8


Der Gang war mit toten Kriegern übersät. Es war ihnen nicht schwergefallen, das Rebellenversteck ausfindig zu machen, obwohl der Finder keine telepathischen Impulse mehr ausgestrahlt hatte. Aber sie hatten jeden Fußbreit Boden, den sie sich ihm näherten, im wahrsten Sinne des Wortes mit Blut bezahlen müssen.

Stone hatte nur die letzten Minuten des Kampfes mitbekommen, aber das, was er auf dem Weg hier herab gesehen hatte, sprach Bände: Der Kadaver, den er oben in der Stadt entdeckt hatte, war der einer Ratte gewesen, einer Ratte von der Größe eines ausgewachsenen Schäferhundes. Es mußten Hunderte dieser Bestien gewesen sein, die über seine Krieger hergefallen waren.

Natürlich hatten sie am Ende verloren, denn auch die größte Tapferkeit und Wildheit nutzte wenig gegen Strahlenpistolen, aber Stone hatte fast ein Drittel seiner Krieger eingebüßt, ehe es ihnen gelungen war, die tobenden Bestien zurückzuschlagen.

Und dann hatten sie noch einmal fast eine halbe Stunde gebraucht, um das System von Fallen und computergesteuerten Maschinenpistolen und Laserwaffen zu überwinden, hinter dem sich die Rebellen verbarrikadiert hatten.

Aber jetzt lag der Eingang der Basis vor ihnen.

Was Stone durch die schmale Sichtscheibe seines gepanzerten Anzuges hindurch sah, überraschte ihn. Er hatte Hunderte solcher Rebellennester ausheben lassen und Dutzende selbst inspiziert. Meistens handelte es sich um primitive Verstecke; leere Kanalisationsschächte, Tiefgaragen, manchmal ein alter Bunker oder einfach nur ein Keller, und ganz selten irgendeine alte Militärstation, in der die selbsternannten Rebellen hausten, ohne wirklich zu wissen, was sie mit all dem angehäuften Machtpotential rings um sie herum anfangen sollten.

Diese Anlage hier war anders. Sie war sehr klein - im Grunde nur ein einziger Korridor, von dem eine Handvoll Türen abzweigten -, aber sie war erstaunlich gut ausgerüstet, und jedes einzelne Gerät schien noch intakt zu sein. Hätten die Techniker in den Gleitern, die an ihren Geräten saßen und das Gelände im Umkreis von mehreren Meilen durchleuchteten, nicht das Gegenteil behauptet, dann hätte Stone geschworen, daß es nur Teil einer viel größeren, gewaltigen unterirdischen Anlage war.

Abgesehen davon war der Keller vollkommen leer.

Stone hatte Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Sie waren relativ schnell hier gewesen, aber nicht schnell genug. Während sich seine Krieger ihren Weg durch eine Armee tollwütiger Ratten und das Sperrfeuer der Verteidigungscomputer gebahnt hatten, waren Captain Laird und die anderen durch die Hintertür entwischt. Und obwohl Stone innerlich vor Zorn kochte, verspürte er ein fast widersinniges Gefühl der Erleichterung. Er hatte Captain Lairds Tod niemals wirklich gewollt.

Eine Ameise trat auf ihn zu und riß ihn aus seinen Gedanken.

»Die Station ist verlassen, Herr«, sagte sie. »Aber einer der Suchtrupps meldet, in ein Feuergefecht mit Rebellen verwickelt worden zu sein.«

»Wo?«

»Zwei Meilen westlich von hier. In einem Teil des Kanalisationssystems.«

»Gut«, sagte Stone. »Sie sollen sie lebend einfangen.«

Die Ameise zögerte.

»Was ist denn noch?« fragte Stone.

»Wir haben ... den Kontakt verloren«, antwortete die Ameise zögernd. »Die letzte Meldung lautete, daß sie in ein heftiges Feuergefecht verwickelt waren. Seither haben wir nichts mehr gehört.«

Stone war nicht einmal überrascht. Charity Laird ließ sich nicht so leicht gefangennehmen.

»Also gut«, sagte er. »Dann schicke jeden erreichbaren Krieger dorthin. Und die Gleiter sollen im Umkreis von zehn Meilen über der Stadt kreisen. Irgendwo müssen sie ja schließlich herauskommen.«

Er wollte sich herumdrehen und die Rebellenbasis auf dem gleichen Weg verlassen, auf dem er gekommen war, als er eine Tür am Ende des Korridors bemerkte. Es war die einzige, die die Krieger nicht geöffnet hatten.

»Was ist das?« fragte er mit einer entsprechenden Geste.

Die Ameise zögerte erneut. »Wir wissen es nicht, Herr«, antwortete sie. »Die Tür ist elektronisch versiegelt. Die Meßgeräte zeigen ... menschliches Leben dahinter an. Und eine starke elektrische Aktivität.«

»Brecht sie auf!« befahl Stone.

»Das wäre nicht ratsam, Herr«, antwortete die Ameise. »Wir wissen nicht, was sich dahinter befindet. Aber irgend etwas geht dort vor. Es wäre sicherer, wenn wir damit warten, bis Sie wieder an Bord Ihres Schiffes sind.«

»Wenn dort jemand ist, der weiß, wo sich Captain Laird aufhält, dann will ich als erster mit ihm reden!« antwortete Stone barsch. »Bevor ihr ihn umbringt. Brecht diese verdammte Tür auf.«

Die Ameise starrte Stone einen Moment aus ihren ausdruckslosen Facettenaugen an, dann wandte sie sich ruckartig um. Auf einen zischelnden Befehl hin brachten zwei andere Krieger eine tragbare Laserkanone auf einem Dreibein in Stellung, richteten sie auf das Schloß der gepanzerten Tür und drückten ab.

Das letzte, was Stone wahrnahm, war der grellweiße Laserblitz, dem ein zweiter, noch grellerer Lichtblitz folgte, der den Raum hinter der Tür, die Ameisenkrieger mit ihrer Laserkanone, Stones gepanzerten Anzug, in Stücke riß.


*


Hinterher begriff Charity, daß die gespenstische Fahrt kaum länger als eine knappe halbe Stunde gedauert haben konnte. Aber während sie andauerte, kam es ihr vor, als vergingen Ewigkeiten. Hartmann hatte seinen Scheinwerfer ausgeschaltet, so daß sie in absoluter Dunkelheit durch die Pipeline rollten, aber Charitys Sinne arbeiteten mit nie gekannter Präzision und Schärfe. Sie spürte buchstäblich jeden Meter rostigen Stahls, über den die Vollgummireifen des Wagens hinwegrumpelten, hörte buchstäblich jeden Atemzug des halben Dutzends Menschen rings um sie herum. Und die völlige Dunkelheit, durch die der Wagen rollte, zerrte mehr an ihren Nerven, als sie zugeben wollte.

Sie waren etwa zehn Minuten dahingerollt - der Wagen war beständig schneller geworden und bewegte sich jetzt mit schätzungsweise vierzig oder fünfzig Meilen in der Stunde dahin, als hinter ihnen ein dumpfer, sonderbar trockener Schlag erklang. Eine Sekunde später folgte ihm ein lang anhaltendes, näherkommendes Grollen, und dann begann die ganze Pipeline zu zittern und zu beben. Charity konnte das uralte Metall über ihnen knirschen hören.

»Was war das?« fragte sie erschrocken.

