Die Türglocke zu Gearys Kabine wurde betätigt und ließ ihn hochschrecken. Überrascht stellte er fest, wie viel Zeit er damit verbracht hatte, über die nächsten Schritte seiner Flotte nachzudenken. Er aktivierte auch das Flottendisplay und überprüfte die aktuelle Position im Sutrah-System. Wie geplant hatte die Flotte Sutrah V hinter sich gelassen und folgte jetzt einem Kurs bis zu dem Punkt, an dem ihr zwei Sprungpunkte im System zur Verfügung standen. Nur noch eine Stunde, bis die kinetischen Waffen sich auf den Weg machten, um die beiden bewohnten Welten zu bombardieren. Es gab keinen Grund zur Eile, da weder die beiden Planeten noch die anvisierten Ziele ihnen entkommen konnten. »Herein«, rief Geary.
Captain Falco hatte es sehr schnell bewerkstelligt, sich eine neue Uniform mit all den Abzeichen und Ehrungen zu beschaffen, die zu tragen er offenbar berechtigt war. Er hatte sich auch die Haare schneiden lassen, dennoch fiel Geary auf, dass der forsche junge Mann aus den alten Berichten nicht bloß um zwanzig Jahre gealtert war, sondern durch die Entbehrungen im Arbeitslager der Syndiks deutlich älter wirkte. Falco lächelte ihn freundlich und selbstbewusst an und sah damit genauso aus wie in den alten Aufzeichnungen, die Geary sich angesehen hatte. »Ich bin mir sicher, Sie würden gern mit mir über unsere Optionen für die künftige Vorgehensweise reden«, erklärte Falco gönnerhaft. »Meine Expertise und meine Führungsqualitäten stehen Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.«
In Wahrheit war er nicht mal auf die Idee gekommen, irgendetwas mit Falco zu besprechen. Vor allem, weil ich von Ihrer Expertise gar nichts halte und Ihre Führungsqualitäten mich überhaupt nicht beeindrucken. Dennoch nickte Geary ihm höflich zu. »Es wird in Kürze eine Flottenkonferenz stattfinden.«
»Ich meinte unter vier Augen«, stellte Falco klar. »Es ist doch immer besser, sich vor der Schlacht einen Schlachtplan zurechtzulegen, nicht wahr? Ein guter Führer wie Sie weiß das, und ich habe eine Menge darüber gehört, was Sie mit dieser Flotte geleistet haben. Aber selbst der beste Befehlshaber kann nicht auf das Wissen fähiger Leute verzichten, die ihn unterstützen. Daher habe ich mir die Zeit genommen, die Position unserer Flotte zu beurteilen und einen Plan für unsere weitere Vorgehensweise auszuarbeiten.«
So viel Lob machte Geary skeptisch, und er begann zu grübeln, was der Mann beabsichtigte. »Das ging aber schnell.«
Den unterschwelligen Sarkasmus schien Captain Falco nicht zu bemerken, da er sich hinsetzte und auf das Display zeigte, das die Umgebung des Sutrah-Systems darstellte. »Ich sage Ihnen, was wir tun sollten. Der direkte Weg ins Allianz-Gebiet führt über Vidha. Von dort …«
»Vidha verfügt über ein Hypernet-Portal der Syndiks«, unterbrach Geary ihn sofort. »Da das unser wahrscheinlichstes Ziel ist und die Syndiks dort schnell ihre Truppen zusammenziehen können, wird uns dort erheblicher Widerstand begegnen, ganz abgesehen davon, dass die Sprungpunkte massiv vermint sein werden.«
Falco runzelte wieder die Stirn, was bei ihm automatisch der Fall zu sein schien, sobald er in seinem Redefluss gestoppt wurde. Er bekam sich aber gleich wieder in den Griff und spielte den respektvollen Kollegen. »Diese Flotte kann jeden Syndik-Widerstand überwinden«, erklärte er. »Das muss ich einem Befehlshaber wie Ihnen wohl nicht erst noch sagen. Diese Flotte hat die Initiative ergriffen und befindet sich in einer Vorwärtsbewegung, die jetzt nicht gebremst werden darf. Sie wissen, wie wichtig es ist, den Feind weiterhin dazu zu zwingen, auf unsere Schachzüge zu reagieren. Also, von Vidha aus …«
»Wir fliegen nicht nach Vidha.« Da Falco nicht fähig zu sein schien, Andeutungen zu begreifen, musste Geary seine Einstellung deutlich zum Ausdruck bringen — obwohl er eine gewisse Bewunderung für Falcos Art empfand, seine eigenen Ideen so zu formulieren, dass ein vernünftiger Befehlshaber wie Geary eigentlich gar nichts dagegen einwenden konnte.
Es dauerte eine Weile, bis Gearys Worte zu seinem Gegenüber durchdrangen. Unerwartete Entwicklungen schienen den Mann auf eine Weise aus dem Konzept zu bringen, dass Geary nur staunen konnte. War es nur gespielt, um seine Kontrahenten zu täuschen, damit sie ihn unterschätzten? In den alten Unterlagen war Geary auf keine Hinweise gestoßen, die eine solche Taktik erwähnten.
Schließlich schüttelte Captain Falco den Kopf. »Mir ist klar, dass uns bei Vidha Syndik-Streitkräfte erwarten werden. So wie wir sehen die Syndiks Vidha auch als die einzige vernünftige Alternative an.«
Dass er Begriffe wie »wir« und »uns« einfließen ließ, war ebenfalls eine kluge Taktik, musste Geary dem Mann zugestehen.
»Von dort gelangen wir nicht nur zügig zurück ins Allianz-Gebiet, wir bekommen auch die Gelegenheit, die bei Vidha lauernden Syndiks vernichtend zu schlagen.«
»Ich betrachte das eher als eine Gelegenheit, barfuß in einen Korb voller Skorpione zu steigen«, hielt Geary dagegen. »Unsere beste Wahl ist immer noch die, dann einen Kampf zu beginnen, wenn wir den Ort und den Zeitpunkt bestimmen können. Wenn wir nach Vidha reisen, bestimmen die Syndiks darüber. Bei Vidha können wir bestenfalls damit rechnen, massive Verluste zu erleiden und alle Überlebenden im nächsten System zur leichten Beute für den Feind zu machen, wenn wir überhaupt noch eines erreichen.«
Falco zog die Augenbrauen zusammen und machte eine lange Pause, um Gearys Worte zu verarbeiten. »Ich verstehe. Sie betrachten das Ganze unter dem materiellen Gesichtspunkt.« Er ließ es klingen, als sei das eine fehlgeleitete, wenn auch nicht völlig unvernünftige Einstellung.
»Materieller Gesichtspunkt?«, wiederholte Geary. »Sie meinen Dinge wie Anzahl und die Art der Gegner? Eingerichtete Minenfelder? Feste Verteidigungsanlagen, die nur darauf warten, die mobilen Einheiten zu unterstützen?«
»Ja, genau«, meinte Falco strahlend und ließ Bewunderung für Gearys Verständnis erkennen. »Das sind völlig zweitrangige Faktoren. Sie wissen das! Sie sind Black Jack Geary! Die Moral steht in einem Verhältnis von drei zu eins zum Material! Mit uns als Befehlshabern …« Falco zögerte und lächelte gut gelaunt. »Mit Ihnen als Befehlshaber und mit mir an Ihrer Seite besitzt diese Flotte eine überwältigende moralische Überlegenheit. Die Syndiks werden in heller Aufregung die Flucht ergreifen, und wir werden keine Schwierigkeiten haben, sie zu zermalmen.«
Geary fragte sich, ob er sich einfach nicht anmerken lassen wollte, wie entsetzt er war. Die Feuerkraft zu einem zweitrangigen Faktor nach der Moral zu erklären! Zugegeben, die Moral zählte auch, aber seit Geary das Kommando übernommen hatte, waren ihm die Syndiks nicht als so schlecht ausgebildet und so unmotiviert erschienen, dass sie sich von der Allianz-Flotte in Panik versetzen lassen würden. »Captain Falco, diese Flotte hat bei Kaliban gegen eine erhebliche Syndik-Streitmacht gekämpft. Sie hat nicht besonders gut gekämpft, aber sie hat gekämpft.«
»Ich habe mir die Aufzeichnungen dieser Schlacht angesehen«, merkte Falco an. »Für Ihre Anstrengungen sind Sie wirklich zu beglückwünschen. Aber sehen Sie doch nur, wie wenige unserer Schiffe wir verloren haben! Die Syndiks haben so schlecht gekämpft, weil unsere moralische Kraft sie überwältigt hat!«
»Die Syndiks wurden überwältigt, weil wir zahlenmäßig überlegen waren und weil wir alte Taktiken eingesetzt haben, auf die sie nicht vorbereitet waren«, berichtigte Geary ihn. »Bislang habe ich immer wieder erleben müssen, dass die Syndiks sogar dann kämpfen, wenn sie hoffnungslos unterlegen sind und wenn der gesunde Menschenverstand ihnen vorschreibt, dass man besser keine Flotte herausfordert, die in der Lage ist, ganze Planeten zu zerstören.«
»Niemand hat gesagt, dass die Syndiks schlau sind«, tat Falco mit einem erneuten Lächeln kund. »Unser Ziel ist es, die Syndik-Flotte in einen Kampf zu verwickeln und dabei auszulöschen. Wenn die blindlings in ihr Verderben laufen wollen, kommt uns das nur umso gelegener.«
»Mein Ziel ist, diese Flotte so vollständig wie möglich nach Hause zu bringen«, machte Geary ihm klar. Einen Moment lang überlegte er, ob er Falco von dem Hypernet-Schlüssel erzählen sollte, der sich an Bord der Dauntless befand, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Nach allem, was er bislang von dem Mann zu sehen und zu hören bekommen hatte, wollte er Falco einfach nicht eine so heikle Information anvertrauen. »Ich hoffe, wir können den Syndiks dabei erheblichen Schaden zufügen, aber das oberste Ziel ist und bleibt, diese Flotte heimzubringen.«
Falco starrte Geary an und war diesmal offenbar richtig schockiert. »Sie können doch nicht eine solche Gelegenheit zum Kämpfen ungenutzt verstreichen lassen!«
Geary stand auf und ging langsam in seiner Kabine auf und ab, ohne den anderen Captain anzusehen. »Warum nicht?«
»Das ist … das ist eine Allianz-Flotte!«
»Ganz genau.« Er warf Falco einen ausdruckslosen Blick zu. »Und ich habe nicht vor, sie grundlos in ihren Untergang zu führen. Damit würden wir nur den Syndiks einen Gefallen tun. Wie ich bereits erwähnte, kämpfe ich nach Möglichkeit immer nur, wenn und wo ich es will.«
»Aber Sie sind Black Jack Geary!«
»Ich bin John Geary, und ich werde weder die Schiffe dieser Flotte noch ihre Besatzungsmitglieder einem Risiko aussetzen.«
Falco hatte den Schock überwunden und setzte eine verbohrte Miene auf. »Das ist unglaublich. Wenn die Befehlshaber unserer Schiffe abstimmen …«
»Es wird nicht darüber abgestimmt, welche Maßnahmen in dieser Flotte ergriffen werden, Captain Falco.«
Das schien den Mann noch mehr zu erschüttern als alles, was Geary bislang gesagt hatte. Er war mittlerweile davon überzeugt, dass Falcos Geschick, so wie das von Admiral Bloch, sich ganz auf ein politisches Taktieren konzentrierte, um den Ausgang solcher Abstimmungen zu seinen Gunsten zu manipulieren. Vermutlich hatte Falco seine größten Siege am Konferenztisch errungen, aber nicht auf dem Schlachtfeld. Auf einmal redete Falco langsam weiter, als sei es ihm wichtig, dass Geary etwas begriff. »Die Tradition verlangt, dass die Weisheit und die Erfahrung eines jeden Schiffskommandeurs bei der Entscheidung über die Vorgehensweise der Flotte eine Rolle spielen.«
»Tradition?« Kopfschüttelnd ging Geary erneut hin und her. »Ich glaube, ich weiß besser als Sie darüber Bescheid, welche Tradition bei dieser Flotte einmal gezählt hat. Versuchen Sie es mal mit Vorschriften, mit Ordnung und Disziplin. Ich bin der Befehlshaber dieser Flotte, Captain Falco. Ich werde mir jeden Rat und jeden Vorschlag anhören, der mir unterbreitet wird, aber am Ende entscheide ich darüber, was diese Flotte macht oder was sie unterlässt.«
»Sie müssen den Kommandanten dieser Flotte mit dem angemessenen Respekt begegnen!«
Geary nickte. »In dem Punkt sind wir uns einig, aber das heißt nicht, dass ich deswegen meine Verantwortung und meine Pflicht vernachlässige, wichtige Entscheidungen zu treffen.«
»Ich muss darauf bestehen, dass die Kommandoprozeduren befolgt werden, die diese Flotte im Angesicht eines unendlichen Krieges entwickelt hat.« Falco wirkte stur und stolz, da er in diesem Punkt nicht nachgeben wollte. Geary erkannte, dass der Mann auf die gleiche Weise in den Kampf gezogen war, wenn er nicht einsehen wollte, dass ein Frontalangriff sinnlos war. Bemerkenswert daran war, wie offen er diese Einstellung vertrat. Falco glaubte allen Ernstes, seine Methode sei die richtige.
