Vier

Noch sieben Stunden bis zum Sprung nach Strabo. Geary ordnete die Formation, um sie auf den Sprung vorzubereiten. Wenn sie Strabo erreichten, würden die Schiffe genauso angeordnet sein wie zu Beginn des Sprungs, und er wollte versuchen, alles so zu arrangieren, dass nicht wieder jemand eigenmächtig zu einer wilden Verfolgungsjagd ansetzen konnte. Bei der großen Zahl von Schiffskommandanten konnte Geary nicht wissen, wie jeder einzelne von ihnen in einer bestimmten Situation reagieren würde, also holte er diejenigen Schiffe in die vorderste Reihe, von deren Befehlshabern er glaubte, ihnen vertrauen zu können. Bedauerlicherweise gab es von der Sorte Commander nicht so viele, wie ihm lieb gewesen wäre. Er betrachtete die aktuelle Formation und wunderte sich, warum so viele Shuttles unterwegs waren.

Er sah in dem Moment auf, als die Türglocke zu seiner Kabine ertönte. Einen Augenblick später ging die Luke auf und Captain Desjani trat ein. Geary grüßte sie mit einem Lächeln. »Gutes Timing. Ich wollte eben bei Ihnen anfragen, was all diese Shuttles da machen.«

»Da findet ein Austausch statt«, erklärte sie. »Personal. Die befreiten Gefangenen haben alle Untersuchungen und Besprechungen hinter sich. Ihre Kenntnisse und Erfahrungen wurden in die Datenbank eingegeben. Momentan wird ausgetauscht, weil das eine Schiff den einen Spezialisten gebrauchen kann, während ein anderes Schiff einen anderen Experten benötigt. Die Datenbank der Flotte koordiniert automatisch den gesamten Ablauf.«

Verärgerung regte sich bei Geary. Warum hatte ihn niemand davon in Kenntnis gesetzt? Wieso holte niemand seine Erlaubnis ein? Aber dann wurde ihm klar, dass nichts von beidem erforderlich gewesen war. Er musste keine normalen Versetzungen zwischen den Schiffen genehmigen, und er hatte auch gar keine Zeit, um sich um solche Dinge zu kümmern. Die Schiffe konnten das mithilfe der Datenbank problemlos unter sich regeln, ohne dass Geary sich einmischen musste. »Ich nehme an, wenn es ein Problem gegeben hätte, wäre ich wohl informiert worden.«

»Natürlich, Sir.« Desjani hielt inne und machte einen ungewöhnlich verlegenen Eindruck. »Darf ich Sie um einen persönlichen Rat bitten?«

»Einen persönlichen Rat?« Eine private Angelegenheit, zu der sie seine Meinung hören wollte? »Selbstverständlich. Nehmen Sie Platz.«

Wie zuvor setzte Desjani sich auch jetzt stocksteif hin, einen Moment lang kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Sir, Sie haben doch Lieutenant Riva kennengelernt, als er an Bord kam.«

Geary erinnerte sich an den befreiten Gefangenen auf dem Hangardeck. »Ja, Ihr alter Bekannter.«

»Lieutenant Riva war … mehr als nur ein Bekannter, Sir.«

»Oh.« Dann fiel ihm etwas an ihrer Wortwahl auf. »War?«

Desjani atmete tief durch. »Wir waren mal zusammen, mal nicht, Sir. Aber wir haben uns nie richtig getrennt. Und jetzt … nun, jetzt ist er hier, aber er hat einen deutlich niedrigeren Dienstgrad als ich.«

»Das kann problematisch werden«, stimmte Geary ihr zu und dachte an die Flottenvorschriften und an den Eindruck insgesamt, den ein solches Verhältnis hervorrufen konnte. »Aber wenn er Ihr Ex-Freund ist, dann werden Sie beide damit doch professionell umgehen können.«

»Er ist nicht …« Desjani errötete ein wenig. »Als ich Lieutenant Riva wiedersah, war das eine sehr emotionale Erfahrung. Wie emotional, ist mir erst jetzt bewusst geworden.«

»Oh.« Fällt dir eigentlich nichts Besseres als ›Oh‹ ein? »Er könnte also wieder Ihr Freund sein?«

»Ja, Sir. Die Gefühle sind auf jeden Fall da. Zumindest von meiner Seite. Nach unseren kurzen Unterhaltungen zu urteilen, scheint Cas…, Lieutenant Riva genauso zu empfinden.« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Aber solange er auf meinem Schiff ist, darf da nichts passieren. Es wird schon wegen des Dienstgrads schwierig werden, doch wenn er meinem Kommando unterstellt wird, dann ist das ganz und gar unmöglich.«

Endlich wurde ihm das ganze Ausmaß ihrer Misere klar. »Aber nachdem er lebend aufgefunden wurde, möchten Sie eigentlich auch nicht, dass er auf ein anderes Schiff versetzt wird.«

»Richtig, Sir.«

Das war tatsächlich eine Zwickmühle, die Art von Dilemma, bei dem sich jeder vorgesetzte Offizier wünschte, er könnte die Angelegenheit auf einen anderen abwälzen. Aber die Regelung solcher Dinge — oder zumindest der Versuch einer Regelung — fiel in seine Zuständigkeit, und zu allem Überfluss hatte er auf diesem Gebiet selbst Erfahrungen gemacht. »Okay, wenn Sie meinen Rat hören wollen, dann sage ich dazu Folgendes: Wenn Lieutenant Riva auf diesem Schiff bleibt, dann dürfen Sie keine private Beziehung zu ihm unterhalten. Das gilt auch für den Fall, dass wir einen Job für ihn finden, bei dem er mir unterstellt ist. Ihm würde das so wenig behagen wie Ihnen. Und wenn ich Sie richtig einschätze, Tanya, dann ist alles, was dienstlich unangemessen ist, für Sie ohnehin undenkbar.«

Sie nickte stumm.

»Ich finde, er sollte auf ein anderes Schiff wechseln«, riet Geary ihr. »Suchen Sie ihm einen Commander, von dem Sie eine gute Meinung haben. Während wir im Normalraum unterwegs sind, haben Sie genug Gelegenheit, ungestört mit ihm Verbindung aufzunehmen, und gleichzeitig bleiben Sie auf Distanz zu ihm, sodass nichts passieren kann. Außerdem können Sie beide in Ruhe die Veränderungen verarbeiten, die seit Ihrer letzten Begegnung eingetreten sind.«

Desjani sah ihn entgeistert an. »Und wenn das andere Schiff im Gefecht zerstört wird? Das Schiff, auf das ich ihn geschickt habe?«

Er fragte sich, ob es wohl irgendein Argument gab, das er noch nicht gehört hatte. »Warum waren Sie und Riva bei Quintarra nicht auf dem gleichen Schiff?«

»Wir … wir brauchten eine Auszeit.« Sie schob den Unterkiefer vor. »Ich brauchte eine Auszeit. Und dann galt Rivas Schiff auf einmal als zerstört.«

Geary seufzte und stellte sich vor, welche Schuldgefühle Tanya Desjani seit der Schlacht von Quintarra mit sich herumtrug. »Es will natürlich niemand, dass sich so etwas wiederholt. Hören Sie, Tanya, ich kann nur sagen, ich versuche mein Bestes, keine weiteren Schiffe zu verlieren. Entscheiden Sie sich für einen guten Captain, jemanden wie Duellos, Tulev oder Cresida. Jemanden, von dem Sie wissen, dass er besonnen kämpft. Bitten Sie ihn darum, Riva als persönlichen Gefallen zu übernehmen. Wenn Ihnen das unangenehm ist, dann werde ich das für Sie übernehmen.«

»Danke, Sir.«

»Und ich möchte, dass Sie Lieutenant Riva reinen Wein einschenken, warum er dieses Schiff verlässt«, ordnete Geary an. »Nicht, weil Sie mehr Zeit zum Nachdenken brauchen oder weil Sie ihn loswerden wollen. Lassen Sie Riva nicht im Unklaren, denn wenn einem von Ihnen etwas zustößt, dann wird er niemals erfahren, was Sie wirklich für ihn empfinden.«

»Ja, Sir.« Sie sah ihn eindringlich an, bis sich Geary zu fragen begann, wie viel er von seiner eigenen Vergangenheit preisgegeben hatte. »Es tut mir leid, Sir.«

»Das ist schon lange her«, erwiderte er und wich ihrem Blick aus. Die meisten Dinge in seinem Leben waren schon lange her. »Ich hoffe, Sie und Lieutenant Riva bekommen das zum Guten gelöst.«

Nachdem Desjani gegangen war, saß er eine Weile da und wurde von den Erinnerungen an eine Frau verfolgt, die seit langer Zeit tot war. Er fragte sich, warum er sich wünschte, Victoria Rione könnte jetzt hier sein, damit er mit ihr darüber reden konnte. Aber Victoria Rione war der Überzeugung, dass Geary der schlimmsten Versuchung erlegen war, und redete nicht mehr mit ihm. Nachdem sie damit ausfiel, musste Geary einmal mehr einsehen, dass seine letzten Freunde schon vor vielen, vielen Jahren gestorben waren.

