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»Verdammt! Was war das?!« Hartmann drehte mit einem Fluch den Kopf zur Seite, verzerrte schmerzerfüllt das Gesicht und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger der Rechten über die Augen, ehe er wieder zu der Reihe kleiner flimmernder Monitore hinüberblinzelte. Zwei von ihnen waren ausgefallen und zeigten nichts als weißes Rauschen. Wahrscheinlich waren die Bildröhren durchgebrannt, dachte Hartmann ärgerlich. Die Geräte waren auch mehr als sechzig Jahre alt.

Aber wahrscheinlich hätte dieser Blitz jeden Filter überfordert. Vor Hartmanns Augen bewegten sich noch immer grelle Lichtblitze. Er war ziemlich sicher, daß er jetzt blind wäre, hätten die Filter nicht blitzschnell reagiert und neunundneunzig Prozent der grausamen Lichtflut gedämpft, die über die Monitore in den kleinen Überwachungsraum gedrungen war.

Mißmutig drehte er sich herum und starrte die beiden Techniker an, die hinter den zerschrammten Pulten saßen. Breuer blinzelte und rieb sich unentwegt über die Augen, während Stern offensichtlich nicht hingesehen hatte. Aber sein Gesicht wurde zusehends blasser, während sein Blick über die Kontrollen auf dem Pult vor sich huschte.

»Ich habe gefragt, was da passiert ist«, herrschte Hartmann den dunkelhaarigen Techniker an.

»Ich ... bin nicht ganz sicher«, antwortete Stern nervös. Seine Finger glitten über das Pult, betätigten ein paar Schalter und hämmerten nervös auf die Tastatur eines Computers ein. »Aber es sieht aus wie...«

»Wie was?« fragte Hartmann scharf, als Stern zögerte, zu antworten.

Der Techniker sah auf, und der Ausdruck von Betroffenheit in seinen Augen veränderte sich zu blankem Schrecken. »Das war eine Atomexplosion, Herr Leutnant«, sagte er leise.

Hartmann war im Grunde nicht wirklich überrascht; er fragte sich nur, wer um alles in der Welt ein Interesse daran haben sollte, eine Stadt zu bombardieren, in der schon seit einem halben Jahrhundert nichts mehr lebte.

»Sind Sie sicher?« fragte er.

Stern nickte abgehackt. »Völlig. Die Daten lassen keinen anderen Schluß zu. Irgend jemand bombardiert die Stadt.«

Hartmann schwieg einen Moment. Was um alles in der Welt ging dort oben vor? Zuerst diese beiden Raumschiffe, die sich gegenseitig abschössen, und jetzt das...

Aber er war nicht hier, um Vermutungen anzustellen. Er war hier, um zu handeln.

»Welches Kaliber?« fragte er. »Und wo genau ist sie eingeschlagen?«

Stern blickte wieder für einen Moment auf seine Instrumente, dann antwortete er nervös und ohne zu Hartmann aufzusehen: »Nicht besonders groß. Ich schätze fünfzig - maximal sechzig Kilotonnen. Eher eine Granate statt einer Bombe. Aber es waren mehrere Treffer.«

»Mehrere?« vergewisserte sich Hartmann alarmiert.

Stern schluckte trocken und sah ihn nun doch an. »Mindestens drei oder vier«, sagte er, »vielleicht sogar mehr. Genau kann ich das nicht sagen. Die meisten Instrumente sind gestört.«

»Und wo haben sie eingeschlagen?« schnappte Hartmann.

Stern fuhr wie unter einem Hieb zusammen und versuchte, in den Kunststoffbezug seines Sitzes hineinzukriechen, während der neben ihm sitzende Breuer endlich die Hand von den Augen nahm und ihn und Hartmann abwechselnd ansah. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, dachte Hartmann ärgerlich, hat er noch gar nicht mitbekommen, was überhaupt geschehen war. Was hatte er nur verbrochen, daß man ihm zwei solche Flaschen zugeteilt hatte?

