9

Ich sah zu, wie sich das Tanzmädchen aus Port Kar in dem kleinen Sandquadrat zwischen den Tischen wand, dem Rhythmus der Peitschenschläge ihres Herrn folgend. Ich saß in einer Pagataverne in Port Kar, nahe den Piers beim gewaltigen Arsenal.

»Dein Paga«, sagte ein nacktes Sklavenmädchen, das mich mit zusammengeketteten Handgelenken bediente. Sie kniete neben dem niedrigen Tisch, an dem ich saß.

Ich nahm den Krug und führte ihn an die Lippen. Ich mochte meinen Paga warm am liebsten; die Wirkung trat dann um so schneller ein.

Unter Schiffslaternen, die an der Decke der Taverne hingen, wurde der Peitschentanz getanzt. Ich hörte das Klatschen der Peitschenschnüre und die Schreie des Mädchens. Es war ein aufregender Tanz.

Ich trank mehr Paga.

Vor vier Tagen hatten wir die Kanäle der Stadt erreicht, nachdem wir zwei Tage durch die Sümpfe gefahren waren.

Wir waren in einen der Kanäle eingebogen, die Port Kar zu den Sümpfen hin abgrenzen. Dabei hatten wir festgestellt, daß der Wasserlauf durch schwere Gatter aus starken Eisenstäben geschützt war, die bis tief ins Wasser reichten.

Telima hatte entsetzt auf diese Tore geschaut. »Als ich aus Port Kar floh, gab es so etwas nicht.«

»Hättest du fliehen können, wenn es die Tore gegeben hätte?« fragte ich.

»Nein«, flüsterte sie.

Die Tore hatten sich hinter uns geschlossen.

Auf unserer Fahrt durch die Kanäle hatten sich hier und da Männer aus den Fenstern gebeugt und Geldbeträge für die Mädchen geboten. Unsere vier Sklavinnen – Midice, Thura, Ula und Telima – waren ja auch wirklich schön anzuschauen. Tags darauf wollten wir sie mit Brandzeichen versehen und Eisenkragen für sie erstehen.

Während ich noch das Tanzmädchen beobachtete, gab es plötzlich einen Aufruhr, als ein riesiger, wild aussehender Bursche mit eng beieinanderstehenden Augen und nur einem Ohr in die Taverne stürmte, gefolgt von zwanzig bis dreißig Seeleuten.

»Paga! Paga!« brüllten die Männer, warfen Tische um und vertrieben die anderen Gäste.

Mädchen rannten herbei, um sie zu bedienen.

»Das ist Surbus«, sagte ein Mann neben mir zu seinem Begleiter.

Der häßliche Mann, der der Anführer der Gruppe zu sein schien, packte eins der Pagamädchen, verdrehte ihr den Arm und zerrte sie auf einen der Alkoven zu; es war das Mädchen, das mich bedient hatte. Einem anderen Mädchen entriß er einen Krug Paga, leerte ihn und verschwand mit seinem Opfer. Das Tanzmädchen in der Sandarena hatte ihren Tanz unterbrochen und kauerte am Boden. Andere Seeleute machten es ihrem Anführer nach.

Ich hatte den Namen Surbus schon gehört. Er war bekannt unter den Piratenkapitänen Port Kars, der Geißel des schimmernden Thassa. Er war Pirat, Sklaventreiber, Mörder und Dieb – wahrlich ein grausamer und unwürdiger Mann. Ich empfand Ekel.

Und dann erinnerte ich mich an meine eigene Unwürdigkeit, an meine Grausamkeit und Feigheit.

Ich hatte nur zu oft erfahren müssen, daß unter harmlosem Äußeren oft die Herzen von Sleen und Tharlarion schlagen und daß Moral und Biederkeit vielfach nur die Klauen und Reißzähne verhüllen. Zum erstenmal begann ich Gier und Egoismus zu verstehen. In dieser Stadt gab es mehr Ehrlichkeit als in allen anderen Städten Gors. Hier verachten es die Menschen, die Grausamkeit ihrer Taten mit der Falschheit des Mundes zu tarnen. Hier galten allein die Realitäten des menschlichen Lebens – daß letztlich nur Gold und Macht und der Körper einer Frau zählten und der Stahl des Schwertes das Mittel war, sich diese Realitäten zu verschaffen.

Ich trank aus meiner Pagaschale.

