5 Gnomschleudern

Eines sollte man nicht vergessen! Weder ein lebender noch ein toter Gnom hat in seinem ganzen Leben je einen Satz zu Ende gesprochen. Denn die einzige Möglichkeit, etwas in Erfahrung zu bringen, besteht darin, sie zu unterbrechen.

Man sollte sich keine Sorgen machen, unhöflich zu wirken. Sie erwarten es!

Der alte Magier wurde selbst durch das Erscheinen eines in eine lange braune Robe gekleideten Gnomen unterbrochen, der auf sie zukam und sich respektvoll verbeugte.

Tolpan musterte den Gnom mit aufgeregter Neugierde – der Kender hatte niemals zuvor einen Gnom gesehen, obwohl die alten Legenden über den Graustein von Gargat darauf verwiesen, daß die beiden Rassen entfernt miteinander verwandt waren. Sicherlich war etwas Kenderhaftes in dem jungen Gnom seine schlanken Hände, sein eifriger Gesichtsausdruck und seine scharfen, hellen Augen, denen nichts entging. Aber hier endete auch die Ähnlichkeit. Der Gnom hatte nichts von der gelassenen Art der Kender. Er war nervös, ernsthaft und benahm sich sehr geschäftsmäßig.

»Tolpan Barfuß«, sagte der Kender höflich und streckte seine Hand aus. Der Gnom nahm Tolpans Hand, musterte sie aufmerksam, und als er nichts Interessantes entdecken konnte, schüttelte er sie müde. »Und das...«, wollte Tolpan Fizban vorstellen, stockte aber, als der Gnom die Hand ausstreckte und ruhig den Hupak des Kenders an sich nahm.

»Ah...«, sagte der Gnom, seine Augen glänzten, während er die Waffe ergriff. »Rufe​ein​Mitglied​der​Waffengilde...«

Der Wachmann am Eingang zum großen Berg wartete nicht darauf, daß der Gnom seinen Satz beenden würde. Er zog an einem Hebel, und ein Kreischen ertönte. Tolpan wirbelte herum, um sich zu verteidigen.

»Pfeife«, sagte Fizban. »Gewöhn dich lieber daran.«

»Pfeife?« wiederholte Tolpan fasziniert. »So etwas habe ich noch nie gehört. Da kommt Rauch! Wie funk... He! Komm zurück! Gib mir meinen Hupak wieder!« schrie er, als sein Stab den Korridor davoneilte, getragen von drei eifrigen Gnomen.

»Im​untersuchungskammer«, sagte der Gnom, »bei​Skimbosch...«

»Was?«

»Im Untersuchungskammer«, übersetzte Fizban. »Den Rest habe ich nicht verstanden. Du mußt wirklich langsamer sprechen«, sagte er und fuchtelte mit seinem Stab vor dem Gnom.

Der Gnom nickte, aber seine hellen Augen waren auf Fizbans Stab gerichtet. Als er jedoch sah, daß es sich um einfaches, leicht verbogenes Holz handelt, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Magier und dem Kender zu.

»Außenseiter«, sagte er. »Ich​werde​versuchenken... Ich werde versuchen, daran zu denken, mach dir also keine Sorgen«, sprach er nun langsam und deutlich, »deiner Waffe wird nichts geschehen, da wir nur eine Zeichnung anfertigen wollen...«

»Wirklich?« unterbrach Tolpan geschmeichelt. »Ich könnte dir auch ihre Wirkungsweise vorführen, wenn du möchtest.«

Die Augen des Gnomen erstrahlten. »Das​wäre​wunder...«

»Und jetzt«, unterbrach der Kender wieder, erfreut zu lernen, wie man kommuniziert, »wie heißt du?«

Fizban machte schnell eine Handbewegung, aber zu spät.

»Gnoschoshalla​marionininillisyylphanitdisdisslishxdie...«

Er hielt inne, um Atem zu holen.

»Das ist dein Name?« fragte Tolpan erstaunt.

