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Ich nahm meinen Platz im Rat der Kapitäne von Port Kar ein.

Das Ende der ersten Wartenden Hand war nahe, die Periode nach En’Kara, dem Monat der Frühling-Tagund-Nachtgleiche und des Jahreswechsels. In den Chroniken von Ar schrieben wir nun das Jahr 10.120. Ich lebte seit sieben goreanischen Monaten in Port Kar.

Niemand hatte mein Anrecht auf Surbus’ Platz in Zweifel gezogen. Seine Männer hatten sich meinem Kommando unterstellt.

So saß nun ich, der ich einmal Tarl Cabot gewesen war, ein Krieger Ko-ro-bas, im Rate dieser Kapitäne, der Handels- und Piratenführer, der hohen Oligarchen des schmutzigen, bösen Port Kar, der Geißel des Thassa. Tatsächlich ruhte in diesem Rat die Stabilität und Autorität der Stadt.

Formell standen fünf Ubars über uns, von denen jeder die Macht des anderen nicht anerkannte. Chung, Eteocles, Nigel, Sullius Maximus und Henrius Sevarius V.

Die Ubars waren im Rat vertreten, dem sie in ihrer Eigenschaft als Kapitäne ohnehin angehörten, und zwar durch fünf leere Thronsessel vor dem Halbkreis der Sitze, auf denen die Kapitäne Platz nahmen. Neben jedem leeren Thron verfolgte ein Schriftgelehrter die Ratsversammlungen und ergriff für seinen jeweiligen Herrn das Wort. Die Ubars selbst blieben den Zusammenkünften fern, wie sie sich aus Angst vor Attentaten überhaupt selten in der Öffentlichkeit zeigten.

Ein Schreiber, der an einem großen Tisch vor den fünf Thronsesseln saß, verlas mit monotoner Stimme die Aufzeichnung der letzten Ratsversammlung.

Gewöhnlich besteht der Rat aus etwa einhundertundzwanzig Kapitänen, manchmal mehr, manchmal weniger.

Ein Kapitän gehört automatisch dem Rat an, wenn er mindestens fünf Schiffe besitzt. Surbus war kein besonders wichtiger Kapitän gewesen, doch er hatte einer Flotte von sieben, später neun Schiffen vorgestanden. Diese Schiffe dürfen, um für die Ratsmitgliedschaft gezählt zu werden, entweder zu den Rundschiffen gehören, Einheiten mit großen Laderäumen, oder zu den Langschiffen, den Rammschiffen, die für die Kriegsführung bestimmt sind. Beide Gattungen werden hauptsächlich gerudert, doch die Rundschiffe haben eine feste Takelung und größere Segel, die im allgemeinen von zwei Masten getragen werden. Ein Rundschiff ist natürlich nicht rund, doch hat es im Verhältnis zur Kiellänge eine größere Breite, etwa im Verhältnis eins zu sechs, während diese Zahlen bei den Kriegsgaleeren eins zu acht betragen.

Die fünf Schiffe, das mag noch gesagt sein, müssen natürlich mindestens der mittleren Größenklasse angehören. Bei einem Rundschiff bedeutet das, daß es nach irdischen Verhältnissen eine Fracht von etwa hundert bis hundertundfünfzig Tonnen befördern müßte, und zwar unter Deck. Ich habe diese Zahl nach der Last, einer goreanischen Gewichtseinheit berechnet, die auf dem Stein beruht, etwa zwei irdischen Kilo. Eine Last wiegt zehn Stein. Ein Rundschiff der mittleren Größenklasse müßte also zwischen 5000 und 7000 goreanische Lasten tragen können. Die Last und der Stein sind einheitliche Gewichtsmaße für ganz Gor – nach den Handelsgesetzen, den einzigen Gesetzen, die überall zwischen den Städten angewandt werden. Der offizielle »Stein«, ein Metallzylinder, wird übrigens in der Nähe des Sardargebirges aufbewahrt. Viermal im Jahr wird er anläßlich der großen Jahrmärkte hervorgeholt, um Händlern aus allen Landstrichen Gelegenheit zu geben, ihre eigenen Eichgewichte am Standard-»Stein« zu prüfen.

