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Oberst von Blautann hob den Arm und zügelte sein Pferd. »Halt«, rief er mit lauter Stimme. »Junker, laßt die Reiter dort am Waldrand ein Nachtlager aufschlagen und schickt einige erfahrene Krieger auf Wache.«

»Jawohl, Oberst Alrik!« Der bärtige Mann wendete sein Pferd und brüllte eine Reihe von Befehlen.

»Mich wundert, daß wir auf gar keine Schwarzpelze mehr stoßen.« Alrik drehte sich zu der Reiterin an seiner Linken.

»Ja, ungewöhnlich«, antwortete er knapp.

Andra stand in ihren Steigbügeln und blickte den Fluß hinauf. In der hereinbrechenden Dämmerung wurde die Sicht schnell schlechter. »Wochenlang haben wir uns fast täglich Scharmützel geliefert, und jetzt findet man von Whassois Schergen nicht mehr die geringste Spur.«

»Vielleicht haben sie aufgegeben und sich in ihre Winterlager zurückgezogen. Bei dem Wetter ist das ja wohl das vernünftigste, was man machen kann.«

Alrik lachte. »Ich hatte dich gewarnt! Tut es dir jetzt leid, mit mir gekommen zu sein?«

»Mir tut leid, daß man mit dir kein vernünftiges Leben führen kann. Was hatte ich denn für eine Wahl. Entweder in Ferdok bleiben und mich dort zu Tode zu langweilen, oder mit dir durch diesen Eisregen zu reiten. Ich kann dir nur sagen, mich wundert es nicht, wenn man bei diesem Wetter keinen Ork mehr sieht. Mir scheint, die sind vernünftiger als kaiserliche Kavalleristen.«

»Komm, laß uns zum Waldrand reiten, vielleicht haben sie ja schon ein paar Lagerfeuer entfacht. Wenn du erst mal die Kälte aus deinen Knochen vertrieben hast, wird sich deine Laune auch schnell bessern.«

Der Oberst wandte sein Pferd. Doch Andra rührte sich nicht von der Stelle. Obwohl es schon fast völlig dunkel war, starrte sie noch immer den Fluß hinauf. Auch wenn sie mit Alrik Späße gemacht hatte, so dachte sie doch insgeheim, daß es ein schlechtes Zeichen war, wenn sie auf keine Kundschafter der Orks mehr stießen. Das konnte nur eines heißen. Der Schwarze Marschall plante etwas, wofür er alle seine Krieger brauchte!


Zufrieden umrundete Leonardo das Schiff. So etwas hatte noch nie auf der Breite geschwommen, dessen war er sich vollkommen sicher. Widder hatten sie das Prachtstück am Morgen getauft, und ein Zwerg hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, stilisierte Widderhörner in die Panzer platten am Bug zu hämmern.

Im Licht der Fackeln glänzte das Schiff rot, so als käme es soeben aus Ingerimms göttlicher Schmiede.

Es mußte wohl Krieg herrschen, um so etwas vollbringen zu können, sinnierte der alte Mechanikus. Niemals hätte in Friedenszeiten jemand ein Vermögen für Kupferplatten ausgegeben, um ein Schiff damit zu panzern. Ganz zu schweigen davon, daß man ihn verhöhnt hatte, wenn er auch nur den Gedanken geäußert hätte, ein Schiff mit Metall zu beschlagen. Erst gestern hatte er noch Matrosen tuscheln gehört, daß die Widder wie eine Bleiente sinken würde. Leonardo schmunzelte. Morgen würde ein neues Kapitel der Flußschiffahrt beginnen. Immer wieder hatte er alles durchgerechnet. Es würde gelingen! Dessen war er sich völlig sicher. Auch Großadmiral Sanin war von dieser Idee überzeugt. Ihm war sie auch nicht so fremd, wie den ungebildeten Flußschiffern. Sanin wußte, daß in Festum und Al’Anfa schon seit einigen Jahren die Rümpfe der größten Hochseeschiffe mit dünnen Metallplatten verkleidet wurden, um sie vor dem schädlichen Befall von Bohrwürmern und Königsmuscheln zu bewahren. Die Panzerung der Flußschiffe diente freilich einem ganz anderen Zweck. Die Kupferplatten, die Leonardo bei den Zwergen aus Angbar geordert hatte, waren bis zu einen Finger dick. Sie sollten die Schiffe vor Brandpfeilen und den Geschossen leichter Rotzen und Aale schützen, so wie ein Ritter durch seine Rüstung geschützt wurde. Stimmten seine Berechnungen, dann konnten die insgesamt drei gepanzerten Schiffe selbst schwerstem Beschuß widerstehen.

