2

Dr. Vyaslav Potter blieb auf seinem Weg ins Hospital am Berichtstisch stehen. Er war müde von der langen, beschwerlichen Fahrt von der Zentrale nach Seatac; trotzdem erzählte er der grauhaarigen Pflegerin vom Dienst einen abgestandenen Witz. Sie kicherte und griff nach Svengaards neuestem Bericht über den Embryo der Durants, legte ihn vor Potter und schaute ihn an. Der warf einen Blick auf das Deckblatt des Berichtes und sah der Pflegerin in die Augen.

Ist denn das möglich? wunderte er sich. Aber nein, sie ist zu alt; wäre kaum noch eine gute Gefährtin. Und eine Zuchterlaubnis würden uns die Großköpfe auch nicht geben. Er rief sich ins Gedächtnis, daß er ein Zeek war, ein J411118ZK. Eine Zeitlang war in der Region Timbuktu die Keimformung nach dem Zeekmodell recht populär gewesen. Sie brachte schwarzes Kraushaar hervor, eine Haut, die um eine Schattierung heller war als Milchkaffee, weiche braune Augen und ein Vollmondgesicht, das äußerste Würde ausdrückte; und dieses Gesicht saß auf einem großen starken Körper. So also sah ein Zeek aus. Vyaslav Potter war ein Zeek.

Diese Form hatte noch einen Regenten hervorzubringen, gleich ob männlich oder weiblich; niemals aber gab es einen lebensfähigen Keimzellenpartner.

Potter hatte schon vor langer Zeit aufgegeben. Er gehörte zu jenen, die dafür sprachen, diese Zucht nicht weiterzuführen. Er dachte an die Regenten, mit denen er zu tun hatte und spöttelte über sich selbst, doch dieses Spötteln war nicht mehr mit Bitterkeit gemischt.

»Wissen Sie«, sagte er und lächelte die Pflegerin an, »diese Durants, deren Embryo ich heute morgen habe, die habe ich beide geformt. Vielleicht bin ich schon zu lange in dem Geschäft.«

»Ach, Doktor, machen Sie nur weiter«, antwortete sie und wandte ihm den Kopf zu, »Sie sind doch kaum mittleren Alters und schauen keinen Tag älter aus als hundert.«

»Aber jetzt sind diese Kinder da«, fuhr er fort und sah sich den Bericht an, »und sie bringen mir ihren Embryo zum Formen. Und ich …« Er zuckte die Achseln.

»Werden Sie es ihnen sagen?« fragte sie. »Ich meine, daß Sie die beiden geformt haben.«

»Wahrscheinlich sehe ich sie nicht einmal«, antwortete er. »Sie wissen doch, wie es ist. Aber jedenfalls gibt es noch Leute, die mit ihrer Formung zufrieden und glücklich sind. Manchmal möchten sie vielleicht ein bißchen mehr von dem, etwas weniger von jenem haben. Dann schimpfen sie natürlich auf den Chirurgen. Sie verstehen die Probleme nicht, vor denen man im Formungsraum steht, und sie können sie ja auch nicht verstehen.«

»Die Durants scheinen aber recht gut gelungen zu sein«, meinte sie. »Normal, glücklich … vielleicht ein bißchen zu sehr besorgt um ihren Sohn, aber…«

»Ihr Gentyp ist einer der erfolgreichsten«, erwiderte er, »und hier ist der Beweis: Sie haben einen lebensfähigen Keimling mit beträchtlichen Möglichkeiten.« Er hob einen Daumen zu einer Geste, die Regentschaft ausdrückte.

»Darauf können Sie aber sehr stolz sein. Meine Familie hatte in hundertneunundachtzig Jahren nur fünfzehn lebensfähige Keimlinge und niemals einen…« Sie wiederholte Potters Geste.

Er verzog den Mund zu einer Grimasse des Selbstmitleids. Warum ließ er sich auf solche Unterhaltungen, besonders mit Pflegerinnen, überhaupt ein? Vielleicht war es dieser kleine Hoffnungsfunke, der niemals starb. Er entstammte der gleichen Ursache wie die wilden Gerüchte, das Geschwätz über die ›Zuchtärzte‹, der schwarze Markt für ›echte‹ Geheimmittel. Daher stammten auch die vielverkauften Figürchen der Regentin Calapine, von der das Gerücht erzählte, sie habe einen lebensfähigen Keimling produziert. Daher kam es auch, daß die großen Zehen der Fruchtbarkeitsidole unter den Küssen der Hoffenden zusammenschrumpften. Seine höhnische Selbstbemitleidung wurde zum Zynismus. Hoffnung! Wenn sie wüßten …!

