Der Zufluchtsort, den sie im Morgengrauen erreichten, war nicht nur eine Schmiede, sondern eine kleine Burg. Sie lag auf einem Plateau am Ende eines unzugänglichen Tals, im Nordosten des Königswaldes. Hier lebten Männer, Frauen und Kinder, die Grimbert froh und erleichtert begrüßten. Sie dankten Wodan für die Rettung ihres Herrn. Eine Kapelle entdeckte Siegfried nicht und auch keinen Priester.
Als sie von den Pferden stiegen, klagte Wieland über Schmerzen und Müdigkeit. Auf seine Frage nach einem Schlafplatz schüttelte Grimbert den Kopf.
»Jetzt bleibt keine Zeit zum Schlafen!« sagte er ernst. »Wir müssen uns auf den Kampf mit Reinhold vorbereiten.« Er deutete auf einen länglichen Anbau. »Dort ist die Schmiede. Da treffen wir uns, sobald ich meine Boten und Kundschafter ausgesandt habe.«
Neugierig ging Siegfried mit seinen beiden Gefährten in die Schmiede. Verwirrt überlegten sie, was sie hier sollten.
»Waffen für den Kampf schmieden«, meinte Wieland. »Schwertklingen und Speerspitzen.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Siegfried, denn in Grimberts Worten meinte er einen geheimnisvollen Klang vernommen zu haben. »Es muß um etwas anderes gehen, etwas Besonderes.«
Otter gab ihm recht.
Schließlich erschien Grimbert mit einem großen Rautenschild. Doch der Schild war unvollständig, zwar aus zwei Schichten Lindenholz gefertigt und mit Leder überzogen, aber bar jeder Verzierung.
»Der Schild muß beschlagen werden, mit dem härtesten Stahl, den ihr schmieden könnt.«
»Aber dann wird er sehr schwer«, wandte Wieland ein.
»Das schadet nichts«, erklärte Grimbert. »Siegfried ist kräftig. Sein Arm wird nicht so leicht erlahmen, nicht wenn es gegen Reinhold geht.«
»Der Schild ist für mich?«
Grimbert nickte seinem Neffen zu. »Nur du kannst es schaffen, den guten Runenzauber gegen den schlechten zu führen. Du bist ein Abkömmling Wodans, Prinz von Xanten. Falls der Göttervater sich in die Schlacht wirft, dann für dich!«
»Was sollte ihn dazu veranlassen?« fragte Otter zweifelnd.
»Der Runenzauber, mit dem ich den Stahl versehen werde.« Grimbert legte den Schild auf einen großen Holztisch. »Und nun an die Arbeit!«
Der Blasebalg pumpte, die Kohlen glühten, das Feuer knisterte. Für Siegfried war es fast, als hätte es die letzten Tage nicht gegeben. Als sei er noch immer der Jüngling in Reinholds Schmiede, der seiner Schwertleite entgegenfieberte. Wie unwichtig dieses Ereignis doch geworden war! Dabei hatte Siegfried es lange Zeit für den bedeutendsten Tag in seinem Leben gehalten. Aber jetzt ging es um so viel mehr. Er mußte für die Menschen kämpfen, die ihm am Herzen lagen.
Wieland vergaß seine Müdigkeit. Wenn die Kräfte der Männer doch zu erlahmen drohten, heiterte Otter alle durch seine Scherze auf. Vergessen war das Blut, das an seinen Händen geklebt hatte.
Grimbert gab seine Anweisungen und wirkte erst zufrieden, als der harte Stahl geformt und von ihm mit drei Runen versehen war. Zwei davon erkannte Siegfried: Fehu und Uruz, die auch das Runenschwert schmückten. Die dritte führte in schlangenähnlichen Windungen zwischen ihnen hindurch.