Also brachte Geary seinen Tonfall unter Kontrolle und erklärte ruhig: »Ich habe großen Respekt vor den Offizieren, an deren Seite ich diene. Ich habe ebenfalls großen Respekt vor den Traditionen der Flotte. Ich bin aber auch verpflichtet, meine Aufgaben zu erfüllen, wie sie durch die Regeln und Vorschriften der Flotte bestimmt werden. Mit diesen Regeln und Vorschriften habe ich mich eingehend beschäftigt, und die sagen nichts darüber aus, dass Entscheidungen des Befehlshabers durch eine Abstimmung bestätigt werden müssen.«
»Es geht hier nicht um stures Festhalten an Regeln, die angesichts der Bedrohung, der wir gegenüberstehen, hoffnungslos veraltet sein könnten«, konterte Falco.
Geary kam dieser Spruch bekannt vor. Falco hatte sich vor seiner Gefangennahme durch die Syndiks so oder ähnlich bei zahlreichen Anlässen geäußert, und üblicherweise waren diese Bemerkungen gegen die Regierung der Allianz gerichtet gewesen. »Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Captain Falco, ich habe auch Respekt für diese überholten Regeln, und ich bestehe darauf, dass die Flotte sie auch befolgt.«
»Ich wiederhole, ich bestehe darauf …«
»Sie besitzen keine Autorität, auf irgendetwas zu bestehen. Ich bin der dienstälteste Offizier in dieser Flotte, und ich habe das Kommando. Ich halte nichts von Befehlsstrukturen, die auf Abstimmungen beruhen, und ich werde diese Prozeduren nicht anwenden. Das ist mein letztes Wort.« Falco wollte zum Reden ansetzen, aber Geary brachte ihn mit einem eindringlichen Blick zum Schweigen. »Sie haben Ihren Vorschlag unterbreitet. Gibt es sonst noch etwas?«
Schließlich stand Falco auch auf, sein Gesicht war rot angelaufen. »Ich habe mir Ihren Plan angesehen, mit dem Sie Vergeltung üben. Diese erste kinetische Salve, mit der Sie die beiden bewohnten Welten in diesem System bombardieren wollen, wird viele wichtige Ziele verschonen. Wir müssen alles vernichten, was den Syndiks in diesem System nützt.«
»Ich lasse industrielle und militärische Einrichtungen ebenso zerstören wie Regierungsgebäude, Captain Falco.«
»Sie lassen viele Syndik-Arbeiter am Leben, die so weiterhin für die Syndikatwelten aktiv sein können. Deren Fähigkeit, die Kriegsanstrengungen der Syndiks zu unterstützen, muss dauerhaft unterbunden werden.«
»Dauerhaft unterbunden?«, gab Geary zurück. »Ist das eine Umschreibung dafür, dass wir sie umbringen sollen?«
Falco sah ihn ungläubig an. »In diesem Krieg geht es um alles, woran wir glauben, Captain Geary. Wir können nicht zulassen, dass gesetzliche Spitzfindigkeiten uns daran hindern, alles zu tun, was getan werden muss, um unser Zuhause und unsere Familien zu schützen.«
»Gesetzliche Spitzfindigkeiten? So nennen Sie das? Und Sie glauben, die sind das Einzige, was uns davon abhält, die Zivilbevölkerung dieser beiden Welten abzuschlachten, Captain Falco?«, fragte Geary in einem trügerisch ruhigen Tonfall.
Falco schien die Frage zu verblüffen, und er antwortete darauf, als hätte er ein Kleinkind vor sich. »Die sind ein Teil der Kriegsmaschinerie der Syndiks. Nur wenn wir alle Aspekte ihrer Macht zerschlagen, können wir siegen.«
»Und Sie sind der Ansicht, dass ein solches Handeln für alles steht, woran wir glauben? Dass unsere Vorfahren einen Massenmord gutheißen werden?«
»Die Syndiks haben Schlimmeres verbrochen!«
»Und deshalb kämpfen wir gegen sie, nicht wahr?« Geary beschrieb mit seiner Hand energische Gesten. »Ich werde Grausamkeiten weder selbst begehen noch zulassen, dass ein anderer sie begeht, solange ich das Kommando habe. Es wird nur eine Salve auf diese beiden Welten abgefeuert, um die Aktionen der Syndiks gegen unsere Flotte zu vergelten. Die Ziele sind industrielle, militärische und Regierungseinrichtungen. Punkt.«
Falco schien zwischen Erstaunen und Entrüstung zu schwanken. »Ich hatte davon gehört, dass Sie gefangene Syndiks verschont haben, aber ich hätte nicht geglaubt, Sie könnten so weich sein.«
»Weich?« Der Begriff ärgerte Geary nicht, sondern amüsierte ihn. »Ich habe kein Problem damit, gegen Syndik-Militärs zu kämpfen. Wenn Sie sich wirklich damit beschäftigt haben, was bei Kaliban geschehen ist, dann sollte Ihnen das klar sein. Was die Behandlung von Kriegsgefangenen angeht, hätte ich gedacht, dass Ihnen durch Ihre letzten beiden Jahrzehnte in Gefangenschaft bewusst geworden wäre, was es heißt, mit Kriegsgefangenen nach dem Kriegsrecht zu verfahren.« Er hielt inne, da er erkannte, dass es zu nichts führte, wenn er Falco noch länger Kontra gab. Aber ihm war auch klar, dass Falco jede Schwäche nutzen würde, die er bei seinem Gegner zu erkennen glaubte. »Ich wurde ausgebildet, um Dinge auf eine Weise zu erledigen, die irgendwann in Vergessenheit gerieten, Captain Falco. Ich habe diese Ausbildung aus der Vergangenheit mitgebracht, damit ich dieser Flotte helfen kann, besser zu kämpfen. Ich habe auch eine Einstellung mitgebracht, die von manchen als veraltet angesehen wird. Aber ich glaube an diese Einstellung, und ich glaube, sie wird die Flotte stärken.«
Falco sah ihn mit starrer Miene an. »Das sagen Sie.« Es kostete ihn sichtlich Mühe, sich unter Kontrolle zu bekommen. »Vielleicht sollten wir noch einmal von vorn anfangen.«
Geary nickte. »Keine schlechte Idee.«
»Wir wollen beide das Gleiche«, begann er und lächelte wieder gefällig, während Geary sich fragte, was Falco unter diesem ›Gleichen‹ verstand. »Gemeinsam können wir viel erreichen.«
»Für die Allianz?«, hakte Geary nach.
»Ja, natürlich. Aber die Allianz benötigt starke Führungskräfte! Das können wir für die Allianz sein.« Falco schüttelte den Kopf und seufzte theatralisch. »Sie sehen ja, wie sich die Dinge heutzutage gestalten. Der Zustand der Flotte. Die Leute, die der Flotte Befehle geben. Diese Rione. Eine Allianz-Senatorin, die die Flotte begleitet. Als ob wir Politiker bräuchten, die uns über die Schulter schauen, ob wir unsere Arbeit auch ja richtig machen! Ich hörte, dass diese Frau Ihnen das Leben schwer macht, und ich habe auch nichts anderes vermutet.«
Geary versuchte, eine nichtssagende Miene zu machen. »Das haben Sie gehört?«
»Von vielen Seiten. Aber natürlich können wir zusammenarbeiten und ihren Einfluss neutralisieren.«
»Interessante Idee«, sagte Geary so unbeteiligt, wie er nur klingen konnte. Ihm wurde bewusst, dass Falco das gleiche Gespräch womöglich bereits mit der Co-Präsidentin geführt hatte, um sich bei ihr über Gearys Anwesenheit zu beklagen und ihr vorzuschlagen, gemeinsam gegen ihn zu arbeiten. Er fragte sich, ob Rione ihm davon etwas sagen würde, falls er sie darauf ansprach.
