Sechs

»Sieht nach einem Dutzend Schlachtschiffen und Schlachtkreuzern aus«, stellte Desjani fest, die über die Aussicht auf ein größeres Gefecht erfreut zu sein schien. »Aber nur fünf Schwere Kreuzer, ein Leichter Kreuzer und neun Jäger. Wieso nur eine so spärliche Eskorte?«

Die Antwort darauf wurde deutlich, als die Sensoren der Dauntless auswerteten, was sie an Informationen über die Syndik-Schiffe zusammentragen konnten. »Sie sind im Kampf beschädigt worden«, meldete der Gefechtswachhabende. »Vermutlich wurden sie hergeschickt, um repariert zu werden. Der größte Teil der Eskorten wurde wohl bei der Schlacht zerstört, in deren Verlauf die größeren Schiffe Schäden davontrugen.«

Geary nickte, während seine Gedanken in Richtung Allianz-Territorium drifteten. Waren diese Syndik-Schiffe die Sieger einer Schlacht, in deren Verlauf Captain Falcos Flotte aufgerieben worden war? Oder hatten sie sich mit einer im Allianz-Gebiet verbliebenen Streitmacht angelegt, die dort zurückgeblieben war, als der größte Teil der Schiffe sich ins Heimatsystem der Syndiks begeben hatte? »Wir müssen herausfinden, wo und von wem sie so zugerichtet wurden«, erklärte Geary.

»Das sollten uns Gefangene erklären können«, entgegnete Desjani gut gelaunt. »Nach dem Gefecht können wir ein paar Rettungskapseln der Syndiks an Bord holen.« Sie deutete auf die Darstellung der soeben eingetroffenen Kriegsschiffe. »Wenn sie für Reparaturen herkommen, dann dürften sie nur noch wenig bis gar keine Munition mehr an Bord haben. Keine Raketen, keine Kartätschen.«

»Richtig«, stimmte Geary ihr zu. »Könnten die eines der von uns identifizierten Munitionsdepots erreichen, noch bevor unsere kinetischen Bomben dort einschlagen?«

Desjani begann zu rechnen. »Vielleicht ja. Wenn sie mit voller Fahrt die entlegensten Depots ansteuern, sobald sie uns entdeckt haben. Aber ihnen wird nur wenig Zeit bleiben, und es wird schwer werden für sie, die Depots wieder zu verlassen, bevor unsere Projektile ihre Ziele erreichen.«

»Und damit würden sie für uns den Weg zum Hypernet-Portal frei machen«, folgerte Geary. »Ich hoffe, sie versuchen, eines der Lager zu erreichen.« Er rechnete die gesamte Flottenstärke der Syndiks im System zusammen. Sechzehn Schlachtschiffe und ein Dutzend Schlachtkreuzer, dreizehn Schwere Kreuzer, ein Leichter Kreuzer, dazu genau zwanzig Jäger. Eine schlagkräftige Truppe, wenn es ihnen gelang, sich zusammenzuschließen und gemeinsam gegen die Allianz-Flotte zu kämpfen. Zumindest in der Theorie war die Truppe schlagkräftig. Die Syndik-Flotte, die sie gleich beim Eintreffen in diesem System entdeckt hatten, verfügte womöglich über eine unvollständige Bewaffnung, und die Crews waren vermutlich unerfahren. Die neu eingetroffene Streitmacht konnte höchstwahrscheinlich wesentlich erfahrenere Crews vorweisen, hatten sie doch schon eine Schlacht mitgemacht und Verluste und Schäden erlitten. Aber diese Schiffe waren beschädigt worden, und es war fast sicher, dass sie nur noch über wenige oder sogar überhaupt keine Munition mehr verfügten. Und selbst zu einer Flotte vereint, wurden die größeren Schiffe von einer viel zu schwachen Eskorte begleitet.

»Was meinen Sie, Sir?«, fragte Desjani.

Geary saß sekundenlang schweigend da und zeichnete mit einem Finger die verschiedenen Flugbahnen auf dem Display nach. Dabei verließ er sich ganz auf seine aus langjähriger Erfahrung geborenen Instinkte, um einzuschätzen, wie seine Flotte und die beiden Syndik-Flotten sich in Relation zueinander bewegen würden. »Es hängt alles davon ab, was sie machen«, erklärte er schließlich. »Wenn sie dumm sind, werden sie sich individuell in den Kampf stürzen, dann können wir jede der Flotten mit einer sehr bequemen Überlegenheit hinsichtlich Anzahl der Schiffe und ihrer Feuerkraft schlagen.«

»Werden sie einen Zusammenschluss wagen?« Desjani deutete auf das Hypernet-Portal. »Wenn die wissen, dass wir in der Lage sein könnten, das zu benutzen …«

Oh verdammt. Desjani war auf das Hauptziel konzentriert geblieben, während Geary sich in den möglichen Alternativen verloren hatte. »Nein, Sie haben recht. Diese neue Streitmacht wird die Anweisung erhalten, die Verteidigung des Portals zu unterstützen.« Oder das Portal zu zerstören. Aber was ist mit dieser anderen Flotte? »Die andere Flotte kann alles Mögliche machen, aber ich glaube, wenn sie sehen, dass wir auf dem Weg zum Portal sind, werden sie ihren Kurs dorthin ändern. Oder sie bekommen den Befehl, sich dorthin zu begeben, obwohl sie zu spät dort eintreffen werden, um uns noch aufzuhalten.«

»Damit kommen wir klar«, bekräftigte Desjani.

Ihre ruhige Gelassenheit hatte etwas Ansteckendes. »Ja.« Geary lehnte sich zurück. »Ich schätze, wir haben noch ein Zeitfenster von einer halben Stunde, bevor irgendetwas passiert. Dann werden wir für stundenlang mit neuen Informationen versorgt werden, sobald wir sehen, wie die Syndiks auf uns reagieren. Bis dahin werde ich noch schnell einen Happen essen gehen.« Desjani nickte, ihr Blick war auf das eigene Display gerichtet. »Kann ich Ihnen was mitbringen?«, fragte er halb im Scherz.

Sie klopfte mit der Hand auf ihre Uniformtasche und grinste: »Ich habe einen Verpflegungsriegel.«

»Sie sind ein besserer Matrose als ich«, meinte er lächelnd, stand auf und sah Co-Präsidentin Rione an, die auf ihrem Platz saß und ihn mit ausdrucksloser Miene betrachtete. Geary nickte ihr zu. »So weit, so gut.«

»So weit«, wiederholte sie, aber er konnte nicht erkennen, ob in ihrem Tonfall ein Hauch von Belustigung oder Ablehnung mitschwang.

Was sich in den folgenden Stunden abspielte, in deren Verlauf die Allianz-Flotte tiefer ins Sancere-System vordrang, war zum größten Teil absehbar. Zivile Schiffe waren auf dem Weg zu nahen Raumhäfen oder zogen sich in die leeren Regionen des Systems zurück, da sie hofften, dass die Allianz-Schiffe sich nicht die Mühe machen würden, Zeit mit einer Verfolgungsjagd zu vergeuden. In den orbitalen Schiffswerften herrschte hektische Aktivität, da Schlepper versuchten, wertvolle Materialien ebenso in Sicherheit zu bringen wie einige der größeren, noch im Bau befindlichen Kriegsschiffe. Allerdings waren nicht genug Schlepper da, um alles zu retten, bevor die kinetischen Projektile einschlugen. Die beiden nur teilweise fertiggestellten Kriegsschiffe, die aus der Schusslinie gezogen wurden, konnten sie später immer noch zerstören, wenn sie in das Gebiet flogen, trotzdem musste Geary die Hingabe bewundern, mit der die Syndiks ans Werk gingen. Sie gaben nicht auf, obwohl ihnen ihre Anstrengungen genauso vergebens erscheinen mussten, wie sie es in Wahrheit auch waren.

Lange nach dem Licht, das die Ankunft der Flotte ankündigte, folgte das kinetische Bombardement, das sich im System ausbreitete und unabwendbar Ziele ansteuerte, die tief im inneren System lagen, wo industrielle und militärische Anlagen dicht an dicht standen.

Die Syndik-Streitmacht, die Geary insgeheim als Übungs-Flotte bezeichnete, die aber vom Gefechtssystem offiziell als Syndik-Streitmacht Alpha geführt wurde, hatte fast vier Stunden vor der Sichtung von Gearys Flotte Kurs auf den fünften Planeten genommen und damit unwissentlich den Abstand verringert. Als er dann sah, wie die Streitmacht eine abrupte Kursänderung beschrieb, wusste er, dass dieses Manöver bereits vor fünf Stunden stattgefunden hatte — und ihm wurde bewusst, dass er sich bereits seit mehr als zehn Stunden auf der Brücke aufhielt. Er verharrte dennoch an Ort und Stelle, bis erkennbar war, ob die Übungsflotte den Köder geschluckt hatte und auf die Eingreiftruppe Furious zusteuerte. Ein prüfender Blick auf die andere Syndik-Flotte führte leider zu der Erkenntnis, dass die kehrtgemacht hatte und zum Portal zurückflog. Geary betete, dass diese Syndiks das Portal benutzten, um aus dem System zu entkommen, da ihm so die Ungewissheit einer Konfrontation ebenso erspart bleiben würde wie die Möglichkeit, dass sie das Portal zerstörten, bevor seine Flotte es erreichen konnte.