Der Gnom atmete aus. »Ja«, schnappte er, ein wenig aus der Fassung gebracht. »Das ist mein Vorname, und jetzt laß mich fortfahren...«

»Warte!« schrie Fizban. »Wie nennen dich deine Freunde?«

Der Gnom atmete wieder ein. »Gnoschoshallamarioninillis...«

»Wie nennen dich die Ritter

»Oh«, der Gnom wirkte deprimiert, »Gnosch, wenn du...«

»Danke«, schnappte Fizban. »Nun, Gnosch, wir sind ziemlich in Eile. Es ist Krieg und so weiter. Wie Fürst Gunther in seiner Schrift mitgeteilt hat, müssen wir die Kugel der Drachen sehen.«

Gnoschs kleine dunkle Augen funkelten. Er spielte nervös mit seinen Händen. »Natürlich könnt ihr die Kugel der Drachen sehen, da Fürst Gunther dies gefordert hat, aber darf ich fragen, welches Interesse, außer normaler Neugierde, ihr an der Kugel der Drachen...?«

»Ich bin ein Magier...«, begann Fizban.

»Magier!« wiederholte der Gnom und in seiner Aufregung vergaß er, langsam zu sprechen. »Kommt​hierentlangsofort​zum Untersuchungszimmer da​die​Kugel​der​Drachen​von​Magiern​gemacht​wurde...«

Tolpan und Fizban blinzelten verständnislos.

»Oh, kommt einfach...«, sagte der Gnom ungeduldig.

Bevor sie wußten, was geschah, drängte sie der Gnom – immer noch redend – in den Bergeingang, während er eine unendliche Anzahl von Glocken und Pfeifen in Betrieb setzte.

»Untersuchungszimmer?« fragte Tolpan leise Fizban, während sie hinter Gnosch herliefen. »Was bedeutet das? Sie haben mit ihm doch nichts angestellt, oder?«

»Ich glaube nicht«, murmelte Fizban. »Gunther hatte Ritter als Wache mitgeschickt, vergiß das nicht.«

»Warum machst du dir dann Sorgen?« fragte Tolpan.

»Die Kugeln der Drachen sind seltsame Gegenstände. Sehr mächtig. Meine Furcht ist«, sagte Fizban eher zu sich als zu Tolpan, »daß sie vielleicht versucht haben, sie zu benutzen

»Aber in dem Buch, das ich in Tarsis gelesen habe, steht, daß die Kugel Drachen kontrollieren kann!« flüsterte Tolpan. »Ist das nicht gut? Ich meine, die Kugeln sind nicht bösartig, oder?«

»Bösartig? O nein! Nicht bösartig.« Fizban schüttelte den Kopf. »Das ist eben die Gefahr. Sie sind weder gut noch böse. Sie sind überhaupt nichts! Oder vielleicht sollte ich sagen, sie sind alles

Tolpan erkannte, daß er von Fizban wahrscheinlich keine direkte Antworte erhalten würde, er war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Da er Unterhaltung brauchte, wandte sich der Kender seinem Gastgeber zu.

»Was bedeutet sein Name?« fragte Tolpan.

Gnosch lächelte glücklich. »Am Anfang Schufen Die Götter Die Gnome Und Einer Der Ersten, Den Sie Schufen, Wurde Gnosch Eins Genannt, Und Das Sind Die Bemerkenswerten Ereignisse In Seinem Leben: Er Heiratete Marioninillis...«

Tolpan überfiel ein Schwächegefühl. »Warte«, unterbrach er.

»Wie lang ist dein Name?«

»Er füllt so ein dickes Buch«, antwortete Gnosch stolz und breitete seine Arme aus, »weil wir eine sehr alte Familie sind, wie du sehen wirst, wenn ich fortf...«

»Ist schon in Ordnung«, sagte Tolpan schnell. Da er nicht darauf geachtet hatte, wohin er ging, stolperte er über ein Seil.

Gnosch half ihm auf die Füße. Als Tolpan hochsah, bemerkte er, daß das Seil in ein ganzes Nest von anderen Seilen führte, die miteinander verbunden waren und in alle Richtungen liefen.

Er fragte sich, wohin sie wohl führen würden. Vielleicht in eine andere Zeit.

