7

Caramons eiskalte Bemerkung ließ den Kender zusammenzucken.

»Umbringen? Ich finde, du solltest darüber nachdenken, Caramon«, stammelte Tolpan. »Ich meine, dieser Fistandantilus ist ein wirklich begabter Zauberer und sogar noch besser als Raistlin und Par-Salian zusammen, wenn das stimmt, was sie sagen. Du kannst dich nicht einfach heranschleichen und so einen Burschen umbringen. Insbesondere, wenn du noch nie jemanden umgebracht hast!«

»Er muß schlafen, oder nicht?« fragte Caramon.

»Nun«, zögerte Tolpan. »Vermutlich. Jeder muß schlafen, glaube ich, sogar Zauberer...«

»Vor allem Zauberer«, unterbrach ihn Caramon kalt. »Du erinnerst dich doch, wie schwach Raistlin immer war, wenn er nicht geschlafen hatte. Und das trifft auf alle Zauberer zu, selbst die mächtigsten. Das ist ein Grund, warum sie die große Schlacht verloren haben. Sie mußten sich ausruhen. Und hör auf, dauernd ›wir‹ zu sagen. Ich werde es machen. Du brauchst nicht einmal mitzukommen. Finde nur heraus, wo sein Zimmer ist, welche Verteidigungsmaßnahmen er trifft und wann er schlafen geht. Dann übernehme ich die Angelegenheit.«

»Caramon«, begann Tolpan zögernd, »glaubst du wirklich, daß das richtig ist? Ich weiß, daß dieser Fistandantilus eine wirklich böse Person ist, und er trägt die schwarzen Roben, aber ist es richtig, ihn umzubringen? Ich meine, daß wir durch diese Tat genauso böse werden wie er, oder nicht?«

»Es ist mir egal«, erwiderte Caramon, und seine Augen glitten zu der Keule, die er langsam hin und her schwang. »Es geht um sein Leben oder um das Raistlins, Tolpan. Wenn ich Fistandantilus jetzt in der Vergangenheit töte, könnte ich Raistlin von diesem zerstörten Körper befreien, Tolpan, und ihn wieder ganz machen! Wenn ich ihn erst einmal von dem bösen Einfluß, den dieser Mann auf ihn ausübt, befreit habe – dann weiß ich, daß er wieder der alte Raistlin ist. Der kleine Bruder, den ich liebte.« Caramons Stimme wurde sehnsüchtig, seine Augen feucht. »Er könnte zu uns kommen und bei uns leben, Tolpan.«

»Was ist mit Tika?« fragte Tolpan. »Wie wird sie das finden, daß du jemanden umbringst?«

Caramons braune Augen blitzten zornig auf. »Ich sagte es dir bereits – erwähne sie nicht wieder, Tolpan!«

»Aber, Caramon...«

»Es ist mein Ernst, Tolpan!«

Und dieses Mal lag in der Stimme des großen Mannes ein Ton, dem Tolpan entnahm, daß er zu weit gegangen war.

»Schau mal, Tolpan«, sagte Caramon ruhig. »Ich bin nicht gut zu Tika gewesen. Sie hatte recht, mich rauszuschmeißen, das sehe ich jetzt ein, obgleich es eine Zeit gab, in der ich dachte, daß ich ihr das niemals verzeihen würde.« Er schwieg kurz, ordnete seine Gedanken. Dann fuhr er mit einem Seufzer fort. »Ich sagte ihr bereits, daß Raistlin bei mir immer an erster Stelle stehen würde, solange er lebt. Ich sagte ihr, sie solle sich einen anderen suchen, der ihr seine ganze Liebe geben könne. Ich dachte zuerst, ich könnte es, als Raistlin fortging, um allein zu leben. Aber« – er schüttelte den Kopf – »ich konnte es nicht. Es hat nicht funktioniert. Jetzt muß ich die Sache hier erledigen, verstehst du das nicht? Und ich kann nicht an Tika denken! Sie... sie steht mir nur im Weg...«

»Aber Tika liebt dich!« war das einzige, was Tolpan herausbringen konnte.

