8

Die Sonne war hinter dunklen Wolken verschwunden, und Sharraz hatte seinen Kriegern befohlen, die Kämpfe abzubrechen. Sie hatten das Andergaster Tor erobert und waren fast bis zum Platz der Sonne vorgerückt. Auch die östliche Hälfte der Stadt war überrannt worden, obwohl er seine Kämpfer am Mittag für kurze Zeit hatte zurückziehen müssen, um die Brände im Hauptlager zu löschen. Nur eins war ihm nicht gelungen ...

»Sharraz, Sharraz!« Die Rufe eines Kriegers schreckten ihn aus seinen Gedanken.

»Ein Reiter kommt von Süden auf das Lager zu!«

»Ein einzelner Reiter?« Der Orkgeneral stieg den niedrigen Erdhügel hinab, von dem aus er die Stadt betrachtet hatte.

»Ja, Sharraz, ein Reiter und zwei Oger.«

Eilig durchquerte der Anführer das Lager. Ein Reiter begleitet von zwei Ogern. Das konnte nur einer sein. Sein Nackenhaar sträubte sich. Dieser Fremde bedeutete Ärger.

Als Sharraz den südlichen Teil des Lagers erreichte, ritt die hochgewachsene Gestalt bereits zwischen den Zelten hindurch. Ein alter Schamane, in Felle gehüllt. In seiner Rechten hielt er einen gewundenen, schwarzen Stab. Sein Haar hing in grauen Strähnen vom Kopf. Perlen schmückten seine Kleider, und mitten über der Brust trug er eine kupferne Mondsichel, als Zeichen seines Standes als Tairach-Priester. Man sagte von dem Alten, daß er mehr Macht habe, als selbst Sadrak Whassoi, auch wenn er sich nie öffentlich in die Pläne des Kriegsherren einmischte.

Er hatte bereits viele Winter verstreichen sehen, und sein faltiges Gesicht trug die Zeichen von Kämpfen und den Schrecken, die nur ein Schamane erfahren konnte, der die Welt der Geister zu betreten verstand. An seiner Seite wachten zwei mächtige Streitoger. Der eine trug einen Schild, fast so groß wie ein Orkkrieger und hielt in der Rechten einen gebogenen Arbach. Die Klinge des gebogenen Schwertes war so mächtig, daß keiner seiner Krieger in der Lage wäre, sie zu führen, dachte Sharraz.

Der andere Oger war in eine speckige Lederrüstung gekleidet und hatte eine gewaltige Streitaxt geschultert. Um die Hüften trug er einen Gürtel mit den abgetrennten Gliedmaßen erschlagener Feinde. Vielleicht war es aber auch nur eine Wegzehrung, denn diese mächtigen Krieger fraßen mit Vorliebe das Fleisch ihrer erschlagenen Gegner. Alle Krieger, die den Alten sahen, neigten ehrfürchtig ihr Haupt. Manche warfen sich sogar in den Schnee. Kriecherische Memmen, dachte Sharraz und trat dem Reiter entgegen. Dann neigte auch er das Haupt.

»Ich grüße dich, Uigar Kai, Verkünder des Tairach, Träger des Schwarzen Stabes, Meister der drei Welten, Herr der Geister und Hohepriester alle Stämme.«

Der alte Ork beugte sich auf seinem Pony vor. Böse blinzelte er den General an.

»Möge dir Tairach gönnen, deine Klinge wieder in das Blut unserer Feinde zu tauchen, glückloser General, oder dein Kopf wird zum Krähenfuß auf einer Stange stecken.«

Sharraz schauderte. Warum mußte der alte Hohepriester ausgerechnet in dieser Nacht auftauchen.

»Sei mein Gast mächtiger Uigar Kai, und teile mit mir mein Zelt und die schönsten meiner Frauen.«

Der Alte grunzte verächtlich. »Teilen? Ein Wort von mir, und alles ist mein.«

Sharraz schwieg und ging dem gefürchteten Priester zur Mitte des Lagers voran. Vor dem prächtigen Häuptlingszelt wartete Gamba. »Welch Freude, Euch nach so langer Zeit wiederzusehen, Uigar Kai. Mit Euch wird der Ruhm wieder Einzug in unsere Zelte halten.« Der Druide kniete nieder und hielt dem alten Priester den Steigbügel, während Uigar vom Pony stieg. Schleimige Kröte, dachte Sharraz. Seit Wochen hat er kaum noch etwas zu unserem Sieg beigetragen. Wie sollte da Ruhm in ihren Zelten Einzug halten?

