11 Die Strafe für Versagen

»Hier ist es, Herr«, sagte der Drache, ein riesiges rotes Ungeheuer mit glänzenden schwarzen Augen und einer Flügelspanne, die wie die Schatten der Nacht war. »Burg Dargaard. Warte, im Mondschein kannst du es deutlich erkennen… wenn sich die Wolken teilen.«

»Ich sehe es«, erwiderte eine tiefe Stimme. Der Drache, der den messerscharfen Zorn in der Stimme des Mannes hörte, begann eilig mit dem Abstieg, überprüfte kreisend die schwankende Luftströmung in den Bergen. Nervös beäugte der Drache die Burg, die von den Felsen des zerklüfteten Gebirges umgeben war, und hielt nach einem Platz Ausschau, wo er sanft und problemlos landen konnte. Es wäre nicht gut, Lord Ariakus durchzuschütteln.

Am nördlichsten Ende der Dargaard-Berge lag ihr Ziel – Burg Dargaard, so düster und unheilvoll wie ihre Legenden. Einst, als die Welt jung gewesen war, hatte Burg Dargaard die Gebirgsgipfel geschmückt, ihre rosenfarbenen Mauern hatten sich in anmutiger, mitreißender Schönheit von den Felsen in der Ebenmäßigkeit einer Rose abgehoben. Aber jetzt, dachte Ariakus grimmig, war die Rose verwelkt. Der Drachenfürst war keineswegs ein poetischer Mann. Aber die feuergeschwärzte, zerfallene Burg auf dem Fels sah einer verblühten Rose an einem sterbenden Strauch so ähnlich, daß ihn das Bild heftig traf. Schwarze Gitter, die sich von einem zerstörten Turm zum nächsten zerstörten Turm erstreckten, wirkten längst nicht mehr wie die Blumenblätter der Rose, sondern, sinnierte Ariakus, wie das Netz einer Spinne, deren Gift die Burg getötet hatte. Der große rote Drache kreiste ein letztes Mal. Die südliche Mauer, die früher einmal den Hof befestigt hatte, war während der Umwälzung einige hundert Meter tief zum Fuß des Felsens gestürzt und hatte so eine Art Durchgang zu den Toren der Burg hinterlassen. Erleichtert aufatmend, sah der rote Drache unter sich glatten Pflasterstein, der nur hier und dort Risse aufwies, geeignet für eine reibungslose Landung. Selbst Drachen – die nur wenige Dinge auf Krynn fürchteten – empfanden es als gesünder, Lord Ariakus’ Mißfallen zu vermeiden.

Unten im Hof setzte plötzlich rege Tätigkeit ein, wie bei einem Ameisenhaufen, der durch das Nahen einer Wespe aufgescheucht wird. Drakonier schrien und zeigten nach oben. Der Hauptmann der Nachtwache eilte auf die Zinnen und blickte über die Mauer. Die Drakonier hatten recht. Eine Schar roter Drachen landete im Hof, einer von ihnen trug einen Offizier, nach der Rüstung zu urteilen. Der Hauptmann beobachtete mit Unbehagen, wie der Mann aus dem Drachensattel sprang, noch bevor sein Reittier hielt. Der Drache schlug heftig mit seinen Flügeln in dem Versuch, nicht den Offizier zu treffen, und ließ Staub hinter ihm aufwirbeln, als er zielstrebig über den Hof zur Tür schritt. Seine schwarzen Stiefel klirrten wie Totengeläut über die Pflastersteine.

Bei diesem Gedanken keuchte der Hauptmann auf, denn er hatte den Offizier erkannt. Er drehte sich um und wäre in seiner Eile beinahe über einen Drakonier gestolpert. Er verfluchte den Soldaten und rannte durch die Burg auf der Suche nach dem eingesetzten Befehlshaber, Garibanus.

Lord Ariakus’ gepanzerte Faust schlug so heftig gegen die Holztür, daß die Splitter flogen. Drakonier krochen herbei, um sie zu öffnen, und wichen kriecherisch zurück, als der Drachenfürst hineinstolzierte, begleitet von einem kalten Windzug, der die Kerzen auslöschte und die Flammen der Fackeln zum Flakkern brachte.

