10

Zerwas saß am anderen Ende der Tafel und scherzte mit Darrag. Alle lachten hinter vorgehaltener Hand über den Schmied, der zwar tapfer, aber alles andere als ein großer Stratege gewesen war. Allein dieses Monstrum schien sein Freund zu sein, ging es Marcian durch den Kopf. Mit Schaudern erinnerte er sich wieder an die Nacht im Haus des toten Stadtschreibers. Mehr als eine Woche war seitdem vergangen. Er hatte seinen Agenten verboten, noch weiter nach dem Geheimnis des Henkers zu forschen. Er wollte nicht noch mehr Tote unter seinen Leuten. Ohne die Greifenfeder wäre er jetzt wahrscheinlich auch bei Boron. Sie hatten nichts, das sie beschützte, und wer der Wahrheit um den Henker zu nahe kam ...

Zerwas hob ihm grüßend den Pokal entgegen. Er nickte. Keiner durfte merken, daß zwischen ihnen beiden etwas nicht stimmte. Sie hatten heute einen großen Sieg errungen, als die Orks vergeblich versuchten, die Ostmauer zu stürmen. Schon am Vortag hatten die Schwarzpelze bei dem Versuch, die Bastion am Fluß einzunehmen, eine bittere Niederlage einstecken müssen. Jetzt feierte die ganze Stadt. Wieder blickte Marcian verstohlen zu Zerwas. Er kämpfte wie ein Held, und die Bürger hatten es gesehen. Als es einem Streitoger gelungen war, auf die Stadtmauer zu gelangen, hatte sich der Henker dem Monstrum allein in den Weg gestellt. Ohne seine Tapferkeit wäre den Orks der Durchbruch gelungen. Dieser Kampf war entscheidend gewesen.

Marcian schüttete sich erneut Wein in den Pokal. Viele in der Runde waren verwundet. Von Blautann trug den Arm in der Schlinge. Ein Pfeil hatte seine Rüstung durchschlagen. Lysandra hatte einen blutigen Verband am Kopf. Doch ihrer guten Laune schien das keinen Abbruch zu tun. Lancorian und zwei andere Magier lagen im Siechenhaus. Eolan hatte das alles unbeschadet überstanden, doch war er seit dem Zwischenfall bei der Totenbeschwörung schweigsam geworden. Er sah um Jahre gealtert aus und stützte sich beim Gehen auf seinen prächtigen, goldverzierten Zauberstab.

Die ganze Woche lang hatte er darüber nachgedacht, wie er Zerwas loswerden könnte, doch dem Inquisitor war kein Weg eingefallen. Es gab nur eine Lösung. Konnte er den Vampir nicht besiegen, mußte er sich mit ihm verbünden. Nur wenn Zerwas ihn für schwach und verzweifelt hielt, beging er vielleicht einen Fehler.

Müde erhob sich der Inquisitor aus dem hohen Lehnstuhl am Ende der Tafel. Augenblicklich wurde es stiller im Saal. Die Männer und Frauen blickten zu ihm. Marcian machte eine beschwichtigende Handbewegung. Sollten sie weiterfeiern. Er würde nun gehen. Sein Körper war übersät mit Prellungen. Es war zwar keiner gegnerischen Klinge gelungen, seinen Panzer zu durchdringen, dennoch hatte er viele schmerzhafte Hiebe einstecken müssen, und seine Rüstung sah übel zugerichtet aus. Als er am Platz des Henkers angelangt war, beugte er sich zu ihm herab und flüsterte ihm ins Ohr, er möge in sein Zimmer kommen. Ohne weiteren Kommentar verließ der Inquisitor dann den von Fackeln hell erleuchteten Saal.

Marcian mußte nicht lange warten, bis es an seine Tür klopfte. Zerwas trat ein, ein böses Lächeln auf den Lippen. »Hier bin ich, und ich muß sagen, du hast Mut. Nach unserem letzten Treffen hätte ich nicht geglaubt, daß du es noch einmal wagen würdest, mir allein zu begegnen.« »Unten im Saal sitzen zwei Dutzend Zeugen, die gesehen haben, wie ich dich nach hier oben eingeladen habe. Du wärst nicht so dumm, mich jetzt zu töten. Außerdem bin ich überzeugt, daß du es nicht kannst, oder hast du schon vergessen, was bei deinem letzten Versuch geschehen ist?«

Zerwas blickte sich in dem großen, karg möblierten Raum um. Ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle. Das war fast die ganze Einrichtung. Kein Vergleich zu dem Luxus, mit dem er sich umgab. »Also, wenn wir uns nicht gegenseitig an die Gurgeln gehen, was willst du dann von mir?« »Ich will einen Pakt mit dir schließen.«

Zerwas schaute ihn fassungslos an. »Ein Pakt zwischen einem Inquisitor und einem Vampir? Du amüsierst mich. Glaubst du etwa ernsthaft, daß ich dir das abnehme?«

»Ich glaube sogar, daß wir beide keine andere Wahl haben. Ich kann nicht zwei mächtige Feinde zur gleichen Zeit bekämpfen. Ich biete dir an, daß du so lange sicher vor mir sein wirst, bis die Orks geschlagen sind. Ich werde nichts gegen dich unternehmen. Als Gegenleistung verlange ich, daß du mir alle Hilfe gegen die Orks gibst, die du geben kannst.«

Der Henker schritt unruhig im Zimmer auf und ab. »Du redest, als könntest du mir Bedingungen stellen. Warum sollte ich auf das Angebot eingehen?«

Marcian versuchte, gelassen zu wirken. Er setzte sich und ließ sich Zeit mit der Antwort. »Du solltest darauf eingehen, um wieder ruhig schlafen zu können.«

Zerwas lachte laut auf. »Glaubst du etwa, daß du mir Angst machst?« »Wenn nicht, kann ich nur sagen, um so besser. Auf Übermut folgt stets der Fall. Vergiß nicht, daß ich Inquisitor bin. Ich werde schon einen Weg finden, dir zu schaden!«

»Und was willst du als Gegenleistung für deine Gnade?« Zerwas stand nun unmittelbar vor Marcian, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte ihn herausfordernd an.

»Zunächst möchte ich wissen, warum du heute mittag die Stadt gerettet hast. Noch vor ein paar Tagen hast du mir erzählt, du wolltest Greifenfurt leiden sehen.«

»Wo ist da der Widerspruch? Ich möchte nicht, daß es schnell vorbei ist. Ich will meinen Spaß haben. Ich werde nicht sterben, wenn die Stadt von den Orks überrannt wird. Aber zunächst möchte ich erleben, wie immer wieder die Hoffnungen der Bürger enttäuscht werden. Möchte sehen, wie ein Haus nach dem anderen in Flammen aufgeht. Wie Kinder und Mütter mit vor Hunger hohlen Wangen auf den Straßen stehen, um sich die schmale Lebensmittelration abzuholen, die ihnen zugedacht ist. Zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben. Ich will hören, wie tausendfach dein Name verflucht wird, Inquisitor. Und ich will dich zerbrechen sehen. All das wäre mir genommen worden, hätten die Schwarzpelze schon heute die Mauern überrannt.«

Marcian war beunruhigt. Mit einem solchen Haß war er bislang noch nicht konfrontiert worden. Daß Menschen ihn sterben sehen wollten, hatte er schon oft erlebt, aber einen solchen Weg zum Ziel hatte bislang noch keiner eingeschlagen. »Warum bist du dir so sicher, daß die Stadt untergehen wird?«

Zerwas zuckte mit den Schultern. Er hatte wieder begonnen, im Turmzimmer auf- und abzugehen. »Das ist ein Gefühl, eine Ahnung.« »Doch zunächst kann ich mich darauf verlassen, daß du alles tun wirst, um zu verhindern, daß Greifenfurt erobert wird.«