Geary betrat die Brücke der Dauntless und wunderte sich über Desjanis wütende Miene, die aber offenbar nicht ihm galt. Ihre Wachhabenden schauten drein, als hätten sie alle mit der mündlichen Version der neunschwänzigen Katze Bekanntschaft gemacht. »Was ist los?«

»Captain Falco ist nicht mehr an Bord«, berichtete sie. »Er hat ohne mein Wissen das Schiff mit einem der Shuttles verlassen.«

Er sah zu den Wachhabenden. »Wir nahmen an, Captain Falco sei dazu autorisiert«, erklärte einer von ihnen und sah nervös zwischen Geary und Desjani hin und her.

Kopfschüttelnd setzte Geary sich hin. Er hätte wissen müssen, dass Falco in der Lage war, Junioroffiziere zu allem zu überreden, was er wollte. »Wo ist er hin?«

»Auf die Warrior, Sir.«

»Die Warrior?« Er hätte auf Numos’ Schiff Orion oder auf Faresas Majestic getippt. »Wer befehligt die Warrior?«, murmelte er vor sich hin, während er die Tasten seines Displays bediente.

Captain Kerestes. Die Dienstakte stand auf Tastendruck zur Verfügung, Geary überflog sie. Ja, natürlich. Kerestes hatte den Krieg viel länger überlebt als die meisten anderen Offiziere, sogar so lange, dass er tatsächlich unter Falco gedient hatte, und zwar bei der von Duellos erwähnten Schlacht. Auch noch auf dem gleichen Schiff! Die aufgeblasenen Berichte über Kerestes’ Verhalten im Gefecht sagten wenig über den Mann aus, doch die Tatsache, dass Geary bislang weder Kerestes noch dessen Schiff Warrior ein Begriff waren, konnte fast nur eines bedeuten: Kerestes war alles andere als ein dynamischer, energischer Befehlshaber.

Geary öffnete einen privaten Kanal und rief Duellos auf der Courageous: »Was können Sie mir über Captain Kerestes erzählen? Sie und er waren bei Batana auf demselben Schiff.«

Die Anfrage schien Duellos zu überraschen. »Sagen Sie nicht, dass er tatsächlich irgendetwas Erwähnenswertes getan hat.«

»Captain Falco hat es geschafft, auf die Warrior zu kommen. Ich frage mich, warum er ausgerechnet dieses Schiff ausgewählt hat.«

»Weil Captain Kerestes weder Initiative noch Intellekt besitzt, dafür aber gehorsam bis zum Äußersten ist. Er wird alles tun, was Falco ihm sagt.«

Geary nickte und verkniff sich ein Lächeln. Nur zu, Captain Duellos. Erzählen Sie mir, was Sie wirklich von dem Mann halten. »Dann stellt Kerestes kein Problem dar?«

»Machen Sie sich seinetwegen keine Gedanken«, riet Duellos ihm. »Inzwischen ist Captain Falco in jeder Hinsicht der Kommandant der Warrior

»Danke.« Gleich nach dem Gespräch mit Duellos überprüfte Geary die vorgesehene Flugformation für den Sprung und stellte fest, dass die Warrior sich an einer Flanke befand, um dort leichtere Einheiten zu unterstützen. Jetzt war es zu spät, um das Schiff noch umzudirigieren, damit Falco weniger Spielraum für irgendwelche Spielchen hatte. Ich werde damit leben müssen und darauf hoffen, dass Falco kompromissbereiter ist, als ich es vermute.

Er versuchte sich zu erinnern, was er noch hatte fragen wollen, bevor die Nachricht von Falcos Wechsel ihn überrumpelte. »Captain Desjani, was diesen Offizier angeht, über den wir gesprochen haben — hat sich da eine zufriedenstellende Lösung ergeben?« Wenn man lange genug in der Flotte diente, dann konnte man jedes Gesprächsthema so verpacken, dass es einen offiziellen Anstrich bekam.

»Er wurde auf die Furious versetzt, Sir«, erwiderte Desjani im gleichen sachlichen Tonfall. »Wie vorgeschlagen, habe ich ihm die Situation geschildert und ihm die Gründe für seine Versetzung erläutert.«

»Wie hat er das aufgenommen?«

»Ihm schien die Gelegenheit zu gefallen, die sich ihm dadurch bietet, Sir.«

»Gut.« Es klang alles so offiziell, dass Geary Schwierigkeiten hatte, sich vor Augen zu halten, dass es hier um eine rein private Angelegenheit ging. Er hoffte, sein Ratschlag würde für Desjani und Riva zu einem besseren Ende führen, als es bei ihm der Fall gewesen war.

»Dann wollen wir mal von hier verschwinden«, verkündete er, warf einen letzten Blick auf die mit Stunden Verspätung eintreffenden Bilder der Syndik-Schiffe, ging dann die lange Liste seiner Schiffe durch, ob auch bei allen ein grünes Licht anzeigte, dass sie für den Sprung bereit waren, und befahl der Flotte, nach Strabo aufzubrechen.

Der Transit nach Strabo dauerte lediglich fünf Tage, und der anschließende Sprung nach Cydoni sollte ebenfalls keine langwierige Angelegenheit sein — doch der Sprung nach Sancere würde das alles mehr als wettmachen.

Der Sprungraum war schon immer sonderbar gewesen. Eine scheinbar endlose, mattschwarze Leere, in der nur hin und wieder ein paar Lichtkleckse auftauchten, umgab alles. Was das für Lichter waren und wodurch sie verursacht wurden, das war zu Gearys Zeiten schon ein Rätsel gewesen, und daran hatte sich bis heute nichts geändert, da man noch immer nicht wusste, wie man den Sprungraum erforschen sollte. In gewisser Weise hatte das auf Geary eine beruhigende Wirkung: Es gab etwas aus seiner Vergangenheit, an dem sich bis in die Gegenwart hinein nichts geändert hatte.

Allerdings war das auch der einzige Trost, den er während der Reise empfand. Es war schlimm genug, dass Co-Präsidentin Rione ihn seit dem Streit nicht mehr aufgesucht hatte, war sie doch die Einzige, der er sich zumindest teilweise anvertrauen konnte. Und es war auch schlimm, dass er sich wie üblich Sorgen machte, mit welcher unangenehmen Überraschung die Syndiks sie womöglich bei Strabo erwarteten. Womöglich hatten sie ihn durchschaut und erahnt, dass er sich für die unwahrscheinlichste von allen Lösungen entscheiden würde. Aber wenn er sich von dieser Angst überwältigen ließ, wenn sie ihn lähmte, dann konnte er überhaupt keine Entscheidungen mehr treffen, weil die Syndiks theoretisch jeden seiner Schachzüge vorausahnen konnten.

Nein, es gab noch etwas anderes, das ihm diesmal Sorgen bereitete, und am vierten Tag im Sprungraum hatte er die Probleme auf zwei Themen eingrenzen können. Eines davon betraf Captain Falco, das andere drehte sich um Captain Numos und die anderen verärgerten Offiziere, für die er stand. Eines von den beiden Problemen kann ich allein bewältigen, aber beide zusammen? Was ist, wenn Numos Falco zu der Galionsfigur macht, die er braucht, um mir einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen? Wenn wir Strabo erreichen, hatten die beiden fast eine Woche Zeit, um sich einen Plan zurechtzulegen, wie sie mir das Leben schwer machen und wie sie die Flotte in Gefahr bringen können.