Hartmann antwortete nicht gleich, aber sie konnte hören, wie er sich in der Dunkelheit neben ihr bewegte. Schließlich knurrte er: »Eine kleine Überraschung, die wir für Ihre Freunde zurückgelassen haben.«

Plötzlich regte sich Kyle neben ihr. »Wo ist ihr zweiter Mann, Leutnant Hartmann?« fragte er.

Als Hartmann nicht antwortete, fragte Kyle noch einmal. »Es waren zwei Techniker in der Zentrale, Leutnant Hartmann.«

»Schön, daß Sie bis zwei zählen können«, sagte Hartmann.

»Wo ist er?« beharrte Kyle.

»Wir konnten nicht auf ihn warten«, antwortete Hartmann ausweichend.

Er gab sich nicht einmal die Mühe, überzeugend zu lügen, dachte Charity entsetzt. »Sie ... haben ihn zurückgelassen«, murmelte sie.

Ein kalter, fast lähmender Schrecken machte sich in ihr breit. »Er ist zurückgeblieben, um sich ... zusammen mit der Station in die Luft zu sprengen!«

»Es ist nicht die erste Basis, die sie finden«, antwortete Hartmann gepreßt. »Wir haben ein paarmal versucht, Zeitbomben oder Sprengsätze mit Fernzünder zu verwenden. Aber irgendwie haben sie sie immer entschärft.«

»Und deshalb ... opfern Sie einen Ihrer Männer?« fragte Skudder empört.

»Er hat eine Chance«, antwortete Hartmann. Und auch das war eine Lüge, wie sie alle spürten. »Es ist eine mechanische Zündvorrichtung. Er setzt sie in Gang, sobald die Ameisen die automatische Verteidigung zu überrennen beginnen. Mit ein bißchen Glück kommt er noch raus.«

»Und mit ein bißchen Pech nicht, wie?« fragte Net scharf.

»Die Basis darf nicht in die Hände der Moroni fallen«, antwortete Hartmann in einem Ton, der jetzt nur noch trotzig klang. »Und außerdem ist er freiwillig zurückgeblieben.«

»So?« fragte Charity mit bösem Spott. »Haben Sie ihn freiwillig gemeldet?«

»Nein!« schnappte Hartmann. »Wir haben gelost. Die Chance, daß es ihn trifft, war genauso groß wie die, daß irgendeiner von uns zurückbleiben mußte. Übrigens habe auch ich ein Los gezogen.«

Der Rest der Fahrt verlief in bedrücktem, fast feindseligem Schweigen. Schließlich hielt der Wagen an, und Hartmann schaltete seinen Scheinwerfer wieder ein. Der grelle, im ersten Moment schmerzhafte Lichtstrahl zeigte die Umrisse einer weitläufigen, unterirdischen Kammer aus Stahl, in der drei oder vier der Pipelinerohre zusammenflössen. Unter der Decke gab es eine Klappe, die wie das Turmluk eines Unterseebootes geformt und mit einem Drehrad verschlossen war. Hartmann deutete schweigend darauf, stieg als erster aus dem Wagen und öffnete das Luk. Als der schwere Deckel herunterschwang, klappte automatisch eine Leiter zu ihnen herab.

Sie kletterten eine geraume Weile in völliger Finsternis in die Höhe, denn Hartmann hatte seinen Scheinwerfer wieder gelöscht, kaum daß der letzte begonnen hatte, die Leiter emporzusteigen. Die Öffnung, durch die sie schließlich ins Freie stiegen, war offensichtlich nachträglich und gewaltsam geschaffen worden. Anders als Helens Leute in Paris gaben sich die Bewohner dieser Ruinenstadt offensichtlich nicht damit zufrieden, zu nehmen, was sie fanden, sondern bauten es nach ihren Bedürfnissen um.

Charity trat von der Leiter zurück, um Net Platz zu machen, die hinter ihr heraufgestiegen kam, und sah sich unschlüssig um. Was sie im ersten Moment für einen Keller gehalten hatte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als das Parkdeck einer Tiefgarage. Ein Teil der Betondecke war eingebrochen, so daß graues Tageslicht hereinfiel, und zwischen den Trümmern und dem gesammelten Unrat von fünfeinhalb Jahrzehnten erhoben sich die rostigen Wracks von Wagen, die am Tag X hier abgestellt und niemals wieder abgeholt worden waren. Erneut fragte sie sich, was hier wohl geschehen sein mochte. Die Stadt war vollkommen verwüstet; so gründlich, als hätten die Angreifer Haus für Haus, Straßenzug für Straßenzug überrannt und niedergewalzt. Dabei hatte Charity mit eigenen Augen gesehen, wie sie die Bevölkerung einer ganzen Stadt ausgelöscht hatten, ohne daß auch nur eine Fensterscheibe beschädigt worden war.

Hartmann gab einem der beiden Soldaten ein Zeichen, ihm zu helfen, und gemeinsam versuchten sie, einen zentnerschweren Betonbrocken über den Eingang des Schachtes zu schieben. Einige Sekunden lang mühten sie sich vergeblich ab, dann trat Kyle wortlos zwischen sie, schob die beiden Männer sanft, aber sehr bestimmt zur Seite und wälzte das Trümmerstück ohne sichtliche Anstrengung auf das Loch im Betonboden. Hartmann riß erstaunt die Augen auf, aber im Blick Lehmanns schienen plötzlich kleine Flammen zu lodern. Charity nahm sich vor, den jungen Soldaten im Auge zu behalten. Die Antipathie, die er Kyle entgegenbrachte, war ihr schon zuvor aufgefallen. Anders als Felss hatte es ihm Freude bereitet, sie als Gefangene zu behandeln; sie und vor allem Kyle.

Sie verscheuchte den Gedanken und warf einen Blick auf den Geigerzähler. Die Strahlung war hoch, aber nicht gefährlich. Trotzdem war es wahrscheinlich nicht ratsam, sich länger als unbedingt nötig hier aufzuhalten.

Sie warf Hartmann einen fragenden Blick zu, und der Leutnant deutete auf eines der rostigen Autowracks, die überall in der Tiefgarage herumstanden. Erst als sie sich ihm näherten, sah Charity, daß es kein Autowrack war. Was auf den ersten Blick wie ein verbeulter, von Rost und Verfall zerfressener Kleinbus aussah, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein gepanzertes Fahrzeug, das Platz für zehn oder zwölf Personen bieten mußte.

Hartmann löste eine kleine Fernbedienung von seinem Gürtel, und an der Seite des vermeintlichen VW-Transporters öffnete sich eine Tür aus Panzerstahl. Dahinter kam ein hell erleuchteter, beinahe klinisch sauberer Innenraum zum Vorschein.

Die Rebellen von Köln brauchten sich offensichtlich über einen Mangel an technischem Equipment nicht zu beklagen.

Sie bestiegen den Wagen, und Kyle bettete den verletzten Techniker behutsam über die hinteren vier Sitze. Der Mann regte sich nicht, und für einen Moment glaubte Charity, er wäre nicht mehr am Leben. Aber Kyle beantwortete ihren erschrockenen Blick mit einem knappen, beruhigenden Nicken, und so setzte sie sich auf die Bank neben Hartmann und wartete, bis Felss hinter das Steuer geklettert war und den Motor startete. Der Wagen setzte sich beinahe lautlos in Bewegung. Die Scheiben waren zerkratzt und blind vor Schmutz, aber vor Felss glomm eine ganze Reihe kleiner Monitore auf, auf denen er seine Umgebung beobachten konnte. Nicht alle davon zeigten ihre unmittelbare Umgebung. Das Fahrzeug schien über verschiedene Ortungs- und Radarsysteme zu verfügen.

