7. KAPITEL


Die meisten Feuer waren erloschen, als Robin und die anderen ins Dorf zurückkehrten; nicht weil sie irgendjemand gelöscht, sondern weil die Flammen in ihrer Gier längst ihre eigene Grundlage aufgezehrt hatten. Nur aus der brennenden Moschee quoll noch schwarzer Rauch. Das einfache Holzkreuz, das jemand auf ihrem Kuppeldach aufgerichtet hatte, brach just in dem Augenblick in einem Funkenschauer zusammen, in dem Robin und Rother an dem brennenden Gebäude vorübergingen. Der junge Ritter und sie waren abgesessen und führten ihre Tiere am Zügel hinter sich her, so wie alle anderen auch. Einzig Dariusz war wieder aufgesessen und trabte im Schritttempo zwischen den ausgebrannten Ruinen des Dorfes entlang. Obwohl der Kampf vorüber war und trotz der Gluthitze des Tages, die sich zwischen den engen Talwänden noch zusätzlich zu stauen schien, hatte er den Helm wieder aufgesetzt und den Schild an seinem linken Arm befestigt; seine Rechte ruhte locker auf dem Oberschenkel, aber es war eine beiläufige Geste, die ganz bewusst täuschte. Unter Rüstung und Helm war jeder Muskel seines Körpers zum Zerreißen angespannt, so als fürchte er auch jetzt noch einen Hinterhalt.

Die Frau lag noch immer vor dem Eingang der Kirche, aber zumindest war jemand rücksichtsvoll genug gewesen, das tote Kind fortzuschaffen. Wenigstens glaubte Robin das im ersten Moment, bis sie das blutige Bündel nahezu auf der anderen Seite der Straße entdeckte, wohin es die Hufe der vorübergaloppierenden Pferde geschleudert hatten. Robin wusste, dass sie einen großen Fehler beging, aber sie konnte nicht anders: Ohne ein weiteres Wort drückte sie Rother die Zügel in die Hand, ging zu dem zerfetzten Bündel hin und hob es auf. Sie vermied es sorgsam, auch nur einen Blick unter die blutbesudelten Tücher zu werfen, sondern trug es nur ein paar Schritte weit davon, bis sie eine Stelle neben einem der Häuser erreicht hatte, wo der Boden locker genug war, um mit ihrem Messer eine flache Grube auszuheben. Behutsam legte sie das tote Kind hinein, schaufelte das improvisierte Grab mit den bloßen Händen wieder zu und murmelte ein kurzes Gebet, bevor sie das Kreuzzeichen schlug und hastig aufstand.

Als sie sich umdrehte, stand Dariusz hinter ihr. »Was für ein herzergreifender Anblick«, sagte er. Die Worte hätten hämisch klingen können und hatten es zweifellos auch gesollt, wäre sein Blick nicht so hart wie geschmiedeter Stahl gewesen. »Ich hoffe doch sehr, Ihr habt das arme Kind vorher getauft, damit seine Seele auch Einlass in Gottes Himmelreich erlangt.«

Robin schwieg. Was sollte sie auch sagen?

»In diesen Häusern liegen noch mehr Leichen, Bruder Robin«, fuhr Dariusz fort. Er wirkte verärgert, vielleicht, weil Robin nicht geantwortet hatte. »An die dreißig, wenn ich richtig gezählt habe. Ich nehme nicht an, dass Ihr sie auch alle mit Euren bloßen Händen beerdigen wollt?«

Robin schwieg beharrlich weiter, schon weil sie spürte, dass Dariusz sich darüber mehr ärgerte als über alles, was sie möglicherweise hätte antworten können.

»Ich beginne mich zu fragen, Bruder Robin«, fuhr er nach einer abermaligen Pause fort, und wieder betonte er das Wort Bruder dabei auf eine Art, die Robin einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ, »wem Eure Sympathien in Wahrheit gehören. Und ob Ihr nicht vielleicht zu lange bei den Assassinen gelebt habt.«

»Weil ich ein totes Kind beerdigt habe?«, fragte Robin. »Das war nicht mehr, als ich für jedes Tier getan hätte, Bruder Dariusz. Ihr nicht?« Sie spürte selbst, wie verächtlich ihre Stimme klang, aber sie konnte in diesem Moment einfach nicht anders. Ihr war sogar klar, dass Dariusz sie ganz bewusst reizte, vielleicht um zu sehen, wie weit sie gehen würde, aber selbst das war ihr in diesem Augenblick gleich.

