»Kalixa«, sagte er. »Und Lakota. Auch wenn Lakota nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen war.«

»Die haben diese Minen eingesetzt.« Desjani deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf ihr Display und widmete sich eindringlicher den angezeigten Werten. »Und zwar mehr als einmal. Die Enigmas müssen wiederholt versucht haben, dieses System zu durchqueren.«

»Möchte wissen, wie es hier früher ausgesehen hat.«

Rione war von ihrem Platz aufgestanden und nach vorn gekommen. »Was ist hier passiert?«, fragte sie erschrocken.

»Minen von der Sprengkraft eines Hypernet-Portals«, antwortete Desjani, die so aufgewühlt war, dass sie sogar direkt mit Rione sprach.

Geary nickte bestätigend. »Die Spinnenwölfe gehen auf Nummer sicher, wenn es darum geht, ihr Territorium zu verteidigen.«

Rione schauderte, und sie kniff die Augen zu. »Was für ein Glück, dass die Spinnenwölfe uns als ihre Freunde betrachten.«

Man konnte die Anspannung auf der Brücke fast greifen, so abrupt verlor jeder das Vertrauen in die Spinnenwölfe. Die GeVs. Jede Spezies, die routinemäßig zu solch verheerenden Waffen griff, war…

»Einen Moment.« Auch General Charban war nach vorn gekommen und musterte aufmerksam die Brückendisplays. »Welche Taktik würden die Spinnenwölfe anwenden, Admiral? Sehe ich das richtig, dass ihre Schiffe hier sich einfach zu einem Sprungpunkt zurückziehen könnten, um das System zu verlassen, während hinter ihnen die Mine detoniert und alle Feinde auslöscht?«

Geary sah zu Desjani, in deren Augen er Zustimmung ablesen konnte. »Ja. Die Schiffe der Spinnenwölfe sind schnell genug, um mit dieser Taktik jeden Gegner zu schlagen, den wir kennen.«

»Wären wir nicht im System Honor gewesen«, fuhr Charban fort, »dann hätten die Spinnenwölfe so vorgehen können. Sie mussten nicht gegen die Bärkühe kämpfen. Sie konnten zu einem der Sprungpunkte fliegen und dort warten, bis die Bärkühe weit genug ins System vorgedrungen waren, damit sie sie mit einer der Minen auslöschen konnten, oder aber die Bärkühe hätten die Verfolgung aufgegeben und kehrtgemacht. Aber das haben die Spinnenwölfe nicht getan. Stattdessen sind sie dort geblieben und haben gekämpft, weil wir dort waren. Sie haben uns geholfen und Verluste in Kauf genommen, obwohl sie mit ihrer eigenen Taktik kein Schiff und kein Besatzungsmitglied aufs Spiel hätten setzen müssen.«

»Sie haben recht.« Geary hatte ein wachsendes Entsetzen verspürt, dass die Spinnenwölfe derartige Waffen einsetzten, doch Charbans Gedankengang widersprach dem. »Sie haben sich entschieden, uns beim Kampf gegen die Bärkühe zu helfen. Dabei hätten sie sich zurückziehen und uns zusammen mit ihnen einfach auslöschen können.«

Desjani atmete schnaubend aus. »Ich bin wirklich froh, dass mir das nicht schon zu der Zeit aufgefallen ist. Es war auch so schon aufregend genug, gegen die Kiks zu kämpfen.«

Rione stieß ein raues, tiefes Lachen aus. »Und ich habe mir Gedanken gemacht. Ich war in Sorge, ob die Regierung der Syndikatwelten wohl versuchen würde, die Spinnenwölfe anzugreifen. Ich glaube, damit habe ich eine Sorge weniger.«

»Zumindest was das Schicksal der Spinnenwölfe angeht«, pflichtete Geary ihr bei. »Dennoch haben wir Grund zur Sorge. Die Stärke ihrer Verteidigungsstreitmacht und die Tatsache, dass mehr als nur eine Mine zum Einsatz gekommen ist, lässt darauf schließen, dass die Enigmas bei Hua eine ernste Bedrohung darstellen.«

Desjani zeigte auf das Display. »Unsere Eskorte fliegt geradewegs auf den Sprungpunkt nach Hua zu. Die scheinen sich keine Sorgen zu machen.«

»Schön für sie.« Geary gab den Befehl aus, dass seine Flotte den sechs Schiffen der Spinnenwölfe folgen sollte.

Es dauerte drei Tage, ehe sie das Sternensystem durchquert hatten und sich dem Sprungpunkt nach Hua näherten. Drei Tage, in deren Verlauf sie unablässig mit den verheerenden Folgen konfrontiert wurden, die wiederholte Explosionen von der Stärke einer Subnova ausgelöst hatten. In und an den Allianz-Schiffen wurden die Reparaturarbeiten fortgesetzt, Vorräte wurden aufgestockt. Alles geschah mit einer düsteren Entschlossenheit, ausgelöst vom Anblick des verwüsteten Sternensystems. Shuttles flogen zwischen den Schiffen hin und her, transportierten Brennstoffzellen, Ersatzteile, Waffen und Personal.

