Fünf

Das Bild von Colonel Carabali salutierte Geary. »Meine Marines sind bereit, die Syndik-Basis zu sichern, Captain Geary.«

Der betrachtete die Eiswelt, die jetzt keine Lichtminute mehr von der Dauntless entfernt war. »Bläuen Sie Ihren Marines ein, dass bei der Einnahme der Basis so wenig wie möglich beschädigt wird.

Wenn wir geborgen haben, was wir gebrauchen können, werden wir alles vernichten, was militärisches Potential besitzt, aber ich will Gewissheit haben, dass wir nichts zerschießen, was wir selbst benutzen wollen.«

»Meine Leute wurden ausdrücklich darauf hingewiesen, Kollate-ralschäden so weit wie nur irgend möglich zu vermeiden, Captain Geary.«

Geary wollte fast schon fragen, ob das wirklich so zu verstehen war, dass sie ihre Befehle Wort für Wort befolgten, doch er konnte sich gerade noch zurückhalten. Wenn sich die Dinge nicht viel tief-greifender verändert hatten, als er es sich träumen lassen konnte, dann fragte man nicht nach, ob ein Marine seine Befehle befolgte.

Man ging einfach davon aus, dass er es tat, und das war alles. »Sehr gut. Schicken Sie Ihre Landetrupps los. Die Arrogant, die Exemplar und die Braveheart haben die Verteidigungsanlagen nahe der Basis ausgeschaltet und werden ihre Position über Ihnen für den Fall beibehalten, dass Sie auf deren Feuerkraft zugreifen müssen.«

»Vielen Dank, Captain Geary. Meine Marines werden diese Basis in Kürze für Sie einnehmen. Intakt.« Colonel Carabali fügte das letzte Wort mit einem Zucken ihrer Lippen hinzu, das womöglich ein Lächeln darstellen sollte.

Geary lehnte sich zurück, rieb sich die Stirn und fragte sich, warum sich die Dinge entweder zu schnell oder zu langsam abspiel-ten und warum es keinen richtigen Übergang zwischen den beiden Zuständen gab. Er sah auf das Display, wo die Schiffe seiner Flotte, die nicht an der Einnahme der Syndik-Basis beteiligt waren, ihre Fahrt auf 0,05 Licht reduziert hatten. Da es keinen Feind mehr gab, der für sie interessanter war als Gearys Befehle, war in ihren Reihen endlich Ordnung eingekehrt. Die Titan und die anderen Hilfsschiffe wurden nun wieder von Eskorten geschützt und bewegten sich ein Stück weit oberhalb der Flotte, um auf direktem Kurs den Sprungpunkt anzufliegen, den sie in einigen Tagen nutzen würden, um das Corvus-System zu verlassen.

Als sein Blick auf die Schlachtkreuzer fiel, die sich nach wie vor beeilten, zum Rest der Flotte aufzuschließen, begann er zu grübeln.

Wie viel Zeit bleibt mir in diesem System? Wie lange haben die Syndiks benötigt, um ihre Flotte neu zu ordnen, zu entscheiden, wie viele Schiffe sie hinterherschicken müssen, und uns in den Sprungraum zu folgen? Ich bin diese Fragen tausendmal durchgegangen, und es läuft immer darauf hinaus, dass ich es einfach nicht weiß. Aber von den Minen abgesehen, die Duellos am Sprungpunkt ausgesetzt hat, wage ich es nicht, ein Schiff als Wachposten zurückzulassen.

Geary widmete sich den restlichen Syndik-Aktivitäten im Corvus-System. Eine Sphäre, die sich mit Lichtgeschwindigkeit auf dem Display ausbreitete, ließ ihn erkennen, wo man die Lichtwellen von der Ankunft seiner Flotte sehen konnte. Es war schon eine sonderbare Vorstellung, dass man auf der bewohnten Welt erst in einer Weile vom Eintreffen der Flotte und von der Stunden später erfolgenden Zerstörung der drei Syndik-Schiffe erfahren würde. Der Krieg hatte seinen Weg nach Corvus gefunden, doch die Bewohner des Systems sollten davon erst in einigen Stunden Kenntnis erhalten.

Vom Syndik-Commander hatte er nichts mehr gehört. Entweder saß der Mann über sein Handbuch gebeugt und suchte nach Anweisungen, was er als Nächstes tun musste, oder er war bei der Bombardierung der Basis getötet worden. Angesichts der Besatzungsmitglieder, die auf den beiden Syndik-Schiffen umgekommen waren, nachdem sie einen sinnlosen Kampf bis zum Tod geführt hatten, konnte Geary nur auf Letzteres hoffen.

Er versuchte sich an den Kontrollen, bis er endlich eine Darstellung fand, die ihm Informationen über die Syndik-Basis in ihrer Nähe lieferte. Einige der Bilder schienen zu bestätigen, dass die Basis über große Vorräte verfügte, die an Schiffe ausgegeben werden konnten, die ihre eigenen Bestände aufstocken mussten. Man konnte getrost davon ausgehen, dass diese Vorräte noch dort lagerten, selbst wenn die Basis aufgegeben worden sein sollte. Schließlich würden die Kosten für ihren Abtransport ihren Wert deutlich über-steigen, und auf Welten, die weit genug von ihrer Sonne entfernt waren und über keine nennenswerte Atmosphäre verfügten, war es meistens ein Leichtes, Vorräte tiefzukühlen. Die Vorräte sind für Syndik-Kriegsschiffe vorgesehen, aber ich werde jetzt ganz bestimmt nicht wählerisch sein. Ich habe zwar meine Zweifel, trotzdem hoffe ich, dass deren Flottenrationen besser schmecken als das, was einem die Allianz auf-tischt.

Bei den Vorfahren! Ich habe einen Witz gemacht. Ich frage mich, ob ich allmählich auftaue.

Und ich frage mich, ob ich überhaupt auftauen möchte.

»Captain Geary.« Er sah über die Schulter und entdeckte Co-Präsidentin Rione, die noch immer auf ihrem Platz auf der Brücke saß.

Ihre Miene ließ keine Gefühlsregung erkennen. »Glauben Sie, damit ist aller Syndik-Widerstand im Corvus-System eliminiert?«

»Nein.« Er deutete auf das Display vor seinem Platz, wusste aber nicht, wie viel davon sie erkennen konnte. »Wie Sie gesehen haben, sind unsere Marines derzeit damit beschäftigt, die Militärbasis auf dem vierten Planeten einzunehmen. Rund um den zweiten, den bewohnten Planeten, gibt es weitere militärische Anlagen. Die wissen bislang noch nicht mal, dass wir hier sind.«

»Werden die eine Bedrohung für die Flotte darstellen?«

»Nein. Sie sind veraltet und nur darauf ausgelegt, den Planeten zu verteidigen, den wir uns aber gar nicht erst vornehmen werden, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt.«

Captain Desjani sah Geary überrascht an. »Wir sollten alle militärischen Anlagen der Syndiks in diesem System unschädlich machen.«

»Diese Festungen können uns nicht gefährlich werden, und sie sind es nicht wert, dass die Syndiks sie verlegen«, erwiderte Geary.

»Ich dagegen müsste einige Schiffe hinschicken, wertvolle Waffen vergeuden und besorgt sein, dass Trümmerstücke von diesen Anlagen in die Atmosphäre stürzen und die Zivilbevölkerung auf dem Planeten gefährden.«

»Verstehe«, sagte sie. »Es gibt keinen Grund, unseren ohnehin be-grenzten Vorrat an Waffen weiter zu reduzieren, und Sie wollen die Flotte nicht aufteilen.«

»Richtig.« Geary ging nicht darauf ein, dass sie seine Sorge um zi-vile Opfer offenbar nicht teilte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Rione sie beide aufmerksam beobachtete.