Morgen würde ein Tag des Triumphs sein. Zufrieden streichelte Leonardo über die kalten Kupferplatten am Bug.

Trotzdem war er nervös. Auch an dem Tag, als sein Adler flugbereit gewesen war, war er sich seines Erfolges völlig sicher gewesen. Ein großer Ballon aus Stoff, in den Himmel gehoben allein durch die Kraft erwärmter Luft. Auf dem Zeichenbrett hatte damals alles gestimmt. Immer wieder war er die Berechnungen durchgegangen. Und doch war sein stolzes Luftschiff abgestürzt. Seinem Ruf als Mechanikus hatte das sehr geschadet. Es waren sogar Stimmen laut geworden, man solle ihn aus der Stadt vertreiben.

Nun ja, das war jetzt schon Jahre her. Er sollte die Vergangenheit ruhen lassen.

Ein Geräusch am Tor der großen Schiffshalle ließ ihn herumfahren. Ein Mann mit einer Blendlaterne war hereingekommen.

»Ich grüße Euch, Leonardo. Findet auch Ihr keine Ruhe in dieser Nacht?«

Es war Sanin, der Großadmiral der kaiserlichen Flotte im Meer der Sieben Winde. Mit dem breitbeinigen Gang eines Mannes, der sein Leben lang auf Schiffsplanken gestanden hatte, durchmaß er die große Halle. Fast zärtlich ließ er dabei seine Linke über den gepanzerten Schiffsrumpf gleiten.

»Die Widder ist Euer Meisterwerk, Leonardo. Eine neue Generation von Flußkampfschiff ist das. Ihr werdet damit Dere verändern.«

»Ihr übertreibt, Admiral.«

»Nur keine Bescheidenheit, Leonardo. Glaubt mir, ich erkenne ein gutes Schiff, wenn ich es sehe. Und das hier ist ein gutes Schiff! Allein der Katapultantrieb ...« Der Admiral lachte breit. »Aberwitzig, aber genial.«

Leonardo blickte verlegen zur Decke. Das Lob war ihm nicht recht. Nicht in dieser Nacht. Er wollte allein sein mit seinem Schiff. Warum ging der Admiral nicht in eine der benachbarten Hallen? Dort lagen die beiden Schwesternschiffe der Widder. Je mehr Lob er vorab bekam, desto peinlicher würde es, wenn etwas nicht wie vorhergesehen funktionierte.

»Mit der Feuerkraft der Widder werden wir die Orks aus ihren Stellungen vor Greifenfurt fegen. Sie werden denken, alle Sendboten der Götter würden sie auf einmal heimsuchen, wenn wir mit den Kupferschiffen kommen und anfangen zu schießen.« Der Großadmiral lächelte breit und tätschelte wieder den Rumpf.

Er führt sich auf wie ein Kind, daß mit seinem liebsten Spielzeug prahlt, ging es dem Mechanikus kurz durch den Kopf.

Leonardos Blick glitt zur Reling und den Schiffsaufbauten. Oberst von Blautann hatte ihm ausführlich geschildert, wie die fünf Flußschiffe, die vor Wochen zur Stadt durchgebrochen waren, unter heftigsten Beschuß gerieten. Nun, die Widder würde sich wehren können. An Backbord und Steuerbord waren auf dem Dach der langgestreckten Kabine mittschiffs je drei Hornissen aufgestellt worden. Ganz vorne auf der Kabine stand ein Bock, ein Katapult, das Hylailer Feuer verschießen konnte. Im Bug des Schliffes war eine schwere Rotze aufgestellt. Dieses Torsionsgeschütz konnte Steinkugeln, groß wie Kürbisse, mehr als zweihundert Schritt weit schleudern.

Doch hier erfüllte das Geschütz eine ganz andere Funktion. Sollte es zu einem schweren Gefecht kommen, so daß man die Ruder einholen und das Segel reffen mußte, damit es nicht von Brandpfeilen in Flammen gesetzt wurde, dann würde sich offenbaren, aus welchem Grund dieses riesige Geschütz im Schiffsrumpf stand.