»Ungefähr ... zehn Kilometer von hier, Herr Leutnant«, antwortete Stern nach einem weiteren, langen Blick auf seine Instrumententafel. »Deutz. Nicht weit von der Brücke entfernt. Wahrscheinlich ist sie zerstört worden.«

»Verdammt!« Hartmann wandte sich wieder um und blickte vorwurfsvoll die beiden ausgebrannten Bildschirme an, als gäbe er ihnen die Schuld daran, daß er nicht genau wußte, was dort vor sich ging.

»Gibt es sonst noch ein paar schlechte Neuigkeiten?« erkundigte er sich übellaunig.

»Es wimmelt von Schiffen«, sagte Stern leise. Seine Stimme klang fast ängstlich.

»Und was heißt das genau?« erkundigte sich Hartmann gepreßt, in jenem täuschend ruhigen, lauernden Tonfall, den alle, die das zweifelhafte Vergnügen hatten, mit ihm zu arbeiten, kannten und fürchteten.

»Das kann ich nicht genau sagen«, antwortete Stern unsicher. »Die meisten Geräte sind ausgefallen. Es wird ein paar Stunden dauern, bis sie wieder funktionieren. Aber es waren mindestens fünf oder sechs, als ich das letzte Mal auf den Schirm gesehen habe.«

»Fünf oder sechs...« wiederholte Hartmann halblaut. Ein besorgter Ausdruck huschte über sein Gesicht. In den mehr als fünf Jahrzehnten, die er jetzt hier Dienst tat, hatte er niemals mehr als drei der riesigen silbernen Flugscheiben gleichzeitig über der Stadt gesehen - und erst recht keine, die Atomgranaten auf leere Häuser warfen.

»Bombardieren sie noch?« fragte er.

»Im Moment nicht«, antwortete Stern eifrig. »Aber sie scheinen sich noch nicht entfernt zu haben, sonst hätte das Fernradar sie erfaßt.«

»Scharfsinnig geschlossen«, sagte Hartmann spöttisch und wandte sich zu den beiden Technikern um. Breuer senkte hastig den Blick und tat so, als wäre er gar nicht da, während Stern sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen zu fahren begann.

»Sie sind ja doch zu etwas zu gebrauchen, Stern«, fuhr Hartmann fröhlich fort. Dann wurde er übergangslos wieder ernst.

»Die Sache gefällt mir nicht«, sagte er. »Wecken Sie Lehmann und Felss, diese beiden Trottel. Sie sollen sich dort draußen ein bißchen umsehen.«

»Die Strahlung...« begann Stern, wurde aber sofort wieder von Hartmann unterbrochen.

»Ich habe sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt, Stern«, brüllte Hartmann. »Leiten Sie den Weckvorgang ein!«


*


Das Bombardement von Steintrümmern auf dem Dach war dem beständigen Rieseln von Staub gewichen. Doch noch immer konnten sie Explosionen vernehmen. Es hörte sich an, als bräche die gesamte Stadt über ihren Köpfen zusammen.

Beiläufig fragte Charity sich, warum sich die Moroni die Mühe machten, die Ruinenstadt mit einem Teppich aus kleineren Sprengkörpern zu belegen, statt einfach eine Wasserstoffbombe zu werfen und die selbsternannten Retter der Welt damit bis ans andere Ende des Sonnensystems zu pusten. Sie hatten trotz allem noch Glück gehabt; Kyle, der offensichtlich im Dunkel sehen konnte wie eine Katze, hatte sie zu diesem uralten, rostigen U-Bahn-Waggon geführt, der seit einem halben Jahrhundert verlassen auf den Schienen stand. Sie hatten ihn kaum betreten, als der halbe Tunnel über ihren Köpfen zusammenzubrechen begann. Vielleicht war die letzte Explosion nicht einmal die schwerste gewesen, sondern nur der letzte Schlag, der die ohnehin erschütterten Fundamente des unterirdischen Stollens zum Einsturz brachte. Charity hatte minutenlang nicht damit gerechnet, die nächsten Augenblicke zu überleben: Das vordere Teil des Wagens war unter Tonnen von Beton und herabstürzender Erde regelrecht plattgedrückt worden. Doch dann war Ruhe eingetreten.

