Lucky steuerte das wendige Unterseeboot zunehmend sicherer. Er gewöhnte sich mehr und mehr an die Steuerung und entwickelte gleichzeitig ein Gefühl für die sie umgebende See.
Die Männer, die ihnen das Schiff übergaben, hatten ihm voller Besorgnis einen Einweisungskurs nahegelegt, aber Lucky hatte bloß gelächelt und sich auf einige wenige gezielte Fragen beschränkt, während Bigman in Bigman-üblicher Großmäuligkeit ausrief: »Es gibt nichts, was sich bewegt, womit Lucky und ich nicht fertig würden.« Großmäuligkeit hin, Angeberei her, was der Kleine sagte, traf weitgehend zu.
Das Schiff, es hieß Hilda, trieb jetzt mit abgeschalteten Maschinen dahin. Mit geschmeidiger Leichtigkeit durchdrang es den tintenschwarzen Venusozean. Sie lasen ihren Kurs von den Instrumenten ab. Bisher hatten sie den starken Suchscheinwerfer des Schiffes noch nicht benutzt. Die Radaranlage konnte sie viel besser mit Informationen über den finsteren Abgrund, der vor ihnen lag, versorgen, als es die Scheinwerfer je vermocht hätten.
Zusammen mit den Radarimpulsen wurden spezielle Mikrowellen ausgesandt, die mit maximaler Stärke von der Aluminiumlegierung, aus der die Außenhaut eines Unterwasserschiffes bestand, reflektiert wurden. Ihre Reichweite betrug Hunderte von Meilen. Die Mikrowellen streckten ihre Energiesuchfühler in diese und jene Richtung aus und suchten dabei nach einem Metall von bestimmter
Beschaffenheit; fanden sie es, dann hasteten sie auf dem Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück.
Bislang war noch kein Refleximpuls zurückgelaufen und die Hilda ging in den Schlamm nieder; über ihr stand eine siebenhundert Meter hohe Wassersäule. Vom sanften, durch die mächtigen Strömungen des venusumspannenden Ozeans hervorgerufenen Schaukeln abgesehen, lag die Hilda regungslos im Schlick.
*
In der ersten Stunde war sich Bigman der Mikrowellen und dem Objekt ihrer Suche kaum bewußt gewesen. Das Schauspiel, das man durch die Bullaugen verfolgen konnte, hatte ihn völlig gefangengenommen.
Das Leben in der Tiefsee auf dem Planeten Venus ist phosphorisierend. Die schwarzen Tiefen des Ozeans sind mit Lichtern gesprenkelt, dichter als der Himmel mit Sternen. Die Lichter sind größer, heller als jene am Firmament, und, was das Wichtigste ist: sie bewegen sich. Bigman drückte seine Nase an der dicken Scheibe platt und starrte gebannt hinaus.
Einige Lebensformen sahen wie kleine runde Kleckse aus, die sich langsam kräuselnd fortbewegten. Andere wiederum wirkten wie dahinschnellende Linien. Wieder andere waren die Seeschleifen, wie Lucky und Bigman sie im Grünen Salon gesehen hatten.
Nach einiger Zeit gesellte sich Lucky hinzu. »Wenn ich mich an meine Xenozoologie recht erinnere.«
»Deine was?«
»Die Wissenschaft der außerterrestrischen Tiere, Bigman. Ich habe grade ein Buch über Lebensformen auf der Venus durchgeblättert. Ich habe es auf deine Koje gelegt für den Fall, daß du einmal hineinsehen möchtest.«
»Vergiß es, mir reicht es, wenn du es mir erzählst.«
»In Ordnung, wir können mit den kleinen Dingern dort anfangen. Ich glaube, dabei handelt es sich um eine Schule von Knöpfen.«
»Knöpfe?« wiederholte Bigman. »Klar, ich verstehe, was du meinst.«
Durch das Bullauge konnte man eine ganze Ansammlung gelber Lichtovale, die sich über den schwarzen Hintergrund bewegten, erkennen. Ein jedes hatte schwarze Zeichen in Form zweier kurzer paralleler Linien. Sie bewegten sich rasch in kurzen Intervallen, schwebten für einen Augenblick bewegungslos, um sich dann wieder zu bewegen. Die vielen Dutzend, die man sehen konnte, bewegten und ruhten alle gleichzeitig, so daß Bigman den seltsamen Eindruck gewann, als bewegten sich die Knöpfe selbst überhaupt nicht, sondern daß das Schiff sie alle halbe Minute überholte.