Ein Schrei ertönte, und das Mädchen, das Surbus in den Alkoven gezerrt hatte, stürzte blutend hervor.

»Schützt mich!« rief sie verzweifelt in die Runde. Sie taumelte in meine Richtung und hielt mir die gefesselten Handgelenke hin. »Schütze mich!« flehte sie.

»Nein«, sagte ich.

Im nächsten Augenblick hatte sich Surbus auf sie gestürzt, zerrte sie an den Haaren zurück. Stirnrunzelnd starrte er mich an.

Mehrere Männer lachten. Ich blickte in meinen Paga. Die Sache ging mich nichts an.

»Du hast recht gehandelt«, sagte ein Mann am Nebentisch zu mir. »Das war Surbus.«

»Einer der besten Schwertkämpfer in Port Kar«, bemerkte ein anderer.

»Oh«, sagte ich.

Port Kar, das schmutzige, ehrgeizige Port Kar, die Geißel des schimmernden Thassa, der Tarn des Meeres, ist eine ausgedehnte Ansammlung von Gebäuden, fast jedes für sich eine Festung, aufeinandergeschichtet, verschachtelt – und durchzogen von Hunderten von Kanälen. Tatsächlich ist die Stadt befestigt, obwohl sie keine Stadtmauern im normalen Sinn besitzt. Die Gebäude, die die Stadtgrenze bilden, am Delta oder am flachen Tambergolf, haben auf der Außenseite keine Fenster, ihre Mauern sind dort meterdick, und Bastionen erheben sich auf ihren Dächern. Die Kanäle, die sich in das Tamberdelta ergießen, waren in den letzten Jahren mit schweren Eisentoren versehen worden. In Port Kar gibt es übrigens keine Turmbauten, wie sie oft in den Städten des Nordens anzutreffen sind. Sie ist die einzige mir bekannte Stadt, die nicht von freien Menschen, sondern von Sklaven erbaut wurde.

Politisch ist Port Kar ein Chaos; es wird von mehreren Ubars beherrscht, die miteinander in Zwietracht und mit ihren jeweiligen Gefolgschaften bestrebt sind, bis zur Grenze ihrer Macht zu herrschen und Steuern zu erpressen. Nominell steht unter diesen Führern eine Oligarchie von Kaufleuten – Kapitäne, wie sie sich selbst nennen –, die mit ihrem Rat das große Arsenal unterhalten, Schiffe und Ausrüstungen bauen und verchartern und die Flotten für Korn, Öl und Sklaven kontrollieren.

Samos, erster Sklavenhändler Port Kars, angeblich ein Agent der Priesterkönige, war Mitglied dieses Rates. Ich hatte mich mit ihm in Verbindung setzen sollen, was jetzt natürlich nicht mehr in Frage kam.

Man könnte sich vorstellen, daß Port Kar bei solchen anarchistischen Zuständen leicht dem Machtstreben anderer Städte zum Opfer fallen müßte – aber das trifft nicht zu. Bei Drohungen von außerhalb haben es die Bewohner Port Kars stets verstanden, sich mit der Verzweiflung und Bösartigkeit einer in die Enge getriebenen Urt zu verteidigen. Außerdem ist es natürlich fast unmöglich, größere Einheiten von Bewaffneten durch das Voskdelta heranzuschaffen, und schon gar nicht durch den Sumpf – schon aus Versorgungsgründen.

Das Delta ist die stärkste Waffe der Stadt gegen ihre Feinde.

Das nächste Festland liegt im Norden, etwa hundert Pasang entfernt. Zwar ließe sich dieser Rand des Sumpfes als Aufmarschgebiet denken, aber die militärischen Aussichten eines solchen Projekts wären trotzdem mehr als zweifelhaft. Das Land liegt frei und offen da, auf mehrere hundert Pasang ringsum gibt es keine andere Stadt – außer Port Kar.

Es war noch sehr laut in der Taverne, aber der Aufruhr hatte sich einigermaßen gelegt. Die Musiker spielten wieder, und das Mädchen setzte ihren Tanz fort. Gelächter klang an den Tischen auf.

War es etwa möglich, daß Port Kar vom Meer aus angegriffen wurde?

Ich wurde betrunken, meine Gedanken wirbelten durcheinander. Die Musik begann mir ins Blut zu gehen. »Mehr Paga!« brüllte ich.

Aber nur Cos und Tyros hatten Flotten, die denen Port Kars gleichzusetzen waren.