»In Ordnung, Tolpan«, sagte Caramon, seine Stimme klang so tief. »Ich denke, dies bedeutet unseren Abschied. Frag den Zwerg nach einem anderen Zimmer. Ich werde die Sache erledigen, und wenn sie schief geht, möchte ich nicht, daß du in Schwierigkeiten gerätst...«

»In Ordnung«, antwortete Tolpan unglücklich.

Der nächste Tag war Caramons erster Kampftag bei den Spielen. Tolpan erledigte am frühen Morgen seinen Besuch im Tempel und war rechtzeitig zurück, um Caramons Kampf zu sehen, der am Nachmittag stattfinden sollte. Er saß auf dem Bett, schlenkerte mit seinen kurzen Beinen hin und her und erstattete Bericht, während Caramon nervös durch den Raum ging und auf den Zwerg und Pheragas wartete, die ihm sein Kostüm bringen sollten.

»Du hast recht«, gab Tolpan widerstrebend zu. »Fistandantilus braucht offensichtlich eine Menge Schlaf. Er geht jeden Abend früh zu Bett und schläft wie ein Toter – ich meine, er schläft fest bis zum Morgen.«

Caramon sah ihn grimmig an. »Wachmänner?«

»Nein«, antwortete Tolpan schulterzuckend. »Er verschließt nicht einmal seine Tür. Niemand verschließt Türen im Tempel. Immerhin ist es ein heiliger Ort, und vermutlich vertraut jeder jedem, oder sie haben nichts zum Verschließen.«

Caramon öffnete den Mund und wollte gerade eine Antwort geben, als die Tür ihres Zimmers aufgestoßen wurde und Arak hereinmarschierte.

»Wie geht es uns denn, Caramon?« fragte der Zwerg und grinste Caramon anzüglich an. Er tätschelte bewundernd die harten Muskeln des großen Mannes, dann ballte er die Hand und schlug sie plötzlich in Caramons Bauch. »Hart wie Stahl«, stellte er fest, grinste und schüttelte vor Schmerz die Hand.

Caramon warf dem Zwerg einen finsteren Blick zu und seufzte. »Wo ist mein Kostüm?« brummte er. »Es ist fast Mittwacht.«

Der Zwerg hielt einen Sack hoch. »Es ist hier drin. Mach dir keine Sorgen, du wirst nicht lange zum Anziehen brauchen.«

Caramon ergriff nervös den Sack und öffnete ihn. »Wo ist der Rest?« herrschte er Pheragas an, der gerade den Raum betreten hatte.

»Das ist alles!« kicherte Arak. »Ich sagte dir doch, du wirst nicht lange zum Anziehen brauchen!«

Caramons Gesicht lief tiefrot an. »Ich... ich kann das doch... nicht tragen...«, stammelte er und schloß hastig den Sack. »Du hast gesagt, da wären auch Damen...«

»Und sie lieben jeden braungebrannten Zentimeter!« höhnte Arak. Dann verschwand das Lachen aus dem zerklüfteten Gesicht des Zwergs, und ein drohender Blick trat an seine Stelle. »Zieh das an, du großer Dummkopf! Was glaubst du wohl, wofür sie zahlen? Um eine Tanzschule zu sehen? Nein – sie zahlen, weil sie mit Schweiß und Blut bedeckte Körper sehen wollen. Je mehr Körper, je mehr Schweiß, je mehr Blut – richtiges Blut —, um so besser!«

»Richtiges Blut?« Caramon sah auf, seine braunen Augen flackerten. »Was meinst du damit? Du hast doch gesagt...«

»Pah! Kümmere dich um ihn, Pheragas. Und dabei kannst du diesem verwöhnten Kerl die Tatsachen des Lebens erklären. Es ist an der Zeit, erwachsen zu werden, Caramon!« Mit einem krächzenden Lachen stolzierte der Zwerg hinaus.

Pheragas trat zur Seite, um den Zwerg vorbeizulassen. Sein Gesicht, normalerweise gutgelaunt und fröhlich, war wie eine Maske. Seine Augen waren ausdruckslos, und er vermied es, Caramon anzusehen.

»Was hat er gemeint? Erwachsenwerden?« fragte Caramon. »Richtiges Blut?«

»Hier«, sagte Pheragas schroff. »Ich helfe dir bei den Riemen. Am Anfang dauert es ein bißchen, sich daran zu gewöhnen. Sie dienen nur als Verzierung und gehen schnell kaputt. Die Zuschauer lieben es, wenn sich ein Stück lockert oder abfällt.«

Er nahm einen verzierten Schulterbügel aus dem Beutel und begann, ihn an Caramon festzuschnallen.

