11

Die Kapitäne sprangen auf, Stühle fielen polternd um. Der Schreiber am großen Tisch wurde angerempelt, Papiere segelten zu Boden. Die Männer eilten auf das große Eingangsportal zu, vor dem sich der große Platz erstreckte.

Dann sah ich Lysius, der sich nicht vom Fleck gerührt hatte. Und ich bemerkte, daß der Schriftgelehrte, der gewöhnlich neben dem leeren Thron des Henrius Sevarius V. saß, verschwunden war.

Von draußen klangen Schreie und das Klirren von Waffen herein.

Plötzlich erhob sich Lysius. Er setzte den Helm auf und zog die Waffe.

Auch ich ergriff mein Schwert und zog es aus der Scheide. Doch da wich Lysius zurück, die Waffe erhoben. Er machte kehrt und floh durch eine Seitentür aus der Ratshalle.

Auf der einen Seite des Saals brannte ein kleines Feuer; eine Lampe war umgeworfen worden. Der Schreiber am Mitteltisch stand reglos über seinen Papieren. Andere Schreiber eilten zu ihm, sahen sich ratlos um. An der Wand standen mehrere Ratspagen.

Plötzlich taumelte einer der Kapitäne in den Saal. Ein Armbrustpfeil ragte aus seiner Samtweste. Er stürzte, hielt sich an der Armlehne eines Ratssessels fest. Weitere Kapitäne, zu viert oder fünft, wichen in den Saal zurück, die Waffen erhoben, blutend.

Ich trat vor die Thronsessel der Ubars und deutete auf das kleine Feuer. »Mach das aus«, sagte ich zu einem der entsetzten Pagen, der sofort losrannte.

Dann steckte ich mein Schwert in die Scheide zurück.

»Nimm das Ratsbuch und bewache es«, befahl ich dem Schreiber am großen Tisch.

»Ja, Kapitän«, sagte er und nahm das Dokument an sich.

Ich beugte mich vor, wischte Papiere zu Boden, packte den großen Tisch und hob ihn über den Kopf. Erstaunte Ausrufe wurden laut.

Ich drehte mich um und schritt langsam auf die große Doppeltür des Saals zu.

Weitere Kapitäne, den Rücken zum Saal, drängten kämpfend, stolpernd herein, eindeutig auf dem Rückzug. Sie waren die letzten.

Ich schleuderte den mächtigen Tisch über ihre Köpfe durch die Tür. Er landete mit gewaltigem Krachen auf den Männern, die mit Schwertern und Schilden die Ratsmitglieder bedrängten. Mehrere Kämpfer wurden zu Boden geworfen.

»Holt Stühle und mehr Tische!« brüllte ich.

Obwohl viele der Männer verwundet waren, gehorchten sie sofort und häuften Stühle und andere Möbelstücke im Durchgang auf. Armbrustpfeile sirrten zwischen den Möbelstücken hindurch, brachen splitternd durch das Holz. Doch unsere Barrikade wuchs.

Mehrere Männer versuchten das Hindernis zu übersteigen und durchzubrechen.

Doch dort stießen sie auf Bosk, in der Hand die geschmiedete Klinge eines korobanischen Schwertes.

Vier Männer taumelten zurück, rollten über Stühle und Tische herab.

Armbrustpfeile flogen mir um den Kopf.

Ich lachte und sprang zu Boden. Nun ließen sich keine Männer mehr auf der Barrikade sehen.

»Könnt ihr die Tür halten?« fragte ich die Kapitäne und Schreiber und Pagen.

»Ja«, riefen sie.

Ich deutete auf die Nebentür, durch die Lysius und wohl auch der Schreiber Henrius Sevarius’ verschwunden waren. »Paßt auf diesen Durchgang auf«, sagte ich.

Ich nahm zwei Kapitäne mit und lief in die hintere Ecke des Ratssaals, von wo aus man über eine Wendeltreppe auf das Dach des Gebäudes gelangen konnte.

Kurz darauf standen wir auf der Schräge des Rathausdaches, geschützt von Türmchen und dekorativen Bastionen.

In der Nachmittagssonne stieg Rauch über den Kais und dem Arsenal im Westen auf.

»Schiffe aus Cos oder Tyros sind nicht im Hafen«, sagte ein Kapitän.

Ich nickte und deutete auf die Hafenanlagen. »Das sind Kais von Chung und Eteocles?«

»Ja«, sagte der Kapitän.

»Und die Anlagen dort«, fuhr ich fort und deutete weiter nach Süden, »gehören Nigel und Sullius Maximus, nicht wahr?«

Wir sahen brennende Schiffe.

»Ja«, sagte der zweite Kapitän. »Zweifellos wird dort gekämpft.«

»Und überall im Hafengebiet«, fiel der erste Kapitän ein.

»Es hat den Anschein, als sei der Besitz Henrius Sevarius’, Herr des Kapitäns Lysius, unberührt.«

»So sieht es aus«, sagte der erste Kapitän gepreßt.

Unter uns klangen Trompeten auf. Männer brüllten.

Wir erblickten Banner, die das Zeichen des Hauses Sevarius trugen. Männer versuchten das Volk auf die Straße zu locken, das sich ihnen anschließen sollte.

»Henrius Sevarius«, riefen sie, »ist Ubar von Port Kar!«

»Sevarius läßt sich zum Ubar ausrufen«, sagte der erste Kapitän.