Aber nicht nur Surbus’ Schiffe waren mein Eigentum geworden, nachdem seine Männer sich mir unterworfen hatten, sondern auch seine sonstigen Güter, seine Waren, Schätze, Grundstücke, Häuser – und seine Sklaven. Sein Anwesen war ein befestigter Palast. Er lag am Ostrand von Port Kar und grenzte mit der Rückseite an den Sumpf. Ein gewaltiges beschlagenes Tor führte in ein privates Hafenbecken, in dem seine sieben Schiffe lagen. Sie hatten über die Kanäle der Stadt direkten Zugang zum Meer.

Es war eine wehrhafte Anlage, auf einer Seite durch den Sumpf geschützt, auf den anderen durch Mauern, das Tor und die Kanäle. Als Clitus, Thurnock und ich mit unseren Sklavinnen nach Port Kar kamen, hatte unser Quartier nicht weit von diesem Anwesen gelegen.

Die Stimme des Schreibers tönte weiter, er verlas die Aufzeichnungen der letzten Zusammenkunft.

Ich sah mich um, betrachtete den Halbkreis von Holzsitzen und die fünf Thronsessel. Obwohl der Rat aus etwa hundertundzwanzig Kapitänen bestand, waren nur selten mehr als siebzig oder achtzig anwesend – und die meist durch Vertreter. Viele waren auf See, und manche hielten es für besser, ihre Zeit mit anderen Dingen zu verbringen.

Auf einem Sessel unter mir, etwa fünfzehn Meter entfernt, saß ein Offizier, den ich kannte. Er war der Mann, der die Renceinseln überfallen hatte; ich erkannte ihn an seinem Helm mit den beiden Goldstreifen. Henrak, der die Rencebauern verraten hatte, war mir in Port Kar noch nicht über den Weg gelaufen. Ich wußte nicht, ob er noch lebte.

Ich lächelte vor mich hin, als ich das bärtige, düstere Gesicht des Offiziers betrachtete und die langen Haare, die er mit einer roten Schnur im Nacken zusammengebunden hatte. Er hieß Lysius.

Er war erst seit vier Monaten Kapitän – seit er das fünfte Schiff mittlerer Größenklasse erworben hatte.

Er war inzwischen in Port Kar ziemlich gut bekannt, hatte er doch sechs Barken mitsamt Sklaven und Ladung verloren und den größten Teil seiner Mannschaft. Es wurde berichtet, er sei von mehr als tausend Rencebauern angegriffen worden, die sich der Hilfe von fünfhundert Söldnern versichert hätten, ausgebildeten Kriegern, und man sei knapp mit dem Leben davongekommen. Den letzten Teil dieses Berichtes hielt ich durchaus für zutreffend. Trotz der Lügengeschichte gab es viele, die hinter Lysius’ Rücken lächelten und daran dachten, wie er siegessicher in die Sümpfe gezogen und mit einer Handvoll entsetzter Männer und einem schmalen Holzboot zurückgekehrt war.

Obwohl an seinem Helm noch die beiden Goldstreifen blitzten, trug er nun auch ein Büschel Sleenhaar, wie es nur den Kapitänen des Rates gestattet ist. Er hatte sein fünftes Schiff als Geschenk des Ubar Henrius Sevarius erhalten. Henrius war angeblich noch ein kleiner Junge, und sein Ubarat wurde von seinem Regenten Claudius verwaltet, der aus Tyros stammte. Lysius war jahrelang Kunde des Hauses Sevarius gewesen, ein Zeitraum, der mit der Herrschaft Claudius’ zusammenfiel, der nach der Ermordung Henrius Sevarius IV. an die Macht gekommen war. Viele Kapitäne waren Kunden dieses oder jenes Ubar.