Hartmann bemerkte ihren forschenden Blick und sagte mit hörbarem Stolz: »Ein umgebauter Panzerspähwagen, Captain Laird. Lassen Sie sich nicht von seinem Äußeren täuschen. Felss hat fast zwei Jahre lang daran herumgebastelt, um ihn so hinzukriegen.«

»Dazu hätte Skudder keine zehn Minuten gebraucht«, sagte Gurk mit einer spöttischen Geste auf das verbeulte Dach. Hartmann ignorierte ihn, aber über Felss' Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln.

»Es hat sich gelohnt«, antwortete Charity. Der junge Mann hinter dem Steuer lächelte noch ein wenig geschmeichelter, und Hartmann fuhr fort: »Das Ding ist vollkommen abgeschirmt - weder mit Radar oder Infrarot oder sonst einer bekannten Ortungsmethode auszumachen.«

»Sie sagen es«, sagte Kyle. »Mit keiner Ihnen bekannten Methode.«

Hartmann ignorierte auch ihn und fuhr fort: »Wenn sie nicht zufällig sehen, daß wir uns bewegen, dann können sie mit ihren verdammten Gleitern praktisch auf unserem Dach landen, ohne zu merken, daß sie mehr als ein Wrack unter sich haben.«

Das hielt Charity für leicht übertrieben, aber sie verstand, was Hartmann meinte. Offensichtlich war es nicht das erste Mal, daß er oder einer seiner Kameraden sich auf der Flucht vor den Moroni befanden.

Sie verließen die Tiefgarage, und Charity sah, daß sie sich getäuscht hatte - draußen herrschte noch immer heller Tag, nur daß das Sonnenlicht durch gewaltige Staubfahnen verdunkelt wurde.

Eine Zeitlang saß sie schweigend da und beobachtete die Bildschirme vor Felss, dann stand sie auf und ging gebückt zu den anderen zurück, die es sich auf den beiden hinteren Bänken des Transporters bequem gemacht hatten. Helen lag mit angezogenen Knien auf der Seite und schlief. Gurk hockte wie eine Harlekinpuppe neben ihr und starrte ins Leere, während sich Net und Skudder um den verletzten Techniker bemühten. Der Mann war immer noch ohne Bewußtsein, aber er bewegte sich jetzt unruhig. Seine Hände fuhren scharrend über den Kunststoffbezug des Sitzes, und seine Lippen formten krächzende, unverständliche Wortfetzen.

Ein Netz glitzernder Schweißperlen bedeckte seine Stirn und seinen Hals.

Charity blickte einen Moment lang nachdenklich auf ihn herab, dann wandte sie sich an Kyle. »Bitte kümmere dich um Hartmann«, sagte sie bewußt so laut, daß Hartmann die Worte hören mußte und Gelegenheit hatte, zu protestieren. Er tat es nicht, und so fuhr sie fort: »Vielleicht kannst du wenigstens etwas gegen seine Schmerzen tun.«

»Das ist nicht nötig«, knurrte Hartmann vom vorderen Sitz her. Aber es klang nicht besonders überzeugt, und Kyle stand nach kurzem Zögern auf und ging zu ihm. Charity sah, wie sich Hartmanns Züge verhärteten, als sich der Megamann über ihn beugte und mit geschickten Fingern an seiner Schulter zu hantieren begann.

»Ich wollte, ich wüßte wenigstens, wohin wir fahren«, sagte Skudder, als sich Charity neben ihn setzte und mit einem erschöpften Seufzer die Augen schloß.

»Ich auch«, murmelte sie.

»Allmählich werde ich sauer«, sagte der Hopi. »Sie behandeln uns wie Gefangene.« Aber die Worte klangen eigentlich nur müde.

Charity hob die Lider, sah erst ihn und dann Hartmann an. Skudder hatte leise gesprochen, doch der Blick des Soldaten verriet ihr, daß er die Worte trotzdem verstanden hatte. »Wahrscheinlich sind wir das auch«, sagte sie nach einer Weile und mit einem müden Achselzucken.

»Ja«, sagte Skudder. Er lächelte humorlos. »Allmählich bekommen wir ja Übung darin, nicht wahr?«

Charity schloß wieder die Augen und ließ sich zurücksinken. Müdigkeit schlug wie eine schwere, warme Woge über ihr zusammen, und sie schlief ein - und wachte im nächsten Moment wieder auf, als der Wagen mit einem so harten Ruck zum Stehen kam, daß sie beinahe aus dem Sitz geschleudert worden wäre.

»Was ist passiert?« rief sie alarmiert.

Keiner der drei Soldaten antwortete, aber sie sah, wie sich Felss und Hartmann aufgeregt über die Monitore beugten und die Bilder gebannt verfolgten. Als sie sich auf den Weg nach vorn machte, drückte Felss einige Schalter, und der Motor und die Innenbeleuchtung des Wagens erloschen. Das einzige Licht kam jetzt von den kleinen Monitoren vor dem Soldaten, und auch sie schaltete er einen nach dem anderen ab, bis nur noch ein einziger Bildschirm in Betrieb war.

»Was ist los?« fragte Charity noch einmal.

Hartmann winkte hastig mit der Hand, ohne zu ihr aufzusehen. »Still!« flüsterte er. »Keinen Laut mehr!«

Charity blickte alarmiert auf den winzigen Monitor - und fuhr erschrocken zusammen. Der Bildschirm zeigte einen Ausschnitt der verwüsteten Straße, über die der Wagen sich bewegt hatte. Eine Unzahl schwarzer Ameisengestalten bewegte sich in weniger als hundert Meter Entfernung vor ihnen, und über den Insektenkriegern schwebte eine gewaltige Silberscheibe.

»Sie suchen uns immer noch.«

Hartmann nickte abgehackt, antwortete aber nicht.

Die Ameisen bewegten sich langsam die Straße entlang. Immer wieder drangen sie einzeln oder in kleinen Gruppen in die zerstörten Häuser ein.

»Da kommen wir nicht durch«, sagte Hartmann zornig. »Sie drehen jeden Stein herum.«

»Ich denke, das Ding ist völlig isoliert?« fragte Kyle spöttisch.

Hartmann warf ihm einen zornigen Blick zu. »Das ist es auch«, sagte er. »Solange sie nicht versuchen, die Tür aufzubrechen.« Er überlegte einen Moment, dann machte er eine befehlende Handbewegung. »Wir nehmen die Westroute.«

Charity sah aus den Augenwinkeln, wie Felss erschrocken zusammenfuhr. »Aber das...«

Hartmann unterbrach ihn. »Ich weiß, was das bedeutet«, sagte er. »Aber dort vorne kommen wir auf keinen Fall durch.«

Schließlich nickte Felss und startete den Motor wieder. Trotzdem vergingen noch fast zehn Minuten, ehe sich das Fahrzeug in Bewegung setzte - Felss wartete geduldig, bis der größte Teil der Ameisen in irgendwelchen Ruinen oder Schutthalden verschwunden war, dann gab er behutsam Gas, lenkte das Fahrzeug nach rechts und drang in eine schmale, fast völlig von Trümmern und Schutt verstopfte Gasse ein.

Sie fuhren jetzt sehr viel schneller, und Felss erwies sich als ausgezeichneter Fahrer. Durch die schwierigste Trümmerlandschaft fand er seinen Weg. Offensichtlich nahm er diese Route häufiger und kannte die Gegend wie seine Westentasche.