»Es war aber kein totes Tier«, antwortete Dariusz kalt. »Ihr verhöhnt unsere Sitten und alle christliche Tradition, indem Ihr einem Heidenkind ein christliches Begräbnis gewährt.« Er legte eine winzige Pause ein, um seinen nachfolgenden Worten die gehörige Wirkung zu verleihen. »Von den Regeln unseres Ordens ganz zu schweigen. Was hat Euch Bruder Abbé in den Jahren Eurer Ausbildung eigentlich gelehrt?«

»Jedenfalls nicht, einer unschuldigen Kinderseele den Weg in den Himmel zu verwehren«, antwortete Robin, »nur weil es im falschen Teil der Welt geboren worden ist. Ich bin sicher, dass Gott der Herr in die Seele dieses Kindes schaut und nicht danach urteilt, ob es schon alt genug war, die heiligen Sakramente zu empfangen oder getauft zu werden.«

Dariusz’ Blick verfinsterte sich noch weiter, aber zugleich glaubte sie auch etwas wie einen kurzen, bösen Triumph in seinen Augen aufflammen und sofort wieder verschwinden zu sehen. Sie waren nicht allein, wie ihr voller Schrecken zu Bewusstsein kam. Die anderen Templer, aber auch die weltlichen Ritter aus ihrem Gefolge hatten sich überall im Dorf verteilt, durchsuchten die Häuser, durchkämmten das Gebüsch und die Felsen auf den Hängen auf der Suche nach eventuell versteckten Feinden oder Überlebenden oder hatten sich einfach erschöpft irgendwo in den Schatten gehockt und versuchten, nach dem Gewaltmarsch wieder zu Atem zu kommen, aber genug Männer standen nahe genug bei ihnen, um jedes Wort gehört zu haben. Mehr als ein Gesicht hatte sich in ihre Richtung gewandt, und in mehr als einem Augenpaar las sie einen Ausdruck von Schrecken und fassungslosem Unglauben. Was sie gerade gesagt hatte, das grenzte an Ketzerei, aber erst das kurze, böse Flackern in Dariusz’ Blick hatte ihr klar gemacht, dass der Tempelritter sie dazu hatte bringen wollen, ganz genau das zu tun. Robins Mut sank. Am Ende war sie Dariusz doch in die Falle getappt, und er hatte sich nicht einmal sonderlich anstrengen müssen.

»Ihr werdet später noch Gelegenheit haben, diese Worte zu erklären«, sagte Dariusz unerwartet ruhig, zugleich aber auch laut genug, um von mindestens einem Dutzend Ohren gehört zu werden.

Robin antwortete mit einer scheinbaren Gelassenheit, die sie selbst vielleicht am meisten überraschte und die in Wahrheit wohl nichts anderes als Fatalismus war. »Ich sehe keinen Grund dazu, Bruder Dariusz«, antwortete sie. »Ganz im Gegenteil: Ich beginne mich zu fragen, warum Ihr den braven Menschen hier ein christliches Begräbnis vorenthalten wollt.«

Im allerersten Moment wirkte Dariusz einfach nur verblüfft. Dann verdüsterte sich sein Gesicht noch weiter. »Was erdreistet Ihr Euch, Bruder Robin?«, fragte er scharf. »Diese Menschen hier sind ...«

»Christen«, unterbrach ihn Robin. »Oder habt Ihr das Kreuz auf dem Dach des Gotteshauses übersehen, Bruder?«

Einen Herzschlag lang war sie vollkommen sicher, dass Dariusz sie abermals schlagen würde. Sie sah, wie sich alle seine Muskeln spannten und er dazu ansetzte, auf sie zuzutreten. Dann aber machte er mitten in der Bewegung kehrt und drehte mit einem Ruck den Kopf in Richtung der brennenden Moschee.

»Ihr meint diesen heidnischen Götzentempel?«

Robin schüttelte den Kopf. Sie selbst war wohl am meisten erstaunt über ihren Mut, aber sie hatte nun einmal angefangen, und sie konnte jetzt nicht mehr aufhören, ohne alles noch viel schlimmer zu machen. »Die heidnischen Symbole wurden entfernt und das Kreuz der Christenheit auf seinem Dach aufgepflanzt«, sagte sie bestimmt.

»Ein Holzkreuz macht aus einem Götzentempel noch keine Kirche«, antwortete Dariusz.

»Das ist seltsam«, erwiderte Robin. »Ihr habt mich gerade gefragt, was Bruder Abbé mich gelehrt hat. Nun, er hat mich gelehrt, dass Gottes Haus überall ist, wo Menschen zu ihm beten. Sollte er sich geirrt haben?«

In Dariusz’ Augen loderte jetzt die blanke Mordlust. Robin war sich vollkommen darüber im Klaren, wie gefährlich das Spiel war, das sie spielte - und doch war es vielleicht ihre allerletzte, verzweifelte Chance, es überhaupt zu überleben. Unter all der Wut und dem heiligen Zorn auf Dariusz’ Gesicht war plötzlich noch etwas anderes; eine Unsicherheit, wie sie sie noch niemals an ihm bemerkt und auch niemals für möglich gehalten hätte, und dann ein Zorn gänzlich anderer Art, der nicht einmal mehr ihr zu gelten schien. »Es liegt mir fern, Bruder Dariusz«, fuhr sie fort, »Euch zu verbessern oder gar maßregeln zu wollen, doch ich war der Meinung, dass dieses Dorf von Christenmenschen bewohnt wird.« Sie unterstrich ihre Worte mit einer Geste auf das brennende Gotteshaus. »Warum sonst hätten Saladins Truppen es niederbrennen und all seine Bewohner erschlagen sollen?«