»Sie sind ja aus Gold«, bemerkte Caramon. »Butter würde eher ein Messer aufhalten als dieses Material«, fuhr er fort, während er es befühlte.

»Ja.« Pheragas lachte, aber es war ein gezwungenes Lachen. »Du siehst also, es ist fast besser, nackt zu sein als dieses Zeug zu tragen.«

»Dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen«, bemerkte Caramon grimmig und zog den ledernen Lendenschurz hervor, der das einzige Kleidungsstück im Sack war. Auch er war mit Gold verziert und bedeckte kaum sein Geschlecht. Als er fertig angezogen war, errötete sogar der Kender über den hinteren Anblick Caramons.

Pheragas wollte gehen, aber Caramon hielt ihn auf, seine Hand lag auf seinem Arm. »Du sagst es mir besser, mein Freund, was du mir noch zu sagen hast. Das heißt, falls du noch mein Freund bist.«

Pheragas sah Caramon aufmerksam an, dann zuckte er die Schultern. »Ich dachte, du hättest es inzwischen selbst kapiert. Wir verwenden scharfe Waffen. Oh, die Schwerter sind zusammenklappbar«, fügte er hinzu, als er sah, daß sich Caramons Augen verengten. »Aber wenn du getroffen wirst, blutest du wirklich.«

»Du meinst, Leute werden wirklich verletzt?« Caramons Stimme erhob sich im Zorn. »Was geht hier vor? Was hast du mir noch verschwiegen, Freund?«

Pheragas musterte Caramon kalt. »Was glaubst du wohl, wo ich meine Narben erhalten habe? Eines Tages wirst du es verstehen. Jetzt ist keine Zeit für Erklärungen. Vertraue uns einfach, Kiiri und mir. Folge unserem Beispiel. Und behalte die Minotaurier im Auge. Sie kämpfen für sich, nicht für einen Herrn oder einen Besitzer. Sie brauchen sich vor niemand zu verantworten. Oh, sie haben sich einverstanden erklärt, sich an die Regeln zu halten – das müssen sie, oder der Königspriester würde sie zurück nach Mitras bringen lassen. Aber sie sind die Lieblinge der Zuschauer. Sie können genauso gut Hiebe austeilen wie einstecken.«

»Verschwinde!« knurrte Caramon.

Pheragas starrte ihn kurz an, dann drehte er sich um und ging aus der Tür. Doch da hielt er noch einmal an. »Hör mir zu, Freund«, sagte er ernst. »Diese Narben, die ich im Ring erhalten habe, sind Ehrenauszeichnungen. Es ist die einzige Art der Ehre, die wir haben, und sie hält uns am Leben.« Er verstummte. Es schien, als ob er noch etwas sagen wollte, aber Caramon hielt seinen Blick starr auf den Boden gerichtet.

Schließlich sagte Pheragas: »Es bleiben dir noch fünf Minuten«, und dann ging er, die Tür hinter sich zuwerfend.

Tolpan sehnte sich danach, auch etwas zu sagen, aber als er Caramons Gesicht sah, wußte selbst er, daß es an der Zeit war, den Mund zu halten.

»Wenn du mit bösem Blut in eine Schlacht gehst, wird es bis zum Einbruch der Nacht vergossen sein.« Caramon konnte sich nicht mehr erinnern, wer ihm das gesagt hatte, aber er hatte diesen Grundsatz immer beherzigt. Dein Leben hängt oft von der Loyalität derer ab, mit denen du kämpfst. Folglich ist es am besten, vorher alle Streitigkeiten zu schlichten. Ihm gefiel es sowieso nicht, Groll zu hegen.

Es fiel ihm darum beim Eintritt in die Arena leicht, sich bei Pheragas zu entschuldigen. Pheragas nahm seine Entschuldigung herzlich entgegen, während Kiiri, die offensichtlich von Pheragas über ihre Auseinandersetzung informiert worden war, ihre Anerkennung mit einem Lächeln bekundete. Ebenfalls bekundete sie ihre Anerkennung über Caramons Kostüm; sie sah ihn mit offener Bewunderung in ihren aufblitzenden Augen an, daß Caramon vor Verlegenheit errötete.

