Anshelm war äußerst schlecht gelaunt. Die Reise zum Heer des Prinzen war zwar ruhig verlaufen, doch in diesem eisigen Wetter dauernd auf einem Pferderücken zu sitzen war nicht seine Sache. Nein, ein Geweihter sollte anderen Aufgaben nachgehen. Vor allem wenn er Pferde verachtete. Nicht, daß ihm jemals ein Pferd etwas zu leide getan hätte, doch war es bei seiner Leibesfülle nicht ganz leicht, den Rücken eines Reittiers zu erklimmen, und führte meist dazu, daß alle, die ihm dabei zusahen, mehr oder weniger bemüht ihr Schmunzeln verbargen. Pferde machten ihn lächerlich! Also haßte er Pferde. Den ganzen Tag lang zu Fuß zu gehen machte ihm nichts aus, doch im Sattel zu sitzen ...
Mittlerweile war es nicht mehr so schlimm, wie an den ersten beiden Tagen, nachdem er mit seinen Leibwächtern Gareth verlassen hatte, doch damals hatte er geglaubt, er würde sich nie wieder in seinem Leben hinsetzen können.
Nun, er hatte auch das überstanden. Selbst der eisige Wind machte ihm nicht mehr ganz so viel aus, wie am Anfang.
Brin hatte ihn persönlich bei dem Heer, das gen Greifenfurt zog, willkommen geheißen. Noch nie war er dem zukünftigen Kaiser so nahe gewesen. Ein freundlicher, junger Mann. Vielleicht ein wenig zu jung, um die schwere Verantwortung zu tragen, die nun auf seinen Schultern lastete.
Jedenfalls war er, seit er im Heerlager eingetroffen war, ständig in der Nähe des Herrschers gewesen, und so hatte er nicht umhin gekonnt, mitzuerleben, was er sich an diesem Morgen geleistet hatte.
Ein Pirat hatte den Vertreter des Kaiserhauses beleidigt! Ihn auf infame Weise geduzt und war dann noch seinem gerechten Urteilsspruch entkommen. Ein Skandal!
Anshelm hatte kurz danach mit Großadmiral Sanin über den Zwischenfall gesprochen. Der Admiral war mit ihm einer Meinung, daß dieser Phileasson ein berüchtigter Freibeuter sei und eigentlich an den nächsten Galgen gehöre.
Trotz der Kälte wurde Anshelm ganz heiß vor Wut. Was hatte sich der Prinz nur dabei gedacht? Gerade in Kriegszeiten mußte man besonders hart durchgreifen! Einem Feind des Reiches durfte kein Pardon gegeben werden.
Anshelm blickte auf den Fluß. Die Schiffe der Thorwaler Piraten bildeten das Ende des langen Zuges von Schiffen, die den dunklen Strom heraufkamen. Das war mit Sicherheit kein Zufall. Dort war es am leichtesten, zu verschwinden, wenn es ernst werden sollte. Vielleicht würden sie auch noch einige der schutzlosen Ortschaften weiter im Süden plündern, bevor sie schließlich auf hoher See verschwanden. Dieser leichtfertige Prinz! Er hatte fast alle Soldaten aus der Region abgezogen, um die Truppen der Flotte zu verstärken.
Die großen Flußkähne, auf deren Decks sich der Nachschub für Greifenfurt stapelte, kamen nur langsam gegen die Strömung vorwärts. Der Wind stand schon seit Tagen ungünstig. Ein Zeichen dafür, daß auch die Götter gegen diese Flottenoperation waren!
Gespanne zogen die Schiffe. Pferdeknechte führten die Tiere am Zaun und achteten darauf, daß sich die Geschirre und die langen Lederseile, die zu den Schiffen führten, nicht verhedderten. Ab und zu ließen sie auch ihre Peitschen knallen, wenn die Pferde nicht mehr weiter mochten.