Dariusz’ Blick wurde lauernd. Ganz offensichtlich fragte er sich, ob Robin ihn auf diese Weise nur weiter demütigen oder ihm eine goldene Brücke bauen wollte, sodass er die Situation beenden konnte, ohne das Gesicht zu verlieren. Schließlich antwortete er mit einem gezwungenen, abfälligen Lachen. »Ihr seid wirklich noch jung, Bruder Robin«, sagte er verächtlich. »Ich frage mich, ob Ihr nicht vielleicht zu jung seid, um dieses Gewand zu tragen.« Er schüttelte den Kopf. »Glaubt Ihr wirklich, diese Menschen hier hätten ihrem heidnischen Glauben abgeschworen und sich Gott zugewandt? Denkt Ihr tatsächlich, sie hätten von heute auf morgen diesen Götzentempel in ein Gotteshaus verwandelt und ihre Herzen dem wahren Herrn der Welt geöffnet?«

»Ihr nicht?«, fragte Robin.

»Ich möchte es glauben«, antwortete Dariusz. »Gott weiß, dass ich jede Nacht darum bete, er möge den Geist dieser armen Menschen erhellen und sie dem wirklichen Glauben zuführen.«

Plötzlich wurde seine Stimme sanfter. »Möglicherweise habe ich Euch Unrecht getan, Bruder Robin. Wenn es so ist, dann bitte ich Euch um Vergebung. Manchmal vergesse ich, wie jung Ihr noch seid und dass auch ich einmal genauso jung war und genauso gedacht habe.« Auch er deutete auf die brennende Moschee.

»Glaubt mir, Robin, dieses Kreuz hat nichts mit ihrem wirklichen Glauben zu tun. Diese Menschen sind und bleiben Heiden. Ich habe zu oft versucht, das Gegenteil zu glauben, und ich bin zu oft enttäuscht worden. Wäre unsere Aufgabe so leicht, dann wäre unsere Anwesenheit hier gar nicht vonnöten. Sie richten vielleicht ein Kreuz auf. Sie beten und gehen zum Gottesdienst, aber ihre Herzen gehören ihren falschen Göttern.«

»Und warum dann das Kreuz?«, fragte Robin.

»Weil sie vielleicht keine guten Christenmenschen sind, aber nicht dumm«, antwortete Dariusz. »Sie richten ein Kreuz über ihren Tempeln auf, um sich damit unter unseren Schutz zu stellen, und nur zu viele von uns sind so gutmütig und naiv wie Ihr, Robin, und glauben ihnen.«

»Ihr glaubt, das alles wäre nur eine Täuschung gewesen?«, erwiderte Robin. Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber ... warum?«

»Um sich unseren Schutz zu erkaufen«, antwortete Dariusz, nun schon wieder etwas heftiger. »Das Land von hier bis an die Ufer des Nils steht unter der Kontrolle der Christenheit. Sie hängen ihre Fahne in den Wind, weil sie glauben, sich auf diese Weise unser Wohlwollen und damit ein besseres Leben zu erkaufen.«

Robin sagte nichts mehr dazu, sondern drehte sich halb um und blickte auf das armselige Grab hinab, das sie dem toten Kind bereitet hatte; einem Menschen, der vielleicht erst wenige Tage alt gewesen war und niemals auch nur die Chance bekommen hatte, sich zu entscheiden, an welchen Gott er glauben wollte. Das Einzige, was sich dieses Kind, seine Eltern und jede andere Seele in diesem Dorf mit dem schlichten Holzkreuz auf dem Dach der Moschee erkauft hatten, war ein grausamer Tod gewesen.

Sie hütete sich, diesen Gedanken laut auszusprechen, doch Dariusz schien ihn deutlich ihrem Gesicht ablesen zu können, und er reagierte ganz anders darauf, als sie noch einen Augenblick zuvor erwartet hätte. Statt sie erneut zu schelten, trat er plötzlich hinter sie, streckte den Arm aus und legte ihr seine schwere Hand auf die Schulter.

»Verzeiht mir meine groben Worte, Bruder Robin«, sagte er.

»Was Ihr gesagt habt, war vielleicht falsch, doch Ihr habt ein gutes Herz, und das zählt tausendmal mehr als ein unbedachtes Wort. Zumindest was dieses Kind anbelangt, habt Ihr Recht. Es kann nichts dafür, was seine Eltern oder deren Vorfahren getan haben. Und ich bin sicher, Gott wird es in sein Himmelreich aufnehmen.« Er schob Robin mit sanfter Gewalt aus dem Weg, ließ sich auf das rechte Knie herabsinken und segnete das schlichte Grab, indem er mit aneinander gelegtem Zeige- und Mittelfinger das Kreuzzeichen darüber schlug. Seine Lippen formten lautlose Worte, und so gerne Robin sich auch in diesem Moment das Gegenteil eingeredet hätte, sah sie doch, dass der Ausdruck von Trauer und Mitleid, der sich währenddessen auf seinen Zügen breit machte, echt war.