Die drei standen in einem der Korridore, die unter der Arena verliefen, unterhielten sich und warteten auf ihren Auftritt. Bei ihnen waren die anderen Gladiatoren, die heute kämpfen würden, Rolf, der Barbar und der Rote Minotaurus. Über sich hörten sie das gelegentliche Aufbrüllen der Menge. Caramon wünschte, daß es endlich Zeit für den Start wäre. Selten war er so nervös gewesen.

Auch die anderen spürten die Spannung. Sie war offensichtlich in Kiiris Lachen, das zu schrill und zu laut war, und im Schweiß, der über Pheragas’ Gesicht lief. Aber es war eine gute Spannung, vermischt mit Aufregung. Und plötzlich erkannte Caramon, daß er sich darauf freute.

»Arak hat unsere Namen aufgerufen«, sagte Kiiri. Sie, Pheragas und Caramon traten vor – der Zwerg hatte entschieden, daß sie als Gruppe kämpfen sollten, da sie gut zusammengearbeitet hatten.

Die Arena, in der Caramon in den vergangenen Monaten so hart gearbeitet und geübt hatte, war plötzlich ein fremder Ort. Sein Blick ging zu den riesigen kreisförmigen Reihen der Zuschauertribünen, die die Arena umgaben; alle schrien, stampften und tobten.

Die Farben verschwammen vor seinen Augen – farbenfroh flatternde Banner, die einen Spieltag verkündeten, silberne Banner aller vornehmen Familien Istars und die Fähnchen der Verkäufer, die je nach Jahreszeit alles von Fruchteis bis hin zu tarbäischem Tee anboten. Und alles schien sich in Bewegung zu befinden, ließ ihn schwindelig werden und verursachte ihm plötzlich Übelkeit. Dann spürte er Kiiris kühle Hand auf seinem Arm. Er drehte sich um und sah ihr beruhigendes Lächeln. Er sah die vertraute Arena hinter ihr, er sah Pheragas und seine anderen Freunde.

Er hielt die Augen auf seine Partner und die Arena gerichtet, ignorierte den Lärm und die Menge, nahm seinen Platz ein und wartete auf den Beginn des Kampfes. Die Arena sah irgendwie anders aus. Dann wurde ihm klar, daß nicht nur sie im Kostüm waren, sondern daß der Zwerg auch die Arena geschmückt hatte. Es waren die gleichen mit Sägemehl bestreuten Plattformen, auf denen er jeden Tag gekämpft hatte, aber nun waren sie mit Symbolen verziert, die die vier Enden der Welt darstellten.

Um diese vier Plattformen brannten heiße Kohlenstücke, toste das Feuer, kochte das Öl. Holzbrücken spannten sich über den Totengruben und verbanden die vier Plattformen. Diese Gruben hatten Caramon anfangs beunruhigt. Aber er hatte schon früh bei den Proben erfahren, daß sie nur Eindruck machen sollten. Die Zuschauer liebten es, wenn ein Krieger von der Arena auf die Brücken zurückgedrängt wurde. Sie waren nicht mehr zu zügeln, wenn der Barbar Rolf an den Füßen über das kochende Öl hielt. Da er alles bei den Proben gesehen hatte, konnte Caramon mit Kiiri über den verängstigten Ausdruck auf Rolfs Gesicht und seine hektischen Anstrengungen lachen, die er unternahm, um sich zu retten, und die wie immer damit endeten, daß der Barbar von Rolfs kräftigen Armen am Kopf getroffen wurde.

Die Sonne erreichte ihren Zenit, und ein goldenes Aufblitzen lenkte Caramons Augen zur Mitte der Arena. Dort stand der Freiheitsturm – ein hohes Bauwerk aus Gold, so zerbrechlich und verziert, daß es in so rauher Umgebung fehl am Platze zu sein schien. An seiner Spitze hing ein Schlüssel, der das Schloß eines jeden Eisenbandes aufschloß. Caramon hatte den Turm schon oft genug bei seinen Übungen gesehen, aber niemals den Schlüssel, der in Araks Büro verschlossen gehalten wurde. Allein der Blick darauf ließ das Eisenband um seinen Hals ungewöhnlich schwer werden. Seine Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Freiheit... Am Morgen zu erwachen und in der Lage zu sein, aus der Tür zu gehen, sich auf dieser weiten Welt zu bewegen, wohin man nur wollte. Es war so einfach. Wie sehr er sich jetzt danach sehnte!