Der Orkgeneral öffnete dem Priester die Lederplane am Zelteingang und ließ ihn samt Gefolge eintreten.

»Nehmt Platz an meinen Herdfeuern, und erfreut Euch an den Genüssen, die meiner Gäste harren.«

Sharraz gab einer Sklavin einen Wink, dem Schamenen ein Stück gebratenes Fleisch und einen Becher voll Wein zu reichen, doch Uigar knurrte ärgerlich.

»Ich bin nicht hier, um mich dem hinzugeben, was aus den Menschen so schlechte Kämpfer macht. Gebt mir einen Becher Wasser, das ist genug! Und dann sagt mir, wie weit die Tunnel sind. Kolon hat mir vor drei Tagen berichtet, daß selbst unter deiner Führung, Sharraz, die Sklaven mittlerweile bis kurz vor die heilige Höhle des Tairach gelangt sein müssen.«

Sharraz hatte Mühe, dem Schamanen darauf etwas zu erwidern. Ihm wollten einfach nicht die rechten Worte in den Sinn kommen, um von dem zu berichten, was am Mittag geschehen war. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Gamba hämisch grinste.

»Nun, Gebieter der Geister ... wir haben heute die Höhle des Gottes gefunden.«

»Gut, Sharraz, es freut mich zu hören, daß deine Taten den Ruf, den du in den letzten Wochen im Zelt des Marschalls hast, Lügen strafen. Nun gibt mir Xarvlesh, damit ich die Götterwaffe dem Ashim Riak Assai, dem Herren aller Stämme überbringen kann.«

»Das geht nicht ..., mein Gebieter.« Sharraz hatte das Gefühl an den Worten zu ersticken. Obwohl er zu Boden starrte, konnte er den Blick des Schamanen spüren.

»Was soll das heißen?« Uigars Worte waren schneidender als der Wind des Winters.

Sharraz lief der Schweiß von der Stirn. Seine Lippen bebten, doch es wollte ihm nicht gelingen zu antworten. Da erklang Gambas Stimme.

»Das soll heißen, daß ihm ein paar Menschen Xarvlesh gestohlen haben. Wir haben sie vor der Höhle getroffen, und es ist ihnen gelungen, unsere Krieger zurückzuschlagen und die Waffe des Gottes zu stehlen. Aber das schlimmste kommt noch. Unser begnadeter Feldherr war nicht einmal in der Lage, zu verhindern, daß sie die Götterwaffe aus der Stadt brachten. Ein kleiner Trupp Reiter ist am Mittag durch unsere Linien gebrochen und...«

»Ist das wahr?«

»Alle meine Reiter folgen ihnen, Uigar, bald werden sie die Köpfe der Menschen auf Spießen zurückbringen. Außerdem ist es uns heute gelungen, in der Stadt Fuß zu fassen, und morgen werden wir die Verteidiger bis hinter die Wälle der Festung ...«

»Das interessiert mich nicht!« Uigar schnaubte vor Wut. Dann schleuderte er den Pokal mit Wasser, den ihm eine der Sklavinnen immer noch hinhielt, nach dem Häuptling. »Du nichtsnutziger Wurm. Hast du denn nicht begriffen, worum es hier geht. Was bedeutet schon diese Stadt der Menschen? Xarvlesh solltest du holen! Greifenfurt ist so bedeutungslos wie ein Staubkorn in der Steppe!«

»Bitte, Uigar, ich weiß, daß ich gefehlt habe, doch gebt mir nur noch ein paar Tage, und ich lege Euch die Stadt und die Götterwaffe zu Füßen.«

»Leere Worte«, höhnte Gamba. »Wie viele Wochen liegen wir jetzt schon hier vor der Stadt, und nichts geschieht.«

»Glaubt ihm nicht!« Sharraz zitterte am ganzen Körper. »Ich halte hier einen Menschen verborgen. Einen mächtigen Flammenrufer. Er wird uns ein Feuer schenken, das mit Wasser nicht gelöscht werden kann. Damit erobern wir die Stadt.«

»Das hört sich an wie das Geheul eines Welpen, der zu schwach ist, um an die Milch seiner Mutter zu kommen. Erlöst uns davon!«

Sharraz hatte sich vor Uigar auf die Knie geworfen. Diese Schlange Gamba. Er hätte ihn schon längst vernichten sollen.