Noch frustrierender war dabei, dass eine Durchsicht der Heerscharen von Nachrichten, die vor der Abreise aus dem Sutrah-System zwischen den Schiffen der Flotte ausgetauscht worden waren, keinen Hinweis auf einen Kontakt zwischen Falco und Numos ergab, denn das musste nichts bedeuten. Bei dem Hin und Her der Shuttles zwischen den Schiffen wäre es kein Problem gewesen, eine Nachricht zu überbringen. Dass es keine Kommunikation zwischen Falco und anderen Offizieren gab, wirkte auf Geary wie ein Fanal. Falco war ein Mann, der aufblühte, wenn er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, der seine zwischenmenschlichen Fähigkeiten nutzte, um auf der Karriereleiter weiter nach oben zu kommen und um der Allianz etwas Gutes zu tun. Er würde nicht davor zurückschrecken, andere Offiziere davon zu überzeugen, dass sie sich ihm anschlossen, und das konnte nur bedeuten, dass Falco seine Nachrichten auf eine Weise verbreitet hatte, die weder Geary noch einem seiner Verbündeten unter den Befehlshabern aufgefallen war.

Bin ich paranoid? Aber Duellos und Rione haben mich beide vor Falco gewarnt, und ihre Ratschläge haben sich bislang immer als zutreffend erwiesen. Zu schade, dass Duellos nur einfache, kurze Nachrichten empfangen kann, solange wir im Sprungraum sind. Und zu schade, dass Rione nicht mit mir reden will.

Geary beobachtete die wandernden Lichter im Raum. Er wurde zunehmend gereizter und begann sich zu fragen, was im Strabo-System geschehen würde.

Für einen Stern hatte Strabo sehr wenig zu bieten. Mit Blick auf seine Ausmaße schien er kaum groß genug, dass in seinem Inneren die Fusionsreaktionen ausgelöst wurden, die ihn zu einem Stern machten und nicht nur zu einem sehr großen Planeten. Seine Satelliten passten denn auch mehr zu einem Planeten als zu einer Sonne: eine Ansammlung von kargen Felsen in geringer Entfernung zu dem Stern. Geary hatte schon einige Sternensysteme zu sehen bekommen, doch keines davon war je so unscheinbar und bemitleidenswert gewesen wie dieses hier. Kein Wunder, dass die von den Syndiks eingerichtete Notfallstation schon vor langer Zeit eingemottet worden war.

»Nichts«, stellte Captain Desjani fest.

Geary nickte. »Beziehen Sie sich auf Bedrohungen durch die Syndiks, oder war das ein Kommentar zu diesem System?«

»Sowohl als auch«, meinte sie grinsend.

»Scannen die Flottensensoren nach Hinweisen auf Anomalien irgendwo im System, die auf Minenfelder hindeuten könnten?«

»Ja, Sir. Die Sensoren tasten alles automatisch ab, allerdings arbeiten sie effizienter, wenn sie auf ein bestimmtes Gebiet gerichtet werden. Bislang keine Minen entdeckt.«

»Gut.« Syndik-Schiffe waren im System auch nirgends festzustellen. Die Allianz-Flotte breitete sich um die Dauntless herum aus, jedes Schiff nahm die ihm zugewiesene Position ein. Keine Bedrohungen, keine erkennbaren Probleme aus Falcos oder Numos’ Richtung. Genau wie bei der Situation bei Sutrah begann Geary sich auch jetzt zu fragen, was er übersehen hatte.

Strabo konnte auch nicht beeindrucken, wenn es um die Zahl der Sprungpunkte ging, die das System zu bieten hatte. Während Sutrah immerhin vier besaß, waren es hier nur drei. In Relation zu der Stelle, an der die Flotte angekommen war, lag der Sprungpunkt nach Cydoni auf der anderen Seite des Systems. Um dorthin zu gelangen, mussten sie den dritten Sprungpunkt passieren, von dem aus man direkt das einzige ans Hypernet angeschlossene System erreichte, ehe man zu zwei weiteren Syndik-Welten weiterspringen konnte. In allen Fällen ging Geary davon aus, dass sie schwer bewacht wurden oder vermint worden waren, da es sich bei ihnen um jene Systeme handelte, die sie auch von Sutrah aus hätten erreichen können. Es gefiel ihm gar nicht, so dicht an diesem Sprungpunkt vorbeizufliegen, aber es gab auch keinen plausiblen Grund, warum sie um den Punkt einen Bogen machen sollten, den sie in einem Abstand von mehreren Lichtminuten passieren würden. Ein Umweg würde bloß jenen Gerüchten Nahrung geben, dass er ein zu ängstlicher Commander war.

Er überprüfte den Flugplan und befahl der Flotte, sich zum Sprungpunkt nach Cydoni zu begeben. Da Strabo ein so kleines System war, ließ sich das Ziel in nur eineinhalb Tagen erreichen.

Diese Zeit nutzte er, um die Befehlshaber für eine weitere Gefechtssimulation einzuberufen. Alles lief genau nach Plan, jedes Schiff befolgte exakt Gearys Anweisungen, was ihn eigentlich hätte freuen sollen. Doch das Gegenteil war der Fall, denn seine bekanntlich problematischen Commander verhielten sich untypisch friedlich. Falco, Numos und die anderen, die immerhin bekundet hatten, wie wenig sie Geary vertrauten, schwiegen beharrlich. Hier und da flogen Shuttles von einem Schiff zum anderen, aber dabei handelte es sich offiziell um den Transport von Personal und Material. Geary war davon überzeugt, dass an Bord dieser Shuttles auch Nachrichten von Falco an die anderen Befehlshaber weitergeleitet wurden, doch ihm wollte kein Weg einfallen, um das zu unterbinden. Ich habe bereits mit dem Sicherheitsdienst gesprochen, und da kann mir niemand garantieren, dass eine verborgene Videonachricht tatsächlich gefunden wird, selbst wenn sie das Shuttle in seine Einzelteile zerlegen. Duellos hat auch nichts gehört, aber ihm wird auch keiner etwas sagen, weil sie wissen, er ist mein Verbündeter.

Ich könnte Falco vorsorglich festnehmen lassen, doch damit löse ich vermutlich auf einigen Schiffen eine Meuterei aus, zumal ich keinen Grund benennen kann. Ich könnte ihm den Befehl geben, auf die Dauntless zurückzukehren, doch wenn er die Rückkehr hinauszögert oder mich einfach ignoriert, dann muss ich ihm das entweder durchgehen lassen, oder aber ich lasse ihn festnehmen, was mich wieder vor das Problem einer Meuterei stellt.

Momentan kann ich nichts unternehmen, ohne Gefahr zu laufen, selbst die Probleme vom Zaun zu brechen, von denen ich glaube, dass Falco sie mir bereiten könnte.

Kurz entschlossen nahm er mit Captain Falco Kontakt auf, da es immer noch besser war, mit dem Mann zu reden, anstatt sich ständig Gedanken zu machen, was er vielleicht hinter Gearys Rücken anstellte. Ein nervös dreinblickender Captain Kerestes meldete sich. »Es tut mir leid, Captain Geary, aber die Flottenärzte der Warrior haben Captain Falco Bettruhe verordnet.«

»Captain Falco fühlt sich nicht wohl?« Er wollte das klar und deutlich ausgesprochen wissen, falls sie jemand belauschte.

»Nur eine vorübergehende Erkrankung«, antwortete Kerestes unübersehbar schuldbewusst.

»Verstehe.« Jeder weitere Versuch, zu Falco selbst durchgestellt zu werden, hätte bloß Gearys Unfähigkeit betont, dass er den Mann zu nichts zwingen konnte. »Richten Sie ihm bitte aus, ich hoffe, er fühlt sich bald wieder gesund genug, um im Interesse der Allianz und dieser Flotte zu handeln.«

»Ja, Sir, das werde ich machen.« Nachdem Kerestes die Verbindung unterbrochen hatte, konnte Geary sich lebhaft vorstellen, welche Erleichterung den Mann in diesem Augenblick überkam.

Aber von der Gewissheit abgesehen, dass Kerestes offenbar von Vorgesetzten möglichst nicht zur Kenntnis genommen werden wollte, hatte dieses Gespräch nichts ergeben.

»Madam Co-Präsidentin.« Seine Besorgnis hatte schließlich doch über seinen Stolz gesiegt.