Falco beugte sich vor und hob den Zeigefinger. »Wenn diese Flotte in Allianz-Gebiet zurückkehrt, dann können ihre Anführer selbst über ihre eigene Zukunft bestimmen. Das ist Ihnen sicher klar. Uns bietet sich die historische Gelegenheit, die Richtung vorzugeben, wie die Allianz diesen Krieg vorantreiben und wie sie Entscheidungen treffen soll. Dadurch wird es uns möglich, die Bedingungen zu schaffen, die diesem Krieg ein Ende bereiten werden. Sie werden jemanden an Ihrer Seite benötigen, der mit den aktuellen Verhältnissen vertraut ist. Jemand, der Ihnen hilft, sich gegen die Politiker zur Wehr zu setzen, die alles Menschenmögliche getan haben, um die Allianz in den Ruin zu treiben und sie hilflos den Syndiks zu überlassen.«
Geary sah ihn einfach nur an, ohne eine Miene zu verziehen. Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Captain Falco bei der Rückkehr ins Allianz-Gebiet eine Presseerklärung herausgeben wird, in der er sich diesen Erfolg zuschreibt und mich bestenfalls auf eine Nebenrolle reduziert? »Captain Falco, Sie haben eine Weile in einem Arbeitslager der Syndiks zugebracht. Ihr eigenes Wissen über die aktuellen Verhältnisse hinkt der Realität zwanzig Jahre hinterher.«
Falcos Lächeln hatte jetzt nicht nur etwas Vertrauliches, sondern auch etwas Verschwörerisches. »Ich habe Freunde, die mich umgehend auf den neuesten Stand bringen können. Immerhin habe ich deutlich weniger Jahrzehnte nachzuholen als Sie, nicht wahr?«
»Captain Falco, ich bin für jeden nützlichen Ratschlag dankbar. Aber meine vorrangige Aufgabe ist es, diese Flotte sicher nach Hause zu bringen. Wenn wir dort angekommen sind, werde ich die Flotte der gewählten Führung der Allianz übergeben, ganz gleich, was ich von deren Entscheidungen halte. Wenn ich rechtmäßige Entscheidungen der Allianz-Führung nicht guten Gewissens mittragen kann, dann ist es meine Pflicht, von meinem Posten in dieser Flotte zurückzutreten.«
»Der Erhalt der Allianz ist wichtiger als irgendwelche Vorrechte von Politikern«, meinte Falco abfällig.
»Captain Falco, in der Zeit, aus der ich komme, bedeutete der Erhalt der Allianz, dass man das bewahrte, wofür die Allianz stand: den Erhalt der individuellen Rechte und des Wahlrechts.« Falco gab sich erkennbar Mühe, nicht schon wieder die Stirn in Falten zu legen. »Ich möchte weiterhin auf konstruktive Weise mit Co-Präsidentin Rione zusammenarbeiten. Und ich hoffe darauf, dass Sie hinter all meinen Entscheidungen stehen.«
Falco musterte ihn mit einem Hauch von Skepsis in seinen Augen, obwohl er unverändert lächelte. »Ein solcher Rückhalt hat seinen Preis.«
Na, was für eine Überraschung! »Ich fürchte, ich kann Ihnen im Gegenzug nicht mehr bieten als das Wohlergehen der Flotte und der Allianz.«
»Das ist alles, was mich interessiert!« Es klang ehrlich, und vermutlich war es auch so gemeint. Falco glaubte, er könne die Allianz retten und bessere Entscheidungen treffen als die gewählten Führer der Allianz. »Die Allianz braucht eine starke Führungspersönlichkeit. Ich muss wissen, ob Ihr Handeln kurz- und langfristig dem Wohl der Allianz dienen wird, und im Augenblick habe ich ehrlich gesagt das Gefühl, dass Ihnen nicht klar ist, wie dramatisch sich die Lage in den vielen Jahren zugespitzt hat, die Sie im Kälteschlaf verbrachten.«
Es war leichter gewesen, Falco für einen Opportunisten zu halten. Stattdessen jedoch wurde er allem Anschein nach von der ehrlichen Überzeugung angetrieben, dass nur er allein die Allianz retten konnte. In gewisser Weise machte ihn das zu einem noch gefährlicheren Mann, überlegte Geary. Niemand sonst konnte an sein Idealbild von der besten Führungspersönlichkeit heranreichen, weil dieser Posten in seiner Welt ausschließlich für Falco reserviert war. Und genauso konnte auch niemand etwas richtig machen, wenn Falco etwas dagegen einzuwenden hatte.
Geary versuchte, so sachlich wie möglich zu reden. »Ich verstehe, dass Sie um das Wohlergehen der Allianz besorgt sind. Wir mögen auch von Zeit zu Zeit geteilter Meinung sein, was die richtige Vorgehensweise betrifft. Aber das Schicksal und mein Dienstgrad haben mich zum Befehlshaber dieser Flotte gemacht. Ich kann nicht guten Gewissens meine Pflicht gegenüber der Flotte und der Allianz leugnen, die von mir verlangt, dass ich alles tue, um sie zu führen. Ich denke, wir sind einer Meinung, dass es für den weiteren Kriegsverlauf wichtig ist, die Flotte in Allianz-Gebiet zurückzubringen, und ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, dieses Ziel Wirklichkeit werden zu lassen.«
Wieder war Falco ernst geworden. »Sie erwarten von mir, dass ich tatenlos zusehe, wie Sie Gelegenheiten ungenutzt lassen, um den Syndikatwelten vernichtende Schläge zuzufügen? Und das, während die Flotte durch abgelegene Systeme schleicht, anstatt die Konfrontation mit dem Feind zu suchen? Während ahnungslose, unerfahrene Politiker uns vorschreiben wollen, wie wir diesen Krieg zu führen haben?«
»Nichts davon entspricht den Tatsachen«, gab Geary zurück. »Wir stellen uns dem Feind, wir sind auf dem Heimweg, und Co-Präsidentin Rione mischt sich nicht in die Entscheidungen ein, die ich für diese Flotte treffe.«
»Langer Kälteschlaf bleibt nicht folgenlos«, erklärte Falco in einem so bissigen Tonfall, dass er es mit Captain Faresa hätte aufnehmen können. »Er wirkt sich auf das Urteilsvermögen aus.«
»Und Ihr Urteilsvermögen ist absolut tadellos?«, fragte Geary. »Haben Sie jemals einen Fehler gemacht, Captain Falco? Jemals?«
Falco sah ihn mit unverhohlener Feindseligkeit an. »Es gab Zeiten, da habe ich manchen Untergebenen zu sehr vertraut, aber mir persönlich ist es immer gelungen, kapitale Fehler zu vermeiden. Und deshalb sollte ich derjenige sein, der diese Flotte befehligt. Ich werde versuchen, meine Kameraden von dieser Tatsache zu überzeugen.«
»Ich verstehe.« Einen Moment lang fragte sich Geary, was wohl passieren würde, wenn Leute, die an perfekte Helden glaubten, mit einem Mann zusammenkamen, der sich selbst für perfekt hielt. Die Vorstellung hatte etwas Erschreckendes an sich. »Captain Falco, ich habe hier einen Job zu erledigen, und die damit verbundene Verantwortung nehme ich sehr ernst. Ihre Pflicht gegenüber der Allianz besteht darin, meine Bemühungen zu unterstützen. Ich werde es nicht tolerieren, wenn Sie versuchen sollten, mich in meiner Arbeit zu behindern oder meine Befehlsgewalt zu unterhöhlen. Falls Sie das tun, werde ich dafür sorgen, dass Sie es bereuen. Zweifeln Sie nicht meine Ehre an, Captain Falco. Es mag sein, dass sie etwas Altmodisches ist, aber ich nehme sie sehr ernst.«
Falco starrte Geary sekundenlang an, dann machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte zur Tür. »Captain Falco.« Mitten in der Bewegung hielt er inne und wartete, was Geary von ihm wollte. »Sie dürfen jetzt wegtreten.« Zwar konnte er Falcos Gesicht nicht sehen, aber ihm entging nicht, wie sich sein Genick dunkelrot verfärbte.
Er wirbelte zu Geary herum, im gleichen Moment öffnete sich die Luke und gab den Blick frei auf Rione, die draußen stand und im Begriff gewesen war, die Türglocke zu betätigen.
Sie blieb dort stehen, während Falco eine unverhohlene Drohung aussprach, ohne dass er Rione bemerkt hatte. »Diese Flotte verdient einen Befehlshaber, dessen Tapferkeit und Kühnheit es mit der ihrer Matrosen aufnehmen kann. Wenn Sie kein solcher Befehlshaber sein können, dann wird sich diese Flotte einen neuen suchen.« Er drehte sich weg, erstarrte kurz, als er Rione erblickte, und stürmte dann wortlos an ihr vorbei nach draußen.
Rione sah Geary interessiert an. »Und? Ist Ihre Besprechung angenehm verlaufen?«
»Sehr witzig. Was führt Sie zu mir zurück?«
»Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass Captain Falco mir gegenüber Zweifel angemeldet hat, ob Sie tatsächlich im Interesse der Allianz handeln«, ließ sie ihn wissen.
»Bei mir hat er sich in ganz ähnlicher Weise über Sie ausgelassen«, erwiderte Geary.
»Und über einiges andere auch noch, darf ich annehmen«, sagte Rione. »Jetzt wissen Sie, woran Sie bei ihm sind.« Mit diesen Worten verließ sie ihn gleich wieder.