»Oder Claudius, sein Regent«, fügte der andere hinzu.

Ein weiterer Kapitän stieß zu uns. »Unten ist jetzt alles ruhig«, meldete er.

»Seht!« sagte ich und deutete auf einige Kanäle zwischen den Gebäuden. Von mehreren Seiten näherten sich Tarnschiffe mit langsamem Ruderschlag. Sie hielten auf das Gebäude des Kapitänsrates zu. Armbrustschützen flohen vor ihnen auf den schmalen Kanalsteigen. Andere Bewaffnete schlossen sich an.

»Offenbar ist Henrius Sevarius doch noch nicht ganz Ubar dieser Stadt«, lachte ich.

Auf der anderen Seite des Platzes erschien in einem der angrenzenden Kanäle ein Rammschiff mittlerer Klasse und näherte sich einer Anlegestelle zwischen zwei Kais. Es war kampfbereit – die Masten waren umgelegt, die Segel unter Deck. Im Wind flatterte die Fahne mit den grünen Streifen und dem schwarzen Kopf eines Bosk.

Auch auf diese Entfernung sah ich Thurnocks mächtige Gestalt vom Schiff springen, gefolgt von Clitus und Tab, der meine Männer ausschwärmen ließ.

»Versucht den Schaden im Arsenal abzuschätzen«, sagte ich.

»Offenbar brennen die Holzschuppen und die Trockendocks. Und die Pech- und Ruderlager«, sagte ein anderer.

»Es gibt wenig Wind«, bemerkte jemand.

Ich war nicht unzufrieden. Eigentlich war anzunehmen, daß die vielen hundert Arbeiter im Arsenal die Flammen in den Griff bekommen würden. Feuer ist dort immer als die größte Gefahr angesehen worden, so daß viele Lagerhäuser, Werkstätten und Schmieden aus Stein erbaut sind und Schiefer- oder Metalldächer tragen. Die Holzgebäude – die zahlreichen Schuppen und überdachten Lagerflächen – sind voneinander abgesetzt. Innerhalb des Arsenals gibt es zudem ausreichend offene Wasserstellen, und neben den vielen Becken stehen rote Holzkisten mit zusammengefalteten Ledereimern, die zur Feuerbekämpfung gedacht sind. Einige andere Becken sind so groß, daß sogar Galeeren darin ankern können, denn sie haben zwei Zugänge zum Kanalsystem der Stadt und außerdem zwei Tore zum Tambergolf. Jede dieser Ausfahrten ist durch große Stahltore gesichert. Diese großen Becken erfüllen zwei Zwecke – die offenen Bassins werden für die Unterwasserlagerung und Reifung des Turholzes verwendet, die überdachten Becken dienen zur Endmontage neuer Schiffe und zu Reparaturen, die einen Aufenthalt im Trockendock nicht erfordern.

Es wollte mir scheinen, daß Rauch und Flammen im Arsenal nachgelassen hätten. Bei den Hafenanlagen von Chung, Eteocles, Nigel und Sullius Maximus stand es nicht so günstig.

Vielleicht waren die Brände im Arsenal auch nur als Ablenkung gedacht. Sie hatten jedenfalls dazu gedient, die Kapitäne Port Kars in einen Hinterhalt vor dem Ratsgebäude zu locken. Wahrscheinlich hatte Henrius Sevarius das Arsenal nicht ernsthaft beschädigen wollen, das – wenn er erst einmal Ubar war – das Kernstück seines neuen Reichtums darstellen würde.

»Ich gehe zum Arsenal«, sagte ich und wandte mich an einen der Kapitäne. »Schicke die Schreiber los und laß den Schaden schätzen. Auch sollen die Kapitäne sofort die militärische Situation in die Hand nehmen. Die Schiffspatrouillen müssen verstärkt werden und auf einen Radius von fünfzig Pasang ausgedehnt werden.«

»Aber Cos und Tyros haben doch nicht …«

»Egal. Und heute abend muß der Rat wieder zusammentreten.«

»Das geht doch nicht …«

»Zur zwanzigsten Stunde«, sagte ich.

»Ich schicke Pagen los«, erwiderte der Mann.

»Und ruft die vier Kapitäne Chung, Eteocles, Nigel und Sullius Maximus in den Ratssaal.«

»Aber sie sind Ubars!« flüsterte der Kapitän.

Ich deutete auf die brennenden Dockanlagen.

»Wenn sie nicht kommen«, sagte ich, »laß ihnen ausrichten, daß sie nach Ansicht des Rates nicht länger Kapitäne sind.«

Die Männer starrten mich verdattert an.

»Der Rat ist jetzt die höchste Macht in Port Kar.«

Die Kapitäne nickten.

Die Macht der Kapitäne war wenig geschmälert. Der Coup, der sie blitzschnell hatte vernichten sollen, war fehlgeschlagen. Durch die Barrikade am Portal waren die meisten mit dem Leben davongekommen. Andere waren gar nicht erst in der Versammlung gewesen. Überdies ließen die Kapitäne ihre Schiffe vorwiegend in den Becken ihrer befestigten Häuser anlegen. Und wer die offenen Docks benutzte, schien keinen Schaden davongetragen zu haben; nur die Kais der vier Ubars schienen zu brennen.

