Er steht benommen auf dem kiesbestreuten Weg vor dem Zelt der Transtemporalisten, und der schweflige Geschmack des Vulkans hält sich irgendwie in seinem Mund. Nicki ist noch nicht zum Vorschein gekommen. Unter den vielen Vergnügungshungrigen und Bummlern sind verschiedene Leute, die er kennt, Männer und Frauen, die zum persönlichen Mitarbeiterstab des Vorsitzenden gehören, im Sekretariat des Revolutionsrates oder in anderen zentralen Abteilungen arbeiten. Als erster läuft ihm Franco Cifolia über den Weg, der beleibte kleine Elektronikspezialist, der Kontrollraum 1 entworfen hat, dann ein mongolischer Adjutant namens Gonchigdorge, der an seiner schmucklosen Uniform eine Menge Ordensbänder zur Schau stellt, und nach ihm zwei hohe Funktionäre aus dem Exekutivbüro des Revolutionsrates, ein bleicher Türke namens Eyuboglu und ein stämmiger Grieche mit Namen Ionigylakis. Jeder grüßt Schadrach im Vorbeigehen auf seine besondere Art und Weise. Cifolia warm und überschwänglich, Gonchigdorge kühl und korrekt. Eyuboglu vorsichtig, Ionigylakis lärmend. Schadrach bringt in allen Fällen nicht mehr als ein Nicken und ein glasiges Lächeln zustande. Soy medico. Er fühlt noch immer die Erde unter den Füßen grollen und rumpeln. Am liebsten wäre es ihm, man würde ihn in Ruhe lassen. Anonymität sollte in Karakorum oberstes Gebot sein. Besonders jetzt. Mit einem Teil seines Bewußtseins ist er noch immer in den Vorstädten von Quito, stapft halb erstickt durch die alles unter sich begrabende feine warme Asche. Die Rückkehr aus der Welt der Transtemporalisten ist immer ein Schock, aber dies ist einfach zuviel, es ist schlimm wie die Fehlgeburt für ein Siebenmonatskind; er ist verwundet und verwirrt, unfähig, mit den gesellschaftlichen Regeln zurechtzukommen. Der beißende Geruch von Bimsstein und Asche, die Erstickungsanfälle, die erlösende Schläfrigkeit; vor allem aber das erdrückende Bewußtsein des Übergangs, des Zusammenbruchs einer Welt, hinter dem eine neue, fremde in Umrissen sichtbar wird…
Aus dem Zelt der Transtemporalisten kommt ein kleiner, schmächtiger Mann mit unregelmäßigen Zähnen und erstaunlich buschigen roten Augenbrauen. Es ist Roger Buckmaster, ein britischer Fachmann für Mikroelektronik, der wie Franco Cifolia in der Kommunikationsabteilung des Regierungsgebäudes arbeitet, ein tüchtiger und meistens verdrießlicher Mann, den nur wenige näher kennen. Er bleibt in der Nähe des Ausgangs stehen, wenige Meter von Schadrach Mordechai entfernt, und stützt sich mit einer Hand gegen einen Laternenmast, als mißtraue er seinem Gleichgewichtssinn. Er hat den benommenen Ausdruck eines Mannes, der gerade aus einem Wirtshaus geworfen worden ist, nachdem er ein paar Biere zuviel getrunken hat.
Schadrach, obgleich mit Buckmaster nur flüchtig bekannt und keineswegs an einem Gespräch mit ihm interessiert, weiß nur zu gut, wie verwirrend die ersten Augenblicke außerhalb des Zelts sein können, und verspürt eine Aufwallung von Mitgefühl. Er fühlt sich bemüßigt, Buckmasters Ungewissen Blick mit einer höflichen Geste zu begegnen. Er lächelt und sagt hallo, um sich wieder in seine eigene Verwirrung und die damit verbundenen erschöpften Meditationen zurückzuziehen.