Ich selbst lehnte solche Beziehungen ab. Ich glaubte, ohne die Macht eines Ubar auszukommen; ich wollte ihnen nicht verpflichtet sein.

Ich bemerkte, daß Lysius mich anstarrte. Er schien verwirrt zu sein.

Vielleicht hatte er mich in jener Nacht bei den Rencebauern gesehen – doch er wußte nicht, woher er mich kannte. Er wandte den Kopf.

Ich hatte mich in Port Kar inzwischen eingelebt.

Meinen Dienst für die Priesterkönige hatte ich aufgegeben. Sollten sie doch andere finden, die ihre Kämpfe austrugen und das Leben für sie riskierten. Ich wollte jetzt nur noch für mich selbst kämpfen. Zum erstenmal in meinem Leben war ich reich. Und Macht und Reichtum waren mir nicht zuwider, das hatte ich inzwischen festgestellt.

Wenn ich auch in diesen Tagen mich selbst nur wenig achtete, so fand ich doch etwas, das ich respektieren konnte, das ich sogar liebte – das Meer.

Als der junge Tab, der nach Surbus das Kommando geführt hatte, meine Befehle erbat, hatte ich gesagt: »Ich möchte das Meer kennenlernen.«

Ich hatte in Port Kar meine eigene Flagge aufgezogen, denn die Stadt selbst besitzt kein einheitliches Banner. Es gibt die Fahnenzeichen der Ubars und die vielen Flaggen der Kapitäne. Mein Zeichen enthielt einen Boskkopf vor einem Hintergrund aus senkrechten grünen Stäben auf weißem Grund. Die grünen Stäbe sollten dabei das Rence des Sumpfes darstellen – die Flagge des Kapitäns Bosk, der aus den Sümpfen kam.

Zu meiner Freude hatte ich festgestellt, daß das Mädchen Luma, das ich vor der Wut Surbus’ gerettet hatte, als Schriftgelehrte ausgebildet war. Sie stammte aus Tor.

»Kannst du Bücher führen?« hatte ich sie gefragt.

»Ja, Herr.«

So hatte ich sie zum Ersten Schriftgelehrten und Buchhalter meines Hauses ernannt.

Jeden Abend kniete sie in der großen Halle vor meinem Sessel und gab mir einen Überblick über die Geschäfte des Tages, Berichte über die Entwicklung verschiedener Investitionen und Unternehmungen, und sie machte oft wertvolle Vorschläge.

Das schlichte, hagere Mädchen hatte eine vorzügliche Begabung zur Leitung der komplizierten Geschäfte eines großen Handelshauses.

Einigen freien Männern im Hause, besonders den Schriftgelehrten, gefiel es natürlich nicht, das Mädchen in einer solchen Machtposition zu sehen, so daß ich auf die äußeren Zeichen ihres Sklaventums nicht verzichten konnte. Daß sie mir unterwürfig kniend Bericht erstattete, beruhigte die anderen etwas. Aber sie blieben auf der Hut, denn Lumas scharfem Blick und schneller Auffassungsgabe blieb wenig verborgen.

Während ich Midice mit kostbarer Kleidung und Schmuck verwöhnte, hielt ich Telima weiterhin als Küchensklavin. Auf meine Anweisung wurden ihr die anstrengendsten Arbeiten des Hauses übertragen, und abends mußte sie an unserem Tisch bedienen.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit nun wieder der Versammlung der Kapitäne zu.

Ein Seemann, der angeblich von Cos geflohen war, berichtete von Vorbereitungen, eine große Flotte zusammenzustellen und gegen Port Kar zu führen – eine Flotte, die durch die Streitkräfte von Tyros noch verstärkt werden sollte.

Dieser Bericht stieß nur auf geringes Interesse. Cos und Tyros, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig bekriegten, stießen ständig Drohungen aus, sie würden Port Kar angreifen. Diese Drohung war im Laufe der Jahre immer wieder geäußert worden – doch schon seit über hundert Jahren hatten die vereinten Flotten von Cos und Tyros die Stadt nicht mehr belagert, und damals waren sie von einem ungeheuren Sturm zerstreut worden.