Ohnehin ist jeweils der größte Teil der Flotte Port Kars auf See. Ich hatte im Augenblick nur zwei Schiffe in der Stadt, während fünf unterwegs waren. Die zurückkehrenden Einheiten der Kapitäne würden ihre Macht in der Stadt weiter festigen, standen doch ihre Mannschaften dann auch an Land zur Verfügung. Gewiß waren auch viele Schiffe der Ubars auf See, doch die Männer, die sich die Führung Port Kars anmaßten, behielten gewöhnlich einen größeren Teil ihrer Streitkräfte im Hafen. Ich rechnete damit, daß die Macht der vier Ubars durch den Aufruhr etwa halbiert worden war, so daß sie insgesamt vielleicht noch etwa hundertundfünfzig Schiffe kontrollierten. Allerdings erwartete ich nicht, daß sie zusammenarbeiten würden. Außerdem konnte der Rat der Kapitäne ihre Schiffe abfangen und beschlagnahmen, wenn sie den Hafen anliefen. Ich hatte seit längerem das Gefühl, daß fünf Ubars in Port Kar und die sich daraus ergebende Anarchie politisch untragbar waren – nicht zuletzt für meine eigenen Interessen. Ich wollte nicht gezwungen sein, mich einem Ubar anzuschließen, ich wollte allein arbeiten. Hieraus ergab sich mein Wunsch, daß der Rat seine Position in der Stadt konsolidieren möge. Nachdem der Staatsstreich des Henrius Sevarius fehlgeschlagen und die Macht der anderen Ubars geschmälert worden war, mochte es nun soweit sein.

Ich gedachte die heutige Ratsversammlung zu leiten.

»Bis zur zwanzigsten Stunde dann, meine Herren Kapitäne«, sagte ich.

Die Männer verließen das Dach. Ich blieb allein zurück und beobachtete die Brände. Ein Mann wie ich konnte in einer solchen Stadt viel erreichen, überlegte ich mir.

Die neunzehnte Stunde war herangerückt. Im Saal des Kapitänsrats über uns hörte ich Schritte. Stühle scharrten. Heute würden bestimmt alle Kapitäne kommen, hieß es, sogar die vier Ubars – Chung, Eteocles, Nigel und Sullius Maximus – wurden erwartet.

Der Mann auf der Folterbank neben mir wimmerte vor Schmerzen. Er gehörte zu den Männern, die wir gefangen hatten.

»Wir haben jetzt Berichte über den Schaden in den Hafenanlagen Chungs«, sagte ein Schreiber und drückte mir einige Bogen Papier in die Hand. Ich wußte, daß die Brände dort noch nicht gelöscht waren, während wir sie auf den Kais von Eteocles, Nigel und Sullius Maximus im wesentlichen unter Kontrolle hatten, obwohl bei Sullius noch eine Lagerhalle mit Tharlarionöl brannte, die die ganze Stadt mit Gestank und Rauch erfüllte. Soweit ich feststellen konnte, hatte Chung den größten Schaden erlitten und etwa dreißig Schiffe verloren. Die Macht der Ubars war zwar nicht halbiert, aber doch erheblich dezimiert worden. Der Schaden im Arsenal dagegen, den ich mit eigenen Augen gesehen hatte, war nicht übermäßig schlimm.

Einige Männer, die das Feuer gelegt hatten und erwischt worden waren, lagen jetzt hier unter dem Ratssaal der Kapitäne auf den Streckbänken.

Die beiden Sklaven neben mir beugten sich über die Winde. Holz knirschte, prompt gefolgt von einem durchdringenden Schrei.

»Sind die Patrouillen verdoppelt worden?« fragte ich einen Kapitän.

»Ja«, sagte er, »und der Kontrollbereich ist auf fünfzig Pasang ausgedehnt.«

»Wie sieht die militärische Lage aus?« fragte ich.

»Die Männer Henrius Sevarius’ haben sich auf seinen Besitz zurückgezogen. Seine Schiffe und Kaianlagen sind gut verteidigt. Unsere Leute halten Wache, andere bleiben in Reserve. Machen Sevarius’ Leute einen Ausbruchsversuch, sind wir bereit.«

»Wie steht es mit der Stadt?« wollte ich wissen.

»Sie ist Henrius Sevarius nicht gefolgt«, erwiderte der Kapitän. »In den Straßen rufen die Menschen: ›Der Rat muß an die Macht!‹«

»Ausgezeichnet«, bemerkte ich.

Ein Schreiber eilte an meine Seite. »Ein Abgesandter des Hauses Sevarius verlangt vor dem Rat zu sprechen«, sagte er.

»Ist der Mann Kapitän?«

»Ja – Lysius.«

Ich lächelte. »Gut«, sagte ich, »schickt einen Pagen und einen Mann mit einer Fackel, der ihn abholen soll.«

Der Schreiber grinste. »Ja, Kapitän.«

Ich gab den beiden Sklaven an der Streckbank ein Zeichen, ihre Winde noch stärker anzuziehen. Der Mann auf der Bank warf den Kopf zurück und öffnete den Mund – aber es war kein Laut zu hören.

»Was hast du erfahren?« fragte ich den Schriftgelehrten neben dem Folterinstrument.