Buckmaster aber zwinkert verdutzt, und ein aggressiver Zug kommt in sein Gesicht. »Es ist der schwarze Bastard!« sagt er. Seine Stimme ist undeutlich, verschleimt und alles andere als freundlich. »Der schwarze Bastard persönlich!«
»Schwarzer Bastard?« wiederholt Schadrach verwundert, indem er den Akzent des anderen nachahmt. »Schwarzer Bastard? Mann, haben Sie einen…«
»Bastard, ja. Und schwarz.«
»So hatte ich Sie verstanden.«
»Dann ist es ja gut. Schwarzer Bastard. Schlecht wie das Pik As.«
Eine ebenso peinliche wie lächerliche Situation. »Sagen Sie, Roger, fehlt Ihnen vielleicht was?«
»Schlecht. Schwarz und schlecht.«
»Ich habe Sie gehört, ja«, sagt Schadrach. Ein elender, pulsierender Schmerz beginnt in seiner linken Schädelseite zu bohren. Er bedauert, daß er Buckmasters Gegenwart beachtet hat; er wünscht, der andere würde verschwinden. Er empfindet den beleidigenden Rassismus eher als grotesk denn als beleidigend, denn er hatte nie Grund, sich seiner Hautfarbe zu schämen oder sie verteidigen zu müssen.
Aber die unprovozierte Plötzlichkeit des Angriffs überrascht ihn, und er steht noch immer zu sehr im Bann seiner transtemporalen Erfahrung, um irgendeinen Streit oder Wortwechsel mit einem kriegerischen Clown wie Buckmaster zu wünschen, nicht jetzt, vor allem nicht jetzt. Vielleicht ist es am besten, wenn er ihn einfach ignoriert. Schadrach verschränkt die Arme und wendet sich ab.
Aber Buckmaster sagt in sein Schweigen: »Fühlen Sie sich nicht mit Schande bedeckt, Mordechai?«
»Hören Sie, Roger…«
»Überhäuft mit Schande für jede schmutzige Tat Ihres treulosen Lebens!« fährt Buckmaster fort.
»Kommen Sie zur Vernunft, Mann! Was haben Sie da drinnen getrunken?«
»Das gleiche wie jeder andere. Bloß die Droge, die Zeitdroge, oder was immer sie einem geben. Dachten Sie, man hätte mich Kokain schnupfen lassen? Oder glauben Sie, ich hätte einen zuviel getrunken? Nein, nein, bloß den Zeittrank, aber der hat mir die Augen geöffnet, das kann ich Ihnen sagen: weit geöffnet!«
Buckmaster kommt mit unsicheren Schritten näher, macht unmittelbar vor Schadrach Mordechai halt, starrt ihn erbittert und durchbohrend an. Schadrachs Kopfschmerzen nehmen weiter zu. »Ich habe gesehen, wie Judas ihn verraten hat!« ruft Buckmaster wie von Sinnen. »Ich war dabei, in Jerusalem, beim letzten Abendmahl, habe ihnen beim Essen zugesehen. Dreizehn um den Tisch, nicht wahr? Ja, ich habe mit eigenen Händen den Wein eingeschenkt, Sie schwarzer Teufel! Ich sah Judas’ schmutziges Grinsen, sah, wie er Jesus ins Ohr flüsterte! Und dann hinaus in den Garten, wissen Sie… Gethsemane, da in der Dunkelheit…«
»Möchten Sie ein Beruhigungsmittel, Roger?«
»Lassen Sie mich mit Ihren verfluchten Pillen in Ruhe!«
»Sie erregen sich zu sehr. Ihre Nerven sind überreizt. Sie sollten versuchen, sich zu beruhigen.«
»Er möchte mich behandeln! Mich! Könnte Ihnen so passen, was? Nein, mit mir nicht, und nun hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe…«
»Ein andermal«, sagt Schadrach. Er wendet sich zum Gehen und macht dabei rudernde Handbewegungen, als ob Buckmaster ein giftiger Dampf wäre, den er wegwedeln müsse. »Ich bin jetzt müde. Ich hatte selbst einen schweren Trip da drinnen. Ich kann dieses Zeug jetzt nicht ertragen, Buckmaster, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Verstanden?«