Nun wandten wir uns wichtigeren Dingen zu – der Notwendigkeit weiterer überdachter Docks im Arsenal, in denen zusätzliche Galeeren für die Kornflotte kalfatert werden konnten – sonst war es unmöglich, vor der sechsten Wartenden Hand hundert Schiffe für die Reise in den Norden bereitzustellen.

Es ist vielleicht interessant festzuhalten, welche Flottenstärke Port Kar erreicht – in Schiffen mittlerer Größenklasse oder größer:

Die fünf Ubars Port Kars – Chung, Eteocles, Nigel, Sullius Maximus und Henrius Sevarius – verfügen zusammen über etwa vierhundert Schiffe. Die hundertundzwanzig Kapitäne des Rats besitzen zusammen an die tausend Schiffe und kontrollieren im übrigen weitere tausend Schiffe als Reeder, durch den Rat – zu diesen Schiffen gehören die Kornflotte, die Ölflotte, die Sklavenflotte und andere, ebenso wie viele Patrouillen- und Begleitschiffe. Darüber hinaus gibt es in der Stadt etwa zweitausendfünfhundert Schiffe, die rund sechzehnhundert kleinen Kapitänen gehören; sie sind nicht reich genug, um dem Rat der Kapitäne anzugehören. Somit kommen wir – rund gerechnet – auf eine Gesamtflotte von fünftausend Schiffen für Port Kar. Nur annähernd fünfzehnhundert davon gehören zur Klasse der Langschiffe, die besonders als Kriegsschiffe geeignet sind. Die Rundschiffe sind nicht mit Rammen versehen und lassen sich auch viel schwerer manövrieren, sind jedoch bei einer Seeschlacht nicht ohne Bedeutung, denn ihre Decksflächen und Aufbauten können Schleudern, Torsionsgeschütze und Wurfapparate beherbergen, ganz zu schweigen von Truppen. Ein Kriegsschiff, das sich für den Kampf rüstet, legt übrigens seinen Mast um und bringt das Segel unter Deck, Reling und Deck werden mit nassen Fellen bedeckt.

Es wurde einstimmig beschlossen, ein weiteres Dutzend überdachte Docks zu schaffen, damit die Kornflotte rechtzeitig fertig wurde.

Das nächste Thema betraf einen Streit zwischen den Segelmachern und den Seilern, die bei der Meeresprozession den Vortritt haben wollten. Dieser Marsch findet jährlich am ersten En’Kara, am goreanischen Neujahrstag, statt. In diesem Jahr hatte es einen Aufstand gegeben, so daß beschlossen wurde, die beiden Gruppen sollten künftig nebeneinander schreiten. Ich nahm nicht an, daß das Problem damit gelöst war.

Mir wollte die Meldung des Seemanns nicht aus dem Kopf, daß Cos und Tyros eine Flotte gegen Port Kar ausrüsteten – doch ich versuchte mich auf die Versammlung zu konzentrieren.

Als nächstes ging es um die Forderung der Flaschenzugmacher nach mehr Lohn. Ich stimmte dafür, doch der Antrag kam nicht durch.

