4

Ein eisiger Wind wehte von Westen her über den Fluß.

Es kostete Alrik einige Überwindung aufzustehen. Obwohl er in seinen Umhang und einen Pelz eingerollt geschlafen hatte, war er völlig durchgefroren. Wie mochte es da erst den schlechter ausgerüsteten Kriegern ergangen sein?

Seufzend richtete der junge Oberst sich auf, stieß den schneebedeckten Pelz beiseite und reckte sich. Im Osten war ein erster, blaßblauer Schimmer am Horizont zu sehen. Bald würde die Sonne aufgehen. Alriks Blick schweifte über das Lager, eine langgezogene Wiese, bedeckt mit in ihren Decken eingeschneiten Schlafenden.

Schon gestern abend, als sie dieses Lager hoch über der Uferböschung gewählt hatten, waren die ersten Schneeflocken gefallen. Der Prinz hatte einen Teil der Decken, die für die Bürger Greifenfurts gedacht waren, unter den Soldaten austeilen lassen.

Jetzt bildeten die eingeschneiten Schlafenden eine bizarre Landschaft aus Hunderten von kleinen Hügeln. Hier und dort gab es einen dunklen Fleck im Weiß, wenn sich einer von seinem Lager erhoben hatte und der nackte Erdboden wieder zu sehen war.

Kleine Grüppchen drängten sich um die Wachfeuer, auf denen meist schon große Kessel mit heißem Wasser oder Suppe standen. Ein wohliges Rieseln durchlief Alrik bei dem Gedanken an eine Tasse warmes Wasser.

Der Oberst griff nach dem Küraß, der neben ihm aufrecht im Schnee stand. Das Metall des Panzers war so kalt, daß seine Finger daran haften blieben. Fluchend zuckte er zurück und zog seine ledernen Stulpenhandschuhe aus dem Gürtel. Sie wärmten zwar kaum, würden ihn aber vor dem kalten Metall schützen. Pelzfäustlinge oder warme Wollhandschuhe wie die Soldaten auf den Schiffen konnte er nicht tragen. Wer zur Kavallerie gehörte, mußte den Tag über ständig kampfbereit sein, und mit Fäustlingen ließ sich keine Waffe führen.

Schaudernd schloß der Oberst die Schnallen an seinem Küraß. Obwohl er ein warmes, wollenes Wams trug, war ihm, als sei er in ein Gefängnis aus Eis eingesperrt. Mit langen Schritten suchte er zwischen den Schlafenden hindurch den Weg zum nächsten Feuer. Er brauchte etwas Warmes, oder er würde vergehen!

»Ihr schaut ja aus, als hätte Euch eine Eisfee geküßt«, begrüßte ihn der alte Soldat, der mit einem großen Schöpflöffel durch den Kessel auf dem Feuer rührte.

»Hier, trinkt! Ich habe ein paar Kräuter reingetan, damit es nach was schmeckt.«

Der Mann drückte Alrik eine Holzschale in die Finger und füllte sie fast bis zum Rand mit dem dampfenden, bräunlichen Getränk.

Gierig trank der Oberst. Mit jedem Schluck durchlief ihn ein warmer, wohliger Schauer. Der alte Soldat musterte ihn dabei. Er hatte sich ein Leinentuch um den Kopf geschlagen, auf dem ein wenig verrutscht sein Helm thronte. Über die Schultern trug er eine von den grauen Decken, die der Prinz hatte austeilen lassen. Seine Füße verhüllten Stiefel, die so zerschlissen waren, daß sich selbst mit viel Phantasie ihre ursprüngliche Farbe nicht mehr erraten ließ. Um die Waden hatte sich der Mann Lumpen gewickelt und mit über Kreuz gezurrten Stricken festgebunden.

»Tut gut, nicht?« Der Alte musterte Alrik mit trüben, blauen Augen. Sein Gesicht war wettergegerbt und wurde von einer riesigen, roten Nase beherrscht, die weit über einen struppigen, grauen Schnauzbart hinausragte.

»So ein Kräutersud, das ist schon fast das Beste, was man sich an so einem eisigen Morgen antun kann, nicht wahr, Herr Oberst?«

Alrik brummte zustimmend, legte die leere Holzschale beiseite und rieb sich seine kalten Finger über dem dampfenden Kessel.