»Die Rohstoffbestände auf all meinen Hilfsschiffen sind bedenklich tief gesunken«, meldete Captain Smythe. »In diesem System finden sich nicht viele Asteroiden, daher können wir aus den örtlichen Quellen nicht viel gewinnen.«

»Ich glaube, von hier wollen wir auch gar keine Rohstoffe haben«, meinte Geary. Die Flottensensoren hatten ein paar weit entfernte Asteroiden festgestellt, die jedoch durch die wiederholten Druckwellen der detonierenden Minen immer weiter an den Rand des Systems befördert worden waren, wo sie nun in der Dunkelheit zwischen den Sternen ihre Bahnen zogen. Manche Asteroiden waren möglicherweise früher einmal Monde gewesen, die um die vorhandenen Planeten gekreist waren. Die kleineren Asteroiden mussten von den Explosionen zu Staub zerschlagen worden sein. »Captain Smythe, wir nähern uns Midway. Da können wir unsere Vorräte aufstocken. Bis dahin bin ich sogar äußerst dankbar, dass Ihre Hilfsschiffe nicht so schwer beladen sind. Das macht sie etwas wendiger, falls wir bei Hua, Pele oder Midway in ein Gefecht verwickelt werden.«

»Niemand benutzt die Worte ›wendig‹ und ›Hilfsschiff‹ im selben Satz«, machte Smythe ihm klar. »Admiral, in meinen Berichten habe ich auf den ständig sinkenden Bestand an Rohstoffen auf den Hilfsschiffen hingewiesen. Ich weiß, Sie sind darüber auf dem Laufenden. Allerdings muss ich jetzt darauf hinweisen, dass diese Bestände ein bedenkliches Niveau erreicht haben. Meinen Berechnungen zufolge werden die wichtigen Rohstoffe an Bord der Witch aufgebraucht sein, noch bevor wir den Sprungpunkt nach Hua erreicht haben. Die Crew kann mit den vorhandenen Ersatzteilen immer noch Reparaturen durchführen, aber neue Ersatzteile oder Brennstoffzellen oder Waffen können nicht mehr produziert werden. Wenn wir Pele erreicht haben — und das auch nur unter der Voraussetzung, dass wir Hua ohne Aufenthalt durchqueren —, wird es auf der Jinn, der Alchemist und Cyclops genauso aussehen. Was die Titan, die Tanuki, die Kupua und die Domovoi an Bord haben, wird nur noch für ein paar weitere Tage reichen.«

»Captain Smythe, ich habe zur Kenntnis genommen, dass es um unsere Rohstoffbestände nicht besonders bestellt ist«, sagte Geary. »Aber ich glaube nicht, dass wir bei Hua eine Gelegenheit bekommen werden, irgendetwas einzusammeln. Die Anwesenheit der Enigmas in diesem System macht eine solche Arbeit viel zu gefährlich. Müssten wir nicht schnellstmöglich Midway erreichen, wäre ich damit einverstanden, bei Pele einen Zwischenstopp einzulegen, um dort ein paar Asteroiden zu plündern. Aber die Zeit ist momentan der entscheidende Faktor, weil wir Midway erreichen müssen, bevor die Enigmas dieses System in Schutt und Asche legen können.«

»Es ist Ihre Entscheidung, Admiral«, sagte Captain Smythe, der nicht wie üblich vor guter Laune sprühte. »Ich habe meine Pflicht erfüllt, indem ich Sie auf die Konsequenzen Ihrer Vorgehensweise hingewiesen habe.«

»Vielen Dank, Captain. Ihre Ingenieure haben hervorragende Arbeit geleistet. Heute Nachmittag werde ich eine Flottenkonferenz einberufen, bei der Gelegenheit werde ich dafür sorgen, dass alle Befehlshaber über den Status Ihrer Bestände informiert werden.«

Nachdem Captain Smythes Bild verschwunden war, saß Geary eine Weile da und starrte vor sich hin. Dass sie gezwungen sein würden, Rohstoffe aus Syndik-Quellen zu nehmen, war eine denkbar schlechte Situation. Das einzig Gute daran war, dass die Syndik-CEO, mit der er bei Midway zu tun gehabt hatte, auf ihn den Eindruck gemacht hatte… nun, als vertrauenswürdig wollte er sie nicht bezeichnen, immerhin war sie eine Syndik-CEO. So etwas zu sagen, wäre einfach nur lächerlich. Aber CEO Gwen Iceni hatte auf ihn den Eindruck einer Frau gemacht, die pragmatisch genug dachte, um zu wissen, wie wichtig gute Beziehungen waren — und welche Bedeutung seine Flotte für die Sicherheit ihres Sternsystems hatte. Sollte die Flotte erst nach den Enigmas Midway erreichen, würden sie bei ihrer Ankunft dort vermutlich überhaupt keine lebenden Syndiks mehr vorfinden.

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