Müde rieb er sich die Augen. Es dauerte immer noch gut vierundzwanzig Stunden, ehe die Flotte in die Nähe des Gasriesen gelangte, wo man eine Kursänderung vornehmen und geradewegs auf das Portal zusteuern wollte. Es gab Medikamente, die ihn tagelang hellwach halten würden, aber selbst die besten dieser Mittel hatten ihren Preis, den man für gewöhnlich dann bezahlen musste, wenn in einer Drucksituation eine schnelle Entscheidung erforderlich wurde. Der menschliche Verstand benötigte Schlaf, um sich zu erholen, und er wollte sich auch mit nichts anderem abspeisen lassen. Captain Desjani hielt ein Nickerchen in ihrem Sessel, der offenbar bequem genug dafür war. Die Geräuschkulisse der Brücke schien sie nicht zu stören.

Aber so bald würde es keine neuen Entwicklungen geben. Aktualisierte Informationen konnten eingehen, doch jede mögliche Bedrohung würde erst in einigen Stunden zur Gefahr für die Flotte werden. Geary tippte auf die Komm-Tasten. »An alle Schiffe: Sorgen Sie dafür, dass die Schichtwechsel Ihrer Crew eingehalten werden und dass jeder genug Zeit bekommt, um sich auszuruhen.« Er stand auf und streckte sich, fest entschlossen, seinen Untergebenen mit gutem Beispiel voranzugehen. »Ich gehe nach unten und lege mich eine Weile schlafen«, ließ er die Wachhabenden auf der Brücke wissen. »Rufen Sie mich, wenn sich irgendetwas Unerwartetes ergibt. Und ich will benachrichtigt werden, falls diese beiden Syndik-Flotten eine Kursänderung vornehmen.«

Mitten in einer Schlacht für sechs Stunden schlafen zu gehen, wirkte im ersten Moment völlig absurd, aber wenn sich diese Schlacht in Zeitlupe abspielte und sich zum Teil über Tage hinzog, dann war es eine durchaus sinnvolle Maßnahme. Wenn er noch länger wach blieb und zusah, wie sich nichts ereignete, würde er viel zu müde sein, sobald sich etwas ereignete. Das hielt sich Geary vor Augen, als er sich in seine Koje legte und die Decke anstarrte. Es hätte schlimmer kommen können. Die Verteidigung fiel angesichts so zahlreicher militärischer Einrichtungen in diesem System überraschend schwach aus. Offenbar waren die Syndiks nicht davon ausgegangen, dass Sancere ein ernsthafter Kandidat für einen Angriff der Allianz sein könnte. Aber Überraschungen konnte es jederzeit geben, und er musste einen klaren Kopf haben, wenn er dann zu einer schnellen und richtigen Reaktion in der Lage sein wollte.

Rastlosigkeit brachte ihn nach einer Weile dazu, durch das Schiff zu streifen und mit Offizieren und Matrosen zu reden, die auf ihren Posten waren oder zwischendurch etwas aßen. Jeder wirkte nervös und aufgeregt, voller Sorge über das, was vielleicht kommen würde, aber auch begeistert von der Aussicht, dem Gegner einen schweren Schlag zuzufügen. Einige von ihnen grübelten über das Hypernet-Portal nach, und Geary versicherte ihnen recht vage, das Portal sollte eingenommen werden, falls das überhaupt möglich war.

Sechs Stunden vor der Ankunft beim Gasriesen konnte die Flotte etwas Aufregendes beobachten, das sich von der Welle der Zerstörung unterschied, die die kinetischen Geschosse der Flotte verursachten, sobald sie auf ihre Ziele trafen. Die Eingreiftruppe Furious hatte auf dem Weg zu den inneren Planeten auf 0,2 Licht beschleunigt und war jetzt zwei Lichtstunden von der Flotte entfernt. Sie bremste nun auf 0,1 Licht ab und näherte sich schnell der Syndik-Streitmacht Alpha, der Übungsflotte.

Von dem Wissen erfüllt, dass er in das Geschehen nicht lenkend eingreifen konnte, da alles, was er zu sehen bekam, längst geschehen war, konnte Geary nur zuschauen, wobei er versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Sollten die ihm treuen Commander der Versuchung erliegen und einen Angriff auf die Syndiks unternehmen, dann wäre ein Blutbad unvermeidlich. Die dreißig Schiffe unter Cresidas Kommando waren zahlenmäßig den neununddreißig Syndik-Schiffen unterlegen, und das galt auch für ihre Feuerkraft. Immerhin hatten die Syndiks zehn Schlachtschiffe vorzuweisen. Das Kräfteverhältnis war ungleich genug verteilt, um die Syndiks zu einer Verfolgung der scheinbaren Angreifer zu verleiten, worauf Geary auch hoffte. Er war davon überzeugt, dass Cresida nicht so dumm war, sich auf einen Nahkampf einzulassen, doch ein unbeabsichtigter Fehler auf ihrer Seite oder ein geschickter Zug der Syndiks konnte genau das nach sich ziehen.

Es lief alles darauf hinaus, dass er Cresida vertraute. Nach der Bescherung, die Numos mit dem Kommando über die ihm unterstellte Formation bei Kaliban angerichtet hatte, wollte Geary niemandem mehr die Befehlsgewalt über einen Teil der Flotte übertragen, dem er nicht vertraute. Aber es war viel leichter, nicht zu vertrauen und seinen Untergebenen alles vorzuschreiben, anstatt sie einfach ihre Arbeit machen zu lassen. Schon witzig, dass sich daran nie etwas ändert. Man muss es als Junioroffizier lernen, und als Senioroffizier muss man sich daran halten. Vorausgesetzt, man will ein guter Commander sein.

Vor zwei Stunden, was aber für den Rest der Flotte erst jetzt erkennbar wurde, hatte Cresida geschickt agiert und einen Kurs gewählt, der beinahe zu einer Kollision mit dem Gegner führte, nur um abrupt den Kurs zu ändern und im Vorbeiflug einige Salven abzufeuern. Es blieb nicht genug Zeit, um zu reagieren, zudem verhielten sich die Schiffe auffallend träge, was Gearys Einschätzung bestätigte, dass deren Besatzungen noch keine Kampferfahrung besaßen. Die Syndik-Formation versuchte, sich um die Achse des Flaggschiffs zu drehen, um sich der Eingreiftruppe als Wand aus geballter Feuerkraft zu präsentieren. Aber einige Schiffe drehten sich erst mit Verspätung und schossen an anderen vorbei, wieder andere beschrieben ihre Wendung dort, wo bereits benachbarte Schiffe manövrierten. Nur mit waghalsigen Bewegungen konnten sie einer Kollision aus dem Weg gehen, was in der Formation für zusätzliche Unordnung sorgte und die der Eingreiftruppe zugewandte Flanke völlig schutzlos zurückließ. Während die Syndiks vergeblich versuchten, das Feuer auf die herannahenden Allianz-Schiffe zu konzentrieren, konnte die Eingreiftruppe sich auf die ungeschützte Flanke konzentrieren und sie unter massiven Beschuss nehmen.

Geary atmete erleichtert auf, als die Sensoren der Dauntless ihm die Verluste der Syndiks auflisteten. Ein Schlachtschiff trieb tot im All, zwei Schlachtkreuzer waren schwer beschädigt. Alle vier Schweren Kreuzer an dieser Flanke sowie fünf Jäger wurden vernichtet. Die Statusmeldungen trafen jetzt zusammen mit dem Licht des Gefechts ein und ließen erkennen, dass nur einige von Cresidas Schiffen minimale Schäden erlitten hatten, während die anderen völlig unversehrt geblieben waren. »Gut gemacht«, lobte Captain Desjani.

»Sehr gut sogar«, bekräftigte Geary. Dann versteifte er sich abrupt. Die zwei Stunden alten Bilder zeigten, dass die Schiffe der Eingreiftruppe in einem weiten Bogen wendeten, als wollten sie ein weiteres Mal die überrumpelten Syndiks attackieren. Davon war keine Rede, Cresida. Tun Sie das nicht.