»Aber es gibt einige sehr gute Stellen«, sagte Gnosch, während sie auf eine riesige Stahltür zugingen, »und einige könnte ich überspringen, wenn du möchtest, beispielsweise die Stelle, als meine Großgroßgroßgroßgroßmutter Gnosch erfand, Wasser zu kochen...«

»Ich würde es sehr gern hören.« Tolpan schluckte. »Aber, die Zeit...«

»Ja, das glaube ich auch«, sagte Gnosch, »und außerdem sind wir jetzt am Eingang zur Hauptkasse, entschuldige mich also bitte...«

Immer noch sprechend griff er nach oben und zog an einer Schnur. Eine Pfeife ertönte. Zwei Glocken und ein Gong klingelten. Und dann begannen sich mit einem fürchterlichen Dampfstoß, der sie fast verbrühte, zwei riesige Stahltüren langsam zu öffnen. Kurz darauf blieben die Türen stehen, und innerhalb von Minuten war der Platz von Gnomen überfüllt, die schrien und zeigten und stritten, wessen Fehler das war.

Tolpan Barfuß hatte bereits im Hinterkopf, was er tun würde, wenn dieses Abenteuer beendet und alle Drachen erschlagen wären (der Kender versuchte positiv zu denken). Zunächst wollte er einige Monate bei seinem Freund Sestun, dem Gossenzwerg, in Pax Tarkas verbringen. Die Gossenzwerge führten ein interessantes Leben, und Tolpan wußte, daß er dort eine recht glückliche Zeit verbringen würde, solange er nicht ihre Gerichte essen müßte.

Aber in dem Moment, als Tolpan den Berg Machtnichts betrat, entschied er, daß er zuerst bei den Gnomen leben wollte.

Der Kender hatte in seinem ganzen Leben noch nie so etwas Wundervolles gesehen. Er blieb wie angenagelt stehen.

Gnosch warf ihm einen Blick zu. »Beeindruckend, nicht wahr?« fragte er.

»Nicht ganz das Wort, das ich verwenden würde«, meldete sich Fizban murmelnd zu Wort.

Sie standen im Zentrum der Gnomenstadt. Sie war in den alten Schacht eines Vulkans hineingebaut und erstreckte sich über viele Meilen in die Höhe. Die Stadt war in mehreren Ebenen im Schacht rund errichtet worden. Tolpan starrte hoch... und hoch... und hoch...

»Wie viele Ebenen gibt es denn?« fragte der Kender.

»Fünfunddreißig und...«

»Fünfunddreißig!« wiederholte Tolpan ehrfürchtig. »Mir würde es gar nicht gefallen, auf der fünfunddreißigsten Ebene zu leben. Wie viele Treppen muß man denn da steigen?«

Gnosch rümpfte verächtlich die Nase. »Diese primitiven Geräte haben wir schon vor langer Zeit verbessert und jetzt«, erklärte er deutend, »sieh mal, einige​der​wunderbaren​Technologien​die​wir​einset...«

»Ich sehe«, sagte Tolpan und senkte seinen Blick wieder zur untersten Ebene. »Ihr müßt euch auf eine große Schlacht vorbereiten. Niemals zuvor habe ich so viele Katapulte gesehen...«

Die Stimme des Kenders erstarb. Während er beobachtete, ertönte eine Pfeife, ein Katapult ging mit einem Schwirren los, und ein Gnom segelte durch die Luft. Tolpan hatte keine Kriegsmaschinen betrachtet, sondern Geräte, die Treppen ersetzten!

Die untere Ebene der Kammer war mit Katapulten belegt, jede Art von Katapulten, die die Gnomen je entworfen hatten. Es gab Schleuderkatapulte, Querbogenkatapulte und dampfbetriebene Katapulte (noch in der Erprobungsphase – man arbeitete noch an der Anpassung der Wassertemperatur).