Während sie sich weiter nach Westen bewegten, begann sich ihre Umgebung allmählich zu verändern. Die Straße wurde noch immer von niedergebrannten, ausgebombten Häusern flankiert, aber immer öfter sah Charity jetzt Flecken von Grün und Purpur. Bald tauchten auch in dem geborstenen Asphalt vor ihnen die ersten grünen Tupfer auf, und nach weiteren zehn Minuten rollte der Panzerwagen durch eine Ruinenstadt, die sich kaum noch von den Außenbezirken der Freien Zone in Paris unterschied. Aus den tiefen Rissen im Erdboden wuchsen Pflanzen, dürre Büsche, kleine verkrüppelte Bäume, aber auch das unheimliche, grün-violette Pflanzenleben Morons, das die Invasoren auch in dieser Stadt ausgesät hatten. Es gedieh hier nicht so gut wie in Paris; statt die einheimischen Pflanzen zu verdrängen, schien es sich mit den Nischen und Lücken zu begnügen, die der irdischen Flora nicht mehr genug Nahrung boten.

Plötzlich tauchte auf dem Bildschirm ein menschlicher Umriß auf, und Felss trat auf die Bremse.

Der Mann war klein und ging so stark nach vorn gebeugt, daß er fast verkrüppelt wirkte. Sein Haar war lang und verfilzt und hing ihm bis weit über die Schultern herab, und der größte Teil seines Gesichtes verbarg sich hinter einem Bart, der aussah, als wäre er Zeit seines Lebens noch nicht geschnitten worden. Bekleidet war die Gestalt mit ein paar Lumpen, unter denen hier und da eine dunkle Haut zum Vorschein kam, die mit Narben und großen, entzündeten Stellen übersät war.

»Wer ist das?« fragte Charity verblüfft.

Hartmann grunzte. »Ein Dreckfresser«, sagte er.

Die unüberhörbare Verachtung in seiner Stimme ließ Charity verwirrt den Blick vom Bildschirm wenden und Hartmann ansehen. Der Leutnant blickte die Gestalt auf dem Monitor mit einer Mischung aus Zorn und Ekel an.

»Dreckfresser? Sie meinen...«

»Überlebende?« Skudder kam neugierig näher und versuchte, zwischen Charity und Felss hindurch einen Blick auf den Bildschirm zu erhäschen. »Es gibt also noch andere Überlebende hier?«

Hartmann nickte. »Wenn Sie es so nennen wollen«, antwortete er. »Sie sind Tiere! Sie sehen vielleicht aus wie Menschen, aber sie sind keine, glauben Sie mir.«

Skudder wollte widersprechen, aber Charity warf ihm einen raschen, warnenden Blick zu. Der Ausdruck in Hartmanns Stimme war nicht einfach nur Verachtung. Sie hatte das sehr sichere Gefühl, daß es nicht besonders klug war, im Moment weiter auf dieses Thema einzugehen.

»Weiter!« befahl Hartmann, an Felss gewandt. »Aber vorsichtig!«

Fast behutsam ließ Felss den schweren Panzerwagen weiter rollen. Die Gestalt verschwand so schnell vom Bildschirm, wie sie erschienen war, aber Charity glaubte plötzlich, immer häufiger ein Huschen zwischen den Schatten der Ruinen zu gewahren.

Und es vergingen nur Minuten, bis eine zweite, verdreckte Gestalt vor ihnen auftauchte. Diesmal blieb sie einen Moment reglos stehen und blickte dem näherkommenden Panzerwagen entgegen, ehe sie sich mit einer überraschend behende Bewegung umwandte und wieder im Gebüsch verschwand.

Hartmann preßte zornig die Lippen aufeinander. »Verdammt!« sagte er. »Sie haben uns gesehen! Das hat uns gerade noch gefehlt!«

»Wieso?« erkundigte sich Kyle. Auch er war aufgestanden und lautlos näher gekommen. »Sie können uns doch unmöglich gefährlich werden - oder?«

Hartmann warf ihm einen zornigen Blick zu und wandte sich dann mit einem demonstrativen Ruck wieder dem Monitor zu.

»Wie viele von diesen Überlebenden gibt es hier?« erkundigte sich Charity.

»Zu viele«, antwortete Hartmann grob. »Vielleicht ein paar tausend, niemand weiß das so genau.«

»Tausende?« fragte Charity zweifelnd. »Aber wovon leben sie?«

»Von allem, was sie finden«, antwortete Lehmann an Hartmanns Stelle. »Schlimmstenfalls fressen sie sich gegenseitig. Oder ihre Kinder.«

Charity starrte den Soldaten entsetzt an. Lehmanns Stimme war so voller Verachtung und Haß, wie Charity es selten zuvor gehört hatte.

»Und ihr habt nie versucht, ihnen zu helfen?«

»Helfen?«

»Das da draußen sind Menschen!« sagte Charity. »Wie...«

»Nein, das sind sie nicht«, unterbrach sie Hartmann kalt. »Sie sehen nur so aus.«

Bevor Charity etwas erwidern konnte, sagte Skudder leise: »Manchmal frage ich mich, ob ich auf der richtigen Seite stehe.«

Hartmann fuhr mit einem Ruck in seinem Sitz herum und wollte den Hopi anfahren, doch in diesem Moment prallte etwas mit einem dumpfen Krachen gegen den Wagen, und sie alle blickten erschrocken wieder auf den Monitor.

Schatten bewegten sich am Straßenrand, huschten hin und her. Und dann prallten ein zweiter und ein dritter Stein gegen den Wagen.

Felss fluchte unterdrückt und gab wieder Gas. Der Wagen schoß mit einem Satz los und begann schlingernd die Straße hinunterzurasen. Aber das Bombardement von Steinen hörte nicht auf; einige waren so groß, daß das Fahrzeug spürbar unter ihrem Einschlag erzitterte.

Felss löste eine Hand vom Lenkrad und griff nach der Kontrolle der Waffen, aber Hartmann winkte hastig ab.

»Nicht schießen!« befahl er.

Felss zog die Hand mit sichtlichem Widerstreben zurück, widersprach aber nicht, sondern konzentrierte sich voll und ganz darauf, den immer stärker schlingernden Wagen unter Kontrolle zu halten. Es dauerte nur wenige Minuten, aber die Strecke bis zum Ende der schmalen Trümmerallee wurde zu einem regelrechten Spießrutenlauf. Mehr als einmal wurde der Wagen heftig getroffen, und einmal rollte ein riesiger Felsbrocken aus einem Schuttberg herab und verfehlte sie nur um wenige Meter. Dann endlich hatten sie die wütenden Dreckfresser hinter sich gelassen.

»Das war knapp«, sagte Charity und atmete auf. »Sie scheinen sich mit den oberirdischen Einwohnern dieser Stadt nicht besonders gut zu verstehen, Leutnant Hartmann.«

Hartmann lächelte humorlos.

»Es gibt gewisse Meinungsverschiedenheiten«, sagte er. »Aber meistens haben wir die besseren Argumente.«

Nach einer halben Stunde begann die Sonne wirklich zu sinken, und graues Licht mischte sich in die staubgeschwängerte Luft. Es war sehr still im Wagen geworden. Lehmann und Felss wechselten manchmal ein halblautes Wort miteinander, und dann und wann ließ der verletzte Techniker ein Stöhnen hören. Keiner von ihnen hatte ein Wort gesprochen, seit ihrer ersten Begegnung mit den Dreckfressern, aber Charity spürte genau, was in den anderen vorging. Sie war nicht die einzige, die sich immer mehr zu fragen begann, ob diese Männer wirklich ihre Verbündeten waren. Sie waren Feinde Daniels und seiner Handlanger - aber waren sie deshalb gleich ihre Freunde?!