»Nichts Neues. Er wurde wie die anderen von Leuten des Henrius Sevarius angeworben – einige, um Kapitäne umzubringen, andere, um die Kaianlagen und das Arsenal in Brand zu stecken. Heute nacht sollte Sevarius Ubar in der Stadt sein – und jeder der Männer hätte einen Stein Gold erhalten.«

»Was ist mit Cos und Tyros?« fragte ich.

Der Schriftgelehrte starrte mich verwirrt an. »Davon war nicht die Rede.«

Das ärgerte mich, denn ich war sicher, daß hinter dem Staatsstreich mehr steckte als der Plan eines Ubar von Port Kar. Ich hatte spätestens am Abend mit der Ankunft einer Flotte aus Cos und Tyros gerechnet. War es möglich, daß die beiden Inselreiche tatsächlich nichts mit dem versuchten Staatsstreich zu tun hatten?

»Von dem ist doch kaum etwas zu erfahren«, sagte eine Stimme hinter mir – es hätte ein Larl sein können, der da sprach.

Ich drehte mich um.

Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er mich an – ein Mann, der in Port Kar wohlbekannt war.

»Du warst heute nachmittag nicht bei der Versammlung«, sagte ich.

»Nein«, erwiderte er.

Er war ein großer Mann. Über der linken Schulter trug er die beiden Schnüre Port Kars, die gewöhnlich nur außerhalb der Stadt getragen wurden. Er war warm gekleidet, seine Kapuze hatte er in den Nacken geschoben. Sein Gesicht war breit und vom Thassa gegerbt, der seine Spuren mit Wind und Salz in die Haut eingebrannt hatte. Der Mann hatte graue Augen, kurzgeschnittenes weißes Haar, und in den Ohren schimmerten zwei kleine Goldringe.

Ein Larl in Menschengestalt, mit all den Instinkten und der Schläue des Raubtiers – Samos, der erste Sklavenhändler der Stadt.

»Sei gegrüßt, hoher Samos«, sagte ich.

»Sei gegrüßt«, erwiderte er.

In diesem Augenblick war es mir undenkbar, daß dieser Mann den Priesterkönigen dienen könne. Es kam mir eher vor, als könne er nur auf der Seite der Anderen stehen, jener Wesen in ihren fernen Stahlwelten, die verstohlen um die Vorherrschaft auf Gor und der Erde kämpften.

Samos blickte sich um. »Sind Tyros und Cos schon belastet worden?« fragte er.

»Die Gefangenen gestehen alles, was wir wollen«, sagte ich trocken.

»Ich glaube aber, daß Cos und Tyros damit zu tun haben«, meinte er.

»Ich auch«, sagte ich.

»Aber wer würde Leute wie die in solche Pläne einweihen?«

Er wandte sich zum Gehen, blieb stehen und sagte über die Schulter. »Du bist der Mann, der Bosk genannt wird, nicht wahr?«

»Ja.«

»Man muß dir gratulieren, daß du heute nachmittag die Führung übernommen hast«, sagte er. »Du hast dem Rat einen großen Dienst erwiesen.«

Ich schwieg.

Dann drehte er sich um. »Weißt du, wer der Seniorkapitän im Rate ist?«

»Nein.«

»Ich«, sagte Samos und wandte sich an den Schriftgelehrten neben der Streckbank. »Nehmt die Männer herunter«, sagte er, »und legt sie in Ketten. Vielleicht müssen wir sie morgen weiter befragen.«

»Was hast du mit ihnen vor?« fragte ich.

»Unsere Rundschiffe«, sagte Samos, »brauchen Ruderer.«

Ich nickte. Die Männer sollten also Sklaven werden.

Ich erinnerte mich an den Zettel, den ich erhalten hatte, ehe Henrak in den Ratssaal stürmte und das Feuer meldete. Ich hatte die Nachricht in den Beutel gesteckt, den ich am Gürtel trug.

»Ehrenwerter Samos«, sagte ich, »hast du mir heute früh eine Mitteilung zukommen lassen, daß du mich sprechen wolltest?«

Samos musterte mich prüfend. »Nein«, sagte er.

Ich neigte den Kopf, und der Seniorkapitän verließ den Raum.

»Samos«, erklärte einer der Schreiber in der Nähe, »ist erst heute abend in Port Kar eingelaufen, zur achtzehnten Stunde. Er kommt direkt von Scagnar.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

Wer sollte mir dann einen solchen Zettel schicken? Offenbar gab es andere, die mit mir Kontakt aufnehmen wollten.

Die zwanzigste Stunde war herangerückt.

In dieser Nacht war das Gebäude des Kapitänsrats von Männern umstellt, und in einem Pasang Umkreis waren alle Dächer und Kanalsteige mit Posten besetzt.

In der Halle selbst flackerten Fackeln und viele Dochtlampen. Lysius, Kapitän und Klient des Henrius Sevarius, ging vor dem großen Tisch des Schreibers auf und ab und sprach. Sein Umhang wirbelte hinter ihm, und er trug seinen Helm in der Armbeuge.

»Und so«, sagte Lysius, »biete ich euch allen Amnestie im Namen des Ubar von Port Kar, Henrius Sevarius!«

»Henrius Sevarius, Kapitän«, sagte Samos im Namen des Rats, »ist zu gütig.«

Lysius neigte den Kopf.