»Wußten Sie, daß die Durants zusehen wollen?« fragte die Pflegerin.

Er zuckte zusammen und schaute sie an.

»Im ganzen Hospital wird davon geredet«, erzählte sie. »Das Sicherheitsamt ist ganz kribbelig. Man hat die Durants genau geprüft, und jetzt sind sie in Zelle Fünf mit geschlossener Leitung zum Labor.«

Er wurde wütend. »Zum Teufel! Kann man in diesem Narrenhaus überhaupt nichts Vernünftiges tun?«

»Aber, aber, Doktor«, tadelte sie, »es besteht doch gar kein Grund dafür, die Ruhe zu verlieren. Die Durants haben sich auf das Gesetz berufen. Das bindet uns die Hände, und das wissen Sie ja selbst.«

»Verdammtes, blödsinniges Gesetz«, knurrte Potter, aber sein Zorn war schon wieder verflogen. Das Gesetz, dachte er, diese verdammte Maskerade. Er mußte allerdings zugeben, daß dieses Gesetz notwendig war, denn ohne dieses Staatsgesetz 10 927 hätten die Leute doch nur die falschen Fragen gestellt. Sicher hatte Svengaard auch getan, was er konnte, um den Durants das Zusehen auszureden.

»Tut mir leid, daß ich so wütend wurde«, murmelte Potter und grinste entschuldigend. »Ich habe eine schwere Woche hinter mir.«

»Wollen Sie noch einen Bericht haben, Doktor?« fragte die Pflegerin.

Der Kontakt war abgerissen, das wußte Potter. »Nein, danke«, antwortete er, nahm den Bericht über die Durants und eilte zu Svengaards Büro. Dieses Pech — Beobachter! Natürlich bedeutete das eine ganze Menge Mehrarbeit.

Er traf mit Svengaard vor dessen Büro zusammen und erhielt von ihm einen kurz zusammengefaßten Bericht, Svengaard äußerte sich dann zu den von ihm getroffenen Sicherheitsmaßnahmen.

»Ich gebe keinen Pfifferling für das, was die Leute vom Sicherheitsdienst sagen«, fauchte Potter. »Wir haben neue Instruktionen. Der zentrale Hilfsdienst muß in jedem derartigen Fall zugezogen werden.«

Sie betraten Svengaards Büro. Es hatte eine imitierte Holztäfelung; das Fenster bot einen Ausblick auf Dachgärten und Terrassen, und alles bestand aus dem allgegenwärtigen regenerativen Dreiphasenplasmeld. Nichts durfte in dieser besten aller von Übermenschen regierten Welten altern oder verderben; nichts, außer den Menschen.

»Zentraler Hilfsdienst?« fragte Svengaard.

»Keine Ausnahmen«, erklärte Potter. Er saß in Svengaards Sessel, hatte die Füße auf den Tisch gelegt, und das Telefon stand auf seinem Magen, kaum eine Spanne von seinen Augen entfernt. Er drückte die Nummernknöpfe des Sicherheitsdienstes und gab seine eigene Kennziffer durch.

Svengaard hockte ihm gegenüber auf der Schreibtischkante und war wütend und mutlos. »Ich sagte Ihnen doch, daß sie überprüft worden waren. Sie hatten gar nichts Ungewöhnliches an sich, überhaupt nichts.«

»Nur, daß sie darauf bestehen, zuschauen zu wollen«, knurrte Potter. Er drückte ungeduldig auf die Telefongabel. »Wo bleiben denn diese Dummköpfe?«

»Aber das Gesetz …«, warf Svengaard ein.

»Lassen Sie mich mit dem verdammten Gesetz in Ruhe! Sie wissen ebensogut wie ich, daß wir das Bild aus dem Formraum über einen Computer leiten und den Durants zeigen können, was wir wollen. Haben Sie je darüber nachgedacht, warum wir nicht genau das tun?«

»Aber … warum … ah …« Svengaard schüttelte den Kopf. Diese Frage hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Warum wurde das nicht tatsächlich getan? Die Statistik sagte doch, daß eine gewisse Anzahl Eltern auf dem Zuschauen bestehen würden.

»Man hat es versucht«, erklärte Potter. »Irgendwie haben aber die Eltern die Zwischenschaltung des Computers entdeckt.«

»Wie denn?«

»Das wissen wir auch nicht.«

»Hat man denn die Eltern nicht verhört und …«

»Sie haben sich selbst umgebracht.«

»Selbst? Und wie?«

»Das wissen wir nicht.«

Svengaard schluckte heftig. Allmählich begriff er die Erregung, die unter der ruhigen Oberfläche des Sicherheitsdienstes schwelte. »Und was ist mit der Statistik, der …«

»Statistik? Dreck!«

»Mit wem reden Sie?« ließ sich eine männliche Stimme am Telefon vernehmen.