Beim Eintreten warf Ariakus durch seine glänzende Maske schnell einen Blick in den langen, kreisförmig angelegten Korridor, über den sich eine kuppelförmige Decke wölbte. Zwei riesige geschwungene Treppen erhoben sich zu beiden Seiten des Eingangs und führten zu einem Balkon auf der zweiten Ebene. Als sich Ariakus umschaute, die kriecherischen Drakonier übersehend, sah er Garibanus aus einer Tür in der Nähe der Treppe hervortreten, der hastig seine Hose zuknöpfte und ein Hemd über seinen Kopf zog. Der Hauptmann der Nachtwache stand zitternd neben Garibanus und wies nach unten auf den Drachenfürsten.

Ariakus wußte sofort, welche Gesellschaft der eingesetzte Befehlshaber genossen hatte. Offenbar ersetzte er den fehlenden Bakaris in mehr als einer Hinsicht!

»Da also ist sie!« dachte Lord Ariakus zufrieden. Er schritt durch den Korridor und die Treppe hoch, indem er zwei Stufen auf einmal nahm. Drakonier sprangen wie Ratten aus seinem Weg. Der Hauptmann der Nachtwache verschwand. Ariakus war etwa auf der Hälfte der Treppe, als Garibanus sich soweit gesammelt hatte, um ihn empfangen zu können.

»L…Lord Ariakus«, stammelte er, stopfte sein Hemd in die Hose und eilte die Stufen hinab. »Das ist eine – äh – unerwartete Ehre.«

»Nicht unerwartet, glaube ich«, gab Ariakus sanft zurück, seine Stimme klang seltsam metallisch unter dem Drachenhelm.

»Nun, vielleicht nicht«, sagte Garibanus mit einem nervösen Lachen.

Ariakus stieg weiter die Treppe hoch, seine Augen waren auf eine Tür gerichtet. Garibanus, der das Ziel des Fürsten erkannte, stellte sich zwischen Ariakus und die Tür.

»Mein Fürst«, begann er entschuldigend, »Kitiara ist gerade aufgestanden. Sie…«

Ohne ein Wort, sogar ohne im Schritt innezuhalten, schlug Lord Ariakus mit seiner behandschuhten Rechten zu. Der Schlag traf Garibanus am Brustkorb. Es zischte wie bei der Entleerung einer Lunge, Knochen splitterten, dann spritzte es auf, als der junge Mann durch die Wucht des Schlages gegen die Wand gegenüber der Treppe geschleudert wurde. Der schlaffe Körper glitt auf den Boden, aber Ariakus bemerkte es nicht. Ohne sich umzudrehen, schritt er weiter, seine Augen auf die Tür neben der Treppe gerichtet.

Lord Ariakus, Oberbefehlshaber der Drachenarmeen, der der Dunklen Königin direkt Bericht erstattete, war ein hervorragender Soldat, ein militärisches Genie. Ariakus hatte die Herrschaft über den Kontinent Ansalon fast in seiner Reichweite gehabt. Er ließ sich bereits »Herrscher« nennen. Seine Königin war wahrhaftig von ihm angetan, ihre Belohnungen waren vielzählig und großzügig.

Aber jetzt sah er seinen wunderbaren Traum wie Rauch durch seine Finger gleiten. Er hatte Berichte erhalten über seine Soldaten, die panisch über die solamnischen Ebenen flohen, aus Palanthas zurückwichen, sich von Burg Vingaard zurückzogen, Pläne über die Belagerung von Kalaman fallenließen. Die Elfen hatten sich mit den menschlichen Streitkräften im nördlichen und südlichen Ergod verbündet. Die Bergzwerge waren aus ihrem unterirdischen Reich Thorbadin aufgetaucht und hatten sich mit ihren uralten Feinden, den Hügelzwergen, und einer Gruppe menschlicher Flüchtlinge in der Absicht verbündet, die Drachenarmeen aus Abanasinia zu vertreiben. Silvanesti war befreit worden. Ein Drachenfürst war in Eismauer getötet worden. Und wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte, wurde Pax Tarkas von einer Gruppe Gossenzwerge gehalten! Während er die Stufen hinaufstieg und über diese Berichte nachdachte, steigerte sich Ariakus selbst in rasenden Zorn. Wenige hatten Lord Ariakus’ Mißfallen überlebt. Keiner jedoch überlebte seine Wutanfälle.

Ariakus hatte seine einflußreiche Position von seinem Vater übernommen, der einen hohen Rang als Kleriker bei der Königin der Finsternis innegehabt hatte. Obwohl erst vierzig Jahre alt, hielt Ariakus diese Position schon seit fast zwanzig Jahren (sein Vater war durch die Hände des eigenen Sohns frühzeitig gestorben). Als Ariakus zwei Jahre alt gewesen war, hatte er mit ansehen müssen, wie sein Vater seine Mutter brutal umbrachte, die mit ihrem kleinen Sohn fliehen wollte, bevor das Kind genauso vom Bösen verdorben werden konnte wie sein Vater.