»Was zum Teufel tun die da oben?«

Gurks Stimme klang gepreßt aus der völligen Dunkelheit. Niemand antwortete, aber Charity schob zum wiederholten Mal den linken Ärmel hoch und blickte auf den Geigerzähler. Die kleine, rote Anzeige stellte im Moment ihre einzige Lichtquelle dar. Die Strahlenwerte befanden sich zwar noch nicht im akuten Gefahrenbereich, aber allmählich wurde die Sache mulmig.

Obwohl sie so blind wie die anderen war, spürte sie plötzlich, daß Kyle sie ansah. »Ihre Freunde scheinen ziemlich großen Wert darauf zu legen, uns zu erwischen«, sagte sie.

Kyle antwortete nicht darauf, aber Skudder fügte vom anderen Ende des Waggons aus hinzu: »Ja. Ich frage mich nur, hinter wem sie eigentlich her sind.«

»Hinter mir«, sagte Kyle.

»Und deshalb verseuchen Sie eine halbe Stadt mit radioaktiver Strahlung?« fragte Charity zweifelnd.

»Die Strahlung ist sehr kurzlebig«, sagte der Megamann. »In ein paar Tagen ist die Gefahr vorbei.«

»Ein paar Tage?!« Skudder lachte humorlos. »Na, wenn es weiter nichts ist. Dann schlage ich doch vor, daß wir es uns hier unten gemütlich machen.«

»Hör auf, Skudder«, sagte Charity matt. Dann drehte sie sich wieder in die Richtung, aus der Kyles Stimme in der Dunkelheit erklungen war. »Was haben Sie getan, daß sie sich solche Mühe machen, Sie umzubringen?«

»Nichts«, antwortete Kyle. Sie hörte, wie er aufstand und in der Dunkelheit an irgend etwas zu hantieren begann. »Ich vermute, sie sind nicht besonders glücklich darüber, daß ich mich nicht umbringen lassen wollte.«

»Vielleicht sollten wir ihnen den Gefallen tun und das nachholen«, sagte Gurk giftig.

Kyle machte sich nicht einmal die Mühe, etwas darauf zu erwidern. Plötzlich glomm ein trübes, gelbes Licht unter der Wagendecke auf. Charity blinzelte überrascht, als sie sah, daß Kyle eine der alten Lampen zum Brennen gebracht hatte. Im trüben Schein der fünfzig Jahre alten Leuchtstoffröhre war das ganze Ausmaß der Zerstörung zu erkennen. Der Stollen war fast völlig zusammengebrochen, und noch immer rutschten Steine und Erdreich nach. Sie steckten gehörig in der Klemme.

Vielleicht blieben ihnen nicht einmal mehr Minuten, um sich zu befreien.

Kyle stand auf und machte sich an einer zweiten Lampe zu schaffen, um auch sie wieder zum Leben zu erwecken, Skudder hockte mit angezogenen Knien auf einer der zerschlissenen Kunststoffbänke und sah ihm mit finsterem Gesichtsausdruck dabei zu, während sich Net um Barlers Tochter bemühte, die mit steinernem Gesichtsausdruck an der Wand lehnte und ihren verletzten rechten Fuß massierte.

Der sonderbar leere Ausdruck in den Augen des Mädchens gefiel Charity nicht. Sie stand auf, ging gebückt zu Net und Helen hinüber und beugte sich besorgt über das dunkelhaarige Mädchen. »Alles in Ordnung?«

Helen reagierte nicht, aber Net sah auf und deutete ein Kopfschütteln an. Nein - mit Helen war ganz und gar nicht alles in Ordnung. Nicht zum ersten Mal, seit sie aus Paris geflohen waren, gestand sich Charity ein, daß es ein Fehler gewesen war, das Mädchen mitzunehmen.