Auch der Soldat beugte sich vor. An seiner Nasenspitze glänzte jetzt ein kleiner, durchsichtiger Tropfen. »Es gibt nur eins, was noch besser ist ...«

Der Mann grinste verschwörerisch.

Alrik blickte immer noch wie gebannt auf den zitternden Tropfen an der Nase des Alten. Er hatte jetzt fast schon die Größe einer kleine Erbse erreicht.

Der Soldat griff unter die Decke, in die er sich eingehüllt hatte, und zog ein kleines, irdenes Fläschchen hervor. Durch die Bewegung erbebte der Tropfen, zog sich immer mehr in die Länge und löste sich dann von der Nase, die ihn geboren hatte, um geradewegs in den dampfenden Kessel zu stürzen.

Der Soldat schneuzte sich, fuhr mit der lumpenumwickelten Hand unter der Nase durch und reichte Alrik mit der anderen das Fläschchen.

»Trinkt das. Auch wenn es der Prinz verboten hat, nichts vertreibt die Kälte besser als ein Schluck Premer-Feuer. Glaubt nur einem alten Veteranen.«

Eine in dicke Pelze vermummte Gestalt - offensichtlich ein Offizier - war zu den beiden ans Feuer getreten und schlug sich mit den Armen vor den Leib, um sich aufzuwärmen. Ein roter Schal verbarg das Gesicht des Mannes, bis auf die braunen Augen.

Alrik nahm einen tiefen Schluck aus dem Fläschchen. »Bei Firun, das treibt einem wirklich die Kälte aus den Knochen.«

Sorgfältig verschloß er die kostbare Flasche und reichte sie dem Soldaten zurück.

Der Vermummte hatte sich eine der Holzschalen genommen, die neben dem Feuer lagen, und ließ sich eine Kelle voll Kräutersud geben. »Der Prinz ist zwar ein wackerer Streiter, aber über die Feinheiten eines Winterfeldzugs muß er noch einiges lernen.«

Der alte Soldat grinste Alrik breit an, und erneut löste sich ein Tropfen von seiner Nase und fiel in den dampfenden Kessel.

»Wie meint ihr das?« brummte der Fremde hinter seinem Schal. Er hatte mit beiden Händen die Holzschale umschlossen, zögerte aber zu trinken.

»Wißt Ihr, Herr Offizier, ich habe schon unter dem alten Kaiser Reto gedient. In dem Winter, nachdem er Bardo und Cella aus Gareth vertrieben hatte, ist er mit dem Heerbann nach Norden gezogen, um einer großen Bande marodierender Orks das Fell zu gerben. Damals war es so kalt, daß manchem Ritter sein Bart am Helm festgefroren ist.«

Der Soldat streckte seine Hände über den dampfenden Kessel und rieb sich die roten Finger.

»Am schlimmsten war es immer, wenn man sich morgens aus den verschneiten Decken gewickelt hatte. Genau wie uns Brin war Reto damals auch so eilig aufgebrochen, daß er auf einen Troß mit Zelten und so verzichtet hatte. So kamen wir dann jede Nacht auf dem beinhart gefrorenen Boden in den Bergen zu liegen. Ich sage dir, Junge, da ist das hier noch gar nichts gegen. - Aber weißt du, was der alte Reto mitgenommen hat? Ein paar Maultiere beladen mit Branntweinfässern. Nicht, daß wir uns besoffen hätten, aber jeden morgen gab es zum Aufstehen einen kräftigen Schluck für Ritter wie Waffenknechte. Da fängt nach so einer lausigen Nacht im Schnee der Tag gleich ganz anders an.«

Alrik nickte. Ganz unrecht hatte der Alte nicht, nur leider war das wohlig warme Gefühl viel zu schnell wieder verschwunden.

»Weißt du, warum die Thorwaler alle schon auf sind?« Der Soldat setzte wieder ein verschwörerisches Grinsen auf. »Die scheren sich einen Dreck um die Vorschrift des Prinzen. Die haben alle schon ein oder zwei Hörner voll warmen Mets getrunken, bevor der erste kaiserliche Offizier in ihre Töpfe schaut. Und recht haben sie, es geht wirklich nichts über einen guten Schluck.«

»Kann ich auch mal an deinem geheimen Vorrat nippen?« meldete sich der Vermummte. Die Holzschale mit dem Kräutersud, an dem er nicht einmal genippt hatte, stellte er vor sich in den Schnee.