Potter sah auf den Bildschirm. »Ich habe mich mit Sven unterhalten. Dieser lebensfähige Keimling, zu dem man mich geholt hat …«

»Ist er wirklich lebensfähig?«

»Ja! Sogar mit vollem Potential, aber die Eltern bestehen darauf, daß sie zusehen wollen.«

»In zehn Minuten ist eine Mannschaft dort«, antwortete die Telefonstimme. »Jetzt sind sie in Friscopolis. Dauert nur noch ein paar Minuten.«

Svengaard rieb seine feuchten Hände an seinem Arbeitskittel trocken. Er konnte das Gesicht auf dem Bildschirm nicht sehen, doch die Stimme erkannte er als die von Max Allgood, dem Chef des Sicherheitsamtes.

»Wir werden die Formung solange hinausschieben«, sagte Potter. »Die Unterlagen werden abgelichtet und liegen in wenigen Minuten auf Ihrem Schreibtisch. Noch etwas anderes …«

»Ist der Embryo genauso, wie man uns berichtet hat?« fragte die Telefonstimme. »Irgendwelche Mängel?«

»Ein latentes Myxödem, eine möglicherweise fehlerhafte Herzklappe, aber …«

»Gut. Ich rufe zurück, sobald ich sehe …«

»Zum Teufel!« tobte Potter. »Wollen Sie mich vielleicht endlich einmal ausreden lassen? Hier gibt es noch Wichtigeres als Mängel und Eltern.« Potter sah Svengaard an, dann den Bildschirm. »Sven berichtet mir gerade, daß er eine von außen kommende Regelung des Arginindefektes beobachtet hat.«

Ein erstauntes Pfeifen kam aus dem Telefon. »Zuverlässig?«

»Sie können sich darauf verlassen.«

»Auf die gleiche Art wie bei den anderen acht?«

Potter warf Svengaard einen fragenden Blick zu, und dieser nickte.

»Sven sagt ja.«

»Das wird ihnen aber nicht passen.«

»Mir paßt es auch nicht.«

»Hat Sven genug gesehen, um Schlüsse ziehen zu können?«

»Nein«, antwortete Potter, da Svengaard den Kopf schüttelte.

»Die Möglichkeit besteht aber, daß das nicht von Bedeutung ist«, meinte der Mann. »In einem System verfeinerter Bestimmung …«

»Ja, natürlich«, fauchte Potter, »in einem System verfeinerter Bestimmung bekommt man mehr ungenaue Ergebnisse. Sie können genausogut sagen, in einem Quatsch sich ständig steigernden Durcheinanders …«

»Nun, sie sagen das wenigstens.«

»Jaja, das sagen sie. Ich glaube, daß sich die Natur nicht ins Handwerk pfuschen läßt.«

Potter starrte auf den Bildschirm. Aus irgendeinem Grund erinnerte er sich seiner Jugend, seines medizinischen Studiums und des Tages, da er erfuhr, wie nahe sein eigener Gentyp dem Regenten lag, und da wurde er sich klar darüber, wie seine alte, verborgene Wut sich inzwischen zu amüsierter Toleranz und zu Zynismus gewandelt hatte.

»Ich verstehe nicht, wie man Sie überhaupt duldet«, sagte die Telefonstimme.

»Weil ich sehr nahe dran war«, flüsterte Potter. Wie nahe ›dran‹ mochte wohl das Baby der Durants sein? Ich werde jedenfalls tun, was ich kann, überlegte er.

Der Mann am Telefon räusperte sich. »Ja, wir werden uns also dann auf Sie verlassen. Der Embryo müßte dann doch irgendwie einen Beweis für eine Einwirkung von außen her …«

»Seien Sie doch kein solcher Idiot!« knurrte Potter. »Der Embryo wird bis zum letzten Enzym Svengaards Bericht bestätigen. Kümmern Sie sich um Ihre Aufgaben. Wir tun die unseren.« Er warf den Hörer hin, schob das Telefon auf den Tisch zurück und starrte es an. »Dieser pompöse Narr! Nun, er ist, was er ist, weil er’s ist. Kommt davon, wenn man zu nahe bei ihnen lebt. Kommt von seiner Formung. Vielleicht wäre ich auch so ein Idiot, wenn ich’s sein müßte.«

Svengaard schluckte heftig. Eine so wütende und freimütige Auseinandersetzung mit einem Mann der Zentrale hatte er noch nicht erlebt.