Aber im Moment konnten sie nichts für Helen tun. Sie stand wieder auf, ging zum hinteren Ende des Wagens und versuchte, durch den Staub irgend etwas von ihrer Umgebung zu erkennen. Dann glomm eine zweite Leuchtstoffröhre auf, erfüllte den Wagen für Augenblicke mit fast unangenehm hellem Licht und erlosch mit einem kleinen blauen Blitz sofort wieder. Kyle wandte sich um, zuckte enttäuscht mit den Achseln und versuchte nicht, auch noch eine dritte Lampe zum Brennen zu bringen.

Ein Beben erklang plötzlich, und ein wenig später wehte von weit, weit her ein dumpfes Grollen zu ihnen heran. Charity sah erschrocken auf, aber noch hielt der Tunnel.

»Sie werfen immer noch Bomben«, sagte Skudder.

»Ja«, erwiderte Kyle, »aber sie werden bald aufhören.«

»Und dann?«

Kyle machte eine Handbewegung zur Decke.

»Dann werden sie kommen und nach uns suchen«, sagte er. »Sie werden nicht aufgeben, bis sie mich gefangen oder sich mit eigenen Augen von meinem Tod überzeugt haben. Ich würde mich ihnen stellen, wenn es etwas nutzte. Aber sie würden weiter nach euch suchen.«

»Wie edel Ihr seid«, bemerkte Gurk spöttisch.

Charity warf dem Zwerg einen ärgerlichen Blick zu. »Halt den Mund!« rief sie. »Ohne ihn wäre keiner von uns noch am Leben.«

»Ohne ihn«, erwiderte Gurk, wobei er versuchte, den Klang ihrer Stimme höhnisch nachzuäffen, »wären wir gar nicht hier.«

Kyle musterte den Zwerg mit einem sonderbaren, nicht einmal unfreundlichen Blick, lächelte flüchtig und ging zu Net und Helen hinüber. Die junge Wasteländerin tauschte einen fragenden Blick mit Charity und rutschte ein Stück zur Seite, als sie wortlos nickte.

Kyle blickte Helen eine Sekunde lang stumm an, dann streckte er den Arm aus und berührte sie fast zärtlich an der Wange. Die Leere in Helens Blick blieb, aber sie zuckte unter der Berührung sichtbar zusammen. Wieder zögerte Kyle, dann begannen seine Finger, sanft, aber mit sehr geschickten, kundigen Bewegungen über ihren Körper zu tasten. Charity konnte nicht erkennen, was er tat, aber nach wenigen Augenblicken wandte er den Kopf und sah sie an.

»Ihr Fuß ist verrenkt«, sagte er. »Ich kann das in Ordnung bringen, aber jemand sollte Sie festhalten. Es wird sehr schmerzhaft sein.«

Skudder wollte aufstehen, aber Helen hatte Kyles Worte offensichtlich doch gehört, denn sie schüttelte plötzlich den Kopf und murmelte: »Es ist nicht nötig.«

Kyle zögerte noch einen winzigen Moment, dann griff er mit beiden Händen nach Helens Fußgelenk - und machte eine blitzartige Bewegung. Helen sog hörbar die Luft ein, gab aber sonst nicht den mindesten Laut von sich, obwohl ihr Gesicht auch noch den letzten Rest Farbe verlor.