Um die Katapulte, über die Katapulte, unter den Katapulten und durch die Katapulte waren zig Seile gezogen, die eine wirre Ansammlung von Zahnrädern und Rädern und Flaschenzügen in Bewegung setzten; alles drehte und bewegte sich und quietschte. Aus dem Boden, aus den Maschinen und aus den Steinwänden ragten riesige Hebel, die Massen von Gnomen entweder schoben oder zogen oder manchmal beides zugleich.

»Ich glaube nicht«, sagte Fizban mit hoffnungsloser Stimme, »daß das Untersuchungszimmer hier auf der untersten Ebene ist.«

Gnosch schüttelte den Kopf. »Das Untersuchungszimmer ist auf Ebene fünfzehn...«

Der alte Magier seufzte tief und herzzerreißend.

Plötzlich hob ein entsetzliches, knirschendes Geräusch an, daß Tolpan seine Zähne zusammenbiß.

»Ah, sie sind für uns bereit. Kommt schon...«, sagte Gnosch.

Tolpan sprang ihm ausgelassen nach, als sich ihnen ein riesiger Katapult näherte. Ein Gnom winkte ihnen ärgerlich zu und zeigte auf eine lange Schlange von wartenden Gnomen. Tolpan sprang in den Sitz des Schleuderkatapults und starrte eifrig nach oben in den Schacht. Dort konnte er Gnomen sehen, die von verschiedenen Balkonen herabsahen, alle von riesigen Maschinen, Pfeifen, Seilen und gewaltigen unförmigen Dingern umgeben, die an den Wänden wie Fledermäuse herabhingen. Gnosch stellte sich neben ihn und schimpfte.

»Die Alten zuerst, junger Mann, also steig hier​sofort​aus​und​laß...«, und er schob Tolpan mit beachtlicher Stärke aus dem Sitz..., »der​Magier​geht​zuerst...«

»Oh, schon gut«, protestierte Fizban und stolperte nach hinten in eine Ansammlung von Seilen. »Ich... ich glaube, mich an einen Zauberspruch zu erinnern, der mich direkt nach oben befördert. Freies Schweben. Wie ging es d... denn noch mal? Laß mich einen Moment nachdenken.«

»Du warst in Eile...«, sagte Gnosch streng und starrte Fizban wütend an. Die in der Schlange wartenden Gnome begannen laut zu schreien und schoben und drängten und rempelten.

»Na gut«, knurrte der alte Magier und kletterte mit Gnoschs Hilfe in den Sitz. Der Gnom, der den Hebel für das Katapult bediente, schrie Gnosch etwas zu, was wie »Wel​Ebene«? klang.

Gnosch zeigten nach oben und schrie zurück: »Skimbosch!«

Der Maschinist stellte sich vor den ersten von fünf Hebeln.

Eine unendliche Anzahl von Seilen erstreckte sich nach oben.

Fizban hockte verängstigt im Sitz des Katapults und versuchte immer noch verzweifelt, sich an seinen Zauberspruch zu erinnern.

»Jetzt«, schrie Gnosch und zog Tolpan enger heran, so daß er eine hervorragende Aussicht genießen konnte, »in genau diesem Moment wird der Maschinist den Befehl geben, ja – da ist er schon...«

Der Maschinist zog an einem der Seile.

»Was bewirkt das?« unterbrach Tolpan.

»Das Seil läßt eine Glocke bei Skimbosch klingeln – äh Ebene fünfzehn, so wird ihnen Besuch angekündigt...«

»Und wenn die Glocke nicht klingelt?« fragte Fizban laut.

»Dann klingelt eine zweite Glocke, die ihnen mitteilt, daß die erste nicht...«

»Was geschieht unten, wenn die Glocke nicht klingelt?«

»Nichts. Das ist Skimboschs Problem​nicht​unser...«

»Ich kriege Probleme, wenn sie nicht wissen, daß ich komme!« schrie Fizban. »Oder falle ich einfach hinein und überrasche sie!«

»Ah«, sagte Gnosch stolz, »du​siehst...«

»Ich will raus...«, erklärte Fizban.

»Nein, warte«, sagte Gnosch und sprach in seiner Angst immer schneller, »sie​sind​bereit...«

»Wer ist bereit?« fragte Fizban verärgert.