Die Co-Präsidentin zeigte auf Gearys Display. »Die am Sprungpunkt postierten Streitkräfte haben Sie zurückgerufen?«

»Ja. Wenn jetzt noch eine Flotte den Sprungraum verlässt, wird die fast mit Gewissheit zu mächtig sein, als dass meine Schlachtkreuzer noch etwas gegen sie ausrichten könnten. Außerdem bin ich nicht bereit, noch ein einziges Schiff zu opfern, nur um den Syndiks die Nase blutig zu schlagen.«

Rione musterte die Anzeigen. »Meinen Sie nicht, die Schiffe könnten sich schnell genug zurückziehen, um sich uns wieder anzuschließen?«

»Nein, Madam Co-Präsidentin, das meine ich nicht.« Während er redete, bewegte Geary einen Finger über das Display. »Sehen Sie, alles was aus dem Sprungpunkt kommt, wird wahrscheinlich mit Ver-folgungsgeschwindigkeit unterwegs sein. Sagen wir 0,1 Licht, so wie wir auch. Während sie Wache hielten, vollzögen sie die Bewegungen des Sprungpunkts innerhalb des Systems mit, aber das spielte sich wesentlich langsamer ab. Die Syndiks hätten mit der Geschwindigkeit, mit der sie ins System kommen würden, einen Vorteil gegenüber meinen Schlachtkreuzern, den weder sie noch ein anderes Schiff dieser Flotte schnell genug ausgleichen könnten, bevor sie zu Wracks zusammengeschossen werden.«

Desjani war der Unterhaltung schweigend gefolgt, doch jetzt sah sie Rione an. »Hätten wir automatisierte Kriegsschiffe, dann könnten wir ein paar davon auf diese Mission schicken, ohne unser Personal in Gefahr zu bringen. Doch über die verfügen wir nicht.«

Geary stutzte, als er den beiden Frauen ansah, dass diese Bemerkung einen realen Hintergrund hatte. »Wurde das in Erwägung gezogen? Vollautomatische Kriegsschiffe?«

»Es wurde vorgeschlagen«, entgegnete Rione ironisch.

Captain Desjanis Gesicht nahm einen harten Zug an. »Nach der Meinung vieler Offiziere würden wir einen großen Vorteil erlangen, wenn es uns erlaubt wäre, in Situationen wie dieser unbemannte Schiffe einzusetzen, die von künstlicher Intelligenz gelenkt werden.«

Rione und Desjani warfen sich erbitterte Blicke zu. »Dann fürchte ich, dass diese Offiziere mit ihrer Enttäuschung werden leben müssen. Eine meiner letzten Amtshandlungen, bevor ich mit dieser Flotte das Gebiet der Allianz verließ, bestand darin, in der Allianz-Versammlung über ein solches Programm abzustimmen. Es würde mit überwältigender Mehrheit abgelehnt, da die Zivilregierung der Allianz nicht bereit ist, Waffen und deren Einsatz von der Entscheidung einer künstlichen Intelligenz abhängig zu machen. Vor allem, wenn die KIs die Kontrolle über Kriegsschiffe erhalten, mit denen bewohnten Welten großer Schaden zugefügt werden kann.«

Desjani lief rot an. »Wenn eine überwachende KI installiert würde…«

»Diese KIs wären potentiell genauso fehlbar und instabil, und man könnte die Entwicklung ihres Verhaltens unmöglich vorhersagen.«

»Dann installieren Sie einen Widerruf!«

Rione schüttelte beharrlich den Kopf. »Jede KI, die ein Kriegsschiff lenken kann, wäre auch in der Lage, einen Widerruf zu umgehen.

Und was, wenn unsere Feinde durch Experimente oder Spionage Zugriff auf diesen Widerruf erhielten? Ich habe kein Verlangen danach, dass die Syndiks die Kontrolle über die Kriegsschiffe erlangen, die wir gebaut haben. Nein, Captain, wir glauben nicht, dass wir KIs weit genug vertrauen können, um sie so eigenständig arbeiten zu lassen. Ich versichere Ihnen, die Versammlung ist nicht in der Stimmung, in diesem Punkt nachzugeben. Weder jetzt noch irgendwann in absehbarer Zukunft.«

Mit finsterer Miene deutete Desjani ein fast nicht wahrnehmbares Nicken an, dann wandte sie sich wieder ihrem Display zu.

»Nun«, fuhr Geary fort, als hätte das Wortgefecht gar nicht stattge-funden, »wir haben die Streitkräfte der Syndik-Navy in diesem System ausgeschaltet, und nun werde ich der bewohnten Welt eine Drohung senden, damit sie uns einige Schiffsladungen mit allem schicken, was wir gebrauchen können. Vor allem Lebensmittel, vielleicht auch ein paar Energiezellen, falls wir diese Syndik-Geräte an unsere Maschinen anschließen können.«

Ein Offizier mit grau meliertem Haar rechts von Geary schüttelte den Kopf. »Geht nicht, Sir. Die haben alles vorsätzlich so entworfen, dass es mit unserer Technologie nicht kompatibel ist. Genauso wie bei ihren Waffen. Aber wenn wir an die richtigen Rohstoffe gelangen, dann können die Titan und die Jinn neue Waffen herstellen. Außerdem kann die Titan auch Energiezellen liefern, was ebenfalls für die Witch gilt.«

»Danke.« Geary versuchte, diese schnelle und präzise Auskunft mit einem anerkennenden Blick zu würdigen. »Können diese Schiffe mir mitteilen, was sie benötigen?«

»Wir haben alle Informationen an Bord der Dauntless, Sir. Vorausgesetzt, die zuletzt mitgeteilten Angaben sind zutreffend.«

»Sind Sie für die Versorgung zuständig?«

Der grauhaarige Mann salutierte unbeholfen, als habe er die Geste schon lange Zeit nicht mehr gemacht. »Für die Maschinen, Sir.«

»Sorgen Sie dafür, dass wir genau wissen, was auf jedem Schiff am dringendsten benötigt wird.«

»Jawohl, Sir!« Der Mann strahlte, da es für ihn offenbar eine Ehre war, von Geary persönlich eine Aufgabe zugewiesen zu bekommen.

Geary wandte sich an Desjani. »Auf die Weise kann ich mir wenigstens sicher sein, dass ich an die Syndiks in diesem System die richtigen Forderungen stelle.«

Co-Präsidentin Rione stand auf, kam nach vorn und beugte sich zu Geary vor, um gerade laut genug etwas zu sagen, damit Geary und Desjani sie hören konnten. »Wenn Sie exakt diese Forderungen stellen, Captain Geary, verraten Sie den Syndiks automatisch, was wir am dringendsten nötig haben.«

Desjani verzog das Gesicht. Geary fand, dass sie recht unglücklich dreinschaute, doch er musste zugeben, dass Rione recht hatte. »Was schlagen Sie vor?«, fragte er genauso leise.

»Dass Sie zusätzlich ein paar irreführende Forderungen stellen.

Dann werden die Syndiks nicht wissen, was wir wirklich benötigen und was wir uns sozusagen als Luxus gönnen wollen.«

»Gute Idee.« Geary grinste sie schief an. »Hätten Sie zufälligerwei-se auch einen Vorschlag, wer unsere Forderungen den hiesigen Be-hörden nennen soll?«

»Wollen Sie mich rekrutieren, Captain Geary?«

»So würde ich das nicht formulieren wollen, Madam Co-Präsidentin. Aber Sie besitzen die notwendigen Fähigkeiten, und es wäre schön, wenn Sie sich freiwillig melden, bevor ich Ihnen den Auftrag dazu gebe.«

»Ich werde darüber nachdenken.« Rione deutete mit einer Kopfbewegung auf Gearys Display. »Mir ist das meiste klar, was im Moment passiert. Aber ich weiß nicht, was es mit den Aktivitäten rund um die Korvette auf sich hat, deren Crew kapituliert hat.«

»Aus der Korvette nehmen wir alles mit, was wir gebrauchen können«, erklärte Geary ihr, dann sah er sich die angezeigten Informationen genauer an und warf Desjani einen fragenden Blick zu. Dass sie nichts Ungewöhnliches feststellen konnte, störte ihn umso mehr.

Er betätigte seine Kommunikationskonsole. » Audacious, warum sind alle Rettungskapseln der Syndik-Korvette auf dem Weg zu Ihnen?«

Das andere Schiff lag nicht weit entfernt, sodass die Antwort fast in Echtzeit einging. »An Bord der Rettungskapseln befinden sich Materialien, die wir ausschlachten können. Vor allem Lebenserhal-tungssysteme und Notrationen.«

»Wollen Sie die Korvette intakt lassen?« Nicht, dass dies eine Bedrohung dargestellt hätte, aber es entsprach nicht Gearys Absicht, irgendein feindliches Kriegsschiff unversehrt zurückzulassen, ganz gleich ob die Gefechtssysteme unbrauchbar gemacht worden waren oder nicht.

»Nein, Sir«, kam die Antwort von der Audacious. »Die Korvette wird durch eine Überladung des Antriebs zerstört werden, sobald wir das Schiff ausgeschlachtet haben.«

Geary wartete, doch da von der Audacious kein weiterer Kommentar kam, tippte er abermals auf die Kommunikationstaste. » Audacious, was haben Sie mit der Besatzung der Korvette vor?«

»Die ist auf der Korvette, Sir.« Die Stimme hatte einen verwunder-ten Tonfall angenommen.