»Natürlich. Ich habe dir doch schon gesagt, warum. Meine Rache wäre verdorben, wenn ich dich und die Bürger der Stadt schon morgen an den Zinnen der Stadt aufgehängt sähe.«

»Ich möchte dir etwas vorschlagen.« Marcian zögerte noch. Was er plante, verstieß für einen Inquisitor gegen Ehre und Gewissen. Allein für den Gedanken daran, mit diesem Geschöpf der Finsternis gemeinsame Sache zu machen, gehörte er auf den Scheiterhaufen. »Ich werde dir nicht weiter nachstellen, doch du wirst mir dafür helfen, die Stadt vor den Orks zu retten.«

»Du weißt, daß ich dir ein solches Versprechen nur für ein paar Monate geben kann. Letztendlich gehen wir verschiedene Wege. Ich will die Stadt zerstört sehen, und du willst sie retten.«

»Ich weiß«, lächelte Marcian hintersinnig. »Doch ein Stück Weges werden wir noch zusammen gehen. Laß uns einen Pakt darauf schließen, daß ich dir innerhalb dieser Mauern keinen Schaden zufügen werde und du mir dafür hilfst zu verhindern, daß die Stadt in den nächsten zehn Wochen fällt. Danach können wir ein neues Abkommen treffen, oder du bist einfach von deinem Wort entbunden. Was hältst du davon?« Zerwas musterte den Inquisitor mißtrauisch. Er konnte keinen Betrug hinter seinen Worten erkennen, und doch war er sich sicher, in eine Falle gelockt zu werden. Aber was konnte ihm schon passieren? »Gut, ich werde mich auf dieses Spiel einlassen. Für zehn Wochen wirst du meine Hilfe haben.«

»Dann schwöre!« Marcian richtete sich auf. »Ich will mehr als nur dein Wort. Ich will, daß du dich wirklich an unsere Vereinbarung gebunden fühlst.«

»Du schacherst wie eine alte Fischfrau.« Arrogant grinste Zerwas ihn an. Doch die Selbstsicherheit war nur Maske. Er wollte noch ein wenig Zeit gewinnen, um die Worte des Inquisitors abzuwägen. Er konnte aber keine Heimtücke an ihnen finden. »Also gut. Ich schwöre feierlich bei Boron, dem Gott der Toten und dem einzigen Herren, dem ich mich verbunden fühle. In den nächsten zehn Wochen werde ich alles tun, um dich im Kampf gegen die Orks zu unterstützen. Dafür erwarte ich, daß du alle Nachstellungen gegen meine Person einstellst.«

»So sei es!« Feierlich hob der Inquisitor die rechte Hand. »Ich schwöre bei Praios, dem Gott der Gerechtigkeit und des Lichtes, daß ich für diesen Zeitraum alle Intrigen gegen dich ruhen lasse und dir innerhalb der Mauern dieser Stadt, die mir untersteht, kein Leid widerfahren soll.« Noch immer war sich Zerwas nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. Der Inquisitor war einer der wenigen Menschen, die er nicht vernichten konnte. Er wandte sich zur Tür. »Nun, wo dir deine Angst vor mir genommen ist, kann ich doch wohl gehen.« Der Vampir bemühte sich, herablassend zu klingen.

»Ich werde dich nicht gegen deinen Willen halten. Das widerspräche doch unserem Pakt.«

Marcians Selbstgefälligkeit reizte Zerwas. Wütend riß er die Tür auf und verschwand auf der Treppe, die zum Burghof führte.

Der Inquisitor lehnte sich entspannt in seinen Stuhl zurück. Der erste Teil seines Plans war aufgegangen. Jetzt galt es zu hoffen, daß der Vampir sich an sein Wort gebunden fühlte.


Zerwas betrachtete Sartassa. Seit er sie zum Vampir gemacht hatte, war sie noch schöner geworden. Ihre böse Seite hatte Oberhand gewonnen. Sie war launisch und grausam. Es dauerte eine ganze Weile, bis er ihr begreiflich machen konnte, was sie war. Zunächst mußte er Sartassa anketten, damit sie sich in ihrer Unwissenheit kein Leid zufügte. Vieles, was früher selbstverständlich war, barg nun Gefahren. Schon ein einfacher Spaziergang im Sonnenlicht würde ihren Tod bedeuten. Langsam hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt und fand nun zunehmend Gefallen daran. In der Nacht, als die Flußschiffe wieder die Stadt verlassen hatten, machten sie ihren ersten gemeinsamen Ausflug. Zerwas lehrte sie, wie sie mit seiner Hilfe ihren Körper verwandeln konnte, um eine Fluggestalt anzunehmen. Gemeinsam waren sie durch den nächtlichen Himmel gesegelt. Hatten versucht, bis zu den Sternen zu fliegen, waren so hoch in den Himmel gestiegen, bis sie in der dünnen Luft kaum noch Atem bekamen und dann in halsbrecherischem Sturzflügen wieder auf die Erde zurückgerast.

Der Vampir drehte sich um und betrachtete die schöne Elfe, die neben ihm auf dem Lager aus Teppichen und Kissen in seinem geheimen Versteck tief unter der Stadt lag. Im gedämpften Licht der bronzenen Ampeln, die von der gewölbten Decke hingen, hatte Sartassas Haut einen goldenen Schimmer. Ihr schwarzes Haar fiel fast bis zu den Hüften. Als sie merkte, daß er sie beobachtete, drehte sie sich langsam um und strich mit ihren schlanken Fingern durch sein Haar. Küßte seine Brust, auf der noch immer die rote Narbe zu sehen war, die der Orkspeer aus Eschenholz hinterlassen hatte. Langsam glitt sie tiefer. Neckte ihn mit ihrer Zunge, bis er vor Lust aufstöhnte. Doch bevor er zum Orgasmus kam, richtete sich die Elfe überraschend auf und blickte ihn mit sprühenden grünen Augen an.

»Warum tötet mich Sonnenlicht, und dir macht es nichts?« Zerwas hatte diese Frage schon hundertmal zu hören bekommen und keine befriedigende Antwort geben können. Er wollte nicht, daß sie mit ihren Liebkosungen aufhörte.

»Meine Andersartigkeit muß mit der Macht des Schwertes zusammenhängen. Ich bin sicher, die Klinge hat mich zum Vampir gemacht. Doch bin ich nicht das, was man für gewöhnlich unter einem solchen Geschöpf versteht. Ich profitiere von der Macht des Schwertes. Gestärkt hat mich auch mein Tod. Wann immer ein Vampir stirbt und wieder ins Leben zurückkehrt, ist er mächtiger. Doch jetzt hör auf mit den Fragen. Ich finde, du hast dir den falschen Augenblick dazu ausgesucht.«

»Nein, das ist genau der richtige Moment. Töte mich und hole mich ins Leben zurück, und du wirst Dinge erleben, von denen du bislang nicht einmal geträumt hast.« Sartassa sagte das mit einem verführerischen Lächeln, griff ihm zwischen die Beine und spielte mit seiner Männlichkeit. »Ich möchte dir gleich sein, nur dann können wir wirklich ein Paar werden.«

Zerwas griff nach ihrer Hand. Er war des Spiels müde und blickte die Elfe ernst an. »So leicht ist das leider nicht. Du mußt zufällig wiedererweckt werden. Willentlich könnte ich dich nicht ins Leben zurückholen. Deshalb kommt es so selten vor, daß ein Vampir ein zweites Mal ersteht. Damit ich wiederkehren konnte, mußte der Fußboden unter dem Allerheiligsten des Praiostempels aufgebrochen werden. Das allein ist schon unwahrscheinlich, denn ein solcher Tempelfrevel geschieht nur alle paar Jahrhunderte einmal. Doch das war noch nicht alles. Man mußte die sieben Dolche aus dem Grab entfernen, den Siegelring des Großinquisitors von meinem Finger ziehen und zerschlagen, meine Knochen aus dem Bannkreis holen und in einer Vollmondnacht mit frischem Blut benetzen. Und das alles mußte zufällig geschehen. Du siehst, eigentlich dürfte ich hier gar nicht sitzen. Der Großinquisitor hatte sich damals alle Mühe gegeben zu verhindern, daß ich jemals ins Leben zurückkehren könnte. Und doch ist es geschehen. Es muß wohl mein Schicksal gewesen sein, noch einmal zu leben, um Rache an der Stadt zu nehmen, die mich nach Jahrhunderten treuer Dienste in einen grausamen Tod geschickt hat.«