Dann hörte er Arak seinen Namen aufrufen. Caramon umklammerte seine Waffe und wandte sich zu Kiiri, immer noch an den goldenen Schlüssel denkend. Am Jahresende konnte jeder Sklave, der sich bei den Spielen bewährt hatte, um das Recht kämpfen, den Turm zu erklimmen und den Schlüssel in die Hand zu bekommen. Caramon hatte darüber noch nie nachgedacht – seine einzige Sorge hatte seinem Bruder und Fistandantilus gegolten. Aber nun, so wurde ihm klar, hatte er ein neues Ziel. Mit einem wilden Aufschrei hob er grüßend sein falsches Schwert hoch in die Luft.

Bald begann Caramon sich zu entspannen. Er genoß den Beifall der Menge. Von ihrer Aufregung angesteckt, entdeckte er, daß sie unterstützend wirkte, so wie Kiiri es ihm vorhergesagt hatte. Die wenigen Wunden, die er bei den Anfangskämpfen erhielt, waren nicht der Rede wert, lediglich Kratzer. Er spürte nicht einmal den Schmerz.

»Sie mögen dich«, sagte Kiiri und lächelte ihn während einer Ruhepause an. Wieder einmal glitten ihre Augen bewundernd über Caramons muskulösen, fast nackten Körper. »Ich kann es ihnen nicht verübeln. Ich freue mich schon auf unseren Ringkampf.«

Kiiri lachte über sein Erröten, aber Caramon sah in ihren Augen, daß sie nicht gescherzt hatte, und wurde sich plötzlich ihrer Weiblichkeit bewußt – etwas, was ihm bei den Übungen entgangen war. Vielleicht war es ihr eigenes knappes Kostüm, das alles enthüllen sollte und dennoch alles verbarg, was am begehrenswertesten schien. Caramons Blut wallte auf, sowohl vor Leidenschaft als auch vor Freude, die er immer in der Schlacht empfunden hatte. Erinnerungen an Tika tauchten auf, und er sah eilig von Kiiri weg, sich bewußt werdend, daß er schon viel mehr mit seinen Augen gesagt hatte, als ihm lieb war.

»Wir sind wieder dran.« Kiiri stieß ihn an, und Caramon kehrte in den Ring zurück.

Er grinste den Barbaren an, als dieser nach vorne schritt. Dies war ihre große Nummer, und er und Caramon hatten sie viele Male geübt. Der Barbar blinzelte Caramon zu, als sie sich gegenübertraten, ihre Gesichter in wildem Haß verzerrt. Knurrend wie Tiere, nahmen beide Männer eine geduckte Haltung ein und stolzierten eine Zeitlang im Ring herum, um Spannung aufzubauen. Caramon ertappte sich beim Grinsen und mußte sich daran erinnern, daß er niederträchtig auszusehen hatte. Er mochte den Barbaren. Dieser Mann aus den Ebenen erinnerte ihn in vielerlei Hinsicht an Flußwind – hochgewachsen, dunkelhaarig, obgleich nicht ganz so ernst und streng.

Auch der Barbar war ein Sklave, aber das Eisenband um seinen Hals war alt und wies Kratzer von unzähligen Schlachten auf. Er würde einer der Auserwählten sein, die in diesem Jahr um den goldenen Schlüssel kämpfen würden, das stand bereits fest.

Caramon stieß ihm sein zusammenklappbares Schwert entgegen. Der Barbar wich ihm mühelos aus, bekam Caramon am Fuß zu fassen und stellte ihm ein Bein. Caramon stürzte brüllend zu Boden. Die Zuschauer stöhnten auf, aber es gab auch viel Applaus für den Barbaren, der ein Publikumsliebling war. Er sprang mit einem Speer auf den hingestreckt liegenden Caramon zu. Die Frauen schrien vor Entsetzen auf. Im letzten Augenblick wälzte sich Caramon zur Seite, ergriff einen Fuß des Barbaren und riß ihn nach unten auf die Sägemehlplattform.