Ihre Stimme klang frostig und distanziert. Den Bildschirm hatte sie abgeschaltet, sodass Geary sich nur wünschen konnte, ihren Gesichtsausdruck zu sehen. »Was wollen Sie, Captain Geary?«

»Ich muss wissen, ob Ihre Quellen in der Flotte auf irgendwelche Probleme aufmerksam geworden sind.«

Es dauerte einen Moment, ehe sie erwiderte: »Probleme?«

»Irgendetwas in Verbindung mit Captain Falco oder Captain Numos.«

Wieder vergingen ein paar Sekunden. »Es wird ein wenig geredet, weiter nichts.«

»Ein wenig Gerede? Das klingt nach weniger als bislang üblich.«

»Es ist auch weniger«, sagte Rione. »Aber sonst habe ich nichts gehört.«

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich wissen lassen würden, falls Ihnen etwas zu Ohren kommt.«

»Wovor fürchten Sie sich, Captain Geary? Vor Ihren eigenen Offizieren?« Diesmal war aus ihrer Stimme deutliche Verärgerung herauszuhören. »Das ist das Schicksal der Helden.«

»Ich bin kein …« Er hielt inne und zählte stumm bis fünf. »Ich mache mir Sorgen, dass etwas geschehen könnte, das viele Matrosen in dieser Flotte in Gefahr bringt. Ich hoffe, Sie können Ihre Verärgerung über mich zurückstellen und mir helfen. Sonst begeht noch jemand …«

»… eine Dummheit?«

»Ja.«

»Als Gegensatz zu einer Heldentat?«, fragte sie mit tiefgekühlter Stimme.

»Verdammt, Madam Co-Präsidentin …«

»Ich werde bei meinen Quellen nachfragen. Aus Sorge um das Wohl der Matrosen in dieser Flotte. Irgendjemand muss sich schließlich dieser Leute annehmen.«

Die Verbindung wurde unterbrochen, und Geary musste sich beherrschen, um nicht mit seiner Faust den Wandlautsprecher zu zertrümmern.

»Captain Geary.« Desjanis Stimme klang ruhig und beherrscht. »Da tut sich etwas.«

Die Flotte war noch eine Stunde vom Sprungpunkt entfernt. Geary vergeudete keine Zeit damit, sich erst auf die Brücke zu begeben, stattdessen aktivierte er das Flottendisplay über dem Tisch in seiner Kabine.

Das »Etwas« wurde sofort deutlich. In der Formation der Flotte klafften Lücken und Löcher, da etliche Schiffe ihre Position verlassen hatten. Nach den Flugbahnen zu urteilen, die das System berechnet hatte, waren all diese Schiffe auf dem gleichen Kurs unterwegs. Geary erfasste ihre Namen. Warrior, Orion, Majestic, Triumph, Invincible, Polaris und Vanguard. Vier Schlachtschiffe und drei Schlachtkreuzer. Dazu sechs schwere Kreuzer, vier leichte Kreuzer und über zwanzig Zerstörer. Insgesamt fast vierzig Schiffe.

Geary ließ den Kurs weiterberechnen und erkannte, dass sie zu dem anderen Sprungpunkt unterwegs waren. Die Vorfahren mögen ihnen beistehen! Sie nehmen den direkten Weg zurück zum Allianz-Gebiet, und zweifellos vertrauen sie dabei ganz auf ihren »Kampfgeist«, um die Syndiks zu überwinden, die mit einer erdrückenden Überlegenheit bereits auf sie warten werden. Er öffnete den Kommunikationskanal und überlegte kurz, was er am besten sagen sollte. »Alle Einheiten: Kehren Sie umgehend in die Formation zurück.« Das war nutzlos. Wenn sie schon beschlossen hatten, seine Befehle zu ignorieren, würden sie jetzt nicht auf einmal darauf reagieren. »Sie sind auf dem Weg in ein massiv gesichertes Sternensystem der Syndiks. Sie werden es nicht schaffen, deren Verteidigung zu durchbrechen.«

Keine Reaktion. Die abtrünnigen Schiffe flogen weiter. Ich kann sie nicht umstimmen. Jetzt nicht mehr. Sie vertrauen auf Falco und ihre vermutlich überlegene moralische Stärke. An ihre Vernunft zu appellieren hilft da nicht weiter. Aber ich muss sicherstellen, dass sich ihnen nicht weitere Schiffe anschließen. Was soll ich sagen? »Ihre Pflicht gegenüber der Allianz verlangt von Ihnen, bei der Flotte zu bleiben, anstatt Ihre Kameraden im Stich zu lassen.« Das sollte ihnen einen Stich versetzen, was auch nur richtig war, immerhin liefen sie der Flotte davon. »Kehren Sie sofort auf Ihre zugewiesenen Positionen zurück, und es werden keine disziplinarischen Maßnahmen folgen.« Das würde auch nicht nötig sein, denn wenn Falco und Numos jetzt kehrtmachten, dann würden ihre Anhänger ihnen nicht länger vertrauen.

Schließlich kam eine Reaktion. »Hier spricht Captain Falco, Befehlshaber jener Schiffe, die willens sind, den Ruhm und die Ehre der Allianz-Flotte hochzuhalten. Ich rufe …« Ein Symbol leuchtete auf Gearys Kommunikationsdisplay auf, im gleichen Moment verstummte Falco.

»Hier ist Captain Desjani«, meldete sie sich auf dem internen Kanal der Dauntless bei Geary. »Ich habe den Widerruf des Flottenkommandos aktiviert, damit werden alle Signale von anderen Schiffen als unserem vollständig blockiert. Wir werden alles hören, was an uns direkt gerichtet ist.«

»Danke.« Hätte er doch eine ganze Flotte mit Befehlshabern, die so waren wie Tanya Desjani. Er selbst hatte zu spät daran gedacht, dass er Falco kein Forum geben durfte, um weitere Schiffe zum Desertieren zu überreden. Wieder wandte er sich an die Abtrünnigen. »An alle Schiffe! Es hat nichts Ehrbares, Ihre Kameraden im Stich zu lassen und rechtmäßige Befehle zu ignorieren. Wir kämpfen für den Sieg, für die Sicherheit unserer Heimat, aber nicht für den Ruhm. Alle Einheiten, kehren Sie sofort in die Formation zurück. Sie werden benötigt, wenn die Syndiks das nächste Mal zuschlagen.« Vielleicht konnte er ja so noch den einen oder anderen zur Umkehr bewegen.

Doch die insgesamt neununddreißig Schiffe, die Falcos Streitmacht darstellten, gingen nach und nach in eine eigene Formation und steuerten zielstrebig auf den anderen Sprungpunkt zu, der nicht mehr weit entfernt war. Der Wunsch überkam ihn, das Feuer auf Falco zu eröffnen, aber er drängte ihn schnell wieder zurück. Unmöglich. Den Befehl werde ich nicht erteilen. Und selbst wenn, wer würde ihn schon ausführen? Das wäre etwas, was die Syndiks machen würden. Aber was soll ich machen? Ich kann sie nicht aufhalten. Sie sind nur noch fünfzehn Minuten vom Sprungpunkt entfernt. »Alle Einheiten, die die Formation verlassen haben: Überdenken Sie noch einmal Ihr Handeln und denken Sie dabei auch an Ihre Kameraden und an Ihre Besatzungen. Auf den Wegen, die Sie über diesen Sprungpunkt erreichen können, werden Sie nicht überleben.«

Die Schiffe waren bereits mehrere Lichtminuten entfernt, aber selbst wenn man die Zeitverzögerung einkalkulierte, war längst deutlich, dass Gearys jüngster Appell fehlgeschlagen war. Für einen weiteren Anlauf reichte die Zeit nicht mehr, nur noch für eine kurze Mitteilung. Er sah auf das Display der Sternensysteme, in Gedanken ging er die Sprungpfade durch, die die nächsten Sterne miteinander verbanden. »Alle Einheiten, die die Formation verlassen haben: Ilion. Ich wiederhole: Ilion.«

Gut zwölf Minuten später sah Geary die Bilder der fliehenden Schiffe, wie sie mit einem Sprung aus dem System verschwanden.