»Und unter welchen Bedingungen könnte man mich wieder zum Leben erwecken?«

»Ich weiß es nicht, Sartassa. Auf jeden Fall spielt Blut in dem Ritual eine wichtige Rolle, und es sollte eine Nacht sein, in der das Madamal rund am Himmel steht. Mehr weiß ich nicht zu sagen. Doch vergiß es, denn jeder Versuch, dich mit Absicht zu erwecken, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.«

»Und was wäre, wenn du deine Opfer nicht enthauptest? Würde es dann immer mehr und mehr Vampire geben?« Diese Eigenart an Sartassa gefiel Zerwas überhaupt nicht. Sie stellte Fragen über Fragen. Der Vampir erhob sich vom Lager, schlüpfte in seine lederne Hose und griff nach dem Hemd.

»Die meisten, die zum Vampir werden, begreifen zunächst nicht, was mit ihnen geschieht. Sie treten am nächsten Morgen nichtsahnend ins Sonnenlicht und sterben. Nähme eine Bürgerin von Greifenfurt ein so spektakuläres Ende, würde das natürlich zu Nachforschungen führen. Deshalb sorge ich dafür, daß meine Opfer so aussehen, als wäre ein Wahnsinniger über sie hergefallen oder ein Ork. Manchmal lasse ich sie auch ganz verschwinden. Doch nun wollen wir über etwas anderes reden.« Zerwas schloß seinen Gürtel und kam noch einmal zu Sartassa herüber. Zärtlich strich er der Elfe über die Schultern, küßte ihren Hals und liebkoste ihre Brüste. Sie hatte ihn seine Einsamkeit vergessen lassen. Mit ihr konnte er reden, hatte einen verwandten Geist gefunden, vor allem seit sie sich änderte. Sie hatte akzeptiert, daß sie würde töten müssen, um zu leben.

»Wohin gehst du?« Sartassa griff nach einer dünnen, fast durchsichtigen Decke und zog sich ein Stück zurück.

»Ich muß zur Offiziersrunde. Sie planen einen Schlag gegen die Stellungen der Orks. Wir müssen etwas gegen den dauernden Beschuß der Stadt unternehmen. Es zermürbt den Kampfwillen der Bürger, wenn wir nur hier sitzen und zuschauen, wie die Stadt Haus für Haus durch die Katapulte der Orks vernichtet wird. Noch in dieser Nacht soll ein Angriff stattfinden.«

Geschmeidig erhob sich die Elfe vom Lager. »Dann nimm mich mit! Ich brenne darauf, dieses Gewölbe endlich wieder zu verlassen. Für mich sind diese Mauern hier zum Grab geworden. In all den Wochen habe ich dein Versteck erst dreimal verlassen. Ich muß hier raus, oder ich werde wahnsinnig.« Entschlossen griff Sartassa nach ihren Kleidern und begann sich anzuziehen.

Zerwas packte sie fest an den Schultern und drehte sie um. »Wie stellst du dir das vor? Man wird dich wiedererkennen und fragen, wo du gewesen bist. Marcian hat sich, seitdem wir unseren Pakt geschlossen haben, zwar ruhig verhalten, aber eine solche Gelegenheit würde er nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ich bin sicher, er sucht noch immer nach einem Weg, mich zu vernichten. Bekommt er dich in die Hände und erkennt, was du bist, dann hat er, was er braucht, um mich vor ein Inquisitionsgericht zu bringen. Du bist eine Närrin, wenn du glaubst, du könntest so einfach dieses Versteck verlassen, Sartassa.«

»Und ich sage dir, ich muß hier raus.« Die Elfe hielt dem Blick des Henkers stand. »Dann laß uns gemeinsam jagen gehen. Ich fühle mich schwach. Ich brauche Blut.« Genießerisch leckte sie sich die Lippen und entblößte dabei ihre Vampirfänge. »Gönne mir wenigstens dieses Vergnügen!« Zerwas zögerte. Es würde auffallen, wenn er bei der Versammlung fehlte. Dann blickte er zu Sartassa hinüber. Er würde einen Weg finden!


Der Monat Rondra war schon fast verstrichen. Anderswo im Kaiserreich wurden nun die Ernten eingefahren. In Greifenfurt hielt allein Boron Ernte. Zerwas lächelte. Der Totengott mußte ihn lieben. Auch wenn sein Schwert sich nahm, was des Gottes war, so blieben immer noch genug, die nicht der Klinge zum Opfer fielen. Zwei Angriffe hatte es Anfang des Monats gegeben, doch jedesmal waren die Schwarzpelze blutig abgewiesen worden. Sie hatten erkennen müssen, daß Greifenfurt ohne schweres Belagerungsgerät nicht zu erobern war. Danach war es lange ruhig gewesen. Sie hatten von ihren Mauern zusehen müssen, wie die Orks am Untergang der Stadt arbeiteten. Ein Zwerg unterwies die Belagerer im Bau von Geschützen, koordinierte Trupps, die Bauholz holten, beaufsichtigte die Feldschmiede und ließ Katapult um Katapult fertigstellen. Marcian hatte nichts dagegen unternommen. Er glaubte, daß man sie nur zu einem Ausfall reizen wollte. Eine Woche war es nun her, daß die Orks aufgehört hatten zu bauen.

Vor sieben Tagen hatte das Dauerfeuer auf die Stadt begonnen. Zunächst schossen die Schwarzpelze noch jämmerlich schlecht. Zerwas erinnerte sich, wie die Soldaten auf den Mauern gestanden hatten und lachend die Fehlschüsse kommentierten, die weit vor der Stadtmauer ins Erdreich einschlugen. Doch die Orks hatten schnell gelernt, und mittlerweile war auch dem letzten in der Stadt das Lachen vergangen. Pausenlos prasselten mächtige Felsbrocken auf sie hernieder, zerschlugen Häuserdächer oder rissen Löcher in die Zinnen der Stadtmauer. Die Bürger konnten tagsüber kaum noch die Häuser verlassen. Nirgends in der Stadt war man sicher. Der Tod wählte seine Opfer ohne Bedacht. Kinder, Krieger und Greise wurden von den Geschossen getötet, die ohne Unterlaß auf Greifenfurt niedergingen. Selbst bei Nacht schossen die Schwarzpelze gelegentlich, so daß man sich nie sicher fühlen konnte. Auf Dauer würden die Bürger diesen zermürbenden Angriffen nicht standhalten. Es war höchste Zeit, etwas zu unternehmen!

Ungeduldig blickte der Vampir zur Mauer hinauf. Sartassa näherte sich dem Turm. Ein weiches gelbes Licht fiel aus der Tür, die auf den Wehrgang der Stadtmauer führte. Nun trat die Elfe in den Lichtschatten und rief leise nach der Wache im Turm. Sie war nackt und sah aus wie die Göttin der Liebe. Unwiderstehlich. Zerwas hatte seine dämonische Gestalt gewählt, um mit Sartassa auf telepathischem Weg in Kontakt zu bleiben. Sie sollte selbst ihren Opfern nachstellen, doch würde im Turm irgend etwas Unvorhergesehenes geschehen, wüßte er sofort Bescheid. Er war so sehr mit ihrem Geist verschmolzen, daß er durch ihre Augen sah und jedes ihrer Gefühle teilte.