Ein Beifallssturm setzte ein. Die zwei Männer kämpften auf dem Boden der Arena. Kiiri stürzte herbei, um ihrem gestürzten Kameraden zu helfen, und der Barbar wehrte zum Entzücken der Menge beide ab. Dann befahl Caramon Kiiri, sich zurück in die Linie zu stellen. Es war für die Menge offensichtlich, daß er sich allein um diesen unverschämten Gegner kümmern wollte.

Kiiri tätschelte Caramon am Hinterteil (das stand nicht im Drehbuch und ließ Caramon beinahe seinen nächsten Schritt vergessen), dann lief sie davon. Der Barbar sprang Caramon an und zückte dabei seinen zusammenklappbaren Dolch. Das war der letzte Teil der Vorführung – wie sie es geplant hatten. Caramon duckte sich in einem geschickten Manöver unterhalb der erhobenen Arme des Barbaren und stieß den falschen Dolch direkt in den Bauch des Barbaren, wo eine Blase Hühnerblut unter dem Brustharnisch versteckt war.

Es funktionierte! Das Hühnerblut spritzte über Caramon, lief über seine Hand und seinen Arm. Caramon sah in das Gesicht des Barbaren, bereit zu einem weiteren triumphierenden Blinzeln...

Etwas stimmte nicht.

Die Augen des Mannes hatten sich geweitet, so wie es im Drehbuch stand. Aber sie hatten sich in echtem Schmerz und in echtem Entsetzen geweitet. Er taumelte nach vorne – das hatte auch im Drehbuch gestanden, aber nicht dieses qualvolle Aufkeuchen. Als Caramon ihn auffing, erkannte er entsetzt, daß das über seinen Arm strömende Blut warm war!

Caramon riß den Dolch heraus und starrte ihn an, während er sich gleichzeitig abmühte, den Barbaren festzuhalten, der wieder an seiner Seite zusammenbrach. Die Klinge war echt!

»Caramon...« Der Mann würgte. Blut spritzte aus seinem Mund.

Die Zuschauer brüllten. Derartige Spezialeffekte hatten sie seit Monaten nicht mehr gesehen!

»Barbar! Ich wußte es nicht!« schrie Caramon, während er entsetzt den Dolch anstarrte. »Ich schwöre es!«

Und dann standen Pheragas und Kiiri an seiner Seite und halfen den sterbenden Barbaren auf den Arenaboden legen.

»Mach weiter!« schnappte Kiiri grob.

Caramon stieß sie vor Zorn fast um, aber Pheragas hielt seinen Arm fest. »Dein Leben, unser Leben hängt davon ab!« zischte der schwarze Mann. »Und das Leben deines Freundes!«

Caramon starrte sie verwirrt an. Was meinten sie damit? Was sagten sie da? Er hatte nur einen Mann getötet – einen Freund! Stöhnend riß er sich von Pheragas los und kniete vor dem Barbaren nieder. Verschwommen konnte er die Menge jubeln hören, und er wußte, daß die Zuschauer diese Szene mit ihren Augen verschlangen. Der Sieger zollte dem »Toten« seine Anerkennung.

»Verzeih mir«, sagte er zu dem Barbaren, der nickte.

»Es ist nicht dein Fehler«, flüsterte der Mann. »Gib dir nicht die Schuld...« Seine Augen erstarrten, Blut schoß von seinen Lippen.

»Wir müssen ihn fortschaffen«, flüsterte Pheragas Caramon zu, »und laß es gut aussehen. Wie wir es geprobt haben. Hast du verstanden?«

Caramon nickte teilnahmslos. Kühl half er Kiiri und Pheragas den »leblosen« Leichnam des Barbaren hochheben, so wie sie es unzählige Male geprobt hatten. Er hatte sogar die Kraft, sich zum Publikum umzudrehen und sich zu verbeugen. Pheragas ließ es mit einer geschickten Bewegung seines freien Armes aussehen, als ob der »tote« Barbar sich auch verbeugte. Die Menge war hingerissen und jubelte. Dann zogen die drei Freunde den Leichnam von der Bühne hinunter in den dunklen Gang.