Da gab es natürlich noch die Inseln des Nordens, die recht zahlreich waren, allerdings auch sehr klein, ein Archipel, der sich sichelförmig von Cos nach Nordosten erstreckte, etwa vierhundert Pasang westlich von Port Kar. Zudem standen diese Inseln nicht unter einheitlicher Führung; sie wurden gewöhnlich nur von einer Art Dorfrat regiert.

Das Mädchen im Sand führte nun den Gürteltanz vor.

Nur Cos und Tyros hatten Flotten, die sich den Schiffen Port Kars entgegenstellen konnten. Und für diese beiden Inselreiche war es fast schon Tradition, sich nicht auf einen Seekampf mit Port Kar einzulassen. Zweifellos war für alle Beteiligten – einschließlich Port Kar – das Risiko zu groß; man war mit der stabilen und oft gewinnträchtigen Situation eines ständigen Kleinkriegs zufrieden, bei dem zwischendurch auch Handel getrieben und geschmuggelt wurde. Gegenseitige Überfälle mit einigen Dutzend Schiffen kamen relativ häufig vor, doch große Geschwadergefechte mit Hunderten von Galeeren hatte es seit über einem Jahrhundert nicht mehr gegeben – weder von Port Kar ausgehend, noch von den beiden Insel-Ubaraten.

Nein, sagte ich mir, Port Kar hat vom Meer aus nichts zu befürchten.

Und dann lachte ich, denn ich überlegte, wie Port Kar besiegt werden konnte, dabei war es meine eigene Stadt, meine Heimat.

»Mehr Paga!« rief ich noch einmal.

Tarnkämpfer mochten ihr mit Pfeilen oder Feuer zu schaffen machen, aber ich glaubte nicht, daß sie ihr ernsthaft schaden konnten, dazu hatten die anderen Städte – einschließlich des großen Ar – zu wenige Tarnreiter. Und auch dann noch wäre Port Kar schwer zu besiegen, bestand sie doch aus einer Vielzahl von Festungen, die sich einzeln verteidigen ließen, Zimmer um Zimmer; jedes Gebäude war vom anderen durch Kanäle getrennt, die die Stadt zu Hunderten durchzogen.

Auf Gor, sagte ich mir, und vielleicht auf allen Welten, gibt es immer ein Port Kar.

Ich fand das Mädchen im Sand verführerisch und schön. Die Mädchen in Port Kar, so sagte ich mir, sind die besten auf Gor.

Tarnkämpfer, überlegte ich, Tarnkämpfer. Freudig dachte ich an meinen Tarn, das schwarze Ungeheuer, den Ubar des Himmels.

Und ich dachte voller Bitterkeit an das Mädchen Elizabeth Cardwell, Vella von Gor, die mir bei meiner Arbeit für die Priesterkönige so sehr geholfen hatte. Als ich sie in das Sardargebirge zurückbrachte, hatte ich mir Gedanken über ihre Sicherheit gemacht. Ich durfte sie den Gefahren dieses Planeten nicht länger aussetzen. Bestimmt war sie längst den Anderen bekannt, die den Priesterkönigen die Macht über diese Welt und über die Erde streitig machen wollten. So war ihr Leben in Gefahr. Sie war meinetwegen große Risiken eingegangen, was ich törichterweise zugelassen hatte. So hatte ich schließlich dafür gesorgt, daß der Priesterkönig Misk sie zur Erde zurückbrachte.

Sie widersprach; es war sicher schwer für sie, diese schöne, helle grüne Welt zu verlassen und in die grauen Städte der Erde zurückzukehren, deren Enge sie bedrücken würde; aber es war besser so. Sie mußte sich in der gleichgültigen Menge verlieren, im hektischen Leben der Erde.

Aber sie hatte meine Entscheidung nicht hingenommen.

Meine Gedanken kehrten zu dem großen Sattelvogel, meinem Kriegstarn, zurück. Er hatte viele Männer getötet, die sich in seinen Sattel setzen wollten. Und doch hatte er sich, an jenem Abend von Elizabeth Cardwell satteln lassen und war mit ihr aus dem Sardargebirge geflogen.

Vier Tage später war er allein zurückgekehrt.

In meiner Wut hatte ich den Vogel verscheucht. Ich hatte das Mädchen beschützen wollen und hatte sie verloren.

Und auch Talena, die einmal meine Freie Gefährtin gewesen war, hatte ich vor Jahren nicht mehr vorgefunden. Zwei Frauen hatte ich geliebt und beide verloren.