Ein Wachtposten erschien in der erleuchteten Tür. Zerwas konnte spüren, wie das Herz der Elfe schneller schlug. Sie begann mit dem Mann zu flirten. Zerwas kannte ihre honigsüßen Worte nur zu gut und wußte, daß sie stets ihre Wirkung erzielten. Die beiden verschwanden im Turm. Der Vampir spürte ihre Gier, die Lust nach dem Blut des jungen Mannes. Sie mußte vorsichtig sein. Aufpassen, daß sie sich nicht zu schnell verriet, oder sie würde keinen Spaß mehr an der Sache haben.

Noch jemand war im Turm. Einige Worte wurden gewechselt. Dann sah Zerwas eine Gestalt in der Tür auftauchen. Eine Frau mit kurzem blonden Haar in einer Lederrüstung. Sie schlenderte den Wehrgang entlang. Offensichtlich wollte sie das vermeintliche Liebespaar nicht stören. Wieder spürte Zerwas die gewaltige Lust der Elfe, spürte, wie sie sich unter schmeichelnden Worten über den Tisch der Wachstube beugen ließ, sie dem jungen Mann in Fetzen das Hemd von der Schulter riß. Er spürte, wie sie sich seinen Küssen hingab und sie ihn wiederküßte. Es war der Moment, in dem er in sie eindrang, als sie zubiß. Der Wachtposten stöhnte vor Lust, er begriff nicht, was mit ihm geschah. Sartassa jubelte innerlich. Jede Faser ihres Körpers schien von neuer Kraft belebt. Zerwas spürte, wie ihr das warme Blut die Kehle hinabrann. Der junge Soldat wurde schwächer. Der Narr argwöhnte immer noch nichts und glaubte, daß der Liebesakt ihm die Kraft genommen habe. Schritte lenkten die Aufmerksamkeit des Vampirs zur Stadtmauer. Die Kriegerin kam zurück. Zu früh! Sie durfte noch nicht in den Turm! Sartassa sollte ihr Spiel mit dem Wachtposten bis zu Ende genießen.

Zerwas spannte seine mächtigen ledernen Flügel. Er schlug ein paarmal in die Luft, um sich dann mit einem kraftvollen Sprung vom Boden zu lösen. Steil schoß er in den Nachthimmel und flog einen weiten Bogen, um die Kriegerin von hinten anzugreifen. Einen Moment verharrte er flügelschlagend über ihr, um dann hinabzustoßen, wie ein Falke, der ein Kaninchen schlägt. Mit vernichtender Wucht traf er die Frau im Rükken. Die Krallen seiner Füße durchschnitten die schlecht gearbeitete Lederrüstung und drangen ihr in die Lungen. Der mächtige Aufprall ließ sie vornüberstürzen.

Mit einem Satz trennte sich der Vampir von seinem Opfer. Vergeblich versuchte sich die Kriegerin aufzustemmen und erbrach Blut. Die Wunden in ihrem Rücken waren tödlich. Langsam zog Zerwas sein Schwert und schritt auf die blonde Frau zu. Mit einem Tritt in den Leib riß er sie herum, so daß sie auf dem Rücken lag und er ihr ins Gesicht sehen konnte. Langsam näherte sich seine Klinge ihrer Brust. Behutsam zerschnitt er ihren Panzer und weidete sich am Entsetzen in ihrem Blick. Noch immer quoll Blut über ihre Lippen. Offensichtlich konnte sie kaum noch atmen. Dann stieß er ihr die Klinge tief in den Körper.


Zerwas blickte immer noch auf die Tote, als ihn eine Hand sanft an der Schulter berührte. Sartassa stand hinter ihm. Ein Tropfen geronnenen Blutes klebte an ihrem Kinn. »Das ist das erste Mal, daß ich mit Fug und Recht behaupten kann, einen Jüngling vernascht zu haben.« Ein böses Grinsen spielte um ihre Lippen. »Was tun wir nun?«

»Wir müssen die Spuren beseitigen.« Zerwas durchforschte ihren Geist. Sie hatte Gefallen an der Bluttat gefunden. Erst jetzt konnte er Sartassa wirklich als Gefährtin betrachten. Gemeinsam gingen die beiden zum Turm zurück. Dort lag der Wachsoldat auf dem Tisch. Sein Gesicht war bleich wie Wachs. In den erstarrten Zügen spiegelten sich noch immer Lust und Verzücken. Sein Oberkörper war nackt und trug blutige Striemen von den Nägeln der Elfe. Die Hose war um seine Füße geschlungen.

»Zieh ihn wieder an«, befahl Zerwas der Elfe. »Man darf nicht ahnen, was hier geschehen ist. Wir müssen alles so herrichten, daß kein Verdacht auf mich fällt.« Die Elfe gehorchte und begann, den Knaben, so gut es ging, wieder anzuziehen. Ein letztes Mal blickte Zerwas ihn an. Er mochte vielleicht achtzehn Jahre alt sein. Vermutlich war dies seine erste Liebesnacht gewesen. Nun, er konnte wenigstens sicher sein, daß den meisten Männern eine solche Ekstase in ihrem ganzen Leben nicht vergönnt war.

Zerwas verließ den Turm und stieg in den Nachthimmel auf. Er brauchte einen Felsbrocken. Ein Geschoß der Orks. In größer werdenden Kreisen flog er um den Wachturm. Es war alles ruhig. Keine anderen Wachen patrouillierten über die Mauer. Hier im Süden der Stadt hatte es während der ganzen Belagerung noch keinen Angriff gegeben. Deshalb standen wenige Männer Wache.

Endlich fand er, was er suchte. Einen mächtigen Felsbrocken, der sich tief in den Schlamm einer Straße eingegraben hatte. Der Vampir landete und machte sich an dem Geschoß zu schaffen. Es aus der Erde zu lösen war leicht, denn er verfügte über weit mehr Kräfte als ein gewöhnlicher Mensch. Doch selbst er würde mit dem Felsen nicht fliegen können. Durch die Straßen zu schleichen wäre zu riskant. Auch wenn es Nacht war, konnte man jederzeit einer Patrouille begegnen. Für einen Augenblick zögerte der Vampir, dann griff er nach dem Knauf des dunklen Schwertes zwischen seinen Flügeln. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich auf die Macht der schwarzen Klinge und spürte schließlich, wie deren Kraft auf ihn überging. Wieder griff er mit beiden Klauenhänden nach dem Geschoß. Nun wog es nicht schwerer als ein abgetrennter Menschenkopf, obwohl es einen Durchmesser von mehr als einer Elle hatte. Mühelos erhob er sich in den Himmel.

Als er wieder den Turm erreichte, hatte Sartassa ihre Arbeit vollendet. Gemeinsam zerrten sie die Leichen auf den Wehrgang. Dann hob Zerwas den Fels und schmetterte ihn auf den Schädel des Knaben, der wie eine Nuß zerbarst. Die Bißwunde, die Sartassa ihm beigebracht hatte, war nicht mehr zu sehen. Die Leiche der Kriegerin rollte er von der Mauer. Dann hob der Vampir erneut das Geschoß und ließ es auf sie herabfallen, so daß ihr Brustkorb zerschmettert wurde. Für den uneingeweihten Betrachter mußte es nun so aussehen, als wären die zwei bei einem Wachgang von der Felskugel getroffen worden.