Der Alte zögerte. »Nichts für ungut, Herr, aber Euch kenne ich nicht. Gebt mir erst Euer Wort, daß Ihr dem Prinzen nicht verraten werdet, was Ihr bei mir gesehen habt.«

»Mein Wort, ich werde dem Prinzen nichts sagen.« Der Vermummte blinzelte freundlich mit seinen braunen Augen, griff nach dem Fläschchen und zog sich den Schal vom Gesicht.

»Bei allen Göttern ...«, stammelte der Veteran, als er dem Mann ins Antlitz blickte. Dann warf er sich auf die Knie.

»Verzeiht mir, Eure Majestät ... Seit fast vierzig Jahren diene ich treu dem Kaiserhaus ... und ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen!«

»Komm, steh auf, Alter.«

Der Prinz packte dem Soldaten unter die Arme und half ihm wieder hoch, um dann mit strenger Stimme fortzufahren. »Soldat, dies soll der letzte Tag sein, den du als Gemeiner in meinem Heer dienen darfst. Die lockere Art, in der du über deinen Herrscher redest, muß bestraft werden. Zu Sonnenuntergang wird dein vorgesetzter Offizier dir den Abschied geben.«

Dem Alten rannen Tränen über die Wangen. Doch er stand stramm und sagte nichts.

»Danach meldest du dich bei mir, und ich werde dich persönlich als Heeresmundschenk im Range eines Weibels in die Musterrolle eintragen.«

Dem Soldaten stand der Mund weit offen. Eine Träne hing zitternd an seinem Schnauzbart. Schließlich stammelte er: »Ich ... danke Euch ... Majestät.«

Der Prinz nahm einen Schluck und wischte sich mit der Hand über den Mund. Dann reichte er dem Soldaten schmunzelnd die Flasche zurück.

»Du hast einfach recht. An einem Morgen wie diesem gibt es nichts Besseres als einen kleinen Schluck zum Aufwärmen. Ich brauche Männer wie dich, die frei heraus ihre Meinung sagen, wenn ich mich irre. Du hast mir einen Dienst erwiesen und nicht umgekehrt. Auf den Schiffen haben wir etliche Fässer Branntwein für Greifenfurt. Ab morgen wird es deine Aufgabe sein, dafür zu sorgen, daß jeder, der an dieser Heerfahrt teilnimmt, zum Frühstück einen Becher voller Branntwein bekommt.«

»Ein Becher zur Nacht würde auch nicht schaden«, flüsterte der Alte halblaut. »Damit würdet Ihr Euren Ahnen Reto an Freigibigkeit noch übertreffen.«

»Du nimmst wirklich kein Blatt vor den Mund.« Brin blickte lächelnd auf den Soldaten.

Dieser grinste und wollte etwas entgegnen. Doch seinem offenen Mund entrang sich nur noch ein Röcheln. Eine blutige Pfeilspitze ragte aus seiner Brust.

Einen Moment schwankte der Mann, dann kippte er vornüber in den Topf mit dem siedenden Kräutersud. Zischend ergoß sich das überlaufende Wasser ins Feuer.

Alrik und der Prinz hatten sich zu Boden geworfen.

Ein Alarmhorn erklang, und im selben Moment brach eine Schar von Orkreitern in das Lager ein.

Die wenigen Krieger, die schon auf den Beinen waren, suchten vergeblich, die Schwarzpelze aufzuhalten. Die, die erst durch den Alarm geweckt worden waren, rollten sich aus den Decken und suchten ihr Heil in der Flucht. Fluchend riß Brin seinen Säbel aus der Scheide.

Auch Alrik erkannte jetzt, was das Ziel des überraschenden Angriffs war. Die Orks jagten auf die abfallende Uferböschung zu.

»Alles zum Fluß!« schrie Alrik. Unten am Ufer waren die Reittiere der Kavallerie und die Kaltblüter, die die Schiffe den Fluß hinauf schleppten, angepflockt.

Gemeinsam mit dem Prinzen rannte der Oberst auf die Böschung zu. Wenn sie die Pferde verloren, dann war die ganze Unternehmung verloren. Vom Ufer erklang lauter Kampflärm.