Geary schloss die Augen und rieb sich die Stirn in dem vergeblichen Bemühen, sich zu entspannen. Die Luke schloss sich, und er setzte sich wieder hin. Nachdem er eine Weile mit den Fingern auf die Armlehne getrommelt hatte, rief er Captain Desjani. »Hätten Sie Zeit, in meine Kabine zu kommen? Ich würde gern ein paar Dinge mit Ihnen besprechen.«
Wenige Minuten später war sie bereits eingetroffen und warf ihm einen fragenden Blick zu. »Sie wollten mit mir unter vier Augen sprechen, Sir?«
»Ja.« Geary deutete auf einen Sessel, in dem sie so steif Platz nahm, als sitze sie in Habtachtstellung da. Ich muss wissen, was andere Offiziere denken. »Captain, ich wüsste gern Ihre ehrliche Meinung über Captain Falco.«
Desjani zögerte. »Genau genommen steht Captain Falco über mir.«
»Ja, aber Sie haben den gleichen Dienstgrad, und er wird diese Flotte nicht befehligen.«
Nun schien sie etwas ruhiger zu werden. »Captain Falco ist mir nur seinem Ruf nach ein Begriff, und ich kenne die Geschichten, die ältere Offiziere über ihn erzählen, Sir.«
»Ich habe den Eindruck gewonnen, dass er gut angesehen ist.«
»Ja, im Sinne eines toten Helden. Captain Falco wurde als ein inspirierendes Beispiel angesehen.« Sie verzog den Mund. »Wollen Sie, dass ich offen spreche, Sir?« Geary nickte. »Wenn Black Jack Geary in der Flotte den Ruf genießt, ein Gott zu sein, dann wird Falco der Kämpfer als Halbgott angesehen. Die Offiziere loben seinen Kampfgeist und seine gesamte Einstellung.«
Wieder nickte Geary und dachte über die Ironie nach, dass die beiden Eigenschaften, die an Falco bewundert wurden, genau die waren, die er an dem Mann überhaupt nicht ausstehen konnte. »Hält man ihn immer noch für einen guten Befehlshaber?«
Desjani dachte sekundenlang nach. »Wenn ein anderer Captain als Sie das Kommando über die Flotte hätte, dann wäre Captain Falco sehr wahrscheinlich bereits der neue Befehlshaber.«
»Wie würde Ihnen das gefallen?«
Abermals verzog sie den Mund. »Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt, mit einem Commander zusammenzuarbeiten, der nicht darauf aus ist, dass ich auf der Flottenkonferenz für seine Vorschläge stimme, Sir. Wenn Sie sich erinnern, Sir, Sie hatten mich gelobt, als wir im Shuttlehangar standen. Das hat mir sehr viel bedeutet, weil Sie in der Lage sind, mich und mein Schiff beurteilen zu können. Als Captain Falco sein Lob aussprach …, da wusste ich, das hatte ich mir nicht verdient. Der Kontrast war sehr deutlich: Ein Commander respektiert meine Arbeit, ein anderer will mir nur schmeicheln, um mich später zu benutzen.«
Geary dankte insgeheim jenem Impuls, der ihn zu seinen Äußerungen veranlasst hatte. Vielleicht hatten ja manchmal doch die Vorfahren ihre Hand im Spiel. »Noch andere Eindrücke?«
»Er ist sehr engagiert, Sir«, antwortete sie nach längerem Zögern. »Ich dachte, Admiral Bloch sei schon gut gewesen, aber er hätte es mit Falco überhaupt nicht aufnehmen können. Inzwischen habe ich noch mal mit Lieutenant Riva gesprochen. Er und andere befreite Gefangene sind fest davon überzeugt, dass Captain Falco nichts stärker am Herzen liegt als das Wohl der Allianz. Er hat im Arbeitslager viel dafür getan, die Moral zu stärken und jedem zu versichern, der Sieg der Allianz sei nicht mehr fern. Lieutenant Riva glaubt, etliche Mitgefangene hätten ohne Falcos Vorbild den Mut und damit den Lebenswillen verloren.«
Das wäre alles einfacher, ginge es Falco nur um den Ruhm, überlegte er. Aber er ist ein so inspirierender Führer, und ihm ist die Allianz wichtig. Leider bedeutet seine Vision von der Errettung der Allianz, dass er aus ihr ein Spiegelbild der Syndikatwelten schaffen würde. Mögen uns die Vorfahren vor jenen Menschen beschützen, die von sich behaupten, sie verteidigen die Allianz, obwohl sie in Wahrheit alles zerstören, was diese Allianz ausmacht. »Danke, Captain Desjani. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Captain Falco beabsichtigt, sich selbst zum rechtmäßigen Befehlshaber der Flotte zu ernennen.«
»Sir, wie ich schon sagte … wenn ein anderer als Sie die Flotte führen würde, und wenn Sie uns nicht schon erfolgreich hierher gebracht und diese Schlacht bei Kaliban gewonnen hätten, dann würde Captain Falco wohl innerhalb von ein paar Tagen das Kommando übernehmen. Er ist … ähm …«
»Etwas charmanter als ich?«, fragte Geary ironisch.
»Ja, Sir.« Sie schwieg einen Moment lang. »Ehrlich gesagt, wenn ich ihm vor Ihnen begegnet wäre, könnte ich anders darüber denken. Die Veränderungen, die Sie eingeführt haben, waren oft nur schwer zu akzeptieren. Aber Sie haben mir ein neues Bild von vorgesetzten Offizieren vermittelt.«
Geary sah zur Seite, da ihm so viel Lob peinlich war. »Was ist mit den übrigen Schiffskommandeuren? Glauben Sie, die denken genauso wie Sie?«
»Schwer zu sagen. Es gibt nach wie vor einen harten Kern, der lieber auf die ›ehrbare‹ Art kämpfen würde anstatt auf diese diszipliniertere Weise, die Sie eingeführt haben. Das sind Leute, die glauben, der Kampfgeist sei das wichtigste Element bei einem Gefecht. Die sind der Ansicht, es mangelt Ihnen an diesem Kampfgeist, Sir.«
Das war für ihn nichts Neues. »Ich weiß. ›Die Moral steht in einem Verhältnis von drei zu eins zum Material!‹ Eigentlich müsste diese Haltung doch genug Katastrophen nach sich gezogen haben, um auch diejenigen zur Einsicht zu bringen, die an diesem Glauben festhalten.«
Desjani lächelte humorlos. »Ein Glaube ist nun mal dazu da, dass man an ihm festhält.«
So wie der Glaube an ihn, oder besser gesagt an Black Jack Geary, den er sich zunutze gemacht hatte. Er nickte nachdenklich; »Da haben Sie recht. Gibt es genug von diesen … Gläubigen, dass sie Captain Falco an die Macht bringen könnten?«
»Nein, Sir. Es gibt immer noch viele Skeptiker, aber deshalb würden sie sich noch lange nicht hinter Captain Falco stellen. Viele waren von Ihren Leistungen sehr beeindruckt, Sir.« Sie musste seine zweifelnde Miene bemerkt haben. »Bei Kaliban haben Sie es ihnen allen gezeigt, Sir, auch wenn die Erkenntnisse aus dieser Schlacht eine Weile brauchen, bis sie überall in der Flotte Eingang finden. Und da Sie mich schon gebeten haben, offen zu reden, Sir, möchte ich anfügen, dass Ihre moralischen Standpunkte viele Offiziere und Matrosen tief beeindruckt haben, weil sie auf dem beruhen, woran unsere Vorfahren glaubten. Wir haben so vieles vergessen, oder wir haben uns gestattet, so vieles zu vergessen, aber Sie halfen uns, diese Dinge in Erinnerung zur rufen.«
Geary war zu verlegen, um ihr in die Augen sehen zu können. »Danke. Ich hoffe, ich kann einer solchen Einschätzung auch gerecht werden. Captain Desjani, bei der Flottenkonferenz, die ich gleich einberufen werde, könnte es Arger geben.«
»Das ist doch bei Flottenkonferenzen normal«, stellte Desjani fest.
»Ja«, stimmte er ihr mit einem flüchtigen Lächeln zu. »Aber diesmal dürfte es schlimmer werden als üblich. Zum Teil hat das damit zu tun, dass ich mit Captain Falcos Anwesenheit rechne, der sein Gewicht in die Waagschale werfen wird. Zum Teil hängt es mit dem Vorschlag zusammen, den ich dort verkünden will.«
»Was genau planen Sie, Sir?«
»Ich plane, mit dieser Flotte nach Sancere zu fliegen.«
»Sancere?«, wiederholte Desjani verwundert und versuchte zu überlegen, was es mit dem System auf sich hatte, dann machte sie plötzlich große Augen. »O ja, Sir, das wird allerdings Arger geben.«
Geary war auf dem Weg zur Brücke, sah auf die Uhr und traf noch kurz vor dem Abschuss der kinetischen Waffen ein. Er nahm in seinem Kommandosessel Platz, während Captain Desjani ihn mit einem angedeuteten Nicken begrüßte, als befände sie sich schon seit Stunden auf der Brücke und sei nicht erst wenige Minuten vor ihm eingetroffen.
Das Display schaltete auf die Darstellung der Planeten um, die Ziele der Waffen leuchteten auf. Geary ging sie noch einmal durch und dachte darüber nach, dass er die Macht besaß, ganze Welten in Schutt und Asche zu legen. Falco hatte den Eindruck erweckt, dass er genau das auch ohne zu zögern tun würde. Aber nach zwanzig Jahren auf einem kargen Felsblock wäre Geary vielleicht auch darauf versessen, diese Welt zum Teufel zu bomben. »Sie können wie geplant mit der Bombardierung beginnen.«
Desjani nickte wieder, dann gab sie dem Waffen-Wachhabenden ein Zeichen, der eine einzelne Taste drückte und den Autorisierungscode eingab.
Es schien alles so einfach, so sauber und ordentlich. Geary rief das Flottendisplay auf und wartete. Dann sah er, wie seine Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer ihre Salven abfeuerten. Robuste Flugkörper aus Metall, aerodynamisch geformt und mit einer speziellen Keramikschicht überzogen, damit sie beim Eintritt in die Atmosphäre nicht verglühten. Mit hoher Geschwindigkeit wurden die kinetischen Geschosse abgefeuert, die beim Anflug auf ihre planetaren Ziele durch deren Anziehungskraft weiter beschleunigten. Sobald sie die Oberfläche erreichten, wurde diese kinetische Energie in Form von Explosionen freigesetzt, die nur riesige Krater und Trümmer hinterließen.
Geary sah mit an, wie die auf Sutrah V gerichteten Flugkörper in die Atmosphäre eintauchten, und er fragte sich, was für ein Anblick das für diejenigen auf dem Planeten war. »Die müssen sich sehr hilflos fühlen.«
»Sir?« Desjanis Frage ließ Geary erkennen, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte.