Sartassa hatte ihn während der ganzen Zeit beobachtet. Aus der nächtlichen Stadt war ein dumpfes Geräusch zu hören. Zerwas griff sie beim Arm und stürmte mit ihr die Stiege des Wachturms hinauf. Von der Plattform konnten sie sehen, wie ein Trupp Reiter die Hauptstraße vom Platz der Sonne her kam. Sie hatten die Hufe ihrer Pferde umwickelt, um leiser voranzukommen. Nun wurde das südliche Tor geöffnet. Der Augenblick für den Angriff war gut abgepaßt. Das Madamal war bereits hinter dem Horizont versunken, und Wolken verdunkelten den Himmel im Osten. Mit etwas Glück würden sie die Schanze, die wenig mehr als zweihundert Schritt vor dem Tor lag, überrennen können, bevor von dort auch nur der erste Schuß abgefeuert wurde. Noch immer kamen Reiter die Straße entlang. Blautanns Kürassieren folgten Freischärler von Lysandra und Bürger, die sich in den letzten Gefechten als Schwertkämpfer hervorgetan hatten. Es sah so aus, als hätte man jeden auch noch so altersschwachen Gaul aus den Ställen geholt, um eine möglichst große Reitertruppe zu bilden. Zerwas fluchte innerlich. Ein großartiges Gemetzel stand bevor, und nur weil er Sartassas Wünschen nachgekommen war, stand er noch immer hier auf dem Turm. Er fühlte ›Seulaslintan‹ in seiner ledernen Scheide auf seinem Rücken vibrieren. Auch das schwarze Schwert spürte, daß ein großes Gefecht bevorstand. Eine Nacht, in der viele Männer und Frauen ihr Leben lassen würden. »Wir sollten mitkämpfen«, murmelte Sartassa vor sich hin, während sie mit zusammengekniffenen Augen den Reitern nachschaute, die vor der Stadtmauer in der Dunkelheit verschwanden. »Gib mir meine Fluggestalt. Wir können noch vor den Reitern im Hauptlager der Orks sein und Verwirrung stiften.«

Zerwas musterte die Elfe. Er versuchte, ihre Gedanken zu durchforschen, doch sie schirmte sich vor ihm ab. Der Vampir zog sich aus ihrem Geist zurück.

»Vergiß nicht, was du mir versprochen hast«, war sein letzter Gedanke. Die Elfe blickte ihn an. »Mit Sicherheit nicht!« Sie lächelte zweideutig und entblößte dabei ihre Reißzähne.

Beide stellten sich gegenüber in die Mitte des Turmdachs und umklammerten jeweils mit der rechten Hand den Griff von ›Seulaslintan‹. Zerwas konzentrierte sich auf die bösen Kräfte der Waffe. Mit ihrer Hilfe würde er Sartassa zu ihrem Dämonenleib verhelfen. Es galt, die dunkle Seite der Elfe zu einer fleischlichen Gestalt werden zu lassen. Sartassa stöhnte auf. Die Verwandlung war schmerzhaft. Zerwas blinzelte sie an, sah, wie sich ihre Haut dunkler verfärbte und ein großer Höcker aus ihren Schultern wuchs. Mit der Linken griff er nach der Hand der Elfe, die das Schwert umklammerte. Sie durfte jetzt nicht loslassen. Immer weiter wuchs der Buckel. Sie beugte sich nach vorne, wand sich unter Schmerzen. Dann zerriß die Haut, und zwei große Fledermausflügel entfalteten sich. Füße und Hände der Elfe waren zu tödlichen Krallen geworden, doch sonst hatte sie ihre Gestalt in stärkerem Maße beibehalten als Zerwas. Ihre Haut war nun von nachtdunklem Blau. So wie das Böse, das jeder in sich trug, von Mensch zu Mensch verschieden war, so variierten auch die Körper, die entstanden, wenn die dämonische Seite der Seele entfesselt wurde. Sartassa bewegte ihre Flügel ungeduldig im Nachtwind.

»Laß uns fliegen!« Der Gedanke traf Zerwas mit fast schmerzhafter Intensität. Die Elfe war eine begabtere Telepathin als er. Vielleicht, weil sie schon von Geburt an magische Kräfte in sich trug.

Mit kräftigem Stoß hoben die beiden vom Turm ab. Sartassa hielt eine blitzende Klinge in ihrer Hand. Das Schwert des toten Jünglings. In einem weiten Bogen flogen sie auf das Hauptlager der Orks zu. Tief unter sich hörten sie Kampflärm. Die Kavallerie war im Begriff, die Orks in der Stellung vor dem Südtor niederzumachen. Es sah so aus, als wären die Schwarzpelze im Schlaf überrascht worden. Die meisten trugen keine Rüstungen und wurden von den kampferprobten Männern Oberst von Blautanns niedergemetzelt.

Mit wenigen kräftigen Flügelschlägen hatten sie das Hauptlager der Orks erreicht. Dort schien noch alles ruhig zu sein. Matt leuchteten verlöschende Lagerfeuer zwischen den Zelten, und nur wenige Wachen waren zu sehen. Die meisten Schwarzpelze schliefen auf einfachen Strohlagern unter freiem Himmel. Im Westen des Lagers, parallel zur Stadtmauer, standen in einer langen Reihe mehr als zehn Katapulte. »Wo wollen wir zuschlagen?« ging es Zerwas durch den Kopf. Er blickte über die Schulter. Sartassa flog kurz hinter ihm und hatte telepathisch mit ihm Kontakt aufgenommen.

»Am besten im Norden. Dort werden die Reiter zuletzt ankommen, wenn sie überhaupt so weit kommen.«

Langsam glitten die beiden Schatten am Himmel tiefer, um lautlos neben dem am weitesten im Norden stehenden Geschütz zu landen. Nur wenige Schritte vom Katapult entfernt lag seine Bedienungsmannschaft im hohen Gras. Keine Wache war zu sehen. Die Orks fühlten sich vollkommen sicher.

»Schneid ihnen die Kehlen durch. Und keine Spielchen! Wir wollen so viele töten, wie wir können.« Statt einer Antwort nickte die Elfe nur kurz. Ihre Flügel zitterten unruhig.

Zerwas hatte Sartassas Mordlust gespürt, als er kurz in ihren Geist eingedrungen war. Ihr Trieb, zu zerstören und zu töten, überlagerte alle anderen Gedanken. Er machte sich Sorgen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die Elfe mitzunehmen. Sie hatte sich hinter einen dicken Ork gekauert, der friedlich auf der Seite liegend schlief. Wovon Orks wohl träumten? Zerwas drang in seine Gedanken ein und sah eine große Karrenherde über eine weite Steppenlandschaft ziehen. Im hohen Gras verborgen lagen einige Jäger. Eine Stimme gab ein Kommando. Die Jäger fächerten aus und schlichen in einem Halbkreis näher an die Herde heran. Eines der Leittiere hob aufmerksam den Kopf, blähte die Nüstern und blickte in Richtung der Orks.

Plötzlich durchschoß ein greller Lichtblitz die Szene. Zerwas spürte einen kurzen Schmerz und dann bleierne Müdigkeit. Schnell zog er sich aus dem Geist des Orks zurück. Sartassa hatte dem Krieger die Kehle durchschnitten. Sie kauerte noch immer hinter ihm. Blut schoß in kleinen Fontänen aus der tödlichen Wunde und bespritzte Sartassa. Als sie merkte, daß Zerwas sie beobachtete, hob sie ihr Schwert an die Lippen und leckte in obszöner Geste über die blutige Klinge.

Der Vampir wandte sich ab und zog seine Waffe. ›Seulaslintan‹ lag vibrierend in seiner Hand. Er würde sich um keinen der Träume der schlafenden Männer mehr scheren. Er war hier, um zu töten.

Sartassa schien in eine Art Blutrausch verfallen zu sein. Als er wieder zu ihr hinüberschaute, sah er, wie sie einem der toten Orks ihre Krallenhände tief in die Brust trieb, ihn regelrecht zerfetzte und sein Blut trank. Dann gellten Alarmrufe vom anderen Ende des Lagers. Die Reiter griffen an, und rings um sie erwachten die Orks aus dem Schlaf. Zunächst waren sie noch zu verwirrt, um zu begreifen, was geschah. Zerwas versuchte in den Geist der Elfe einzudringen. Es war an der Zeit, sich zurückzuziehen. Doch vergebens! Der Wunsch zu töten, war so mächtig in ihr, daß seine Stimme ungehört verhallte.