Mehr als eine Meile zog sich der Konvoi den Fluß hinab. Zum Schutz der Zugpferde patrouillierten Reiter am rechten Flußufer, und Prinz Brin ritt mit seinem Gefolge an der Spitze des Zuges. Er schien keinen Gedanken daran zu verschwenden, wie leicht ihn der Pfeil eines verborgenen Bogenschützen treffen konnte. Erst an diesem Morgen war ein Soldat, der neben ihm stand, durch einen Pfeil zu Tode gekommen. Vermutlich dachte Prinz Brin gar nicht daran, daß das Reich erneut in Chaos und Anarchie versinken würde, wenn er starb. Wer sollte ihm auf den Thron des Kaisers folgen? Anshelm erschauderte bei dem Gedanken. Er wußte, daß einige seiner Brüder daran dachten, daß es in diesem Fall das beste sei, den Boten des Lichts, den Hohen Priester des Praios, zum Herrscher auszurufen, so wie es vor langer Zeit schon einmal geschehen war, als der Thron in Gareth verwaist war. Vielleicht wäre das wirklich das beste? Doch zunächst galt es den jungen Prinzen, der trotz seiner kurzen Regierungszeit im Volk immer beliebter wurde, nach Kräften zu schützen.
An der Spitze des Zuges ertönte ein Signalhorn. Ein Spähtrupp unter der Führung Oberst von Blautanns kehrte zur Hauptmacht zurück. Anshelm gab seinem Grauen die Sporen, um zum Prinzen aufzuschließen.
Doch zu viele hatten sich schon um den Prinzen versammelt und so konnte Anshelm nur wenige Worte hören, die der Wind ihm zutrug.
»... Durchkommen unmöglich ... überall Orks. Zu wenige, um die Hauptmacht aufzuhalten, aber ... für Spähtrupps. Wir müssen nahe an ihrem Lager sein und ...«
Ein Durchkommen unmöglich? Anshelm konnte darüber nur verächtlich schnauben. Hier war die Elite der kaiserlichen Ritterschaft und mehr als zwanzig Geweihte der Rondra, die in den Stand der Ritterschaft erhoben waren. Sie alleine würden ausreichen, um die Orks aus den Büschen zu treiben, in denen sie sich verstecken mochten.
Doch der Prinz ließ zum Sammeln blasen, und dann verkündete ein zweites Hornsignal, daß sich alle Offiziere und Würdenträger um ihn versammeln sollten.
Andra verstand die kaiserlichen Offiziere nicht. Während sie in der ersten Reihe des riesigen Reitertrupps trabte, der sich nun den Fluß hinauf bewegte, dachte sie wieder an die Stabsbesprechung.
Die Kaiserlichen wußten nichts über die Orks und ihre Verteidigungsvorbereitungen. Ja, sie wußten nicht einmal wie viele Gegner vor ihnen lagen. Alle Spähtrupps, die man den Fluß hinauf geschickt hatte, waren niedergemacht worden. Nur der junge Ritter Roger, ein Streiter aus dem Gefolge des Prinzen, hatte Glück gehabt. Er war der einzige, der von einem zehnköpfigen Spähtrupp zurückgekehrt war.
Die Schiffer, die diesen Abschnitt des Flusses kannten, hatten erklärt, daß in etwas mehr als einer Meile Entfernung der Zusammenfluß von Auge und Breite lag. Wahrscheinlich befand sich dort das Lager der Orks. Um sich Klarheit zu verschaffen, wurden zwei Magier ausgeschickt, die Tiergestalt angenommen hatten, doch auch sie blieben verschwunden. Dann sollte vorzeitig ein Nachtlager aufgeschlagen werden, und die Versammlung löste sich schon auf, als plötzlich der Wind drehte. Zum ersten Mal, seit sie Ferdok verlassen hatten, wehte er aus südlicher Richtung. Bei dieser Brise konnten es selbst die langsamen Flußboote in zwei Tagen bis Greifenfurt schaffen, und alle Pläne wurden umgeworfen. Der Prinz ließ die Reiter aufsitzen und gab den Offizieren Befehl, die Kämpfer zehn Reihen tief antreten zu lassen. Die ersten beiden Reihen, jeweils hundert Reiter, waren ausschließlich Ritter und schlachterprobte Kavalleristen. Sie sollten die Formation des Feindes aufreiben und wie ein Sturmwind über die Orks hinwegfegen. Um die Ritter mit Artilleriefeuer zu unterstützen, wurden sie auf dem Fluß von den kupferbeschlagenen Schiffen und drei Galeeren begleitet. Während die Reiter frontal angriffen, sollten die Schiffe das Lager der Orks vom Wasser her beschießen.
Wieder schüttelte Andra den Kopf. Die Mittagsstunde war schon längst verstrichen; es würde nicht mehr lange hell sein. Die Jägerin war von diesem Plan nicht überzeugt. Alrik hatte ihr vorgeworfen, daß sie nicht ritterlich dachte, doch nach ihrem Dafürhalten war es blanker Leichtsinn, einen Feind, über den man nichts wußte, frontal anzugreifen.