Bei der Geschwindigkeit, mit der die Schiffe der Eingreiftruppe unterwegs waren, dauerte es lange, und sie benötigten viel Raum, um ihre Wendung zu vollenden, auch wenn sie gleichzeitig abbremsten, um den Radius so klein wie möglich zu halten. Schließlich gab es keinen Zweifel mehr daran, dass Cresida einen zweiten Angriff fliegen wollte. Verdammt, sie hätte es besser wissen sollen.

Die Syndiks hatten die Verschnaufpause genutzt, um ihre Formation in den Griff zu bekommen und die stärkste Feuerkraft auf den Gegner auszurichten. Da sie offenbar mit einer weiteren Attacke auf die geschwächte Flanke rechneten, befanden sich die überlebenden leichten Einheiten nun in der Mitte, während die verbliebenen Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer in zwei vertikal ausgerichteten Ebenen angeordnet waren und dabei wie zwei Scheiben wirkten, zwischen denen sich die schwächeren Schiffe befanden. Es hatte etwas Ironisches, dass die großen Schiffe als Eskorte der kleineren Fahrzeuge dienten, die ihrerseits doch die Eskorte hätten bilden müssen. Dennoch war Geary beeindruckt, dass die Syndiks so schnell einen Weg gefunden hatten, ihre Flanken gegen Cresidas Taktik zu schützen.

»Was glauben Sie, was sie gemacht hat?«, fragte Captain Desjani, die eher fasziniert als besorgt klang. Die Vergangenheitsform klang seltsam, wenn sie dabei gleichzeitig das Geschehen mitverfolgten, aber es erinnerte ihn daran, dass alles, was sie sahen, längst geschehen war.

»Das werden wir bald sehen«, erwiderte Geary, der sich bemühte, seine Verärgerung über Cresidas eigenmächtiges Handeln nicht zu zeigen. Er konnte sie nicht davon abhalten, er konnte nicht eingreifen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich ein zwei Stunden altes Ereignis anzusehen, dessen Licht jetzt erst die Dauntless erreichte.

Die Eingreiftruppe Furious hatte nun die Formation eines breiten, flachen Streifens eingenommen. Geary starrte auf die Darstellung und fragte sich, was Cresida mit dieser Formation bezwecken wollte. Die beiden Streitmächte steuerten aufeinander zu, die Eingreiftruppe beschleunigte so weiter, wie es die handverlesenen Schiffe zu leisten vermochten. Die Allianz-Flotte näherte sich den Syndiks mit einer kombinierten relativen Geschwindigkeit von nicht ganz 0,2 Licht. Beiden Seiten würden die relativistischen Störungen ernsthafte Schwierigkeiten bereiten, zielgenau auf den Gegner zu feuern; die Geschwindigkeit bewegte sich auch kaum noch innerhalb akzeptabler Gefechtsbedingungen.

Diese Schnelligkeit und die Probleme, den Gegner zu sehen, ließ den Syndiks weniger Zeit zu reagieren, als Cresida ihre Streitmacht abermals den Kurs ändern ließ. Die Kriegsschiffe der Eingreiftruppe Furious tauchten nach unten weg und flogen unter den wartenden Syndiks hindurch, wobei sie auf eine ungeschützte Ecke der rechteckigen Formation an der Backbordseite der gegnerischen Streitmacht zielten. Das einzelne Schlachtschiff an eben dieser Ecke musste einen Beschuss von jedem Mitglied der Eingreiftruppe einstecken, während es selbst jeweils nur Einzelschüsse auf die Gegner abfeuern konnte. Auch wenn viele Schüsse der Allianz-Schiffe wegen der Störungen durch das hohe Tempo das Ziel verfehlten, bekam das Syndik-Schlachtschiff immer noch genug Treffer ab.

Die Allianz-Formation flog weiter, zurück blieben die Trümmer eines Schlachtschiffs, das dem massiven Beschuss nicht hatte standhalten können.

Desjani lachte sanft. »Die werden auf Commander Cresida sehr wütend sein. Das war ein guter Zug, Captain Geary. Sie hat zweimal mit ihnen gespielt, und beide Male konnte sie ihnen Verluste beibringen. Sehen Sie, die Syndiks drehen bei, um sie zu verfolgen, aber sie fliegt nicht auf den fünften Planeten zu.«

»Nein.« Geary betrachtete die Flugbahn, auf die die Eingreiftruppe einschwenkte und die von den Steuersystemen der Dauntless schnell weiterberechnet wurde. »Cresida hat beschlossen, zu den Schiffswerften im Orbit um die vierte Welt zu fliegen.« Die gigantischen Industriekomplexe stellten vermutlich die kostbarsten Ziele in diesem System dar. Geary hatte Cresida ausdrücklich angewiesen, diese Anlagen nicht zu zerstören, weil er sie plündern wollte, aber die Eingreiftruppe konnte mühelos im Vorbeiflug das fast fertiggestellte Schlachtschiff und einen Schlachtkreuzer bombardieren, die beide hektisch weggeschleppt wurden, um sie vor den kinetischen Projektilen in Sicherheit zu bringen, die auf die im Bau befindlichen Schiffe abzielten.

Sie hat es richtig gemacht, hat absolut alles richtig gemacht. Aber wäre eine Kommunikation mit ihr in Echtzeit möglich gewesen, dann hätte ich ihr befohlen, anders vorzugehen, weil ich nicht auf ihr Urteil vertraut hätte. Halt dir das immer vor Augen, Geary! Unter diesen Schiffskommandanten befinden sich kluge Köpfe, und diese Leute hören auf das, was du sagst. Im Gegenzug musst du ihnen vertrauen. Auch wenn die Nachricht sie erst in einigen Stunden erreichen würde, tippte Geary auf seine Komm-Kontrollen. »An Commander Cresida und alle Schiffe der Eingreiftruppe Furious, hier spricht Captain Geary. Das war exzellente Arbeit. Machen Sie weiter so.«

Bis zu dem Zeitpunkt, da die Allianz-Flotte am innersten Gasriesen vorbeiflog, war auf Gearys Aufforderung zur Kapitulation keine Reaktion erfolgt. Die Flotte zerstörte jene industriellen Ziele, die dem kinetischen Bombardement entgangen waren, und eliminierte alle noch verbliebenen Handelsschiffe in dieser Region. Der Antrieb von Erzfrachtern und anderen Schiffen, die nur für die Reise innerhalb des Systems ausgelegt waren, verfügte nur über einen Bruchteil der Leistungsfähigkeit eines Kriegsschiffs. Mit der Zeit konnten sie eine passable Endgeschwindigkeit erreichen, doch bis dahin verging viel Zeit. Und genau diese Zeit war den Schiffen nicht geblieben.

Das kinetische Bombardement war noch ein paar Stunden vom vierten Planeten entfernt, sodass die Kommandostruktur der Syndiks im inneren System noch voll funktionsfähig war. Geary wünschte, er wüsste, welche Befehle dort in diesen Minuten von ganz oben ausgegeben wurden. »An alle Einheiten der Hauptflotte: Ändern Sie Ihren Kurs um zwei fünf Grad nach Steuerbord und nach unten um null zwei Grad bei Zeit vier sieben.«

»Noch bevor die kinetischen Projektile sie erreichen, werden die genug Zeit haben, um neue Befehle zu erteilen, wenn sie sehen, dass wir Kurs auf das Portal nehmen.«

»Das lässt sich nicht ändern.« In einiger Entfernung flog die Eingreiftruppe Furious weiter auf die Schiffswerften um den vierten Planeten zu. Die gebeutelte und zweifellos vor Wut kochende Syndik-Streitmacht Alpha hatte an Geschwindigkeit zugelegt und war mit etwas mehr als 0,2 Licht auf einem Abfangkurs unterwegs, der sie kurz vor den orbitalen Schiffswerften des vierten Planeten mit der Eingreiftruppe zusammentreffen lassen sollte. »Was glauben die eigentlich, wie hoch ihre Trefferquote sein wird, wenn die so schnell fliegen?«

»Bei einer unerfahrenen Crew und Gefechtssystemen, die sich immer noch auf ihre Umgebung einzustellen versuchen? Höher als null wird sie nicht ausfallen«, erwiderte Desjani. »Sie müssten auf Gefechtsgeschwindigkeit runtergehen, aber wenn sie das machen, erreichen sie nicht mehr rechtzeitig den Treffpunkt.«

Desjani sah die Situation so wie er auch. Geary nickte, wurde dann aber stutzig, weil ihm einmal mehr der Gedanke zu schaffen machte, ihm sei irgendetwas durchgegangen. Doch was immer das auch sein mochte, es hielt sich beharrlich im hintersten Winkel seines Verstands und weigerte sich, nach vorn zu kommen. Schließlich versuchte Geary, gezielt an etwas anderes zu denken, weil er hoffte, dass ihm das helfen würde. Aber es half alles nichts.