Zwar hatte Ariakus seinen Vater nach außen hin immer mit Respekt behandelt, aber niemals vergaß er den Mord an seiner Mutter. Er arbeitete hart und zeichnete sich in seinen Studien aus und war der ganze Stolz seines Vaters. Viele fragten sich, ob der Vater diesen Stolz auch empfunden hatte, als er die ersten Stöße der Messerklinge seines neunzehnjährigen Sohns in seinen Körper eindringen spürte, als Vergeltung für den Tod der Mutter – und mit einem Auge auf den Thron des Drachenfürsten.

Jedenfalls war diese Tat für die Königin der Finsternis keine große Tragödie, denn sie fand schon bald heraus, daß der junge Ariakus den Verlust ihres Lieblingsklerikers mehr als wettmachte. Der junge Mann hatte selbst keine klerikale Begabung, aber seine beachtlichen Fähigkeiten als Zauberkundiger ließen ihn die Schwarze Robe und die Empfehlungen der bösen Zauberer, die ihn unterrichteten, gewinnen. Er bestand zwar die furchtbaren Prüfungen in den Türmen der Erzmagier, aber für Magie hatte er nichts übrig. Er praktizierte sie selten und trug niemals die Schwarze Robe, die seinen Status als Zauberer böser Mächte kennzeichnete.

Ariakus’ wahre Leidenschaft war der Krieg. Er war es gewesen, der die Strategie erarbeitet hatte, mit der die Drachenfürsten und ihre Soldaten in der Lage gewesen waren, fast den gesamten Kontinent Ansalon zu unterjochen. Er war es gewesen, der sichergestellt hatte, daß sie kaum mit Widerstand zu rechnen hatten, denn es war seine glänzende Strategie gewesen, sich schnell zu bewegen, die zerstrittenen Rassen der Menschen, Elfen und Zwerge zu schlagen, bevor sie sich verbünden konnten, und sich ihr Land stückchenweise einzuverleiben. Ariakus’ Plan sah vor, bis zum Sommer endgültig über Ansalon zu herrschen. Andere Drachenfürsten auf den anderen Kontinenten Krynns betrachteten ihn mit unverhülltem Neid – und mit Angst. Denn ein Kontinent würde Ariakus nie zufriedenstellen. Seine Augen waren bereits auf den Westen, das Sirrion-Meer, gerichtet.

Aber jetzt – Unglück und Katastrophen.

Als Ariakus die Tür von Kitiaras Schlafzimmer erreichte, fand er sie verschlossen vor. Kühl sprach er ein Wort in der Sprache der Magie, und die schwere Holztür sprang auf. Ariakus schritt durch den Schauer von Funken und blauen Flammen, die die Tür verschlangen, mit der Hand an seinem Schwert.

Kit lag im Bett. Beim Anblick von Ariakus setzte sie sich auf, mit einer Hand hielt sie ihren Morgenmantel zusammen. Trotz seiner rasenden Wut bewunderte Ariakus die Frau, auf die er sich von all seinen Befehlshabern am meisten verließ. Obwohl er sie in ihrer dienstfreien Zeit überrascht hatte, obwohl sie wissen mußte, daß sie ihr Leben verwirkt hatte, indem sie zugelassen hatte, besiegt zu werden, betrachtete sie ihn kühl und gelassen. Nicht eine Spur von Furcht lag in ihren braunen Augen, nicht ein Wort kam über ihre Lippen.

Das machte Ariakus nur noch zorniger, da es ihn an seine tiefe Enttäuschung durch sie erinnerte. Ohne ein Wort zu sagen, riß er den Drachenhelm vom Kopf und schleuderte ihn durch das Zimmer, wo er gegen eine mit Schnitzereien verzierte Holzkommode fiel und wie Glas zersprang.

Als Kitiara Ariakus’ Gesicht sah, verlor sie für einen Augenblick die Beherrschung und schrak in ihrem Bett zurück, ihre Hand griff nervös nach den Bändern ihres Morgenmantels. Es gab wenige, die in Ariakus’ Gesicht sehen konnten, ohne jeden Mut zu verlieren. Es war ein Gesicht bar jeglicher menschlicher Empfindung. Selbst sein Zorn zeigte sich nur in einem Muskelzucken seiner Kiefer. Langes schwarzes Haar floß um sein bleiches Gesicht. Ein Eintagebart schimmerte blau auf seiner glattrasierten Haut. Seine Augen waren schwarz und kalt wie ein zugefrorener See.