Der Wagen wurde langsamer und hielt schließlich an. Charity sah alarmiert auf und begegnete zum ersten Mal seit einer halben Stunde wieder Hartmanns Blick.

»Was ist passiert?« fragte sie.

Hartmann hob wortlos die Hand und gebot ihr, hinter ihn zu treten. Das Licht war draußen bereits so schwach geworden, daß Charity ihre Umgebung nur noch schemenhaft wahrnehmen konnte. Felss wagte es nicht, die Scheinwerfer des Wagens einzuschalten, aber es gab einen zweiten Monitor, dessen Kamera offensichtlich mit einem Restlichtverstärker ausgerüstet war: Die Bilder darauf waren blaß und grobkörnig, so daß sie noch gespenstischer wirkten. Dabei wäre das, was sie zeigten, für sich allein schon unheimlich genug gewesen.

Auch dieser Teil der Ruinenstadt war mit wucherndem Dschungel bedeckt. Auf der rechten Seite der Straße bildete das Buschwerk eine nahezu undurchdringliche Mauer, die die verkohlten Ruinen viel weniger überwuchert als gleichsam absorbiert zu haben schien. Auf der anderen Seite der Straße erhoben sich verkrüppelte Bäume. Dahinter bewegten sich vier, fünf Gestalten in zerfetzten Kleidern und mit langem, verfilztem Haar. Im ersten Moment konnte Charity nicht genau erkennen, was sie taten; dann legte Felss einen Schalter auf seinem Armaturenbrett um, und das Bild wurde deutlicher. Charity sah, daß die Gestalten sich im Halbkreis um einen schlammigen Tümpel versammelt hatten.

»Was tun Sie da?« fragte Skudder.

»Warten Sie einen Moment«, antwortete Hartmann. »Dann sehen Sie es selbst.«

Sekundenlang rührte sich keiner der Gestalten, doch plötzlich tauchte ein riesiger Schatten aus dem Morast auf. Obwohl sein Körper über und über mit dem grauen Schlamm bedeckt war, erkannten Charity und die anderen sofort, was es war - eine Ameise.

Einen Herzschlag später folgte ihr eine zweite, die viel kleiner war und selbst auf dem verzerrten Monitorbild irgendwie unfertig wirkte. Und erst jetzt begriff Charity, was sie wirklich sahen: Die beiden Ameisen waren Junge, und der Schlamm war gar kein Schlamm, sondern...

»Manna!« sagte Skudder verblüfft.

Hartmann warf ihm einen schrägen Blick zu. »Ein interessanter Name für dieses Teufelszeug«, knurrte er.

Die beiden Moroni musterten die fünf menschlichen Gestalten aus ihren starren, glitzernden Augen. Nach einigen weiteren Augenblicken traten zwei der Männer vor und zogen etwas aus ihrer Kleidung heraus. Charity konnte nicht erkennen, was es war, aber sie sah, wie die Mandibeln der beiden Ameisen gierig zu zittern begannen.

»Sie ... füttern sie!« sagte Skudder verblüfft.

Hartmann nickte grimmig. »Ein paar von ihnen lungern immer in der Nähe dieser Dreckslöcher herum. Sie beschützen die kleinen Biester, bis sie groß genug sind, aus ihren Löchern herauszukriechen.«

»Aber warum?« fragte Charity verstört.

»Warum fragen Sie sie nicht selbst?« antwortete Hartmann scharf. Er lächelte schief. »Ich bin sicher, Ihre Freunde werden sich freuen. Sie zu sehen. Ihre kleinen Lieblinge sind einer kleinen Zwischenmahlzeit nie abgeneigt.«

»Die Ameisen versorgen sie im Gegenzug mit Nahrung«, sagte Felss, der ebenso verbittert und zornig wie sein Vorgesetzter auf den Monitor starrte, seine Gefühle aber etwas besser im Zaum hielt. »Und sie erlauben ihnen, hier zu leben.«

»Und Jagd auf uns zu machen«, fügte Hartmann hinzu.

Er gab Felss einen Wink. »Fahren Sie weiter. Aber vorsichtig.«

Felss startete den Motor des Panzerfahrzeuges und ließ es vorsichtig anrollen. Bei langsamer Fahrt erzeugte der Wagen kaum ein Geräusch. Trotzdem sah Charity, daß der Blick des jungen Soldaten immer wieder nervös über seine Kontrollinstrumente und den rückwärtigen Monitor huschte.

»Sind irgendwelche Gleiter in der Nähe?« fragte sie.

»Nein.« Felss schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wir haben es geschafft.«

Und genau in diesem Moment brach der Boden unter dem Wagen ein.

Wie im Fahrstuhl sauste das Gefährt drei, vier Meter weit in die Tiefe, ehe es mit einem vernichtenden Ruck aufschlug. Die Erschütterung war so stark, daß sie alle aus ihren Sitzen und zu Boden geschleudert wurden. Der Motor erstarb mit einem schrillen Kreischen. Die Innenbeleuchtung des Wagens flackerte und ging aus, und ein berstender, metallischer Laut erklang, als würde der Wagen in zwei Stücke gerissen.

Charity richtete sich benommen auf und sah sich im unheimlichen roten Schein der Notbeleuchtung um, die sich automatisch eingeschaltet hatte. Der Ruck hatte sie zwischen zwei Sitzbänke geschleudert, aber sie war mit einigen Prellungen davongekommen. Und wie es aussah, hatten auch die anderen Glück gehabt. Keiner von ihnen schien ernsthaft verletzt zu sein.

»Was war das?« fragte Kyle.

»Eine Falle!« Hartmanns Stimme klang gepreßt. Auch ihn hatte es aus seinem Kommandantenstuhl gerissen.

Kyle streckte hilfreich die Hand aus, aber Hartmann ignorierte sie und griff ächzend nach der Kante eines Stuhles. Selbst im bleichen, unheimlichen Schein der Notbeleuchtung konnte Charity erkennen, wie zornig es in seinen Augen loderte.

»Raus hier!« befahl er. »Schnell! Ehe sie hier sind!«

Skudder wollte die Tür öffnen, aber sie war verklemmt. Kyle trat neben ihn, doch nicht einmal mit vereinten Kräften gelang es ihnen, den gepanzerten Ausstieg auch nur einen Zentimeter weit zu bewegen.

»Es hat keinen Zweck«, sagte Hartmann grob. Er deutete auf die Frontscheibe. »Schlagt sie ein!«

Charity zögerte, aber sowohl Felss als auch der zweite Soldat nahmen wortlos ihre Gewehre von den Schultern und schlugen mit dem Kolben auf das Panzerglas ein. Sie mußten einige Male mit aller Kraft zuschlagen, ehe sich in der gewölbten Scheibe auch nur der erste Riß zeigte, aber dann fiel die gesamte Scheibe in einem Stück nach draußen - und prallte klirrend gegen ein Hindernis.

Felss zog sich ächzend durch den schmalen Spalt, packte die Scheibe und schleuderte sie auf das Wagendach empor. Dann bückte er sich und streckte Charity auffordernd die Hand entgegen.

Als sie hinter ihm ins Freie kletterte, sah sie, warum sich die Türen nicht öffnen ließen: Offensichtlich waren sie nicht in einen Keller herabgestürzt, dessen Decke unter dem Gewicht des Panzerfahrzeuges nachgegeben hatte, sondern tatsächlich in eine Fallgrube, die eigens für sie gebaut worden war.