Als sie noch fünf Stunden vom Hypernet-Portal entfernt waren, stutzte Geary erneut. Die Syndik-Streitmacht Alpha hatte weiter auf 0,25 Licht beschleunigt und den Kurs leicht korrigiert, damit sie die Flugbahn der Eingreiftruppe Furious kreuzen konnte, bevor die den vierten Planeten erreichte. »Wieso sagt mir mein Gefühl, dass die gar nicht vorhaben, unsere Eingreiftruppe auszubremsen?«

Auch Desjani war irritiert. »Ich weiß wirklich nicht, wie viele Treffer sie bei der Geschwindigkeit landen wollen. Ein Abfangkurs ergibt keinen Sinn, wenn er keine Bedrohung darstellt. Wenn Cresidas Schiffe irgendein Ausweichmanöver ausführen, fehlen den Syndiks schlagartig die Ziele, auf die sie feuern wollen, und durch die relativistische Störung können die Syndiks nicht mal genau erkennen, was die Allianz-Schiffe überhaupt machen. Selbst wenn das den Befehlshabern der Syndik-Schiffe nicht klar ist, sollte das aber ihren Vorgesetzten auf dem Planeten bewusst sein. Die hatten genug Zeit, der Streitmacht entsprechende Befehle zu erteilen, doch das ist nicht geschehen.«

»Warum halten die an einer Taktik fest, die ihnen praktisch jede Chance nimmt, eines unserer Schiffe zu treffen?«, überlegte Geary laut. »Warum sollten ihre Vorgesetzten damit einverstanden sein?«

Er hatte ganz vergessen, dass Co-Präsidentin Rione mittlerweile wieder ihren Platz auf der Brücke eingenommen hatte. Ihre Stimme klang wie die einer Lehrerin, die einem dummen Schüler auf die Sprünge zu helfen versuchte, als sie sagte: »Vielleicht sollten Sie nicht länger davon ausgehen, dass Sie deren Absichten kennen.«

Er drehte sich zu ihr um. »Wie meinen Sie das?«

»Ich meine damit, Sie reden nur davon, was die Syndiks anders machen müssten, wenn sie Ihre Schiffe treffen wollen. Was, wenn es ihnen in erster Linie gar nicht darum geht, Ihre Schiffe zu treffen?«

Desjani, die sichtlich nicht davon angetan war, Rione zuzustimmen, ballte eine Faust. »Wenn sie uns nicht treffen können, dann bedeutet das, dass die gleichen relativistischen Faktoren uns daran hindern, zuverlässig auf sie zu zielen. Sie minimieren ihr Risiko, von uns getroffen zu werden.«

Dann ging es den Syndiks vor allem ums Überleben? Aber warum? »Welchen Sinn soll das ergeben, ihre Formation so vollständig wie möglich intakt zu halten, während wir Amok laufen dürfen?«

»Die erwarten, dass etwas passiert, was das Blatt zu ihren Gunsten wenden wird«, sagte Desjani bedächtig.

Geary knirschte mit den Zähnen. Er und Desjani waren davon ausgegangen, das Vorhaben der Syndiks zu kennen, und sie hatten versucht, deren Handeln mit diesen Annahmen in Einklang zu bringen. Die wahren Absichten ihrer Gegner wurden jetzt klar, nachdem Rione ihnen deutlich gemacht hatte, was die Syndiks eigentlich taten. »Erwarten die Verstärkung?«

»Es ist unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen, dass ein Kurier unbemerkt durch das Portal entkommen ist«, räumte Desjani ein. »Doch selbst wenn, können sie nicht damit rechnen, dass jeden Moment Verstärkung eintrifft. Dann müssten wir schon davon ausgehen, dass die Syndiks unsere Ankunft in Sancere erwartet haben.«

»Das passt nicht zu dem, was wir hier vorgefunden haben«, wandte Rione ein und versetzte Geary erneut in Erstaunen. »Alles deutete auf Überraschung angesichts unserer Ankunft hin. Das könnte natürlich Teil einer ausgeklügelten Falle sein, um uns in Sicherheit zu wiegen und uns unvorsichtig werden zu lassen, aber wenn die Syndiks mit uns gerechnet hätten, dann wären wir zweifellos mit einem Minenfeld am Sprungpunkt empfangen worden.«

»Sie haben beide recht«, erklärte Geary. »Das heißt, der Abfangkurs ist nur eine Finte, mit dem sie versuchen wollen, das Vorrücken der Eingreiftruppe zu behindern. Das passt zum Verhalten der Syndiks. Gehen wir davon aus, dass es mindestens einige Tage dauert, ehe eine angeforderte Verstärkung eintreffen kann. Was gibt es sonst noch, das das Kräfteverhältnis so sehr verändern könnte, dass diese Syndik-Flotte das eigene Überleben über die Vernichtung des Feindes stellt?« Es musste etwas Großes sein, das verstand sich von selbst. Etwas wirklich Großes.

Geary sah sich die Darstellung der Syndik-Streitmacht Bravo auf seinem Display an. »Alpha bewegt sich so schnell, dass wir sie nicht treffen können, aber Bravo kauert einfach nur vor dem Portal und rührt sich nicht von der Stelle, obwohl klar ist, wohin wir wollen.«

Desjani schüttelte den Kopf. »Die müssen in nächster Zeit Fahrt aufnehmen. Wenn sie dort verharren und auf uns warten, ist das glatter Selbstmord.«

»Und trotzdem hat man ihnen genau das befohlen. So wie die andere Formation alles unternehmen soll, um nicht noch weitere Schiffe zu verlieren.« Geary hantierte mit dem Display und veränderte die Perspektive, um die Syndik-Formation von verschiedenen Seiten aus zu betrachten. »Wie sieht die neueste Einschätzung der Schäden an den Schiffen der Streitmacht Bravo aus?«

»Beschädigt sind sie alle, aber zwei Schlachtschiffe und drei Schlachtkreuzer haben so massive Schäden davongetragen, dass sie vermutlich nur minimal gefechtstauglich sind«, antwortete Desjani.

Geary markierte die am schwersten beschädigten Syndik-Schiffe. Alle fünf befanden sich in der Mitte der Formation, die sich ihrerseits vor dem Hypernet-Portal aufgestellt hatte. »Die Standardtaktik ist bislang gewesen, auf den Gegner loszustürmen. Das habe ich doch richtig verstanden, oder?«

Desjani nickte.

»Warum bringen sie dann ihre schwächsten Schiffe dort in Position? Warum befehlen sie ihnen nicht, in den freien Raum zu entfliehen? Dort, wo sie jetzt sind, können sie nichts anderes tun, als unsere Treffer einzustecken.«

Captain Desjani musterte nachdenklich das Display. »Ich könnte mir drei Gründe vorstellen. Der erste Grund wäre schlicht und einfach Dummheit; falls ihre Commander unfähig sind. Der zweite wäre der, dass die fünf beschädigten Schiffe als Köder dienen sollen. Und der dritte wäre, dass die leistungsfähigsten Schiffe aus einem bestimmten Grund die Umgrenzung dieser Formation bilden müssen.«

»Von Unfähigkeit möchte ich an diesem Punkt nicht ausgehen. Das könnte uns übermütig werden lassen. Und abgesehen davon: Warum sollten die Syndiks den beiden Formationen keine aufeinander abgestimmten Befehle erteilen? Es ist schließlich nicht so, als würden die Syndik-Führer ihren untergeordneten Kommandanten irgendwelche Entscheidungsfreiheit zugestehen.«

Desjani nickte bestätigend.

Geary spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. »Ich glaube, Ihr zweiter und dritter Grund treffen zu. Man erwartet von uns, dass wir genau auf diese Formation zuhalten, so wie es Allianz-Schiffe üblicherweise machen. Und in der Mitte der Formation warten die schwächsten Gegner darauf, von uns erledigt zu werden. Ein Köder, wie Sie ganz richtig sagten.« Er dachte daran zurück, wie seine Flotte bei Corvus auseinandergebröckelt war, als jedes seiner Schiffe versucht hatte, ein paar hoffnungslos unterlegenen Syndik-Kriegsschiffen den vernichtenden Treffer zuzufügen. Ein Syndik-Commander, der von einem solchen Verhalten ausging, wusste deshalb, wie verlockend die beschädigten Schiffe für einen Allianz-Commander sein mussten. »Und wenn wir nahe genug herangekommen sind, werden diese Einheiten mit der leistungsfähigsten Feuerkraft«, er zeigte auf Schiffe am Rand der Formation, »sich das Portal selbst vornehmen. Die wollen uns zu sich locken und dann das Portal vernichten, weil sie hoffen, dass die entstehende Energieentladung stark genug ausfällt, um vielen unserer Schiffe schwere Schäden zuzufügen.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen, während Desjani über seine Mutmaßung nachdachte. Dann schlug sie mit einer Faust auf die Armlehne ihres Kommandosessels. »Ich glaube, Sie haben recht, Sir. Wenn ein großer Teil der Schiffe unserer Hauptflotte durch das Hypernet-Portal außer Gefecht gesetzt wird, dann verschiebt sich das Kräfteverhältnis im System, und die Eingreiftruppe Furious könnte auf einmal als die einzige organisierte Streitmacht der Allianz bei Sancere dastehen.«