Ähnlich verhielt es sich mit dem Kran, der sich am Heck der Widder befand. Besonders hohe Schiffsaufbauten, die mit den stärksten verfügbaren Kupferplatten gepanzert waren, sollten die Bedienungsmannschaften schützen, wenn er zum Einsatz kam.

Leonardo hatte lange darüber nachgedacht, was er tun würde, wenn sein Befehl lautete, eine Flotte daran zu hindern, einen Fluß zu passieren. Natürlich würde er beide Ufer mit Geschützbatterien belegen, doch das wäre nur der erste Schritt. Ob die Orks bei ihrem technischen Unverstand überhaupt dazu in der Lage sein würden, mußte sich zeigen. Sollten sie überraschenderweise aber einen begabten Ingenieur in ihren Diensten haben, so würde dieser Kran der Flotte noch unschätzbare Dienste erweisen. Sanin räusperte sich. »Ich wollte Euch noch einmal für alles danken, was Ihr in den letzten Wochen für die Flußflotte getan habt. Ich fürchte, morgen beim Stapellauf werde ich nicht mehr dazu kommen, ein persönliches Wort an Euch zu richten. Und übermorgen werden wir schon die Anker lichten.«

Der Admiral machte eine kleine Pause. Leonardo fühlte sich unwohl unter dem Blick des Seehelden. Auch wenn der schnauzbärtige Sanin ihn wirklich freundschaftlich musterte.

»Was ich Euch aber eigentlich sagen wollte, Leonardo, ist, daß Ihr in Harben immer willkommen seid. Falls Ihr Havena jemals verlassen solltet ... Ihr sollt wissen, ich schätze Euch, und bei mir werdet Ihr immer alles bekommen, was Ihr zu Eurer Arbeit braucht ...«

»Ich danke Euch für dieses großzügige Angebot, Admiral«, fiel Leonardo Sanin ins Wort. »Seid Euch gewiß, ich weiß Eure Einladung wirklich zu schätzen, doch bitte habt Verständnis, daß ich mich nach den letzten Wochen gerne auch wieder anderen Aufgaben widmen möchte. Offengestanden, ich kann Schiffe nicht mehr sehen. Sie verfolgen mich sogar schon in meinen Träumen. Das reicht! Trotzdem vielen Dank.«

Sanin war sichtlich enttäuscht. »Vielleicht überlegt Ihr es Euch ja noch einmal ...«

»Vielleicht, doch bitte entschuldigt mich nun. Ich muß noch ein letztes Mal das Schiff vermessen und die Daten mit meinen Berechnungen vergleichen.«

»Ich bin sicher, daß morgen beim Stapellauf alles gutgehen wird.« Sanin streckte ihm die Hand entgegen. Eigentlich mochte Leonardo so joviale Gesten nicht, doch die Hand auszuschlagen, wäre eine Beleidigung. Der Admiral ergriff seine zögerlich ausgestreckte Rechte und drückte sie kräftig. Dabei musterte er ihn noch einmal mit seinen dunkelbraunen Augen, um die sich ein Kranz feiner Falten zog. »Das Reich brauchte mehr Männer wie Euch, Leonardo. Mögen die Zwölfgötter Eure Wege behüten!«

Mit diesen Worten drehte sich der große Mann um und ging gemessenen Schrittes zum Tor der Schiffshalle zurück.

Das Reich braucht Männer wie mich. Leonardo mußte über die pathetischen Worte des Admirals lächeln. Wahrscheinlich hatte Sanin keine Ahnung. Doch Leonardo wußte ganz genau, daß die Inquisition ihn jahrelang hatte beobachten lassen. In der Stadt des Lichtes stand er im Ruf ein Ketzer zu sein, auch wenn man ihm nie etwas hatte nachweisen können. Doch seine ungewöhnlichen Ideen waren nicht überall geschätzt.