Er verbrachte eine Weile damit, seine Flotte neu zu ordnen, damit die entstandenen Lücken geschlossen wurden, dann saß er schweigend da und wartete, bis sie den Sprungpunkt nach Cydoni erreicht hatten. »Alle Schiffe: Springen Sie jetzt.«

Seit er das Kommando über diese Schiffe übernommen hatte, war er von der Befürchtung begleitet worden, ein Teil der Flotte könnte sich abspalten. Für ihn war es offensichtlich, dass eine Spaltung ihrer Streitmacht tief in feindlichem Territorium eine völlig verrückte Idee darstellte. Allerdings hatte er auch von Anfang an einsehen müssen, dass es Commander gab, die zu einer rationalen Sichtweise gar nicht in der Lage waren. Nun war der befürchtete Fall eingetreten. Fast vierzig Schiffe flogen einem ungewissen Schicksal entgegen, angeführt von Befehlshabern, die Geary mit Ablehnung, Misstrauen und, mindestens in Numos’ Fall, mit Verachtung begegneten. Wenn es nur einen Weg gegeben hätte, dass die Besatzungen dieser Schiffe nicht das gleiche Schicksal ereilte wie ihre Vorgesetzten …

Aber es besteht eine Chance. Wenn sie nachdenken und erkennen, dass ein glorreicher Tod dem Schutz ihrer Heimatwelten keinen Dienst erweisen kann, wenn sie bereit sind, das zu nutzen, was ich ihnen beigebracht habe. Wenn sie bereit sind, auf das zu hören, was ich ihnen als letzte Nachricht mit auf den Weg gegeben habe. Und wenn die Syndiks diese Information nicht von ihnen erfahren, damit sie für uns keinen Hinterhalt vorbereiten können. Ich wünschte, ich wüsste es.

Da er die Stille in seiner Kabine nicht länger ertrug, in der er sich noch einsamer vorkam, seit Co-Präsidentin Rione ihre Besuche eingestellt hatte, begab sich Geary wieder einmal auf eine Tour durch die verschiedenen Abteilungen der Dauntless. Auf diese Weise konnte er Zuversicht verbreiten, nachdem die Crew durch die Flucht zahlreicher Kameraden geschockt worden war. Er versuchte, die Leute von der Entwicklung im Strabo-System abzulenken und sie dazu zu bringen, dass sie den Blick wieder nach vorn richteten. Im Rahmen der beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten ließ er diese Nachrichten auch an die anderen Schiffe der Flotte senden, um dort die gleiche Wirkung zu erreichen.

In der verbleibenden Zeit widmete Geary sich weiteren Gefechtssimulationen. Damit hoffte er, einige der Kampftechniken weiterzugeben, die er vor über hundert Jahren erlernt hatte. Techniken, die im Lauf der Zeit in Vergessenheit geraten waren, da die verheerenden Verluste an Schiffen und Menschenleben die kollektiven Erinnerungen und Fähigkeiten ausgelöscht hatten. Er wusste bloß nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb, um dieses Wissen zu übermitteln.

Geary betrat die Brücke der Dauntless, als die Flotte sich eben darauf vorbereitete, den Sprungraum zu verlassen.

Captain Desjani drehte sich zu ihm um, ihre Sorge um ihn war nicht zu übersehen. Er nickte schwerfällig zurück und ließ sich in seinen Kommandosessel sinken. Ihm war nicht klar gewesen, wie mitgenommen er nach Falcos Verrat aussehen musste. Mitgenommen genug, dass Desjani es bemerkte. Es war nur zu hoffen, dass die Crew nicht genauso aufmerksam war wie ihr Captain. Aber vielleicht sah er jetzt auch besonders schlecht aus, nachdem er in der letzten Nacht nicht hatte schlafen können, da er voller Sorge war, was sie im Cydoni-System erwartete. Und da er nicht wusste, ob sich weitere Schiffe von der Flotte verabschieden würden.

Um diese augenblicklich wiedererwachende Angst zu überspielen, rief Geary das Flottendisplay auf und tat so, als sei er in die Anzeige vertieft. Er hatte versucht, sich einen Plan für Sancere zurechtzulegen, obwohl er bis zu ihrem Eintreffen überhaupt nicht wissen konnte, was sie dort vorfinden würden. Gestern war ihm eine Idee gekommen, deren Ursprung ironischerweise in den Ereignissen im Strabo-System lag, und er hatte sich einige Minuten lang damit beschäftigt und die Namen und Akten einiger der verbliebenen Commander überprüft.

»Bereit machen zum Verlassen des Sprungraums«, ließ Desjani verlauten.

Hastig schaltete Geary auf das Systemdisplay um und wartete. Momentan zeigte es nur die historischen Informationen aus dem Syndik-Handbuch an, das ihnen auf Sutrah V in die Hände gefallen war. Sobald die Flotte am Rand des Cydoni-Systems in den Normalraum zurückkehrte, würden die Sensoren der Dauntless und aller anderen Schiffe damit beginnen, die Daten anhand dessen zu aktualisieren, was sie von ihrer Position aus feststellen konnten.

Gearys Magen drehte sich um, dann wich das Mattschwarz des Sprungraums dem funkelnden, von Sternen übersäten Universum des realen Raums. Er wartete und sah zu, wie sich die Anzeigen veränderten. Keine Schiffe. Keine Minen zu entdecken. Nichts. Captain Desjani strahlte triumphierend.

Doch Gearys Blick galt weiterhin dem Systemdisplay, auf dem die sich ausdehnende Photosphäre der Sonne den einst von Leben erfüllten Planeten erreicht hatte. Die Szene löste etwas von der kranken Faszination aus, die beim Anblick eines verunglückten Zuges aufkommt, nur dass sich dieser Prozess nicht innerhalb von Sekunden abspielte, sondern sich über Jahrhunderte erstreckte, und ihm hier eine ganze Welt zum Opfer fiel.

Der größte Teil der Atmosphäre des vormals bewohnbaren Planeten war mittlerweile weggerissen worden. Die Schluchten der Ozeane waren vor langer Zeit ihres Wassers beraubt worden, das unter dem Partikelbombardement und der Hitze jener Sonne ins All geschleudert worden war, die einst Leben auf dieser Welt ermöglicht hatte. Nun wurde der Planet langsam von der Sonne aufgezehrt, und schon jetzt waren keine Spuren von Leben mehr feststellbar.

»Wahrscheinlich existieren unter der Planetenoberfläche noch einige Lebensformen, die auch mit extremen Bedingungen zurechtkommen«, meldete ein Wachhabender. »Die werden noch eine Weile durchhalten.«

»Und wie lange noch, bis die Photosphäre den Planeten vollständig eingehüllt hat?«, fragte Geary.

»Schwer zu sagen, Sir. Die Ausdehnung eines solchen Sterns spielt sich in Schüben ab. Vermutlich irgendwo zwischen fünfzig und zweihundert Jahren, immer abhängig davon, was sich in dem Stern tatsächlich abspielt.«

»Danke.« Geary betrachtete eine vergrößerte Darstellung des Planeten. Die Sensoren der Dauntless hatten einige Bereiche markiert, in denen noch Ruinen standen, die allerdings unter den extremen Umweltbedingungen so sehr gelitten hatten, dass sie aussahen, als seien sie einige Jahrtausende alt. Eine Vielzahl Ruinen lag unmittelbar an einem ausgetrockneten Meer, die teilweise erhaltenen Wände waren fast ganz von Staubdünen bedeckt worden, die der Wind dorthin getragen hatte, bevor die Atmosphäre zu dünn wurde. Das Land leuchtete im Schein des sich ausdehnenden Sterns in einem rötlichen Licht. Geary fragte sich, wie diese Stadt wohl ausgesehen hatte, als noch die Wellen an den Strand schlugen. Die Informationen aus dem Syndik-Handbuch standen ihm zur Verfügung, also griff er auf sie zu. Portjunosa. Bereits vollständig aufgegeben, bevor die Syndiks diese mittlerweile veralteten Daten zusammengestellt hatten. Menschen hatten dort gelebt, hatten die Stadt errichtet und sie zu einem Ort gemacht, an dem eine menschliche Gemeinschaft entstanden war. Geblieben waren davon nur noch Ruinen, und ein Jahrhundert weiter würden sie von dem sich ausweitenden Stern ebenfalls ausgelöscht worden sein. Nach den unbewohnten Systemen Strabo und Cydoni würde es eine angenehme Abwechslung sein, wieder in ein von Leben erfülltes System wie Sancere zu gelangen, auch wenn da nur der Feind zu Hause war.

»Wir müssen einen Kurs einschlagen, der uns in sicherem Abstand um die angeschwollene Photosphäre herumführt«, ließ Captain Desjani verlauten.