Geary überprüfte einige Statistiken. »Und trotz des Schadens, den die Eingreiftruppe der Syndik-Streitmacht Alpha zugefügt hat, ist diese Flotte immer noch überlegen. Darum versuchen sie, weitere Verluste zu vermeiden. Wenn ihr Plan am Portal funktioniert, sind sie die überlegene Macht im System.«

»Wenn die Energieentladung beim Versagen des Portals so groß ist, dass wir davon in Mitleidenschaft gezogen werden«, gab Desjani zu bedenken, »dann bleiben die Syndik-Schiffe aber nicht verschont.«

»Richtig.« Aber was waren schon ein paar Kriegsschiffe, davon die Hälfte schwer beschädigt, gegen eine vier- oder fünfmal so große Flotte aus Allianz-Schiffen? Für die Erbsenzählermentalität der Syndiks war das vermutlich ein sehr gutes Geschäft, vor allem weil die Überreste der Allianz-Flotte danach bestimmt die Flucht ergreifen würden, sodass etliche industrielle und militärische Einrichtungen verschont blieben. »Ich frage mich, ob die Besatzungen dieser Schiffe das wissen.«

»Das möchte ich bezweifeln.«

»Ich ebenfalls.« Geary spielte mit den Kontrollen, dann drückte er entschieden eine Taste. »An die Kriegsschiffe der Syndikatwelten am Hypernet-Portal des Sancere-Systems, hier spricht Captain Geary, Befehlshaber der Allianz-Flotte im Sancere-System. Seien Sie gewarnt, dass die Energieentladung als Folge einer Zerstörung des Hypernet-Portals sehr wahrscheinlich alle Schiffe zerstören wird, die sich zu dem Zeitpunkt in der Nähe aufhalten.« Er hielt inne und überlegte, ob er erwähnen sollte, welche verheerenden Folgen eine Zerstörung des Portals vermutlich noch nach sich ziehen würde. Doch er entschied sich dagegen. Wenn die Syndik-Führer nicht längst von selbst dahintergekommen waren, wollte Geary nicht derjenige sein, der sie auch noch auf diesen Gedanken brachte. »Sie haben keine Chance, das zu überstehen. Ihre Schiffe sind schon jetzt zu schwer beschädigt. Eine Kapitulation ist nichts Unehrenhaftes. Sie haben mein Wort, dass jeder von Ihnen, der sich ergibt, dem Kriegsrecht entsprechend behandelt wird.«

»Ich hoffe, Sie rechnen nicht ernsthaft damit, dass einer von denen kapitulieren wird«, meldete sich Co-Präsidentin Rione wieder zu Wort.

»Nein«, antwortete er ohne Umschweife. »Aber die Chance besteht trotzdem, und es würde uns das Leben um einiges leichter machen, sollten sie doch kapitulieren.«

»Glauben Sie bloß nicht, die Besatzungen dieser Schiffe könnten über ihr Schicksal selbst bestimmen«, redete Rione weiter.

Er sah Desjani fragend an, doch die schien auch nicht zu wissen, was die Co-Präsidentin damit meinte. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Damit will ich sagen«, erklärte Rione finster, »dass unserer Ansicht nach die Syndik-Schiffe mit einem ferngesteuerten Widerruf ausgestattet sind, die es einem CEO ermöglichen, die Besatzung zu übergehen und gegen deren Willen die Gefechts- und Manöversysteme eines Schiffs zu bedienen.«

»Mir sind Gerüchte in dieser Richtung zu Ohren gekommen«, sagte Desjani, »aber nichts Offizielles.«

Rione nickte ihr zu. »Dann betrachten Sie das hier als offizielle Bestätigung. Wir wissen es nicht mit absoluter Gewissheit, aber es gibt streng vertrauliche Beweise, die diese Vermutung stützen. Es ist eine Art letzte Option für einen Syndik-CEO, die aber nur selten zum Einsatz kommt. Würde davon öfter Gebrauch gemacht, könnten wir das Signal feststellen und analysieren, um dann den gleichen Widerruf zu unserem Vorteil einzusetzen.«

Geary spürte, dass sich bei ihm ein Kopfschmerz regte, aber er versuchte ihn zu verdrängen, indem er die Finger gegen die Stirn drückte. »Unglaublich.« Also gut. Nehmen wir an, das stimmt, und man will diese Besatzungen bewusst opfern, nur um uns in eine Falle zu locken. Und selbst wenn sie etwas dagegen zu unternehmen versuchen, können sie es trotzdem nicht verhindern. Das heißt, sie können es nicht verhindern, wenn ihre Schiffe auf die Trossen des Portals feuern. Aber dieser Widerruf kann nicht flexibel sein, wenn er Schiffen exakt sagt, was sie zu tun haben. »Wenn wir wissen, was die Syndiks wahrscheinlich vorhaben, dann können wir auch vorhersagen, welche Befehle diese Schiffe ausführen werden.«

»Und das heißt, wir werden wissen, wo sie sich befinden«, ergänzte Desjani.

»Richtig.« Geary aktivierte das Waffeneinsatzsystem und gab die verschiedenen Annahmen ein. Wenn die Syndik-Schiffe, die sich im besten technischen Zustand befanden, den Auftrag hatten, die Portaltrossen zu zerstören, und wenn dieser Plan in Aktion treten sollte, sobald sich die Allianz-Flotte so dicht wie möglich am Portal befand, welche Position würden die Syndiks dann zu welchem Zeitpunkt einnehmen müssen? Das System führte die Berechnungen durch und lieferte nach einer Sekunde die wahrscheinlichsten Positionen der feindlichen Schiffe. »Wir können auf sie zielen. Schicken Sie kinetische Salven auf einen Abfangkurs, die schwer genug sind, um die Schilde zu durchdringen und die Schiffe außer Gefecht zu setzen.«

»Ich verstehe nicht«, wunderte sich Rione. »Normalerweise setzen Sie solche Waffen doch nicht gegen andere Schiffe ein.«

»Richtig, und das liegt daran, dass diese Schiffe den Projektilen ausweichen, sobald sie sie entdecken«, erklärte er. »Aber wenn bei den Schiffen hier ein fester Kurs eingegeben wurde, der von den Besatzungen nicht widerrufen werden kann, und wenn dieser Widerrufsmechanismus keine anderen Flugmanöver zulässt, könnten wir in der Lage sein, einige Schiffe unschädlich zu machen.«

»Verstehe«, erwiderte Rione. »Das ist unsere einzige Möglichkeit, sie von einer Zerstörung des Portals abzuhalten, bevor wir es erreicht haben, richtig?«

Geary sah zu Desjani, die ebenfalls nickte. »Ich glaube schon. Es ist zumindest einen Versuch wert. Captain Desjani, lassen Sie meine Berechnungen von Ihren Waffenspezialisten nachprüfen und bereiten Sie alles für ein Gefecht vor. Ich möchte, dass die kinetischen Salven mit einem einminütigen Countdown automatisch am optimalen Punkt abgefeuert werden.«

»Kein Problem, Sir.« Desjani gab dem zuständigen Wachhabenden ein Zeichen, der sich sofort über seine Konsole beugte.

Die Welle der Zerstörung durch die kinetischen Bomben der Allianz erreichte den vierten Planeten, zog über ihn hinweg und traf eine Stunde später auf die dritte Welt in diesem System. Beim Anblick der stark vergrößerten Bilder des Geschehens konnte Geary die Explosionen auf der Planetenoberfläche und in den orbitalen Einrichtungen mitverfolgen. Die noch im Bau befindlichen Kriegsschiffe wurden unter der Wucht der Einschläge in Stücke gerissen. Trümmer wirbelten ins All davon oder wurden vom Schwerkraftfeld der vierten Welt erfasst und von ihr angezogen. Kommando- und Kontrollzentren der Syndiks auf dem Planeten vergingen in intensiven Lichtblitzen, gefolgt von pilzförmigen Rauchwolken, die zum Himmel aufstiegen. Auf der Nachtseite der Welten zuckten die Blitze der Explosionen durch die Finsternis und hätten einen wunderschönen Anblick geboten, wären sie nicht verheerenden Zerstörungen gleichbedeutend gewesen.