»Sie werden es ertragen, der Teufel soll Sie holen. Ich muß es Ihnen sagen. Ich habe Sie hier, und Sie sollen es hören. Ich habe alles gesehen, wie Judas im Garten zu ihm kam und ihn küßte und sagte, Herr, Herr, genau wie es im Buch steht, und dann kamen die römischen Soldaten von allen Seiten und nahmen ihn fest… oh, der verdammte verräterische Bastard! Ich sah es, ich war dabei, ich weiß jetzt, was Schuld heißt. Wissen Sie es? Sie wissen es nicht. Und Sie sind so schuldig wie er es war, in einer anderen Weise, aber genauso schuldig, Mordechai!«
»Ich soll ein Judas sein?« Schadrach schüttelt erschöpft den Kopf. Betrunkene irritieren ihn, selbst wenn sie nur von der Droge der Transtemporalisten betrunken sind. »Ich verstehe kein Wort von allem. Wen soll ich verraten haben?«
»Alle. Die ganze Menschheit.«
»Und Sie sagen, Sie seien nicht besoffen!«
»War nie nüchterner. Ja, das hat mir die Augen geöffnet! Wer ist es denn, der ihn am Leben erhält, können Sie mir das sagen? Wer ist ständig um ihn, gibt ihm Injektionen, Medizin, Pillen, schreit nach dem Chirurgen, wenn wieder mal eine neue Niere oder ein neues Herz gebraucht wird? Wie? Wie?«
»Wollen Sie denn, daß der Vorsitzende stirbt?«
»Was sonst, zum Kuckuck?«
Schadrach stockt der Atem. Die transtemporale Erfahrung hat Buckmaster offensichtlich den Verstand geraubt. Schadrach kann sich nicht mehr über ihn ärgern; der zornige kleine Mann muß vor sich selbst geschützt werden. »Wenn Sie so weitermachen, wird man Sie verhaften«, sagt Schadrach. »Wer weiß, ob wir nicht abgehört werden?«
Buckmaster läßt den Einwand unbeachtet. »Glauben Sie, ich wüßte nicht, daß ihr ihm heute eine neue Leber eingesetzt habt?«
»So seien Sie doch vernünftig, Mann! Überall gibt es Kameras, Abhörgeräte… Sie selbst haben die Dinger entwickelt, Buckmaster.«
»Mir egal. Er soll mich ruhig hören.«
»Sie wollen mit der permanenten Revolution also ernst machen?«
»Ich hatte in diesem Zelt eine Erleuchtung«, sagt Buckmaster. »Sie hat mir die Augen geöffnet. Schuld, Verantwortungsbewußtsein…«
»Sie glauben, die Welt würde besser daran sein, wenn der Vorsitzende tot wäre?«
»Ja! Ja!« ruft Buckmaster wild. »Er hat die Revolution verraten!
Er saugt uns alle aus, damit er ewig leben kann. Er hat die Welt in ein Tollhaus verwandelt, in einen Zoo! Sehen Sie, Mordechai, wir könnten Mittel und Wege finden, um das Gegenmittel billig und in großen Mengen herzustellen; wir könnten es industriell produzieren, an alle verteilen und die Menschheit heilen, nicht bloß die wenigen Privilegierten! Aber was macht er? Er steckt alle Mittel in Projekte, die allein zur Verlängerung seines eigenen Lebens dienen! Das muß man sich vorstellen! Ein hundertjähriger Mongolenarsch, der sich Dschingis Khan und sogar Mao nennen läßt und ewig leben will! Und wenn Sie nicht wären, dann wäre er schon seit fünf Jahren tot.«