Schließlich stand Dariusz wieder auf, und noch während er sich zu ihr umdrehte, ergriff die übliche Härte und Unnahbarkeit von seinem Gesicht Besitz. »Jetzt geht und helft den anderen, Robin. Die Plünderer haben auf ihrer Flucht eine Anzahl Pferde und Ponys zurückgelassen. Wir müssen sie einfangen, um unsere verlorenen Tiere zu ersetzen.«


Sie brauchten nahezu den Rest des Tages, um das karge Ödland zu überqueren, über das die Sarazenen vor ihnen geflohen waren. Anfangs fanden sie noch Spuren des großen Reitertrupps: ein verlorenes Kleidungsstück, einen achtlos weggeworfenen leeren Wasserschlauch und einmal ein blutgetränktes, noch feuchtes Tuch, das bewies, dass sich die Einwohner des Dorfes nicht vollends ohne Gegenwehr in ihr Schicksal ergeben hatten. Nach und nach aber wurden diese Spuren weniger, und schließlich verschwanden sie ganz. Robin vermutete, dass die Räuber ihren Kurs geändert hatten, was auch ziemlich nahe lag: Safet war jetzt nur noch einen knappen Tagesritt entfernt, und die Gefahr, auf weitere und vielleicht besser auf einen Kampf vorbereitete christliche Truppen zu treffen, wuchs mit jeder Meile, die sie weiter nach Osten geritten wären.

Dariusz blieb trotzdem wachsam. Obwohl sich das Land rings um sie herum so flach und deckungslos erstreckte, dass sie jeden Späher schon aus großer Entfernung entdeckt hätten, bestand er nun darauf, dass sowohl sie als auch die anderen Ritter absaßen und sich in der Masse der Turkopolen und einfachen Waffenknechte weiterbewegten, um ihre wahre Stärke zu verbergen, vermutlich aber auch (auch wenn er es niemals zugegeben hätte), um die Pferde zu schonen. Ohne auf die geharnischten Proteste der anderen Ritter zu reagieren, hatte Dariusz kurzerhand deren Pferde beschlagnahmt und ihnen die weißen Schabracken ihrer verlorenen Tiere übergeworfen, was wiederum dazu führte, dass etliche der weltlichen Ritter, die ihnen am Morgen auf stolzen Hengsten und prachtvollen Stuten gefolgt waren, nun mit ehemaligen Packpferden, lahmen Kleppern und einige sogar mit Mauleseln vorlieb nehmen mussten. Entsprechend schlecht war die Stimmung in der Reitertruppe, die dem Dutzend Templer auch zuvor schon zwar mit großer Ehrerbietung, zugleich aber auch mit jener Art von Verachtung begegnet war, die aus dem Gefühl der Unterlegenheit und Furcht geboren wird.

Zu allem Überfluss stieg auch die Hitze noch weiter unbarmherzig an, selbst als die Sonne längst ihren Zenit überschritten hatte und die Schatten, die der Trupp auf den staubigen Boden warf, allmählich länger zu werden begannen. Erst eine Stunde vor Sonnenuntergang wurde es ein wenig kühler, und auch die Landschaft hatte ein Einsehen mit ihnen. Vor ihnen erschien ein dunkler Streifen am Horizont, der quälend langsam, aber beständig heranwuchs, und als die Sonne sank, marschierten sie nicht mehr über sonnenverbrannten, harten Wüstenboden, sondern hatten ein sanftes, von fruchtbaren Tälern durchzogenes Bergland erreicht. Gelegentlich gab es sogar kleine Zedernwälder mit zum Teil himmelhoch aufragenden Bäumen, die sich hartnäckig an den kargen Felsbrocken klammerten, und als die Nacht vollends hereinbrach, erreichten sie einen winzigen, von zwei Bachläufen gespeisten See inmitten eines dieser Haine. Dariusz gab Befehl, an seinem Ufer das Lager aufzuschlagen.

Während die Männer rings um sie herum ihre Pferde versorgten, sich aus Satteldecken oder ihren eigenen Mänteln einfache Betten errichteten oder schlichte Konstruktionen aus Stöcken und Zeltplanen aufstellten, um sich vor dem Wind zu schützen, der hier, in den Randgebieten der Wüste, ebenso eisig sein konnte wie die Tage heiß, lehnte sich Robin nur erschöpft gegen die Flanke ihrer Stute, die ohne ihr Zutun zum Wasser getrabt war und lautstark schlürfend ihren Durst stillte, und sah zu Dariusz hin. Ihre Glieder schienen mit flüssigem Blei gefüllt. Sie hatte grässlichen Durst, und alles drehte sich um sie, aber sie widerstand sogar der Versuchung, sich ebenfalls auf die Knie fallen zu lassen, um ihren Durst zu stillen, denn sie war sicher, dass Dariusz sie scharf beobachtete und sie sofort wieder zu sich befehlen und für die erste (oder auch für alle) Nachtwachen einteilen würde, allein, um sie für die Respektlosigkeit zu bestrafen, die sie sich an diesem Tag erlaubt hatte.