Alle Handwerker im Arsenal sind freie Männer. Die Bürger von Port Kar erlauben wohl, daß Sklaven Häuser und Mauern bauen, doch an ihre Schiffe lassen sie sie nicht heran. Der Lohn eines Segelmachers beträgt übrigens vier kupferne Tarnmünzen am Tag, während ein guter Schiffsbauer, vom Rat der Kapitäne angestellt, täglich bis zu einer goldenen Tarnmünze verdienen kann. Der durchschnittliche Arbeitstag beträgt zehn Ahn, oder zwölf irdische Stunden. Die tatsächliche Arbeitszeit ist aber weitaus geringer, da viele Pausen eingelegt werden und der freie Goreaner sich nicht zu ungebührlicher Hast antreiben läßt. Es kommt natürlich manchmal auch zu Entlassungen, aber Arbeit ist gewöhnlich reichlich vorhanden. Die verschiedenen Handwerkergruppen, etwa die der Segelmacher, sind in Zünften organisiert und erheben Mitgliedsbeiträge, die der Unterstützung von Verletzten und ihren Familien, für Kredite, Arbeitslosenzahlungen und Pensionen dienen. Zuweilen treten diese Organisationen auch als Verhandlungspartner gegenüber dem Arsenal auf. Der Rat der Kapitäne respektiert die Männer, die ihre Schiffe bauen und ausstatten, andererseits sind die Löhne so gering, daß die Organisation selten die Mittel hat, einen langen Streik durchzuhalten; das Arsenal kann sich in Geduld fassen und den Bau eines Schiffes verzögern, während die Arbeiter täglich essen müssen. Außerdem betrachten sich die Männer des Arsenals als etwas Besonderes und würden sich ungern von ihrer Arbeit trennen – trotz ihrer gelegentlichen Drohungen, die Arbeit niederzulegen. Der Bau schöner und guter Schiffe macht ihnen Spaß.

Darüber hinaus sollte vermerkt werden, daß die goreanische Gesellschaft im allgemeinen der Tradition verhaftet ist und daß die Weisheit der Vorväter selten angezweifelt wird; in einer solchen Gemeinschaft haben die einzelnen gewöhnlich eine anspruchslose Einstellung, es ist ihnen wichtig, einen Ort zu haben, an dem sie sich zu Hause fühlen; sie erliegen weniger den sozialen Verwirrungen einer Gesellschaft, deren Mitglieder zu größerer Beweglichkeit und zum Prestigedenken angehalten werden. Eine Gesellschaft, in der von jedem Erfolg erwartet wird, mit Bedingungen, unter denen die meisten versagen müssen, wäre den Goreanern unverständlich und unvorstellbar. Die Arbeiter des Arsenals sind – solange sie ausreichend bezahlt werden, so daß sie einigermaßen ihr Auskommen haben – mehr an ihrer Arbeit interessiert als an Versuchen, ihren wirtschaftlichen Status ständig zu verbessern. Dies soll nicht heißen, daß sie etwas gegen das Reichsein hätten; ich will nur andeuten, daß ihr vordringliches Motiv nicht das Erstreben von materiellen Dingen ist. Natürlich wird diese Grundhaltung vom Rat der Kapitäne begrüßt, denn sonst ließe sich das Arsenal nicht so wirtschaftlich betreiben. Ich erlaube mir kein Urteil über diese Dinge, sondern berichte sie nur, wie sie sind.

Warum, so fragte ich mich zum wiederholten Male, dachten Cos und Tyros daran, ihre Flotten gegen Port Kar zu führen? Was hatte sich verändert? Aber dann rief ich mir ins Gedächtnis zurück, daß es sich nur um ein Gerücht handelte.

Lautstark forderte jetzt ein Mann Gehör vor dem Rat – es war der verrückte, halbblinde Schiffsbauer Tersites, der eine Rolle mit Zeichnungen in der Hand trug. Auf ein Wort des Schreibers am langen Tisch vor den Thronsesseln wurde der Mann aus dem Saal gezerrt.

Schon einmal hatte man ihm gestattet, dem Rat seine Pläne vorzutragen, doch sie waren zu fantastisch gewesen, um ernst genommen zu werden. Er hatte es gewagt, eine Neugestaltung des traditionellen Tarnschiffs vorzuschlagen. Er hatte den Kiel vertiefen und einen Vormast hinzufügen wollen, er gedachte den Antrieb auf Großruder umzustellen, für die jeweils mehrere Ruderer zuständig waren, und er wollte den Rammsporn über die Wasserlinie heben.

Ich hätte gern Tersites’ Argumente für diese Veränderungen gehört, doch ehe es dazu kam, wurde er unter Pfiffen und Rufen aus dem Saal geschleift.