»Das war's schon«, sagte Kyle lächelnd. »Ich kann sonst keine Verletzungen feststellen - aber trotzdem, sei ein bißchen vorsichtig mit dem Fuß.«

Helen nickte. »Du ... du bist es wirklich«, murmelte sie. »Aber wie ist das möglich? Du ... du hast dich ... fast gar nicht verändert!«

Kyle schien einen Moment lang nicht genau zu wissen, was er mit diesen Worten anfangen sollte. Dann fuhr auch er überrascht zusammen und blickte Helen mit einem neuen, verwirrten Ausdruck ins Gesicht. »Du bist das Mädchen aus dem Dschungel«, murmelte er.

»Und du der Jäger, der ... meine Eltern getötet hat«, murmelte Helen. »Ich ... erinnere mich genau! Du hast sie getötet! Erst meinen Vater und dann ... dann meine Mutter.«

Kyle schwieg, aber aus dem Ausdruck von Betroffenheit in seinem Blick wurde Schmerz.

»Und dann ... bist du zu mir gekommen«, murmelte Helen. »Ich dachte, du ... würdest mich auch töten. Aber statt dessen hast du mich angelächelt und ... und dann die Ameise umgebracht, die meinen Tod verlangte.«

Kyle schwieg weiter, aber Charity sah, wie nicht nur Net überrascht den Blick hob und ihn ansah.

»Ich habe nie verstanden, warum du das getan hast«, murmelte Helen.

»Ich konnte es nicht«, antwortete Kyle. »Ich wollte es, aber ... aber dann opferte deine Mutter ihr Leben, um dich zu schützen.« Er lachte bitter. »Ich habe einfach nicht begriffen, warum sie das tat. Sie war schon in Sicherheit. Sie hatte eine gute Chance zu entkommen, aber dann machte sie plötzlich kehrt und griff mich an, obwohl sie genau wußte, daß das ihren sicheren Tod bedeutete. Ich habe es einfach nicht begriffen. Aber danach ... konnte ich dir nichts mehr tun. Es hätte ihren Tod sinnlos gemacht, verstehst du?«

»Hatte er denn so einen Sinn?« fragte Helen tonlos.

»Nein«, gestand Kyle. »Es tut mir so leid. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Aber ich verlange es nicht.«

Sekundenlang blickte Helen ihn wortlos an, dann hob sie die Hand, berührte mit den Fingerspitzen fast zärtlich seine Wange und sagte: »Seltsam ... ich ... müßte dich hassen. Aber ich kann es nicht. Es ist so lange her.«

Ein Ausdruck tiefen Schmerzes machte sich auf Kyles Gesicht breit. Aber er sagte nichts mehr, sondern stand mit einem Ruck auf und deutete zum Fenster.

»Ich werde nachsehen, wie weit der Tunnel verschüttet ist«, sagte er. »Wartet hier!«

Skudder wollte widersprechen, aber Charity hielt ihn mit einer raschen Handbewegung davon ab und nickte Kyle auffordernd zu. Der junge Megamann schwang sich mit einer eleganten Bewegung aus dem Fenster und verschwand fast lautlos in der Dunkelheit.

»Hältst du das für eine gute Idee, ihn allein gehen zu lassen?« fragte Skudder.

»Und warum nicht?«

»Wer sagt uns, daß er zurückkommt?«

»Und wer will ihn daran hindern, es nicht zu tun, falls er es wirklich will?« gab Charity zurück. »Du vielleicht?« Skudders Antwort bestand nur aus Schweigen und einem zornigen Blick, und Charity begriff fast sofort, daß sie ihre Worte nicht besonders geschickt gewählt hatte. Zum ersten Mal, seit sie Kyle kennengelernt hatten, fragte sie sich, ob Skudders Feindseligkeit vielleicht nicht nur auf dem Umstand beruhte, daß Kyle eigentlich ihr Feind war. »Ich begreife das nicht«, flüsterte sie. »Was zum Teufel ist so wichtig an Kyle oder uns, daß sie sich solche Mühe geben, uns zu kriegen?«

»Vielleicht haben sie es nicht so gern, wenn man ihnen ihre Schiffe stiehlt?« fragte Gurk.