Ariakus erreichte das Bett mit einem Sprung. Er riß die Vorhänge um das Bett herunter und griff in Kitiaras kurzes, lockiges Haar. Er zog sie an den Haaren aus dem Bett und schleuderte sie auf den Steinboden.

Kitiara fiel hart, ein Schmerzensschrei entfuhr ihr. Aber sie erholte sich schnell und wirbelte bereits wie eine Katze hoch, als Ariakus’ Stimme ihr Einhalt gebot.

»Auf die Knie, Kitiara«, befahl er. Langsam und bedächtig zog er sein langes, glänzendes Schwert aus der Scheide. »Auf die Knie und senke deinen Kopf, so wie die Verurteilten, die das Schafott bestiegen haben. Denn ich bin dein Scharfrichter, Kitiara. So bezahlen meine Befehlshaber für ihr Versagen!«

Kitiara kniete, aber sie sah weiter zu ihm auf. Als er den Haß in ihren braunen Augen aufflammen sah, war Ariakus einen Moment lang dankbar, das Schwert in seiner Hand zu halten. Wieder mußte er sie bewundern. Selbst im Angesicht des Todes lag keine Furcht in ihren Augen. Nur Trotz.

Er hob die Klinge, aber der Schlag wurde nie ausgeführt. Knochenkalte Finger legten sich um das Gelenk seiner Schwerthand.

»Ich denke, du solltest dir die Erklärung der Fürstin anhören«, ertönte eine hohle Stimme.

Lord Ariakus war ein starker Mann. Er konnte einen Speer mit solch einer Wucht werfen, daß er den Körper eines Pferdes durchdrang. Er konnte den Hals eines Mannes mit einer Drehung seiner Hand brechen. Aber von diesem eisigen Griff konnte er sich nicht befreien, der langsam sein Handgelenk zerquetschte. Schließlich ließ Ariakus unter unerträglichen Schmerzen das Schwert fallen. Klappernd fiel es auf den Boden. Kitiara erhob sich etwas benommen. Mit einer Geste befahl sie ihrem geisterhaften Häscher, Ariakus freizulassen. Der Fürst wirbelte herum, hob eine Hand, um die Magie zu beschwören, die diese Kreatur in Schlacke verwandeln würde.

Dann hielt er inne. Mit stockendem Atem taumelte Ariakus zurück, der Zauberspruch, der ihm auf den Lippen lag, verschwand aus seinem Gedächtnis.

Vor ihm stand eine größere Gestalt als er selbst, in einer uralten Rüstung, die noch aus der Zeit vor der Umwälzung stammen mußte. Die Rüstung war die eines Ritters aus Solamnia. Das Wappen des Ordens der Rose war auf der Vorderseite abgebildet, verblaßt und kaum noch sichtbar. Die gepanzerte Gestalt trug keinen Helm, keine Waffen. Dennoch trat Ariakus noch einen Schritt zurück. Denn die Gestalt, die er anstarrte, war nicht die eines lebenden Mannes.

Das Gesicht der Gestalt war durchsichtig. Ariakus konnte durch das Gesicht auf die dahinterliegende Wand sehen. Ein blasses Licht flackerte in den Augenhöhlen. Das Wesen schien geradeaus zu sehen, als ob es auch durch Ariakus hindurchsehen würde.

»Ein toter Ritter!« flüsterte er ehrfürchtig.

Der Fürst rieb sein schmerzendes Handgelenk, das betäubt war von der Kälte jenes, der in einem Reich lebt, das weit entfernt von der Wärme lebenden Fleisches ist. Verängstigter, als er je zugeben würde, beugte sich Ariakus, um sein Schwert aufzuheben, murmelte einen Zauber, um die Nachwirkungen dieser tödlichen Berührung abzuwehren. Als er sich wieder erhob, warf er Kitiara einen bitteren Blick zu.

»Diese… diese Kreatur dient dir?« fragte er heiser. Kitiara zuckte mit den Schultern. »Sagen wir lieber, wir sind überein gekommen, uns gegenseitig zu dienen.«

Ariakus musterte sie mit neidischer Bewunderung. Nach einem Seitenblick auf den toten Ritter steckte er das Schwert wieder in die Scheide.