Wieder wartete Geary einen Moment lang darauf, dass die Audacious seine Frage vollständig beantwortete. Eben wollte er sie wieder rufen, da wurde ihm mit Entsetzen bewusst, dass er eine vollständige Antwort erhalten hatte. » Was beabsichtigen Sie mit der Besatzung der Korvette zu machen? «

» Die ist auf der Korvette, Sir. « Auf jener Korvette, die durch eine Überladung des Antriebs gesprengt werden sollte!

Geary sah auf seine Hand, die er noch immer über der Kommunikationstaste hielt und bemerkte, wie sehr sein Unterarm zitterte. Er fragte sich, wie der Rest von ihm auf den Schock dessen reagierte, was ihm soeben klar geworden war. Die wollen die Gefangenen mit deren eigenem Schiff in die Luft jagen! Bei den Vorfahren, was ist nur aus meinem Volk geworden? Er schaute zu Captain Desjani, die sich mit einem der Wachhabenden der Dauntless unterhielt und sich zu dem Gespräch mit der Audacious nicht äußerte. Rione hatte offenbar wieder Platz genommen, da er sie nicht mehr sehen konnte.

Einen Moment lang schloss er die Augen, um seine Gedanken zu ordnen, dann öffnete er sie langsam wieder und betätigte schließlich die Kommunikationstaste. » Audacious, hier spricht Captain Geary.«

Ihr wollt gerade einen Massenmord begehen, ihr Bastarde! »Lassen Sie die Rettungskapseln zur Syndik-Korvette zurückkehren.«

Einige Sekunden verstrichen, dann kam die Reaktion der Audacious: »Sir? Sie wollen die Rettungskapseln auch zerstören? Aber da ist einiges, was wir gebrauchen könnten.«

Geary starrte stur geradeaus und sprach mit tonloser Stimme.

»Was ich will, Audacious, ist Folgendes: Der Crew dieser Korvette soll erlaubt werden, das Schiff vor dessen Zerstörung mit den Rettungskapseln zu verlassen, damit diese Leute sich in Sicherheit bringen können. Haben Sie das verstanden?«

Es schloss sich eine längere Pause an. »Wir sollen sie entkommen lassen?« Für den Captain der Audacious musste das ein unvorstellba-rer Gedanke sein.

Geary bemerkte, wie Captain Desjani ihn anstarrte, doch er ignorierte sie und redete langsam weiter, wobei er jedes Wort so betonte wie einen Hammerschlag. »Das ist korrekt. Die Allianz-Flotte ermordet keine Gefangenen, und sie verstößt nicht gegen Kriegsrecht.«

»Aber… aber… wir…«

In diesem Moment beugte sich Desjani vor und flüsterte ihm zu:

»Die Syndiks…«

Das brachte das Fass zum Überlaufen. »Mir ist egal, wie was bisher gehandhabt wurde!«, brüllte er und meinte sowohl den Captain der Audacious als auch die Brückencrew der Dauntless. »Mir ist auch egal, was unsere Feinde machen! Ich werde nicht zulassen, dass unter meinem Kommando irgendein Schiff dieser Flotte ein Massaker an Gefangenen anrichtet! Ich werde nicht zulassen, dass diese Flotte, die Allianz und die Vorfahren aller Besatzungsmitglieder entehrt werden, weil unter dem allsehenden Auge der lebenden Sterne Kriegsverbrechen begangen werden. Wir sind Matrosen der Allianz, und wir werden uns an den Ehrenkodex halten, an den unsere Vorfahren glaubten. Noch irgendwelche Fragen?«

Auf der Brücke war Stille eingekehrt. Captain Desjani starrte ihn sichtlich schockiert an. Schließlich meldete der Captain der Audacious leise: »Die Rettungskapseln sind auf dem Weg zurück zur Korvette, Captain Geary.«

Es kostete ihn Mühe, ruhig zu erwidern: »Danke.«

»Wenn Sie mich meines Postens entheben möchten…«

»Nein.« Einige Tage war es bereits her, dass ihn dieses Schwäche-gefühl überkommen hatte, doch nun schien es wieder so weit zu sein. Geary versuchte, dagegen anzukämpfen, ohne auf seine Medikamente zurückzugreifen. »Ich kenne nicht alle Einzelheiten, die zu dieser Situation beigetragen haben, und ich habe allen Grund zu der Annahme, dass Sie Ihre Pflichten lediglich so ausführen wollten, wie Sie es gewohnt sind. Aber Sie sollen wissen, alle in der Vergangenheit begangenen Kriegsverbrechen haben hier und jetzt ein Ende.

Wir sind die Allianz, wir besitzen Ehre. Wenn wir diese Ehre wahren, dann werden wir siegen. Wenn wir sie nicht wahren… dann verdienen wir nicht zu siegen.«

»Ja, Sir.« Der Stimme des Captains der Audacious war nicht anzumerken, was er von Gearys Worten hielt, doch zumindest befolgte er seine Befehle.

Geary ließ sich in seinen Sessel sinken und fand, dass er in den letzten Minuten um jene hundert Jahre gealtert war, die er zuvor verschlafen hatte. Captain Desjani starrte mit nachdenklicher Miene vor sich auf das Deck. Sie ist ein guter Offizier. So wie der Captain der Audacious, aber genauso fehlgeleitet. An irgendeinem Punkt sind wichtige Dinge in Vergessenheit geraten. »Captain Desjani…«

»Sir.« Sie schluckte und schüttelte den Kopf. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Sir. Während Sie mit der Audacious sprachen, ging eine Meldung der Marines ein. Sie haben die Basis eingenommen und räumen jetzt da auf.«

»Danke, Captain Desjani. Was ich sagen wollte…«

»Sir, die Marines haben den größten Teil der Garnison auf dieser Basis gefangen genommen.«

Geary nickte, gleichzeitig versuchte er zu verstehen, warum Desjani ihn nicht ausreden ließ.

»Der Rest der Flotte hat gehört, was Sie der Audacious sagten. Aber die Marines werden nicht die Kommunikationsleitungen mitgehört haben, die Sie dafür benutzten.«

Dann begriff er. Gefangene. Etliche Gefangene. Und obwohl sie kaum seine Einstellung zu dem Thema teilen konnte, unterbrach sie ihn immer wieder, damit er verstand, was sich auf der Basis abspielen mochte. »Verbinden Sie mich mit Colonel Carabali.«

»Sie ist aus unerklärlichem Grund nicht zu erreichen, Sir, allerdings haben wir Audio-und Videoempfang aus dem Kommando-netzwerk der Bodenstreitmacht.«

»Stellen Sie das durch!« Sein Display blitzte auf, die dreidimensionale Projektion der Schiffe im Corvus-System wurde durch eine Wand aus gut dreißig in senkrechte und waagerechte Reihen aufge-teilte Einzelbilder ersetzt. Geary brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass er da zu sehen bekam, was in dieser Sekunde wohl jeder Geschwaderführer der Marines da unten mit eigenen Augen sah. Er streckte seine Hand aus, als wolle er eines der Einzelbilder berühren, das darauf größer wurde und die anderen Bilder zur Seite schob. Seine Finger kamen mit einem anderen Bild in Kontakt, das ebenfalls wuchs, während das erste Bild zu schrumpfen begann, bis beide Ansichten gleich groß waren. Die kleinen Bilder ordneten sich unterdessen ringsherum an. Wow, was für ein nettes Spielzeug. Ich würde zu gern wissen, wie viele Befehlshaber schon damit gespielt und das Gesamtbild aus den Augen verloren haben.

Er suchte die Bilder nach Hinweisen auf Gefangene oder darauf ab, dass eines davon vom Commander des Angriffstrupps übermittelt wurde. Sein Blick blieb an einem Bild hängen, auf dem zu sehen war, wie sich die Metallwand eines Korridors zu verzerren begann, da sie von großen massiven Geschossen durchschlagen wurde. Symbole liefen über das Bild, ein gestikulierender Arm kam ins Blick-feld, dann sah er Marines losstürmen, die in ihren Kampfanzügen nicht mehr wie Menschen aussahen. Zwei von ihnen feuerten eine Art Sperrfeuer in die Richtung, aus der die Geschosse gekommen waren, ein dritter richtete ein langes, großes Rohr aus und feuerte es ab.