»Skimbosch! Mit​dem​Netz​um​dich​zu​fangen, siehst​du...«

»Netz!« Fizban wurde blaß. »Das war's!« Er schwang einen Fuß über den Rand des Sitzes.

Aber bevor er sich bewegen konnte, hatte der Maschinist den ersten Hebel betätigt. Das schleifende Geräusch begann wieder, als sich das Katapult in seiner Halterung drehte. Die plötzliche Bewegung warf Fizban zurück, schlug seinen Hut über seine Augen.

»Was geschieht jetzt?« schrie Tolpan.

»Sie bringen es in Stellung«, gellte Gnosch. »Längen- und Breitengrad wurden vorberechnet, und das Katapult wird richtig ausgerichtet, um den Passagier...«

»Was ist mit dem Netz?« gellte Tolpan.

»Der Magier fliegt zu Skimbosch hoch – oh, ziemlich sicher, das versichere ich dir – wir haben Studien gemacht und festgestellt, daß Fliegen sicherer ist als Laufen – und gerade wenn er in der Höhe seines Zieles ist und anfängt ein bißchen zu fallen, wirft Skimbosch ein Netz unter ihm aus und fängt ihn wie...«, Gnosch demonstrierte es mit seiner Hand und machte eine grapschende Bewegung, als ob man eine Fliege fängt, »...und zieht ihn...«

»Der Zeitpunkt muß ja ganz genau berechnet sein!«

»Das ist er auch, und zwar in genialer Weise, da alles von einem gewissen Haken abhängt, den wir entwickelt haben, obwohl...«, Gnosch schürzte die Lippen, seine Augenbrauen zogen sich zusammen, »manchmal klappt es nicht so gut, aber dafür gibt es dann das Komitee...«

Der Gnom zog den Hebel herunter, und Fizban sauste mit einem Kreischen durch die Luft.

»O je«, sagte Gnosch, »es scheint...«

»Was? Was?« gellte Tolpan und versuchte, etwas zu erkennen.

»Das Netz öffnet sich mal wieder zu schnell.« Gnosch schüttelte den Kopf. »Und das ist heute das zweite Mal, nur bei Skimbosch, und das​wird​jetzt​vor​das​nächste​Treffen​der​Netzgilde​gebracht...«

Tolpan starrte mit offenem Mund nach oben und sah Fizban durch die Luft schwirren, getrieben von der gewaltigen Kraft des Katapults, und plötzlich erkannte der Kender, worüber Gnosch geredet hatte. Das Netz auf Ebene fünfzehn – das sich öffnen sollte, nachdem der Magier vorbeigeflogen war, um ihn dann aufzufangen, wenn er zu fallen begann – öffnete sich, bevor der Magier Ebene fünfzehn erreichte. Fizban traf auf das Netz und wurde wie eine zerquetschte Spinne geplättet. Einen Moment hing er dort gefährlich – Arme und Beine in die Seite gestemmt – dann fiel er.

Sofort ertönten Glocken und Gongs.

»Jetzt erzähl mir nicht«, sagte Tolpan, dem elend zumute war, »daß das der Alarm dafür ist, wenn das Netz versagt hat.«

»Genau, aber sei unbesorgt, kleiner Scherz«, kicherte Gnosch, »weil der Alarm einen Mechanismus auslöst, das Netz auf Ebene dreizehn zu öffnen, rechtzeitig – huch, ein bißchen spät, nun, da ist ja immer noch Ebene zwölf...«

»Mach etwas!« kreischte Tolpan.

»Reg dich nicht so auf!« erwiderte Gnosch wütend. »Und ich will beenden, was ich sagen wollte über das letzte Notfallsicherungssystem und das ist – oh, da passiert es schon...«

Tolpan beobachtete erstaunt, wie sechs riesige Fässer, die an den Wänden auf Ebene drei hingen, Tausende von Schwämme auf den Boden mitten in der Kammer verschütteten. Dies geschah offensichtlich für den Fall, wenn auf jeder Ebene die Netze versagten. Glücklicherweise funktionierte das Netz auf Ebene neun und breitete sich rechtzeitig unter dem Magier aus.