»Das ist Sowilo, die Sonnenrune«, erläuterte Grimbert. »Sie verkörpert die Kraft der Sonne, die den Sieg bringen soll. Und sie ist die Rune Balders. Wenn Wodan den Mord an seinem Sohn noch nicht vergessen hat, wird er dem Träger dieses Schildes, dem Nachkommen der Wodanssippe, gegen Lokis Verbündeten beistehen!«
»Dann ist der Schild fertig?« fragte Siegfried.
»Nein, erst morgen. In dieser Nacht muß ich ihn den Göttern weihen.«
Niemand fragte, was er damit meinte. Alle waren zum Umfallen müde. Sie sanken auf einige Heuballen in der Schmiede und fielen in einen tiefen Schlaf, während ein einsamer Grimbert mit dem Runenschild von der Burg fortritt und in den finsteren Nachtwald eintauchte.
Siegfried träumte schlecht in dieser Nacht. Sieglind und Amke erschienen im Traum. Sie waren nicht mehr in Xanten, sondern in einem düsteren unterirdischen Labyrinth gefangen - im Reich der Totengöttin.
Grimbert kehrte am Morgen nicht allein zurück. In seiner Begleitung waren drei Reiter, die er unterwegs getroffen hatten. Boten, die schlechte Kunde brachten. Dieser Tag sollte die Entscheidungsschlacht zwischen Friesen und Niederländern sehen. Reinhold zog mit einem großen Heer gen Norden, um sich König Hariolf zu stellen. Aus allen Richtungen strömten dem niederländischen Kriegsherrn Waffenfähige zu. Sie glaubten, für ihr Land und für ihre Königin zu kämpfen, nicht für einen bösen Gott. Wie konnten sie die Wahrheit auch ahnen, befand sich doch die im ganzen Reich beliebte Königin bei ihrem Heer! Ja, Reinhold schien mit seinen düsteren Plänen ernst zu machen. Er hatte die Königin und Amke mitgenommen. Amke sollte sein Faustpfand sein, für den Fall, daß die Friesen die Oberhand gewannen.
»Wenn König Hariolf nicht nachgibt, wird seine Tochter sterben«, verkündete einer der Boten.
»Und meine Mutter?« fragte Siegfried. »Weshalb hat Reinhold sie mitgenommen?«
»Sollte Reinholds Heer in Bedrängnis geraten, wird er es durch ein Ereignis anstacheln, das keinen Niederländer kaltläßt.«
»Durch den Tod der Königin«, flüsterte Siegfried, erschrocken über diesen Gedanken, der aber der Wahrheit sehr nahekam.
Grimbert nickte. »Man wird meine Schwester von einem friesischen Pfeil oder einem friesischen Speer durchbohrt finden. Und niemand wird danach fragen, ob die tödliche Waffe von niederländischer Hand geführt wurde.«
Siegfried sah den Oheim hilfesuchend an. »Was können wir tun?«
»Wir reiten sofort!« entschied Grimbert.
Am frühen Nachmittag kehrten die Späher, die König Hariolf ausgesandt hatte, mit alarmierenden Nachrichten zurück: Die Niederländer waren ihnen entgegengezogen und erwarteten sie am Rand einer großen Schlucht.
»Endlich«, sagte der König. »Ich habe lange auf diesen Augenblick gewartet. Weiß man, wer sie anführt?«
Die Späher berichteten, sie hätten Reinhold von Glanders Wappen gesehen.
»Graf Reinhold selbst, der Verräter und Mädchenräuber. Besser hätte es nicht kommen können.« Er wandte sich an den Recken, der an seiner Seite ritt. »Meint Ihr nicht auch, Markgraf?«
Onno nickte, wenn auch zögernd. »Wenn wir Reinhold töten oder fangen können, ist dem niederländischen Kampfesmut die treibende Kraft genommen. Aber wir sollten Reinhold von Glander nicht unterschätzen und uns vor allem nicht zu sinnloser Wüterei anstacheln lassen.«
Während der verunstaltete Markgraf sprach, hatte sich Hariolfs Gesicht mehr und mehr verfinstert. Er hatte von seinem treuesten Gefolgsmann weniger Bedenken und größeren Kampfgeist erwartet. Doch der König kam nicht mehr dazu, eine geharnischte Erwiderung anzubringen. Eine lange Reihe von Hornsignalen ertönte über dem Tal.