Die Ansicht begann zu wackeln. Wieder stürmten Marines an der Kamera vorbei, das Bild schwankte heftig hin und her, als der Marine während der Übertragung hinter den anderen herrannte. Es ging um eine Ecke, dann durch einen langen Korridor, an dessen Ende eine Art Sicherheitsstation lag. Geary rechnete damit, dass die aus dem großen Rohr abgefeuerte Waffe verheerende Schäden angerich-tet hatte, stattdessen jedoch sah er nur Personen auf dem Boden liegen, die andere Uniformen trugen als die Marines. Eine Betäubungs-waffe? Ich schätze, die Marines haben sie eingesetzt, weil sie den Befehl haben, möglichst keine Schäden anzurichten. Das könnte bedeuten, dass diese Syndik-Soldaten noch leben.

Der Gedanke veranlasste ihn, sich dazu zu zwingen, die Aufmerksamkeit wieder auf sein eigentliches Anliegen zu richten. Wieder durchsuchte er die Bilder und entdeckte schließlich eines, das einen großen Raum oder einen Hangar zeigte, in dem sich zahlreiche Personen aufhielten. Er tippte auf das Bild, das daraufhin größer wurde. Das ist es. Das sind Syndiks. »Captain Desjani, wie kann ich darüber mit jemandem Kontakt aufnehmen?«

Sie zeigte auf ein Kommunikationssymbol am unteren Bildrand.

»Sie müssen nur das da berühren.«

»Haben Sie Colonel Carabali schon erreichen können?«

»Nein, Sir.«

Dann werde ich sie übergehen müssen. Geary berührte das Symbol.

»Hier spricht Captain Geary.«

Das Bild ruckelte kurz. »Ja, Sir?«

»Wer ist da?«

»Major Jalo, Sir. Zweiter Befehlshaber über den Landetrupp. Colonel Carabali befahl mir, die Aufräumarbeiten zu überwachen, um den zentralen Bereich der Anlage zu sichern, während sie in den ab-gelegeneren Teilen nach Widerstandsnestern sucht.«

»Sind das alle gefangen genommenen Syndiks?«

»Noch nicht, Sir. Bei den Aufräumarbeiten stoßen wir noch auf einige letzte Schlupfwinkel.«

»Was…« Wie soll ich das formulieren? »Wie lauten Colonel Carabalis Befehle, was diese Gefangenen angeht?«

»Ich habe noch keinen Befehl über die endgültige Übergabe erhalten, Sir. Die Standardprozedur besteht darin, die Gefangenen an die Flotte zu übergeben.«

Sehr interessant. Wissen die Marines, was mit den Gefangenen geschieht? Oder tun sie so, als sei alles in bester Ordnung, damit sie ein reines Gewissen haben können? Geary wollte eine weitere Frage stellen, als das Bild erneut ruckelte. Alle, die von der Kamera erfasst wurden, schwankten deutlich sichtbar hin und her. »Was war das?«

Major Jalos Stimme klang aufgeregt und kampfbereit. »Eine schwere Explosion, Sir. Da ist die nächste«, fügte Jalo völlig unnötig hinzu, da das Bild wieder wackelte. »Jemand feuert mit schweren Geschützen auf dieses Gebiet.«

Schwere Geschütze? Die Marines haben die Oberfläche rund um die Basis längst eingenommen und die Schiffe im Orbit sind gegen die Verteidigungsanlagen vorgegangen. Bei den Vorfahren! Die Schiffe im Orbit. »Captain Desjani! Feuert eines unserer Schiffe nahe der Syndik-Basis auf die Planetenoberfläche?«

Während sie antwortete, sah er, wie Major Jalo wiederholt versuchte, sich trotz der Treffer auf den Beinen zu halten. »Die Arrogant feuert auf einen Bereich nahe der Basis, Captain Geary. Auf welches Ziel kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Passen Sie auf diese Gefangenen auf, bis Sie weitere Befehle von mir empfangen«, wies er Major Jalo an, dann lehnte er sich zurück und überflog die Fülle an Bildern. »Wie bekomme ich wieder die Flotte angezeigt?«

Desjani beugte sich herüber und tippte auf eine Taste, sofort war das Corvus-System mit den Schiffen von Gearys Flotte wieder zu sehen. Einen Moment lang kämpfte er mit der Kommunikationstaste und kochte innerlich. » Arrogant! Identifizieren Sie das Ziel, auf das Sie feuern!« Geary wartete und wurde umso zorniger, je länger er auf eine Antwort der Arrogant wartete, die weiter die Planetenoberfläche unter Beschuss nahm. » Arrogant, hier spricht Captain Geary.

Feuer einstellen. Ich wiederhole: Feuer einstellen!«

Das andere Schiff war nur ein paar Lichtsekunden entfernt, doch auch nach einer vollen Minute war noch keine Antwort eingegangen. Geary zählte stumm bis fünf und überlegte, welche Möglichkeiten ihm zur Verfügung standen. »Captain Desjani. Welches Schiff hat den besseren Commander? Die Exemplar oder die Braveheart

»Die Exemplar, Sir. Commander Basir«, antwortete sie ohne zu zögern.

»Danke.« Geary stellte die Verbindung her. »Commander Basir auf der Exemplar, hören Sie mich?«

»Jawohl, Sir«, kam keine halbe Minute später die Antwort.

»Können Sie identifizieren, auf welches Ziel die Arrogant feuert?«

Diesmal dauerte die Pause etwas länger. »Nein, Sir.«

»Haben Sie, die Braveheart oder die Arrogant von den Marines die Bitte erhalten, das Feuer auf die Oberfläche zu eröffnen?«

»Nein, Sir. Die Exemplar nicht, und ich habe auch nichts davon mitbekommen, dass über das Koordinationsnetz der Marines etwas auf der Braveheart oder der Arrogant eingegangen sein könnte.«


Ich weiß nicht, was dieser Idiot an Bord der Arrogant da macht, aber wenn das Schiff weiter mit schweren Geschützen die Oberfläche bombardiert, werden womöglich noch unsere Marines verletzt, ganz zu schweigen davon, welche Schäden die Vorräte auf der Basis dabei erleiden. Außerdem weiß ich jetzt mit Gewissheit, dass die Arrogant nicht auf eine Bedrohung für sie oder für die Marines reagiert hat. »Danke, Exemplar

Geary sah sich auf der Brücke um. »Kann ich die Kontrolle über die Waffen der Arrogant übernehmen? Gibt es eine Möglichkeit, die schiffseigene Kontrolle über deren Waffensysteme abzuschalten?«

Alle schüttelten den Kopf, aber nur Desjani sagte etwas dazu.

»Nein, Sir. Wie vorhin angesprochen«, sie machte eine finstere Miene, die für Rione gedacht war, ohne dass sie tatsächlich in deren Richtung sah, »glaubt man, der Zugriff von außen auf die Systeme eines Schiffs mache es auf eine Weise verwundbar, die von einem Feind ausgenutzt werden könnte.«

»Feindliche Übernahme der ferngesteuerten Systeme«, meldete sich Rione auf ihrem Platz zu Wort. »Das Einschleusen von Viren, die die Systeme abschalten…«

»Und eine Menge mehr, was man mit guter Kriegführung erreichen kann, selbst wenn man keine Spionage betreibt. Danke, ich weiß. Ich hatte nur einen Moment lang gehofft, da hätte man in den letzten hundert Jahren eine Lösung gefunden.« Geary grinste breit, als ihm auf einmal eine Idee kam. »Aber es gibt etwas auf der Arrogant, das ich kontrollieren kann.«

Desjani zog fragend eine Braue hoch.

»An Bord der Arrogant befinden sich doch Marines, oder?«

Sie nickte.

Geary betätigte seine Kommunikationskontrollen. » Arrogant, hier spricht Captain Geary. Sie gefährden unser Personal auf der Planetenoberfläche. Sie werden sofort das Feuer einstellen, sonst entziehe ich Ihrem Befehlshaber das Kommando und lasse ihn von den Marines an Bord Ihres Schiffs verhaften. Ich werde diesen Befehl nicht wiederholen.«

Obwohl er vor Wut kochte, fragte Geary sich unwillkürlich, wie die Flotte auf dieses Ultimatum reagieren würde. Captain Desjani dagegen schien von der Entwicklung begeistert zu sein. Offenbar war der Commander der Arrogant zumindest bei ihr nicht sehr beliebt.

»Die Arrogant hat das Feuer eingestellt«, meldete Desjani wenige Sekunden später, sprach dabei aber in bewusst neutralem Tonfall.

»Gut.« Auf Schatten zu schießen, ist eine Sache. Wenn man sich im Gefecht befindet, dann sieht man schnell mal ein feindliches Schiff, wo in Wahrheit gar nichts ist. Aber dieser Trottel auf der Arrogant war zu stur oder zu dumm oder beides gleichzeitig, um seinen Fehler einzusehen und das Feuer einzustellen, als ich es befahl. Ich muss den befehlshabenden Offizier dieses Schiffs so bald wie möglich loswerden. Eine Sache mehr, um die er sich kümmern musste.