Dann schloß es sich um ihn und schleuderte ihn über den Balkon, wo die Gnomen, die den Magier fluchen hörten, ihn offensichtlich nur widerstrebend herausließen.

»So ist jetzt also alles in Ordnung, und du bist an der Reihe«, sagte Gnosch.

»Nur noch eine Frage!« schrie Tolpan, während er sich in dem Sitz niederließ. »Was passiert, falls das Notfallsicherungssystem mit den Schwämmen versagt?«

»Genial...«, antwortete Gnosch glücklich, »man kann sehen, ob die Schwämme etwas zu spät herunterkommen, dann ertönt der Alarm, und ein riesiges Faß mit Wasser leert sich aus, und da die Schwämme bereits da sind, ist es ein leichtes, die Schweinerei aufzuwischen...«

Der Maschinist zog den Hebel.

Tolpan hatte jede Menge faszinierender Dinge im Untersuchungszimmer erwartet, aber er fand es – zu seiner Überraschung – fast leer vor. Er wurde von Sonnenlicht erhellt, das durch ein Loch in der Bergwand hereinfiel. (Diese einfache, aber geniale Vorrichtung hatte den Gnomen ein vorbeireisender Zwerg empfohlen, der es ›Fenster‹ nannte; die Gnomen waren recht stolz darauf.) Es gab drei Tische, aber sonst kaum etwas.

Auf dem mittleren Tisch, von Gnomen umgeben, lagen die Kugel der Drachen und Tolpans Hupak.

Die Kugel hatte wieder ihre ursprüngliche Größe erreicht, bemerkte Tolpan interessiert. Sie sah wie sonst aus – immer noch ein rundes Stück Kristall mit einer Art milchigem, buntem Nebel, der im Innern herumwirbelte. Ein junger Ritter von Solamnia stand mit einem außerordentlich gelangweilten Gesichtsausdruck neben der Kugel und bewachte sie. Seine gelangweilte Miene änderte sich unverzüglich beim Eintritt der Fremden.

»Alles​in​Ordnung«, beruhigte Gnosch den Ritter, »das sind die beiden, die Fürst Gunther geschickt hat...« Immer weiterredend, drängte Gnosch sie zum mittleren Tisch. Die Augen des Gnomen strahlten, als er die Kugel betrachtete. »Eine Kugel der Drachen«, murmelte er glücklich, »nach all den Jahren...«

»Was für Jahre?« schnappte Fizban und blieb in einiger Entfernung vom Tisch stehen.

»Verstehst du«, erklärte Gnosch, »jeder Gnom hat eine Lebensaufgabe, die ihm bei Geburt zugeteilt wird, und von da an liegt sein einziger Ehrgeiz darin, diese Lebensaufgabe zu erfüllen, und meine Lebensaufgabe war es, die Kugel der Drachen zu studieren, da...«

»Aber die Kugeln der Drachen waren viele Jahrhunderte in Vergessenheit geraten!« sagte Tolpan ungläubig. »Niemand wußte etwas über sie! Wie kann das denn dann deine Lebensaufgabe sein?«

»Oh, wir wußten von ihnen«, antwortete Gnosch, »weil es schon die Lebensaufgabe meines Großvaters und dann die meines Vaters war. Beide sind gestorben, ohne je eine Kugel der Drachen zu Gesicht bekommen zu haben. Ich habe befürchtet, mir würde das gleiche Schicksal drohen, aber jetzt endlich ist eine gekommen, und ich kann unseren Familienplatz im Leben nach dem Tod einrichten...«

»Du meinst, du kannst nicht zu dem – äh – Leben nach dem Tod kommen, bevor du nicht die Lebensaufgabe erfüllt hast?« fragte Tolpan. »Aber dein Großvater und dein Vater...«

»Haben es wahrscheinlich sehr ungemütlich«, sagte Gnosch traurig, »wo immer sie auch sind... Meine Güte!«

Eine bemerkenswerte Veränderung war mit der Kugel der Drachen vor sich gegangen. Sie begann in vielen verschiedenen Farben zu wirbeln und zu schimmern – als ob sie unruhig geworden wäre.