»Erschüttert, was?« fragte Potter und stellte die Füße auf den Boden.

Svengaard zuckte die Achseln. Er fühlte sich ziemlich unbehaglich.

»Sie sind ein guter Mann, Sven«, sagte Potter. »Wirklich zuverlässig. Steht in Ihren Akten. Sie werden nie etwas anderes sein. Sind auch nicht dazu bestimmt. An Ihrem Platz sind Sie der Mann.«

Svengaard hörte nur das Lob heraus. »Es tut wohl, anerkannt zu werden. Klar. Aber …«

»Aber wir haben jetzt zu arbeiten.«

»Es wird schwierig sein«, meinte Svengaard. »Jetzt schon.«

»Glauben Sie, daß dieser Einfluß, diese Regelung von außen her reiner Zufall war?«

»Ich … ich möchte das gern glauben. Es war nicht bestimmt, daß eine fremde Hand …«

»Sie möchten das also der Ungewißheit überlassen, sozusagen Heisenberg«, antwortete Potter. »Das Prinzip der Unschärfe, ein Ergebnis Ihres eigenen Herumspielens — alles ist Zufall in einem eigenwilligen Universum.«

»Nicht genau das«, antwortete Svengaard verblüfft über den harten Unterton in Potters Stimme, »ich meinte nur, daß ich hoffte, keine übergeordnete Stelle oder Macht hatte die Finger in …«

»Gott? Wollen Sie damit sagen, daß Sie fürchten, es sei die Handlung einer Gottheit gewesen?«

Svengaard sah weg. »Ich erinnere mich an die Schule«, sagte er. »Sie hielten Vorlesung. Sie sagten, wir müßten immer bereit sein, der Tatsache ins Gesicht zu sehen, daß die Wirklichkeit, die wir sehen, sich auf erschütternde Weise von alldem unterscheidet, was unsere Theorien uns anzunehmen lehren.«

»Habe ich das gesagt? Habe ich das wirklich gesagt?«

»Ja. Das haben Sie gesagt.«

»Und da ist was dran, eh? Etwas, das jenseits unserer Instrumente liegt? Das hat Heisenberg nicht gelehrt. Das ist absolut nichts Ungewisses. Alles bewegt sich.« Er flüsterte nur noch. »Es bewegt sich in gerader Linie. Es berichtigt die Dinge. Ah! Heisenbergs Geist schämt sich!«

Svengaard starrte Potter ungläubig an. Der Mann machte sich über ihn lustig. »Heisenberg hat darauf hingewiesen«, meinte er steif, »daß wir alle unsere Grenzen haben.«

»Da haben Sie recht«, gab Potter zu. »Im Universum gibt es Launen. Das hat er uns gelehrt. Es gibt immer etwas, das man nicht verstehen oder erklären kann … oder messen. Er hat uns etwas Schönes eingebrockt mit unserem augenblicklichen Dilemma, eh?« Er warf einen Blick auf seine Ringuhr. »Wir neigen immer dazu, alles, was wir sehen, nach unserem System zu filtern. Unsere Zivilisation sieht nicht aus freiem Willen durch Heisenbergs Augen. Ist seine Lehre richtig, wie können wir dann sagen, ob das Unbekannte Zufall ist oder Gottes Absicht und Wille? Was nützt es überhaupt, danach zu fragen?«

»Irgendwie scheinen wir die Dinge zu leiten«, verteidigte sich Svengaard.

Potter schüttelte sich vor Lachen. »Sven«, sagte er dann, »Sie sind ein Juwel, und das meine ich ehrlich. Wären Sie und Ihresgleichen nicht, dann lebten wir heute noch in Schlamm und Dreck und würden vor Gletschern und Säbelzahntigern davonrennen.«

Svengaard unterdrückte seinen Ärger. »Und was glauben sie, daß hinter dieser Argininregelung steckt?«

Potter sah ihn prüfend an. »Verdammt, ich glaube, ich habe Sie unterschätzt, Sven. Entschuldigung, was?«

Svengaard zuckte die Achseln. Potter benahm sich heute seltsam; erstaunliche Reaktionen, ungewohnte Gefühlsausbrüche. »Wissen Sie vielleicht, was sie dazu sagen?« fragte er.

»Sie haben doch Max am Telefon gehört.«

Dann war es also doch Max Allgood, überlegte Svengaard.