Unten angelangt, half Caramon den Barbaren auf den kalten Steinboden legen. Lange Zeit starrte er den Leichnam an, sich kaum der anderen Gladiatoren bewußt, die auf ihren Auftritt in der Arena warteten.

Langsam richtete sich Caramon auf. Er drehte sich um und packte Pheragas, und mit seiner ganzen Kraft schleuderte er den schwarzen Mann gegen die Wand. Dann zog er den blutverschmierten Dolch aus seinem Gürtel und hielt ihn vor Pheragas’ Augen.

»Es war ein Unfall«, erklärte Pheragas durch die zusammengepreßten Zähne.

»Scharfe Waffen!« schrie Caramon und drückte Pheragas’ Kopf grob gegen die Steinwand. »Ein bißchen bluten! Jetzt sag es mir! Was im Namen der Hölle geht hier vor?«

»Es war ein Unfall, Hornochse«, ertönte eine höhnische Stimme.

Caramon drehte sich um. Der Zwerg stand vor ihm, sein untersetzter Körper bildete einen verzerrten Schatten im dunklen und feuchten Korridor unter der Arena.

»Und jetzt werde ich dir einmal etwas über Unfälle erzählen«, sagte Arak, seine Stimme klang sanft und bösartig. Hinter ihm lauerte Raags riesige Gestalt, in seiner Pranke hielt er seine Keule. »Laß Pheragas gehen. Er und Kiiri müssen in die Arena zurück, um sich zu verbeugen. Ihr alle seid die Sieger des Tages.«

Caramon warf Pheragas einen finsteren Blick zu, dann ließ er den Dolch fallen. Kiiri musterte Caramon in stummem Mitgefühl und legte die Hand auf seinen Arm. Pheragas seufzte, dann verließ er mit Kiiri den Korridor. Sie gingen um den Körper des Barbaren herum, der auf dem Boden lag.

»Du hast mir gesagt, daß niemand getötet wird!« sagte Caramon mit einer von Zorn und Schmerz erstickten Stimme.

Der Zwerg baute sich vor dem großen Mann auf. »Es war ein Unfall«, wiederholte er. »Unfälle geschehen hier immer insbesondere Leuten, die nicht aufpassen. Es könnte dir auch passieren, wenn du nicht aufpaßt. Oder deinem Freund. Nun, der Barbar hat eben nicht aufgepaßt. Oder besser gesagt, sein Herr hat nicht aufgepaßt.«

Caramon hob den Kopf und starrte den Zwerg an, seine Augen waren vor Entsetzen aufgerissen.

»Ah, ich sehe, daß du endlich kapierst.« Arak nickte.

»Der Mann ist gestorben, weil sein Besitzer jemanden aufs Kreuz gelegt hat«, sagte Caramon leise.

»Ja.« Der Zwerg grinste und zog an seinem Bart. »Zivilisiert, nicht wahr? Nicht so wie in den alten Tagen. Und keiner ist klüger als zuvor. Außer seinem Herrn natürlich. Ich habe an diesem Nachmittag sein Gesicht gesehen. Er hat die Botschaft erhalten.«

»Das war eine Warnung?« fragte Caramon mit erstickter Stimme.

Der Zwerg nickte wieder und zuckte die Schultern.

»Wer? Wer war sein Besitzer?«

Arak zögerte, musterte Caramon mit einem seltsamen Blick, sein Gesicht verzerrte sich zu einem höhnischen Grinsen. Caramon konnte fast sehen, wie er rechnete, sich ausmalte, wieviel er gewinnen konnte, wenn er etwas erzählen würde, wieviel er gewinnen konnte, wenn er es für sich behalten würde. Arak winkte Caramon zu sich und flüsterte einen Namen in sein Ohr.

Caramon sah ihn fragend an.

»Hoher Kleriker, ein Verehrter Sohn Paladins«, fügte der Zwerg hinzu. »Die Nummer zwei nach dem Königspriester. Aber er hat sich einen schlimmen Feind geschaffen, einen schlimmen Feind.« Er schüttelte den Kopf.