Ich, ein Betrunkener, beugte mich über den Tisch und weinte. Die Taverne begann um mich zu kreisen.

Port Kar war die mächtigste Stadt auf dem Meer. Ihre Seeleute waren bestimmt allen anderen überlegen, wahrscheinlich die besten auf Gor. Es stimmte mich plötzlich wütend, daß die Männer Port Kars, die in anderer Beziehung so unausstehlich und gemein waren, das Handwerk des Seemanns so überragend verstanden. Aber dann lachte ich, denn das mußte mich ja stolz machen. Gehörte ich denn nicht in diese Stadt?

Zwei betrunkene Seeleute waren aneinandergeraten und hieben nun mit Peitschenmessern aufeinander ein. Ihre Auseinandersetzung fand in der kleinen Sandarena zwischen den Tischen statt.

Das Peitschenmesser ist eine riskante Waffe und läßt sich mit Eleganz und Geschicklichkeit einsetzen; und soviel ich weiß, wird es nur in Port Kar verwendet.

Im Licht der Schiffslaternen sah ich auf der Wange des einen Seemanns plötzlich eine breite Schramme erscheinen. Das Tanzmädchen rief dem anderen Kämpfer ermutigend zu.

Aber die Männer waren betrunken und taumelten, und ihre brutalen Hiebe waren für viele Gäste an den umliegenden Tischen gefährlicher als für den Gegner.

Da stolperte einer der Männer und erbrach sich, auf Händen und Knien hockend.

»Töte ihn!« kreischte das Mädchen. »Töte ihn!«

Doch der andere Mann, betrunken und selbst verwundet, taumelte rückwärts, drehte sich um und sank bewußtlos zu Boden. Die Zuschauer lachten brüllend.

»Töte ihn!« rief das Mädchen. Doch dann schrie sie vor Schmerz auf und warf den Kopf zurück. Die Sklavenpeitsche fuhr ihr über den Rücken.

»Tanz, Sklavin!« befahl der Wirt, ihr Herr, ruhig.

Entsetzt hastete sie wieder in die Arena.

Ich lachte. Die Männer von Port Kar wußten mit Frauen umzugehen. Ich schwor mir, nie wieder eine Frau zu verlieren.

Ich war unglaublich betrunken und wütend und traurig, als ich auf die Beine taumelte. Ich warf einen Silbertarsk, der aus unserer Beute im Sumpf stammte, auf den Tisch, nahm vom Wirt eine große Pagaflasche entgegen und verließ schwankend die Taverne. Vorsichtig tastete ich mich auf dem schmalen Laufsteg am Kanal entlang, auf das Quartier zu, das Thurnock, Clitus und ich zusammen mit unseren Sklavinnen genommen hatten.

Ich klopfte an die Holztür und brüllte: »Paga! Ich bringe Paga!«

Thurnock zog die Riegel zurück und öffnete die Tür. »Paga!« grinste er, als er die große Flasche sah.

Midice kniete in einer Ecke und polierte das Metall meines Schildes. Sie blickte überrascht auf.

»Gut, mein Freund«, sagte Clitus, der an einem Netz arbeitete, dessen Knoten er verstärkte. Er grinste, als er die Flasche sah. »Paga ist jetzt genau das Richtige«, sagte er. Er hatte das Netz am Morgen zusammen mit einem Dreizack erstanden, die traditionellen Waffen der Fischer des Westens. Dicht neben ihm kniete die kleine, dunkelhaarige Ula.

Thurnock hatte ein Stück Ka-la-na-Holz aufgetrieben und war dabei, einen Langbogen zu schnitzen. Ich wußte, daß er auch bereits einige Stücke Boskhorn und etwas Leder gefunden hatte, ebenso Hanf und Seide. In einigen Tagen hatte er seine Waffe bestimmt fertig. Pfeilspitzen waren bei einem Schmied bereits bestellt, und am Nachmittag hatte Thura auf seinen Befehl hin eine Voskmöwe erlegt, deren Federn für die Pfeile verwendet werden sollten. Sie hatte ihm nun schon den ganzen Nachmittag bei seiner Arbeit zugesehen. Er fuhr ihr mit einer schnellen Bewegung durchs Haar, und sie lächelte.

»Wo ist die Küchensklavin?« rief ich.

»Hier, Herr!« sagte Telima ernst und neigte den Kopf.