Charity kletterte auf das Wagendach hinauf, um den anderen Platz zu machen, und nahm ihre Waffe von der Schulter. Einen halben Meter über ihrem Kopf heulte ein wilder Sturm dahin. Schützend hob sie die Hand über die Augen und versuchte, in der fast vollkommenen Finsternis irgend etwas zu erkennen, aber das Toben des Sturmes war zu heftig, als daß sie sagen konnte, ob die Bewegungen, die sie wahrzunehmen glaubte, wirklich oder eingebildet waren.

»Der Sender!« brüllte Hartmann über das Heulen des Sturmes hinweg, als auch Felss als letzter auf das Wagendach hinaufsteigen wollte. Der junge Soldat fuhr zusammen, drehte sich nervös herum und kletterte umständlich noch einmal ins Wageninnere zurück. »Geben Sie unsere Position durch!« schrie Hartmann. »Code 5!«

»Was bedeutete das?« fragte Charity.

»Daß wir weiter nach Westen gehen!« schrie Hartmann zurück. »Wir können nicht hierbleiben. Sie werden den Sender in ein paar Sekunden angemessen haben und herkommen.«

Das Heulen des Sturmes wurde so laut, daß eine Verständigung unmöglich war, als sie vom Dach des Wagens aus der Fallgrube herauskletterten. Charity hob schützend beide Arme über das Gesicht, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, der rasende Sand würde ihr binnen Sekunden die Haut vom Gesicht reißen.

Als sie die Straße überquert hatten und den Schutz einer Ruine erreichten, nahm der Sturm ein wenig ab. Es mußte fast ein Orkan sein, den sie im Inneren des Panzerspähwagens gar nicht bemerkt hatten.

Hartmann blieb stehen, drehte sich zu ihnen herum und blinzelte zwischen den Fingern der rechten Hand hervor, die er schützend über die Augen gehoben hatte. Mit der anderen deutete er nach Westen und machte dann eine sonderbare Bewegung; wahrscheinlich wollte er ihnen zu verstehen geben, daß sie beisammenbleiben sollten.

Schräg gegen den tobenden Orkan gelehnt, gingen sie weiter. Skudder und die anderen waren nur als verschwommene Schemen zu erkennen, obwohl sie sich nur wenige Schritte hinter ihr befanden. Immerhin sah Charity, daß der Hopi die Arme schützend um die Schultern der beiden Mädchen geschlungen hatte und sie vor sich herschob, während Kyle eine reglose Gestalt über der Schulter trug - den verwundeten Techniker. Von Gurk war keine Spur zu erkennen, aber um den Zwerg machte sich Charity die wenigsten Sorgen. Gurk hatte es bisher stets geschafft, irgendwie auf sich aufzupassen.

Im Schütze einer gewaltigen Schutthalde machten sie einen Moment halt, um sich schreiend zu verständigen.

»... in den Wald!« verstand Charity. Hartmann schrie aus Leibeskräften, aber der Sturm übertönte ihn mit Leichtigkeit, so daß sie nur Wortfetzen verstand, »...zwischen den Ruinen erwischen sie uns! Wir müssen ... Wald erreichen ... paßt auf! Überall ... Dreckfresser!«

Sie taumelten weiter. Charity stürzte zweimal, und auch die anderen hatten alle Mühe, überhaupt noch von der Stelle zu kommen, als sie die freie Fläche vor dem Waldrand überquerten. Der Wind schien plötzlich mit doppelter Wucht über sie herzufallen. Aber irgendwie schafften sie es. Nach Minuten, die sich zu Ewigkeiten dehnten, brachen sie sich ihren Weg durch das dichte Unterholz. Das dichte Blattwerk und Gehölz bot sehr viel mehr Schutz vor den tobenden Orkanböen als die zerborstenen Ruinen, zwischen denen sich der Wind fing und noch mehr an Kraft gewann.

Charity blieb schwer atmend stehen. Voller Unbehagen sah sie sich um. Der Wald war so dicht, daß es ihr schon schwerfiel, Hartmann und die beiden Soldaten zu erkennen, die nur wenige Meter von ihr entfernt standen. Sie wollte zu ihnen hinübergehen, doch in diesem Moment zerriß ein hohes, schrilles Kreischen das Heulen des Sturmes, und ein gleißender Blitz durchzuckte die Dämmerung. Einen Augenblick später rollte der dumpfe Donner einer Explosion zu ihnen hinüber.

»Was war das?!« fragte Net erschrocken.

»Unser Wagen«, antwortete Hartmann finster. »Sie haben den Sender angepeilt. Verdammt!« Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich noch weiter. »Schneller, als ich geglaubt habe.«

»Dann sollten wir hier verschwinden«, sagte Skudder erschrocken.

Hartmann machte eine beruhigende Handbewegung. »Das ist nicht nötig. Wir sind hier in Sicherheit.«

»In Sicherheit?« Skudder lachte hart. »Eine einzige Lasersalve auf den Waldrand, und...«

»Das werden sie nicht tun«, unterbrach ihn Hartmann ruhig.

»Und wieso nicht?« erkundigte sich Charity.

»Sie tun es nicht«, sagte Hartmann. »Trotzdem sollten wir hier verschwinden. Es kann eine Stunde dauern, bis sie uns abholen. Falls die Maschine bei diesem Sturm überhaupt startet. Und diese verdammten Gleiter sind nicht die einzige Gefahr hier.«

Dicht beieinander gingen sie weiter, wobei Hartmann sorgfältig darauf achtete, daß sie den Wald nicht verließen, aber auch nicht weiter in ihn eindrangen. Sie kamen gut voran, obwohl sie manchmal an Hindernisse gerieten: klaffende Erdspalten, Mauerreste und Schuttberge, die vom wuchernden Grün des Waldes noch nicht ganz verschlungen worden waren, oder aber morastige Tümpel, in denen vielleicht Ameisenjunge hausten.

Sie waren etwa eine halbe Stunde unterwegs, als Kyle plötzlich einen halblauten Ruf ausstieß und warnend die Hand hob. Charity blieb abrupt stehen, und auch Hartmann und seine beiden Begleiter verhielten mitten im Schritt und sahen den Megamann fragend an.

»Was ist?« fragte Charity alarmiert.

»Ich ... bin nicht sicher«, antwortete Kyle. Ein Ausdruck angespannter Konzentration lag plötzlich auf seinen Zügen. »Aber irgend etwas ... kommt.«

»Irgend etwas?«

Kyle zuckte beinahe hilflos mit den Schultern. »Menschen«, sagte er schließlich. »Ziemlich viele. Fünfzehn - vielleicht zwanzig.«

»Was redet er da?« fragte Hartmann unwillig. »Sie kommen bei diesem Sturm nicht aus ihren Löchern.«

»Wenn Kyle sagt, daß sich jemand nähert, dann stimmt das auch«, antwortete Charity ruhig, aber in so bestimmtem Ton, daß Hartmann nicht mehr widersprach, sondern den Megamann mit noch größerem Mißtrauen anblickte.

»Ich höre nichts!« sagte Lehmann grob. »Verdammt, laß uns weitergehen! Wenn wir zu spät am Treffpunkt sind, können wir den Rest unseres Lebens hier draußen verbringen.«

Kyle beachtete ihn gar nicht. Behutsam lud er den Verwundeten von seiner Schulter, legte ihn zu Boden und richtete sich wieder auf. Sein Blick huschte über die schwarze Mauer des Waldrandes, blieb einen Moment prüfend an einem Schatten hängen und tastete dann weiter.