Das war einer der Gründe, warum er in Havena lebte. Dort war er vor dem direkten Zugriff der Inquisition sicher. Dabei waren die Vorwürfe gegen ihn im höchsten Grade lächerlich. Angeblich sollte er mit seinen Erfindungen die Ordnung der Götter durcheinanderbringen. So ein Unsinn. Die Götter dürften wohl kaum menschliche Hilfe brauchen, um ihre Ordnung aufrecht zu erhalten. Aber solche Gedanken behielt er besser für sich. Leonardo drehte sich noch einmal zu seinem Schiff um. Hoffentlich würde es die großen Erwartungen erfüllen, die alle in die Widder steckten. Vor allem den jungen Prinzen würde er ungern enttäuschen. Er war so anders als die meisten Adligen, die Leonardo bisher kennengelernt hatte. Man stelle sich das vor. Ein Prinz, der mit gemeinen Soldaten plauderte und vor einigen Wochen darauf bestanden hatte, mitsamt seinem Offiziersstab in einer der einfachen Holzbaracken am Stadtrand untergebracht zu werden, weil er kein besseres Quartier haben wollte, als die Frauen und Männer, die an seiner Seite ihr Leben für das Reich riskierten.

Auf dem Feldzug im letzten Jahr soll er nach der Schlacht am Orkenwall sogar mit dem Kopf im Schoß eines alten Pikeniers eingeschlafen sein. Wirklich ungewöhnlich. Seine Soldaten vergötterten ihren Anführer. Doch Helden sterben jung. Erst heute hatte der Prinz verkündet, daß er persönlich die Kavallerie anführen würde, die die Schiffe den Fluß hinauf eskortierte. Hoffentlich würde sein Glück ihn nicht verlassen.

Leonardo murmelte ein Gebet an Rondra, die Göttin der Krieger. Brin war ein Mann wie die Kriegerkönige in den alten Heldenliedern. Hoffentlich würde ihn Rondra nicht schon zu bald an ihre Seite rufen.


Zerwas pfiff leise durch die Zähne. Er hatte eine Hügelkuppe erreicht und konnte nun die ganze Flotte überblicken, die sich gegen die Strömung den Großen Fluß hinauf kämpfte. Fünfzig Schiffe! Der größte Flottenverband, der jemals auf diesem Strom gefahren war.

Die meisten waren freilich nur kleine Flußkähne, die durch die Techniker des Windhager Regiments notdürftig auf einen Kampf vorbereitet waren, doch durch ihre schiere Masse wurden auch sie zu einer Gefahr. Die meisten der Schiffe hatten havenisch getakelte Masten. Leonardo hatte Sanin davon überzeugen können, daß die Dreieckssegel den großen quadratischen Segeln, die bislang auf den Schiffen vorgeherrscht hatten, überlegen waren. Mit dieser Takelung konnte man flexibler auf die durch die Flußkehren ständig wechselnden Windverhältnisse reagieren.

Fast alle der Flußkähne waren mit Hornissen oder leichten Aalen ausgerüstet worden, um sich gegen feindliche Bogenschützen zur Wehr setzen zu können.

Hoffentlich war Sadrak Whassoi gut ausgerüstet. Diese Flotte machte den Eindruck, als würde sie sich durch nichts aufhalten lassen. Am Ostufer wurden sie von fast fünfhundert Reitern begleitet, über die der Prinz persönlich das Kommando führte. Sie dienten als Eskorte für die muskelbepackten Arbeitspferde, die auf dem Treidelpfad gingen. Um schneller gegen die Strömung vorwärts zu kommen, wurden alle Schiffe von Kaltblütergespannen gezogen.

Es war schon beachtlich, was Sanin und der Generalstab in den letzten Wochen geleistet hatten. Alle Arbeitspferde im Umkreis von hundert Meilen waren für dieses Unternehmen zusammengezogen worden. Die Zwerge des Koschgebirges mußten fast ihre gesamten Kupfervorräte zu großen Platten geschmiedet haben, mit denen dann die vordersten drei Schiffe des Konvois gepanzert worden waren.

Krieger und Abenteurer hatten sich aus allen Himmelsrichtungen freiwillig gemeldet. Ein Teil von ihnen war der Reiterei angegliedert worden, die meisten füllten allerdings die Decks der Schiffe. Ausgerüstet mit Bogen und Armbrüsten, waren sie gegen jeden Angriff, den die Orks von den Ufern aus unternehmen mochten, wohl gewappnet.

Selbst Efferd und der sagenumwobene Flußvater schienen dem Unternehmen günstig gesonnen zu sein. Das braune Wasser des gewaltigen Stroms stand jetzt so hoch, daß die meisten Sandbänke überspült waren und es bislang keine Probleme mit dem Vorrücken gegeben hatte.