Als Alrik den Rand der Böschung erreichte, blickte er auf eine lange Kampfreihe, die den Angriff der Orks aufgefangen hatte. Über hundert Thorwaler standen dicht an dicht, die Schilde ineinander verschränkt und drängten die Orks von den Pferden ab.

Mittlerweile hatte sich auch auf der Böschung eine kleine Schar von Kämpfern gesammelt.

»Mir nach!« rief der Prinz und stürmte den Abhang hinab. »Für Greifenfurt!«

Alrik fluchte. Der Prinz riskierte zu leichtfertig sein Leben. Schon der Pfeilschuß, der den alten Soldaten getötet hatte, hätte ebensogut ihn treffen können, und jetzt forderte er schon wieder das Schicksal heraus.

»Für Brin und das Kaiserreich!« brüllte Alrik, und die Männer und Frauen, die den Abhang hinabstürmten, nahmen seinen Schlachtruf auf.

Dem zweifachen Ansturm hielten die Schwarzröcke nicht stand. Sie rissen ihre kleinen Ponies herum und galoppierten von den Pferden weg, das Ufer entlang. Bogenschützen, die sich auf dem Grat der Böschung gesammelt hatten, schickten ihnen Pfeiler hinterher, doch ebenso schnell, wie sie gekommen waren, waren die Schwarzpelze auch wieder verschwunden.

»Das wohl, Leute!« brüllte ein hünenhafter Thorwaler über das Schlachtfeld. »Ist noch jemandem kalt?«

Gelächter lief durch die Reihe der rauhbeinigen Seekrieger »Besser als immer nur zu rudern war das allemal!« rief eine rothaarige Kriegerin zur Antwort.

Die Formation der Thorwaler löste sich schnell auf. Einige gingen zurück zum Lager, um sich ihre Wunden verbinden zu lassen, andere durchsuchten die Leichen der wenigen toten Orks und begannen sich lauthals um die kümmerliche Beute zu zanken.

Nur der Anführer kam die Böschung herauf und ging geradewegs auf den Prinzen zu, der eine Schwadron Ordensritter mit der Verfolgung der Orks beauftragte.

Auf dem Schild des Thorwalers prangte ein weißköpfiger Adler, der eine Schlange in seinen Klauen hielt. Der Mann mußte fast zwei Schritt groß sein. Langes, weißblondes Haar hing ihm in wirren Strähnen bis auf die Schultern herab. Mit eisgrauen Augen musterte er den Prinzen und hob dann die Rechte, in der er immer noch seine Axt hielt.

»Der König der Meere grüßt den König der Lande«, ließ er selbstbewußt vernehmen.

Alrik trat einen Schritt näher an die Seite seines Prinzen. Was mochte der Mann wollen?

»Ich grüße Euch, Phileasson. Großadmiral Sanin hat mir bereits von Euch erzählt, und ich bin froh, Euch an meiner Seite zu haben. Wenn der König des Landes und der König der Meere zusammen stehen, wer könnte sie dann noch aufhalten.«

»Wohl gesprochen, Prinz. Doch laßt uns über ernstere Dinge reden. Admiral Sanin hat mich beleidigt, und ich bin mit meinen Mannen gekommen, um ... wie sagt man auch gleich bei Hof ... Satisfaktion zu fordern.«

»Ihr wollt was?« Der Prinz legte die Stirn in Falten.

Alrik hatte sich unauffällig ein paar Schritt zurückgezogen und winkte einigen Soldaten.

»Mein Recht will ich. Weißt du, vor zwei oder drei Jahren kam es zu einer kleineren Auseinandersetzung zwischen meinen Männern und einer Galeere aus Sanins Flotte. Einige meiner Freunde mußten an Bord als Sträflinge Dienst tun. Seitdem herrscht eine - sagen wir - Mißstimmung zwischen mir und dem Admiral. Dieser Kerl hat sogar schon mehrfach versucht, meiner habhaft zu werden und einen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt.«

»Kapitän, Ihr verblüfft mich. Wie ist es Euch denn gelungen, Havena zu passieren und den Großen Fluß hinaufzusegeln, wenn ein Preis auf Euren Kopf ausgesetzt ist?«

»Vielleicht sollten wir das bei einem Frühstück besprechen .« Der Thorwaler grinste dem Prinzen unverschämt ins Gesicht.