»Da ist ... noch mehr«, murmelte er. »Ich ... weiß nicht, was, aber...«

Trotz Kyles Warnung geschah alles andere völlig überraschend. Kaum einen Meter hinter Hartmann und seinen beiden Begleitern brach plötzlich ein großes, struppiges Etwas aus dem Wald, so schnell und mit solch ungestümer Kraft, daß der Leutnant und seine beiden Männer kaum die Zeit fanden, sich zur Seite zu werfen.

Der ersten Ratte folgte eine zweite und schließlich eine dritte und vierte. Die Tiere zerrten etwas mit sich, daß Charity im ersten Moment nicht richtig erkennen konnte: Jeweils zwei von ihnen hatten ihre Fänge in einen ledrigen Sack von grauschwarzer, feuchter Farbe gegraben, in dem es unentwegt zuckte und bebte. Ihre Beute mußte sehr schwer sein, denn trotz ihrer enormen Kraft kamen die Ratten nur mühsam von der Stelle.

Hinter den Tieren stürmte mehr als ein Dutzend in Fetzen gehüllter Gestalten heran. Fast alle waren bewaffnet - mit Speeren und Keulen, einige auch mit primitiven Äxten und kurzen Bögen, auf die sie federlose Pfeile aufgelegt hatten. Und sie waren so auf die Verfolgung der vier Ratten konzentriert, daß sie das gute halbe Dutzend Menschen erst gewahrten, als sie praktisch schon vor ihnen standen.

Charity sah, wie Lehmann seine Waffe hob und auf einen der Männer anlegte; fast gleichzeitig richteten sich die Spitzen eines halben Dutzends Speere und Pfeile auf die drei Soldaten.

»Nein!«

Kyles Schrei ließ die Männer abermals erstarren. Mit einem einzigen Satz war der Megamann zwischen Hartmann und den Barbaren, breitete abwehrend die Arme aus und rief noch einmal mit laut schallender Stimme: »Nein! Nicht schießen!«

Lehmann versuchte, einen Schritt zur Seite zu machen, um freie Schußbahn zu bekommen, aber Kyle stieß ihn mit einer fast beiläufigen Bewegung zu Boden, so daß er stürzte und das Gewehr seinen Händen entglitt. Gleichzeitig deutete er mit der anderen Hand zuerst auf Charity, dann auf die Ratten, die den Waldrand schon fast erreicht hatten.

»Haltet sie auf! Erschießt sie! Sie dürfen nicht entkommen!«

Charity verschwendete keine Zeit mehr damit, über den Sinn dieser Worte nachzudenken. Sie fuhr herum, riß ihren Laser von der Schulter und gab zwei kurze Feuerstöße ab. Sofort schoß auch Skudder. Sie trafen nur eines der Tiere, das lautlos verendete, aber die grellen Laserblitze schienen den Ratten nicht unbekannt zu sein, denn sie ließen mit einem erschrockenen Quieken ihre Beute fallen und stoben in heller Panik davon.

»Was soll das?« fragte Hartmann erbost. Sein Blick wanderte unsicher zwischen Kyle und der Front zottiger, verdreckter Gestalten hin und her, die mit erhobenen Waffen einen Halbkreis um ihn und den Megamann bildeten. »Was...«

»Halten Sie den Mund!« unterbrach ihn Kyle grob. »Sie wollen nichts von uns. Sehen Sie das denn nicht?«

Selbst bei der herrschenden Dunkelheit konnte Charity sehen, wie Hartmann erbleichte. Aber Kyles Worte machten ihn nicht nur wütend - er war auch verwirrt. Wie Felss und Lehmann, der sich mittlerweile wieder auf die Knie erhoben und seine Waffe an sich gerafft hatte, hatte auch er sein Gewehr auf die Barbaren gerichtet. Aber er zögerte, abzudrücken.

Aus dem Wald kamen jetzt weitere Krieger. Charity schätzte ihre Zahl auf mindestens fünfzig. Selbst mit ihrer überlegenen Bewaffnung standen ihre Chancen nicht besonders gut, einen Kampf mit dieser Übermacht zu bestehen.

Aber die Barbaren rückten nur langsam näher, die Waffen drohend erhoben und einen grimmigen Ausdruck auf den Gesichtern. Schließlich lösten sich vier Gestalten und traten mit erhobener Waffe auf Skudder und Charity zu. Skudder hob drohend sein Lasergewehr, senkte den Strahler dann aber wieder und trat hastig einen Schritt zur Seite, als klar wurde, daß Charity und er gar nicht das Ziel der vier Krieger waren. Mißtrauisch traten die Barbaren zwischen ihnen hindurch und näherten sich den Kokons, die die Ratten bei ihrer Flucht fallengelassen hatten. Einer davon war aufgeplatzt; eine ölige, farblose Flüssigkeit quoll heraus und versickerte im Boden.

»Was ist das?« murmelte Charity.

»Rühr dich nicht!« sagte Kyle erschrocken. »Sie wollen nur die Eier. Sie wollen nichts von uns.«

»Eier?«

Kyle deutete auf die beiden pulsierenden Kokons. Charity begriff erst jetzt, was sie vor sich hatte. Was die vier Ratten erbeutet hatten, war nichts anderes gewesen als die Kokons, aus denen die jungen Ameisen schlüpften und die diese Krieger aus irgendeinem Grunde beschützten. Verwirrt, aber auch fasziniert von dem Anblick, der sich ihr bot, sah sie zu, wie zwei der Barbaren neben dem aufgeplatzten Kokon auf die Knie sanken und mit vorsichtigen Bewegungen begannen, die zerrissene Hülle weiter zu öffnen.

Darunter kam eine relativ kleine, spinnengliedrige Ameisengestalt zum Vorschein. Sie bewegte sich zuckend. Ihre Glieder, die noch weich und biegsam waren, als beständen sie aus Gummi, peitschten durch die Luft und trafen einen der Männer. Trotzdem zuckte er nicht einmal zurück, sondern wich nur mit einer geschickten Bewegung den schnappenden Mandibeln der jungen Ameise aus und hob sie unter sichtlicher Anstrengung in die Höhe. Die beiden anderen untersuchten in der Zwischenzeit den zweiten Kokon und atmeten erleichtert auf, als sie feststellten, daß er nicht beschädigt war.

Charity senkte endgültig ihre Waffe. Sie hoffte, daß die Barbaren die Bedeutung der Geste begriffen. Wortlos sahen sie zu, wie die vier Männer den Kokon und die junge Ameise zurücktrugen und wieder hinter den Reihen der anderen verschwanden, doch machten die Barbaren keine Anstalten, sich zurückzuziehen.

Charitys Blick wanderte aufmerksam über die Gesichter der zerlumpten Gestalten. Unter all dem Schmutz waren es ganz gewöhnliche menschliche Gesichter - bis auf die Augen.

Es waren seltsame Augen, deren Blick sie verwirrte. Sie glaubte plötzlich zu wissen, warum Hartmann und seine Begleiter solche Angst vor diesen Gestalten hatten.

Diese Männer und Frauen vor ihr waren ... unheimlich. Sie waren Wilde, die auf ein fast steinzeitliches Niveau herabgesunken waren. Aber ihre Augen waren nicht die Augen von Wilden. Ein geheimes Wissen lag in ihnen.

»Verschwinden wir von hier«, flüsterte Hartmann. »Solange sie noch friedlich sind.«

Kyle rührte sich nicht, und Charity schüttelte hastig den Kopf. Sie spürte, daß sie jetzt nicht gehen konnten. Sie würden es nicht zulassen.