»Sucht er häufig dein Schlafzimmer auf?« Er schnaufte verächtlich. Sein Handgelenk schmerzte unerträglich.

»Er kommt und geht, wann er möchte«, erwiderte Kitiara. Sie zog lässig ihren Morgenmantel enger um ihren Körper, offenbar wegen der Kühle der morgendlichen Frühlingsluft und nicht aus Scham. Zitternd fuhr sie mit einer Hand durch ihr lockiges Haar und zuckte mit den Schultern. »Schließlich ist es seine Burg.«

Ariakus schwieg, ein geistesabwesender Blick erschien in seinen Augen, als sein Gedächtnis die uralten Legenden durchforstete. »Fürst Soth!« sagte er plötzlich und wandte sich zu der Gestalt: »Ritter der Schwarzen Rose.«

Der Ritter verbeugte sich bestätigend.

»Ich hatte die alte Geschichte über Burg Dargaard vergessen«, murmelte Ariakus und musterte Kitiara nachdenklich. »Du hast mehr Mut, als selbst ich dir zugetraut hätte – sich in diesem verfluchten Gemäuer niederzulassen. Nach der Legende herrscht Fürst Soth über eine Armee von Skelettkriegern…«

»Eine wirksame Kraft in einer Schlacht«, unterbrach ihn Kitiara gähnend. Sie ging zu einem kleinen Tisch neben dem Kamin und hob eine Karaffe aus geschliffenem Glas hoch. »Ihre Berührung allein«, sie schenkte Ariakus ein Lächeln, »nun, du weißt, wie ihre Berührung auf jene wirkt, die nicht über die magischen Fähigkeiten verfügen, sich zu verteidigen. Wein?«

»Ja, bitte«, antwortete Ariakus, seine Augen waren weiter auf das durchsichtige Gesicht von Fürst Soth gerichtet. »Was ist mit den dunklen Elfen, den Todesfeen, die ihm angeblich folgen?«

»Sie sind hier… irgendwo.« Kit fröstelte wieder, dann hob sie ihr Weinglas. »Du wirst sie wahrscheinlich in Kürze hören. Fürst Soth schläft natürlich nicht. Die Damen helfen ihm, die langen Stunden der Nacht zu verbringen.« Einen Augenblick lang erblaßte Kitiara, als sie ihr Weinglas an den Lippen hielt. Dann setzte sie es ab, ohne getrunken zu haben, ihre Hand zitterte leicht. »Es ist nicht angenehm«, sagte sie kurz. Dann blickte sie sich um und fragte: »Was hast du mit Garibanus angestellt?«

Nachdem er den Wein hinuntergestürzt hatte, machte Ariakus eine lässige Handbewegung. »Ich habe ihn… an der Treppe zurückgelassen.«

»Tot?« fragte Kitiara und schenkte dem Fürsten ein weiteres Glas Wein ein.

Ariakus blickte sie finster an. »Vielleicht. Er stand mir im Weg. Spielt es eine Rolle?«

»Ich fand ihn… unterhaltsam«, antwortete Kitiara. »Er ersetzte Bakaris in mehr als einer Hinsicht.«

»Bakaris, ja.« Lord Ariakus trank sein Glas leer. »Dein Kommandant hat es also geschafft, gefangengenommen zu werden, als deine Armee unterlag!«

»Er war ein Idiot«, entgegnete Kitiara kühl. »Er versuchte, den Drachen zu reiten, obwohl er verkrüppelt ist.«

»Das habe ich gehört. Was ist mit seinem Arm geschehen?«

»Die Elfenfrau schoß ihn mit einem Pfeil am Turm des Oberklerikers an. Es war sein Fehler, und jetzt hat er dafür bezahlt. Ich hatte ihn vom Kommando entbunden und zu meinem Leibwächter ernannt, aber er bestand darauf, seinen Fehler wiedergutzumachen.«

»Du scheinst seinen Verlust nicht gerade zu bedauern«, stellte Ariakus fest, Kitiara musternd. Ihr Morgenmantel, der nur am Hals von zwei Bändern zusammengehalten wurde, bedeckte nur wenig von ihrem geschmeidigen Körper.

Kit lächelte. »Nein, Garibanus ist… ein ganz guter Ersatz. Ich hoffe, du hast ihn nicht getötet. Es wäre eine Plage, jemanden zu suchen, der morgen nach Kalaman reist.«

»Was willst du in Kalaman – dich auf die Kapitulation vor der Elfenfrau und den Rittern vorbereiten?« fragte Lord Ariakus bitter, sein Zorn kehrte mit dem Wein zurück.