Schadrach kann nicht umhin, zu sehen, worauf Buckmaster hinaus will, und er drückt die Fingerspitzen gegen die Schläfen und schließt gequält die Augen. Mehr denn je wünscht er diesem Gespräch zu entkommen. Buckmaster ist ein Dummkopf, und sein Angriff ist ebenso unnütz wie gefährlich. Schadrach hat all das längst überdacht, hat die ethischen Probleme in Betracht gezogen und aus dem Bewußtsein gedrängt. Es läßt sich nicht leugnen, daß der Vorsitzende sich zu einem Diktator aufgeschwungen hat und gewissen größenwahnsinnigen Vorstellungen erlegen ist. Zweifellos ist es verwerflich, einem bösen Diktator zu dienen. Das sollte nichts für einen anständigen, idealistischen schwarzen Jungen aus Philadelphia sein, der Gutes tun möchte. Aber ist der Vorsitzende wirklich böse? Gibt es zu seiner und der Herrschaft des Revolutionsrates eine andere Alternative als das Chaos? Wenn der alte Mann so unvermeidbar wie eine Naturgewalt ist, wie das Aufgehen der Sonne oder das Fallen des Regens, dann kann dem Dienst an ihm keine Schuld anhaften: man tut, was richtig und angemessen scheint, man lebt sein Leben, nimmt sein Karma auf sich, und wenn man Arzt ist, dann heilt man, ohne sich bezüglich der Identität seines Patienten moralische Urteile und Wertungen anzumaßen. Für Schadrach ist dies keine billige Ausrede, sondern es drückt seine stoische Hinnähme des Geschicks aus. Er weigert sich, die Bürde einer Schuld auf sich zu nehmen, die keine Bedeutung für ihn hat, und er ist nicht gewillt, sich von Buckmaster oder irgendeinem anderen wegen Absurditäten geißeln zu lassen oder Anschuldigungen hinzunehmen, die er als ungerechtfertigt betrachtet.
Er sieht, daß Nicki Crowfoot aus dem Zelt gekommen ist und auf ihn wartet, und er rafft sich auf und sagt zu Buckmaster: »Entschuldigen Sie mich. Ich muß jetzt gehen.«
Nicki scheint wie verklärt. Ihre Augen leuchten, auf ihrem Gesicht glänzt ekstatischer Schweiß, ihre ganze Erscheinung scheint zu strahlen.
Als Schadrach auf sie zu kommt, nickt sie ihm vage zu, aber in Wirklichkeit ist sie weit weg, noch immer gefangen in ihrer Halluzination.
»Komm, laß uns gehen«, sagt er. »Buckmaster ist heute Abend ein wenig übergeschnappt und wird lästig.«
Er greift nach ihrer Hand.
»Warten Sie!« ruft Buckmaster, der ihm gefolgt ist. »Ich bin noch nicht fertig. Ich muß Ihnen noch mehr sagen, Sie schwarzer Teufel!«
Mordechai zuckt die Achseln und sagt: »In Ordnung. Ich gebe Ihnen noch eine Minute. Was verlangen Sie von mir?«
»Hören Sie auf, ihn zu behandeln!«
»Ich bin Arzt, Buckmaster. Er ist mein Patient.«
»Genau. Und deshalb nenne ich Sie einen schuldigen Bastard. Es gibt Hunderte von Millionen Menschen auf der Welt, die ärztliche Fürsorge und Hilfe brauchen, und ausgerechnet er ist derjenige, um den Sie sich kümmern müssen! Nur weil Sie ein gutes, bequemes Leben wollen, sind wir alle dazu verdammt, diesen alten Satan ein paar Jahrzehnte länger zu ertragen.«
»Wenn ich es nicht täte, würde ihm ein anderer dienen«, sagte Schadrach freundlich.
»Aber Sie tun es. Sie! Und darum muß ich Sie verantwortlich machen!«
Verblüfft von der Gewalt und Hartnäckigkeit des Angriffs, sagt Schadrach: »Verantwortlich wofür?«
»Für die Fortdauer des gegenwärtigen Zustands. Für die ganze beschissene Lage. Für den zwanzig Jahre nach dem Viruskrieg noch immer drohenden Menschheitsuntergang durch Organzersetzung. Für Hunger und Armut. Haben Sie überhaupt kein Schamgefühl, Mordechai? Sie mit Ihren Miniatursendern unter der Haut, die Ihnen jeden Furz von ihm melden, damit Sie augenblicklich zu ihm rennen können?«
Schadrach wirft Nicki einen bittenden Blick zu, damit sie etwas tue, um ihn zu retten. Aber sie zeigt noch immer die geistesabwesende Miene; sie scheint Buckmaster noch nicht einmal bemerkt zu haben.