Hariolf lauschte ihnen und sagte aufgeregt: »Hört nur, Onno, hört! Die Niederländer greifen an! Reinhold kennt nicht solch zahlreiche Bedenken wie Ihr. Die Ritter sollen antraben, die Lanzenträger sich zum Eingreifen bereithalten, die Schützen Stellung beziehen! Befehl an die Hornisten: Gebt das Signal zum Gegenangriff!«
Des Königs berittene Boten stoben davon, um seine Befehle an die Truppenführer zu übermitteln. Friesische Hornsignale erklangen.
Dann ritten die Friesen an. Tausende Hufe ließen das Tal erzittern, über dem sich eine dunkle Wolkenfront zusammenbraute. An der Spitze ritten Hariolf und Onno unter dem Königsbanner, dem springenden schwarzen Wolf im roten Feld.
Auch von der Südseite drängten die Ritter ins Tal. Über ihnen wehte der Xantener Falke. Schneller und schneller wurden die Pferde.
Als die vordersten Reihen aufeinandertrafen, grollte Donner zwischen den Kampflärm, Blitze zuckten zur Erde nieder und schwerer Regen fiel. Das Wasser weichte den Boden auf. Die Pferde gerieten ins Rutschen. Reiter stürzten und kamen in ihren schweren Rüstungen nur schwer wieder auf die Beine. Wenn sie es schafften und nicht vorher vom Feind getötet wurden, kämpften sie als Fußsoldaten weiter.
Über eine Stunde traf Stahl auf Stahl und vermengte sich Blut mit dem stürzenden Regen, ohne daß sich eine Entscheidung abzeichnete. Doch in der zweiten Stunde schienen die Niederländer allmählich die Oberhand zu gewinnen.
Graf Reinhold verstand es, seine Männer mitzureißen. Er focht stets im ersten Treffen und schwang sein Schwert wie von Sinnen. Mehrmals stürzte das Pferd unter ihm. Sofort sprang ein Ritter an seiner Seite aus dem Sattel und half Reinhold hinein. Und der Graf von Glander focht weiter, schlug immer größere Lücken in die Reihen der Friesen.
Hariolf und Onno beobachteten den Verlauf der Schlacht. Über dem Getöse des Kampfes rief der König seinem Markgraf zu: »Wir müssen Reinhold töten, sonst ist die Schlacht verloren!«
Onno nickte und riß auch schon seinen Rotfuchs herum. Er brüllte seinen Recken den Befehl zu, ihm und ihrem König zu folgen, auf Gedeih und Verderb. Mit aller Gewalt schlugen sie sich durch die feindlichen Haufen und kamen Reinhold von Glander näher und näher.
Hariolf trieb seinen Rappen noch stärker an, als er Reinhold inmitten der Schlacht ausmachte. Doch dann zögerte er. Von Osten sprengte ein Reitertrupp heran, um in die Schlacht einzugreifen. Es waren nicht viele Recken, keine fünfzig, aber ihre Gesichter waren wild entschlossen.
Onno kniff die Augen zusammen und rief dann überrascht: »Der Hüne an ihrer Spitze ist Siegfried von Xanten!«
»Siegfried, der Mörder Harkos?« Hariolf war zutiefst überrascht. »Es hieß doch, er sei verschwunden. War es eine Kriegslist?«
»So sieht es aus«, brummte Onno nervös.
Die Friesen fanden keine Zeit mehr, sich um Siegfried zu kümmern. Reinhold griff mit seinem Haufen an und verwickelte Hariolfs Krieger in ein erbittertes Gefecht. Immer näher kamen sich der Friesenkönig und der niederländische Kriegsherr.