Dariusz überraschte sie jedoch ein weiteres Mal. Er teilte sie weder zur Wache ein, noch ließ er sich etwas anderes einfallen, um sie zu quälen, sondern ignorierte sie für den Rest des Abends. Erst am nächsten Morgen, eine Stunde vor Sonnenaufgang und eine halbe Stunde nach ihrem Morgengebet, ließ er sie und Bruder Rother von einem seiner Turkopolen zu sich rufen.

Der Anblick, der sich ihnen bot, überraschte Robin ein wenig. Schon nach dem Morgengebet war sie verwundert gewesen, dass sie nicht sofort wieder aufgesessen waren und ihren Weg fortgesetzt hatten. Sie wusste, dass Safet nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte, und ganz unabhängig davon, dass Dariusz bisher keine Gelegenheit hatte verstreichen lassen, sie unbarmherzig anzutreiben, wäre es einfach klüger gewesen, die kühle Zeit vor Sonnenaufgang zu nutzen, um ein möglichst großes Stück des verbliebenen Weges hinter sich zu bringen, statt sich wieder endlose Meilen durch die glühende Sonnenhitze zu quälen. Obwohl vielleicht zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch an frischem Wasser kein Mangel herrschte und Robin mittlerweile so viel getrunken hatte, dass sie zu platzen meinte, hatte sie schon wieder das Gefühl, durstig zu sein. Vielleicht hatte sich der Durst so sehr in ihre Kehle eingegraben, dass sie ihn nie wieder ganz loswerden würde, ganz egal, wie viel sie auch trank.

Dariusz machte jedoch nicht den Eindruck eines Mannes, der im nächsten Augenblick aufbrechen würde. Ganz im Gegenteil. Er und eine Hand voll anderer Templer saßen - zwar bereits wieder in Kettenhemd, Wappenrock und Mantel, aber ohne Helm oder Waffen - im Halbkreis um die Glut eines fast heruntergebrannten Feuers, dessen Licht und Wärme vergeblich gegen die Kälte ankämpfte, die die Wüstennacht über dem Lager zurückgelassen hatte. Als er Rother und sie gewahrte, winkte er sie mit einer ausholenden, fast jovialen Geste heran, machte dann jedoch eine winzige, dennoch unmissverständliche Bewegung mit der anderen Hand, als Rother seine Einladung offenbar ernster nahm, als sie gemeint war, und tatsächlich Anstalten machte, sich an dem erlöschenden Feuer niederzulassen. Robin unterdrückte ein flüchtiges Lächeln, als sie an ihr gestriges Gespräch mit dem Ritter dachte. Zumindest in dem einen oder anderen Punkt war Rother offensichtlich jünger und naiver als sie.

»Guten Morgen, Bruder Robin, Bruder Rother«, begann Dariusz umständlich. »Ich hoffe, ihr hattet einen ruhigen Schlaf und habt Gelegenheit gehabt, wieder zu neuen Kräften zu finden.«

Robin musste sich beherrschen, als sie Rothers überrascht-erfreutes Kopfnicken aus den Augenwinkeln gewahrte. Anscheinend ging der junge Ritter tatsächlich davon aus, dass sich Dariusz für sein Befinden interessierte. Robin glaubte das nicht; und wenn, so würden sie die neu erworbenen Kräfte, nach denen sich Bruder Dariusz so fürsorglich erkundigte, wahrscheinlich bitter nötig haben. Sie nickte nur knapp.

»Das freut mich«, fuhr Dariusz in verdrießlichem Ton fort.

»Obwohl Ihr nicht besonders gut ausseht, wenn ich offen sein soll.« Sein Blick tastete missbilligend über ihre zerknitterten und schmutzigen Kleider, aber der scharfe Verweis, gegen den sich Robin innerlich wappnete, blieb aus. Stattdessen seufzte er plötzlich tief und sah dann kaum weniger unglücklich auch an sich selbst herab. »Aber das gilt wohl für jeden von uns, fürchte ich. Wir haben einen langen Weg hinter uns, und man sieht es uns an.«

Robin schwieg beharrlich weiter. Dariusz wollte auf etwas Bestimmtes hinaus - Dariusz tat nichts ohne Grund -, aber sie würde ihm nicht die Genugtuung gönnen, sie erschrocken zu sehen.

»Bruder ... Dariusz?«, fragte Rother in leicht verwirrtem Ton.