Man hatte Tersites vor dem Rat das Wort erteilt, weil er einmal ein fähiger Schiffsbauer gewesen war. Tatsächlich trugen die Galeeren der Stadt Scherklingen, die Tersites erfunden hatte. Dabei handelte es sich um riesige Halbmonde aus Stahl, die vor den Rudern in der Schiffswandung verankert waren. Zu den geläufigsten Seestrategien neben dem Rammen gehört das Abscheren von Rudern. Ein Schiff, dessen Ruder plötzlich eingeholt werden, gleitet an der Bordwand des Gegners entlang, der die Ruder noch draußen hat, und bricht sie dabei ab. Die so beschädigte Galeere ist dadurch in ihrer Manövrierfähigkeit schwer eingeschränkt und dem anderen Schiff zumeist hilflos ausgeliefert, das unter schrillem Flötenklang herumschwingt und seinen Rammstoß mittschiffs ansetzt. Auch die Galeeren von Cos und Tyros wurden neuerdings mit solchen Klingen ausgerüstet. Tersites war bei anderer Gelegenheit auch für ein mittleres Heckruder eingetreten, anstatt der jetzt üblichen Seitenruder, auch hatte er ein viereckiges Segel vorgeschlagen, im Gegensatz zu den dreieckigen Segeln, die auf Thassa üblich sind.

Tersites war vor fünf Jahren aus dem Arsenal verbannt worden. Daraufhin hatte er seine Ideen auch in Cos und Tyros vorgetragen, wo man ihm ebenfalls nur mit Verachtung begegnet war. Danach war er ohne Mittel nach Port Kar zurückgekehrt und lebte nun, wie es hieß, von den Abfällen der Kanäle. Die kleine Zuwendung der Schiffsbauerzunft brachte er in den Pagatavernen der Stadt durch. Ich schlug mir Tersites aus dem Kopf.

In den Monaten, die ich nun in Port Kar lebte, hatte ich insgesamt fünf Reisen gemacht, von denen vier kommerzieller Natur gewesen waren. Ich hatte keine Auseinandersetzungen mit anderen Kapitänen. Wie der Bosk suchte ich keinen Streit, sondern beschränkte mich darauf, meinen Besitz zu schützen. Meine vier Reisen hatten neutralen Inseln gegolten, die als Freihäfen für Kaufleute galten. Es gab davon mehrere, doch die bekanntesten waren Teletus, Tabot weiter südlich und im Norden Scagnar. Farnacium, Hulneth und Asperiche gehörten ebenfalls zu den Oasen des Handels. Inseln dieser Art ermöglichen den Handel mit Cos und Tyros und dem Festland mit seinen Städten wie Ko-ro-ba, Thentis, Tor, Ar, Thuria und vielen anderen.

Meine Fracht auf diesen Reisen war unterschiedlich. Wegen der Kosten wählte ich zu Anfang noch keine kostbaren Ladungen – keine Edelmetalle oder Juwelen, keine Teppiche oder Wandbehänge oder Arzneien, Seide, Öle, Parfums oder Preissklaven, auch nicht Gewürze oder Kanister mit farbigem Tafelsalz. Auf meinen ersten Reisen gab ich mich mit Werkzeugen und Steinladungen zufrieden, mit Trockenfrüchten, eingelagerten Fischen, Reptuch, Temholz, Turholz und Ka-la-na-Vorräten, dazu Horn und Felle. Einmal beförderte ich auch eine Ladung Sklaven und ein anderes Mal Felle des Meeressleen aus dem Norden – eine Fracht, die bis dahin meine kostbarste war. Ich vermochte meine Waren jeweils mit erheblichem Profit zu verkaufen. Zweimal wurden wir von Piraten aus Tyros aufgespürt, deren Schiffe grün angestrichen waren, damit sie wie das Meer aussahen – doch keiner der Piraten kam uns näher. Wahrscheinlich sahen sie, wie tief wir im Wasser lagen, und schlossen daraus, daß wir eine wenig gewinnträchtige Fracht führten. Eine Ladung Holz oder Gestein ist kaum das Risiko eines Überfalls wert.