»Sir?« Geary und Desjani sahen beide zu dem Wachhabenden, der soeben gesprochen hatte. »Wir haben wieder Kontakt zu Colonel Carabali.«

Carabali war so aufgebracht, wie sich Geary eben selbst gefühlt hatte. »Entschuldigen Sie bitte, Captain Geary. Die Einheit, mit der ich unterwegs war, musste in einem abgeschirmten Bunker Schutz suchen, daher war keine Kommunikation möglich.«

»Sie mussten Schutz suchen? Ist der Widerstand der Syndiks rund um die Basis etwa noch so heftig?«

»Nein, Sir.« Carabali schien sich zwingen zu müssen, nicht zu knurren. »Wir waren ursprünglich einigen Syndiks in diesen Bunker gefolgt, aber als wir nach draußen kamen, wurde die Umgebung von einem unserer eigenen Schiffe bombardiert.«

Von der Arrogant! Wie kann man nur auf ein Gebiet feuern, in dem unsere eigenen Leute unterwegs sind? Wie kann man nur ein so jämmerlicher Befehlshaber sein? »Haben Sie Verluste erlitten?«

»Bei der Gnade unserer Vorfahren, nein, Sir.«

»Gut.« Hätte sie allerdings jemanden verloren, dann wäre das ein Grund mehr gewesen, diesen Dummkopf auf der Arrogant zum Teufel zu schicken. »Irgendeine Ahnung, worauf die Arrogant geschossen hat?«

»Ich hatte gehofft, Sie wüssten das, Captain Geary«, antwortete sie bedächtig.

Geary hätte fast gelächelt, als er die bewusst zurückhaltenden Worte hörte, doch er blieb ernst, weil er sich dachte, dass Carabali wohl noch nicht in der Lage war, den nötigen schwarzen Humor für diese Situation aufzubringen. »Nein. Entschuldigen Sie die lange Verzögerung, bis die Arrogant endlich ihr Feuer einstellte. Ich werde sicherstellen, dass sich so etwas nicht wiederholen wird.«

»Danke, Captain. Major Jalo sagte mir, Sie hätten mit ihm wegen der Gefangenen gesprochen.«

»Richtig.« Er hielt kurz inne und überlegte, wie er weiterreden sollte. Hatten Sie vor, Ihre Gefangenen zu ermorden, Colonel? »Ich bin nicht mit der üblichen Verfahrensweise vertraut, was Gefangene angeht.«

Carabali kniff die Augen zusammen. »Die übliche Verfahrensweise ist die, dass wir Gefangene der Flotte übergeben, Sir.« Ihr Tonfall und ihre Haltung ließen keinen Zweifel daran, welcher Satz dabei unausgesprochen blieb. Ich bin mir sicher, Sie wissen, was die Flotte mit ihnen macht, wenn wir erst mal nicht mehr für sie zuständig sind.

Die Antwort ließ Gearys Wut wieder hochkochen. Wie kann sie es wagen, sich so scheinheilig zu geben? Es sieht doch so aus, dass die Marines nicht direkt an der Ermordung von Gefangenen beteiligt sind, weil sie einfach wegsehen. Das ist auch nicht gerade ein tugendhaftes Verhalten.

Aber immerhin haben sie sich nicht unmittelbar die Hände schmutzig gemacht, das muss ich ihnen zugestehen. Das Einzige, was er jedoch darauf erwiderte, war: »Das hat sich jetzt geändert. Sie werden weiter für die Gefangenen verantwortlich sein und die notwendigen Vorbereitungen treffen, damit ihnen ein Bereich mit angemessenen Le-benserhaltungssystemen bleibt und sie die Möglichkeit haben, nach unserer Abreise Hilfe zu rufen.«

Carabalis Gesichtsausdruck veränderte sich. »Ich war der Ansicht, die gesamte Basis sollte zerstört werden, Sir.«

»Genügend Platz, dazu Nahrungsmittel und Wasser sowie Le-benserhaltungssysteme, damit die Gefangenen lange genug überleben, bis Hilfe eintrifft. Außerdem eine Haupt-und eine Reserveanla-ge, um mit der bewohnten Welt in diesem System Kontakt aufzunehmen.« Es war für Geary kein Problem, diese Anweisungen her-unterzurasseln. Jeder hatte sie einst auswendig gekonnt, und jeder Offizier hatte sie auswendig können müssen. Und hatte sie befolgen müssen. »Bis zu unserer Abreise werden die Gefangenen entsprechend dem Kriegsrecht bewacht und behandelt. Irgendwelche Fragen?«

Carabali schien ihn sehr eindringlich zu mustern. »Ich verstehe das richtig, dass Sie mir diesen Befehl persönlich erteilen? Der kann ohne Ihre Zustimmung von keinem anderen Offizier der Flotte aufgehoben werden?«

»Richtig, Colonel. Ich habe volles Vertrauen in Sie, dass Sie meinen Befehl exakt ausführen werden.«

»Danke, Captain Geary. Ich habe verstanden und werde Ihren Befehl befolgen.« Sie hob die Hand zu einem präzisen Salut, dann ver-blasste das Bild.

Geary lehnte sich zurück, rieb sich die Augen und sah wieder zu Desjani. »Danke, Captain.«

»Ich habe nur meine Pflicht getan, Sir«, antwortete sie, wich aber beharrlich seinem Blick aus.

Er sah sich auf der Brücke um und stellte fest, dass alle Offiziere und Matrosen sich auf irgendetwas konzentrierten, damit sie ihm nicht ins Gesicht schauen mussten. »Captain Desjani…«

»Die übliche Verfahrensweise«, unterbrach sie ihn leise.

Nachdem er tief durchgeatmet hatte, fragte er: »Wie lange schon?«

»Ich weiß nicht.«

»Offiziell?«

Diesmal zögerte sie kurz, dann schüttelte sie den Kopf, ohne auf-zusehen. »Nie offiziell. Nie schriftlich festgehalten. Nur stillschwei-gend.«

Dann habt ihr alle gewusst, dass das nicht richtig war. Dass es nicht richtig sein konnte. Sonst wäre es schriftlich festgehalten worden.

Mit schwacher Stimme redete sie weiter: »Wir haben Ihre Reaktion gehört und gesehen, Captain Geary. Wie konnten wir es dazu kommen lassen. Wir haben die Vorfahren entehrt, nicht wahr? Wir haben Sie entehrt.«

Obwohl Desjani unverändert seinem Blick auswich, wandte sich nun Geary von ihr ab. Das haben sie tatsächlich gemacht. Sie haben etwas Schreckliches getan. Sie sind gute Menschen, aber sie haben etwas wirklich Schreckliches getan. Was soll ich dazu sagen? »Captain Desjani… Sie alle… Ihr bisheriges Handeln müssen Sie mit Ihren eigenen Vorfahren ausmachen. Bitten Sie sie um Verzeihung, nicht mich. Ich möchte… ich möchte Sie alle daran erinnern, dass wir eines Tages nach unserem Handeln beurteilt werden. Ich werde das nicht machen, weil ich kein Recht dazu habe. Doch ich werde nicht zulassen, dass jemand, der meinem Kommando untersteht, ein unehrenhaftes Verhalten an den Tag legt. Ich werde nicht zulassen, dass einige der besten Offiziere und Unteroffiziere ihren eigenen Ruf besudeln. Und Sie sind gute Offiziere, die gute Matrosen befehligen. Matrosen der Allianz-Flotte. Jeder von uns, wir alle zusammen. Es gibt Dinge, die tun wir einfach nicht. Ich möchte, dass von diesem Moment an jeder dafür sorgt, dass all unser Handeln ein gutes Licht auf unsere Vorfahren wirft. Sorgen wir dafür, dass wir die höchsten Maßstäbe erfüllen, denn sonst werden wir diesen Krieg gewinnen und im Spiegel uns selbst als unseren Feind zu sehen bekommen.«

Die anderen murmelten Antworten, und als sich Geary umsah, schaute ihm jeder in die Augen. Es war schon mal ein Anfang.

Zum ersten Mal begann er sich zu fragen, ob es vielleicht ein Segen war, dass er die vergangenen hundert Jahre verschlafen hatte.