Der Orkgeneral zitterte etwas weniger. Noch nie hatte er vor jemandem gekniet. Doch Uigar machte ihm angst. Ein Krieger könnte ihn nur töten, doch der mächtige Schamane besaß die Macht, ihm für immer den Eintritt in das Reich der Geister zu verwehren. Er konnte ihm Dinge antun, gegen die der Tod so süß wie der Honig wilder Bienen war. Nein, er hatte keine Angst zu sterben. Mit dieser Gefahr hatte er in seinen vielen Jahren als Jäger und Krieger jeden Tag gelebt ...

»Erhebe dich Sharraz.« Die Stimme des Schamanen klang nun ruhiger.

»Zeige mir die Sklavin, die dir am meisten Freude bereitet. Sie soll uns begleiten.«

Der Anführer der Orks zögerte. Wollte ihn der Schamane auf diese Weise strafen? Sollte er wirklich so viel Glück haben?

Einen Moment lang blickte er sich im Zelt um. Dann wies er mit ausgestreckter Hand auf die blonde Sklavin, die sich um das Feuer in der Mitte des großen Zeltes kümmerte.

»Vana, komm zu mir. Uigar Kai will, daß du mit uns kommst.«

Mit gesenktem Blick näherte sich die hochgewachsene Menschenfrau. Sie war im Lager schon oft Zeugin der Macht von Tairach-Priestern und ihrer Rituale geworden. Sie sah noch blasser aus als sonst.

Sharraz ballte seine Hände zu Fäusten. Wahrscheinlich würde Uigar Kai sie auf dem Platz vor dem Zelt Tairach opfern. Schade.

Der General hatte Vana aus dem befestigten Landgut eines Ritters geraubt. Sie hatte mitansehen müssen, wie seine Männer ihren Vater an das Tor seines Hauses nagelten und dann verbrannten. Und trotzdem war sie eine bessere Sklavin geworden als alle anderen Menschenfrauen, die er auf diesem Kriegszug erbeutet hatte. Sie verstand es, all seine Gelüste zu befriedigen. Auch war Vana nicht so unterwürfig und langweilig wie die anderen Sklavinnen. Sie rang beim Liebesspiel wie eine Wölfin mit ihm, kratzte ihn und biß. Außerdem war sie die einzige Menschenfrau im Zelt, die genug von seiner Sprache gelernt hatte, um ihm schmeicheln zu können. Trotzdem würde er es nicht wagen, Uigar Kai zu widersprechen. Wenn er Vana wollte, dann sollte er sie auch bekommen.

Sharraz musterte den alten Schamanen, doch dessen Miene war nicht zu entnehmen, was er als nächstes tun würde.

Uigar Kai wechselte einige Worte mit Gamba, der darauf eilig das Zelt verließ. Dann winkte er Sharraz zu sich.

»Folge mir, mein Bruder. Du wirst nun Gelegenheit haben, deine Ehre wieder reinzuwaschen.«

Uigar Kai hatte darauf bestanden, durch den Tunnel bis zu dem verlorenen Heiligtum unter dem Platz der Sonne geführt zu werden. Überall in dem langen Erdgang lagen die verkohlten Leichen von Orks. Der Ausbruch des geheimnisvollen Lichtwesens war genau zu dem Zeitpunkt erfolgt, als Sharraz neue Truppen zur Verstärkung in den Tunnel geschickt hatte.

Gamba fröstelte es, obwohl es hier, tief unter der Erde, wesentlich wärmer war als im verschneiten Feldlager. In dem gewundenen Gang hatte der Druide das Gefühl gehabt, noch immer ein wenig von der zerstörerischen Macht zu spüren, die dort vor Stunden gewütet hatte.

