Die Thorns gehörten beide der katholischen Glaubensgemeinschaft an, aber keiner von ihnen war übermäßig fromm. Ab und zu betete Katherine, und zu Weihnachten und Ostern besuchte sie die Kirche, aber eigentlich nur, weil sie es von ihrer Kindheit her so gewohnt war – nicht aus dem unbedingten Glauben an das Dogma.
Im Gegensatz zu Katherine nahm es Thorn nicht ernst, daß ihr Sohn Damien nicht getauft war. Natürlich hatten sie es versucht. Sofort nach seiner Geburt hatten sie das Kind in die Kirche gebracht, aber sowie sie die Pforte der Kathedrale durchschritten hatten, begann es so heftig zu schreien und war so sehr von Angst erfüllt, daß sie die Zeremonie wieder absagten. Mit dem Wassergefäß in der Hand war ihnen der Priester hinaus auf die Straße gefolgt. Er hatte sie gewarnt, wenn das Kind nicht getauft würde, könnte es niemals in das himmlische Reich gelangen. Doch Thorn weigerte sich, die Zeremonie fortzusetzen, denn er sah deutlich, in welchem Zustand sich das Kind befand. Um Katherine zu beruhigen, improvisierten sie eine Zeremonie zu Hause. Sie war im Grunde genommen niemals völlig beruhigt, und sie gab die Absicht, mit Damien eines Tages doch in eine Kirche zu gehen, um ihn in die christliche Glaubensgemeinschaft aufnehmen zu lassen, nicht auf.
Dieser Tag kam allerdings nie, denn es gab ständig unendlich viel zu tun, und die Taufe wurde vergessen. Die Weltwirtschaftskonferenz war zu Ende. Sie kehrten nach Washington zurück. Thorn legte sein Amt als Berater des Präsidenten nieder und versuchte auf eigene Faust politische Karriere zu machen. Der große Besitz in McLean, Virginia, wurde zum Treffpunkt zahlreicher Landespolitiker. Immer häufiger tauchte der Name Thorn in den Schlagzeilen der Zeitungen und Magazine auf, und zwischen New York und Kalifornien war bald jedermann mit den Gesichtern der Thorns vertraut.
Sie waren außergewöhnlich fotogen, sie waren reich, und sie waren auf dem Weg nach oben. Man sah sie jetzt auffallend häufig zu Gast beim Präsidenten. Es war klar, daß Thorn protegiert wurde, und politische Spekulanten waren daher nicht im geringsten überrascht, als er eines Tages am Hof von St. James die Rolle des amerikanischen Botschafters spielte. Damit befand er sich in einer Schlüsselposition, welche ihm tausend Möglichkeiten und Vorteile bot.
Die Thorns übersiedelten nach London und bezogen ein Haus aus dem siebzehnten Jahrhundert in Pereford. Das Leben wurde zu einem schönen Traum, besonders für Katherine. Es war so vollkommen, daß sie manchmal Angst bekam. Hier auf dem Landsitz fand sie jene Abgeschiedenheit, in der sie nichts anderes zu sein brauchte als eine Mutter für ihr angebetetes Kind; dennoch konnte sie jederzeit eine freundliche und schöne Helferin bei den diplomatischen Aufgaben ihres Gatten sein. Nun hatte sie ja ihr Kind, und so war sie eigentlich wunschlos glücklich. Jeremy betete sie an. Wie blühte sie plötzlich auf! In ihrer Frische und Schönheit erntete sie die Bewunderung aller. »Katherine Thorn?« hieß es. »Sie ist so schön, so zart und so zerbrechlich wie die Blüte einer Orchidee.«
Die Villa in Pereford, die sie elegant eingerichtet hatten, spielte eine gewisse Rolle in der englischen Geschichte. Sie besaß einen Keller, wo sich Anno 1666 ein verbannter Herzog verborgen hatte, bis man ihn entdeckte und hinrichtete. Die Villa war von einem Wald umgeben, in dem König Heinrich V. einst Wildschweine jagte. Es gab irgendwo im Haus geheime Durchgänge und dunkle Fluchtwege. Aber es war ein fröhliches Haus, das zu allen Tages- und Abendstunden Gäste beherbergte, und helles Lachen herrschte in den großen Räumen.