Trotzdem war sie mitgekommen. Warum, wußte sie selbst nicht ganz. Sie war eine Jägerin und kein Soldat. Noch vor wenigen Wochen hätten sie sich niemals auf so etwas eingelassen. Tat sie es wegen des Obristen? Wollte sie nicht, daß Alrik sie für feige hielt? Er hatte ihr angeboten im Lager zu bleiben und erklärt, daß auch hier besonnene Köpfe gebraucht würden.
Seine Worte waren vernünftig und trotzdem hatten sie in ihren Ohren wie eine Beleidigung geklungen. Sie hatte ihm eine schallende Ohrfeige gegeben und danach ihr Pferd gesattelt.
Und jetzt ritt sie an seiner Seite. Der Himmel hatte sich im Westen schon rötlich verfärbt, und vielleicht fünfhundert Schritt vor ihnen lag die Stelle, an der sich die grauen Fluten von Auge und Breite zum Großen Fluß vereinten.
Am Ostufer, direkt am Treidelpfad, erhob sich ein flacher Hügel. Dort schienen die Orks ihr Lager aufgeschlagen zu haben. Einige Rauchsäulen stiegen in den Himmel, und es war ein wenig diesig.
Andra kniff die Augen zusammen, aber es war unmöglich zu erkennen, ob die Schwarzröcke irgendwelche Verteidigungsanlagen errichtet hatten, oder einfach nur auf dem Kamm des Hügels standen und dort ihren Angriff abwarteten.
Die Schiffe hatten die Reiter schon überholt. Der gleichmäßige Schlag der Trommler, die den Ruderern auf den Flußgaleeren den Takt angaben, hallte über das Wasser. Auf den Decks waren Kohlebecken aufgestellt worden, um Brandpfeile und flüssiges Feuer zu verschießen.
Prinz Brin hatte seinem prächtigen Schimmel die Sporen gegeben und war ein Stück vor die Front der Reiter galoppiert, um dann sein tänzelndes Pferd zum Stehen zu bringen und die Reihe der Ritter entlangzublicken. Eine Mauer von blitzendem Stahl. Manche der reichsten Adeligen hatten sogar Panzer für ihre Pferde anfertigen lassen. Sie bildeten die linke Flanke. Ganz rechts standen die Ritter vom Orden der Rondra. Diese weitgerühmten Recken trugen altertümliche, weiße Waffenröcke über ihren Kettenpanzern, auf denen rot eine sich aufbäumende Löwin prangte, das Wahrzeichen ihrer Göttin. Direkt daneben hatten sich um einen kleinen, dicken Mann in Gewändern aus Gold und Brokat einige Ritter versammelt, deren kostbare Rüstungen mit Einlagen aus poliertem Messing verziert waren. Auf ihren Helmen prangten wallende Büsche aus roten und gelben Federn. Ihre Schilde und die Wimpel an den Lanzen zeigten Greifen. Sie mußten zur Tempelgarde der Stadt des Lichts bei Gareth gehören.
Der Kontrast zu den Rittern neben ihnen hätte nicht größer sein können. Sie trugen dunkle Harnische und waren die letzten der Schwarzreiter, die sich in der Schlacht bei Silkwiesen so sehr hervorgetan hatten. Alrik führte über sie das Kommando.
Das Zentrum der Schlachtreihe bildeten die Leibwachen des Prinzen, unter denen nun auch der junge Ritter Roger aufgenommen worden war.
Alle Augen waren auf den jungen Prinzen gerichtet. Es war fast völlig still. Nur ab und an war das Schnauben eines unruhigen Pferdes zu hören. Der Prinz verharrte einen Augenblick, dann zog er sein Schwert aus der Scheide und rief so laut, daß man es bis zu den Schiffen hören mußte: »Greifenfurt oder der Tod!«
Hunderte von Säbeln und Schwertern flogen aus den Scheiden, und wie Donnergrollen beantworteten die Reiter den Schlachtruf des Prinzen. »Greifenfurt oder der Tod!«
Der hundertfache Ruf hatte ein seltsames Gefühl in Andra geweckt. Alle ihre Zweifel waren geschwunden. Die Euphorie der anderen hatte sie angesteckt. Sie gab ihrem Braunen die Sporen, und wie eine Flut aus lebendem Stahl rasten sie auf den Hügel zu.