Neben den Bildern zeigten die Gefechtssysteme der Dauntless in so rascher Folge aktualisierte Zahlen an, dass man die kaum lesen konnte. Gereizt und unsicher, was die immer zahlreicher werdenden Angaben darstellten, schaltete Geary das Display um, damit es ihm anzeigte, wie viele Ziele noch aktiv waren. Diesmal rasten die Zahlen rückwärts. Kommunikations-Zentren, Raumhäfen, große Lufthäfen, Militärbasen, antiorbitale Verteidigungsanlagen, militärisch ausgelegte Fabriken, Berge von Munition, Ersatzteilen und Ausrüstung, Forschungseinrichtungen. Im Orbit wurden Satelliten und Stationen getroffen und veränderten sich von kleinen, kompakten Punkten zu ausgedehnten Trümmerfeldern hoch über der Atmosphäre. Unter den Überresten hinterließ der Regen aus metallenen Projektilen ein Meer aus Ruinen und Kratern.

Die angezeigten Zahlen näherten sich rapide der Null. »Das ist fast so wie auf einem Schießstand«, meinte Geary.

»Eigentlich schon mehr so, als würde man den Schießstand bombardieren«, hielt Desjani dagegen, die so gut gelaunt wie stets war, wenn sie zusehen konnte, wie Syndik-Ziele dem Erdboden gleichgemacht wurden.

»Die Syndiks hatten Zeit genug, alle diese Ziele zu evakuieren«, warf Rione ein. »Wissen wir, ob sie das auch getan haben?«

Desjani zuckte mit den Schultern. »Madam Co-Präsidentin, nicht einmal die Dauntless kann so viele menschliche Ziele verfolgen, die sich unter einer Atmosphäre oder hinter einem Planeten bewegen. Wir konnten Hinweise auf Evakuierungsmaßnahmen ausmachen, aber wenn Sie wissen wollen, ob Syndiks bei dem Bombardement ums Leben gekommen sind, dann kann ich Ihnen das nicht beantworten.«

»Sie haben einige Rohstoffvorräte unversehrt gelassen«, stellte Rione fest.

»Richtig«, bestätigte Geary. »Und auch einige Orbitaleinrichtungen. Wir mussten den Syndiks etwas lassen, das sie uns geben können. Oder besser gesagt: das wir uns nehmen können. Da Verhandlungen mit ihnen bislang nicht gut gelaufen sind, werde ich Streitkräfte losschicken, damit sie das holen, was wir gebrauchen können.«

Rione betrachtete Geary einen Moment lang, dann entgegnete sie: »Das dürfte ein kluger Zug sein.«

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Worte falsch ausgelegt werden konnten. »Ich gebe Ihnen nicht die Schuld dafür, dass die Syndiks sich nicht an die Vereinbarungen gehalten haben. Meine Entscheidung basiert ausschließlich auf der Erkenntnis, dass man den Syndiks offenbar nicht über den Weg trauen kann.«

Rione nickte. »Danke, aber so wie Sie fühle ich mich auch für die Dinge verantwortlich, die sich eigentlich meiner Kontrolle entziehen.«

Diese Aussage klang fast nach einem Kompliment. Er fragte sich, wieso Rione plötzlich etwas zu ihm sagte, das sich zumindest freundlich anhörte.

»Auf jeden Fall«, fuhr sie fort, »danke ich Ihnen, dass Sie zivile Ziele verschont haben, Captain Geary.«

»Gern geschehen.«

»Captain Geary«, meldete sich ein Wachhabender zu Wort. »Die Syndik-Streitmacht Alpha steht kurz davor, den berechneten Kurs der Eingreiftruppe Furious zu kreuzen.«

Was eigentlich bedeutete, dass sich dieses Ereignis bereits vor Stunden abgespielt hatte, was auch für das Bombardement der Welten galt, das sie soeben beobachten konnten. Geary veränderte die Darstellung auf seinem Display und sah die ausholende Kurve, auf der die Eingreiftruppe Furious zur vierten Welt flog. Und dort war die etwas flachere Flugbahn der Syndik-Flotte, die fast eine Lichtminute voraus den Weg der Allianz-Schiffe gekreuzt hatte. »Die werden doch da keine Minen ausgesetzt haben, oder?«

Desjani reagierte mit einem weiteren Schulterzucken. »Sie könnten es versucht haben, aber Commander Cresida wird darauf vorbereitet gewesen sein.«

Das traf offenbar zu, denn noch bevor die Syndiks tatsächlich die berechnete Flugbahn kreuzten, änderte die Allianz-Formation den Kurs und flog einen weiteren Bogen. »Wohin zum Teufel will sie denn jetzt schon wieder?«, wunderte sich Geary laut.

»Captain Geary«, gab Desjani amüsiert zurück. »Wenn Sie jemandem wie Commander Cresida freie Wahl lassen, welche Ziele sie anfliegen will, dann müssen Sie sich auch auf so manche überraschende Entscheidung gefasst machen.«

Unwillkürlich begann er zu lachen. »Ich schätze, wenn ich schon keine Ahnung habe, was sie als Nächstes tun wird, dann sind die Syndiks chancenlos, Cresidas Absichten vorauszuahnen.«

Ihre Geschwindigkeit und ihr Schwung trugen die Eingreiftruppe noch ein ganzes Stück weit in die gleiche Richtung, doch der Kurs wich immer stärker von der berechneten Flugbahn ab. Als die Region erreicht war, in der die Syndiks den ursprünglich erwarteten Kurs gekreuzt hatten, waren die Allianz-Schiffe schon etliche Lichtsekunden entfernt. »Falls die Syndiks Minen abgesetzt haben, war das reine Vergeudung«, stellte Desjani fest. »Um ein paar Treffer zu erzielen, hätten sie ein viel größeres Gebiet abdecken müssen.«

Die Eingreiftruppe flog weiter ihre Wende und tauchte nun unter die Systemebene, sodass eine Spirale entstand, als sie die Kehre vollendete. Der Kurs führte dann wieder nach oben und auf das Schlachtschiff und den Schlachtkreuzer zu, die die Syndiks vor dem orbitalen Bombardement in Sicherheit gebracht hatten. In weiter Ferne jagte die Syndik-Streitmacht Alpha weiter quer durch das Sancere-System und vergrößerte so ganz erheblich den Abstand zur Eingreiftruppe.

Eine halbe Stunde später sah Geary mit an, wie die Eingreiftruppe an den ohnehin schwer in Mitleidenschaft gezogenen Werften vorbeiflog und zuvor verfehlte Ziele mit präzisem Beschuss durch Höllenspeere ausradierte. Zehn Minuten später, als die Syndik-Schlepper längst die Verbindung zu ihrer Schlepplast gekappt hatten und sich in Sicherheit zu bringen versuchten, zerstörte die Eingreiftruppe das Schlachtschiff und den Schlachtkreuzer, während die leichtesten Einheiten sich von der Truppe lösten und den Schleppern folgten, um sie so mühelos zu vernichten, als würden sie mit einer Klatsche nach einer lästigen Fliege schlagen.

Geary wandte seine Aufmerksamkeit von Cresidas Eingreiftruppe ab, da er wusste, dass nichts von dem, was ihre Schiffe noch bewirken konnten, einen Einfluss auf die entscheidende Schlacht um das Sancere-System haben würde. Diese Schlacht fand dort statt, wo sich die Syndik-Streitmacht Bravo noch immer aufhielt: nahe dem Hypernet-Portal.

Noch eineinhalb Stunden bis zum Kontakt, sofern die Syndiks nicht doch noch zum Angriff übergingen und die Zeitspanne verkürzten.

Und weniger als zwei Stunden bis zu dem fast sicheren Moment, an dem jeder im Sancere-System erfahren würde, was geschah, wenn ein Hypernet-Portal zerstört wurde.

»Captain Desjani«, fragte Geary. »Wieso hat eigentlich bislang noch niemand versucht, ein Portal zu zerstören? Ich weiß aus den Aufzeichnungen über den Krieg, dass Systeme nahe dem Feindgebiet angegriffen und eingenommen wurden, die über Portale verfügten. Warum wurden die Portale in diesen Systemen nicht zerstört?«

Die Frage schien Desjani zu überraschen. »Der Feind konnte bislang ein Portal der anderen Seite nicht benutzen. Das hier ist das erste Mal, dass eine Seite den Schlüssel zum Hypernet des Gegners besitzt.«

»Ja, aber der Feind kann doch das Portal weiterhin nutzen, um Verstärkung zu schicken oder um einen Gegenangriff zu starten, weil er das System zurückerobern will.«

»Ja, Sir.« Desjani schien zu glauben, dass eine Erklärung nicht erforderlich war.