»Ich habe nur überlegt, wie man sich fühlen muss, wenn man auf dem Planeten steht und das Bombardement kommen sieht«, gab er zu. »Keine Möglichkeit, es abzuwenden, keine Chance, noch davonzulaufen, wenn man sich dort aufhält, wo sie niedergehen sollen, und kein Schutzraum, der diesem Aufprall standhalten kann.«
Desjanis Blick trübte sich, als sie sich diese Bilder ebenfalls durch den Kopf gehen ließ. »So habe ich darüber noch nie nachgedacht. Allianzwelten haben das auch schon erlebt, und ich weiß, wie hilflos ich mich fühlte, als ich davon hörte, weil ich nichts dagegen unternehmen konnte. Ja, ich muss schon sagen, ich habe lieber etwas, das sich steuern und im Kampf einsetzen lässt.«
Inzwischen glühten alle auf Sutrah V gerichteten Geschosse, da sie in die Atmosphäre hinein flogen und sich wie ein Schwarm todbringender Glühwürmchen der Planetenoberfläche näherten. Von der Position der Dauntless aus konnte Geary sehen, dass über einen Teil der Welt die Nacht hereingebrochen war. Dort am dunklen Himmel wirkte das zerstörerische Farbenspiel noch prächtiger. »Es hat nichts Ehrbares an sich, hilflose Menschen zu töten«, murmelte er und gedachte dessen, wozu Falco ihn hatte drängen wollen.
Zu seiner Überraschung nickte Desjani zustimmend. »Das ist wahr.«
Er erinnerte sich daran, wie sie einmal ihr Bedauern darüber ausgedrückt hatte, dass die Null-Feld-Waffen nur eine kurze Reichweite besaßen und innerhalb eines Schwerkraftfelds keine Wirkung erzielten, weshalb sie nicht gegen Planeten eingesetzt werden konnten. Geary fragte sich, ob das immer noch ihre Meinung war.
Er veränderte den Maßstab seines Displays, damit er eines der Ziele genauer betrachten konnte, eine noch funktionstüchtige Industrieanlage, die in der multispektralen Darstellung die Wärme der Geräte und die Strahlung der elektronischen Signale aus den Kabeln anzeigte. Es gab keinen Hinweis darauf, dass sich dort noch Menschen aufhielten. Offenbar hatten sie seine Warnung ernst genommen und das Gebiet weiträumig evakuiert. Geary konnte nicht sehen, wie das Geschoss einschlug, weil dieser Moment für das menschliche Auge viel zu schnell ablief. Sein Verstand stellte sich dennoch vor, wie etwas Verwischtes auftraf, gefolgt von einem grellen Blitz, der von Sensoren der Dauntless sofort abgeblockt wurde. Als er die Darstellung etwas verkleinerte, konnte er beobachten, wie eine Druckwelle aus zu Staub zerfallenen Trümmern sich ausbreitete, die Gebäude erschütterte und die Planetenoberfläche erzittern ließ. Er ging mit der Kamera noch weiter zurück, bis er jene Rauchpilze in die Atmosphäre aufsteigen sah, an deren Anblick sich die Menschen längst viel zu sehr gewöhnt hatten. Binnen Sekunden waren Industrieanlagen und Raumhäfen zerstört worden, an denen die Menschen auf Sutrah V über Jahrhunderte hinweg gebaut hatten.
Zwischen der Faszination dieser Zerstörungen und der Trauer angesichts ihrer Unvermeidbarkeit hin- und hergerissen, wählte Geary eine andere Einstellung aus und zoomte sie heran. Das Ziel in der Gebirgskette schien auf den ersten Blick noch recht unversehrt zu sein, doch das lag nur daran, dass dieses kinetische Geschoss so ausgelegt war, beim Aufprall tief in den Fels vorzudringen, bevor es detonierte. Die Folge davon war ein tiefer, aber kleiner Krater, der dort entstanden war, wo sich zuvor noch ein geheimer Kommandoposten befunden hatte. Geary fragte sich, ob die hochrangigen Offiziere, die sich dort verkrochen hatten, während sie die Bevölkerung schutzlos einem Bombardement überließen, wohl noch Zeit genug gehabt hatten, um einzusehen, dass sie sich keineswegs in einem sicheren Versteck aufhielten.
»Ich weiß, die Syndik-Militärbasis ist für Sie nur eine Altlast«, merkte Desjani an. »Aber es hätte uns nicht viel gekostet, sie auch noch auszulöschen, wenn wir den Syndiks sowieso schon eine Lektion erteilen.«
Geary schüttelte den Kopf, sein Blick ruhte immer noch auf den Überresten des geheimen Bunkers. »Das kommt darauf an, welche Lektion wir erteilen wollen, nicht wahr? Ist es Rache? Oder Gerechtigkeit?«
Desjani schwieg lange Zeit. »Rache ist leichter zu verüben, richtig?«
»Ja, weil man nicht viel nachdenken muss.«
Bedächtig nickte sie. Auch wenn seine Lektionen in erster Linie den Syndiks galten, schien Desjani in letzter Zeit ebenfalls viel und häufig nachzudenken.
Auf seinem Display sah er den Schwarm aus Projektilen, die nach Sutrah IV unterwegs waren. Die Menschen dort hatten zweifellos die Einschläge auf der Nachbarwelt mit angesehen und wussten, welches Schicksal vielen Standorten auf der Welt bevorstand, die sie als ihre Heimat betrachteten. Sie würden auch noch gut eine Stunde lang mitverfolgen können, wie sich die Geschosse ihrer Welt näherten, was dieses Erlebnis nur umso schlimmer machte. Ob sie wohl der Allianz die Schuld geben würden? Oder vielleicht den Syndik-Anführern, die rücksichtslos das Leben der Bewohner aufs Spiel gesetzt hatten?
Eine weitere Konferenz war einberufen worden, und es herrschte eine angespannte Stimmung, weil jeder anwesende Commander wusste, dass Geary seine nächsten Schritte bekannt geben würde. Neben Geary war wie üblich nur Captain Desjani tatsächlich anwesend, und wieder fehlte Co-Präsidentin Rione. Diesmal fragte sich Geary unwillkürlich, ob ihre Abwesenheit etwas mit den Gerüchten zu tun hatte, die über ihr Verhältnis zueinander verbreitet wurden.
Dass Captain Falco durch Abwesenheit glänzte, war zwar eine angenehme Überraschung, dennoch begann Geary zu grübeln, was der Mann beabsichtigte. Falco war nicht der Typ, der so leicht aufgab, und es wäre Geary lieber gewesen, dessen politische Spielchen mit ansehen zu können, anstatt nur zu spekulieren, in welcher düsteren Ecke er womöglich Intrigen schmiedete. Er hoffte, dass Riones Spione ihr mitteilen würden, wenn sie etwas Bedenkliches erfuhren — und dass Rione diese Berichte an ihn weiterleitete.
Geary sah sich am Konferenztisch um. Er wusste, er würde einen Sturm der Entrüstung entfesseln, aber es gab einfach keine Alternative. »Ladies und Gentlemen, die Syndiks ziehen ihr Netz enger um uns. Die Fallen, auf die wir in diesem System gestoßen sind, sprechen eine deutliche Sprache: Die Syndiks kalkulieren unsere nächsten Schritte gut genug, um auf unsere Ankunft gefasst zu sein. Wie Sie alle wissen«, oder wissen sollten, fügte Geary in Gedanken an, »hatten die Syndiks an allen Sprungpunkten in diesem System leichte Kriegsschiffe postiert, von denen drei zum Sprung ansetzten, als sie das Licht von unserer Ankunft erreichte. Diese Portale führen zu drei möglichen Zielen, und jedes System ist längst gewarnt worden, um sich auf unser möglicherweise bevorstehendes Eintreffen gefasst zu machen.«
Er wartete auf irgendwelche Kommentare, doch es kam nichts. Alle schienen sie nur auf seine Idee zu warten. »Ich habe mir die Ziele angesehen, zu denen wir von hier aus gelangen können, ebenso die Sterne, die sich von dort aus erreichen lassen, und dabei wird offensichtlich, dass die Syndiks unsere Wahlmöglichkeiten einengen können, damit wir früher oder später einer massiv überlegenen Streitmacht in die Arme fliegen.« Wieder unterbrach er kurz, um seine Worte wirken zu lassen. »Ich bezweifle nicht, dass wir den Syndiks schwere Verluste zufügen könnten, aber dabei würde unsere Flotte vollständig aufgerieben werden.« Er sprach damit ihren Stolz an, außerdem hielt er ihnen vor Augen, dass es nach wie vor um die Rückkehr nach Hause ging.