Doch das Heiligtum, in dem sie jetzt standen, war davon unberührt geblieben. Nervös blickte Gamba auf den Knochenhaufen, der nicht fern des Eingangs lag. Die Gebeine eines Fabelwesens, doch waren sie zu stark zerfallen, um noch erkennen zu können, was es einst gewesen war. Auf jeden Fall hatte das Wesen Flügel gehabt.

Uigar Kai hatte seine Stimme erhoben und einen monotonen Gesang angestimmt, um die Geister der Ahnen herbeizurufen. Gleichzeitig zeichnete er mit dem kleinen Finger der linken Hand, den er in einen Tiegel mit rötlicher Farbe getaucht hatte, verschlungene Zeichen auf einen großen Schädel, der unmittelbar vor dem Standbild des Tairach lag.

Als er damit fertig war, gab Uigar Kai Gamba das vereinbarte Zeichen, und der Druide begann kleine Schalen mit Weihrauch und anderen Kräutern entlang der Höhlenwand aufzustellen.

Außer ihnen beiden waren nur noch Sharraz und Vana in der heiligen Opferstätte. Der Orkgeneral hatte sein Gesicht zu einer Grimasse verzogen und starrte scheinbar unbeteiligt zur Decke, doch Vana zitterte am ganzen Leib und wimmerte leise vor sich hin. Sie schien zu ahnen, was ihr bevorstand. Gamba grinste hämisch. Selbst ihre schlimmsten Phantasien würden nicht annähernd an das heranreichen, was der Schamane ihr nun antun würde. Uigar Kai hatte inzwischen damit begonnen, seine Knochenkeule für das bevorstehende Ritual zu weihen. Sie war aus dem Oberschenkelknochen eines großen Büffels gefertigt und mit verschlungenen Schnitzereien geschmückt. Zahllose kleine Lederriemchen mit Federn, durchbohrten Steinchen und Dinge, die Gamba nicht zu benennen vermochte, hingen von der Keule herab.

Der Druide entzündete die Schälchen mit dem Räucherwerk. Dichter Qualm stieg auf, brannte in den Augen und öffnete den Verstand für Dinge, die dem Unbedarften auf immer verborgen blieben.

Gamba hatte plötzlich das Gefühl, fremde Mächte in der Höhle zu spüren. Eine Kraft, die ihm zugleich vertraut und fremd erschien. Noch immer ertönte der Gesang Uigar Kais. Der Orkschamane wiegte sich in grotesken Verrenkungen hin und her. Mit der Rechten hielt er den bemalten Totenschädel hoch, mit der Linken schwang er die Knochenkeule.

Sharraz Garthai stöhnte leise und Vanas Gesicht war zu einer Maske des Entsetzens geworden. Scheinbar gegen ihren Willen bewegte sie sich langsam auf den Schamanen zu.

Welche Kraft Uigar Kai besaß! Gamba war fasziniert. Schon in der Vergangenheit hatte er manchmal einem der machtvollen Zauber des Schamanen beiwohnen dürfen, doch dies übertraf alles, was er bisher gesehen hatte. Vana stand nun unmittelbar vor dem Schamanen. Ohne sie zu berühren, zwang er die Sklavin auf die Knie zu gehen, indem er langsam seine mächtige Knochenkeule senkte.

»Nackt bist du in diese Welt gekommen, nackt sollst du sie wieder verlassen!« grollte die Stimme Uigar Kais. Er gab Gamba einen Wink und der Druide eilte herbei, um der Sklavin die Kleider vom Leib zu reißen. Vanas ganzer Körper schien sich zu verkrampfen, so als würde sie sich mit aller Kraft gegen etwas Unsichtbares auflehnen.

Als Gamba den Befehl ausgeführt hatte, wich er ehrfurchtsvoll bis zur Höhlenwand zurück. Uigar tauchte nun seine Keule in die flache Schale mit roter Farbe, die vor dem Tairachbildnis stand. Dann zeichnete er verschlungene Linien auf Vanas Körper, die im unsteten Licht der glimmenden Räucherpfannen ein eigenes Leben zu entfalten schienen.

Der Hohepriester der Orks legte die geweihte Keule beiseite und brach aus dem Schädel, den er die ganze Zeit in der Linken gehalten hatte, einen langen Hauer. Mit dem Zahn, der sich in Jahrhunderten gelblich verfärbt hatte, zog er noch weitere Linien über Vanas blasse Haut.