Dann begann Geary der Grund zu dämmern. Er hatte nicht wie diese modernen Kämpfer gedacht. »Sie wollen, dass der Feind sich zeigt, richtig?«

»Natürlich, Captain Geary. Der Zweck einer offensiven Aktion ist der, dem Feind zu begegnen und ihn zu vernichten«, antwortete sie, als rede sie über etwas, das jeder wusste. »Alles, was den gegnerischen Streitkräften den Weg zu uns erleichtert, dient dem Zweck, den Gegner in Gefechte zu locken. Ein funktionierendes feindliches Portal ist ein Garant für eine Schlacht.«

»Ja, richtig.« Wenn man den Krieg auf sein grundlegendstes Element reduzierte, dann war es das: Töte den Feind. Angesichts dieser Denkweise war es nur logisch, ein feindliches Hypernet-Portal unangetastet zu lassen. Schließlich würden weitere Gegner über diesen Weg ins System kommen, die man alle zu töten versuchen konnte. Der Feind konnte zwar durch das Portal schneller Verstärkung schicken, als man sie selbst herbeiholen konnte, aber mehr Gegner bedeuteten ja auch mehr Ziele, auf die man schießen konnte. Kein Wunder, dass sie solche Verluste erlitten haben. Ihnen ist nicht nur die Expertise auf dem Schlachtfeld abhandengekommen, es liegt auch an dieser Einstellung, die das Töten über das Siegen stellt. Sie haben vergessen, dass ein klug errungener Sieg mehr Feinden das Leben kosten kann, als wenn man versucht, sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen.

Zum sicherlich hundertsten Mal betrachtete Geary auf dem Display die Formation seiner Flotte, und wieder fragte er sich, wie er mit einem zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Gegner umgehen sollte, der die Flotte in seine Nähe zu locken versuchte. Auch jetzt kam er nur auf eine Lösung, die allerdings nicht narrensicher war. »Wir werden die Flotte aufteilen müssen.«

Desjani nickte und ließ keine Besorgnis erkennen.

Er fällte eine Entscheidung, da er wusste, dass er ansonsten noch bis in alle Ewigkeit grübeln würde, weil es nicht den einen, eindeutig richtigen Weg gab, um diese Situation anzugehen. An seinem Display arbeitete er daran, die Flotte in sechs Sektionen zu zerlegen, die jeweils eine Mischung aus großen Schiffen und Eskorten enthielten.

»Sechs Sektionen?«, fragte Desjani sichtlich erstaunt.

»Ja, ich möchte vermeiden, dass wir das kompakte Ziel abgeben, auf das die Syndiks hoffen. Und ich will in der Lage sein, unsere gesamte Feuerkraft gegen sie zum Einsatz zu bringen, was ich nicht machen kann, wenn wir in einem großen Pulk fliegen, bei dem die hinteren Schiffe keinen Kontakt zum Feind haben.« Geary zögerte kurz, bediente dann aber die Kontrolle, mit der seine Befehle an die Flotte gesendet wurden. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte, hier spricht Captain Geary. Befehle für eine neue Formation gehen soeben an Ihre Einheiten raus. Ausgeführt wird die Formation bei Zeit zwei null. Ich beabsichtige, dass jede Formation Angriffe auf die Syndik-Streitmacht Bravo ausführt, bis die entweder die Flucht ergreift oder komplett aufgerieben ist.«

Desjani sah sich die Befehle auf ihrem eigenen Display an und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Sechs Formationen. Jede fliegt einen Angriff auf die Syndiks, beschreibt dann einen Kreis und kehrt zu den anderen zurück, während die nächste Formation bereits auf dem Weg ist. Wie ein großes Rad. Und wenn die sich nicht von der Stelle rühren, werden sie von uns einfach in Stücke geschossen.«

»So ist es gedacht«, bestätigte er.

»Sie haben die Dauntless der Formation Delta zugeteilt«, fiel ihr auf.

»Richtig.« Er merkte Desjani an, dass sie ein wenig gekränkt war, drei anderen Formationen den Vortritt lassen zu müssen. »Ich glaube, während der ersten drei Wellen werden die Syndiks weiter abwarten. Wenn sich die vierte Formation nähert, werden sie vermutlich irgendeine Reaktion zeigen, und wenn das passiert, möchte ich mit der Dauntless dabei sein.« Bei diesen Worten begann Desjani zufrieden zu lächeln, und die gleiche Reaktion zeigten die Wachhabenden auf der Brücke. Geary verspürte daraufhin leichte Schuldgefühle, da er in Wahrheit ganz andere Motive für sein Handeln hatte. Seiner Ansicht nach sprach vieles dafür, dass die Syndiks die ersten drei Wellen nicht überleben würden, und das war ganz nach seinem Sinn, da er die Verpflichtung hatte, vor allem die Dauntless und mit ihr den Hypernet-Schlüssel der Syndiks sicher ins Allianz-Gebiet zu bringen. Die Chancen standen gut, dass die Dauntless bei der vierten Angriffswelle nur noch durch die Überreste der Syndik-Flotte fliegen würde.

Es sei denn, die Dinge nahmen eine Wendung zum Schlechten, und die Syndiks eröffneten das Feuer auf das Hypernet-Portal. Wenn das der Fall war, wusste Geary, dass er an vorderster Front sein musste.

»Kinetische Salven nähern sich«, meldete der Waffen-Wachhabende fast schon gelangweilt. Sie waren mittlerweile einem halben Dutzend Versuchen der Syndiks ausgewichen, sie zu beschießen. Die Geschosse waren so lange im Voraus zu sehen, dass minimale Kurskorrekturen genügten, um ihnen auszuweichen. »Abgefeuert von den Verteidigungsanlagen des Portals.«

»Denen werden wir noch früh genug Kopfzerbrechen bereiten«, freute sich Desjani.

Einen Moment lang fragte Geary sich, woran sie Spaß finden würde, wenn der Krieg plötzlich endete und das Töten von Syndiks nicht länger einen akzeptierten Zeitvertreib darstellte.

Bei Zeit zwei null schalteten sich die Steuersysteme der Dauntless ein und bewegten das Schiff an jene Position, an der sich der Rest der Formation Delta um sie scharen würde. Auch ringsum setzten sich die Schiffe in Bewegung und nahmen ihre zugewiesenen Positionen ein, was so wirkte, als hätte sich eine gigantische Maschine soeben selbst in ihre Einzelteile zerlegt. Die Teile trieben durchs All, bildeten komplexe Muster, und dann fügte sich die Maschine zu sechs kleineren Maschinen zusammen, die alle wie Miniaturausgaben des großen Originals aussahen.

Es dauerte eine Weile, bis alle Schiffe der Flotte ihre neue Position eingenommen hatten, und so hinkte die letzte Formation der ersten um mehrere Lichtminuten hinterher. Die Neuordnung war noch nicht ganz abgeschlossen, da meldete sich der Waffen-Wachhabende erneut. »Die Waffensysteme empfehlen, in einer Minute kinetische Salven auf die Syndik-Streitmacht Bravo abzufeuern.«

Geary nickte. »Tun Sie das.«

Die Umstellung der Flotte hatte von den Waffensystemen eine Neuberechnung dahingehend erfordert, welche Schiffe nun welchen Gegner unter Beschuss nehmen sollten; doch das war in weniger als einer Sekunde geschehen. Zum optimalen Zeitpunkt setzte das Sperrfeuer auf die Verteidiger des Hypernet-Portals ein.

Nur noch drei Lichtminuten trennten die führenden Allianz-Schiffe vom Feind. Bei einer Geschwindigkeit von 0,1 Licht bedeutete das eine halbe Stunde, vielleicht die längste halbe Stunde, die Geary je erleben würde. Das nenne ich eine relativistische Störung. Die Zeit schien nur noch im Schneckentempo zu vergehen.

»Die Syndik-Schiffe starten Ausweichmanöver, um den kinetischen Salven aus dem Weg zu gehen«, meldete der Waffen-Wachhabende. »Die Systeme zeigen an, dass vier Syndik-Schlachtschiffe den vorausgesagten Kurs einschlagen.«

»Sie machen es«, murmelte Desjani. »Ganz so, wie Sie es vermutet haben, Captain Geary.«

»Wir wollen erst mal sehen, ob sie nicht doch eigenständig genug manövrieren können, um auszuweichen«, dämpfte er ihre Freude.

»Formation Alpha beginnt Attacke auf Syndik-Verteidiger. Syndik-Streitmacht eröffnet das Feuer.«

Geary richtete sein Display auf das Geschehen aus. Zerstörer und Leichte Kreuzer der Allianz schossen auf die Syndiks zu, die dank leistungsfähiger Schilde diesen Beschuss ablenken konnten, doch dann folgten Schwere Kreuzer und feuerten in einem engen Gitter Kartätschen ab und legten ein Sperrfeuer aus Höllenspeeren nach. Die Metallkugeln der Kartätschen trafen auf die geschwächten Schilde, die sich beim Aufprall in nichts auflösten. Und dann folgten die geladenen Partikelspeere, die sich in die gegnerischen Schiffe bohrten. Eine Einheit nach der anderen wurde von ihrer Position gefegt, wirbelte umher und verlor durch die Treffer jegliche Kampffähigkeit.