Geary nickte. »Richtig. Haben Sie Probleme mit dem Kurs, den das Steuersystem des Schiffs vorgeschlagen hat? Wir brauchen so zwar vier Tage, bis wir den Sprungpunkt nach Sancere erreichen, aber ich sehe keine brauchbare Alternative.«

»Es gibt auch keine«, stimmte Desjani ihm zu. »Das ist die beste Option, die wir haben.«

Vier Tage. Vier Tage Zeit für die nicht ganz so zuverlässigen Commander in der Flotte, um darüber nachzudenken, was bei Strabo vorgefallen war. Vier Tage Zeit, um zu überlegen, ob sie einen anderen Sprungpunkt anfliegen sollten. Ich muss sie irgendwie beschäftigen, damit sie auf Sancere konzentriert bleiben. Sie müssen mit Simulationen, Manövern und Plänen überhäuft werden, die sie nur an Sancere denken lassen, aber an nichts anderes. Es wird mich bis an den Rand der Erschöpfung bringen, aber ich sehe keine Alternative.

Er begann eine Flottenkonferenz im kleineren Rahmen vorzubereiten, an der die Befehlshaber von nur gut dreißig Schiffen teilnehmen würden. Wer sollte sie leiten? Bislang war er unschlüssig gewesen, aber ein Blick auf die Liste der fähigen Befehlshaber ließ sofort einen Namen ins Auge springen. Trotzdem gab es da noch eine ungeklärte Frage, auf die die Datenbank der Dauntless offenbar so schnell keine Antwort liefern konnte. Oder aber er hatte seine Frage so formuliert, dass die künstliche Intelligenz ihn nicht verstand. Das Problem war ihm schon viel zu oft begegnet. »Wie lange dauert es eigentlich, bis diese KI-Einheiten mich verstehen?«, beschwerte er sich unüberhörbar.

Desjani warf einer Wachhabenden einen auffordernden Blick zu, woraufhin die sich räusperte und antwortete: »Sir, die KI-Einheiten haben ihre Antwortmuster so erlernt, wie sich die Denk-, Sprech- und Schreibcharakteristika der Personen gestalten, mit denen sie zu tun haben.« Sie geriet ins Stocken.

»Und ich denke nicht wie diese Personen, wie?«

»Nein, Sir. Ihre unausgesprochenen Annahmen, Ihre Denkmuster und die Art, wie Sie Sätze formulieren, entsprechen nicht dem … ähm …«

»Dem modernen Verstand?«, half Geary ihr weiter, konnte sich aber einen ironischen Unterton nicht verkneifen. Es ergab sogar einen Sinn, wie er erkennen musste. In einem Jahrhundert entwickelten sich viele unterschwellige und gar nicht so unterschwellige Veränderungen in der Art, wie die Menschen dachten und wie sie diese Gedanken zum Ausdruck brachten. Entweder ich lache jetzt darüber oder ich ärgere mich, aber ich habe zu viele andere Dinge um den Kopf, um mich darüber zu ärgern.

Die Wachhabende lächelte nervös. »Ja, Sir. Ich fürchte, es ist genau so, Sir. Die meisten Menschen, die Fragen an die KI-Einheiten richten, gehen mit Informationen anders um als Sie, darum stellen sie sich nicht auf Sie ein.«

»Warum können Sie nicht eine Subroutine einrichten, mit der die KI-Einheiten reagieren, wenn sie mit Captain Geary zu tun haben?«, fragte Desjani. »Dann könnten sie sich auf seine Formulierungen einstellen, während die Eingaben der übrigen Offiziere und Crewmitglieder wie gewohnt bearbeitet werden.«

»Die Flottenvorschriften regeln den Einsatz von KI-Einheiten, Captain. KI-Einheiten in Schiffssystemen sollen nie in persönliche Einheiten für einzelne Individuen verändert werden. Das kann bei der künstlichen Intelligenz zu einem Interessenskonflikt führen.«

Geary schüttelte den Kopf und wunderte sich, warum es sogar für etwas so Simples derart komplizierte Vorschriften gab. »Kann der Flottenbefehlshaber diese Vorschrift außer Kraft setzen, wenn ein Notfall vorliegt?«

Die Wachhabende sah ihn unschlüssig an. »Sir, ich müsste erst nachschlagen, was laut Vorschriften als Notfall gelten kann.«

»Lieutenant!«, ermahnte Desjani sie. »Wir befinden uns tief in feindlichem Gebiet und versuchen, möglichst heil nach Hause zu kommen. Für mich ist damit der Tatbestand eines Notfalls erfüllt.«

»Für mich auch«, pflichtete Geary ihr bei. »Erledigen Sie das, Lieutenant. Das wird mir das Leben sehr erleichtern.«

Die Wachhabende zeigte sich erleichtert, da sie nun eine klare Anweisung hatte, die ihr aus ihrem Dilemma heraushalf. »Ja, Sir. Selbstverständlich, Sir. Wir begeben uns sofort an die Arbeit.«

»Danke.« Er sah zu Desjani. »Das wird mir die Planung sehr erleichtern.«

Desjani lächelte, da sie wie immer vollstes Vertrauen in seine Fähigkeiten hatte. »Haben Sie einen Plan für Sancere?«

»Ja, den habe ich. Sancere wird wahrscheinlich gut geschützt sein. Ich nehme an, wir werden eine Streitmacht vorfinden, die uns Schwierigkeiten bereiten kann. Falls ich mich irre, können wir uns problemlos auf geringeren Widerstand einstellen.«

»Sie haben es auf das Hypernet-Portal abgesehen?«

»Richtig.« Nachdenklich senkte er den Blick. »Ich habe versucht, darüber etwas herauszufinden. Ich nehme an, die Syndiks könnten versuchen, das Portal zu zerstören. Wissen Sie, wie schwierig es ist, das zu bewerkstelligen?«

Desjani sah ihn überraschte an. »Ich habe keine Ahnung. Es wird schon mal darüber geredet, aber soweit ich weiß, hat das noch nie jemand tatsächlich gemacht.«

»Ich hoffe, es kommt auch nicht dazu«, meinte er achselzuckend. »Wenn wir die Syndik-Verteidiger von ihren Positionen weglocken können und dann einen Satz in Richtung Hypernet-Portal machen, könnte es uns gelingen, sie von dessen Zerstörung abzuhalten. Wenn wir das geschafft haben, können wir die Verteidiger schlagen, die Vorräte plündern und alle Einrichtungen zerstören, die die Syndiks für den Krieg nutzen.«

Desjanis Augen begannen zu leuchten. »Das wird für die Syndiks ein schwerer Schlag sein, wenn wir dort angreifen, wo sie nicht mit uns rechnen.«

»Genau.« Vorausgesetzt, sie haben da nicht schon die gleiche Art von Hinterhalt vorbereitet, der diese Flotte im Heimatsystem der Syndiks fast ausgelöscht hätte. Und vorausgesetzt, meine Flotte verliert auf dem Weg dorthin nicht noch weitere Schiffe. »Ich treffe mich mit einigen Befehlshabern.«

Commander Cresida schien gleich neben Geary zu sitzen, die übrigen achtundzwanzig Kommandeure saßen aufgereiht zu beiden Seiten des Konferenztischs und waren sichtlich neugierig, aus welchem Grund sie für dieses virtuelle Treffen ausgewählt worden waren.