»Das Schwert!« stieß Onno hervor, nachdem er einen gegnerischen Ritter aus dem Sattel geschlagen hatte. »Reinholds Schwert!«
»Was ist mit dem Schwert?« fragte Hariolf und hielt sein unruhiges Tier nur mit Mühe an Onnos Seite.
»Ich hätte es schon damals auf der Lichtung bemerken müssen, als ich Harkos Leiche fand. Reinhold führt das Schwert, mit dem Siegfried Harko erschlug. Es ist König Siegmunds unbesiegbare Waffe.«
»Das Runenschwert?«
Onno nickte.
»Die Götter sind gegen uns«, flüsterte Hariolf betroffen. »Wir werden in diesem Tal untergehen.«
»Auch Götter sind nicht unfehlbar!« knurrte der Markgraf und trieb seinem Hengst die Sporen in die Flanken. Der Rotfuchs sprang vor, geradewegs auf Reinhold zu. »Für den Wolf von Friesland!« brüllte Onno und schwang sein Schwert gegen den Kriegsherrn der Niederlande.
Funken stoben davon, als Onnos Klinge auf Reinholds Schild traf. Der Niederländer wankte im Sattel. Onno holte zum vernichtenden Schlag aus. Doch Reinhold schleuderte seinen Schild und zwang Onno, sich zu ducken. Als sich der Markgraf wieder im Sattel aufrichtete, fuhr Reinholds Klinge auf ihn herab. Das Runenschwert spaltete Helm und Kopf.
Der tote Onno stürzte in den Schlamm, unter die Hufe der Pferde.
Hariolf verfolgte Onnos Untergang mit Schrecken, doch dann siegte seine Wut, als Reinhold auf ihn zuhielt.
»Komm nur, Verräter!« brüllte der Friesenkönig und hob sein Schwert.
Reinhold preschte heran. Sein Pferd setzte über gefallene Menschen und Tiere hinweg. Seine Augen waren starr auf Hariolf gerichtet. Des Königs Rappe tänzelte unruhig; er schien die drohende Gefahr zu spüren. Hariolf zwang ihn mit eiserner Hand, auf dem Fleck zu stehen, bis Reinhold fast herangestürmt war. Erst dann ließ er den Rappen springen, riß ihn herum und brachte sich auf geschickte Weise in Reinholds Rücken.
Schon fuhr Hariolfs Waffe auf den Feind nieder, der keinen Schild mehr hatte, den Schlag abzuwehren.
Reinhold ließ sich aus dem Sattel fallen, und Hariolfs Klinge durchschnitt pfeifend die Luft. Der Graf von Glander kam blitzschnell wieder auf die Beine und stieß seine Klinge in die Flanke von Hariolfs Rappen. Das Pferd sank nach vorn und schleuderte den Reiter in den Schlamm. Der Friese wälzte sich herum - dann sah er das Runenschwert, das auf seinen Kopf zuflog...
Der Regen peitschte gegen das große Zelt, das in einem kleinen Seitental stand, bewacht von ausgesuchten Männern, Kriegern, denen Reinhold unbedingtes Vertrauen schenkte. Sie gingen für den Grafen von Glander durchs Feuer und stellten sich für ihn sogar gegen die Königin. Starr wie Felsen standen sie im dichten Regen, rund um das Zelt verteilt, und bewachten die wichtigen Gefangenen. Und sie erkannten nicht, wie nahe sie dem Verderben waren.
Der Feind lauerte in den dichten Regenschwaden. In diesem engen Tal bildeten sich Windböen und trieben den Regen vor sich her. Doch die Gestalten, die heranschlichen, wußten sich die schlechte Witterung zunutze zu machen.
Die ersten Wächter starben lautlos. Als schließlich ein Wachtposten einen Warnruf ausstoßen konnte, war es schon zu spät. Die Angreifer hatten bereits die Oberhand gewonnen. Ihre Klingen fuhren in das Fleisch von Reinholds Männern.