Zwanzig Meilen, das war die Strecke, die sie am ersten Tag zurückgelegt hatten. Und wenn sie dasselbe Tempo wie bisher beibehielten, würden sie auch am zweiten Tag nicht weniger schaffen. Höchstens anderthalb Wochen mochten sie bei diesem Tempo bis Greifenfurt brauchen.

Zerwas war gespannt, was der Schwarze Marschall dagegen unternehmen würde. In der Gestalt des Ritters Roger hatte der Vampir an allen wichtigen Versammlungen des Generalstabs teilnehmen können. Die Pläne des Prinzen kannte er bis ins Detail, und vor acht Tagen war er noch einmal des Nachts in seiner Dämonengestalt im Lager des Sharraz Garthai vor Greifenfurt erschienen. Er hatte dem Orkgeneral alles verraten, was er wußte, und ihm dringend empfohlen, seinen Oberbefehlshaber zu verständigen. Nun lag es bei den Schwarzröcken, was sie aus den Informationen machten. Wieder blickte er auf den Fluß hinab. Die Spitze des Konvois bildeten die drei gepanzerten Schiffe, die Meister Leonardo konstruiert hatte. Es folgten drei Flußgaleeren mit je 80 Rojern. Die Schiffe kamen aus Havena, gehörten aber eigentlich zur dritten Galeerenflotte der kaiserlichen Flotte im Meer der Sieben Winde. Sie bildeten den Abschluß der vorderen Kampfgruppe der Flotte. Ihnen folgten 40 Flußschiffe der unterschiedlichsten Größen. Es gab kleine Nachen, die von den Zwergen, die den Angbarer See befuhren, gestellt worden waren, etliche Flußschiffe von freien Kapitänen und zu guter letzt sogar einige der größeren Schiffe aus den Handelcompanien von Elenvina und Havena. Diese Lastkähne, die normalerweise nur im Treidelverkehr auf der unteren Hälfte des Großen Flusses Verwendung fanden, waren von Meister Leonardo mit einem Ring dickbauchiger, fest an den Rumpf getauter Fässer umgeben worden. So erhielten die Lastkähne zusätzlichen Auftrieb und konnten auch die Strecke bis Greifenfurt schaffen, obwohl das Bett des Stroms im Norden wesentlich flacher war. Erreichten die Lebensmittel und Waffen, die auf diesen Schiffen transportiert wurden, tatsächlich ihr Ziel, so würden die Belagerten ohne Probleme den Rest des Winters überstehen. Ganz zu schweigen von den unzähligen Söldnern und Abenteurern, die dem Aufruf des Prinzen gefolgt waren. Mit diesen Truppen mochte es vielleicht sogar gelingen, den Belagerungsring um die Stadt zu sprengen.

Zerwas gab seinem Pferd die Sporen und lenkte es den Hügel hinab, um sich wieder dem Hauptverband der Reiterei anzuschließen. Seine Linke krampfte sich vor Wut um den Sattelknauf. Sein Plan, der Flotte durch den Alchimisten Promos den Untergang zu bringen, schien fehlgeschlagen zu sein. Promos fehlte noch immer eine wichtige Chemikalie, um seine Arbeit zu vollenden.

Wütend knirschte Zerwas mit den Zähnen. Diese Runde seines Intrigenspiels hatte er verloren. Vielleicht mochte es dem Schwarzen Marschall gelingen, die fünfhundert Reiter aufzuhalten, doch die Schiffe würde er nicht abfangen können. Greifenfurt schien gerettet!


»Bruder Anshelm, Meister Pagol, der das Amt des Wahrers der Ordnung bekleidet, hat dich als besonders pflichtbewußt empfohlen.« Der kleine, korpulente Mann wich dem Blick des Inquisitors Roderick aus. Der feiste Geweihte, der mit unangenehm öliger Stimme sprach, saß auf einem thronartigen Sessel Anshelm direkt gegenüber.

Der schmale, aber hohe Saal, in dem sich Anshelm befand, wies außer den Bannern in den Farben des Praios keinen Schmuck auf. An seiner Stirnseite standen vier hohe, kostbar geschnitzte Stühle. Einer davon war verwaist. Das mußte der Platz sein, auf dem Baron Dexter Nemrod sonst zu sitzen pflegte.