»Die Marines waren in der Lage, im Arbeitslager eine veraltete, aber trotzdem nützliche Sternenkarte der Syndikatwelten sicherzustellen.« Geary deutete auf Colonel Carabali. »Nachdem ich mich mit dieser Karte beschäftigt habe, bin ich auf eine andere Option gestoßen, mit der wir nicht nur der auf uns lauernden Falle aus dem Weg gehen, sondern den Syndiks einen schweren Schlag zufügen können, der ihre Pläne durcheinanderwirbelt und uns viele Möglichkeiten bietet, um ins Allianz-Gebiet zurückzukehren.« Mit dem Finger zeichnete er eine Linie durch das Display. »Wir kehren mit der Flotte um zu dem Sprungpunkt, durch den wir herkamen, allerdings reisen wir nicht nach Kaliban zurück, sondern springen nach Strabo.«
»Strabo?«, rief jemand nach einigen Sekunden. »Was gibt es bei Strabo?«
»Nichts. Nicht mal genug Felsblöcke, auf denen sich Menschen hätten ausbreiten können, weshalb das System inzwischen vollständig aufgegeben wurde.«
Der Captain der Polaris musterte das Display. »Strabo liegt für uns fast in entgegengesetzter Richtung.«
»Richtig«, stimmte Geary ihm zu. »Die Syndiks halten einen Rückflug in die Richtung, aus der wir kamen, für so unwahrscheinlich, dass sie seit unserer Ankunft kein Schiff durch diesen Sprungpunkt geschickt haben. Wenn sie erst mal erfahren, dass wir den gleichen Sprungpunkt noch einmal benutzt haben, werden sie Strabo sogar für ein noch unwahrscheinlicheres Ziel ansehen. Aber wir werden sie noch weiter in die Irre führen.« Wieder zeichnete er eine Linie und machte sich auf die Proteste gefasst, die jeden Moment aufkommen würden. »Von Strabo springen wir nämlich nach Cydoni.«
»Cydoni?« Captain Numos war damit genügend provoziert worden, um Geary abermals herauszufordern. »Das ist ja noch tiefer im Syndik-Territorium!«
»Richtig. Die Syndiks werden letztendlich herausfinden, dass wir nach Strabo gesprungen sind, und annehmen, wir seien von dort zu einem der drei Sterne weitergesprungen, die uns wieder näher an Allianz-Gebiet heranführen. Sie werden viel Zeit verlieren, bis sie dahinterkommen, dass wir nach Cydoni entkommen sind.«
»Und welchem Zweck soll das dienen?«, wollte Numos wissen. »Sollen wir bis zum anderen Ende des Syndik-Gebiets davonlaufen, nur weil sie das nicht erwarten? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie dringend wir unsere Vorräte aufstocken müssen, wenn wir Cydoni erreichen? Was gibt es da?«
»Nichts.« Alle starrten sie Geary verblüfft an. »Das ist ein weiteres verlassenes System. Die Photosphäre des Sterns dehnt sich aus, und der eine bewohnbare Planet wurde vor Jahrzehnten evakuiert. Nein, worauf es ankommt, ist das, was hinter Cydoni liegt.« Wieder eine Geste, mit der er versuchte, etwas Dramatik in seinen Vortrag zu bringen. »Am Rand der Sprungreichweite von Cydoni befindet sich Sancere. Abermals ein Stück weiter vom Allianz-Gebiet entfernt, doch dafür stehen unsere Chancen hervorragend, dass unsere Ankunft bei Sancere die Syndiks ganz und gar unvorbereitet treffen wird.«
»Sancere ist der Standort einiger der größten Schiffswerften der Syndiks«, sagte Captain Duellos in das sich anschließende entsetzte Schweigen. »Aber schaffen wir es wirklich von Cydoni dorthin? Die Daten des Sprungantriebs geben nicht an, dass sie über eine solche Reichweite verfügen.«
»Das schaffen wir. Ich habe schon weitere Sprünge mitgemacht«, erwiderte Geary. »Seit der Erfindung des Hypernets ist von Ihnen niemand mehr auf den Sprungantrieb angewiesen. Zu meiner Zeit gab es zum Sprungantrieb überhaupt keine Alternative, und wir fanden Mittel und Wege, wie sich die offiziell angegebene Reichweite vergrößern lässt.«
»Das ist doch Irrsinn!«, kommentierte Captain Faresa verblüfft. »Da dringen wir wiederholt tiefer in feindliches Gebiet vor, um ein Ziel zu erreichen, das zweifellos schwer bewacht wird, während sich unsere Vorräte dem Ende zuneigen!«
»Das System wird nicht schwer genug bewacht sein, um uns Widerstand bieten zu können«, beteuerte Geary mit einer Überzeugung, die er so deutlich gar nicht empfand. Es bestand immer die Gefahr, dass er sich irrte, doch das konnte er nicht eingestehen, wenn er eine Chance haben wollte, diese Leute für seinen Plan zu gewinnen. »Die Syndiks müssen große Truppenteile in jede Richtung entsenden, um nach uns zu suchen und uns abzufangen. Sie werden niemals auf die Idee kommen, dass wir so tollkühn sein könnten, um bei Sancere zuzuschlagen, selbst wenn einer von ihnen sich daran erinnern sollte, dass unser Sprungantrieb diese Entfernung bewältigen kann. Nachschub für unsere Vorräte ist kein Problem, weil dieses Schiffbauzentrum eine hohe Bevölkerungszahl aufweist. Da findet sich alles, was wir haben wollen.«
»Ein Hypernet-Portal eingeschlossen«, warf Captain Tulev ein.
»Richtig«, bestätigte Geary und sah in die Gesichter der anderen, von denen die meisten Unsicherheit ausstrahlten. »Wenn sie das Portal zerstören, dann verhindern sie damit, dass Verstärkung noch schnell genug eintrifft. Wenn sie es nicht zerstören …« Er ließ den Satz unvollendet, um ihn als Köder zu benutzen.
»… können wir nach Hause gelangen. Und zwar schnell«, hauchte jemand.
Numos musterte Geary kritisch. »Dann existiert dieser Hypernet-Schlüssel also noch, den wir von diesen Verrätern erhalten hatten?«
»Ja.«
»Wir hätten nach Cadiz springen und ihn dort einsetzen können!«
Geary verspürte Wut über Numos’ Mischung aus Starrsinn und Dummheit. »Wir waren uns zu der Zeit einig, dass Cadiz ein zu offensichtliches Ziel war. Die Syndiks hätten mit einer erdrückenden Übermacht auf uns gewartet.«
»Und das werden sie bei Sancere nicht machen? Wie können Sie ein so wahnsinniges Risiko eingehen?«, wollte Numos wissen.
Geary warf ihm einen eisigen Blick zu. »Ich dachte, ich war bislang immer zu vorsichtig. Wollen Sie mir jetzt etwa vorwerfen, ich sei zu wagemutig?« Er sah zu den anderen Offizieren. »Sie kennen die Wahrheit so gut wie ich. Die Syndiks hatten für uns in diesem System drei Fallen vorbereitet. Außerdem informierten sie alle möglichen Zielsysteme, in die wir springen könnten, wenn wir unserem bisherigen Kurs folgen. Die Pläne der Syndiks können wir nur durchkreuzen, indem wir etwas Unerwartetes unternehmen, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich dreimal hintereinander, damit sie nicht wissen, wo sie noch nach uns suchen sollen.« Er zeigte auf das System. »Sancere war schon vor dem Hypernet ein Schiffbauzentrum, nicht nur weil es sich um ein wohlhabendes Sternensystem handelt, sondern weil sich sechs Sterne in Sprungreichweite befinden, Cydoni nicht mitgerechnet. Sechs Optionen, von denen fünf in Richtung Allianz führen. Nein, ich bin auch nicht begeistert darüber, welche Strecke wir dabei zurücklegen müssen, aber wir fügen den Syndiks einen schweren Schlag zu, und wir machen ihre Pläne zunichte, uns zu ermüden und in eine Falle laufen zu lassen. Und dabei werden wir auch noch in der Lage sein, alles an Bord zu nehmen, was wir für die weitere Reise benötigen.«
»Und wenn alles nach Plan läuft«, fügte Duellos hinzu, »schaffen wir es bis zu einem Hypernet-Portal, das uns nach Hause bringen wird.«
Zu viele Augen waren auf den Weg gerichtet, den er eingezeichnet hatte. Er wusste, dass diese Offiziere alle überlegten, wie weit Gearys Plan sie vom Allianz-Gebiet wegführen würde. »Wenn unser Ziel nach wie vor darin besteht, nach Hause zurückzukehren«, betonte er, »und den Syndiks bei der Gelegenheit Schaden zuzufügen, dann ist Sancere der richtige Weg.«
»Das ist Unsinn«, verkündete Numos. »Ich verlange eine Abstimmung.«
»In meiner Flotte wird nicht abgestimmt«, gab Geary zurück.
»Wenn man von mir verlangt, dass ich mich auf ein Selbstmordkommando einlasse und tiefer in Syndik-Gebiet vordringen soll, dann sollte ich auch das Recht haben, darüber abstimmen zu können! Das gilt für jeden hier!«
Captain Tulev gab einen abfälligen Laut von sich. »Darüber haben Sie schon längst abgestimmt, und zwar als Admiral Bloch das Kommando über die Flotte hatte. Oder haben Sie vergessen, dass es eine Abstimmung war, die uns überhaupt erst in diese Situation gebracht hat?«
Numos lief vor Wut rot an. »Das war eine vollkommen andere Situation. Wo ist Captain Falco? Was schlägt er vor?«
»Das müssen Sie ihn schon selbst fragen«, antwortete Geary ihm. »Ich habe seine Meinung bereits gehört.« Und verworfen. Aber das musste er ja niemandem sagen.
»Wo ist Captain Falco?«, wollte nun auch Captain Faresa wissen, die wie üblich Numos hinterherlief.
Captain Desjani reagierte darauf so ruhig, als würde sie einen Routinebericht kundtun: »Captain Falco unterzieht sich verschiedenen Untersuchungen, die das medizinische Personal der Dauntless empfohlen hat.«
Geary versuchte, weder überrascht noch belustigt zu reagieren. Er hätte Desjani eine solche List nicht zugetraut.
Faresa dagegen war außer sich. »Medizinische Untersuchungen?«
»Ja«, bestätigte sie beiläufig. »Zu seiner eigenen Sicherheit. Er stand im Arbeitslager unter erheblichem Stress, zudem lastete der Druck auf ihm, dass er dort der ranghöchste Offizier der Allianz war. Das medizinische Personal war nach Captain Falcos erster Untersuchung um ihn besorgt und bat darum, ihn so bald wie möglich gründlicher zu untersuchen.«
»Was hat Captain Falco empfohlen?«, meldete sich jemand zu Wort.
»Was er empfohlen hat, geht nur ihn und mich etwas an«, erwiderte Geary, doch das kam bei den Offizieren nicht allzu gut an. Also führte er aus: »Ich kann dazu sagen, dass Captain Falco keine Zeit gehabt hatte, um sich ein Bild von der Gesamtsituation zu verschaffen, in der sich die Flotte befindet. Er empfahl auch ein viel umfassenderes Bombardement der beiden bewohnten Welten in diesem System. Ich hielt das nicht für klug, mitmenschlich oder gerechtfertigt, daher lehnte ich seinen Ratschlag ab.«
»Captain Falco ist ein Commander, der den Kampf wählt«, erklärte der Captain der Brigandine nach einer langen Pause.
»Mein Vater starb, während er unter ihm diente«, ergänzte der Captain der Steadfast.