Nur einer benutzte keine geschmiedete Waffe, sondern seine Zähne. Otter war froh, daß ihn niemand sah, wie er voller Lust die Kehlen der Männer durchbiß. Er hätte sich vor anderen geschämt, wie er sich vor sich selbst schämte. Aber er konnte nicht gegen seine Natur verstoßen. Als alle Feinde getötet waren, hob er das blutverschmierte Gesicht in den Himmel und wartete geduldig, bis der Regen ihm das Blut abwusch. Er sah Grimberts große Gestalt, die am Zelteingang den letzten Wachtposten niederrang. Dann lief der graubärtige Recke ins Zelt. Otter folgte ihm, befriedigt und von sich selbst angeekelt zugleich.
»Mögen die Götter mit mir sein!« schrie Siegfried, als er sein Pferd gegen Reinhold lenkte. Er wußte, daß es um winzige Augenblicke ging, wollte er Hariolf noch vor der vernichtenden Kraft des Runenschwertes retten.
Eine Menge Recken waren an Siegfrieds Seite gefallen, als sie sich durch das Heer der Niederländer kämpften. Auch durch friesische Klingen, deren Besitzer nicht glauben mochten, daß der Prinz von Xanten auf ihrer Seite focht. Von den über vierzig Recken, die Grimbert ihm an die Seite gestellt hatte, saßen nur noch die Hälfte in den Sätteln. Grimbert selbst war mit einem Trupp, zu dem auch Otter und Wieland gehörten, aufgebrochen, um Sieglind und Amke zu befreien.
Siegfried gab seinem Pferd verzweifelt die Sporen. Der Braune sprang zwischen Reinhold und Hariolf. Die magische Klinge traf das Pferd an der Kruppe. Der Braune jaulte vor Schmerz auf und sackte auf die Hinterläufe. Siegfried sprang aus dem Sattel und stellte sich seinem Kontrahenten.
»Du?« Reinholds Gesicht verdüsterte sich. Siegfried konnte sich nicht erinnern, seinen Zuchtmeister einmal so verblüfft gesehen zu haben.
»Ja, Verräter.«
»Wirf die Waffen weg!« schrie Reinhold. »Dann verschone ich dich. Wir könnten Seite an Seite regieren.«
»Warum, wenn Ihr allein die Macht haben könnt?«
»Der Name des Xantener Königshauses hat einen guten Klang. Viele würden Euch blind folgen, König Siegfried.«
»Ihr wolltet mich nur benutzen!« erkannte Siegfried, und als Reinhold nichts erwiderte, fragte er: »Warum das alles? Bedeutet Euch der Feuergott so viel?«
»Meine Vorfahren stammen von ihm ab, so wie die deinen Wodan ihren Ahnherrn nennen.«
Während er noch sprach, griff Reinhold an. In einer hastigen Bewegung riß Siegfried sein Schwert hoch, um Reinholds Attacke abzuwehren. Siegfrieds Klinge war aus gutem Stahl, doch das Runenschwert zerbrach sie.
»Ein Hieb für dein Schwert, der zweite für dein Leben!« schrie Reinhold und schwang das Runenschwert.
»Rune gegen Rune, und Gott gegen Gott!« stieß Siegfried hervor und hob mit beiden Händen den rautenförmigen Schild.
Er spürte eine ungeheure Kraft, die aus dem Runenschild strömte und ihn erfaßte. Die Wucht von Reinholds Schlag zwang Siegfried in die Knie. Aber sein Schild - der Runenschild - hielt stand.
Reinhold stieß einen wilden Schrei aus; ein Laut des Unglaubens und des Zorns, als er auf sein Schwert starrte. - Das Runenschwert war wieder in zwei Hälften geteilt!