Die anderen drei waren besetzt von Ordensbrüdern, die sich bereits seit Jahrzehnten im Kampf gegen die Ketzerei bewehrt hatten. Fast in der Mitte saß Roderick, derjenige, der das Wort an ihn gerichtet hatte. Die Fettpolster unter seinem Kinn erbebten bei jedem Wort, das er gesprochen hatte, und gaben ihm gemeinsam mit seinem voluminösen Körper ein eher komisches, als bedrohliches Äußeres. Doch dieser Eindruck täuschte. Kein anderer Inquisitor hatte so viele Hexen auf den Scheiterhaufen gebracht wie Roderick.

Links neben ihm saß Magon, den man in Gareth auch furchtsam Flammenhand nannte. Er war groß und muskulös. Sein Kopf war kahlgeschoren und sein Alter schwer zu schätzen. Er war Scharfrichter in den Diensten der Inquisition und dafür berühmt, daß er auch den verstocktesten Ketzer dazu überreden konnte, seine Sünden zu beichten, so daß er danach auf die Gnade des Praios hoffen durfte. Daß er an dieser Versammlung teilnahm, war etwas Besonderes, denn Magon bekleidete im Gegensatz zu Roderick nicht das Amt eines Geweihten.

Ganz rechts außen saß ein dürrer Mann, der selbst hier in der Stadt des Lichtes seine Rüstung nicht abgelegt hatte. Anshelm kannte ihn nur dem Namen nach. Graf Gumbert war Hauptmann in der Tempelgarde, doch war dies ein reines Ehrenamt. In Wirklichkeit leitete er einen Teil des Agentennetzes der KGIA. Der Graf hatte nach Baron Dexter Nemrod für einige Jahre die gefürchtete Maraskan-Abteilung des Dienstes geleitet und war dann weiter in Amt und Würden aufgestiegen. Man sagte von ihm, daß er fast so gut wie der Baron selbst über die Dinge, die im Reich vorgingen, informiert war.

»Anshelm«, Roderick hatte sich ihm wieder zugewandt.

»Ist es richtig, daß du bislang noch nicht unserem Bruder Marcian begegnet bist.«

»Nicht ganz, ehrwürdiger Bruder Roderick. Einmal habe ich ihn von weitem auf dem Übungsplatz gesehen.«

»Doch dich kennt er nicht?« Roderick strich nachdenklich über sein Doppelkinn.

»Nein, ehrwürdiger Bruder. Nicht, daß ich es wüßte.«

»Du weißt, daß Marcian sich schon einmal eines Verbrechens schuldig gemacht hat, das, wäre es allgemein bekannt geworden, dem Ruf der Inquisition nachhaltigen Schaden bereitet hätte?« Graf Gumbert sprach nun. Er maß Anshelm mit einem Blick, der den jungen Inquisitor zutiefst beunruhigte. Anshelm hatte zwar auch schon vor Jahren die Kunst des ›lodernden Blicks‹ erlernt - von dem man im Volk behauptete, ein Inquisitor könne einem so direkt in die Seele blicken -, doch Graf Gumberts Blick war von einer Intensität, wie Anshelm sie noch nie bei einem Sterblichen erlebt hatte.

»Ich habe Gerüchte gehört«, murmelte der junge Geweihte leise.

»Die Wahrheit ist, daß Marcian der Buhle einer Hexe war.« Magon hatte seine Stimme erhoben. »Eigentlich hätte er für diesen Verrat an der Inquisition auf den Scheiterhaufen gehört, doch da ihn der Baron schützte, wurde er nicht einmal aus seinem Amt als Inquisitor entfernt.«

»Nun ist uns durch einen meiner Agenten zugetragen worden, daß selbiger Marcian schon wieder Mittel anwendet, die uns zur Schande gereichen. Einer meiner Männer gehört zu den Vertrauten, mit denen er sich in Greifenfurt umgeben hat. Die Vorwürfe, die mich auf diesem Weg erreichten, sind so ungeheuerlich, daß ich dich, Bruder Anshelm, mit der Untersuchung der wahren Hintergründe dessen, was zur Zeit in dieser belagerten Stadt passiert, beauftragen möchte.«

»Und wie steht der Baron dazu?« wandte Anshelm zögerlich ein.