»Wer hat diese Miniatursender und Signalgeber entwickelt, Buckmaster?« erwidert Mordechai ärgerlich.
Das bringt Buckmaster für einen Moment aus dem Gleichgewicht. Die Entgegnung hat an einen wunden Punkt gerührt. Dann steigt Röte in seine Wangen; die Erbitterung treibt ihm Tränen in die Augen. »Ich! Ich habe das getan! Sie Bastard, ich gebe es zu, ich konstruierte diese Teufelsdinger! Ich trage meinen Teil an der Schuld. Glauben Sie, ich wüßte das nicht? Aber ich steige aus. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Ich trage die Verantwortung nicht länger.«
»Es ist selbstmörderisch, wie Sie reden.« Schadrach zeigt zu schattenhaften Gestalten an der Peripherie des Laternenscheins, wahrscheinlich Funktionäre und Beamte der Regierung, die in der Dunkelheit warten, nicht bereit, sich in den Bereich möglicher Fernsehaugen zu begeben, während sie ihren Spaß an Buckmasters verrücktem Ausbruch haben. »Morgen früh wird das alles in einem Bericht stehen, und der Bericht wird auf dem Tisch des Sicherheitsbeauftragten liegen, Roger, glauben Sie mir. Sie zerstören sich selbst.«
»Ich werde ihn zerstören! Den Blutsauger! Er hält uns alle als seine Geiseln, unsere Körper und unsere Seelen, er läßt uns verfaulen, wenn wir ihm nicht dienen, er…«
»Werden Sie nicht auch noch melodramatisch, Roger. Wir dienen dem Vorsitzenden, weil wir Spezialisten mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten sind und weil dies der geeignete Ort ist, sie anzuwenden«, erwidert Schadrach und glaubt seine Stimme von einem Tonband im Büro des Sicherheitschefs zu hören. »Es ist nicht unsere Schuld, daß die Welt ist, wie sie ist. Die Regierung tut alles, um die Lage der werktätigen Massen zu verbessern. Wenn Sie lieber in Liverpool oder Manchester geblieben wären, um mit durchlöcherten Eingeweiden in irgendeinem stinkenden Keller zu vegetieren, dann hätten Sie es tun sollen.«
»Reizen Sie mich nicht, Mordechai!«
»Aber es ist wahr. Wir können uns glücklich schätzen, hier zu sein. Wir tun unser Bestes an einer Stelle, wo wir gebraucht werden. Schuld ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Sie und ich, wir haben den Viruskrieg und seine Folgen nicht zu verantworten. Wenn Sie jetzt aussteigen wollen, Buckmaster, dann tun Sie es, gehen Sie. Aber morgen früh, nachdem Sie sich beruhigt haben, werden Sie anders darüber denken.«
»Hören Sie auf, in dieser gönnerhaften Art mit mir zu reden, Mordechai«, sagt Buckmaster zornig. »Ich brauche mir das nicht gefallen zu lassen.«
»Ich versuche Sie zu schützen. Ich versuche Sie dahin zu bringen, daß Sie den Mund halten und aufhören, gefährlichen Unsinn in die Gegend zu brüllen.«
»Und ich versuche Sie dahin zu bringen, endlich den Stöpsel zu ziehen und uns von dem blutsaugerischen alten Teufel zu befreien!« ruft Buckmaster wildblickend.