Alrik gab den Soldaten ein Zeichen, und acht Bewaffnete bildeten einen Kreis um den Thorwaler, doch der Prinz hob beschwichtigend seine Arme.

»Laßt es gut sein, von Blautann. Dieser wackere Streiter hat gerade unsere Pferde gerettet, und ich werde nicht dulden, daß man ihn noch vor dem Frühstück in Eisen legt.«

»Bei Swafnir! Prinz, du bist ein Mann mit Manieren.« Phileasson steckte seine Axt in den Gürtel und klopfte Brin jovial auf die Schulter. Alrik schäumte vor Wut. Was nahm sich dieser Pirat da heraus! Nicht nur, daß er den Herrscher des Kaiserreichs duzte, als sei er ihm gleichgestellt, jetzt führte er sich sogar auf, als hätte er einen seiner Saufkumpanen an seiner Seite. Wie konnte Brin sich so etwas gefallen lassen?

»Weißt du, Brin«, erklärte Phileasson im aufgeräumtesten Plauderton, während er mit dem Prinzen die Böschung erklomm. »Bei Hochwasser ist es kein Problem, den Großen Fluß heraufzukommen, ohne Havena zu passieren. Und die Galeeren, die üblicherweise die Seitenarme kontrollieren, waren bereits abgezogen, um deine Flotte in Ferdok zu verstärken.«

»Ich bin sicher, Fürst Cuanu und seine Streiter haben die Güte Eures Herzens erkannt, Phileasson, andernfalls hättet Ihr niemals so weit den Fluß hinaufkommen können, ohne die Stärke seines Schwertarms zu spüren zu bekommen.«

»Mag sein.« Wieder lächelte der Thorwaler frech. »Dein Admiral jedenfalls weiß meinen Wert nicht zu schätzen. Stell dir vor, dieser Sanin hat hundert Dukaten auf meinen Kopf ausgesetzt.«

»Das erscheint mir für den Angriff auf eine kaiserliche Galeere angemessen.«

»Was?« Phileasson war stehengeblieben. »Auch du beleidigst mich? Seitdem Sanin sich diese Frechheit herausgenommen hat, lacht ganz Thorwal über mich. Hundert Dukaten für den Kopf des Königs der Meere, das ist...« Der Pirat rang nach Worten.

Alrik legte indessen seine Hand auf den Schwertgriff und versuchte sich vor die linke Seite des Prinzen zu schieben.

Brin strich sich über sein Kinn. »Langsam beginne ich Euren Standpunkt zu verstehen, Phileasson. In der Tat, was Sanin da getan hat, ist Rufmord. Doch mag es hier Männer geben, die vielleicht ganz ähnlicher Meinung sind, wie mein Großadmiral.«

»Was?« zischte Phileasson.

Der Prinz zuckte mit den Schultern. »Wißt Ihr, viele meiner Adligen haben arge Vorurteile gegen Euch Thorwaler. Vor allem jene, deren Lehen an der Küste oder einem schiffbaren Fluß liegen.«

»Verblödete aristokratische Landratten ...«, brummte der Thorwaler. »Mein Gewissen ist rein. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Untat begangen.«

»Sagt, seid Ihr wirklich den weiten Weg von Thorwal gekommen, habt meine Offiziere getäuscht und Euch dieser Flotte angeschlossen, um nun von mir die Herausgabe des Großadmirals zu fordern?«

»Es geht hier um meine Ehre«, versetzte der Krieger ernst. »Das ist keine Kleinigkeit. Hinter den Mauern von Harben, geschützt durch eine ganze Kriegsflotte und eine Garnison, konnte ich Sanin leider nicht zur Rechenschaft ziehen. Im übrigen will ich deinen Admiral keineswegs mitnehmen. Ein Duell nach dem Frühstück würde mir reichen. Was danach von ihm übrig ist, kannst du gerne behalten.«

Mittlerweile hatte der Prinz das Offiziersquartier erreicht, wo auf einem Kartentisch etliche Laibe dunklen Brots und ein großer halber Käse lagen. Als der Prinz zur Tafel schritt, traten die Offiziere respektvoll ein Stück zurück. Kritisch musterten sie den Thorwaler in seiner Begleitung. Alrik konnte beobachten, wie etliche der Männer und Frauen nach ihren Schwertern tasteten. Wer Brin respektlos behandelte, beleidigte damit auch seine Edlen.