Noch war Gelegenheit zur Flucht. Die meisten Orks, die die beiden Dämonen sahen, suchten schreiend das Weite. Doch schon faßten die ersten Mut und traten ihnen in den Weg. Die Schwarzpelze waren Jäger und Krieger. Nach ihrem Ehrenkodex war es schlimmer, als Feigling zu leben, als in einem aussichtlosen Kampf zu sterben. Zerwas tastete nach dem Geist der Krieger, die ihn umgaben. Er spürte den inneren Kampf zwischen dem nackten Entsetzen und Ehrgefühl. Der Vampir gab sich Mühe, ihre Zweifel zu stärken. Flüsterte ihnen zu, daß von denen, die sich zum Kampf stellten, keiner überleben würde, um von der Feigheit derer, die fortliefen, zu berichten. Es wirkte: Wieder rannten etliche Orks in die weite Graslandschaft hinaus, um sichere Verstecke zu suchen.

Zerwas stürzte sich auf einen einzelnen Krieger, der sich zögernd zum Kampf stellte. Er trieb ihm wütend die Klinge durch den Hals und setzte einigen Flüchtenden nach. Doch es waren zu viele. Ihre schiere Masse machte ihnen Mut. Immer mehr griffen nach ihren Waffen, um sich zum Kampf zu stellen. Aus den Augenwinkeln konnte Zerwas sehen, wie Sartassa von zwei Pfeilen in den Rücken getroffen wurde. Im Zorn rasend fuhr sie herum, setzte mit einem Flügelschlag über einige Körper hinweg und riß dem Bogenschützen mit ihren tödlichen Krallen die Kehle heraus. Wütend schleuderte sie seinen Körper beiseite und stieß einen unirdischen Schrei aus, brüllte Haß und Schmerz in die Nacht hinaus. Erneut wichen die Orks zurück.

Zerwas parierte einen Schlag und erhob sich dann in die Luft. So bot er zwar ein besseres Ziel für die Bogenschützen, doch konnte er nicht mehr von Fußkämpfern umringt werden. Er legte seine ganze Kraft in einen erneuten Versuch, in Sartassas Bewußtsein einzudringen, um dort Schmerz, Haß und Tötungstrieb zu überwinden. Sie blickte zu ihm auf. Endlich hatte er sie erreicht. Sie machte einen Ausfall gegen zwei Schwertkämpfer und nutzte den Augenblick, als sie zurückwichen, um sich in die Luft zu erheben. Mit kräftigem Flügelschlag gewann sie schnell an Höhe. Pfeile zischten neben ihr in den Himmel. Auch Zerwas stieg in weiten Kreisen immer höher in den Nachthimmel, bis sie schließlich beide außer Reichweite der Bogenschützen waren.

»Was für eine herrliche Nacht!« Mit der Macht eines Sturmwinds drang Sartassa in die Gedanken des Henkers ein. »Es macht Spaß, in diesem unverwundbaren Körper zu kämpfen. Ich hätte immer weiter machen können. Das beste ist, in ihren Gedanken zu sein, wenn sie merken, daß sie nicht gewinnen können, daß mein nächster Angriff ihnen den Tod bringt. Du fühlst dich wie ein Gott, wenn du ihre Panik spürst.« »Ich weiß«, antwortete Zerwas ihr emotionslos. »Aber du bist kein Gott. Vergiß das nicht! Und dein Körper ist nicht unverwundbar. Man kann dich töten. Wenn man dir die Kehle durchtrennt, wirst auch du sterben. Wenn die schiere Masse deiner Gegner dich zu Boden drückt, bist auch du verloren. Du mußt lernen, deine Beherrschung nicht zu verlieren. Du mußt bewußter kämpfen und darfst dich nicht von deinen Trieben mitreißen lassen. Sonst wirst du nicht lange leben. Nun flieg zurück in unser Versteck und vergiß nicht, dir die Pfeile herauszuziehen. Sie würden dir bei der Verwandlung schreckliche Schmerzen bereiten.«

Zerwas spürte, wie seine Ermahnungen ungehört im Geist der Elfe verhallten. Sie hielt sich für unbesiegbar, doch er spürte auch, daß sie nun heimkehren würde. Bald würde es hell werden, und das Sonnenlicht bedeutete ihren Tod. Sie hob ihre Hand zum Gruß und drehte nach Westen ab. Der Vampir schaute ihr nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden war. Sie hatte Fehler, und doch freute er sich schon jetzt darauf, zu ihr zurückzukehren, wieder in ihren Armen zu liegen, ihr langes Haar zu liebkosen und sich ihren feurigen Küssen hinzugeben. Er war verliebt, auch wenn er sich geschworen hatte, dieses Gefühl nie wieder zuzulassen. Sich nie mehr jemand anderem zu offenbaren. Als er sich das letzte Mal hingegeben hatte, brachte ihm die Liebe nur Qual und Tod.

Der Vampir drehte noch einmal eine weite Runde über dem Lager. Er genoß den kühlen Nachtwind auf seinem nackten Körper, das Gefühl von Macht und Freiheit, das ihn immer überkam, wenn er flog. Plötzlich drang eine fremde Stimme in sein Bewußtsein: »Ich habe dich erkannt, Dämon«, flüsterte sie hämisch.

»Dann fürchte mich!« Zerwas versuchte aufzuspüren, von wo sie kam, doch der Fremde hatte sich sofort zurückgezogen. Im Sturzflug raste der Vampir der Erde entgegen. Er fühlte sich nicht mehr sicher unter dem weiten Sternenhimmel. Versteckt im hohen Gras verwandelte er sich in seine menschliche Gestalt zurück. Er hatte sich Kleider in einem kleinen Tuchbeutel auf den Rücken geschnallt. Hastig legte er sie an. Dann lief er geduckt auf das Lager der Orks zu. Noch immer tobte der Kampf um die Katapulte. Zahllose Brände erleuchteten den Himmel. Die Reiter hatten sich in etliche kleine Gruppen aufgesplittert. So griffen sie viele Geschütze gleichzeitig an. Einige sprangen von den Pferden und schlugen mit schweren Hämmern und großen Äxten auf die Holzrahmen der Steinschleudern ein, während die anderen sie gegen die Angriffe der Orks abschirmten.

Zwischen den Kriegern stachen die weißen Roben der Magier ins Auge. Gerade setzte wieder einer von ihnen mit einem Feuerzauber die zerstörten Reste eines Katapults in Brand. Zerwas faßte sein Schwert mit beiden Händen und stürzte sich in den Kampf.

»Henker, wo bist du gewesen?« Oberst von Blautanns Stimme übertönte das Schlachtgetümmel. »Wir haben dich bei der Offiziersversammlung vermißt.«

»Ich war unterwegs, um das Lager der Orks auszuspähen, um euch zu warnen, falls ihr in eine Falle reiten solltet.«

»Das war aber nicht deine Aufgabe. Du weißt, daß der Kommandant Einzelgänger nicht schätzt. Du wirst nachher in der Stadt viel Spaß mit Marcian haben.« Lachend wendete der Offizier sein Pferd und verschwand im Getümmel.

Die Reiter hatten ihr zerstörerisches Werk schon fast vollendet, als sich die Orks zum Gegenangriff formierten. Sie zogen Gruppen von Bogenschützen zusammen. Marcian ließ seinen Hengst steigen und hob das Schwert über den Kopf. »Zurück! Unsere Arbeit ist getan.« In schimmernder Rüstung mit flammendem Umhang machte er Eindruck. Unweit von ihm kämpfte die Amazone, umgeben von ihren Löwinnen. Auch sie war prächtig gerüstet, trug einen bronzenen Küraß und einen Helm mit wallendem Federbusch.