»Henrius Sevarius, Kapitän«, sagte Samos bedächtig, »dürfte jedoch feststellen, daß der Rat der Kapitäne weniger großzügig gestimmt ist als er.«

Lysius fuhr auf. »Seine Macht ist größer als die eure!« rief er und deutete auf die Ubars, die, jeder von einer Leibgarde umgeben, ihre Thronsessel eingenommen hatten. »Damit seid auch ihr gemeint!«

Ich musterte die Männer, die den Anspruch stellten, Herrscher über Port Kar zu sein – der gedrungene, schlaue Chung, der schmalgesichtige Taktiker Eteocles, der langhaarige Nigel, der wie ein Kriegsherr von der Insel Torwaldsland aussah – und Sullius Maximus, der angeblich Gedichte schrieb und ein Kenner der Gifte war.

»Wie viele Schiffe hat er denn?« erkundigte sich Samos.

»Einhundertundzwei!« verkündete Lysius stolz.

»Die Kapitäne des Rats«, sagte Samos trocken, »haben in ihren persönlichen Diensten etwa eintausend Schiffe. Außerdem ist der Rat über weitere tausend Schiffe aus der Stadt verfügungsberechtigt – also befehligt der Rat zweitausend Einheiten.«

»Es gibt auch noch viele andere Schiffe!« rief Lysius.

»Du meinst die Flotten von Chung, Eteocles, Nigel und Sullius Maximus?«

Gelächter wurde laut.

»Nein!« rief Lysius. »Ich meine die Schiffe der kleineren Kapitäne – rund zweitausendfünfhundert.«

»In den Straßen habe ich den Ruf ›Der Rat an die Macht!‹ gehört«, bemerkte Samos.

»Wenn Henrius Sevarius zum alleinigen Ubar ausgerufen wird«, sagte Lysius leise, »dürft ihr weiterleben, ihr werdet begnadigt.«

»Das ist ein Angebot?« fragte Samos.

»Ja.«

»Dann höre nun das Verlangen des Rats – daß nämlich Henrius Sevarius und sein Regent Claudius die Waffen niederlegen, sich aller Schiffe und Männer und Besitztümer entledigen und sich in Sklavenfesseln vor dem Rat zur Aburteilung einfinden sollen!«

Lysius, das Gesicht starr vor Wut, die Hand auf den Schwertgriff gelegt, stand stumm vor dem ersten Sklavenhändler der Stadt. »Ich beanspruche die Immunität des Heralds!« rief er.

»Sie sei dir gewährt«, winkte Samos geringschätzig ab.

Mit wehendem Umhang verließ der Abgesandte den Saal.

Samos wandte sich den vier Thronsesseln der Ubars zu. »Meine werten Kapitäne«, sagte er.

»Ubars!« rief Sullius Maximus.

»Ubars«, verbesserte sich Samos und neigte lächelnd den Kopf. »So sei euch gesagt, Ubars, daß Samos, erster Sklavenhändler von Port Kar, nun dem Rat anträgt, er solle die Leitung der Stadt Port Kar in eigene Hände nehmen, mit voller Machtbefugnis, ob in Politik, Gesetzgebung, Ordnungsmacht, Besteuerung oder anderen Dingen.«

»Nein!« riefen die Ubars fast gleichzeitig und sprangen auf.

»Das bedeutete Bürgerkrieg!« brüllte Eteocles.

»Der Rat hat die Macht!« sagte Samos.

»Der Rat hat die Macht!« fielen die Männer auf den Rängen lautstark ein.

Ich saß lächelnd auf meinem Sitz.

»Außerdem schlage ich dem Rat vor zu beschließen, daß alle Bindungen zwischen Klienten und Ubars zu lösen sind, um auf freiwilliger Basis wiederhergestellt zu werden, anhand von Dokumenten, deren Kopien beim Rat zu hinterlegen sind.«

Sullius Maximus schüttelte die Faust. »Du nimmst uns unsere Macht nicht!« brüllte er.

Chung warf sich mit stolzer Geste den Umhang über die Schultern und verließ mit seiner Gefolgschaft den Saal. Mit verächtlichem Schulterzucken strebte auch Nigel dem Ausgang zu.

»Ich bitte nun den Tischschreiber, die Liste der Kapitäne zu verlesen«, sagte Samos.

»Antisthenes!« rief der Mann.

»Antisthenes stimmt den Anträgen zu!« sagte ein Mann in der dritten Reihe.

Mit einem Wutschrei sprang Eteocles auf, zog sein Schwert und hieb die Klinge in den Tisch, nagelte die Papiere des Schreibers auf der Platte fest. »Hier ist die Macht in Port Kar!« rief er.

Langsam zog Samos seine Waffe und legte sie sich über die Knie. »Wenn das so ist. Auch hier ist Macht«, sagte er.

Die anderen Ratsmitglieder taten es ihm nach.

Eteocles blickte in die Runde, zog seine Klinge aus dem Tisch, rammte sie wieder in die Scheide und hastete aus dem Saal.

Mit reglosem Gesicht hatte sich Sullius Maximus erhoben. Ein Mann hinter ihm legte nach seinen Wünschen die Falten seines weiten Umhangs zurecht. Ein zweiter Mann hinter ihm hielt seinen Helm.

»Ich werde ein Gedicht schreiben«, sagte er, »ein Klagelied über den Niedergang der Ubars.« Und er lächelte und ging.

Er, davon war ich überzeugt, war der gefährlichste aller Ubars.

»Bejar!« rief der Schreiber.