»Sie denken also, wir wären ohne ihn besser dran?« sagt Schadrach. »Welches ist Ihre Alternative, Buckmaster? Was würden Sie vorschlagen? Reden Sie schon, es ist mir ernst. Sie haben mir eine Menge unfreundlicher Namen gegeben, aber nun können Sie vernünftig reden. Sie wollen die Revolution also weiterführen, richtig? Gut. Was ist Ihr Programm? Was wollen Sie?«
Aber Buckmaster ist über philosophische oder ideologische Erörterungen hinaus, jedenfalls in diesem Augenblick. Er starrt Mordechai in mühsam beherrschtem Abscheu an, während sein Mund Worte formt, die seine Kehle als unzusammenhängende gutturale Grunzlaute verlassen; er öffnet und schließt die Fäuste, schwankt besorgniserregend, und seine geröteten Wangen verfärben sich violett. Schadrach, dessen Mitgefühl längst verflogen ist, läßt ihn stehen und nimmt Nicki Crowfoot beim Arm. Als sie zusammen fortgehen, stürzt Buckmaster sich mit fuchtelnden Armen in einem unbeholfenen Ansturm auf Schadrach und versucht ihn zu Boden zu reißen. Es gelingt Schadrach, ihn bei den Handgelenken zu packen und festzuhalten. Buckmaster zappelt und windet sich, spuckt Gift und Galle und tritt mit den Füßen, vermag aber nichts auszurichten. »Nur ruhig«, murmelt Schadrach. »Beruhigen Sie sich schon, Roger. Lassen Sie den Unfug.« Er hält Buckmaster fest, bis er den Widerstand erlahmen fühlt, dann läßt er die Handgelenke des Engländers los und tritt zurück, die Hände abwehrbereit in Brusthöhe, aber Buckmaster hat genug. Er zieht sich zurück, läßt die Schultern hängen, ein geschlagener Mann. Nach ein paar Schritten bleibt er stehen, blickt finster zurück und murmelt: »Na gut, Mordechai. Bastard. Bleiben Sie bei dem alten Teufel. Wischen Sie ihm den altersschwachen Arsch. Sie werden ja erleben, was dabei herauskommt! Im Ofen werden Sie enden, Schadrach, im Feuerofen!«
Schadrach lacht. Die Spannung ist gebrochen. »Im Feuerofen. Das gefällt mir; bemerkenswert literarisch, Buckmaster.«
»Ja, lachen Sie nur, Mordechai, aber Sie werden im Verbrennungsofen enden!«
Schadrach lächelt und nimmt Nicki wieder beim Arm. Sie zeigt noch immer den verklärten Ausdruck, ist in ihrer transzendentalen Erfahrung wie gefangen. »Komm, gehen wir«, sagt er. »Ich halte das nicht mehr aus.«
Leise und verträumt, mit abwesender Stimme sagt sie: »Was meinte er damit, Schadrach? Mit dem Ofen?«
»Das ist ein biblischer Bezug. Schadrach, Meschach, Abed-Nego.«
»Wer?«
»Du weißt es nicht?«
»Nein. Schadrach, es ist ein so schöner Abend. Laß uns irgendwohin gehen.«
»Schadrach, Meschach, Abed-Nego. Im Buch Daniel. Drei jüdische Statthalter, die sich weigerten, Nebukadnezars goldenes Idol anzubeten. Der König ließ sie daraufhin in einen Feuerofen werfen, aber Gott schickte einen Engel zu ihnen, der sie beschützte, und die Flammen konnten ihnen nichts anhaben. Seltsam, daß du die Geschichte nicht kennst.«
»Was wurde aus ihnen?«
»Das sagte ich gerade. Sie blieben unversehrt. Nicht ein Haar wurde ihnen versengt, und Nebukadnezar ließ sie vor sich rufen und sagte ihnen, daß ihr Gott ein mächtiger Gott sei, und gab ihnen ihre Ämter im Reiche Babylon wieder. Der arme Buckmaster. Er sollte begreifen, daß ein Schadrach keinen Feuerofen fürchtet. Hattest du einen guten Trip?«
»O ja! Es war schön, Schadrach.«
»Wohin haben sie dich geschickt?«
»Zur Hinrichtung der Jeanne d’Arc. Ich sah sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen, und es war schön, wie sie lächelte und zum Himmel aufblickte.«
Er runzelt die Stirn und sieht sie befremdet von der Seite an, aber sie merkt es nicht, schmiegt sich an ihn, während sie gehen.
Ihre Stimme scheint noch immer aus einem Traumbereich zu kommen; der brennende Scheiterhaufen hat sie aus irgendeinem Grund wie trunken gemacht. »Der begeisterndste Trip, den ich je hatte. Der am tiefsten vergeistigte.« Sie schüttelt sich, schmiegt sich von neuem an. »Wo können wir hingehen, Schadrach? Wo können wir allein sein?«