»Nein«, antwortete Kitiara. Sie saß in einem Stuhl gegenüber von Ariakus und musterte ihn kühl. »Ich bereite mich darauf vor, ihre Kapitulation anzunehmen.«

»Ha!« schnaubte Ariakus verächtlich. »Sie sind nicht verrückt. Sie wissen, daß sie gewinnen. Und sie haben recht!« Sein Gesicht lief rot an. Er nahm die Karaffe und leerte sie in sein Glas. »Du verdankst deinem toten Ritter dein Leben, Kitiara. Zumindest heute nacht. Aber er wird nicht ewig in deiner Nähe sein.«

»Meine Pläne verlaufen erfolgreicher, als ich gehofft habe«, erwiderte Kitiara sanft, nicht im geringsten durch Ariakus’ flackernden Blick irritiert. »Wenn ich dich genarrt habe, mein Fürst, habe ich keine Zweifel, daß ich auch den Feind narren werde.«

»Und wie hast du mich genarrt, Kitiara?« fragte Ariakus mit tödlicher Ruhe. »Willst du etwa sagen, daß du nicht an allen Fronten verlierst? Daß du nicht aus Solamnia vertrieben wurdest? Daß die Drachenlanzen und diese guten Drachen keine schändliche Niederlage herbeigeführt haben?« Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter.

»Haben sie nicht!« schnappte Kitiara, ihre braunen Augen blitzten auf. Sie beugte sich über den Tisch und ergriff Ariakus’ Hand, als er gerade sein Weinglas zu den Lippen führen wollte.

»Was die guten Drachen betrifft, mein Fürst, weiß ich von meinen Kundschaftern, daß ihre Rückkehr einem Elfenlord und einem Silberdrachen zu verdanken ist, die in den Tempel von Sanction eingebrochen waren und entdeckt haben, was mit den Eiern der guten Drachen passiert. Wessen Fehler ist das? Wer hat da einen Fehler begangen? Die Bewachung des Tempels lag in deiner Verantwortung…«

Wütend riß Ariakus seine Hand aus Kitiaras Griff frei. Er schleuderte das Weinglas durch das Zimmer, erhob sich und sah sie an.

»Bei den Göttern, du gehst zu weit!« schrie er.

»Hör mit dieser Pose auf«, sagte Kitiara. Sie erhob sich kühl, drehte sich um und ging durch das Zimmer. »Folge mir in mein Kriegszimmer. Dort werde ich dir meine Pläne erklären.«

Ariakus starrte auf die Karte vom nördlichen Ansalon. »Es könnte funktionieren«, räumte er ein.

»Natürlich wird es funktionieren«, sagte Kit, gähnte und streckte sich lustlos. »Meine Soldaten sind vor ihnen wie verängstigte Kaninchen davongerannt. Zu schade für die Ritter, daß sie nicht scharfsinnig genug waren, um zu bemerken, daß wir uns immer nach Süden bewegten, und sie haben sich nie gefragt, warum meine Soldaten offenbar einfach wegschmolzen und verschwanden. Während wir uns unterhalten, sammeln sich meine Soldaten in einem geschützten Tal südlich dieses Gebirges. Innerhalb einer Woche wird eine mehrere tausend Mann starke Armee bereit sein, in Kalaman einzumarschieren. Der Verlust ihres ›Goldenen Generals‹ wird ihre Moral untergraben. Die Stadt wird wahrscheinlich ohne Kampf kapitulieren. Von dort werde ich das ganze Land, das wir scheinbar verloren gegeben haben, zurückerobern. Gib mir das Kommando über die Soldaten dieses Dummkopfes Toede im Süden, laß die Fliegenden Zitadellen kommen, um die ich gebeten habe, und Solamnia wird glauben, eine zweite Umwälzung zu erleben.«

»Aber die Elfenfrau…«

»Braucht uns nicht zu kümmern«, unterbrach Kitiara. Ariakus schüttelte den Kopf. »Das scheint das schwache Glied in deinen Plänen zu sein, Kitiara. Was ist mit dem Halb-Elfen? Bist du dir sicher, daß er sich nicht einmischt?«