Das Donnern von Tausenden Hufen ließ den schneebedeckten Boden erbeben. Es war eine Lust, sich mit den anderen mitreißen zu lassen, den eisigen Wind auf den Wangen zu spüren und wie von einer riesigen Welle getragen vorwärtszutreiben.
Sie blickte zu Alrik, der neben ihr ritt. Sein Gesicht war angespannt und zeigte doch einen Ausdruck von Verzückung. Seine Augen waren fest auf den Hügelkamm gerichtet, den es zu erobern galt.
Auch Andra blickte wieder zu dem Lager der Orks und erschrak. Die Schwarzpelze waren vom Hügelkamm verschwunden. Das konnte nur heißen, daß sie einen Wall aufgeschüttet hatten, hinter dem sie jetzt Zuflucht nahmen. Dann entdeckte Andra etwas, das ihr einen mächtigen Schrecken einjagte. Halb unter dem frisch gefallenen Schnee verborgen, ragten Hunderte von zugespitzten Pfählen aus den Flanken des Erdhügels.
Und dann war das dumpfe Geräusch von Katapultarmen zu hören, die auf Lederpolster aufschlugen. Andra starrte in den Himmel und sah einen Hagel von faustgroßen Steinen auf die Reiter niederprasseln.
Innerhalb eines Atemzuges verwandelte sich die prächtige Angriffsformation in ein Durcheinander aus stürzenden Pferden und aufgewirbeltem Pulverschnee. Krieger wurden aus den Sätteln gerissen, und Pferde wieherten in Panik. Für die zweite Reihe, die mit nur wenigen Schritt Abstand folgte, war es unmöglich, den Gestrauchelten auszuweichen. Sie ritten über ihre gefallenen Kameraden hinweg, und dann folgte eine neue Reihe und noch eine und ...
Andra lief es kalt über den Rücken. Hier zu stürzen bedeutete den sicheren Tod! Ängstlich blickte sie zu Alrik herüber, doch der Obrist saß noch in seinem Sattel.
Wieder feuerten die Orks eine Salve ab. Andra riß ihren Schild hoch, obwohl sie nur zu gut wußte, daß er sie bei einem Treffer kaum schützen würde.
Wenigstens erwiderten die Schiffe mittlerweile das Feuer der Orks. Einige Geschosse, die einen dünnen Rauchschweif hinter sich herzogen, flogen auf den flachen Hügel zu. Tonkrüge, die mit dem gefürchteten Hylauer Feuer gefüllt waren und auf denen glimmende Lunten steckten. Doch die Salve war schlecht gezielt gewesen. Zwei der Krüge zerschellten an der Hügelflanke, und die anderen flogen irgendwo in das Lager der Orks. Dann ertönte auch von der Halbinsel zwischen den beiden Flußarmen das Geräusch abgefeuerter Katapulte. Sie mußten dort hinter Wällen aus Schnee verborgen gestanden haben. Wie der Schwerthieb eines Gottes dröhnte es über das Schlachtfeld, als eines dieser Geschosse, gegen die Aufbauten des metallverstärkten Flußschiffes an der Spitze des Konvois schlug. Wieder prasselte ein Schwall von Steinen auf die Reiter herab. Die erste Reihe hatte sich schon bedenklich gelichtet. Andra konnte sehen, wie dem Prinzen durch einen Treffer der Schild vom Arm gerissen wurde. Einen Augenblick schwankte er bedrohlich im Sattel, doch dann konnte er sich wieder fangen und winkte einen Hornisten an seine Seite.
Die Jägerin blickte zum Hügel. Sie hatten nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt.
Ein Hornsignal übertönte den Schlachtlärm. Der Prinz ließ zum Rückzug blasen. Immer wieder ertönte das kurze Signal über die Schlachtreihen und wurde von anderen Hornisten aufgenommen. Doch eine Formation von fünfhundert Reitern im vollen Galopp konnte nicht einfach anhalten. Andra zog an ihren Zügeln, um ihr Pferd in eine langsamere Gangart fallen zu lassen. Wenn sie den Braunen einfach herumriß, würden die Reiterreihen, die hinter ihr folgten, sie überrollen.
Wieder prasselten Steine vom Himmel.
»Alles in Ordnung?« brüllte Alrik neben ihr. Sie wollte antworten, doch ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen.