»Bereite uns ein Festmahl, Küchensklavin«, befahl ich.

»Ja, Herr«, sagte sie.

»Thurnock«, fuhr ich fort, »treib die Sklavinnen zusammen!«

»Ja, mein Kapitän!« brummte er.

Midice stand schüchtern auf. »Was hast du vor?«

»Wir führen euch aus! Ihr sollt einen anständigen Kragen bekommen!«

Die drei Mädchen sahen sich angstvoll an.

Doch ehe wir aufbrachen, öffneten wir noch die große Pagaflasche, und Thurnock, Clitus und ich füllten unsere Becher und leerten sie mit einem Zug. Dann brachten wir auch die Mädchen dazu, einen tiefen Schluck zu nehmen.

»Wenn wir zurückkommen!« brüllte ich, »gibt’s hier ein Fest!«

Meine Erinnerungen an diesen Abend sind etwas verschwommen. Aber wir fanden einen Schmied, der den Mädchen Sklavenkragen anpaßte, in denen wir unseren Besitzanspruch festhielten. Nach unserer Rückkehr war Clitus noch einmal losgezogen und hatte vier Musiker aufgetrieben. Müde, unausgeschlafen, doch vom Klang unserer Silbertarsks angelockt, spielten sie auf, und je mehr sie mit uns tranken, desto weniger gefiel uns ihr Spiel. Daher begrüßte ich es, daß sie schließlich mitfeierten und dem Fest noch mehr Schwung gaben. Auch hatte Clitus zwei weitere Flaschen Ka-la-na-Wein mitgebracht, dazu Aale, Verrkäse und einen Sack roter Oliven aus den Hainen von Tyros.

Wir begrüßten ihn mit großem Geschrei.

Telima trug gerösteten Tarsk auf, mit Suls und Pfefferschoten aus Tor gefüllt. Außerdem gab es haufenweise gelbes Sa-Tarna-Brot in runden, sechsteiligen Laiben.

Telima bediente uns. Sie schenkte den Männern Paga ein und den Frauen Ka-la-na, sie brach uns Brot und Käse, enthäutete die Aale und schnitt das Tarskfleisch zurecht. Sie eilte hin und her. Sie war in unserer Gruppe die Küchensklavin und somit auch allen anderen Sklaven untertan.

Ich ließ Midice tanzen und trank dabei mehr denn je. Der Saal verschwamm langsam um mich und der Kopf fiel mir auf die Brust. Als ich erwachte, war ich allein; ich lag auf den Liebesfellen, und Midice schlummerte in meinem Arm.

Müde stand ich auf, zog meine Tunika über und schaute das Mädchen an, das mit angezogenen Beinen vor mir lag und mich lächelnd ansah. Das Lampenlicht spiegelte sich auf ihrem Kragen.

Ich gürtete mein goreanisches Schwert und ging in die Küche.

Dort saß Telima an der Wand. Sie hob den Kopf. Ich vermochte sie im Licht des glimmenden Feuers kaum zu erkennen; die Kohlen bildeten ein schwachleuchtendes schwarzrotes Muster in der Dunkelheit.

Ich zog Telima den goldenen Armreif ab.

Tränen standen ihr in den Augen, aber sie protestierte nicht. Ich löste die Ranke, die sich um ihren Hals schlang, und zeigte ihr den Stahlkragen, den ich ihr vom Schmied mitgebracht hatte.

Im Halbdämmer las sie die Gravierung. »Ich gehöre Bosk«, sagte sie.

»Ich wußte nicht, daß du lesen kannst«, erwiderte ich. Midice, Thura und Ula waren Analphabetinnen, wie es bei den Rencemädchen üblich ist.

Telima senkte den Kopf, und ich ließ den Kragen um ihren Hals zuschnappen.

»Es ist lange her, daß ich so einen Kragen getragen habe.«

Ich fragte mich, wie sie nach ihrer Flucht den ersten Kragen losgeworden war. Ich dachte daran, daß Ho-Hak noch immer den schweren Ring des Galeerensklaven trug.

Der Gedanke an Ho-Hak brachte mich auf einen Gedanken. »Telima«, fragte ich. »Warum war Ho-Hak so bewegt, als wir von dem kleinen Eechius sprachen?«

Sie schwieg.

»Natürlich hat er den Jungen gekannt«, sagte ich. »Er lebte ja auch auf der Insel.«

»Er war sein Vater«, sagte Telima.