Zerwas schmunzelte. In seinen einfachen Kleidern sah er aus wie ein schlichter Mann von der Straße. Gekonnt fing er einen Hieb ab. Sein Gegner versuchte, ihn niederzustoßen, doch hatte er nicht mit der Geschicklichkeit des Vampirs gerechnet. Zerwas hakte seinen Fuß hinter das haarige Bein des Orks und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Blitzend schnitt sein Schwert einen Halbkreis durch die Luft und durchtrennte dem gestürzten Schwarzpelz die Kehle.

»Alle zu mir! Das eine müssen wir noch schaffen. Dann sind alle erledigt.« Die heisere Stimme des Schmieds war kaum zu hören. Nur wenige Männer aus seiner Nähe folgten ihm. Seine Frau Misira stand wie immer im Kampf an seiner Seite. Ein Pfeil riß ihr den Helm vom Kopf. Verzweifelt versuchte sie, ihren Mann mit drei anderen gegen die Pfeile der Orks abzuschirmen, während der Schmied wie ein Besessener auf das letzte Katapult einhieb.

Diese Verrückten! Irgendwie mochte Zerwas den bulligen Mann mit seinem breiten Schnauzbart. Die anderen Offiziere machten sich oft lustig über Darrag und sein schlichtes Gemüt, doch in der Schlacht kämpfte er mit dem Mut eines Löwen, und das war alles, was jetzt zählte. Der Vampir rannte zu ihm hinüber.

»Haltet ein, Schmied, und gebt mir auch noch etwas Gelegenheit, die Holzarbeiten der Orks auf ihre Stabilität zu prüfen!«

Breit grinsend und dankbar blickte Darrag ihn an. »Dann zeigt mal, ob ein Henker genauso dreinschlagen kann wie ein Schmied!«

»Plaudert doch bitte ein andermal. Und seht, daß ihr mit eurer Arbeit fertig werdet. Gleich gibt's hier mehr Ärger, als ihr beiden Maulhelden wegstecken könnt.« Misira war mit den anderen Reitern näher an das Katapult herangerückt. Sie drohten, durch die Orks vom Rest der Kämpfer abgeschnitten zu werden.

Stöhnend hieb Darrag wieder mit seinem schweren Hammer auf den mächtigen hölzernen Bogen ein, der dem Katapult die Spannung gab. Zerwas zerschlug unterdessen den geschnitzten hölzernen Löffel, der die Felsbrocken in den Himmel schleuderte, wenn das Geschütz entsichert wurde.

Ein Hagel von Pfeilen ging auf sie nieder. Der Schmied schrie auf. Eines der Geschosse hatte sich in seine Schulter gebohrt. Misira wendete ihr Pferd und kam heran. »Jetzt reicht es, Mann. Für mich mußt du nicht bei jeder Gelegenheit den Helden spielen. Lebendig bist du mir lieber.« Wieder prasselten Pfeile auf die kleine Gruppe. Zwei Pferde wienerten auf und brachen zusammen. Während der eine Reiter in hohem Bogen ins Gras geschleudert wurde, verschwand der andere unter dem Pferdeleib. Misira hatte ihren Braunen neben Darrag gezügelt. Ein zweites Pferd zog sie hinter sich her. »Los, steig auf«, herrschte sie den Verwundeten an. »Wo hast du dein Pferd gelassen, Henker?«

Zerwas zuckte mit den Schultern. »Ist mir im Gefecht abhanden gekommen.«

»Dann steig bei mir auf! Wir müssen hier weg.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, schlugen wieder rings um die Gruppe Pfeile ein. Mit der linken Hand klammerte sich Zerwas um die schlanke Hüfte Misiras, während er mit der rechten ›Seulaslintan‹ führte. Ihr langes, blondes Haar wehte ihm ins Gesicht, so daß er nicht sehen konnte, was vor ihnen geschah. Plötzlich hörte er Darrag fluchen, und Misira zügelte scharf das Pferd. Wenige Schritte vor ihnen hatten sich Orks mit Bögen aufgebaut. Jetzt waren sie endgültig von den anderen Reitern abgeschnitten.

Wieder gingen Pfeile auf sie nieder. Misira riß ihren Schild hoch und wendete das Pferd. Drei Pfeile fing sie mit dem Schild ab. Ein vierter zog ihr eine tiefe Schramme über die Wange. Zerwas stöhnte auf. Ein Geschoß hatte sich in seinen Oberschenkel gebohrt. Wütend zerrte er an dem gefiederten Schaft. »Treib dein Pferd auf die Schanzen zu. Wir müssen in gerader Linie auf die Stadt zureiten. Die anderen holen wir sowieso nicht mehr ein.« Die Frau des Schmieds gab dem Braunen die Sporen. Darrag und der letzte seiner Männer folgten ihnen.

In gestrecktem Galopp jagten die drei Pferde auf die Schanze, einen niedrigen Erdwall, zu. Hatten sie diese letzte Verteidigungslinie überquert, wären sie gerettet. Misira sah als erste das Funkeln von Speerspitzen hinter dem Wall. »Für Ingerimm!« hörte der Vampir den Schmied brüllen, der mit seinem unverletzten Arm in weiten Kreisen seinen Hammer über den Kopf schwang. Misira murmelte leise ein Gebet. Dann erreichten sie den Erdwall. Ein halbes Dutzend Orks versuchte, sie aufzuhalten. Misira riß im letzten Moment ihr Pferd herum, wechselte die Richtung kurz vor dem Sprung und entging so zwei Speeren, die gegen den Pferdeleib gerichtet waren. Zerwas hörte einen scharfen metallischen Klang und das Geräusch von splitterndem Holz. Er hieb mit dem Schwert nach einem Ork, der plötzlich neben dem Pferd auftauchte. Dann blickte er nach hinten. Der verwundete Schmied hatte den Sprung über den Wall geschafft. Doch der andere Reiter war von den Orks niedergemacht worden.

»Gerettet«, schrie Darrag. »Nichts wie zurück!«

Zerwas spürte, wie ihm warmes Blut über den Arm floß, mit dem er Misiras Hüfte umklammerte.

»Was ist los mit dir? Wo hat es dich erwischt?«

»Das spielt keine Rolle mehr«, mühsam preßte Misira die Worte heraus. »Zerwas, gib mir ein Versprechen! ... Paß auf ... meinen Mann auf ... Du bist der beste Schwertkämpfer, den ich je gesehen habe ... Achte auf Darrag ... Er paßt oft ... nicht ... recht ... auf sich ... auf ...« Misira sank in die Arme des Vampirs. Zerwas mußte mit sich kämpfen. Der Geruch des warmen Blutes, das Haar, das der Wind in sein Gesicht wehte ... In ihm stieg das Verlangen auf, seine Zähne in ihren weichen Nacken zu graben. So konnte er sie vielleicht sogar retten. Aber er würde Darrag damit letzten Endes keinen Gefallen tun. Der Schmied hatte sein Pferd näher zu ihnen herübergetrieben.

»Gut, daß du zum Aufbruch geblasen hast, das war knapp.« Darrag ritt nun unmittelbar neben ihnen.

Misira hob mit letzter Kraft den Kopf. Sie wollte nicht, daß ihr Mann etwas merkte, bevor sie die schützenden Stadtmauern erreichten. Wenn sie nicht weiterritten, konnten sie hier immer noch von Verfolgern eingeholt werden. »Stimmt, das war knapp«, erwiderte sie matt.