»Wir haben unser Ziel fast erreicht«, fuhr Dariusz fort, nunmehr direkt an Robin gewandt. »Nur noch wenige Stunden. Würden wir sofort aufbrechen, könnten wir Safet noch vor der Mittagsstunde erreichen.«

»Könnten?«, wiederholte Robin. »Befürchtet Ihr Schwierigkeiten, Bruder?«

Dariusz zögerte für ihren Geschmack einen winzigen Moment zu lange, bevor er antwortete - mit einem Kopfschütteln. »Nein«, sagte er. »Und wenn, dann nicht mehr als die, die wir bisher schon überwunden haben. Aber schaut uns an. Wir sehen aus wie die Bettler! Wollt Ihr, dass wir so unter die Augen unserer Brüder treten - oder gar die des Königs?« Er schüttelte heftig den Kopf, um seine eigene Frage zu beantworten. »Ihr werdet uns allen und auch Euch selbst die Demütigung ersparen, auf diesen armseligen Kleppern durch die Ordensbesitzungen zur Burg zu reiten. Ihr werdet nach Bruder Horace fragen, dem Komtur von Safet und Befehlshaber der Festung. Er wird Euch frische Pferde und angemessene Kleidung für uns mitgeben, damit wir dem König nicht wie Flüchtlinge unter die Augen treten müssen.«

»Bruder ... Horace?«, wiederholte Robin. Klang sie erschrocken? Ihr Herz begann zu klopfen.

»Ja«, antwortete Dariusz. In seinen Augen blitzte es kurz und boshaft auf. »Ihr kennt ihn. Offensichtlich habt Ihr ja doch nicht alles vergessen.« Er legte den Kopf schräg. »Aber Ihr seht nicht besonders erfreut aus.«

»Das täuscht«, antwortete Robin. »Ich freue mich, Bruder Horace wiederzusehen.« Sie war verwirrt, mehr noch: alarmiert. Sosehr sie der Gedanke an das bevorstehende Ende ihrer Reise auch im allerersten Moment erleichtert hatte, ebenso sehr überraschte sie Dariusz’ Ansinnen auf den zweiten Blick. Jemanden vorauszuschicken, um für sich und seine Begleiter neue Kleider und frische Pferde zu holen, passte durchaus zu diesem eitlen Gecken - aber ausgerechnet sie? Dariusz hatte vom ersten Moment an keinen Hehl daraus gemacht, dass er ihr misstraute. Er musste zumindest damit rechnen, dass sie die Gelegenheit nutzen würde, um zu fliehen.

»Dann solltet Ihr keine Zeit mehr verlieren«, antwortete Dariusz. »Es sind vier oder fünf Stunden bis Safet und noch einmal dieselbe Zeit zurück. Und ich möchte, dass wir alle die kommende Nacht in der Sicherheit der Burg verbringen.« Er winkte Rother, näher heranzutreten, behielt Robin dabei aber fest im Auge.

»Ihr seid mir persönlich dafür verantwortlich, dass Robin wohlbehalten in Safet ankommt, Bruder Rother. Gebt gut auf ihn acht. Auch auf dem letzten Stück des Weges können durchaus noch Gefahren auf uns lauern, und er ist noch sehr jung und vielleicht manchmal etwas ungestüm.«

»Bruder Robin ist bei mir in guten Händen«, versicherte Rother. »Ich werde ihn mit meinem eigenen Leben beschützen, wenn es sein muss.«

»Ich habe nichts anderes erwartet«, antwortete Dariusz, noch immer, ohne dass er Robin aus den Augen ließ, und etwas Neues erschien in seinem Blick, das Robin einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, aber dann erschrak sie so sehr, dass sie sich nur noch mit allerletzter Kraft beherrschen konnte. Er weiß es, dachte sie entsetzt. Er weiß, wer ich bin. Er weiß, was ich bin!

Ihre Hände begannen zu zittern. Sie ballte sie zu Fäusten, damit es nicht auffiel, aber sie spürte auch, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich und ihr Herz wie rasend zu hämmern begann. Dariusz wusste es. Er hatte vom ersten Augenblick an gewusst, wer sie wirklich war!

Das böse Glitzern in Dariusz’ Augen nahm noch zu, und für einen winzigen Moment erschien ein dünnes, böses Lächeln auf seinen Lippen, und der stechende Blick seiner Augen wurde noch intensiver.

»Dann geht«, sagte Dariusz. »Gebt acht, dass Robin Euch nicht abhanden kommt, Rother. Das Land ist groß, und es lauern eine Menge Gefahren auf einen jungen Ritter ohne Erfahrung. Und eilt Euch. Jede Minute, die Ihr weiter hier vertrödelt, ist eine Minute mehr, die Ihr unter der Hitze leiden werdet.«

Rother warf Robin einen irritierten Blick zu, entfernte sich dann aber rückwärts gehend und sehr hastig, ohne noch ein einziges Wort zu sagen, und auch Robin wollte gehen, aber sie war für den Moment wie gelähmt. Ihr Herz hämmerte bis zum Hals, und sie wartete darauf, dass Dariusz das aussprach, was sie in seinen Augen las; einige wenige Worte, die ihrem Leben ein Ende bereiten würden.

Aber er sagte nichts. Sein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er um ihr Geheimnis wusste, aber es war ein Blick, der nur ihr galt, und sie war die Einzige, die das böse Versprechen darin las. Bald. Wenn die Zeit reif ist.