Der scharfe Eckzahn hinterließ blutige Spuren, und die Sklavin stieß gellende Schreie aus, die sich mit dem monotonen Singsang des Schamanen zu einer Kakophonie des Grauens einten.

Uigar legte nun das Folterinstrument zurück in den klaffenden Kiefer des Totenschädels, doch Vana hörte nicht auf zu schreien, ganz so, als werde sie längst nicht mehr allein von der Macht des Schamanen heimgesucht. Dann murmelte der Hohepriester einige Worte, deren Sinn Gamba nicht verstand. Ja, der Druide vermochte nicht einmal zu sagen zu welcher Sprache diese fremdartigen, halb tierischen Laute gehörten. Als er aber sah, wie sich Uigar nun nach vorne beugte und seine rechte Hand, scheinbar ohne auf Widerstand zu stoßen, durch Vanas schweißbedeckte Brust stieß, um nach dem Herzen der Sklavin zu greifen, da glaubte der Druide einen Augenblick lang, ihm würden die Sinne schwinden.

Uigar schien der Schrecken seiner Tat nicht zu berühren. Noch immer murmelte der Schamane Beschwörungen, wenngleich seine Stimme von Vanas infernalischen Schmerzenschreien verschluckt wurde, so daß Gamba nur sah, wie der Priester die Lippen bewegte. Er schien Tairach anzurufen und ließ dabei seine Hand langsam höher wandern, bis sie schließlich nach dem Hirn der Sklavin griff.

Gamba preßte sich die Hände auf die Ohren. Einen Moment lang glaubte er, am Rande des Wahnsinns zu stehen. Der Druide vermeinte zu spüren, wie der Schmerz der gepeinigten Vana zu einer Kraft wurde, die versuchte, ihn im Tod mit sich in den dunklen Abgrund zu reißen.

Oder waren es die Kräuter, die seinen Geist umnebelten und die Grenzen zu Dingen, die die Götter den Menschen verboten hatten, durchlässiger machten? War es das verbotene Wissen um das, was noch alles in dieser Welt existierte, das ihn in den süßen Irrsinn umfassenden Verstehens lokken wollte? Gamba schloß die Augen, kämpfte gegen diese Versuchung an, und plötzlich endete Vanas Schrei.

Allein das Murmeln des Schamanen war zu vernehmen. »... so nimm sie, und schenke mir den Verderber des Göttergeschenks, den Hohepriester, dessen Namen die Schamanen aus dem Gedächtnis der Stämme getilgt haben.«

Vorsichtig öffnete Gamba seine Augen. Uigar Kai hielt nun eine bebende, blutige Masse in seiner Rechten und streckte sie dem Standbild des Tairach entgegen. Die Sklavin lag unbeweglich vor seinen Füßen. Ihre Glieder waren in grotesker Weise verrenkt, so, als sei jeder einzelne Knochen in ihrem Körper gebrochen, doch das schrecklichste war der Ausdruck auf ihrem Gesicht.

Sharraz lag keuchend auf den Knien. Er schien sich erbrochen zu haben und hielt nun sein Gesicht in den Händen verborgen.

Neben dem Hohepriester formte sich eine blasse Gestalt aus dem Rauch der Räucherpfannen.

»Ich grüße dich, Verkünder des Tairach, Träger des schwarzen Stabes und Meister der drei Welten, Uigar Kai, Abbild all dessen, das ich einst war.«

Eine tonlose Stimme füllte die Höhle aus, ohne das es möglich war, zu sagen, woher sie erklang. »Beuge dich meinem Wort, Verfehmter! Du, dessen Hochmut einst das Schicksal unseres Volkes bestimmte. Wahnsinniger, der du das Geschenk des Gottes mit in dein Grab gerissen hast.«

»Was verlangst du, Uigar Kai?«

»Finde die Frevlerin, die Xarvlesh mit sich genommen hat, und bringe sie nach Khezzara. Lösche deine alte Schuld, und deine ewige Wanderschaft zwischen der Welt der Toten und der Welt derer, die das Blut wärmt, wird ein Ende haben.«

»Doch wie soll ich sie zwingen, etwas zu tun, wo ich sie nicht einmal berühren kann, solange sie Xarvlesh mit sich führt?«

»Jammere nicht wie ein altes Weib. Nutze die Kraft, die dir geblieben ist, und bedenke, was Tairachs Geschenk denen antut, die es tragen. Und nun beginne deine Suche!«

Der Schemen, der sich im Rauch geformt hatte, verschwand, und es wurde still in der Höhle. Die Beschwörung schien Uigar Kai fast alle Kräfte gekostet zu haben. Er begann zu taumeln. Gamba eilte ihm zur Hilfe und fing den alten Ork auf.