Als sei nichts geschehen, schnitt sich der Prinz eine dicke Scheibe Brot ab und nahm sich ein Stück Käse. Dann wandte er sich zu Phileasson um.

»Seid gewiß, Kapitän, ich dulde nicht, daß Euch solches Unrecht wiederfährt.« Der Prinz erhob seine Stimme, so daß man sie nun in weitem Umkreis hören konnte. »Auf die Ergreifung der Phileasson Foggwulf, der eine kaiserliche Galeere angegriffen hat, setze ich hiermit einen Preis von tausend Goldstücken.«

»Das wohl!« Der Thorwaler war mit dieser Wendung offensichtlich zufrieden und wollte sich jetzt auch an Brot und Käse bedienen. Daß die Offiziere und Ritter rundherum ihre Schwerter zogen, ignorierte er.

Da legte Brin ihm seine Hand auf die Schulter. »Hiermit erkläre ich Euch für verhaftet, Phileasson. Die Belohnung überlasse ich dem kaiserlichen Schatzamt.«

Brin winkte wie beiläufig mit der Hand.

Das war das Zeichen, auf das Alrik so lange gewartet hatte. Mit der blanken Klinge in der Hand trat er neben Phileasson. »Im Namen des Reiches, legt Eure Waffen nieder und leistet keinen Widerstand, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

Phileasson warf Alrik einen geringschätzigen Blick zu und kaute in aller Seelenruhe weiter an seiner Brotkante.

»Mein Herr, ich glaube Ihr verkennt die Lage, in der Ihr Euch befindet, doch wenn Ihr mich und die anwesenden Edlen weiterhin durch Eure Frechheiten beleidigen wollt, können wir gerne durch ein Duell jede Gerichtsverhandlung überflüssig machen.«

»Sachte, von Blautann.« Der Prinz blickte Phileasson neugierig an. »Was hat Euch dazu getrieben, diesen tollkühnen Streich zu führen? Ihr seid hier doch förmlich in die Höhle des Löwen marschiert.«

Der Thorwaler schien von den Rittern nicht im mindesten beeindruckt.

»Nun, Brin. Ich weiß von dir, daß man dich einen mutigen, klugen Mann nennt. Wie viele Krieger hast du hier versammelt? Selbst wenn man die Waschlappen von Seeleuten auf den Flußschiffen mitrechnet, mögen es vielleicht dreitausend sein. Was glaubst du, was passiert, wenn du mich verhaften und vielleicht sogar als Piraten öffentlich hinrichten läßt?«

»Eure Leute würden versuchen, Euer Leben zu retten. Doch wenn sie nur einen Funken Verstand haben, werden sie sich nicht mit einer zwanzigfachen Übermacht anlegen.«

Phileasson runzelte die Stirn. »Ich sehe, du verstehst immer noch nicht. Das ist keine Sache des Verstandes. Das ist eine wirklich ernste Angelegenheit. Es geht um Ehre. Würde auch nur einer meiner Leute nicht sein Leben einsetzen, um mich wieder zu befreien, dann wäre er ehrlos. Also werden sie dich angreifen, Prinz, und einen gloriosen Heldentod sterben, von dem unsere Skalden noch in Hunderten Jahren bei den winterlichen Festmählern der Hetleute singen werden. Ich denke, der Ruf unserer Waffen ist schon bis zu dir gedrungen. Allein mein Steuermann Ynu würde es mit einer Handvoll deiner Ritter auf einmal aufnehmen. Sicherlich, du würdest gewinnen. Doch ich denke, du willst gegen die Orks ziehen? Kannst du es dir leisten, deine Krieger in einem so unnützen Gefecht zu verlieren? Überlaß mir Sanin zum Duell, und egal wie unser Zweikampf endet, der Streit ist damit beigelegt!«

»Das ist leider unmöglich. Sanin ist ein Mann von Adel. Er würde sich niemals mit einem Gemeinen ein Duell liefern. Das verstößt gegen unseren Ehrenkodex.«

»Was?« Phileasson verzog sein Gesicht. »Willst du mir sagen, dieser Hampelmann sei von edlerem Blut als ich? Ich trage den Titel König der Meere. Was ist er denn schon?«

»Großadmiral des Kaiserreichs, und wenn wir die Position eines Mannes nach solchen Banalitäten messen, kann ich nur sagen, ihm unterstehen wahrscheinlich wesentlich mehr Schiffe und Krieger als Euch.« Aus der Adelsrunde war Gelächter zu hören. Phileasson zog seine Streitaxt aus dem Gürtel.