Vollkommen verstört ging sie dorthin zurück, wo sie ihr Pferd angebunden hatte, fand das Tier aber bereits fertig aufgezäumt und gesattelt vor. Gerade als sie hinzutrat, befestigte einer der anderen Templer einen prall gefüllten Wasserschlauch am Sattel. Rother, der bereits aufgesessen war, streckte den Arm aus, um Robin aufs Pferd zu helfen, aber sie ignorierte ihn, schwang sich mit einer fast schon zornig wirkenden Bewegung in den Sattel und bedeutete Rother mit einer abgehackten Geste vorauszureiten. Der junge Templer wirkte ein bisschen verletzt, dass Robin seine freundliche Geste so derb zurückwies, hob aber dann nur die Schultern und ritt los.

Robin folgte ihm in einigem Abstand, und dieser Abstand vergrößerte sich sogar noch, als sie an der Stelle vorbeikamen, wo Dariusz und die anderen noch immer um das erlöschende Feuer herumsaßen. Beinahe ohne ihr Zutun wurde Robin noch einmal langsamer, und ihr Herz hämmerte bis in ihre Fingerspitzen hinein. Dariusz sah sie mit vollkommen ausdrucksloser Miene an, aber sie hätte den bösen Triumph in seinem Blick selbst dann noch gespürt, wenn sie nicht einmal in seine Richtung gesehen hätte. Er wusste es. Er hatte es die ganze Zeit über gewusst, von Anfang an. Aber warum hatte er nichts gesagt? Warum sagte er jetzt nichts?

Sie war vollkommen überzeugt davon, dass Dariusz sie passieren lassen und gerade lange genug warten würde, um sie in Sicherheit zu wiegen, ganz genau lange genug, damit sie neue Hoffnung schöpfen konnte, um sie dann zurückzurufen und vor aller Augen ihr Geheimnis zu lüften.

Aber er tat es nicht. Er tat es jetzt so wenig, wie er es gestern getan hatte oder Tage zuvor oder in dem Moment, in dem sie sich an der Küste wiedergesehen hatten. Unbehelligt passierte sie die Lagerstatt, lenkte ihr Pferd in westliche Richtung und schloss allmählich wieder zu Rother auf. Erst als der junge Ritter nahezu neben ihr war, wurde ihr klar, dass gar nicht sie schneller, sondern Rother langsamer geworden war. Er sah sie auf eine sehr sonderbare Weise an, aber er sagte nichts, sondern drehte nur flüchtig den Kopf, sah auf die gleiche, schwer zu deutende Art in Richtung des Lagers zurück, das bereits hinter ihnen in der Dunkelheit verschwunden war, obwohl sie sich gerade einmal wenige hundert Schritte von ihm entfernt hatte, und blickte dann wieder nach vorne. Erst nachdem sie eine geraume Weile schweigend nebeneinander her den Bergen entgegengeritten waren, hinter denen in einer Stunde die Sonne aufgehen würde, fragte er, leise, und ohne sie dabei anzusehen: »Darf ich dir eine Frage stellen, Robin?«

»Gern«, antwortete Robin, aber sie war nicht sehr erstaunt, dass es eine Weile dauerte, bis Rother fortfuhr - selbst bei diesem einen Wort hatte ihre Stimme so abweisend, ja, fast feindselig geklungen, dass sie an Rothers Stelle vielleicht gar nicht weitergesprochen hätte.

»Du musst nichts sagen, wenn du meinst, es ginge mich nichts an«, sagte Rother. Sein Blick war noch immer starr geradeaus gerichtet, und seine Stimme klang ein ganz klein bisschen unsicher. Es musste ihm mindestens so schwer fallen, seine Frage zu stellen, wie ihr, sie zu beantworten. »Was ist das zwischen Bruder Dariusz und dir?«

Robin war nicht im Geringsten überrascht. Rother und die anderen Ritter hätten schon blind und taub auf einmal sein müssen, nicht zu begreifen, dass es zwischen Dariusz und ihr nicht zum Besten stand. Es überraschte sie allenfalls ein wenig, dass Rother diese Frage stellte. Trotzdem antwortete sie: »Ich verstehe nicht genau, was du meinst.«

»Du willst nicht darüber reden«, seufzte Rother. »Das verstehe ich. Verzeih, dass ich gefragt habe.«

»Nein - ich verstehe wirklich nicht, wovon du sprichst«, behauptete Robin, auch wenn sie dabei fast selbst das Gefühl hatte, sich lächerlich zu machen. »Wir kennen uns von früher, das ist richtig. Aber zwischen uns ist nichts Außergewöhnliches vorgefallen, wenn du das glaubst.« Sie lachte leise und nicht besonders überzeugend. »Jedenfalls hat er mich nicht schlechter behandelt als alle anderen - was immer auch das heißt.«

Rother sah sie nun doch an und verzog flüchtig die Lippen, aber sein Blick blieb ernst und wurde noch nachdenklicher. Sie spürte, wie schwer es ihm fiel weiterzusprechen, aber seine Neugier war ganz offensichtlich größer als seine Scheu und sein (falls es überhaupt vorhanden war) schlechtes Gewissen, das Schweigegelübde so grob zu verletzen. »Ihr kennt euch schon lange?«, vergewisserte er sich.