Der Konferenzraum schien einmal mehr den endlos langen Tisch zu beherbergen, an dem Dutzende von Offizieren saßen, obwohl Geary wusste, dass nur Captain Desjani in Person bei ihm war. Im Moment sahen ihn alle Befehlshaber an, wobei die Gesichtsausdrücke von ergeben bis feindselig reichten, fast in jedem Fall noch mit einer Spur Verwunderung versehen. »Kaliban?«, fragte Captain Faresa schroff und deutete mit einer wegwerfenden Geste auf das Navigationsdis-play der lokalen Sterne, das über dem Tisch schwebte. »Sie wollen wirklich, dass wir den Sprung nach Kaliban unternehmen?«

Geary nickte und zwang sich zur Gelassenheit. Er war inzwischen an einem Punkt angelangt, da musste er nur an Captain Faresa oder Captain Numos denken, und schon wurde er wütend. Er konnte sich eine solche Ablenkung nicht leisten. Außerdem war das unprofessionell, und er durfte wohl kaum von anderen professionelles Verhalten erwarten, wenn er selbst nicht dazu fähig war. »Ich habe meine Gründe erklärt.«

Captain Numos schüttelte den Kopf auf eine Weise, die Geary an den bürokratischen Syndik-Commander erinnerte. »Ich kann einem so überhasteten und sinnlosen Vorgehen nicht zustimmen.«

»Für mich ergibt das durchaus einen Sinn«, warf Captain Tulev ein.

»Das wundert mich nicht«, konterte Numos herablassend.

Tulev wurde rot, redete aber ruhig weiter. »Captain Geary hat die zu erwartenden Reaktionen des Feindes auf unsere gegenwärtige Situation analysiert. Ich kann an seinen Argumenten keinen Denkfeh-ler entdecken. Die Syndiks sind keine Narren, sie werden bei Yuon mit einer großen Streitmacht auf uns warten.«

»Dann werden wir uns mit ihnen beschäftigen.«

»Diese Flotte erholt sich noch immer von der Konfrontation im Heimatsystem der Syndiks! Unsere Verluste können erst ersetzt werden, nachdem wir heimgekehrt sind. Ihnen muss doch klar sein, dass wir uns keine weitere Auseinandersetzung mit einem großen Kampfverband erlauben können.«

»Ängstlichkeit im Angesicht des Feindes…«, setzte Numos an.

»Wir sind nicht durch Ängstlichkeit in diese Lage geraten«, unterbrach ihn Captain Desjani und ignorierte Numos’ zornigen Blick.

»Wir sind hier, weil unsere vorrangige Sorge einem aggressiven Auftreten galt, anstatt darüber nachzudenken, was wir eigentlich machen.« Sie verstummte, während die anderen Offiziere sie zum Teil ungläubig, zum Teil verständnislos ansahen.

Captain Faresa strengte sich sichtlich an, einen herablassenden Tonfall anzuschlagen. »Soll ich das so verstehen, dass der befehlshabende Offizier eines Schiffs der Allianz-Flotte Aggressivität als eine schlechte Eigenschaft betrachtet?«

Geary beugte sich vor. »Nein. Sie sollen das so verstehen, dass Aggressivität in Kombination mit unüberlegtem Handeln eine schlechte Eigenschaft ist. Das ist meine Meinung, Captain Faresa.«

Sie kniff die Augen zusammen und setzte zum Reden an, doch dann verharrte sie in dieser Haltung. Geary betrachtete sie und musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie wollten jetzt Flottentraditionen zitieren, nicht wahr, Faresa? Vielleicht sogar Black Jack Geary zitieren.

Aber ich bin die eine Person, mit der Sie Ihre Argumente nicht untermau-ern können.

Ein Stück weiter den Tisch entlang meldete sich ein Commander zu Wort, der hastig redete. »Es ist allgemein bekannt, dass zu langer künstlicher Tiefschlaf nicht ohne Folgen für die betreffende Person bleibt.« Er hielt inne, als er merkte, wie sich alle Augen auf ihn richteten, dann fuhr er fort: »Dies ist nicht der Offizier, dessen Vorbild diese Flotte ein Jahrhundert lang zum Handeln inspiriert hat. Zumindest ist er es nicht mehr.«

Alle sahen Geary an, dem klar wurde, dass dieser Commander nur laut ausgesprochen hatte, was seine Feinde längst hinter seinem Rücken tuschelten. Zu seiner eigenen Verwunderung machte ihm der Vorwurf nichts aus. Vielleicht lag es daran, dass Geary das heldenhafte Bild von Black Jack so sehr hasste, dass es ihn nicht störte, wenn ein anderer sich die Mühe machte, ihn von dieser mythischen Gestalt zu befreien. Die Gesichter der anderen Offiziere am Tisch verrieten ihm jedoch auch, wie viele der Anwesenden sich eindeutig von den Worten dieses Mannes distanzierten, da sie Black Jack Geary unverändert verehrten. Wieder andere schienen sich daran zu stören, wie unprofessionell die Kommentare des Commanders waren. Er hoffte, dass wenigstens ein paar von ihnen ihm aufgrund seines bisherigen Verhaltens vertrauten.

Anstatt voller Leidenschaft zu reagieren, lehnte sich Geary ge-mächlich zurück und musterte seinen Herausforderer. Ein Namensschild tauchte neben ihm auf und identifizierte den Mann als Commander Vebos von der Arrogant. Ja, natürlich. »Commander Vebos, ich gebe nicht vor, irgendetwas anderes als ein Mensch zu sein. Ich bin aber auch der Offizier, der diese Flotte aus dem Heimatsystem der Syndiks geführt hat, als ihr die vollständige Vernichtung drohte.

Ich weiß, wie ich eine Flotte befehligen muss, und ich weiß, wie ich Befehle geben muss. Das liegt daran, dass ich gelernt habe, wie man Befehle befolgt, was für jeden Offizier eine unabdingbare Fähigkeit sein muss, oder sehen Sie das anders, Commander?«

Vebos wurde bleich, als er die Anspielung auf sein Bombardement der Syndik-Basis verstand, doch es hielt ihn nicht davon ab, weiter vorzupreschen. »Andere Offiziere hätten das besser machen können. Zum Beispiel Captain Numos. Mit ihm hätten wir bereits die Hälfte des Heimwegs zurückgelegt.«

»Und er hätte uns jetzt auch schon ins Arbeitslager gebracht«, kommentierte Captain Duellos ironisch. »Auch wenn er bereit war, sich mit der Orion allein aus dem Staub zu machen, während die Syndiks unseren beschädigten Schiffen den Rest gaben.«

Nun lief Numos vor Wut rot an. »Ich werde nicht…«

Daraufhin schlug Geary mit der Faust auf den Tisch, sodass Ruhe einkehrte. »Ich möchte nicht, dass meine Offiziere öffentlich über andere Offiziere herziehen!«, machte er ihnen klar.

Duellos erhob sich und nickte Numos zu. »Ich möchte mich bei Captain Geary und Captain Numos entschuldigen.«

Geary nickte seinerseits knapp. »Danke, Captain Duellos. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns nicht ablenken lassen.

Diese Flotte durchquert das Corvus-System in Richtung des Sprungpunkts, der nach Kaliban führt. Wir stehen derzeit mit den Syndik-Behörden auf dem zweiten Planeten in Verhandlungen. Sie sollen uns während des Durchflugs mit Vorräten und Rohstoffen beliefern, sonst wird diese Flotte ihrer Welt massive Schäden zufügen.« Geary vermutete, dass momentan einzig Captain Desjani ahnte, dass er nicht die Absicht hatte, eine bewohnte Welt zu bombardieren, nur um die Leute dort zu bestrafen. »Ich bin davon überzeugt, die Syndiks warten mit einer großen Streitmacht bei Yuon auf uns. Ich werde diese Flotte nach Kaliban bringen, und wenn unsere Vorfahren uns beistehen, dann werde ich sie auch nach Hause bringen.«

Einige Befehlshaber wirkten immer noch unglücklich oder skeptisch, aber die meisten stimmten seiner Entscheidung zu, wenngleich in manchen Fällen zähneknirschend. Geary betrachtete die Gesichter der Reihe nach und versuchte, diejenigen zu identifizieren, von denen Probleme zu erwarten waren, dann jedoch brach er sein Tun ab. Ich werde mich nicht in einen Syndik-CEO verwandeln, der politische Spielchen treibt und der Säuberungsaktionen gegen jene Offiziere durchführt, die »unloyal« zu sein scheinen. Aber bei den lebenden Sternen, Commander Vebos wird nicht länger die Arrogant befehligen, wenn wir dieses System verlassen. Dieser Mann ist nicht bloß unloyal und aufsässig, sondern schlichtweg dumm.