»Laß mich los«, zischte der Schamane böse. »Wenn ich nicht mehr die Kraft habe, auf eigenen Beinen zu stehen, dann bin ich es auch nicht länger wert, das Amt des Hohepriesters zu bekleiden.«

Gamba wich ein Stück zurück, doch blieb er nahe genug, um den Schamanen und Tairach-Priester zur Not auffangen zu können, falls er stürzte. Nur zu gut wußte der Druide, wie sehr mächtige Zauber an den Kräften des Körpers zehrten; er selber war schon oft nach machtvollen Ritualen zusammengebrochen, obwohl er um etliche Jahre jünger war als der Ork.

»Nun zu dir, Sharraz.« Uigar Kai hatte sich dem General zugewandt. »Ich habe den Eindruck, das Jahr, das du Verweser der Provinz Finsterkamm gewesen bist, hat dich weichgemacht. Kolon hat mir berichtet, daß du oft nicht an den Kämpfen teilgenommen hast, die in den letzten Monaten um die Stadt geführt wurden und daß viele deiner Krieger dich verachten. Doch werde ich nicht nach dem Wort eines Zwergen allein urteilen. Gamba, ist das wahr, was mir Kolon, den man auch den Tunneltreiber nennt, berichtet hat?«

»Ja, mein Meister. Sharraz ist fett und träge geworden. Es gibt Tage, an denen er nicht einmal sein Zelt verläßt und seine einzige mannhafte Leistung die Hurerei mit Sklavinnen ist. Außerdem ...«

»Das ist nicht wahr! Gamba und Kolon verleumden mich und ...«

»Schweig!« Uigar Kai hatte drohend seine Knochenkeule erhoben. »Was hast du mir noch zu berichten, Gamba?«

»Man sagt, daß Sharraz sich nächstens mit einem Dämonen trifft und Unzucht mit einem alten Mann treibt, den er in einem Zelt gefangen hält, das außer ihm niemand betreten darf. Doch noch viel weniger verzeihlich ist für einen Krieger, daß uns Sharraz Garthai, seit wir hier vor den Mauern der Stadt liegen, nicht einen Sieg schenken konnte. Viele Krieger murren und wollen lieber zum Heer des Sadrak Whassoi oder in ihre heimatlichen Stammesgebiete zurück. Sie haben Angst, den ganzen Winter vor den Mauern der Stadt zu lagern und im Eis zu erfrieren, statt den Tod eines Kriegers zu finden.«

Der Hohepriester des Tairach runzelte die Stirn und überlegte eine Weile, bevor er zu Sharraz sprach. »Du hast die Klagen vernommen, und ich muß dir sagen, selbst Sadrak Whassoi, der dein Freund ist, wird dich nicht länger schützen. Doch sollst du Gelegenheit haben, deinen Mut zu beweisen und deine Ehre als Krieger wieder reinzuwaschen.« Der Schamane zog ein kupfernes Messer aus seinem Gürtel und warf es dem General vor die Füße. »Ich sollte deinen Kopf abschlagen und auf einem Speer vor deinem Zelt aufstellen, Sharraz, doch ich erinnere mich noch an die Zeit, in der du ein gefürchteter Krieger warst und mir so manchen Dienst erwiesen hast. Deshalb soll dir dieser ehrlose Tod erspart bleiben.«

Der Orkgeneral nickte stumm und begann die Schnallen an der Seite seines ledernen Brustpanzers zu lösen. Dann legte er den eisenbeschlagenen Harnisch ab und streifte das wollene Wams, das er darunter trug, über den Kopf.