Hinter ihr ertönte lautes Getöse. Nicht alle waren so besonnen gewesen, das Tempo zu verringern. Offiziere versuchten den Lärm zu überschreien, Pferde wieherten, und Krieger brüllten vor Todesangst und Schmerzen. Endlich war die Reiterformation zum Halten gekommen, und Andra wagte es, ihr Pferd zu wenden. Hunderte Reiter flohen in völliger Unordnung vom Schlachtfeld. Überall lagen tote Pferde und die bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leichen von Rittern, über die die Reiterkavalkade hinweggegangen war.
Der Jägerin wurde übel. Sie hatte schon manchen Kampf hinter sich, doch das hier war das gräßlichste, was sie je gesehen hatte.
Wozu hatte das geschehen müssen? Diese Demütigung! Unter den Orks würde es vermutlich kaum Tote und Verwundete gegeben haben. Sie waren nicht einmal bis auf Schußweite an den Hügel herangekommen. Doch wer hätte damit rechnen können? In der Schlacht bei Orkenwall, an der wesentlich mehr Krieger beteiligt gewesen waren, hatten die Schwarzpelze nur über ein einziges Katapult verfügt. Sie mußten den Zwerg, der die Belagerung von Greifenfurt leitete, hierher gebracht haben. Alrik hatte ihr von ihm erzählt. Anders war diese Katastrophe nicht zu erklären.
Sich in dieser Art zu verschanzen sprach gegen alles, was sie jemals über die Kriegsführung der Orks gehört hatte. Man konnte daraus nur zwei Schlüsse ziehen. Die Schwarzpelze hatten sich von ihrer Niederlage bei Silkwiesen vollständig erholt und ihr Heer reorganisiert. Vor allem aber mußte auf diesem Hügel Sadrak Whassoi, der Schwarze Marschall stehen. Niemand sonst wäre in der Lage gewesen, die Scharen fliehender Orks wieder zu einem solchen Heer zusammenzuschmieden.
Mittlerweile war die Sonne untergegangen. Die Schwarzröcke hatten aufgehört zu schießen, und die Reste der zerschlagenen Reitertruppe zogen sich auf das Lager zurück, das eine Meile weiter südlich am Fluß lag. Auch die Schiffe hatten gewendet. Ihre dunklen Schatten glitten über die Fluten, die im Licht des Madamais silbrig schimmerten. Zumindest sie schienen bei dem fehlgeschlagenen Angriff keinen Schaden genommen zu haben.
Andra drehte sich im Sattel um, und blickte noch einmal zum Hügel zurück. Der Abendhimmel schimmerte rötlich vom Schein der Lagerfeuer. Es mußten Hunderte sein! Waren dort wirklich so viele Orks, wie Feuer brannten? Oder war auch das eine Kriegslist des Schwarzen Marschalls? Wie viele Krieger mochte er haben? Hätten seine Reiter die geschlagenen Kaiserlichen verfolgt, wäre die Schlacht in ein regelrechtes Massaker ausgeartet und sein Triumph nur um so größer geworden. Vielleicht verfügte er aber auch nur über sehr wenige Krieger? Falls dort allerdings eine ganze Armee stand, war Greifenfurt verloren, denn dann würden sie niemals die letzten Meilen den Fluß hinaufkommen.
Für die Nacht war ein ledernes Zelt aufgeschlagen worden, um die Offiziere vor Wind und Schnee zu schützen. Brin hatte alle Truppenkommandanten um sich versammelt, um mit ihnen gemeinsam nach einer Möglichkeit zu suchen, an den Orks vorbeizukommen.