»Zu Hause werden wir erst einmal feiern. Jedesmal wenn ich aus der Schlacht zurückkomme, fühle ich mich wie neugeboren. Selbst wenn ich dabei einen Pfeil in der Schulter habe.«

Zerwas konnte spüren, wie Misira am ganzen Leib zitterte. Noch immer blutete ihre Wunde. Vorsichtig löste er seine Hand von ihrer Hüfte und tastete sich höher. Darrag sollte nicht sehen, was mit ihr los war. Dicht unter ihrer rechten Brust ertastete er einen gezackten Schaft eines abgebrochenen Speers. Zerwas ließ seinen Arm hochgleiten, so daß er den Schaft verdeckte. »Danke«, flüsterte Misira leise. »Wenn ich nicht bis zur Stadt durchhalte, spiel ihm was vor ... Lenk ihn ab ... Ich will ... daß er in Sicherheit kommt.«

»Na, was turtelt ihr beiden denn da. Würde ich dich nicht so gut kennen, Zerwas, würde ich mit Sicherheit eifersüchtig.«

»Weißt du, daß ich dich liebe?« Misira hatte ihre letzte Kraft für diese Worte zusammengenommen.

»Natürlich weiß ich das, aber jetzt ist keine Zeit für romantisches Getue. Wir müssen schauen, daß wir die Stadt erreichen.« Der Schmied gab seinem Pferd die Sporen und preschte auf Greifenfurt zu.

Vor ihnen tauchte der dunkle Schatten der Stadtmauer auf. Sie waren in einem weiten Bogen geritten und hatten nur noch zwei Dutzend Pferdelängen bis zum Südtor vor sich. Fackelschein erleuchtete das von Türmen flankierte Tor. Marcian, von Blautann und Lysandra deckten die Rückkehr der letzten versprengten Krieger.

Noch bevor sie das Tor erreichten, sank Misira der Kopf auf die Brust. Ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper, dann lag sie still in Zerwas' Arm. Ihre Wunde hatte aufgehört zu bluten. Sie passierten das Tor. Während Darrag mit den anderen Offizieren scherzte und berichtete, wie sie den Orks entkommen waren, hielt sich der Vampir im Schatten. Er wollte nicht, daß hier schon auffiel, was geschehen war, sondern wollte allein mit dem Schmied reden. Mit den Schenkeln lenkte er das Pferd durchs Tor und in den Eingang einer angrenzenden Gasse. Die anderen Reiter machten sich auf den Weg zur Garnison. Geduldig wartete er, bis der Schmied an ihm vorbeikam und rief ihn aus dem Schatten der Gasse an.

»Hier steckt ihr beiden also. Ich hab' schon überall nach euch gesucht.« - Darrag hielt inne. »Was ist mit dir los, Misira?« Der Schmied lenkte sein Pferd zu ihnen herüber, und Zerwas wich zurück, so daß man sie von der Haupt-Straße nicht mehr sehen konnte. »Warum antwortest du nicht? Was soll das Spielchen?«

Zerwas leckte sich über die Lippen. Sein Mund war wie ausgedörrt. Er wußte nicht, wie er Darrag erklären sollte, was passiert war. »Weißt du, daß du eine sehr tapfere Frau hast, Darrag? Wenn sie uns am Katapult mit den anderen nicht gedeckt hätte, würden wir zwei jetzt nicht hier stehen.«

Darrag lachte. »Natürlich ist Misira mutig, aber was soll das Gerede. Laß uns hier verschwinden und unseren Sieg feiern. Was hältst du eigentlich von dem dummen Gewäsch, daß unser Henker hier von sich gibt?« Der Schmied blickte zu seiner Frau.

Zerwas schluckte. Für einen Moment war nur das Schnauben der Pferde in der engen Gasse zu hören. Darrag rutschte nervös auf seinem Sattel hin und her. Dann stieg er ab und griff nach den Zügeln, die Misira auch im Tod noch umklammerte. Er legte den Kopf schief und blickte sie an. »Misira, was ist mit dir?«

Unruhig tänzelte das Pferd auf der Stelle. Dadurch glitt einer von Misiras Armen leblos an ihrem Körper entlang. Darrag griff danach. Dann sah er die dunklen Flecken auf ihrem Küraß. Er zog ihr den Handschuh ab, drückte ihre kalten Finger und murmelte wieder. »Was ist mit dir? Du mußt zu einem Heiler, du bist verletzt.«

»Darrag, du bist ein tapferer Mann ...«, setzte Zerwas an. »Du wirst jetzt mehr Mut und Stärke brauchen als in der Schlacht. Deshalb sind wir in der Gasse, wo wir beide allein sind.«

»Laß meine Frau los, Henker! Siehst du nicht, daß sie dringend die Hilfe eines Medicus braucht.« Zerwas ließ los; Misira rutschte vom Pferd und fiel dem Schmied in die Arme.

»Sie braucht jetzt keinen Heiler und keinen Medicus mehr. Sie ist zu den Göttern gegangen.« Die Stimme des Vampirs war tonlos.

»Nein, sie wird leben!«

Zerwas stieg vom Pferd. »Sei kein Narr, Darrag. Sie ist tot.« Er legte dem Schmied die Hand auf die Schulter.

»Aber ich habe doch eben noch mit ihr gesprochen.« Darrag schluchzte und blickte in Misiras leblose Augen. »Wann ...«

»Die letzten Worte, die sie in dieser Welt an dich gerichtet hat, sprachen von Liebe. Vergiß das nie!«

Tränen liefen dem Schmied über die Wangen. »Wer war das? - Wie ist das passiert?« stammelte er fassungslos.

»Als wir über die Schanze geritten sind, hat sie das Pferd beiseite gerissen, um den Speeren der Orks auszuweichen und uns beide gerettet. Dabei muß sie verwundet worden sein. Ich habe es selbst erst bemerkt, als wir die Schanze schon ein ganzes Stück hinter uns gelassen hatten.« »Du sagst, daß der Hund, der meine Frau getötet hat, noch lebt?« Darrag bebte vor Wut. »Dem werde ich die Haut abziehen! Du wirst ihn bis ins Totenreich schreien hören.«

Darrag starrte in die toten Augen seiner Frau. Dann griff er nach dem Sattelknauf und versuchte aufzusteigen. Zerwas fiel ihm in den Arm. »Laß den Unsinn! Du wirst dich nur umbringen, wenn du allein zu den Orks zurückreitest. Man würde dir vermutlich nicht mal das Stadttor öffnen.«

»Versuch nicht, mich aufzuhalten!« Darrag drehte sich mit dem Rücken zum Pferd und griff nach dem Schwert an seiner Seite.

»Denk an deine Kinder! Sollen sie Waisen werden? Wenn ihre Mutter tot ist, ist es schon schwer genug für sie. Willst du dir jetzt auch noch das Leben nehmen? Misira ist tot, und sie wird nicht wieder lebendig, indem du einen Ork umbringst. Das letzte, was sie sagte, war, daß sie dich liebt. Beweise jetzt, daß du ihrer Liebe wert bist!«

Darrag nahm die Hand von der Waffe. Dann umschlang er mit beiden Armen seine tote Frau und fing wieder an zu weinen. »Komm, Darrag! Wir wollen die Tote aufbahren. Sie ist gestorben wie eine Heldin und sie soll morgen ein Heldenbegräbnis haben. Ich werde dir helfen, ihren Leichnam so herzurichten, daß deine Kinder von ihr Abschied nehmen können.« Zerwas nahm beide Pferde am Zügel und machte sich auf den Weg. Einige Schritte hinter ihm folgte Darrag. Schweigend trug er Misira auf seinen Armen, preßte sie an seine Brust wie ein großes Kind. Er hatte wieder angefangen zu weinen. Seine Tränen tropfen auf den schimmernden Küraß, den er seiner Frau geschmiedet hatte. Ein prächtiger Panzer und doch hatte er sie nicht vor dem Tod bewahren können. Er würde sich nie verzeihen, daß er sie zu diesem Angriff mitgenommen hatte, und er hatte Angst vor den Fragen seiner Kinder.

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