Meine Männer waren hauptsächlich Piraten und Halsabschneider. Zweifellos legten nur wenige auf ehrliche Handelsfahrten wert und hätten lieber auf dem Meer nach guter Beute gelauert. Aber die beiden Seeleute, die mich herausforderten, erledigte ich nach wenigen Schwerthieben, so daß die anderen ihre Anwandlungen von Unlust auf die Tavernen beschränkten. Wer seinen Dienst bei mir nicht fortsetzen wollte, durfte gehen und bekam sogar noch eine halbe Last Gold mit auf den Weg. Überraschenderweise wählten nur wenige diesen Weg – wahrscheinlich spielte dabei auch der Stolz mit, einem Mann zu dienen, der nach dem Kampf mit Surbus als einer der besten Schwertkämpfer der Stadt galt.

Ich versuchte, meine Mannschaft fair zu behandeln. Während sie sich an Land wild und ungezügelt benahmen, herrschte an Bord eine gute Disziplin. Natürlich bezahlte ich sie gut und sorgte auch dafür, daß ihre Landaufenthalte angenehm verliefen.

Die fünfte Reise, die ich unternahm, sollte meine Neugier befriedigen; ich hatte sie in einer schnellen Galeere zurückgelegt – ich wollte Tyros und Cos sehen.

Beide liegen etwa vierhundert Pasang westlich von Port Kar, Tyros im Süden von Cos, etwa hundert Pasang entfernt. Tyros ist eine felsige, bergige Insel, während Cos westlich seiner Gebirge weite Ebenen besitzt, auf deren Terrassen der Ta-Wein wächst.

Während ich meine fünf Reisen unternahm, waren meine anderen sechs Schiffe auf Handelsmissionen unterwegs. Ich kehrte selten nach Port Kar zurück, ohne daß mein Vermögen in meiner Abwesenheit weiter zugenommen hatte. Ich hatte bisher nur die fünf Reisen gemacht und mich in den vorausgegangenen beiden Monaten in meinem Anwesen mit geschäftlichen und organisatorischen Fragen beschäftigt, mit der Planung und Vorbereitung anderer Reisen. Aber ich rechnete damit, daß ich bald auf das Thassa zurückkehren würde, das – wie es heißt – jedem Menschen unvergeßlich ist.

Ich hatte inzwischen auch einige Neuerungen eingeführt. Ich verwendete auf meinen vier Rundschiffen freie Männer als Ruderer, nicht Sklaven, wie es sonst in Port Kar üblich ist. Das Kampfschiff, das Langschiff, wird meines Wissens in Port Kar, Tyros oder Cos ohnehin nicht von Sklaven gerudert; in ihm sitzen stets freie Männer. Die Galeerensklaven, die mir der Freiheit wert erschienen, setzte ich frei und stellte dabei fest, daß viele freiwillig bei mir bleiben wollten und mich als ihren Kapitän anerkannten. Männer die ich aus diesem oder jenem Grunde nicht freilassen wollte, verkaufte ich an andere Kapitäne oder tauschte sie gegen Sklaven ein, denen ich die Freiheit geben konnte. Lücken, die auf meinen Bänken entstanden, wurden auf diese Weise schnell gefüllt. Ich kaufte einen starken Mann auf dem Sklavenkai und ließ ihn wortlos frei. Unweigerlich folgte er mir zu meinem Haus und bat, in meine Dienste treten zu dürfen. Freie Männer leisteten nicht nur bessere Dienste am Ruder, viele ergriffen außerdem die Gelegenheit, sich an den Waffen ausbilden zu lassen, und ich stellte tüchtige Waffenmeister für den Unterricht ein. So wurden die Rundschiffe von Bosk, dem Kapitän aus den Sümpfen, zu gefährlichen, stets kampfbereiten Einheiten. Andere Kaufleute aus Port Kar wandten sich deshalb an mich und baten um den Transport ihrer Waren auf meinen Schiffen. Ich zog es jedoch vor, meine Frachten selbst zu kaufen und zu veräußern. Darauf begannen auch andere Kapitäne mit freien Mannschaften zu experimentieren.