»Sie wurden von mir ausgesucht, weil Ihre Dienstakten Sie alle als tapfere und zuverlässige Offiziere ausweisen«, erläuterte Geary. »Wenn wir Sancere erreichen, dann wissen wir nicht, was uns dort erwartet. Es ist unwahrscheinlich, dass die Syndiks uns mit einer Streitmacht konfrontieren, der wir hoffnungslos unterlegen sein werden«, betonte er mit bewusster Zuversicht. »Aber es wird genug sein, um uns Verluste zuzufügen, wenn wir nicht richtig darauf reagieren. Ich erkläre Ihnen nun, was Sie tun müssen. Commander Cresida von der Furious wird das Kommando über eine spezielle Eingreiftruppe übernehmen, die sich aus Ihren Schiffen zusammensetzt. Die Eingreiftruppe Furious wird sich nicht vom Rest der Flotte absondern, wenn wir Sancere erreichen. Was Sie aber tun werden, ist Folgendes: Sie werden vortäuschen, dass Sie aus der Formation ausbrechen, zuerst die Furious, dann nach und nach die anderen, als würden Sie völlig undiszipliniert auf eigene Faust auf die stärksten Syndik-Schiffe losgehen, die wir finden können.«

Commander Cresida und die anderen konnten ihr Erstaunen nicht verbergen. »Sie wollen, dass wir die Formation verlassen?«, fragte Cresida. »Damit es so aussieht, als wären wir so aggressiv, dass wir uns nicht um Ihre Befehle kümmern?«

»Genau.« Geary zeigte auf die Darstellung des Sancere-Systems. »Stürmen Sie auf den Feind los. Sie sind nicht schlagkräftig genug, um es mit der zu erwartenden Zahl an Syndik-Schiffen aufzunehmen, die Sancere beschützen oder die dort repariert oder umgerüstet werden. Das ist der Sinn der Sache. Es soll so aussehen, als wären Sie eine kleine Gruppe, die sich völlig unüberlegt von der Flotte gelöst hat und die mühelos zerschlagen werden kann. Sie fliegen mit hoher Geschwindigkeit auf den Feind zu, allerdings nur so weit, dass Sie nicht in dessen Feuerreichweite gelangen. Dann machen Sie kehrt, aber nicht im geordneten Rückzug, sondern immer noch wie eine Gruppe, in der jeder macht, was er will. Sie fliehen vor den Syndiks und dem Rest der Flotte nach unten.« Mit dem Zeigefinger beschrieb Geary die Flugrichtung innerhalb des Systems.

Cresidas Miene zeigte einen entsetzten Ausdruck. »Als würden wir vor dem Feind davonlaufen?«

»Exakt.« Keiner der Anwesenden schien darüber glücklich zu sein. »Es gibt einen guten Grund dafür. Der Gedanke dahinter ist der …«

»Sir«, unterbrach ihn Cresida besorgt. »Das werden die Syndiks uns nicht abnehmen.«

Einen Moment lang wollte Geary aufbrausen, weil es so aussah, als zeige sich Cresida plötzlich genauso verbohrt wie Numos. Aber seine Wut wurde im Keim erstickt, weil es so klang, dass es einen guten Grund für ihren Widerspruch gab. »Wieso nicht?«

»Wir fliehen nicht vor einem Kampf.« Der Stolz in Cresidas Stimme war nicht zu überhören. »Egal, wie aussichtslos der auch sein mag.« Die anderen Commander nickten zustimmend. »Die Syndiks wissen das, und eine vorgetäuschte Flucht können wir ihnen nicht weismachen.«

Das war ein Problem, und Geary wusste kein Argument, um Cresidas Einschätzung zu widerlegen; schon gar nicht, wenn alle übrigen handverlesenen Captains ihre Meinung teilten. Es passte auch zu dem Unsinn vom Kampfgeist um jeden Preis, den Falco von sich gegeben hatte. Wie sollte er einen Ratschlag derjenigen Offiziere verwerfen, die er bereits als besonders vertrauenswürdig eingestuft hatte? »Dann möchte ich Ihre Vorschläge hören. Von jedem von Ihnen. Wie lenken wir die Syndik-Verteidiger ab, damit sie die Eingreiftruppe verfolgen und nicht darauf achten, was der Rest der Flotte macht?«

Commander Neeson von der Implacable zuckte mit den Schultern. »Captain Geary, wenn Sie das erreichen wollen, dann würde ich einen Beschuss im Vorbeiflug empfehlen.

Schnelle und rücksichtslose Annäherung, alle Waffen auf die vordersten Schiffe richten und sie mit allem bombardieren, was wir zu bieten haben, um dann sofort wieder wegzufliegen.«

»Ja, genau.« Cresida nickte bestätigend. »Provozieren Sie sie. Und noch besser wäre es, wenn wir gleich danach auf ein weiteres Ziel zufliegen könnten. Etwas, das wir unter keinen Umständen erreichen sollen. Wir schießen auf sie und visieren ein wichtiges Ziel an.«

»Sancere müsste von wichtigen Zielen nur so übersät sein«, merkte jemand an. »Da sollten wir auf die Schnelle etwas identifizieren können.«

Geary ließ sich das Ganze durch den Kopf gehen und betrachtete dabei die Darstellung des Sternensystems. »Und wenn Sie dabei zu tief in die Verteidigungslinien der Syndiks geraten? Ich will kein Selbstmordkommando daraus machen. Ich will, dass Sie da wieder rauskommen, ohne in Stücke gerissen zu werden.«

Auch Neeson sah sich das Display an. »Das sollten wir schon schaffen. Sobald wir Kurs auf etwas Wichtiges nehmen, gehen die Syndiks auf Abfangkurs und beschleunigen. Dann drehen wir abrupt ab, und die Syndiks haben ihre ursprüngliche Position längst verlassen. Wovon sollen wir sie eigentlich ablenken, Sir?«

»Ich will unsere Flotte das Hypernet-Portal erreichen lassen, bevor die Syndiks erkennen, dass sie das Portal brauchen, um die Flucht zu ergreifen. Wenn wir die Kontrolle über das Portal erlangen und verhindern können, dass uns jemand entwischt, dann haben wir genug Zeit, um die Syndik-Einrichtungen zu zerstören, die ihren Kriegsanstrengungen dienen. Anschließend können wir das Hypemet-System benutzen, um in Allianz-Gebiet zurückzukehren.«

»Wenn die Syndiks das Portal zerstören …«, begann Cresida zögerlich.

»Dann müssen wir nicht befürchten, dass wir es auch noch mit deren Verstärkung zu tun bekommen«, erwiderte Geary.

»Aber der Energiestoß könnte uns in Gefahr bringen.«

Anscheinend hatte er die Expertin für Hypernet-Portale gefunden, nach der er bereits gesucht hatte. »Erzählen Sie mir mehr darüber.«

Sie deutete auf die Darstellung des Sancere-Portals auf dem Display. »Das Portal ist eine Art gebundene Energiematrix. Ein Hypernet-Schlüssel funktioniert in der Weise, dass er die Partikelmatrix in einem Portal auf die Partikelmatrix eines anderen Portals abstimmt, damit ein Pfad entsteht, den ein Schiff benutzen kann. Die Matrix wird von diesen Strukturen aufrechterhalten.« Sie deutete auf Objekte, die sich um das Portal wanden. »Wie Sie sehen, gibt es die zu Hunderten. Das sind die sogenannten Trossen, auch wenn es keine richtigen Trossen sind. Aber in gewissem Sinne halten sie die Partikelmatrix in der gewünschten Form. Ein Portal zerstört man, indem man die Trossen abschaltet oder zerstört. Aber wenn es dazu kommt, dann zerbricht die Matrix, und die gebundene Energie wird freigesetzt.« Einige der Anwesenden nickten bekräftigend.

»Eine gute Beschreibung, Commander«, gab Geary zurück, der sich vorstellen konnte, dass die tatsächliche Wissenschaft der Portale erheblich komplizierter war als das, was Cresida für ihn zusammengefasst hatte. Er wünschte, jeder wäre so gut wie sie in der Lage, schwierige technische Sachverhalte so vereinfacht und verständlich wiederzugeben. »Wie viel Energie, und in welcher Form?«

Cresida verzog den Mund. »Das ist eine theoretische Frage, weil es in der Praxis noch nie getestet wurde. Es wird die Ansicht vertreten, dass der Bruch einer Portal-Matrix einen Energiestoß erzeugt, der der Explosion einer Supernova entspricht.«

»Eine Supernova?«, wiederholte Geary ungläubig. »Eine Supernova setzt bei einer Explosion so viel Energie frei wie ein Stern bei einer Lebensspanne von zehn Milliarden Jahren. Eine solche Explosion würde nicht nur das betreffende Sternensystem auslöschen, sondern auch noch einige umliegende Systeme.«

»Richtig«, bestätigte Cresida. »Das wäre ein unerfreuliches Ergebnis.«

»Allerdings«, stimmte Geary ihr zu.