»Sicher, ich weiß«, knurrte Potter. »Max versteht es ganz falsch. Sie sagen, die Genformung verhängt sich selbst über die Natur — über eine Natur, die niemals auf mechanische Systeme reduziert, niemals zum Stillstand gebracht werden kann. Verstehen Sie, die Bewegung als solche läßt sich nicht aufhalten. Es ist eine Erscheinungsform des Systems, die Energie sucht ein gewisses Niveau, das …«

»Ein ausgeweitetes System also?« fragte Svengaard.

Potter sah seine gefurchten Brauen. Plötzlich konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit auf den Unterschied in den gedachten Formen zwischen jenen, die mit der Zentrale in engem Kontakt standen, und den anderen, die von der Welt der Regenten nur aus Berichten wußten.

»Ausgeweitetes System. Vom Mikrokosmos zum Makrokosmos. Sie sagen, alles ist Ordnung, alles ist System. Die Idee der Materie ist unwirklich. Alles ist ein Aufeinanderprallen von Energie, manchmal groß, blitzartig und spektakulär, manchmal klein, langsam und zart. Aber das ist allzu relativ. Die Aspekte der Energie sind unendlich. Alles ist abhängig vom Standpunkt des Beschauers. Jede Änderung des Standpunktes bedingt eine Änderung der Energieregeln. Es gibt eine unendlich große Zahl solcher Regeln, und jede hängt ab von dem Zwillingsaspekt von Standpunkt und Herkunft. In einem erweiterten System nimmt das von außen kommende Ding die Größe eines Pünktchens auf einer sich bäumenden Woge an. Wenigstens sagen sie das.«

Svengaard rutschte vom Tisch. Fast ehrfürchtig fühlte er, daß er soeben einen flüchtigen Blick hinter die Geheimnisse des Universums getan hatte.

»Das ist ein großartiges Ergebnis, was?« fragte Potter. Er stand auf. »Wirklich, eine großartige Idee!« Lachen schüttelte ihn. »Wissen Sie, ein Mann namens Diderot hat diese Idee gehabt, so um 1750 herum. Wir kriegen sie jetzt löffelweise eingegeben. Welch eine Weisheit!«

»Vielleicht war Diderot … einer von ihnen?« vermutete Svengaard.

Potter seufzte und dachte nach. Wie Unwissend die Menschheit doch wird, lebt sie von der Diät einer gelenkten Geschichte. »Diderot war einer von uns«, knurrte er.

Svengaard schüttelte erstaunt den Kopf. Das war Blasphemie …

»Und es kommt darauf hinaus«, fuhr Potter fort, »daß sich die Natur nicht ins Handwerk pfuschen läßt.«

Neben Svengaards Schreibtisch klingelte es. »Sicherheitsdienst?« fragte Potter.

»Nein, das heißt ›fertig‹. Sie sind jetzt soweit.«

»Und überall die Spürhunde vom Sicherheitsdienst«, stöhnte Potter. »Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich bei Ihnen oder mir zu melden. Wissen Sie, wir beide werden ja auch überwacht.«

»Ich … ich habe nichts zu verbergen«, sagte Svengaard.

»Natürlich nicht«, bestätigte Potter. Er ging um den Tisch herum und legte Svengaard einen Arm um die Schulter. »Kommen Sie. Zeit für uns, die Maske des Archäus aufzusetzen. Wir werden einen lebenden Körper formen. Wir sind wahrlich Götter.«

»Was werden sie mit … mit den Durants tun?« fragte Svengaard verwirrt.

»Tun? Verdammt wenig, wenn die Durants sie nicht herausfordern. Sie werden nicht einmal merken, daß sie überwacht werden. Aber die kleinen Buben von der Zentrale werden genau wissen, was in der kleinen Zelle vor sich geht. Die Durants werden nicht einmal rülpsen können ohne das Gas, das zu einer vollständigen Analyse gehört. Kommen Sie.«

Svengaard zögerte. »Doktor Potter«, sagte er, »was glauben Sie, was diese Argininkette im Keimling der Durants veranlaßt haben könnte?«

»Ich bin näher an der Antwort, als Sie glauben«, erwiderte Potter. »Wir kämpfen … gegen die Instabilität. Mit unseren falschen Isomeren, den Enzymverbesserungen und den Mesonenstrahlen haben wir die biologische Stabilität des Erbbildes verfälscht. Wir haben die chemische Stabilität der Moleküle im Keimplasma untergraben. Sie sind doch Arzt. Schauen Sie doch die Enzymrezepturen an, die wir alle brauchen. Wie genau müssen wir sie dosieren, damit wir überhaupt am Leben bleiben. So war es nicht immer. Und was immer es auch sein mag, das diese Stabilität früher bewirkte — es kämpft noch. Das ist es, was ich denke.«

Загрузка...