Die Zahl der Offiziere am Tisch wurde rasch kleiner, da immer mehr von ihnen die Verbindung unterbrachen, durch die ihr Bild zur Konferenz projiziert worden war. Wie zuvor schrumpfte die scheinbare Größe des Tischs ebenso wie die des ganzen Konferenzraums ein Stück mehr, wenn wieder ein Offizier verschwand. Viele der Offiziere verharrten noch einen Moment und schienen plötzlich direkt vor Geary zu stehen, um ihn mit wenigen Worten ihres Rückhalts zu versichern. Geary dankte ihnen so taktvoll, wie er konnte, und versuchte, keine Miene zu verziehen, als er sah, wie bewun-dernd viele ihn betrachteten: Black Jack Geary persönlich.

Captain Duellos blieb bis zuletzt und grinste Geary breit an.

»Vielleicht hätten Sie Numos mit der Orion den Sprungpunkt weiter bewachen lassen sollen«, schlug er vor.

»Warum hätte ich das tun sollen?«

»Dann hätten Sie ihn da zurücklassen können!«

Unwillkürlich musste Geary lachen. »Das hat seine Crew nicht verdient.«

Wieder lächelte Duellos. »Stimmt, die hat wohl so auch schon genug zu leiden.«

»Tut mir leid, wenn ich Sie bremsen musste, als es zwischen Ihnen und Numos persönlich wurde«, sagte Geary. »Ich glaube, Sie verstehen, warum ich das gemacht habe.«

»Schon klar, Sir. Aber ich muss auch gestehen, dass ich meine Bemerkung nicht bereue. Ich wollte die anderen Befehlshaber daran erinnern, welche Vorgehensweise Numos im Syndik-Heimatsystem durchzusetzen versuchte.« Er hielt kurz inne. »Sie sollen wissen, dass Ihnen meine bedingungslose Unterstützung sicher ist.«

»Danke.«


»Nicht Black Jack Geary, sondern Ihnen.«

Geary zog eine Augenbraue hoch. »Sie haben herausgefunden, dass ich nicht diese Person bin?«

»Ich bin froh, dass Sie nicht er sind«, gestand Duellos ihm. »Der Mann hat mir immer Angst gemacht.«

»Dann können wir uns die Hand reichen.«

»Captain Desjani ist ein sehr guter Offizier. Ihr können Sie auch vertrauen.«

»Das ist mir nicht entgangen.« Geary verzog den Mund. »Apropos Vertrauen: Wüssten Sie irgendwelche Offiziere, die Sie für das Kommando über die Arrogant empfehlen könnten?«

»Ich kann Ihnen ein paar Namen geben. Aber darf ich Ihnen auch einen Ratschlag geben, Captain Geary?«

Er nickte. »Ich weigere mich nie, mir Ratschläge von guten Offizieren anzuhören.«

Duellos deutete eine Verbeugung an. »Danke. Ersetzen Sie diesen Idioten Vebos nicht durch einen Offizier, von dem Sie genau wissen, er steht loyal zu Ihnen. Das wird die Leute an eine Säuberungsaktion unter dem Vorwand der Loyalität glauben lassen.«

Geary biss sich auf die Lippe, weil er sein Erstaunen nicht zeigen wollte, dass Duellos das aussprach, was er eben erst selbst noch gedacht hatte. »So was ist doch sicher nicht in der Allianz-Flotte vorgekommen.«

Zum ersten Mal machte Duellos eine finstere Miene. »Captain Geary, ich weiß, Sie haben bereits einiges über die Dinge erfahren, die sich in der Allianz-Flotte zugetragen haben.«

»Verdammt«, flüsterte Geary kopfschüttelnd. Eine Säuberungsaktion unter dem Vorwand der Loyalität? In der Allianz-Flotte? Unfassbar.

Wann? Wo? Nein, eigentlich will ich das gar nicht wissen. »Danke, Captain. Ich werde mir Ihren Ratschlag zu Herzen nehmen. Es ist sehr gut, Offiziere wie Sie und Desjani zu haben, denen ich bedenkenlos vertrauen kann.«

»Wir können auch immer unseren Vorfahren vertrauen«, erwiderte Duellos. »Ich halte mich nicht für einen besonders religiösen Mann, und ich habe auch nie daran geglaubt, dass der tote Black Jack Geary dann zu uns zurückkehren wird, wenn wir ihn am nötigsten haben. Trotzdem macht es sogar mir Mut zu wissen, dass Sie zurückgekehrt sind.«

Geary schnaubte. »Vermutlich sollte ich mich nicht beklagen, dass ich gefunden wurde. Immerhin wäre ich schon seit Langem wirklich tot gewesen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob selbst meine Vorfahren mir in dieser Situation eine Hilfe sein können.«

Mit einem Grinsen und einer ausholenden Geste erwiderte Duellos: »Dann können Ihnen vielleicht meine beistehen, wenn es darum geht, feindlichen Flotten und plündernden Schaulustigen aus dem Weg zu gehen. Aus Erfahrung, meine ich. Unter meinen Vorfahren finden sich auch ein paar Piraten.«

»Tatsächlich? Jede Familie hat wohl ihre Leichen im Keller. Ich kann einige Rechtsanwälte vorweisen.«

»Oh, mein Beileid.«

»Wir haben gelernt, damit zu leben.«

Duellos trat einen Schritt zurück und salutierte. »Sie haben uns allen vor Augen geführt, wie wir mit unserem Handeln das Ansehen unserer Vorfahren herabgewürdigt haben. Aber Sie taten es auf eine Weise, als könne so etwas schon mal passieren. Sie benutzten Begriffe wie ›uns‹ und ›wir‹, und damit stellten Sie sich in eine Reihe mit uns. Das werden viele von uns nicht vergessen.«

Geary erwiderte den Salut und dankte dem Vorfahr, der ihn dazu veranlasst hatte, diese Worte zu wählen. Ich weiß, dass ich mir darüber keine Gedanken gemacht habe. »Vielen Dank.«

»Es ist die Wahrheit, weiter nichts.« Duellos nahm die Hand herunter, dann verschwand sein Bild.

Geary ließ sich schwer in den Sessel in seiner Kabine sinken und betrachtete trübsinnig das Display, das er aktiviert hatte. Es zeigte die aktuelle Situation im Corvus-System. Nur ein paar Schiffe der Allianz-Flotte erledigten noch ihre Aufgaben bei der Syndik-Basis auf der Eiswelt, während der größte Teil der Flotte in einer halbwegs passablen Formation tiefer in das System einflog. Vierzehn Stunden, seit wir hier angekommen sind. Wie lange noch, bis die Syndiks die Verfolgung ernsthaft aufnehmen?

Ich kann nicht fassen, wie müde ich bin. Kann ich es wagen, mich schlafen zu legen, oder wird die Flotte sich in ihre Bestandteile auflösen, sobald ich nicht hinsehe?

Die Türglocke ertönte. Geary setzte sich auf, bis er eine förmliche-re Haltung eingenommen hatte. »Herein.«

»Captain Geary«, grüßte ihn Co-Präsidentin Rione auf ihre übliche zurückhaltende Art. »Können wir uns unterhalten?«

»Selbstverständlich.«

Er deutete auf einen freien Platz, doch Rione ging weiter und betrachtete wieder die Sternenlandschaft, die ein Schott in seinem Quartier beherrschte. »Zunächst einmal möchte ich hoffen, dass meine Einmischung auf der Brücke sich nicht nachteilig auf Ihre Arbeit ausgewirkt hat.«

»Keineswegs. Sie haben gute Beiträge geleistet, und ich weiß Ihren Ratschlag zu schätzen.«

Für einen winzigen Augenblick verzog Rione den Mund zu einem Lächeln, das gleich wieder verschwunden war. »Mehr als Captain Desjani, kann ich wohl annehmen.«

»Sie ist der Captain der Dauntless«, machte Geary in einem bewusst neutralen Tonfall klar. »Die Brücke ist sozusagen ihr Thron-saal, der Ort, von dem ihre Autorität ausgeht. Jeder Captain reagiert ein wenig gereizt, wenn ein anderer auf dieser Brücke seine Autorität ins Spiel bringt.«

Rione drehte sich kurz um und bedachte ihn mit einem forschen-den Blick. »Reagiert sie auf Sie genauso?«

»Nein. Ich gehöre zum Protokoll, und ich habe eine klar definierte Rolle. Ich lasse ihr die Befehlsgewalt über ihr Schiff und kümmere mich um die Flotte insgesamt. Solche Dinge bereiten keine Schwierigkeiten. Aber es gibt kein echtes Protokoll für die Situation, wenn sich ein hochrangiger Zivilist auf der Brücke aufhält. Da sind Reibe-reien vorprogrammiert. Captain Desjani ist jedoch eine gute Befehlshaberin, die sich an Ihr Auftauchen auf der Brücke gewöhnen und kein unangemessenes Verhalten Ihnen gegenüber an den Tag legen wird.«

»Danke, Captain Geary.« Rione nickte ihm zu. »Ich möchte Ihnen gern klarmachen, dass ich Captain Desjanis deutliche Worte zum Thema automatische Kriegsschiffe nicht falsch aufgenommen habe.