»Bejar stimmt den Anträgen zu!« sagte ein Kapitän aus der zweiten Reihe unter mir.

»Bosk!« rief der Schreiber.

»Bosk«, sagte ich, »enthält sich der Stimme.«

Samos und viele andere warfen mir einen überraschten Blick zu.

Ich sah in diesem Augenblick noch keinen Grund, mich dem Programm Samos’ und des Rats zu verpflichten. Es war klar, daß seine Anträge angenommen würden. Außerdem waren sie bestimmt in meinem Interesse. Aber indem ich mich der Stimme enthielt, blieben meine Einstellung und meine Ansichten auf nützliche Weise im Zwielicht – noch war nicht abzusehen, auf welchem Ratsstuhl sich die Tarns der Macht niederlassen würden.

Wie vermutet, wurden Samos’ Anträge mit überwältigender Mehrheit angenommen. Es gab Enthaltungen und auch einige Neinstimmen – wahrscheinlich von Kapitänen, die die Macht des einen oder anderen Ubars fürchteten.

Noch in dieser Nacht wurde die konkrete Arbeit aufgenommen, und schon vor Sonnenaufgang wurden Mauern um den Besitz Henrius Sevarius’ errichtet und seine Hafenanlagen blockiert, während Wachmannschaften die anderen vier Ubars und ihre Festungen im Auge behielten. Mehrere Komitees wurden gebildet, die Studien verschiedener Arten anfertigen sollten, besonders in militärischer und kommerzieller Hinsicht – so über eine Schiffszählung, deren Ergebnis nur dem Rat vorgetragen werden sollte. Es ging auch um die Klärung der Verteidigungsbereitschaft der Stadt, um die Bestimmung von Vorräten wie Holz, Korn, Salz und Tharlarionöl. Ohne konkrete Beschlüsse wurde gesprochen über die Besteuerung, die Vereinheitlichung und Revisionen der Gesetze, die Errichtung von Ratsgerichten in Ablösung der Ubargerichte und über die Aufstellung einer Gruppe von Bewaffneten, die nur dem Rat unterstehen und eine kleine Ratsmiliz bilden sollten. Es sei hier erwähnt, daß es eine solche Gruppe bereits innerhalb des Arsenals gab eine Art Polizei, die zu einer Abteilung der neuen Ratswache werden konnte, wenn diese Wirklichkeit werden sollte. Natürlich kontrollierte der Rat schon eine große Anzahl von Schiffen und Mannschaften, doch darf nicht übersehen werden, daß diese Macht im Grunde seemännischer Natur war, eine Art Marine; die Ereignisse des Nachmittags hatten gezeigt, daß der Rat auch eine kleine verläßliche Infanterie zur Verfügung haben mußte.

Es war kurz nach Sonnenaufgang, und das graue Licht der Morgendämmerung fiel bereits durch die schmalen Fenster des Ratssaals. Ich hatte die Nachricht, die angeblich von Samos stammte, aus dem Beutel genommen und sie mit langsamen Bewegungen in der Flamme meiner Lampe verbrannt. Nun löschte ich die kleine Flamme. Es war Tag.

»Ich vermute«, sagte Samos, »daß Cos und Tyros mit dem fehlgeschlagenen Staatsstreich des Hauses Sevarius zu tun haben.«

Ich wäre überrascht gewesen, wenn diese Vermutung nicht richtig gewesen wäre. Zustimmende Rufe wurden laut.

»Ich selbst bin des ewigen Streits mit Cos und Tyros müde«, fuhr Samos fort.

Die Kapitäne sahen sich fragend an.

»Nachdem nun in Port Kar der Rat herrscht«, sagte Samos, »wäre da nicht der Friede denkbar?«

Diese Wendung der Dinge verblüffte mich.

»Zwischen Port Kar und Cos und Tyros hat es immer Krieg gegeben«, bemerkte ein Kapitän hitzig.

»Wie ihr wißt, gehört Port Kar nicht zu den beliebtesten oder angesehensten Städten Gors«, sagte Samos beschwichtigend. »Beruht das nicht auf einem Mißverständnis unserer Motive?«

Diese Frage wurde mit Gelächter beantwortet. Auch ich lächelte. Port Kar wurde von den anderen goreanischen Städten nur zu gut verstanden.

»Denken wir an unseren Handel«, sagte Samos. »Ließen sich unsere Geschäfte nicht verdreifachen, wenn wir bei den goreanischen Städten als Stadt der Liebe und des Friedens gälten?«

Lautes Gelächter erschallte.

Als wieder Stille eintrat, klang plötzlich die Stimme des Kapitäns Bejar auf, der unter mir saß: »Ja, du hast recht.«

Alle schwiegen. Ich glaube, es gab niemanden, der jetzt nicht den Atem anhielt.

»Ich beantrage«, sagte Samos, »daß sich der Rat mit Cos und Tyros in Verbindung setzt und Friedensbedingungen anbietet.«

»Nein!« riefen die versammelten Kapitäne wie ein Mann. »Nein!«

Als sich der Tumult gelegt hatte, sagte Samos leise: »Natürlich werden unsere Bedingungen abgelehnt werden.«

Die Kapitäne sahen sich verwirrt an, begannen zu lächeln, platzten laut lachend heraus.