Robin nickte zwar, doch sie ließ ganz bewusst einige Augenblicke verstreichen, bevor sie antwortete. »Ich beantworte gerne alle deine Fragen, Rother«, sagte sie dann, »aber dazu musst du sie auch stellen.«

Diesmal war es Rother, der verunsichert war und sie fast erschrocken ansah. Dann lächelte er erneut, und diesmal wirkte es echt. »Niemand von uns weiß viel über Bruder Dariusz«, bekannte er schließlich. »Man erzählt sich das eine oder andere ...«

»Und was?«, fragte Robin.

»Gerüchte«, erwiderte Rother und hob die Schultern. »Du weißt, wie es ist. Man reitet wochenlang durch die Wüste, und es gibt nicht viele Ablenkungen. Man fängt eben an zu erzählen. Und sich seine Gedanken zu machen.«

»Was bei einem Mann wie Bruder Dariusz nicht besonders schwer fällt«, pflichtete ihm Robin bei. »Aber ich kann dir nicht helfen. Ich war zusammen mit Dariusz auf den Schiffen, die uns von Genua aus hergebracht haben. Aber wir waren nicht einmal auf demselben Schiff. Wir haben uns nur ein paar Mal gesehen, das ist alles.« Sie schwieg einen Moment und fragte dann in leicht verändertem Ton: »Was für Gerüchte erzählt man sich denn über ihn?«

»Gerüchte eben«, antwortete Rother ausweichend. »Das übliche dumme Zeug. Du hast Recht - bei einem Mann wie Bruder Dariusz fällt es leicht, sich das Schlimmste vorzustellen.« Er räusperte sich ebenso gekünstelt wie unbehaglich. »Wir sollten schneller reiten. Ich stimme Dariusz ja ungern zu, aber in einer Hinsicht hat er Recht. Jede Meile, die wir vor Sonnenaufgang zurücklegen, ist eine Meile weniger in der Gluthitze des Tages.«

Er ließ sein Pferd ein wenig schneller ausgreifen, und Robins Stute passte sich dem Tempo des anderen Tieres ohne ihr Zutun an, als hätte sie genau verstanden, was Rother meinte und würde seine Meinung teilen. Robin nahm das Gespräch nicht wieder auf, obwohl sie Rothers Frage zutiefst verwirrt hatte. Dass er und die anderen Ritter die Spannung gespürt hatten, die zwischen Dariusz und ihr herrschte, verwunderte sie kein bisschen. Aber sie hatte das Gefühl, dass der junge Ritter auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte und ihn nur im allerletzten Moment der Mut verlassen hatte, seine Frage wirklich auszusprechen. Und dass es sich möglicherweise als sehr wichtig für sie erweisen könnte, mehr über die Natur der Gerüchte zu erfahren, die über Dariusz und sie unter den Rittern kursierten.

Dennoch sagte sie nichts mehr, sondern ließ ihr Pferd nun ganz bewusst ein paar Schritte zurückfallen, um Rother auf diese Weise die Möglichkeit zu nehmen, das Gespräch ganz beiläufig und wie durch Zufall fortzuführen. Obwohl sie die Neugier des jungen Ritters durchaus verstand und auf ihre Wiese teilte, gab es doch andere Dinge, um die sie sich Gedanken machen sollte.

So erleichtert sie war, dass Dariusz ihr Geheimnis letzten Endes doch nicht gelüftet hatte, wuchs ihre Besorgnis doch zugleich stetig. Es war gewiss kein Zufall gewesen, dass Dariusz sich ihr ausgerechnet heute offenbart hatte - aber sie verstand den Grund nicht. Im allerersten Moment hatte sie es für eine Drohung gehalten; aber Dariusz war kein Mann, der Drohungen nicht sehr genau auf den Punkt zu bringen verstand. Und genau das hatte er nicht getan.

Eine gute halbe Stunde lang ritten sie schweigend nebeneinander her. Rother warf ihr dann und wann einen fast scheuen Blick zu, aber er versuchte nicht noch einmal, sie anzusprechen, wofür ihm Robin im Stillen dankbar war; aber zugleich ertappte sie sich selbst ein paar Mal dabei, den Abstand zu ihm wieder zu verringern, als wäre da etwas in ihr, das fast verzweifelt seine Nähe suchte oder einfach die Nähe irgendeines Menschen.

Dennoch stand ihr Entschluss fest. Sie hatte auf eine Gelegenheit zur Flucht gewartet, und der Weg, der noch vor Rother und ihr lag, war die beste Gelegenheit, die sie bekommen würde, schon weil es die einzige Gelegenheit war. Wenn sie Safet und damit Balduins Heer erst einmal erreicht hatten, war es vorbei. Sobald sich die Gelegenheit ergab, würde sie fliehen.

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