Ich betrachtete den goldenen Armreif, den ich in der Hand hielt, legte ihn auf den Boden und kettete Telima am Sklavenring der Küche fest. Dann nahm ich das Schmuckstück wieder zur Hand und betrachtete es.

»Seltsam, daß ein Rencemädchen so einen Armreif besitzt«, sagte ich.

Telima schwieg.

Im anderen Zimmer warf ich Midice den Armreif zu, die einen Freudenschrei ausstieß und das Band sofort anlegte. Ich kettete sie ebenfalls an, deckte sie mit Fellen zu und verließ das Zimmer.

Vor dem Haus war ich allein. Nach meiner Schätzung war es noch etwa eine Ahn bis Sonnenaufgang. Ich wanderte über den schmalen Steg, der am Kanal entlangführte. Plötzlich ging ich auf Hände und Knie nieder und erbrach mich in das dunkle Wasser. Ich hörte, wie sich eine der riesigen Kanalurts unter mir bewegte.

Ich roch das Meer, hatte es jedoch noch nicht gesehen.

Die Gebäude zu beiden Seiten des Kanals waren dunkel, aber hier und da flackerte eine Fackel an den Hausmauern, dicht neben einem Fenster. Ich betrachtete die Mauersteine, beobachtete das Zucken der Schatten an den Hauswänden Port Kars.

Irgendwo waren zwei Urts in einen Kampf verwickelt, und ihr Quieken und Platschen drang weit über das Wasser.

Mein Weg führte mich wieder zu der Pagataverne zurück, in der ich diese Nacht begonnen hatte.

Ich war allein und in schlechter Stimmung. Mir war kalt. In Port Kar gab es nichts, das mir etwas bedeutete, weder hier noch in allen Welten des Universums.

Ich stieß die Tür der Taverne auf.

Die Musiker und die Tänzerin waren verschwunden – waren sicher schon vor Stunden gegangen. Es waren nicht mehr viele Gäste in der Taverne, und die verbleibenden Zecher wirkten schon ziemlich angeschlagen. Hier und dort lagen Männer zwischen den Tischen, die Tuniken von Paga und Erbrochenem befleckt. Andere ruhten, in Seemannsumhänge gehüllt, an den Wänden. Zwei oder drei hockten noch an den Tischen und starrten in halbgefüllte Pagaschalen. Die Mädchen, die sich nicht in den Alkoven aufhielten, waren sicher schon irgendwo für die Nacht angekettet, wahrscheinlich in einem Sklavenraum neben der Küche. Als ich eintrat, hob der Wirt den Kopf.

Ich warf eine kupferne Tarnmünze auf den Tisch, und er neigte die große Pagaflasche, die hinter der Theke hing.

Ich trug meine Pagaschale an einen Tisch und ließ mich mit untergeschlagenen Beinen dahinter nieder. Ich wollte nicht trinken. Ich wollte nur allein sein. Ich wollte nicht einmal nachdenken. Die Einsamkeit war mir in diesem Augenblick am liebsten.

In einem Alkoven begann ein Mädchen zu weinen.

Das Geräusch irritierte mich. Ich wünschte keine Störung. Ich legte den Kopf in die Hände und beugte mich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch.

Ich haßte Port Kar und alles, was dazugehörte. Und ich haßte mich selbst, denn ich war jetzt ein Teil dieser Stadt.

Der Vorhang vor einer der Nischen flog zur Seite. Auf der runden Schwelle erschien Surbus, der zu den Kapitänen dieser Stadt gehörte. Ich betrachtete ihn voller Abscheu. Wie häßlich er doch war mit seinem ungepflegt wuchernden Bart, den eng beieinanderstehenden Schweinsaugen, dem fehlenden Ohr!

In den Armen hielt er ein gefesseltes Sklavenmädchen – das Mädchen, das mich gestern abend bedient hatte. Sie war mir kaum aufgefallen – blond und blauäugig und sehr dünn. Mir fiel ein, daß sie mich um Schutz gebeten hatte, den ich ihr verweigert hatte.

Surbus warf sich das Mädchen über die Schulter und ging zum Tresen.

»Sie gefällt mir nicht«, sagte er zum Wirt.

»Das tut mir leid, Ehrenwerter Surbus«, sagte der Mann. »Ich lasse sie auspeitschen.«

»Aber sie gefällt mir nicht!« rief Surbus.

»Möchtest du, daß sie vernichtet wird?« fragte der Wirt.