»Marcian konnte sich nur halten, weil Nemrod ihn schützte, doch du kannst dir dessen sicher sein, daß auch dieser eine Schandfleck in dem ansonsten untadeligen Lebenslauf des Barons eines Tages seine Konsequenzen haben wird. Vielleicht sind seine Tage im Amt des Großinquisitors gezählt, so daß er Marcian schon bald nicht mehr schützen kann.« Gumberts Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Er schien über das Vorgehen des Großinquisitors ernsthaft entsetzt zu sein. Und das zu Recht, dachte sich Anshelm, wenn es wirklich stimmte, daß Baron Dexter Nemrod Marcian wider besseres Wissen protegiert hatte, dann wäre er nicht mehr würdig, sein Amt als erster Inquisitor des Reiches auszuüben.

»Du darfst uns nicht mißverstehen, Bruder«, mischte sich Roderick wieder ein. »Uns geht es hier nicht darum, eine Intrige zu spinnen. Wir wollen die Wahrheit ans Licht bringen, um die Inquisition vor Schaden zu bewahren. Deshalb legen wir diese Aufgabe auch in deine Hände. Du kennst Marcian nicht und bist weder sein Freund noch sein Feind. Du wirst gerecht urteilen können, ob er gefehlt hat oder ob unser Verdacht nur auf übler Nachrede beruht.«

»Ein schweres Amt«, antwortete Anshelm zögerlich.

»Gewiß Bruder, doch sind wir alle der Meinung, daß es bei dir in den rechten Händen liegt. Außerdem möchten wir dich noch mit einer zweiten nicht minder wichtigen Aufgabe betrauen. Wir wissen, daß sich Geweihte fast aller Götter der Flotte des Prinzen angeschlossen haben, denn die Bürger Greifenfurts müssen seit nunmehr anderthalb Jahren auf den Trost und Beistand von Götterdienern verzichten, weil die Orks bei der Eroberung der Stadt alle Geweihten verschleppten. Du sollst dort für die Errichtung eines neuen Praiostempels sorgen und wirst in Greifenfurt das Amt des Hochgeweihten bekleiden. Das Haus des Herren ist, wie du sicher wissen wirst, durch die Orks zerstört worden. Doch Greifenfurt ist für unseren Kult eine überaus wichtige Stadt. Nicht nur, daß der Glanz des Praios die Bluttaten der Schwarzpelze vergessen machen soll, vor Jahrhunderten ist dort der Götterbote Scraan in seiner fleischlichen Gestalt zu Tode gekommen. Allein schon ihm zum Ruhme geziemt es sich so schnell als möglich, die Präsenz des Praios, repräsentiert durch einen würdigen Geweihten, wiederherzustellen.«

Anshelm zögerte. Seit einer Weile schon gab es Gerüchte, daß sich Baron Dexter Nemrod von seinem Amt als Großinquisitor zurückziehen wollte. Ober einer der drei hier sein Amt übernehmen würde? Ganz ungeachtet davon, daß es ihm als neuem Hochgeweihten des Praios in Greifenfurt obliegen würde, zu entscheiden, ob Marcian schuldig war oder nicht. Bis sich noch einmal die Gelegenheit bieten würde, ein so hohes Tempelamt zu übernehmen, mochten Jahre vergehen. Anshelms Entscheidung stand fest.

»Ehrwürdige Meister, ich fühle mich zutiefst geehrt durch das Vertrauen, daß Ihr, trotz meines niedrigen Ranges in der Geweihtenschaft, in mich setzt. Ich werde versuchen, Eure Erwartungen nach bestem Wissen und zur Ehre unseres Gottes zu erfüllen.«

»Gut, Bruder Anshelm.« Roderick lächelte zufrieden. »So begebe dich nun in deine Kammer, um für die Reise zu packen, und beeile dich, denn im Hof erwarten dich schon ein Pferd und drei Ritter der Tempelgarde, zu deinem Schutz. Du mußt der Reichsstraße nach Angbar folgen, und sobald du auf die Breite triffst, gen Norden reiten. Dann wirst du auf den Prinzen und seine Armee stoßen. Möge das Licht des Praios immer auf deinen Wegen scheinen.«

»Ihr ehrt mich durch Euer Vertrauen und Euren Großmut.« Anshelm verbeugte sich vor den drei Würdenträgern und verließ dann eiligen Schrittes den Saal.

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