»Sie laichen gerade, glaube ich«, sagte Lucky. Er schwieg eine ganze Weile, dann sagte er: »Die meisten Sachen geben mir Rätsel auf. Aber warte mal! Das da muß ein Purpurlappen sein. Siehst du ihn? Das dunkelrote Ding mit den unregelmäßigen Umrissen? Er ernährt sich von Knöpfen. Paß' mal genau auf.«
Unter die gelben Lichtflecken kam Bewegung, sie hatten den herabstoßenden Räuber bemerkt, aber ein Dutzend Knöpfe wurden von dem wütenden Rot des Purpurlappens ausgelöscht. Dann war der Lappen auf einmal die einzige Lichtquelle im Sichtbereich des Bullauges. Die Knöpfe waren in alle Richtungen davongestoben.
»Der Lappen hat die Form eines großen Pfannkuchens mit umgeklappten Rändern«, bemerkte Lucky, »jedenfalls steht es so in dem Buch. Er besteht aus kaum etwas anderem als Haut und einem kleinen Gehirn im Körperzentrum. Er ist nur drei Zentimeter dick. Man kann es an einem Dutzend Stellen durchreißen, ohne daß es ihm etwas ausmacht. Schau mal, wie unregelmäßig dieser hier vor uns geformt ist. Ein Pfeilfisch hat wahrscheinlich ein bißchen an ihm herumgeknabbert.«
Der Purpurlappen bewegte sich jetzt und schwebte aus ihrem Sichtfeld. Außer einem oder zwei sterbenden gelben Schimmern, war dort, wo er gewesen war, nicht mehr viel übrig. Ganz allmählich und zögernd kamen die Knöpfe wieder.
»Der Purpurlappen legt sich einfach auf den Meeresboden, dabei hält er sich mit seinen Rändern am Schlick fest und verdaut alles, was er unter sich bedeckt hat. Es gibt auch noch eine andere Sorte, die Orangelappen, die sind bedeutend angriffslustiger. Obwohl sie nur dreißig Quadratzentimeter im Durchmesser und nicht viel dicker als ein Blatt Papier sind, können sie einen Wasserstrahl abschießen, der einen ausgewachsenen Mann umwirft. Die größeren Exemplare sind noch gefährlicher.«
»Wie groß werden die denn?« fragte Bigman.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung. In dem Buch steht, es gäbe gelegentlich Berichte über ungeheure Monster -Pfeilfische, über einen Kilometer lang und Lappen, die ganz Aphrodite abdecken können. Aber das sind alles unbestätigte Berichte.«
»Über einen Kilometer lang! Ich wette, daß das unbestätigte Berichte sind.«
Lucky hob die Augenbrauen. »So unwahrscheinlich ist das nun auch wieder nicht. Was wir hier sehen, sind Küstenwasserexemplare. Der Venusozean ist an einigen Stellen mehr als fünfzehn Kilometer tief. Es ist also für allerhand Dinge Platz da.«
Bigman sah seinen Freund zweifelnd an. »Hör' mal, du versuchst mir einen Haufen Weltraumstaub zu verhökern.« Er wandte sich abrupt ab und ging weg. »Ich glaube, ich werde mir das Buch doch einmal ansehen.«
*
Die Hilda fuhr weiter und bezog eine neue Position, während die Mikrowellen losjagten und suchten. Dann ging es weiter. Immer weiter. Langsam suchte Lucky das Unterwasserplateau, auf dem Aphrodite stand, ab.
Er wartete mit grimmiger Mine vor den Instrumenten. Hier irgendwo mußte sein Freund Lou Evans sein. Evans Schiff war weder im Weltraum noch in der Atmosphäre flugfähig und tiefer als zwei Meilen konnte er auch nicht tauchen, also mußte er sich auf die Gewässer rings um das Aphroditeplateau beschränken.
In dem Moment, als er das mußte zum zweiten Mal in Gedanken wiederholte, bemerkte er das Aufleuchten auf der Instrumententafel. Das Mikrowellen-Feedback steuerte den Richtungssucher auf einen bestimmten Punkt ein, und der Echo-Blip erhellte den gesamten Empfangs- und Bildschirm.