»Gemach, mein Freund.« Der Prinz griff ihm nach dem Arm. »Ihr habt einen Mut bewiesen, der mir imponiert, auch wenn das vielleicht nicht auf alle meine Gefolgsleute zutrifft. Außerdem habt Ihr gerade eben unsere Pferde gerettet. Wenn Ihr weiterhin mit uns segelt und auch unter den Augen meiner adligen Offiziere Euren Mut beweist, so spricht nichts dagegen, Euch für besondere Verdienste auf dem Schlachtfeld zum Ritter des Reiches zu schlagen. Damit seid Ihr dann in der Lage, Satisfaktion von Sanin zu fordern. Ich persönlich werde auf dem nächsten Hoftag über Eurem Streitfall zu Gericht sitzen, denn habt Ihr einen Titel, steht es Euch zu, dort öffentlich Klage gegen Sanin zu erheben. Nun, wie denkt Ihr darüber?«

Phileasson kratzte sich am Bart und legte die Stirn in Falten. »Ich werde mich keinem fremden Kommando unterstellen.«

»Das ist auch nicht nötig. Ich denke, Ihr Thorwaler kämpft am besten, wenn Ihr nach eigenem Dafürhalten agiert. Keiner kennt Eure Krieger, ihre Stärken und Schwächen besser als Ihr selbst, Phileasson. Führt Eure Schiffe so, wie sie im Kampf gegen die Schwarzröcke den größten Nutzen bringen.«

Der Kapitän hatte seine Streitaxt wieder in den Gürtel geschoben. »Und wie steht es mit der Beute?«

»Ihr könnt behalten, was ihr euch selbst erkämpft, und das Kopfgeld, daß auf Euch ausgesetzt ist, wird selbstverständlich bis zum Hoftag aufgehoben.«

»Prinz, das ist der Vorschlag eines aufrechten Mannes. Ich nehme an.«

Der Thorwaler klopfte Brin wieder jovial auf die Schulter, dann drehte er sich langsam im Kreis, um die anwesenden Adligen mit herausfordernden Blicken zu messen, und machte sich schließlich auf den Weg zurück zu seinen Schiffen.

»Eure Majestät, wie könnt Ihr nur einen solchen Handel mit einem Piraten schließen.« Alrik war entsetzt. Er hätte den Thorwaler am liebsten an der Rah seines eigenen Flaggschiffs hängen gesehen.

»Mein lieber Oberst, Ihr seid ein tapferer Mann, aber es scheint mir, was die Diplomatie angeht, habt Ihr noch einiges zu lernen. Ich bin hier, um Greifenfurt zu befreien und die Orks zu bekämpfen. Welchen größeren Gefallen könnte ich dem Schwarzen Marschall tun, als meine eigenen Truppen durch unnütze Gefechte zu schwächen? Dieses Schlitzohr von einem Piraten hat recht. Würden wir ihm und seinen Männern einen Kampf liefern und das Urteil, das ihm zusteht, vollstrecken, so würde uns das viele Krieger kosten. Doch jetzt wird Phileasson auf unserer Seite stehen, was er ursprünglich nicht beabsichtigte. Ich habe hundertfünfzig erfahrene Kämpfer gewonnen und ihn keineswegs begnadigt, sondern den endgültigen Urteilsspruch nur aufgeschoben. Für Krieger mag diesem Handel der Ruch der Unritterlichkeit anhaften, aus diplomatischer Sicht war es ein großer Erfolg. Ihr solltet auch nicht die angespannten Beziehungen zum Lieblichen Feld vergessen, Oberst. Vielleicht wird es uns eines Tages noch von großem Nutzen sein, wenn wir unsere Flotte im Meer der Sieben Winde mit den Langbooten eines berühmten Thorwalerkapitäns verstärken können.«

Загрузка...