Unterdessen flogen die großen Kriegsschiffe in der Mitte der Allianz-Formation Alpha am Zentrum der Syndik-Streitmacht Bravo vorbei, deren schwer beschädigte Schiffe und Kreuzer noch immer ihre Position gegenüber dem Mittelpunkt des Portals hielten. Die Allianz-Schlachtschiffe Fearless, Resolution, Redoubtable und Warspite nahmen die glücklosen Syndiks unter massiven Beschuss, sobald sie sich in unmittelbarer Nähe des Feindes befanden. Die Kriegsschiffe hatten beschlossen, auf einen Angriff mit Kartätschen oder Geistern zu verzichten, stattdessen verließen sie sich auf ihre Höllenspeer-Batterien. Schwaches Abwehrfeuer der Syndiks prallte wirkungslos von den leistungsfähigen Schilden der Allianz-Schiffe ab, während deren Salven sich in die ohnehin beschädigten gegnerischen Schiffe bohrten. Ein Schlachtschiff explodierte, dann ein weiteres, gefolgt von zwei Schlachtkreuzern, bis nur noch ein einzelner lädierter Schlachtkreuzer sich in der Mitte der feindlichen Formation befand.

Geary beobachtete den Verlauf des Angriffs, rieb sich das Kinn und wartete auf das, was er als die unvermeidliche Reaktion der Syndiks ansah.

Erneuter Jubel riss ihn aus seiner Konzentration auf das Geschehen im Zentrum der Syndik-Formation, und als er zur Seite sah, bemerkte er, dass eines der noch nicht völlig zerstörten Kriegsschiffe mittschiffs von einer kinetischen Salve getroffen worden war und zur Seite geschleudert wurde. Die automatischen Kontrollsysteme der Syndiks hatten den Besatzungen tatsächlich keine Möglichkeit gegeben, aus eigener Kraft dem Beschuss auszuweichen.

Zu Gearys Erstaunen brach Desjani nicht in Jubel aus. Stattdessen war sie wütend, und ihre Wangen liefen rot an. »Es sollte ihnen erlaubt sein, sich zur Wehr zu setzen«, flüsterte sie. Als sie Gearys Blick bemerkte, zuckte sie ein wenig verlegen. »Wie Sie schon sagten, Sir, es ist nicht richtig, wenn es glatter Mord ist. Auch wenn es sich um Syndiks handelt.«

Er nickte. »Wir haben noch drei weitere Schlachtschiffe und zwei Schlachtkreuzer vor uns, die nach wie vor kampfbereit sind.«

Als die Allianz-Formation Beta vorrückte, machten die Eskortschiffe der Syndik-Flotte einen Satz nach vorn, um ihnen entgegenzukommen. Geary hielt gebannt den Atem an, während er zusah, wie fünf Schwere Kreuzer, ein Leichter Kreuzer und neun Jäger auf eine Allianz-Formation aus vier Schlachtkreuzern unter dem Kommando von Captain Duellos an Bord der Courageous zuhielten. Begleitet wurde er von der Formidable, der Intrepid und der Renown, außerdem von zehn Schweren Kreuzern, sechs Leichten Kreuzern und einem Dutzend Zerstörern. Trotz dieser Überlegenheit war Geary besorgt, da er wusste, dass die Syndiks über genug Feuerkraft verfügten, ihn den Angriff einige Schiffe kosten zu lassen, falls Duellos das verbockte. Geary verspürte ein unbändiges Verlangen, seine Komm-Kontrolle zu bedienen und Duellos Anweisungen zu geben, was der tun sollte. Aber er war bereits ein paar Lichtminuten von dem sich anbahnenden Gefecht entfernt, und zwei Minuten Verzögerung bei den Bildern, die er zu sehen bekam, konnten bereits ein entscheidender Zeitraum sein. Hinzu kam, dass er von all seinen Untergebenen in Duellos, Desjani und Cresida das größte Vertrauen hatte. Ich muss die Finger von der Komm-Kontrolle lassen. Die Leute müssen ihren Job erledigen können, ohne dass ich ihnen reinrede.

Duellos enttäuschte dieses Vertrauen nicht. Als die Syndiks Kurs auf seine Formation nahmen, ließ er sie nach oben rotieren, sodass die Feuerkraft all seiner Schiffe auf das Gebiet ausgerichtet war, in das die Syndiks hineinfliegen würden. Wenige Minuten vor dem Kontakt beschleunigten auch die Zerstörer und die Leichten Kreuzer und flogen nach oben und innen, um die Flanken der Syndik-Angreifer unter Beschuss zu nehmen. Jäger flammten unter konzentriertem Feuer auf und brachen auseinander, dann bewegten sich die Schweren Kreuzer zielstrebig in ein sorgfältig abgestimmtes Sperrfeuer aus Geistern, gefolgt von Kartätschen und Höllenspeeren. Die vordersten drei Kreuzer hatten keine Chance, ein vierter verlangsamte und rollte zur Seite weg, während sich sofort mehrere Allianz-Kreuzer an seine Fersen hefteten. Ein fünfter versuchte, sich in die entgegengesetzte Richtung zu retten, steuerte aber geradewegs auf vier Allianz-Kreuzer zu, die seine Schilde auf drei Seiten gleichzeitig ausfallen ließen. Das Wrack des fünften Schweren Kreuzers der Syndiks taumelte noch durchs All, da versuchte der überlebende Leichte Kreuzer, die Courageous zu rammen. Unter dem geballten Beschuss aller vier Schlachtkreuzer wurde er jedoch binnen weniger Augenblicke restlos ausgelöscht.

»Sehr tapfer«, murmelte Desjani, die den zum Untergang bestimmten Angriffsversuch des Leichten Kreuzers anerkannte.

Die Allianz-Formation Beta flog nach oben und außen weiter. Geary bewunderte, wie gut Duellos den Angriff beantwortet hatte, sah dann aber, dass die überlebenden großen Syndik-Schiffe im Begriff waren, ihre Positionen rings um das Hypernet-Portal einzunehmen. Die selbstmörderische Attacke hatte genau den gewünschten Effekt nach sich gezogen: Sie hatte den anderen Kriegsschiffen eine Verschnaufpause verschafft, die die brauchten, um die Zerstörung des Portals vorzubereiten.

»Formation Gamma, Captain Tulev. Ignorieren Sie die Schiffe in der Mitte des Portals. Feuern Sie stattdessen auf die Schiffe, die am Rand in Position gehen.«

»Tulev verstanden.« Er klang nicht nervös, aber das war bei Tulev nie der Fall. Geary sah mit an, wie der Mann den Kurs seiner Formation Gamma änderte und seine Schlachtkreuzer in den Bereich fliegen ließ, wo zwei der überlebenden Schlachtschiffe ein Bremsmanöver einleiteten, um langsam an einigen der nach Hunderten zählenden Trossen vorbeizugleiten, die die Partikelmatrix des Portals aufrechterhielten. Die Schweren Kreuzer der Formation Gamma schossen davon und steuerten auf den beschädigten Syndik-Schlachtkreuzer auf der anderen Seite des Portals zu. Unterdessen nahmen Tulevs Leviathan sowie die Schwesterschiffe Dragon, Steadfast und Valiant Kurs nach oben auf die beiden Schlachtschiffe.

Mit finsterem Blick musterte Geary die beiden einzigen großen Syndik-Schiffe, denen kein Schiff der Allianz-Formation gegenüberstand. An Tulevs Entscheidung gab es nichts auszusetzen. Hätte er die Schlachtkreuzer anders aufgeteilt, dann wären gleichstarke Schiffe aufeinandergetroffen, und das wäre wahrscheinlich nicht genug gewesen, um den Feind aufzuhalten. »Formation Delta: Die Dauntless und die Daring werden sich das Schlachtschiff bei zehn Grad backbord und sechs sieben Grad oberhalb der Dauntless vornehmen. Die Terrible und die Victorious kümmern sich um den Schlachtkreuzer bei eins fünf Grad backbord und vier eins Grad oberhalb der Dauntless. Schwere Kreuzer begleiten die Dauntless und die Daring, Leichte Kreuzer und Zerstörer begleiten die Terrible und die Victorious. Alle Einheiten: Gehen Sie auf neuen Kurs fünf null Grad nach oben bei Zeit null null.«

Geary beugte sich zu Captain Desjani vor. »Wir müssen sie schnell erledigen.«

Sie nickte. »Das werden wir machen, Sir.«

Tulevs Schiffe waren noch nicht in Feuerreichweite, als der Waffen-Wachhabende das rief, was Geary die ganze Zeit über befürchtet hatte: »Die überlebenden Syndik-Schiffe haben das Feuer auf die Trossen des Hypernet-Portals eröffnet.«

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