Charity schüttelte entschieden den Kopf. »Das kann nicht der einzige Grund sein«, sagte sie. »Ich verstehe, daß sie uns verfolgt und abgeschossen haben.« Sie deutete mit einer Handbewegung zur Decke. »Aber sie werfen Atombomben, Gurk. Niemand pulverisiert eine halbe Stadt, um ein paar Autodiebe zu bestrafen.«

Skudder lächelte flüchtig, wurde aber sofort wieder ernst. »Vielleicht ist es wirklich Kyle«, sagte er. »Nach allem, was wir wissen, ist er der erste von diesen Megamännern, der abtrünnig geworden ist. Vielleicht besitzt er Informationen, die auf keinen Fall in die falschen Hände geraten dürfen. Immerhin sind sie so etwas wie ihre Elite-Einheit, wenn ich das richtig sehe.«

Das war eine Möglichkeit, dachte Charity. Aber das konnte nicht der ganze Grund sein. »Es muß ... irgend etwas mit dem Bunker zu tun haben«, murmelte sie. »Der NATO-Zentrale, die wir in Paris gefunden haben.«

»Wieso?« fragte Skudder.

Charity zuckte mit den Achseln. »Es ist nur ein Gefühl«, sagte sie. Sie sah Helen an, ehe sie weitersprach. Das Mädchen war jetzt wieder bei Verstand und blickte mit einer Mischung aus Neugier und Erschrecken zu ihr auf.

»Irgend etwas war in der Zentrale, das ungeheuer wertvoll für sie war«, fuhr sie fort. »Mit Ausnahme Barlers war ich die einzige, die dort unten war. Und ich habe mich eine ganze Weile an den Computern zu schaffen gemacht.«

»Sie meinen...« Helen sog erschrocken die Luft ein und starrte sie aus entsetzt geweiteten Augen an. »Sie glauben doch nicht, daß mein Vater diese Bomber hinter uns hergeschickt hat?!« sagte sie empört.

»Nein«, antwortete Charity; eine Spur zu hastig, um wirklich überzeugt zu klingen. »Er selbst sicher nicht. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal etwas davon. Aber jemand, der glaubt, wir hätten irgend etwas erfahren.«

»Aber das ist doch Unsinn!« protestierte Helen. »Mein Vater würde nie...«

»Er ist nicht dein Vater, Kleines«, unterbrach sie Gurk hart. Er machte eine zornige Geste in die Richtung, in der Kyle verschwunden war. »Er ist auch einer wie er.«

In Helens Augen blitzte es kampflustig auf. Aber bevor es zwischen ihr und dem Zwerg wirklich zum Streit kommen konnte, kehrte Kyle zurück und winkte ihnen zu, den Wagen zu verlassen.

Skudder und Charity kletterten rasch durch das zerborstene Fenster ins Freie, während Net Helen dabei half, vorsichtig aufzustehen. Sie konnte jetzt wieder aus eigener Kraft gehen, aber ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als sie den Fuß belastete, und nach kurzem Zögern griff Skudder kurzerhand zu und hob sie wie ein Kind aus dem Wagen.

»Nun?« fragte Charity.

»Der Stollen ist eingestürzt«, sagte Kyle. »Keine Chance, durchzukommen.«

»Und in der anderen Richtung?«

Abermals schüttelte Kyle den Kopf. »Selbst, wenn es einen Weg gäbe, wäre die Strahlung tödlich. Zumindest für euch.«

»Wunderbar!« sagte Gurk. »Dann sitzen wir ja richtig schön in der Falle. Deine Freunde brauchen nur noch zu kommen und uns einzusammeln.«

»Vielleicht gibt es doch einen Weg«, sagte Kyle unberührt. »Ich habe eine Tür entdeckt. Dahinter liegt eine Treppe, die in die Tiefe führt. Ich weiß nicht wohin.«

»Dann finden wir es heraus«, schlug Charity vor.

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