Im gleichen Moment war Bigmans Hand auf Luckys Schulter. »Das ist es! Das ist es!«
»Möglich«, pflichtete Lucky bei. »Aber vielleicht ist es bloß ein anderes Schiff oder nur ein Wrack.«
»Stell' seine Position fest, Lucky. Bei allen Marswüsten, stell' die Position fest!«
»Mach' ich ja, Junge, wir fahren doch schon.«
Bigman konnte die Beschleunigung spüren, und hörte das Summen der Schraube.
Lucky beugte sich über Sender und Entschlüsselungsgerät, seine Stimme klang eindringlich. »Lou! Lou Evans! Hier spricht Lucky Starr! Bestätigen! Lou! Lou Evans!«
Die Worte gingen wieder und wieder über den Äther. Je mehr die Entfernung zwischen den beiden Schiffen abnahm, desto heller wurde das Mikrowellenecho.
Keine Antwort.
»Das Schiff, das wir anfunken, bewegt sich nicht, Lucky. Vielleicht handelt es sich tatsächlich um ein Wrack. Wenn es das Ratsmitglied wäre, würde er entweder antworten oder versuchen zu entkommen, oder was meinst du?«
»Pst!« machte Lucky. Als er jetzt in das Mikrophon sprach, hörte sich seine Stimme ruhig und dringlich an: »Lou, es hat keinen Zweck, daß du versuchst, dich zu verstecken. Ich kenne die ganze Wahrheit. Ich weiß, warum du in Morriss Namen die Botschaft mit der Bitte um deine Ablösung zur Erde geschickt hast. Ich weiß auch, wen du für den Feind hältst. Lou Evans! Bestätigen.«
Der statisch aufgeladene Empfänger knisterte.
Durch den Decoder drangen Geräusche und wurden zu verständlichen Worten: »Bleib' weg, wenn du das alles weißt, bleib' weg!«
Lucky grinste erleichtert. Bigman jauchzte laut auf.
»Du hast ihn«, schrie der kleine Mann vom Mars.
»Wir kommen und holen dich«, sagte Lucky in die Sprechanlage. »Halte durch, wir, du und ich, wir werden sie fertigmachen.«
Worte kamen langsam zurück: »Du verstehst nicht. ich versuche gerade.« Dann, es hörte sich fast wie ein Kreischen an: »Um der Erde willen, Lucky, bleib' wo du bist! Komm' nicht näher!«
Mehr kam nicht über den Sender. Unaufhaltsam preschte die Hilda auf Evans Position zu. Die Stirn runzelnd, lehnte sich
Lucky zurück. »Wenn der dermaßen Angst hat, warum flieht er dann nicht?« murmelte Lucky vor sich hin.
Bigman hörte gar nicht hin. In seiner Stimme schwang Begeisterung, als er sagte: »Phantastisch, Lucky, ganz phantastisch, wie du ihn zum Reden gebracht hast.«
»Das war kein Bluff, Bigman«, gab Lucky grimmig zurück. »Ich habe den Schlüssel zu dem ganzen Durcheinander. Du hättest ihn übrigens auch, wenn du nur mal einen Moment nachdenken würdest.«
»Worauf willst du hinaus?« fragte Bigman unsicher.