»Ja.«

»Ihr Preis ist fünf Silbertarsk.«

Aus dem Beutel nahm Surbus fünf silberne Münzen und zählte sie nacheinander auf die Holzplatte.

»Ich gebe dir sechs«, sagte ich zu dem Wirt.

Surbus drehte sich um und warf mir einen finsteren Blick zu.

»Ich habe sie für fünf verkauft«, sagte der Wirt, »an diesen ehrenwerten Herrn. Misch dich nicht ein, Fremder, dieser Mann ist Surbus.«

Surbus warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Ja«, sagte er. »Ich bin Surbus.«

»Und ich bin Bosk«, sagte ich, »aus den Sümpfen.«

Surbus musterte mich und lachte wieder. Er wandte dem Tresen den Rücken, nahm das Mädchen von der Schulter und hielt sie vor sich hin. Ich sah, daß sie bei Bewußtsein war.

»Was hast du mit ihr vor?« fragte ich.

»Ich werfe sie den Urts zum Fraß vor«, sagte Surbus.

»Bitte«, flüsterte sie. »Bitte, Surbus.«

»Zu den Urts!« sagte Surbus lachend.

Die Riesenurts, Tiere mit seidigem Fell und schimmernden Augen, ernähren sich vom Abfall in den Kanälen und kennen sich mit Menschenkörpern aus, die in die Kanäle geworfen werden – ob lebend oder tot.

Ich starrte ihn an. Surbus, Sklavenhändler, Mörder. Dieser Mann war durch und durch schlecht. Ich spürte nichts als Haß und einen überwältigenden Ekel vor ihm.

»Nein«, sagte ich.

Er starrte mich verblüfft an.

»Nein«, wiederholte ich und zog mein Schwert.

»Sie gehört mir«, sagte er.

Hastig schaltete sich der Wirt ein. »Surbus vernichtet oft ein Mädchen, das ihm nicht gefallen hat.«

Ich starrte beide wortlos an.

»Sie gehört mir«, sagte Surbus.

»Das stimmt«, sagte der Wirt hastig. »Du hast den Kauf selbst gesehen. Sie ist jetzt rechtmäßig seine Sklavin, und er kann mit ihr machen, was er will.«

»Welches Recht hast du, dich einzumischen?«

»Das Recht eines Mannes aus Port Kar, zu tun, was ihm gefällt«, antwortete ich.

Surbus stieß das Mädchen zur Seite und entblößte mit schneller, eleganter Bewegung seine Klinge.

»Du bist ein Narr, Fremder«, sagte der Wirt. »Du sprichst mit Surbus, einem der besten Schwertkämpfer aus Port Kar.«

Unsere Auseinandersetzung mit den Klingen war kurz.

Mit einem Schrei des Hasses und der Freude fuhr meine Klinge, parallel zum Boden gehalten, damit sie nicht zwischen den Rippen meines Opfers hängenblieb, blitzschnell durch seinen Körper. Ich setzte Surbus den Fuß auf den blutigen Bauch, schob ihn von meinem Schwert und schwenkte den blutnassen Stahl.

Der Wirt starrte mich mit aufgerissenen Augen an.

»Wer bist du?« fragte er.

»Bosk«, wiederholte ich. »Ich bin Bosk aus den Sümpfen.«

Mehrere andere Gäste, vom Klirren der Klingen aufgescheucht, waren nun hellwach. Sie starrten mich verblüfft an.

Ich bewegte die Klinge im Halbkreis, erwiderte ihren Blick. Doch niemand machte eine Bewegung zur Waffe.

Ich riß ein Stück von Surbus’ Tunika ab und säuberte mein Schwert damit. Er lag auf dem Rücken, ins Leere starrend, und Blut sprudelte ihm aus dem Mund.

Ich trat neben das Sklavenmädchen und löste ihre Fesseln. Dann sah ich um mich.

Der Wirt machte einen hastigen Schritt hinter seinem Tresen. Von den anderen Männern hatte sich niemand gerührt, obwohl viele zu Surbus’ Mannschaften gehörten.

Ich beugte mich über meinen Gegner.

Sein Blick war auf mich gerichtet, und er hob mit schwacher Geste die Hand. In seinen kleinen Augen war Schmerz. Er hustete Blut. Er schien sprechen zu wollen, brachte jedoch kein Wort heraus.

Ich steckte mein Schwert ein, ohne seinen Blick zu erwidern.