Jetzt wurde es Geary endgültig zu bunt. »Sehr viele Matrosen, die unter Captain Falco dienten, haben ihr Leben verloren.« Schweigen machte sich breit. »Wenn jemand meinen Kampfgeist mit dem von Captain Falco vergleichen möchte, dann darf er auch gern unseren Kampf im Kaliban-System mit jeder beliebigen Schlacht vergleichen, die Falco geführt hat. Da ich der Ansicht bin, dass wir der Allianz am besten dienen, indem wir zugleich Siege erringen und dabei überleben, scheue ich keine Gegenüberstellung der verlorenen Schiffe auf beiden Seiten sowie der Zahl der Gefallenen.«
»Ich habe unter Captain Falco bei Batana gedient«, ließ Captain Duellos in fast müßigem Tonfall verlauten. »Meine erste und beinahe auch letzte Schlacht. Mein befehlshabender Offizier kommentierte anschließend zu der Tatsache, dass wir genauso viele Matrosen verloren hatten wie die Syndiks, es wäre doch einfacher gewesen, wenn Captain Falco jedem seiner Schiffe gleich befohlen hätte, ein Schiff der Syndiks zu rammen. Das Ergebnis wäre das gleiche gewesen, und man hätte viel Zeit und Mühe gespart.«
»Captain Falco ist ein Held der Allianz!«, rief irgendwer.
»Captain Falco ist ein Offizier dieser Flotte«, erwiderte Commander Cresida energisch. »Suchen wir uns jetzt unsere Befehlshaber wieder per Abstimmung aus? Haben wir vom letzten Mal noch nicht genug? Hat Captain Geary irgendeinen Anlass geliefert, um jetzt an seiner Urteilsfähigkeit zu zweifeln? Wie viele von Ihnen wären bei Kaliban lieber gestorben, nur um die Schlacht ruhmreicher zu machen?«
Ihre Worte schienen die meisten Anwesenden zum Nachdenken zu bringen, lediglich Captain Faresa warf ihr einen besonders giftigen Blick zu. »Wir müssen uns nichts von Offizieren erzählen lassen, deren Dienstgrad und Erfahrung so niedrig ist.«
Commander Cresida errötete, doch dank der Zeitverzögerung des Signals von Cresidas Schiff, kam ihr Geary zuvor. »Ich leite diese Konferenz, und ich befehlige diese Flotte«, warf er schroff ein. »Und ich entscheide, was wir uns erzählen lassen und was nicht.«
Weitere Widersprüche regten sich, aber Geary entkräftete jeden von ihnen. Wieder wurde der Wunsch laut, Falcos Meinung zu hören, doch Gearys wichtigste Verbündete wehrten das mit dem Hinweis ab, dass der Mann noch immer nicht über alle Umstände auf dem Laufenden war, die die Flotte betrafen. Schließlich hob Geary die Hand, um für Ruhe zu sorgen. »Es muss eine Entscheidung gefällt werden, und es liegt in meiner Verantwortung, sie zu fällen. Fazit ist: Ich werde diese Flotte nach Sancere bringen, weil wir so die besten Überlebenschancen haben. Wenn wir dort eintreffen, werden wir den Syndiks eine schwere Niederlage zufügen und die Schiffe Anelace, Baselard, Mace und Cuirass rächen.«
Diverse Commander machten eine unglückliche Miene, etliche sahen zu Numos, da sie hofften, dass er an ihrer Stelle weitere Einwendungen einbringen würde, doch ein warnender Blick von Geary ließ ihn schweigen. Wichtiger aber war, dass eine deutliche Mehrheit nicht nur bereit zu sein schien, seinem Plan zu folgen, sondern offenbar auch von Gearys Argumenten überzeugt worden war. »Das wäre alles«, sagte er. »In wenigen Minuten werden Sie alle Ihre Befehle erhalten, um zu dem Sprungpunkt zurückzukehren, durch den wir in dieses System gelangten.«
Die Anwesenden verschwanden zügig, bis nur der virtuelle Captain Duellos übrig war. Desjani stand auf und lächelte finster. »Ein weiterer Sieg, Sir.«
»Ich glaube, lieber kämpfe ich gegen die Syndiks«, gab Geary zu. »Lassen Sie bitte den Befehl zur Kursänderung senden. Ausgeführt werden soll er bei …« Er betrachtete die Anzeigen. »Bei Zeit zwei null.«
»Ja, Sir.« Desjani salutierte, ehe sie den Raum verließ.
Geary nickte Duellos zu. »Danke für die Unterstützung.«
Duellos reagierte mit einem skeptischen Blick. »Sie erwarten doch nicht tatsächlich, dass die Syndiks uns ihr Hypernet-Portal bei Sancere benutzen lassen werden, oder?«
»Nein«, bekräftigte Geary, senkte den Blick und verzog den Mund. »Ich glaube, die Syndiks wissen, dass sie diese Flotte nicht mit einem funktionierenden Hypernet-Schlüssel entwischen lassen dürfen. Das würde der Allianz in diesem Krieg einen entscheidenden Vorteil verschaffen.«
»Also werden sie lieber zum letzten Mittel greifen und ihr Portal zerstören, anstatt uns auf diesem Weg entwischen zu lassen.«
»Vermutlich ja«, meinte er schulterzuckend. »Es besteht immer die Chance, dass sie es nicht machen. Eine sehr winzige Chance, aber immerhin existiert sie.«
»Stimmt.« Duellos seufzte. »Ihnen ist doch klar, dass die Flotte Ihnen ohne das Portal niemals nach Sancere gefolgt wäre, oder?«
»Ja, ich weiß.«
»Aber wenn wir es schaffen und siegen, dann werden die Zweifler Mühe haben, noch irgendwo Gehör zu finden.« Duellos salutierte sorgfältig. »Das ist ein gewaltiges Risiko, aber Sie haben sich um unser Vertrauen in Sie verdient gemacht.«
Geary erwiderte den Salut. »Danke.«
»Sind Sie übrigens wirklich davon überzeugt, dass wir es mit dem Sprungantrieb von Cydoni bis nach Sancere schaffen?«
»Auf jeden Fall.«
Nachdem Duellos »gegangen« war, kehrte Geary müde in seine Kabine zurück. Er musste nicht auf der Brücke sein, wenn die Flotte wendete, da er das Manöver ebenso gut auf dem Display in seiner Kabine mitverfolgen konnte. Normalerweise bemühte er sich, so viel Zeit wie möglich auf der Brücke zu verbringen, weil die Crew daran glauben musste, dass er sich für ihre Arbeit interessierte. Doch nach so vielen langwierigen und in zu vielen Fällen feindseligen Diskussionen hatte er eine Verschnaufpause dringend nötig.
Vor seiner Kabine wartete bereits Co-Präsidentin Rione auf ihn. Er wusste, dass sie Zeit genug gehabt hatte, um sich von den Kommandeuren der Schiffe der Callas-Republik über die jüngsten Entwicklungen unterrichten zu lassen. Nach dem wütenden Funkeln in ihren Augen zu urteilen, musste seine Verschnaufpause wohl noch eine Weile warten.
Rione stand schweigend da, ließ ihn eintreten, folgte ihm und wartete, bis sich die Luke hinter ihr geschlossen hatte. Erst dann ließ sie ihre wahren Gefühle erkennen.
Als er sie ansah, wurde ihm klar, dass er Co-Präsidentin Rione noch nie wütend erlebt hatte. Es war ein Anblick, auf den er gern verzichtet hätte. »Wie konnten Sie nur so etwas machen?«, fuhr sie ihn an.
»Ich glaube, das ist der beste Weg für …«
»Sie haben diese Flotte verraten! Sie haben die Allianz verraten! Und Sie haben mich verraten!«
Ihre Worte und der aufgebrachte Tonfall ließen ihn zusammenzucken, dennoch war ihm der letzte Teil nicht entgangen. »Wieso habe ich Sie verraten?«
Rione wurde rot und wich zurück. »Das ist … vergessen Sie’s! Das war ein Versprecher. Ich wollte sagen, Sie haben jeden in dieser Flotte verraten! Alle Offiziere und Matrosen, die darauf vertraut haben, dass Sie Ihre Macht klug einsetzen! Ich habe nicht gegen Sie gearbeitet, sondern versucht, Ihre Anstrengungen zu unterstützen. Ich war der Ansicht, Sie hätten einen mangelnden persönlichen Ehrgeiz ebenso bewiesen wie ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand. Ich habe mich geirrt, Captain Geary. Indem Sie mir etwas vorspielten, gelang es Ihnen, die Flotte so zu manipulieren, dass Sie den Helden spielen können, was Sie offenbar von vornherein vorhatten! Und dabei haben Sie mich zu einer ahnungslosen Komplizin gemacht!«
»Ich bin kein Held«, herrschte Geary sie an. »Darum geht es hier überhaupt nicht. Wenn Sie sich einen Moment Zeit nehmen, um sich meine Gründe anzuhö…«
»Ihre Gründe? Die kenne ich längst!«, fiel Rione ihm ins Wort. »Sie haben Angst, Captain Falco könnte Ihnen das Kommando über diese Flotte abnehmen. Ich habe gehört, was er zu Ihnen gesagt hat, als er Sie warnte, die Flotte würde sich einen anderen Commander suchen, wenn Sie nicht kühn genug handeln! Um das zu verhindern, sind Sie bereit, die Zerstörung der ganzen Flotte zu riskieren! Als ob die Flotte nur ein Spielzeug wäre, um das Sie und Captain Falco sich wie zwei kleine Kinder streiten! Wenn Sie die Flotte nicht haben dürfen, dann soll sie auch kein anderer bekommen!«
Es kostete Geary viel Mühe, sein Temperament im Zaum zu halten. »Madam Co-Präsidentin«, brachte er heraus. »Ich habe jede erdenkliche Vorgehensweise gründlich durchgespielt und …«
»Ach, wirklich? Und wo sind dann die Aufzeichnungen Ihrer gründlichen Überlegungen, Captain Geary?«, wollte sie wissen.