»Kannst du dich an den kleinen Raum erinnern, in dem wir mit Dr. Morriss gewartet haben, bis sie Lou Evans gebracht haben? Erinnerst du dich noch an das Allererste, was passierte?«
»Nein.«
»Du fingst zu lachen an. Du hast gesagt, ich sähe seltsam und verstümmelt ohne Schnäuzer aus. Und mir ging es mit dir genauso. Das habe ich auch gesagt. Erinnerst du dich?«
»Oh ja, na klar doch.«
»Hast du dich einmal gefragt, warum das so war? Wir hatten stundenlang nur Männer mit Schnauzbärten gesehen. Woher kam es, daß wir beide zur gleichen Zeit den selben Gedanken hatten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Nimm' mal an, dieser Gedanke wäre jemandem gekommen, der über telepathische Fähigkeiten verfügt. Nimm' weiter an, daß diese Überraschung von seinem Verstand in den unseren übergegangen ist.«
»Willst du damit sagen, daß die Gehirnmanipulierer, oder einer von ihnen mit uns zusammen im Zimmer war?«
»Würde das die Dinge nicht erklären?«
»Aber das ist unmöglich. Der einzige andere Mensch war Dr. Morriss. Lucky! Du willst doch nicht behaupten, Dr. Morriss ist es!«
»Morriss hat uns doch die ganze Zeit über angesehen. Warum sollte er plötzlich darüber erstaunt sein, daß wir keine Schnäuzer haben?«
»Na also, hat sich vielleicht jemand versteckt?«
»Nicht versteckt«, antwortete Lucky. »Im Zimmer befand sich noch ein Lebewesen, und es war gut zu sehen.«
»Nein«, rief Bigman. »Oh nein.« Er brach in schallendes Gelächter aus. »Bei allen Marswüsten, du meinst doch nicht etwa den V-Frosch?«
»Warum nicht?« erwiderte Lucky ruhig. »Wir sind wahrscheinlich die ersten Männer ohne Schnauzbart gewesen, die er je zu Gesicht bekommen hat. Das hat ihn überrascht.«
»Aber das ist unmöglich.«
»Ist es das wirklich? Es gibt sie in der ganzen Stadt. Die Leute sammeln sie, sie sind ganz vernarrt in die Tierchen. Die Frage ist, lieben sie die V-Frösche wirklich? Oder ist es nicht vielmehr so, daß die V-Frösche auf telepathischem Wege Liebe bei den Menschen hervorrufen, damit sie gefüttert und gepflegt werden?«
»Beim All, Lucky!« meinte Bigman. »Es ist doch nicht verwunderlich, daß die Leute sie mögen. Sie sind niedlich. Man braucht Menschen nicht zu hypnotisieren, damit sie V-Frösche leiden können.«
»Hast du den Frosch spontan gemocht, Bigman? Es gab nichts, was dich dazu veranlaßt hat?«
»Ich bin todsicher, daß nichts mich dazu veranlaßt hat, ihn zu mögen. Er gefiel mir einfach.«
»Er gefiel dir einfach? Es dauerte keine zwei Minuten, da hast du den ersten V-Frosch, den du zu Gesicht bekommen hast, schon gefüttert. Erinnerst du dich daran?«
»Da ist doch nichts dabei, oder?«
»Ah, aber womit hast du ihn gefüttert?«
»Was er gern mag. Erbsen mit Wagenschm.« Die Stimme des Kleinen erstarb.
»Genau. Dieses Fett roch nach Wagenschmiere. Wie bist du dazu gekommen, die Erbse in das Zeug zu tauchen? Fütterst du Haustiere immer mit Wagenschmiere? Hast du je ein Tier gekannt, das Wagenschmiere frißt?«
»Bei allen Marswüsten!« sagte Bigman leise.
»Liegt es nicht auf der Hand, daß der V-Frosch etwas haben wollte, und da du gerade verfügbar warst, hat er dich dazu gekriegt, ihm etwas zu geben. daß du nicht ganz dein eigener Herr warst?«
»Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen«, murmelte Bigman, »aber wenn du es einem erklärst, hört sich die Sache so einfach an. Ich fühle mich schrecklich.«
»Warum?«
»Die Gedanken eines Tieres in meinem Kopf zu haben, ist eine Vorstellung, die mir widerwärtig ist. Ist irgendwie unsauber, ungesund.« Sein kleines, koboldhaftes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse der Abscheu.
»Unglücklicherweise ist das Ganze mehr als nur unsauber«, bemerkte Lucky.
Er wandte sich wieder den Instrumenten zu.
*
Das Intervall zwischen der Lotpeilung und dem Echo verriet, daß die beiden Schiffe knapp einen Kilometer voneinander entfernt waren. Mit überraschender Plötzlichkeit zeigte der Radarschirm den Schatten von Evans Schiff.
Luckys Stimme ging über den Sender. »Evans, wir können dich jetzt sehen. Kannst du manövrieren? Ist dein Schiff angeschlagen?«
Die Antwort war eindeutig gefühlsbewegt: »Die Erde ist mein Zeuge, Lucky, ich habe mein Bestes versucht, dich zu warnen. Du sitzt in der Falle! Genau wie ich!«
Als sollte der Klageruf des Ratsmitgliedes noch unterstrichen werden, wurde das Unterwasserschiff Hilda im gleichen Moment von einem Schlag getroffen, das sie auf die Seite legte und die Hauptaggregate außer Gefecht setzte.