Das Sklavenmädchen war unansehnlich – mager mit schmalem Gesicht, knochigen Schultern und strähnigem Haar – ein armes Wesen.

Zu meiner Überraschung ging sie neben Surbus in die Knie und hielt seinen Kopf. Er starrte mich an und versuchte wieder zu sprechen.

»Bitte«, sagte das Mädchen zu mir.

Ich schaute sie verwirrt an. Sie schien den Verstand verloren zu haben. Begriff sie nicht, daß dieser Mann sie gefesselt den Urts zum Fraße vorgeworfen hätte?

Wieder hob er die Hand.

Das Mädchen blickte zu mir auf und sagte: »Bitte, ich bin zu schwach.«

»Was will er denn?« fragte ich unwirsch.

»Er möchte das Meer sehen«, sagte sie.

Ich schwieg.

»Bitte – ich schaffe es nicht allein.«

Ich bückte mich, legte mir den Arm des Sterbenden um die Schultern, hob ihn mit Hilfe des Mädchens hoch und schleppte ihn mit ihr durch die Küche der Taverne und Stufe um Stufe die schmale Treppe hinauf, die zum Dach führte.

Wir erreichten das Dach und zerrten Surbus zu der niedrigen Brüstung, hielten ihn in die Höhe und warteten. Der Morgen war kalt und feucht. Der Sonnenaufgang stand bevor.

Und dann kam die Morgendämmerung, und über den Gebäuden Port Kars, hinter der Masse von Dächern, jenseits des flachen, schlammigen Tambergolfs, in den sich der Vosk ergießt, sahen wir das schimmernde Thassa, das Meer. Ich erblickte es zum erstenmal.

Die rechte Hand Surbus’ berührte mich. Er nickte. Seine Augen hatten nichts Schmerzvolles oder Unglückliches mehr. Seine Lippen bewegten sich, doch dann hustete er, und noch mehr Blut strömte ihm übers Kinn, lief die Brust hinab, und plötzlich, mit einem Ruck erstarrte er, und dann sank sein Kopf auf die Seite, und er war eine tote Last in unseren Armen.

Wir legten ihn auf das Dach.

»Was hat er gesagt?« fragte ich.

Das Mädchen lächelte mich an. »Danke«, sagte sie. »Er hat dir gedankt.«

Ich stand müde auf und blickte auf das Meer hinaus.

»Es ist sehr schön«, sagte ich.

»Ja«, erwiderte das Mädchen.

»Lieben die Menschen in Port Kar das Meer?« wollte ich wissen.

»Ja, natürlich.«

Ich drehte mich zu ihr um. »Was wirst du nun tun?« fragte ich. »Wohin gehst du?«

»Ich weiß es nicht.« Sie senkte den Kopf. »Ich gehe fort.«

Ich streckte die Hand aus und berührte ihre Wange. »Tu das nicht«, sagte ich. »Folge mir.«

»Danke«, sagte sie.

»Wie heißt du?« erkundigte ich mich.

»Luma.«

Wir verließen das Dach und stiegen die lange, schmale Treppe hinab.

In der Küche kam uns der Wirt entgegen. »Surbus ist tot«, sagte ich zu ihm. Er nickte. Ich wußte, daß die Leiche in einen Kanal geworfen wurde.

Ich deutete auf Lumas Kragen. »Schlüssel«, sagte ich.

Der Mann brachte einen Schlüssel und entfernte den Sklavenkragen von Lumas Hals.

Wir verließen die Küche.

Im großen Gästezimmer der Taverne blieben wir stehen, und ich schob das Mädchen hinter uns.

Siebzig oder achtzig Bewaffnete warteten auf uns. Es waren Seeleute aus Port Kar. Ich erkannte viele wieder. Sie waren gestern abend mit Surbus in die Taverne gekommen und gehörten zu seinen Mannschaften.

Ich zog mein Schwert.

Einer der Männer trat vor, eine große, hagere, junge Gestalt, mit einem Gesicht, das die Spuren des Thassa trug. Er hatte graue Augen und große, rauhe Hände.

»Ich bin Tab«, sagte er. »Ich war Surbus’ Stellvertreter.«

Ich schwieg, ließ meinen Blick über die Gesichter wandern.

»Hast du ihn das Meer sehen lassen?« fragte Tab.

»Ja«, sagte ich.

»Dann«, sagte Tab, »stehen wir jetzt in deinen Diensten.«

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