Fizban murmelte seltsame Worte und näherte sich der Kugel und legte seine Hand auf sie. Sofort färbte sie sich schwarz.

Fizban warf einen Blick in den Raum, sein Gesichtsausdruck war so streng und beängstigend, daß selbst Tolpan vor ihm zurückwich. Der Ritter sprang vor.

»Verschwindet!« brüllte der Magier. »Alle!«

»Mir wurde befohlen, nicht zu gehen, und ich werde auch nicht...« Der Ritter griff nach seinem Schwert, aber Fizban flüsterte einige Worte, woraufhin er zu Boden fiel.

Die Gnomen verließen sofort den Raum, nur Gnosch blieb händeringend und mit schmerzvoll verzerrtem Gesicht im Raum.

»Komm schon, Gnosch!« drängte Tolpan. »So habe ich ihn noch nie erlebt. Wir tun lieber das, was er sagt. Wenn nicht, wird er uns höchstwahrscheinlich in Gossenzwerge verwandeln oder etwas Ähnliches!«

Wimmernd ließ sich Gnosch von Tolpan aus dem Zimmer führen. Als er auf die Kugel der Drachen zurückstarrte, fiel die Tür zu.

»Meine Lebensaufgabe...«, stöhnte der Gnom.

»Ich bin sicher, es wird alles gut«, sagte Tolpan, obwohl er sich nicht sicher war, nicht ganz zumindest. Ihm hatte Fizbans Blick nicht gefallen. In der Tat schien es überhaupt nicht Fizbans Gesicht gewesen zu sein – oder ein Gesicht, das Tolpan zu kennen schien!

Tolpan war eiskalt und hatte einen dicken Knoten in seinem Magen. Die Gnomen murrten untereinander und warfen ihm haßerfüllte Blicke zu. Tolpan schluckte, versuchte den bitteren Geschmack aus seinem Mund zu bekommen. Dann zog er Gnosch zur Seite.

»Gnosch, hast du etwas über die Kugel herausgefunden, als du sie studiert hast?« fragt Tolpan leise.

»Nun«, erwiderte Gnosch nachdenklich, »ich habe herausgefunden, daß im Innern – zumindest scheint es so – etwas ist, denn als ich auf sie starrte und starrte, sah ich die meiste Zeit nichts, und gerade als ich aufgeben wollte, sah ich Worte im Nebel wirbeln...«

»Worte?« unterbrach Tolpan interessiert. »Was für Worte?«

Gnosch schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte er ernst, »weil ich sie nicht lesen konnte; niemand könnte es, nicht einmal die Mitglieder der Fremdsprachengilde...«

»Wahrscheinlich Magie«, murmelte Tolpan.

»Ja«, sagte Gnosch eingeschüchtert, »das habe ich auch gedacht...«

Die Tür sprang auf, als ob etwas explodiert wäre.

Gnosch wirbelte verängstigt herum. Fizban stand in der Tür, hielt in einer Hand eine kleine schwarze Tasche und in der anderen seinen Stab und Tolpans Hupak. Gnosch sprang an ihm vorbei.

»Die Kugel!« kreischte er so aufgeregt, daß er tatsächlich einen Satz zu Ende brachte. »Du hast sie!«

»Ja, Gnosch«, antwortete Fizban.

Die Stimme des Magiers klang müde, und als Tolpan ihn näher musterte, sah er, daß er kurz vor einem Zusammenbruch war. Seine Haut war grau, seine Augen eingefallen. Er stützte sich schwer auf seinen Stab. »Komm mit mir, mein Junge«, sagte er zu dem Gnomen. »Und mach dir keine Sorgen. Deine Lebensaufgabe wird sich erfüllen. Aber jetzt muß die Kugel zum Treffen von Weißstein gebracht werden.«

»Mit dir kommen«, wiederholte Gnosch erstaunt, »zum Treffen«, er klatschte vor Aufregung in die Hände, »wo ich vielleicht gebeten werde, einen Vortrag zu halten, glaubst du...«

»Ich würde es zumindest annehmen«, antwortete Fizban.