Es ist ein unendlicher Streit, und ich weiß die Meinung derjenigen sehr zu schätzen, die an vorderster Front kämpfen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals einer künstlichen Intelligenz eine Waffe anvertrauen würde.«

»Wenn ich ehrlich sein soll, sehe ich das so wie Sie«, meinte Geary schulterzuckend. »Das gleiche Problem gab es schon zu meiner Zeit.

Wenn eine künstliche Intelligenz nicht schlau genug ist, um selbst über den Einsatz einer Waffe zu entscheiden, dann kann man ihr im Gefecht nicht sonderlich trauen. Wenn eine künstliche Intelligenz schlau genug ist, um selbst über den Einsatz einer Waffe zu entscheiden, dann kann man ihr überhaupt nicht trauen.«

Abermals lächelte Rione flüchtig. »Stimmt. Aber es wird Zeit, dass ich das Thema anschneide, das mich eigentlich hergeführt hat.« Geary wartete ab, während sie wieder die Sterne betrachtete. »Ich halte es für nötig, Ihnen etwas zu gestehen, Captain Geary. Sie haben mich dazu gebracht, dass ich mich zutiefst schäme.«

»Wenn es um diese Sache mit den Gefangenen geht…«

»Ja, darum geht es. Ich nehme an, Sie sind es leid, sich anhören zu müssen, dass wir unsere Gefühle zum Ausdruck bringen.«

»So war das nicht gemeint.«

»So habe ich es auch nicht aufgefasst.« Co-Präsidentin Rione schien sich erneut der Sternenlandschaft zu widmen. »Captain Geary, ich gehöre nicht zu jenen Menschen, die glauben, früher war alles viel besser. Aber ich weiß seit einer Weile, dass der Druck dieses Krieges den Verstand derjenigen verdreht hat, die ihn führen. So viele Dinge werden einfach übersehen. Und wir haben einige sehr wichtige Dinge vergessen.«

Geary machte eine ernste Miene und tat so, als betrachte er eindringlich seine Hände. »Sie haben alle eine Menge durchgemacht.«

»Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung.« Rione hielt den Kopf gesenkt, die Lippen hatte sie zusammengepresst. »Es ist allzu leicht, so wie der Feind zu werden, den man hasst, nicht wahr, Captain Geary?«

»Darum haben wir das Kriegsrecht. Darum versuchen wir, diejenigen Ehre zu lehren, die in den Kampf geschickt werden.«

»Das Kriegsrecht ist bedeutungslos, wenn diejenigen, die es befolgen sollen, nicht daran glauben. Ehre kann verdreht und gegen sich selbst gerichtet werden, bis sie auch die schlimmsten Taten rechtfertigt. Das wissen Sie, Captain Geary.«

Er nickte nachdrücklich »Ich befinde mich nicht in einer Position, um über andere zu urteilen, Madam Co-Präsidentin. Mir wurde der Luxus zuteil, die vielen Jahre zu versäumen, die zu der gegenwärtigen Situation geführt haben.«

»Luxus? Sie machen nicht den Eindruck, dass Sie diese Erfahrung genossen haben.« Rione hob den Kopf, sah aber noch immer nicht Geary an. »In den letzten Stunden habe ich mich im Rahmen der verfügbaren Zeit mit meinen geheimen Archiven befasst und mich in die wahre Geschichte dieses Kriegs vertieft, um die Frage zu klären, wie es so weit kommen konnte. Sie sollen wissen, dass es keine vorsätzlich angestrebte Absicht war. Ich konnte feststellen, dass hier und da die Gesetze mal etwas großzügiger ausgelegt worden sind, und immer aus scheinbar guten Gründen. Beim nächsten Mal war man dann noch eine Spur großzügiger.«

»Und nur mit den besten Absichten im Hinterkopf«, warf Geary tonlos ein.

»Ja. Im Lauf der Zeit akzeptierten wir Schritt für Schritt immer etwas mehr. Wir begannen zu glauben, dass die abscheulichen Taten der Syndikatwelten genauso abscheuliche Taten von unserer Seite rechtfertigten.« Als sie Geary schließlich ansah, konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.

»Und dann hielten Sie uns vor Augen, wie unsere Vorfahren unser Handeln beurteilen würden. Nur Sie konnten das tun, weil niemand sonst so klar und deutlich aus der Vergangenheit zu uns sprechen kann. Sie machten uns klar, dass dieser Krieg begann, weil wir anders waren als die Syndikatwelten. Weil die Syndikatwelten Dinge taten, an die die Allianz nicht einmal denken würde.«


Wieder nickte Geary, dem Riones beharrlicher Blick unbehaglich war. »Ich habe niemals geglaubt, dass die Allianz irgendwann den Beschluss fasste, von einem Tag auf den anderen das Kriegsrecht zu missachten. Ich dachte mir, es würde so sein, wie Sie es eben ge-schildert haben. Es begann mit einem Schritt, der nur ein kleines Stück weit vom rechten Weg fortführte, und plötzlich war man in einem Sumpf gelandet, ohne zu wissen, wie man überhaupt dort hin-gekommen war. Und alles nur wegen des alten Arguments, dass wir etwas Schlechtes tun mussten, um zu siegen, weil der Sieg wichtig war.«

»Ein altes und falsches Argument, nicht wahr?«

»Ich glaube ja. Wenn die Allianz ihr eigenes Verhalten an das der Syndikatwelten anpasst, dann weiß ich nicht, welchen Sinn dann noch ein Sieg ergibt.«

»Das hatte ich Sie sagen hören, und ich stimme Ihnen darin zu.«

Wieder drehte sie den Kopf in seine Richtung. »Sie haben uns daran erinnert, wer wir einmal waren, Captain Geary. Und Sie besaßen den Mut und den grundlegenden Anstand, zu dem zu stehen, wor-an Sie glauben, auch wenn Sie damit riskierten, sich sogar von denjenigen in dieser Flotte zu entfremden, die an Sie glauben und die Ihnen folgen.«

»Ich bin kein mutiger Mann, Madam Co-Präsidentin«, widersprach er ihr. »Ich habe nur auf meinen Instinkt gehört.«

»Dann hoffe ich, dass Sie das auch weiterhin machen werden. Bei unserer ersten Begegnung sagte ich Ihnen, ich mag keine Helden, und ich äußerte meine Befürchtung, Sie könnten diese Flotte in den Untergang führen. Ich gebe zu, dass Sie mich bislang widerlegt haben.« Nach einem knappen Nicken verließ sie sein Quartier.

Geary rieb sich die Stirn und dachte über Riones Worte nach. Sie hat mir nicht ihre bedingungslose Zustimmung gegeben, richtig? »Bislang« haben sich ihre schlimmsten Befürchtungen in Bezug auf mich nicht erfüllt. Aber das ist in Ordnung so. Sie wird mir helfen, dass ich ehrlich bleibe. Ich möchte nicht irgendwann glauben, dass ich diese Verehrung verdiene, die mir die Menschen in der Flotte entgegenbringen.

Er überlegte, ob er auf die Brücke der Dauntless zurückkehren sollte, doch dann dachte er daran, dass er sich dort wieder der gesamten Brückencrew stellen musste. Ich glaube, für den Moment habe ich genug Drama mitgemacht. Stattdessen teilte er der Brücke mit, er werde ein paar Stunden Schlaf nachholen. Falls sich etwas Wichtiges er-eignete, sollte man ihn sofort wecken.

Sieben Stunden später riss ein Summen ihn aus dem Schlaf. »Geary hier«, meldete er sich und versuchte, richtig wach zu werden, während er mit dem Schock kämpfte, wie lange er geschlafen hatte und wie erschlagen er sich dennoch fühlte. Offenbar hatte er seinen künstlichen Tiefschlaf doch noch nicht so gut überwunden, wie er es sich einbildete.

»Captain Geary, hier ist die Brücke. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie geweckt habe, Sir, aber Sie wollten benachrichtigt werden, soba…«

»Ja, ja. Was ist denn?«

»Wir haben große Teile der Syndik-Flotte gesichtet, die den Sprungpunkt verlässt. Captain Desjani hält sie für die Hauptgruppe, die uns verfolgt.«

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