Langsam, mit klopfendem Herzen und zitternden Händen, hängte sie ihr Gewehr über die Schulter, streckte die Arme aus und drehte die leeren Hände nach oben; eine Geste, die so einfach und eindeutig war, daß selbst diese primitiven Barbaren ihre Bedeutung erkennen mußten. Dann machte sie einen Schritt auf die Krieger zu.

»Ich weiß nicht, ob ihr mich versteht«, sagte sie mit übertriebener Betonung und mit großen Pausen zwischen den einzelnen Worten. »Wir sind nicht eure Feinde.«

»Sind Sie wahnsinnig geworden?!« keuchte Hartmann.

Charity ignorierte ihn. Die Blicke aus fünfzig dunklen, aufmerksamen Augenpaaren folgten ihr und schienen tief in ihr Innerstes zu blicken. In ihrem Hals saß plötzlich ein bitterer Kloß; ihr Herz raste wie ein kleines, außer Kontrolle geratenes Uhrwerk.

Trotzdem zitterte ihre Stimme nicht, als sie fortfuhr: »Wir haben die Ratten vertrieben. Hier - seht ihr?« Ganz langsam bewegte sie den rechten Arm zur Schulter, berührte den Lauf des Laserstrahlers und deutete dann auf den verbrannten Kadaver der Riesenratte.

Noch immer reagierten die Krieger nicht. Und doch hatte Charity das Gefühl, so gründlich gemustert zu werden wie niemals zuvor in ihrem Leben. Irgend etwas war mit diesen Menschen geschehen; sie war plötzlich ganz und gar nicht mehr sicher, daß man ihnen nur ihre Kultur und ihre Intelligenz genommen hatte. Sie spürte im Gegenteil, daß sie im Gegenzug etwas dafür bekommen hatten. Etwas, das so fremd und unverständlich war, daß sie es vielleicht niemals begreifen würde.

»Wir sind eure Freunde«, sagte sie noch einmal, sehr langsam und sehr betont.

Ganz langsam hob sie die Hand, berührte mit den Fingerspitzen die rostige Metallschneide des Speeres, den der erste Krieger vor ihr in der Hand trug, und drückte sie mit sanfter Gewalt herab. Sie hörte, wie Hartmann hinter ihr ungläubig die Luft einsog, aber zu ihrer Erleichterung sagte er nichts.

Plötzlich senkten sich auch die Waffen der anderen Barbaren ein Stück.

Charity trat aufatmend zurück und wandte sich um. Selbst Kyle blickte sie ungläubig an, aber mit Ausnahme Hartmanns und seiner beiden Soldaten hatten alle ihre Waffen gesenkt.

»Tun Sie endlich das Gewehr weg, Sie Narr!« sagte Charity zornig. »Sie sehen doch, daß sie uns nicht angreifen werden.«

Der Ausdruck in Hartmanns Augen war blanke Wut, aber nach einem letzten, kurzen Zögern senkte auch er sein Gewehr und gab den beiden Männern hinter ihm mit einer Geste zu verstehen, es ihm gleichzutun. Felss gehorchte sofort, während Lehmann trotzig die Lippen schürzte und die Waffe erst senkte, als Kyle ihn drohend ansah.

Charity wandte sich wieder zu den Barbaren um. »Versteht ihr unsere Sprache?« fragte sie.

Sie hatte nicht ernsthaft mit einer Antwort gerechnet, aber sie war auch nicht sehr überrascht, als der Mann, zu dem sie gesprochen hatte, ein unbeholfenes Nicken zur Antwort gab. »Wir sind nicht eure Feinde«, sagte sie zum wiederholten Mal. »Wir wollen nichts von euch. Wir wollen nur gehen.«

Der Blick dieser dunklen, seltsam leeren Augen blieb weiter auf ihr Gesicht gerichtet, aber der Mann rührte sich nicht. Charity hob den Arm und deutete in einer weit ausholenden, langsamen Geste erst auf sich, dann auf die anderen. »Wir wollen fort«, sagte sie noch einmal. »Laßt uns gehen, und niemandem wird etwas geschehen.«

Zwanzig, dreißig Sekunden wartete sie vergeblich auf eine Antwort. Schließlich wertete sie das Schweigen des Mannes als Zustimmung und drehte sich langsam herum. »Gehen wir«, sagte sie. »Aber ganz vorsichtig. Keine hastigen Bewegungen.«

Doch als sie einen Schritt machen wollte, trat ihr der Barbar in den Weg. Der Speer in seiner Hand war nicht erhoben, aber seine Bewegung war so eindeutig, daß Charity stehenblieb.

»Bitte, laßt uns gehen«, sagte sie. »Wir wollen nichts von euch. Wir wollen nur zu unseren Leuten.«

Der Mann rührte sich nicht, aber wie zur Antwort auf Charitys Worte trat eine zweite Gestalt neben ihn, und plötzlich kam auch in die übrigen Barbaren Bewegung - jeweils zwei oder drei von ihnen stellten sich hinter Skudder, Net und die anderen, während die übrigen einen weiten Kreis um sie bildeten.

»Bravo!« sagte Hartmann böse. »Das war wirklich genial, Captain Laird. Wenn wir je eine Chance hatten, mit diesen Wilden fertig zu werden, dann haben Sie sie gerade verspielt.«

Charity ignorierte ihn. Sie war verwirrt.

Der Mann, mit dem sie bisher gesprochen hatte, hob plötzlich den Arm und legte die Hand mit gespreizten Fingern auf die Brust. »Jared«, sagte er. Seine Stimme klang ungelenk; das Sprechen schien ihm Mühe zu bereiten, als wäre es etwas, das er vor langer Zeit einmal gelernt, aber niemals gebraucht hatte.

»Jared?« wiederholte Charity. »Ist das ein Name?«

Der Mann nickte. Seine Hand deutete in westliche Richtung. »Kommen.«

»Wir sollen mit euch kommen?« vergewisserte sich Charity.

»Kommen«, wiederholte Jared.

»Das geht nicht«, sagte Charity vorsichtig. »Wir können euch nicht begleiten.«

Erneut deutete Jared nach Westen, diesmal mit einer ungeduldigeren, fast befehlenden Geste. »Kommen«, sagte er zum dritten Mal.

»Wir sollten tun, was sie verlangen«, sagte Skudder.

»Wir sollten sie über den Haufen schießen!« sagte Lehmann haßerfüllt. »Solange wir es noch können!«

Charity warf ihm einen zornigen Blick zu. »Halten Sie endlich den Mund, Sie Idiot!« sagte sie. »Begreifen Sie denn nicht, daß sie jedes Wort verstehen?«

Lehmann lachte gehässig. »Sie begreifen nicht, womit wir es hier zu tun haben«, antwortete er böse. »Es sind Tiere. Wahrscheinlich hat Sie Ihr neuer Freund gerade zum Essen eingeladen. Aber wir werden die Mahlzeit sein.«

»Kyle«, sagte Charity ruhig, »wenn er noch einmal den Mund aufmacht, dann schlag ihn nieder.«

Lehmanns Augen sprühten vor Zorn, aber er wagte es nicht mehr, etwas zu sagen, sondern blickte nur Charity und Kyle haßerfüllt an. Charity wandte sich wieder an Jared. »Wir sollen euch begleiten?«

Jared nickte. Er deutete wieder nach Westen. »Kommen«, sagte er und ruderte mit den Armen.

Charity lächelte flüchtig. »Du meinst schnell.«

Jared nickte und deutete nun in die andere Richtung. »Kommen«, sagte er. »Bald.«

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