Beifall dröhnte von oben herab. Der Zwerg sah hoch und sagte zu Caramon: »Du mußt dich zeigen und verbeugen. Es wird so erwartet. Du bist ein Sieger.«

»Was ist mit ihm?« fragte Caramon, sein Blick ging zu dem Barbaren. »Er wird sich nicht zeigen können. Werden sie sich nicht wundern?«

»Muskelzerrung. Kommt ständig vor. Kann sich nicht mehr verbeugen«, sagte der Zwerg lässig. »Wir werden das Gerücht aufbringen, daß er seine Freiheit erhalten hat.«

»Seine Freiheit erhalten hat!« Tränen füllten Caramons Augen. Wieder setzte Beifall ein. Er würde gehen müssen.

»Das ist der Grund«, sagte Caramon, »das ist der Grund, warum du mich ihn hast töten lassen! Du hast gewußt, daß ich nicht reden würde...«

»Das wußte ich sowieso«, entgegnete Arak und grinste niederträchtig. »Laß es uns so sagen, daß ich dich ihn habe töten lassen, war nur eine kleine Extrazugabe. Die Kunden mögen das, es zeigt ihnen, daß ich sie gut bediene. Verstehst du, es war dein Herr, der diese Warnung schickte! Ich dachte, er würde Gefallen daran finden, wenn sie von seinem eigenen Sklaven ausgeführt wird. Natürlich gerätst du dadurch ein bißchen in Gefahr. Der Tod des Barbaren muß gerächt werden. Aber es wird, geschäftlich gesehen, Wunder bewirken, wenn sich das Gerücht erst einmal verbreitet.«

»Mein Herr!« keuchte Caramon. »Aber du hast mich gekauft! Die Schule...«

»Ach, ich habe nur als Agent gehandelt.« Der Zwerg kicherte. »Ich dachte es mir schon, daß du es vielleicht nicht weißt.«

»Aber wer ist mein...« Und dann wußte Caramon die Antwort. Er hörte nicht einmal, was der Zwerg zu ihm sagte. Er konnte nichts mehr hören, denn plötzlich überspülte und erstickte ihn eine blutrote Welle. Seine Lungen schmerzten, sein Magen hob sich, und seine Beine gaben nach.

Das nächste, was er wußte, war, daß er im Korridor saß. Der Schwindel ging vorüber. Caramon keuchte und hob den Kopf. »Mir geht es gut«, sagte er mit blutleeren Lippen.

»In diesem Zustand können wir ihn nicht hinauslassen«, sagte Arak und musterte Caramon voller Abscheu. »Bring ihn in sein Zimmer, Raag.«

»Nein«, ertönte eine leise Stimme aus der Dunkelheit. »Ich... ich kümmere mich um ihn.« Tolpan schlich sich aus dem Schatten, sein Gesicht war fast so blaß wie das Caramons.

Arak zögerte, dann knurrte er etwas und drehte sich um. Er kletterte die Stufen hoch, um die Sieger auszuzeichnen.

Tolpan kniete sich neben Caramon, seine Hand ruhte auf dem Arm des großen Mannes. Die Augen des Kenders wanderten zu dem Körper, der vergessen auf dem Steinboden lag.

Caramon folgte seinem Blick. »Wieviel hast du gehört?« fragte er.

»Genug«, murmelte Tolpan. »Fistandantilus.«

»Er hat das alles geplant.« Caramon seufzte, lehnte den Kopf zurück und schloß erschöpft die Augen. »Auf diese Art wird er uns los. Er braucht es nicht einmal eigenhändig zu erledigen. Läßt einfach diesen... diesen Kleriker...«

»Quarat.«

»Ja, er läßt uns einfach durch diesen Quarat töten.« Caramons Hände ballten sich zusammen. »Die Hände des Zauberers bleiben sauber! Raistlin wird niemals Verdacht schöpfen. Und von jetzt an werde ich mich bei jedem Kampf fragen: Ist dieser Dolch von Kiiri echt?«

Kurz saßen die beiden stumm da, das Brüllen der Menge dröhnte über ihnen. Dann nahm Tolpan etwas Schimmerndes im Korridor wahr. Den Gegenstand erkennend, erhob er sich und kroch hin, um ihn zu holen. »Ich kann dich in den Tempel bringen«, sagte er, hob den blutbeschmierten Dolch auf und reichte ihn Caramon. »Ich kann dich heute nacht hineinbringen.«

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