»Wenn wir nicht wenigstens einen dieser Artillerieposten ausschalten, haben diese rattenpelzigen Banditen die Hälfte unserer Flotte in Stücke geschossen, bevor wir Greifenfurt erreichen.« Großadmiral Sanin hatte die Hände auf den Rücken gefaltet und ging während er redete, aufgeregt auf und ab. »Ich habe eben erst mit den Flußschiffern gesprochen. Trotz des Hochwassers werden nicht mehr als zwei Schiffe nebeneinander die Mündung der Breite passieren können. Bei dem Geschützfeuer, mit dem die Orks uns heute belegt haben, werden sie die Lastkähne in Treibholz verwandeln. Hätten wir wenigstens eine der beiden Bastionen in unserer Hand, könnten wir die gepanzerten Schiffe bis dicht an die zweite Geschützstellung fahren lassen. Während sie das Feuer auf sich ziehen würden, könnten die Flußkähne mehr oder weniger ungeschoren passieren.«
»Noch einen Angriff wie heute abend können wir uns aber nicht mehr leisten. Die Attacke hat achtundzwanzig Rittern das Leben gekostet, und mehr als doppelt so viele sind verwundet. Ich bin beileibe nicht feige, aber den Hügel mit Reitern zu stürmen, ist unmöglich. Habt Ihr die angespitzten Pfähle gesehen, mit denen er gesichert ist. Da kommt kein Reiter vorbei. Wir brauchten Sappeure, die uns eine Bresche schlagen.« Von Blautann zuckte resigniert mit den Schultern. »Wir könnten höchstens versuchen, diese Stellung weiträumig zu umgehen und schauen, ob die Schwarzröcke sich auch auf einen Angriff von hinten vorbereitet haben.«
Brin spielte nervös mit seiner Reitgerte. Vor einer halben Stunde hatte er sich die Toten angesehen, die im Schutz der Dunkelheit vom Schlachtfeld geborgen worden waren. Achtundzwanzig Männer und Frauen, deren Leben er sinnlos vergeudet hatte. Er hätte sich auf diesen Angriff nicht einlassen dürfen! Statt so zu taktieren, wie man es von einem Feldherren erwarten durfte, war er geradewegs in die Falle gelaufen, die Sadrak Whassoi ihm gestellt hatte.
»Wenn wir wenigstens wüßten, wie viele Gegner uns dort auf dem Hügel erwarten«, warf der Praios-Geweihte ein.
»Das ist in diesem Fall uninteressant!« versetzte Sanin barsch. »Wir müssen wissen, wie viele Geschütze sie dort oben haben. Ich würde meine rechte Hand darauf verwetten, daß sie den Belagerungstroß um Greifenfurt abgezogen haben.«
»Wenn das so ist, können wir umkehren.« Alrik von Blautann sprach leise.
»Die Schwarzpelze haben ganze Wochen damit verbracht, Geschütze zu bauen. Wenn sie die hierhergeholt haben, müssen wir mit mindestens zehn schweren Rotzen rechnen, etlichen Böcken und einigen Aalen.«
»Wißt Ihr, was Ihr da sagt, Mann?« rief Sanin. »Heute sind wir nur mit Katapulten beschossen worden. Wenn dieses Pack auch noch Rotzen hat, können die nur rechts und links am Ufer stehen, um uns ins Kreuzfeuer zu nehmen, sobald wir in die Flußmündung hineinsteuern.«
»Also müssen wir uns auf eine Belagerung einrichten, um den Belagerten in Greifenfurt irgendwann einmal helfen zu können«, meinte Brin. Es war still im Zelt geworden. Niemand wollte dem Prinzen in die Augen sehen. Deutlich hörte man von draußen die Geräusche des Lagers. Pferdewiehern und die Schritte der Wachen, die im Schnee ihre Runden drehten.
»Ich hätte einen ganz anderen Vorschlag.« Dicht neben dem Eingang des Zeltes stand Phileasson. Bisher hatte er nur zugehört. Die kaiserlichen Offiziere mieden ihn, und auch jetzt erntete er fast nur abfällige Blicke.
»Sind wir schon so weit, uns von einem Piraten belehren zu lassen?«
Sanins boshafter Einwurf wurde mit Gelächter quittiert.
»Laßt den Mann reden!« Wütend hatte Brin mit der Reitgerte auf den Tisch geschlagen.
»Hält diese goldbetreßte Landratte, die sich Großadmiral nennt, es für möglich, in einer Nacht alle Reiter auf die andere Seite des Flusses zu bringen.«
Phileasson lächelte böse.
Admiral Sanin fiel es sichtlich schwer, die Fassung zu bewahren. Sein Gesicht war rot angelaufen, und sein breiter Schnauzbart zitterte vor Zorn.
»Wir binden einige Lastkähne zusammen, und bauen eine Schiffsbrücke über den Fluß. Kein Problem für disziplinierte Truppen.« Sanin sprach mit gepreßter Stimme.
»Gut, dann brauche ich nur noch einen fähigen Magier, zwanzig Zimmerleute und einen Tag Zeit. Dann werde ich dir zeigen, wie man den Orks einen Schlag versetzen kann, wo sie ihn nicht erwarten, mein Prinz.«