»Siehst du, wie weich er geworden ist. Kein anderer im ganzen Lager trägt so warme Kleidung wie Sharraz. Er ...«

»Schweig, Gamba. Ein großer Krieger geht nun auf seine letzte Reise, und ich werde nicht dulden, daß du ihn dabei verhöhnst. Sieh lieber gut zu, was er tut, denn es mag der Tag kommen, an dem du sein Schicksal teilst.«

Der Druide schluckte. Bislang hatte er angenommen, Uigar Kai würde ihn als Freund oder zumindest als eine Art Schüler betrachten.

Sharraz war nun vor das Bild seines Gottes getreten.

»Tairach, vergib mir«, murmelte Sharraz leise. »Lang ist es her, daß ich dir zu Ehren das Blut von Menschen vergossen habe. Ich weiß, du zürnst mir und hast mir deshalb die Kraft zu siegen genommen. So nimm du nun mein Blut und wisse, daß es nichts gibt, weder im Himmel noch in den weiten Steppen, das ich über dich stelle.«

Damit stieß sich der Orkgeneral den kupfernen Dolch in die Kehle, so daß sein Blut in pulsierende Fontänen gegen das Bildnis des Gottes spritzte. Stöhnend versuchte der Ork sich auf den Beinen zu halten. Er klammerte sich an den kalten, schwarzen Stein der Tairach-Statue und huldigte mit immer leiser werdender Stimme seinem Gott. Schließlich verließ Sharraz die Kraft, die ihm so viele Siege in seinem langen Leben als Krieger geschenkt hatte, und er rutschte zu Boden, so daß sein mächtiger Leib den verstümmelten Körper Vanas bedeckte. Ein letztes Mal bäumte er sich noch auf und hob mit verzweifelter Kraftanstrengung den Kopf, um in das Gesicht der Toten Sklavin zu blicken.

Dann sank er nach vorn. Ein dünner Strom seines Blutes floß zwischen den Brüsten Vanas herab zu ihrer Scham, fast als wolle Sharraz sich im Tod auf makabre Weise noch ein letztes Mal mit ihr vereinen.

Uigar Kai spuckte auf den Leichnam des Generals. »Was hat diese Stadt aus dir gemacht, Sharraz? Ist es das, was uns alle erwartet, wenn wir in den steinernen Zelten der Menschen herrschen, statt in der weiten Steppe als Jäger tagtäglich ums Überleben zu kämpfen?«

Der Hohepriester schüttelte den Kopf. »Gamba, lösche die Räucherpfannen und schlage sie wieder in das Tuch ein, das du von meinem Pony geholt hast.«

Der Schamane nahm den gewundenen, schwarzen Stab, den er an die Wand gelehnt hatte, als er in die Kultstätte eingetreten war und ging mit schlurfenden Schritten zum Eingang. Als er schon im Tunnel stand, drehte er sich noch einmal zu dem Druiden um.

»Die Geister meiner Ahnen haben mir voller Verachtung zugeraunt, woran Sharraz dachte, als er starb. Er war überzeugt, immer recht gehandelt zu haben, weil er alle Anweisungen eines Boten, den ihm angeblich Tairach geschickt haben soll, genau befolgt hat. Doch das ist nicht alles! Sein allerletzter, frevlerischer Gedanke war, ob er wohl die Menschensklavin dort treffen würde, wohin er seine Reise angetreten hatte.«

Uigar blickte Gamba lange an, und der Druide begann sich immer unwohler zu fühlen. In dem Schweigen des Schamanen schien eine Drohung zu liegen. Ob er wohl daran dachte, auch ihn noch zu töten? Dann wäre Uigar der einzige, der diese Höhle wieder lebend verließ.

Die Stimme des Schamanen klang sehr alt, als er endlich das Schweigen brach. »Manchmal frage ich mich, ob es meinem Volk nicht großen Schaden bringt, wenn wir uns mit euch verweichlichten Menschen abgeben. Wer kann sich seine Kraft erhalten, wenn er sich in Zelten aus Stein verbirgt, erntet statt jagt und anfängt, eure törichten Gedanken zu denken. Vielleicht wäre es besser, euch alle zu Tairach zu schicken.«

Uigar Kai drehte sich um und Augenblicke später hatte ihn das Dunkel des Tunnels verschluckt. Nur seine schlurfenden Schritte klangen Gamba noch lange in den Ohren.

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