»Er ist uninteressant. Sie ist diejenige, um die es geht, und sie ist eine liebende Frau.« Kitiara zuckte die Schultern. »Sie vertraut mir, Ariakus. Du spottest, aber es ist wahr. Sie vertraut mir zu sehr und Tanis, dem Halb-Elfen, zu wenig. Aber so ist es immer mit Verliebten. Jenen, die wir am meisten lieben, vertrauen wir am wenigsten. Es hat sich als ganz glücklich herausgestellt, daß Bakaris in ihre Hände fiel.«

Ariakus, der aus ihrer Stimme eine Veränderung heraushörte, sah Kitiara prüfend an, aber sie hatte ihr Gesicht von ihm abgewendet. Er erkannte sofort, daß sie gar nicht so überzeugt war, wie sie schien, und dann wußte er, daß sie ihn angelogen hatte. Der Halb-Elf! Was war mit ihm? Wo war er beispielsweise? Ariakus hatte eine Menge von ihm gehört, aber ihn niemals kennengelernt. Der Drachenfürst zog in Erwägung, sie wegen dieser Sache zu bedrängen, aber er überlegte es sich anders. Es war besser, zu wissen, daß sie ihn angelogen hatte. Es gab ihm eine gewisse Macht über diese gefährliche Frau. Soll sie ihre Selbstzufriedenheit ruhig weiter auskosten.

Gleichgültigkeit vortäuschend, fing Ariakus zu gähnen an.

»Was hast du mit der Elfenfrau vor?« fragte er, so wie sie es von ihm erwartet hätte. Ariakus’ Vorliebe für zierliche Blondinen war bekannt.

Kitiara zog ihre Augenbrauen hoch und warf ihm einen koketten Blick zu. »Zu schade, mein Fürst«, sagte sie spöttisch, »aber die Dunkle Königin verlangt die Dame. Vielleicht kannst du sie haben, wenn sie mit ihr fertig ist.«

Ariakus erbebte. »Pah, dann wird sie für mich nicht mehr von Interesse sein. Gib sie deinem Freund Fürst Soth. Vor langer Zeit gefielen ihm Elfenfrauen, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Das stimmt«, murmelte Kitiara. Ihre Augen verengten sich. Sie hob ihre Hand. »Hör mal«, sagte sie leise.

Ariakus horchte. Zuerst hörte er nichts, dann nahm er allmählich einen seltsamen Klang wahr – ein durchdringendes Wimmern, als ob Hunderte Frauen ihre Toten betrauern würden. Während des Zuhörens wurde es immer lauter und durchbohrte die Stille der Nacht.

Der Drachenfürst setzte sein Weinglas ab, über seine zitternde Hand erschrocken. Er sah zu Kitiara; sie war blaß geworden. Ihre großen Augen weiteten sich. Als Kitiara seinen Blick bemerkte, schluckte sie und befeuchtete ihre trockenen Lippen.

»Furchtbar, nicht wahr?« fragte sie mit heiserer Stimme.

»Ich habe entsetzliche Sachen in den Türmen der Erzmagier erlebt«, sagte Ariakus, »aber das war nichts im Vergleich zu dem hier. Was ist das?«

»Komm«, sagte Kitiara, während sie aufstand. »Wenn du den Mut hast, zeige ich es dir.«

Sie verließen das Kriegszimmer, und Kitiara führte Ariakus durch die kurvenreichen Korridore des Schlosses, bis sie wieder in Kits Schlafzimmer über der kreisförmigen Eingangshalle mit der kuppelförmigen Decke anlangten.

»Bleib im Schatten«, warnte Kitiara.

Eine unnötige Warnung, dachte Ariakus, während sie leise nach draußen auf einen Balkon schlichen, von dem aus man die kreisförmige Halle überblicken konnte. Als er über den Rand des Balkons spähte, wurde Ariakus von blankem Entsetzen überwältigt. Schweißnaß zog er sich schnell in Kitiaras Schlafzimmer zurück.

»Wie kannst du das aushalten?« fragte er sie, als sie eingetreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Geht das jede Nacht so?«

»Ja«, antwortete sie zitternd. Sie holte tief Luft und schloß ihre Augen. Innerhalb von Sekunden hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Manchmal glaube ich, daß ich mich daran gewöhnt habe, dann mache ich den Fehler hinunterzusehen. Das Lied ist nicht so schlimm…«

»Fürst Soth sitzt also jede Nacht da unten auf seinem Thron, umgeben von seinen Skelettkriegern, und die dunklen Hexen singen dieses entsetzliche Schlaflied«, brummte Ariakus.