Samos war wirklich ein kluger Mann. Die Fassade der Großzügigkeit war wirklich ein wertvolles Gut für eine maritime Stadt. Man mochte Port Kar anderweitig mit größerem Vertrauen begegnen, nachdem die Machtergreifung des Rats nun die Möglichkeit eröffnete, die Stadt zu reformieren. Welch bessere Geste war da vorstellbar als eine Friedensmission gegenüber den Erzfeinden Cos und Tyros? Wenn die Fortsetzung des Kriegs eindeutig zu ihren Lasten ging, war es vielleicht möglich, daß sich Verbündete von den beiden Insel-Ubaraten zurückzogen und sich Port Kar zuwandten. Und die Wirkung auf die neutralen Häfen und Städte konnte nur vorteilhaft sein. Zumindest mochten Schiffe aus Port Kar plötzlich Zugang zu Häfen erhalten, die ihnen bisher verschlossen gewesen waren.

»Was ist aber, wenn das Friedensangebot angenommen wird?« fragte ich. Mehrere Kapitäne lachten.

Samos runzelte die Stirn, und seine grauen Augen starrten mich an. »Dann ist es eben angenommen«, sagte er.

»Und«, fragte ich, »halten wir uns dann an die Annahme? Wäre dann wirklich Frieden zwischen Port Kar einerseits und Cos und Tyros andererseits?«

»Das ließe sich immer noch bei einer künftigen Ratsversammlung besprechen«, sagte Samos lächelnd.

Brüllendes Gelächter.

»Die Gelegenheit ist günstig«, fuhr Samos fort, »Cos und Tyros den Frieden anzubieten. Erstens ist der Rat dieser Stadt neu an die Macht gekommen. Zweitens habe ich von Spionen erfahren, daß in dieser Woche der Ubar von Tyros auf Cos erwartet wird.«

Die Kapitäne murmelten ärgerlich. Es war kein gutes Zeichen für Port Kar, wenn der Ubar von Tyros einen Besuch in Cos machte. Vielleicht waren die beiden Insel-Ubarate wirklich in eine Verschwörung gegen Port Kar verwickelt.

»Dann planen sie sicherlich, ihre Flotten gegen uns zu schicken«, sagte einer der Kapitäne.

»Vielleicht könnten das die Mitglieder einer Friedensmission in Erfahrung bringen.«

»Was ist mit unseren Spionen«, fragte ich, »die so gut unterrichtet scheinen? Wenn sie die Reisepläne des Ubar von Tyros herausfinden können, dürfte ihnen die Zusammenziehung einer großen Flotte doch erst recht nicht entgehen.«

Samos’ Hand hatte sich unwillkürlich dem Schwertgriff genähert. »Du sprichst etwas zu fix für einen, der im Rat der Kapitäne neu ist.«

»Offenbar fixer als du zu antworten gewillt bist, nobler Kapitän«, antwortete ich kühl.

Ich fragte mich, welches Interesse Samos an Cos und Tyros haben mochte.

»Die Flotten von Cos und Tyros«, sagte er, »haben sich noch nicht versammelt.«

Ich nickte langsam. Wenn er das gewußt hatte, warum hatte er es nicht schon früher ausgesprochen?

»Ich habe weniger Interesse an Beutezügen als manche meiner Kollegen«, sagte ich. »Da meine Arbeit im wesentlichen den Handel betrifft, würde ich persönlich den Frieden mit Cos und Tyros überaus willkommen heißen. Es will auch mir nicht undenkbar erscheinen, daß diese beiden Mächte des Krieges überdrüssig sind, wie es Samos hier zum Ausdruck bringt. Wenn das stimmt, wird unser Friedensangebot vielleicht sogar tatsächlich angenommen. Ein solcher Frieden – glaube ich – würde uns die Häfen von Tyros und Cos öffnen, ebenso wie die ihrer Verbündeten. Ein solcher Friede, meine Herren Kapitäne, könnte sehr gewinnträchtig sein.« Ich blickte Samos an. »Wenn ein Friedensangebot ausgesprochen wird, so würde ich hoffen, daß es ehrlich gemeint ist.«

Samos musterte mich starr. »Es ist ehrlich gemeint«, sagte er.

Die Kapitäne murmelten. Ich war verblüfft.

»Bosk«, sagte Samos laut, »weiß die Vorteile des Friedens darzustellen. Bedenken wir seine Worte wohl. Ich glaube, es gibt hier nur wenige, denen Gold nicht mehr bedeutet als Blut. Wenn Friede geschlossen würde, wer von euch hielte ihn nicht?«

Er blickte von Mann zu Mann. Zu meiner Überraschung waren alle bereit, den Frieden einzuhalten, sollte er vereinbart werden.

Zum erstenmal wollte mir scheinen, als gäbe es wirklich eine Friedenschance für die wichtigsten Ubarate am schimmernden Thassa.

Plötzlich glaubte ich Samos. Ich sah zu ihm hinüber, versuchte mir über ihn klar zu werden. Er war ein seltsamer Mann. Ich verstand ihn nicht.

»Natürlich wird unser Friedensangebot abgelehnt«, sagte Samos. Die Kapitäne grinsten, und mir wurde bewußt, daß ich mich in Port Kar befand.

»Wir brauchen einen Mann, der unser Angebot nach Cos überbringt, wo er jetzt die Ubars von Cos und Tyros antrifft.«

Ich hörte kaum noch zu.