Diese Worte brachten Geary einen Moment lang aus dem Konzept. »Sie können auf meine persönlichen Strategiemodelle und Simulationen zugreifen? Die sollten eigentlich so gesichert sein, dass nur ich Zugang darauf habe.«
Rione schien zu bereuen, dass sie sich zu dieser Bemerkung hatte hinreißen lassen, dennoch fuhr sie aufgebracht fort: »Haben Sie irgendetwas zu verbergen, Captain Geary? Beispielsweise das Fehlen jeglicher Simulationen, von denen Sie behaupten, dass auf ihnen Ihre Entscheidung beruht?«
»Ich habe keine Simulationen laufen lassen«, fauchte er sie an. »Das kann ich im Kopf erledigen. Vielleicht nicht ganz so präzise wie eine Simulation, aber immer noch nahe genug an der Wirklichkeit, um zu erkennen, wo welche Gefahren lauern!«
»Und das soll ich Ihnen abnehmen? Halten Sie mich etwa für dumm und leichtgläubig? Mit welchen Tricks wollten Sie mich jetzt wieder manipulieren? Meinen Sie, ich hätte keinen Stolz und kein Ehrgefühl?«
Noch immer versuchte er, seine Wut in den Griff zu bekommen. »Ich habe Ihnen nichts vorgemacht und ich habe Sie auch nicht manipuliert. Ich war immer ehrlich zu Ihnen.«
Rione beugte sich vor, ihre Augen loderten. »Ich habe zum Wohl der Allianz eine Menge über mich ergehen lassen, Captain Geary. Aber dass mich ein Mann auf eine solche Art und Weise behandelt, das ist demütigender als alles, was ich je mitgemacht habe. Und das ist nicht mal das Schlimmste! Indem Sie mich für Ihre Zwecke benutzten, haben Sie diese Schiffe und vielleicht sogar die Allianz selbst dem Untergang geweiht. Die Menschen der Callas-Republik, denen ich meine treuen Dienste geschworen habe, sind dem Untergang geweiht. Ich habe versagt, Captain Geary. Ich hoffe, das verschafft Ihnen Befriedigung. Sie müssen nicht weiter so tun, als würde ich Ihnen zu Unrecht etwas vorwerfen.«
Er reagierte mit einem ebenso wütenden Blick. »Ob Sie’s glauben oder nicht, aber es geht dabei nicht um Sie.«
»Richtig, Captain Geary. Es geht nicht um mich. Es geht um Tausende Männer und Frauen, die von Ihnen in den Tod geführt werden.«
Geary sah zur Seite und versuchte, seine Fassung zurück zu erlangen. »Wenn Sie so freundlich wären, mich erklären zu lassen, welche Absichten …«
»Ihre Absichten habe ich bereits gehört.« Rione wandte sich ab und machte einen Schritt von ihm weg, dann drehte sie sich wieder zu ihm um. »Die Simulationen, die Sie angeblich durchgespielt haben, existieren gar nicht.«
»Ich habe nie behauptet, dass ich Simulationen durchgespielt habe!«
Rione hielt kurz inne, dann verzog sie den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Dann hat der schlichte Krieger seine Worte mit so großer Sorgfalt gewählt? Um alle glauben zu lassen, dass etwas existiert, obwohl das gar nicht der Fall ist.«
»Ich wollte nicht, dass irgendjemand meine Gründe für diese Vorgehensweise falsch auslegt. Sie müssen mir einfach glauben, dass ich das alles gründlich durchdacht habe.«
»Wie praktisch«, gab Rione frostig zurück. »Ich muss Ihnen also einfach nur glauben. Mir war nicht klar, dass Sie mich für so dumm halten. Bin ich wirklich derart leicht zu manipulieren?«
»Ich habe Sie nicht manipuliert! Das war nie meine Absicht.«
»Das sagen Sie.« Sie schüttelte langsam den Kopf, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Ihre wahren Absichten sind mir längst klar.«
»Schön«, knurrte Geary. »Dann erzählen Sie doch mal, was Ihrer Meinung nach meine wahren Absichten sind.«
»Das habe ich Ihnen bereits gesagt. Als Sie mit einem ernsthaften Herausforderer um das Kommando über diese Flotte konfrontiert wurden, haben Sie sich genau für die waghalsige, gedankenlose Vorgehensweise entschieden, um die Sie in den letzten Monaten immer einen großen Bogen machten. Ihre Absicht, Captain Geary, ist es, den Beweis zu liefern, dass Sie genauso hirnlos und aggressiv handeln können wie Captain Falco, weil Sie so sicherstellen, dass diese Schiffe Ihnen weiterhin folgen werden, ganz gleich, welche Konsequenzen das für sie haben kann.«
»Das ist nicht hirnlos«, herrschte er sie an. »Ich habe alle Möglichkeiten abgewogen.«
»Und dabei offensichtlich alle intelligenten Lösungen ausgeschlossen!«
»Ich will nicht, dass diese Flotte ausgelöscht wird. Wenn wir wie geplant weiterfliegen, werden wir erst durch kleinere Verluste in jedem weiteren System dezimiert und zermürbt, bis die Syndiks uns mit einer großen Streitmacht empfangen, der wir dann nichts mehr entgegenzusetzen haben!« Geary fiel auf, dass er sie wieder anbrüllte. Er war so wütend wie zu keinem anderen Zeitpunkt seit seiner Rettung.
»Wo ist der Beweis, dass Sie sich wirklich mit den anderen Möglichkeiten befasst haben?«, brüllte Rione im Gegenzug. »Wo sind Ihre Simulationen?«
»In meinem Kopf!«
»Denken Sie ernsthaft, ich würde Ihnen ein solches Argument abkaufen, das niemand außer Ihnen überprüfen kann? Ich soll Ihnen einfach weiterhin vertrauen?«
»Ja! Ich glaube, ich habe mich um einen gewissen Vertrauensvorschuss verdient gemacht!«
»Einen Vertrauensvorschuss? Den habe ich Ihnen von der ersten Minute an gewährt, Captain Geary, nur um es jetzt bitter zu bereuen. Aber Sie können nicht einen handfesten Beweis liefern, der Ihre Vorgehensweise rechtfertigen würde. Nicht einen einzigen! Diese Entscheidung entbehrt jeder vernünftigen Grundlage. Sie sollten Ihren Anspruch auf diesen Kommandoposten rechtfertigen, indem Sie beweisen, dass Sie ein besserer Mann sind als Captain Falco, aber nicht ein noch größerer Idiot als er!«
»Ich habe nie behauptet, der bessere Mann zu sein.«
»Doch, das haben Sie«, warf sie ihm vor. »Sie sprachen davon, dass Ihnen das Leben der Matrosen dieser Flotte wichtig ist. Sie sprachen davon, sie weise und wohlüberlegt zu führen. Sie …« Sie brach mitten im Satz ab und verzog zornig das Gesicht. »Wie konnten Sie mir das antun?«
»Ihnen?« Da war schon wieder eine solche Bemerkung. Geary brachte es fertig, sein Temperament zu zügeln, während er sich fragte, warum Riones Wut ihm so sehr zu schaffen machte. »Ich habe Ihr Vertrauen nicht missbraucht. Und ich habe Sie nie manipuliert. Ich schwöre Ihnen, ich habe diese Entscheidung getroffen, weil ich die Flotte am Leben erhalten und nach Hause bringen möchte.«
»Das glauben Sie tatsächlich?«, fauchte Rione. »So dumm können Sie gar nicht sein, also müssen Sie lügen.«
»Es ist die Wahrheit.« Er zeigte auf das Display, das die Umgebung des Systems darstellte. »Wenn Sie mir nicht glauben, dann führen Sie doch Ihre eigenen Simulationen durch! Dann werden Sie schon sehen, was passieren wird, wenn wir eines der Ziele anfliegen, die wir in Erwägung gezogen haben.«
»Das werde ich machen! Ich werde die Simulationen vornehmen und ein nachprüfbares Ergebnis liefern. Und wenn ich den Beweis habe, dass Sie mit Ihren Schlussfolgerungen völlig falsch liegen, dann werde ich Ihnen diesen Beweis demonstrieren. Vorausgesetzt, dieses Schiff ist dann noch intakt und nicht nur noch ein Wrack, das auf Bergungsteams von den Syndiks wartet.«
Sie stürmte nach draußen, zurück blieb der Nachhall ihrer Wut und Enttäuschung. Er drehte sich zu der projizierten Sternenlandschaft um und schlug wiederholt mit der Faust dagegen. Die Sterne schlugen jedes Mal ein paar Wellen, sonst jedoch tat sich nichts.
Die Allianz-Flotte setzte zum Wendemanöver an. Hunderte von großen und kleinen Schiffen drehten ihren Bug um hundertachtzig Grad und die Antriebseinheiten flammten auf, um die Schiffe auf den neuen Kurs zu bringen. Der führte zurück über die Ebene des Sutrah-Systems und dann hinunter zum Sprungpunkt, durch den die Flotte vor nicht allzu langer Zeit gekommen war.
Geary war zufrieden über das reibungslos ausgeführte Manöver, auch wenn er wusste, dass es mittels automatischer Steuerung durchgeführt worden war. Gleichzeitig behielt er die leichten Kriegsschiffe der Syndiks im Auge, die sich nach wie vor in den Randbereichen des Systems aufhielten. Die nächstliegenden waren fast zwei Lichtstunden entfernt, und so lange würde es auch dauern, bis ihnen auffallen konnte, dass die Flotte eine Kursänderung vorgenommen hatte. Danach würden sie aber noch weiter abwarten, um herauszufinden, wohin sich die Schiffe bewegten. Erst wenn sie Gewissheit hatten, dass die Flotte das System durch den Sprungpunkt verließ, durch den sie gekommen war, würden sie zur Tat schreiten können.
Sie haben da ein Schiff, dort ein weiteres, und dahinten sind noch drei. Sie können nicht allen drei möglichen Zielsternen eine Nachricht zukommen lassen, ohne zu jedem von ihnen ein Schiff zu schicken. Sie können eine Warnung an alle senden, dass wir uns anscheinend zurückziehen, oder sie können Alarm schlagen, wenn wir tatsächlich den Sprungpunkt benutzen, um das System zu verlassen. Beides geht allerdings nicht, also müssen sie abwarten, bis sie wissen, dass wir weg sind. Das gibt uns mehr Zeit, und die Syndiks haben mit mehr Unwägbarkeiten zu kämpfen. Es wird ihnen auch eine Lektion sein, dass sie nur so viele Schiffe auf uns ansetzen, um uns »effizient« zu überwachen, anstatt genug Schiffe abzustellen, um auf das Unerwartete gefasst zu sein.
Natürlich wollte er nicht, dass die Syndiks aus ihren Erfahrungen mit ihm etwas lernten. Sie hatten schon genug dazugelernt, um im Sutrah-System einige unangenehme Überraschungen versteckt zu haben, und Geary konnte nur hoffen, dass es bei Strabo nicht genauso aussah.