»Und es ist immer dasselbe Lied«, murmelte Kitiara. Zitternd hob sie geistesabwesend die leere Weinkaraffe hoch und setzte sie wieder ab. »Obwohl die Vergangenheit ihn gequält hat, kann er ihr nicht entkommen. Immer grübelt er, fragt sich, was er hätte tun können, um diesem Schicksal zu entgehen, das ihn verdammt, ohne Ruhe für alle Ewigkeit durch das Land zu ziehen. Die dunklen Elfenfrauen, die eine Rolle bei seinem Niedergang spielten, sind gezwungen, seine Geschichte mit ihm immer wieder durchzumachen. Jede Nacht müssen sie es wiederholen. Jede Nacht muß er sich das anhören.«

»Was bedeuten die Worte?«

»Ich kenne sie inzwischen genauso gut wie er.« Kitiara lachte, dann zuckte sie die Achseln. »Laß noch Wein kommen, und ich erzähle dir die Geschichte, wenn du Zeit hast.«

»Ich habe Zeit«, sagte Ariakus und lehnte sich im Stuhl zurück. »Obwohl ich morgen früh aufbrechen muß, wenn ich die Zitadellen schicken soll.«

Kitiara lächelte ihn an, das bezaubernde, verworfene Lächeln, das so viele anziehend fanden.

»Ich danke dir, mein Fürst«, sagte sie. »Ich werde dich nicht noch einmal enttäuschen.«

»Nein«, sagte Ariakus kühl und läutete mit einer kleinen silbernen Glocke. »Das kann ich dir versprechen, Kitiara. Wenn das noch einmal der Fall sein sollte, dann wirst du sein Schicksal«, er zeigte nach unten, wo das Wimmern seinen schaurigen Höhepunkt erreichte, »im Vergleich zu deinem als angenehm empfinden.«

Der Ritter der Schwarzen Rose

»Wie du weißt«, begann Kitiara, »war Fürst Soth ein wahrer und ehrenwerter Ritter von Solamnia. Aber er war ein höchst leidenschaftlicher Mann, dem es an Selbstdisziplin fehlte, und das wurde ihm zum Verhängnis.

Soth verliebte sich in ein wunderschönes Elfenmädchen, eine Jüngerin von Istars Königspriester. Zu dieser Zeit war er verheiratet, aber die Gedanken an seine Frau schwanden beim Anblick des schönen Elfenmädchens. Er setzte sich über sein heiliges Heiratsgelöbnis und seine Ritterschwüre hinweg und gab seiner Leidenschaft nach. Er log das Mädchen an, verführte es, überredete es, auf Burg Dargaard zu leben, und versprach ihr die Ehe. Seine Frau verschwand unter unheilvollen Umständen.«

Kitiara zuckte die Achseln und fuhr fort.

»Wie ich aus dem Lied verstanden habe, blieb das Elfenmädchen dem Ritter treu, als es seine furchtbaren Taten herausfand. Sie betete zur Göttin Mishakal und fragte, ob der Ritter seine Sünden abbüßen dürfe, und offenbar wurden ihre Gebete erhört. Fürst Soth wurde die Macht gegeben, die Umwälzung zu verhindern, obwohl es bedeuten würde, sein eigenes Leben zu opfern.

Gestärkt durch die Liebe des Mädchens, das er entehrt und betrogen hatte, machte sich Fürst Soth nach Istar auf, in der Absicht, den Königspriester aufzuhalten und seine verlorene Ehre wiederherzustellen.

Aber der Ritter wurde auf seiner Reise von Elfenfrauen aufgehalten, Jüngerinnen des Königspriesters, die von Fürst Soths Verbrechen wußten und drohten, ihn zu zerstören. Um seine Liebe zu dem Elfenmädchen zu schwächen, enthüllten sie ihm, daß sie in seiner Abwesenheit untreu gewesen wäre. Soths Temperament ging mit ihm durch, und er verlor alle Vernunft. In einem Anfall von Eifersucht ritt er nach Burg Dargaard zurück. Er trat durch die Tür und beschuldigte das unschuldige Mädchen der Untreue. Dann erfolgte die Umwälzung. Der riesige Kerzenleuchter im Korridor fiel zu Boden, und das Elfenmädchen und ihr Kind verbrannten jämmerlich. Bevor sie starb, flehte sie noch einen Fluch über den Ritter herbei, verdammte ihn zum ewigen entsetzlichen Leben. Soth und sein Gefolge starben im Feuer, aber nur, um so fürchterlich wiedergeboren zu werden.«


»Das ist es also, was er hört«, murmelte Ariakus lauschend.

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