Meine Aufmerksamkeit galt wieder der Ratsversammlung, die gerade einen Antrag auf eine neue Holzschonung behandelte. Zur Belieferung seines Arsenals unterhielt Port Kar mehrere solcher Schonungen in den nördlichen Wäldern. Sie sind von Gräben umgeben, um Vieh und unlizensierte Fuhrleute fernzuhalten. Wächter werden eingestellt, die die Wälder bewachen, sie vor illegalem Schlag schützen, dazu Inspektoren, die jedes Jahr die Bäume schätzen und zählen. Die Wächter sind auch für die Baumpflege, für das notwendige Ausdünnen und Umpflanzen zuständig, für das Trimmen der Bäume und für den Unterhalt der Schutzgräben. Sie sind ebenso verantwortlich für das Biegen und Befestigen von Jungbäumen, die in bestimmten Formen wachsen sollen, gewöhnlich für Bugspriet und Reling. Einzelne Bäume, die außerhalb der Schonungen von Port Kar beansprucht werden, erhalten das Siegel des Arsenals. Die Lage dieser Bäume ist in einem Buch festgehalten. Die Schonungen liegen gewöhnlich in der Nähe von Flüssen, damit gefällte Bäume leichter zum Meer gebracht werden können. Bäume werden außerdem von den Waldbewohnern erworben, die das Fällen im Winter besorgen und die Stämme auf Schlitten zum Meer schaffen. Hat es in einem Winter nur wenig Schnee gegeben, steigt der Holzpreis oft an. Port Kar ist übrigens völlig abhängig von den Holzlieferungen aus dem Norden. Turholz findet bei Galeerenwandungen Verwendung und für Relingstangen und Pfosten, das Ka-la-na wird zur Gangspills und Mastkörben verarbeitet; Temholz als Ruder und Steuerruder und die Nadelbäume für Masten und Spieren, Kabinen und Deckplanken.

Der Antrag passierte den Rat.

Wieder kam der Gedanke an Tyros und Cos in mir auf, doch ich unterdrückte meine Besorgnis. Ich hatte jetzt die Mittel, zwei weitere Schiffe für meine Flotte zu erwerben, zwei große Rundschiffe mit großen Laderäumen. Ich hatte bereits Mannschaften ausgewählt und einige Reisen vorbereitet. Jedes Schiff sollte von einer Galeere mittlerer Größe begleitet werden.

Ein Junge erschien plötzlich neben mir und reichte mir einen Zettel. Ich erkannte einen Pagen des Rates.

Die Nachricht war kurz. In Blockschrift stand darauf: ICH MÖCHTE MIT DIR REDEN. Die Unterschrift, ebenfalls in Blockschrift, lautete: SAMOS.

Ich zerknüllte das Papier in der Hand.

»Wer hat dir die Nachricht gegeben?« fragte ich den Jungen.

»Ein Mann«, sagte er. »Ich kenne ihn nicht.«

Ich sah Lysius, den Offizier mit den Goldstreifen am Helm, zu mir herüberstarren.

Ich wußte nicht, ob die Nachricht wirklich von Samos kam oder nicht. Wenn ja, dann wußte er irgendwoher, daß Tarl Cabot in Port Kar war. Aber wie hatte er das erfahren? Und wie hatte er die Verbindung zu Bosk gezogen? Zweifellos wollte er mich an den Dienst der Priesterkönige erinnern. Doch ich diente den Priesterkönigen nicht mehr – ich diente nur noch mir selbst.

Ich gedachte die Nachricht zu ignorieren.

In diesem Augenblick stürzte ein Mann in die Ratshalle der Kapitäne.

Es war Henrak, der die Rencebauern verraten hatte, der Mann mit dem weißen Seidentuch über der Schulter. »Das Arsenal!« rief er. »Das Arsenal brennt!«

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