»Sofort, gib mir nur etwas Zeit, meine Sachen zu packen, wo sind meine Unterlagen...«

Gnosch raste davon. Fizban wirbelte herum, um andere Gnomen zu stellen, die sich hinter ihn geschlichen hatten und eifrig nach seinen Stab griffen. Er knurrte sie dermaßen drohend an, daß sie im Untersuchungszimmer verschwanden.

»Was hast du herausgefunden?« fragte Tolpan und näherte sich Fizban zögernd. Der alte Magier schien von Dunkelheit umgeben. »Die Gnomen haben mit ihr nichts angestellt, oder?«

»Nein, nein.« Fizban seufzte. »Zum Glück für sie. Denn sie ist immer noch aktiv und mächtig. Viel wird von den Entscheidungen weniger abhängen – vielleicht das Schicksal der Welt.«

»Wie meinst du das? Wird auf dem Treffen keine Entscheidung gefällt werden?«

»Du verstehst nicht, mein Junge«, sagte Fizban sanft. »Sei einen Moment ruhig, ich muß mich ausruhen.« Der Magier setzte sich und lehnte sich gegen die Wand. Er schüttelte den Kopf, dann fuhr er fort: »Ich habe meinen Willen auf die Kugel konzentriert, Tolpan. Oh, nicht um Drachen zu kontrollieren«, fügte er hinzu, als er die aufgerissenen Augen des Kenders sah.

»Ich habe in die Zukunft gesehen.«

»Was hast du gesehen?« fragte Tolpan zögernd, da er wegen der bedrückten Miene des Magiers nicht sicher war, ob er es wirklich wissen wollte.

»Ich sah zwei Straßen, die sich vor uns erstreckten. Wenn wir die einfache nehmen, erscheint sie zunächst als die beste, aber Dunkelheit wird am Ende auftreten, die niemals zu heben sein wird. Wenn wir die andere Straße nehmen, wird sie hart und schwierig zu begehen sein. Es wird das Leben einiger, die wir lieben, kosten, mein Junge. Schlimmer noch, es kann andere ihre Seele kosten. Aber nur durch diese großen Opfer werden wir Hoffnung finden.« Fizban schloß seine Augen.

»Und die Kugel hat damit zu tun?« fragte Tolpan zitternd.

»Ja.«

»Weißt du, was getan werden muß... die d...dunkle Straße nehmen?« Tolpan fürchtete sich vor der Antwort.

»Ja«, erwiderte Fizban leise. »Aber die Entscheidungen darüber liegen nicht in meinen Händen. Das werden andere tun.«

»Ich verstehe«, seufzte Tolpan. »Vermutlich wichtige Leute. Leute wie Könige und Elfenlords und Ritter.« Dann hallten Fizbans Worte in seinem Kopf wider: Das Leben von einigen, die wir lieben...

Plötzlich war Tolpans Kehle wie zugeschnürt. Er barg seinen Kopf in seinen Händen. Dieses Abenteuer stellte sich als ganz falsch heraus! Wo war Tanis? Und der liebe alte Caramon? Und die hübsche Tika? Er hatte versucht, nicht an sie zu denken, erst recht seit dem Traum nicht.

Und Flint – ich hätte nicht ohne ihn gehen dürfen, dachte Tolpan verloren. Er könnte sterben, er könnte gerade jetzt sterben! Das Leben von einigen, die du liebst. Ich habe nie daran gedacht, daß einer von uns sterben könnte – nicht wirklich!

Aber jetzt sind wir alle irgendwo verstreut. Und die Dinge entwickeln sich sehr schlecht!

Tolpan spürte Fizbans Hand seinen Haarzopf streicheln, seine einzige große Eitelkeit. Und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich der Kender einsam und allein und verängstigt. Der Griff des Magiers wurde auf liebevolle Weise fester. Er vergrub sein Gesicht in Fizbans Ärmel und begann zu weinen.

Fizban streichelte ihn sanft. »Ja«, wiederholte der Magier, »wichtige Leute«.

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