Im Haushalt beschäftigten die Thorns einige Leute, die morgens kamen und abends wieder gingen – auch das Ehepaar Horton. Beide benahmen sich sehr englisch und sehr würdevoll. Sie arbeitete als Köchin, er als Chauffeur. Da war die kleine pummelige Chessa, ein halbes Kind noch … sie spielte Kindermädchen bei Damien, wenn Katherine gesellschaftliche Verpflichtungen hatte. Und Chessa war ein liebes, freundliches Mädchen, das aus der Thorn-Familie nicht wegzudenken war. Sie war klug, wenn auch ein bißchen verspielt, und sie behandelte den Jungen wie ihr eigenes Kind. Oft watschelte Damien hinter ihr her über den weiträumigen Rasen, oder er saß still mit ihr am Teich, aus dem er Kaulquappen angelte und wo er Wasserjungfern fing, um sie in Dosen nach Hause zu bringen.
In dieser behüteten Welt entwickelte sich das Kind zu einem prächtigen Jungen. Er war nun drei Jahre alt, körperlich vollkommen gesund und kräftig. Eine merkwürdige innere Zufriedenheit, ja, eine Gelassenheit ging von ihm aus, die man selten bei einem so jungen Menschen findet, ja, manch ein Gast fühlte sich gelegentlich durch seinen festen Blick beunruhigt. Wenn Intelligenz daran gemessen wird, wieviel Aufmerksamkeit jemand seiner Umwelt zollt, dann war Damien ein Genie, denn er saß oft stundenlang auf einer kleinen schmiedeeisernen Bank unter einem Apfelbaum und beobachtete die Leute, die kamen und gingen. Nichts von dem, was um ihn her geschah, schien seinen Blicken zu entgehen.
Wenn Horton seine Besorgungen machte, nahm er den Jungen mit. Horton hatte die schweigende Gegenwart Damiens gern, und es erstaunte ihn immer wieder, wie fasziniert sein kleiner Begleiter an allem teilnahm.
»Er kommt mir vor wie ein Wesen vom Mars«, bemerkte Horton einmal. »Als ob ihn jemand geschickt hätte, um die menschliche Rasse zu studieren.«
»Er ist der Augapfel seiner Mutter«, entgegnete Mrs. Horton. »Es war nicht eben gut, wenn sie hörte, was für Zeug du daherredest.«
»Aber ich sage doch nichts Böses über ihn. Bloß, daß er ein bißchen ungewöhnlich ist.«
Das einzige, was an Damien störte, war die Tatsache, daß er selten seine Stimme vernehmen ließ. Freude drückte er durch ein breites Grinsen aus, bei dem seine hübschen Grübchen sichtbar wurden; Sorge durch Tränen, die, ohne daß er je laut geweint hätte, über seine Wangen strömten.
Als Katherine dies einmal ihrem Arzt gegenüber erwähnte, beruhigte dieser sie. Er erzählte ihr die Geschichte eines Jungen, der kein einziges Wort sprach, bis er acht Jahre alt war und dann nur die Bemerkung von sich gab, er möge keinen Kartoffelbrei. Als ihn die Mutter erstaunt fragte, warum er nie vorher gesprochen habe, wenn er doch sprechen könne, erwiderte das Kind, bisher hätte sie ihm ja auch noch keinen Kartoffelbrei serviert. Katherine hatte über diese Geschichte viel gelacht und sich wegen Damien ein wenig beruhigt. Schließlich hatte Albert Einstein auch erst mit vier Jahren zu sprechen begonnen, und Damien war erst dreieinhalb! Wenn man davon absah, daß er so still war und alles so genau beobachtete, was um ihn her geschah, war er in jeder Hinsicht das vollkommene Kind, kurzum, der glückliche Sprößling einer vollkommenen Ehe.