»Es müßte sich um einen Mann handeln, der im Rang eines Ratsmitglieds steht, der bewiesen hat, daß er zu handeln versteht, und der dem Rat schon zu Diensten gewesen ist, kurz: ein Mann, der zu sprechen weiß und ein würdiger Vertreter Port Kars ist.«

Ich war müde; der Tag war längst angebrochen.

»Außerdem sollte der Betreffende in Cos und Tyros nicht allzu gut bekannt sein, jemand, der die Machthaber dort noch nicht verärgert hat oder ihr Blutsfeind geworden ist.«

Plötzlich fuhr ich auf und lächelte. Samos war kein Narr. Er war Seniorkapitän des Rats. Er hatte mich aufs Korn genommen und würde mich nicht mehr loslassen.

»Und ein solcher Mann«, fuhr Samos fort, »ist Bosk – der aus den Sümpfen kam. Erwählen wir ihn zu dem Mann, der im Namen des Rats Cos und Tyros den Frieden anbietet!«

Ich freute mich über das Schweigen, das nun eintrat. Ich hatte mir bis dahin nicht klar gemacht, welche Wertschätzung ich im Kreise der anderen Kapitäne genoß.

Antisthenes ergriff als erster das Wort. »Ich meine nicht, daß wir einen Kapitän schicken sollten«, sagte er. »Das käme einer Verurteilung auf die Galeerenbänke von Cos gleich. Außerdem bin ich der Meinung, wir sollten einen Mann entsenden, der nicht die Schnüre dieser Stadt trägt.«

Ich lächelte. »Es ist natürlich eine große Ehre für mich, daß der noble Samos mich für diese Aufgabe benennt, der ich doch wahrlich der geringste unter den anwesenden Kapitänen bin.«

Die Männer sahen sich grinsend an.

»Dann lehnst du also ab?« fragte Samos.

»Es will mir allerdings scheinen, daß eine so entscheidende Rolle einem Würdigeren zufallen sollte, niemandem anders als dem höchsten unter uns, der mit den Ubars von Cos und Tyros auf gleichem Fuße verhandeln könnte – Samos!«

»Ich bin dankbar für deine Nominierung«, sagte Samos in das Gelächter der anderen hinein, »aber ich glaube nicht, daß es dem Seniorkapitän des Rats in diesen unruhigen Zeiten ansteht, die Stadt zu verlassen, auch wenn es um eine Friedensmission geht. Dazu ist die Lage zu Hause noch viel zu unsicher.«

»Stimmt«, sagte ein Kapitän.

»Dann lehnst du also ab?« fragte ich Samos.

»Ja«, erwiderte Samos. »Ich lehne ab.«

Ich fuhr fort: »Ich meine trotzdem, daß ein Kapitän unsere Interessen am besten vertreten und am ehesten von der Ernsthaftigkeit unserer Absichten überzeugen könnte – wenn nicht Cos und Tyros, so doch wenigstens ihre Verbündeten und die neutralen Häfen und Städte an der Küste des schimmernden Thassa.«

»Aber wer von uns soll fahren?« fragte Bejar.

Als das Gelächter erstorben war, sagte ich: »Ich, Bosk, könnte fahren.«

»Hast du den Antrag nicht abgelehnt?« fragte Samos.

»Nein«, erwiderte ich. »Ich habe nur vorgeschlagen, daß ein Würdigerer als ich sich dieser schweren Aufgabe annimmt.«

»Was ist dein Preis?« fragte Samos.

»Eine Galeere«, sagte ich, »ein Rammschiff der großen Klasse.«

Ich besaß kein solches Schiff.

»Es soll dir gehören«, sagte Samos.

»… wenn du zurückkommst, um es zu beanspruchen«, murmelte ein Kapitän.

»Fahre nicht, Bosk«, sagte Antisthenes.

Ich hatte bereits einen Plan – sonst hätte ich mich nicht zur Verfügung gestellt. Die Chance eines Friedens auf dem Meer war verlockend. Cos und Tyros sind wichtige Märkte, ganz zu schweigen von ihren Verbündeten. Und selbst wenn meine Mission fehlschlug, gewann ich eine große Galeere für meine Flotte. Natürlich war die Sache riskant, doch ich hatte die Gefahr kalkuliert. Ich würde nicht unvorbereitet nach Cos und Tyros reisen.

»Und«, fuhr ich fort, »als Eskorte verlange ich fünf Rammschiffe aus dem Arsenal, mittlere oder schwere Klasse, deren Mannschaften und Kapitäne von mir bestimmt werden sollen.«

»Diese Schiffe werden nach Beendigung deiner Mission dem Arsenal zurückgegeben?« fragte Samos.

»Natürlich.«

»Einverstanden«, sagte der erste Sklavenhändler der Stadt.

Wir sahen uns an. Ich fragte mich, ob Samos mich auf diese Weise leicht loszuwerden hoffte – einen Mann, der ihm seinen Posten als Seniorkapitän im Rat von Port Kar streitig machen konnte. Ja, sagte ich mir, er glaubt, er wird mich so los.

»Fahre nicht, Bosk«, sagte Antisthenes noch einmal.

Ich stand auf. »Deine Sorge ehrt mich, Antisthenes«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Dann reckte ich mich. »Macht ohne mich weiter. Ich gehe nach Hause. Die Nacht war lang, und ich bin müde.«

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