»Der Zauber ist gebrochen.« Siegfried erhob sich und starrte Reinhold an. »Ich rief ihn, und ich bannte ihn - mit der Hilfe Wodans!«
»Die Runen!« Reinhold hielt seinen Blick auf den Schild gerichtet. »Das ist Grimberts Werk!«
»Allerdings«, schnaufte Siegfried. Er sprang vor und schlug seinen Schild gegen Reinholds Schädel.
Der Graf sank zu Boden, und Siegfried warf sich auf ihn. Vielleicht hatte der Prinz die größere Kraft; vielleicht war es die Wut, die ihn außer sich geraten ließ. Er saß schließlich rittlings auf Reinhold, und seine Fäuste schlugen das Leben aus dem Verräter heraus.
Bis ein Schatten auf Siegfried fiel und ihn von dem Gegner riß. Kräftige, scharfe Klauen hielten ihn gepackt. Ein spitzer Schnabel hackte, bohrte sich schmerzhaft in sein Fleisch.
Der rote Falke war zurückgekehrt!
Gib auf, Siegfried von Xanten! dröhnte die unheimliche Stimme in seinem Kopf. Du kannst nicht gegen den Feuergott bestehen. Kein Mensch kann das!
»Kein Mensch, aber ein Gott«, stöhnte Siegfried. »Wodan!«
Er schaffte es, seinen Dolch zu ziehen und in den Falken zu rammen. Mit kräftigen Flügelschlägen flatterte das Tier auf, die Klinge steckte noch in seinem Leib. Der Falke schüttelte sich in der Luft, und die Waffe fiel zu Boden.
Siegfried warf sich herum, als der Falke erneut angriff. Das Tier rauschte dicht über ihn hinweg. Die scharfen Krallen verfehlten ihn nur knapp. Der Xantener kroch zu seinem Dolch und hob ihn auf, doch da kehrte der Falke schon zurück. Er stieß einen gellenden, durchdringenden Schrei aus. Siegfried hatte es für einen Angriffsruf gehalten. Aber es war der Todesschrei. Der große Vogel stürzte zu Boden. In seiner Kehle steckte der Bolzen einer Armbrust.
Siegfried blieb keine Zeit aufzuatmen. Reinhold hatte sich erholt und griff wieder an. Er schwang eine Kette mit einer spitzenstarrenden Eisenkugel über seinem Haupt. Ein Morgenstern! Siegfried konnte sich durch einen Sprung vor dem ersten Schlag in Sicherheit bringen. Doch der Graf setzte ihm nach und schwang die fürchterliche Waffe erneut. Der Prinz von Xanten faßte den Dolch an der Spitze und warf ihn, wie Reinhold es ihm beigebracht hatte. Die Klinge fuhr durch das rechte Auge des Angreifers. Reinhold fiel auf die Knie und ließ den schweren Holzgriff des Morgensterns los. Das Leben verließ ihn.
»Mich hast du getötet, Siegfried«, röchelte er. »Aber die Macht des Feuergottes wirst du nicht brechen. Der Krieg wird weitergehen. Friesen und Niederländer werden sich abschlachten, wie es bald alle Christenhunde tun werden...« Seine Stimme wurde schwächer.
»Nein!« sagte jemand dicht hinter Siegfried. »Wir werden nicht länger gegeneinander kämpfen, nicht jetzt, wo ich die Wahrheit kenne!«
Es war König Hariolf.
Neben ihm erschien ein Reiter mit einer abgeschossenen Armbrust in der Hand: Grimbert.
Reinhold sank leblos herab. Sein Kopf fiel in den Schlamm. Noch im Tod wirkte er wie ein grausamer einäugiger Rächer.
Erst jetzt bemerkte Siegfried, daß der Kampflärm abgeebbt war. Nur der Regen trommelte unablässig auf den mit Wasser und Blut getränkten Boden.
»Es ist vorbei«, sagte Grimbert. »Wir haben Königin Sieglind und Prinzessin Amke befreit. Niederländer und Friesen kämpfen nicht mehr.«