»Andere Meinungen gehen allerdings davon aus, dass sich die Energie innerhalb der Matrix in sich … nun … zusammenfaltet. So wie ein unendliches Origami. Dabei wird sie immer kleiner und kompakter, bis sie in eine andere Existenzebene gerät und unserem Universum entzogen wird. Der Energieausstoß läge in dem Fall bei null.«

Geary schaute sich um und sah, dass die anderen abermals Cresidas Meinung teilten. »Dann kann es also sein, dass einige Sternensysteme ausgelöscht werden, es kann aber auch sein, dass gar nichts geschieht. Aber welcher Energieausstoß wird als der wahrscheinlichste angesehen?«

Cresida sah zu den anderen Offizieren, während sie redete: »Die meisten Wissenschaftler glauben, dass sich der Energieausstoß unterhalb dem einer Supernova bewegt, aber mehr als nichts beträgt. Bislang hat niemand überzeugend darlegen können, was wirklich geschehen wird.«

»Sie scherzen, oder?«

»Nein, Sir.«

»Das ist alles, was die Wissenschaft dazu sagen kann? Und diese Portale werden errichtet, obwohl man weiß, dass sie ein Loch in den jeweiligen Teil der Galaxis reißen können?«

»Jawohl, Sir.«

»Sie erlauben es einem, sehr schnell zu reisen«, fügte Commander Neeson an.

Geary musterte die Darstellung des Hypernet-Portals von Sancere und fragte sich, wie viele Katastrophen auf den Wunsch der Menschheit zurückzuführen waren, um noch schneller als zuvor reisen zu können. Ich möchte wissen, ob nichtmenschliche Intelligenzen in irgendeiner Form mit diesem schrecklichen Krieg zu tun haben, den wir seit hundert Jahren führen. Allerdings sollte mir inzwischen klar sein, dass wir keine nichtmenschlichen Intelligenzen brauchen, um Dummheiten zu begehen.

Augenblick mal! Da stimmt doch was nicht! »Wieso wissen wir nicht mehr darüber? Wir haben das Hypernet-System entworfen und gebaut. Wie kann es dann sein, dass wir zu wichtigen Eigenschaften so wenig sagen können?«

Wieder tauschten Commander Cresida und die anderen Befehlshaber Blicke aus. »Das kann ich Ihnen nicht so genau beantworten, Captain Geary. Der praktische Durchbruch bei der Konstruktion des Hypernets ging den Theorien voraus, die seine Existenz erklären. An vielen Aspekten der Theorie wird immer noch geforscht. Aber das ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Die Leute finden oft einen Weg, dass etwas funktioniert, ehe sie verstehen, wie das überhaupt möglich sein kann.«

»Wir und die Syndiks? Wir haben beide gleichzeitig diesen praktischen Durchbruch geschafft?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Die Syndiks haben uns das Wissen gestohlen, Sir. Davon gehen wir aus, allerdings habe ich für diese Sicherheitsstufe keine Freigabe, darum kann ich das nicht mit Gewissheit sagen.«

Oder wir haben es ihnen gestohlen. »Fazit ist: Sie glauben, dass die Syndiks es nicht wagen werden, das Portal zu zerstören?«

»Ähm … nein, Sir. Das wissen wir nicht. Sie könnten entschieden haben, dass das Risiko vertretbar ist.«

Geary versuchte, sich seine Gefühle nicht ansehen zu lassen. Das wissen wir nicht. Was ist, wenn die extreme Einschätzung zutrifft, und die Syndiks setzen eine Zerstörung in Gang, der nicht nur diese Flotte und das Sancere-System zum Opfer fallen, sondern auch noch etliche Systeme ringsum? Allein das Auftauchen dieser Flotte bei Sancere könnte die Syndiks dazu veranlassen, das Portal zu vernichten, sobald sie uns entdecken. Aber ich kann es mir nicht leisten, auf den Flug nach Sancere und auf den Angriff zu verzichten. Die Flotte braucht dringend Vorräte. Es gibt keine Alternative. Ich kann nur darauf hoffen, dass der Energieausstoß des Portals schwach genug ausfällt, sodass die Sternensysteme und meine Schiffe unversehrt bleiben.

Oh, verdammt, ich weiß, was sie vorhaben!

»Wir müssen davon ausgehen, dass die Syndiks abwarten, bis wir uns dem Portal genähert haben, um es dann zu zerstören«, ließ Geary die anderen wissen, die ihn anstarrten. »Sie werden hoffen, dass die Explosion stark genug ist, um unsere Flotte auszulöschen, aber schwach genug, dass Sancere verschont bleibt.«

Cresida nickte zustimmend. »Und wenn Sancere doch dabei untergeht, dann ist das in deren Augen eben ein Kollateralschaden.«

»Aber was sollen wir stattdessen machen?«, warf Neeson ein. »Wir können das Portal doch nicht ignorieren.«

»Ich werde mir etwas überlegen«, versprach Geary. Das hoffe ich jedenfalls. »Wenn dieses Ablenkungsmanöver erfolgreich ist, können wir die Syndiks daran hindern, dass sich deren Streitkräfte dort befinden, wo sie dem Portal Schaden zuzufügen in der Lage sind. Wie es aussieht, sind wir einer Meinung, was die Vorgehensweise der Eingreiftruppe Furious angeht. Sie lösen sich aus der Formation, attackieren die Syndik-Verteidigung und steuern dann scheinbar auf eine wichtige Anlage zu, ändern aber den Kurs, sobald die Syndiks versuchen, Sie abzufangen.« Er machte eine kurze Pause. »Abhängig von der Situation, die sich daraus ergibt, werde ich Ihnen die weiteren Befehle übermitteln. Wichtig ist mir, dass Sie auf keinen Fall auf eigene Faust mitten in die Syndik-Verteidigungslinie fliegen. Ziehen Sie sich gleich wieder zurück, damit ich Sie in Übereinstimmung mit dem Rest der Flotte einsetzen kann.« Alle nickten. »Ich werde dafür sorgen, dass jeder von Ihnen seinen Einsatzbefehl erhält. Vielen Dank. Commander Cresida, Sie warten bitte noch.«

Nachdem die anderen virtuell Anwesenden sich aufgelöst hatten, betrachtete Geary Commander Cresida mit ernster Miene. »Sie werden weit von der Flotte entfernt sein, wenn Sie erst einmal die Syndiks attackiert haben. Sie könnten dabei über eine Lichtstunde weit weg sein. Das bedeutet, wenn Sie in Schwierigkeiten geraten, werde ich das eine Stunde später wissen. Ich vertraue darauf, dass Sie umsichtig kämpfen, Commander. Beschäftigen Sie die Syndiks, sorgen Sie dafür, dass die sich ganz auf Sie konzentrieren, aber lassen Sie sich nicht abschießen. Sind Sie in der Lage, den Rückzug anzutreten, wenn das Ihre beste Alternative ist?«

Einen Moment lang schien Cresida über die Frage nachzudenken, dann nickte sie. »Ja, Sir.«

»Ich möchte, dass Sie leben und kämpfen, aber nicht stolz und tot sind.«

Sie grinste ihn an. »Sir, Sie haben uns gezeigt, dass wir leben und kämpfen und dabei auch noch stolz sein können. Ich versuche immer noch zu verstehen, wie Sie es geschafft haben, dass bei Kaliban alles so perfekt zusammenlief und die Syndiks zerquetscht werden konnten.«

»Bewähren Sie sich bei Sancere«, entgegnete er lächelnd, »dann gebe ich Ihnen persönlich Nachhilfeunterricht.«

»Einverstanden, Sir.« Sie standen beide auf, und Cresida salutierte mustergültig. Offenbar hatte sie geübt. Geary sagte ihr nicht, dass der Flottensalut meistens etwas nachlässiger ausgeführt wurde, während sie mehr wie ein Marine wirkte.

Aber vielleicht hatte sie sich ja von Colonel Carabali darin unterrichten lassen. Geary wusste, dass die Marines sich köstlich amüsierten, wenn sie den Matrosen zusahen, wie die sich damit abmühten, Gearys Gesten nachzuahmen, seit der den Salut wieder einzuführen versuchte.

Nachdem sich Cresida zurückgezogen hatte, setzte er sich hin und betrachtete das Display, wobei sein Blick vor allem auf dem Hypernet-Portal ruhte. Ihm war bislang nicht in den Sinn gekommen, dass von diesen Portalen möglicherweise eine immense Gefahr ausging.

Womöglich stellten sie sogar die verheerendste Waffe dar, die je von Menschenhand gebaut worden war.

Und ihm blieb keine andere Wahl, als den größten Teil seiner Flotte zum Hypernet-Portal von Sancere zu schicken.

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