Acht

Nichts.

Sie verließen den Sprungraum in höchster Alarmbereitschaft und waren auf das Schlimmste gefasst. Sie rechneten mit einem Minen-gürtel, hinter dem eine feuerbereite Syndik-Flotte auf sie wartete.

Eine Flotte, durch die sie sich einen Weg würden freischießen müssen, wenn sie den nächsten Tag erleben wollten. Aber die nervösen Suchaktionen der Zielerfassungssysteme fanden nur leeren Raum.

Selbst die besten Instrumente der Allianz-Schiffe konnten im Kaliban-System kein Leben registrieren. Nichts Lebendiges, das sie hätten sehen können, kein Raumschiff, nicht einmal einen Funken Wär-me, der von einem einzelnen Ausrüstungsgegenstand im Stand-by-Betrieb abgegeben wurde. Früher hatte es hier einmal eine Bevölkerung gegeben, doch jetzt war das ganze System kalt und totenstill.

»Keine Minen, die Vorfahren seien gelobt«, rief Captain Desjani.

»Das heißt, mit unserer Ankunft hat hier niemand gerechnet. Sie haben sie überlistet, Captain Geary.«

»Das würde ich auch sagen.« Jetzt keine falsche Bescheidenheit. Wir sind hergekommen, weil ich das entschieden habe. Und zwar ausschließlich, weil ich das entschieden habe. »Kaliban hat aber nicht allzu viel zu bieten, nicht wahr?«

»Das war noch nie anders.«

Fünf Planeten, zwei so klein, dass sie kaum diese Bezeichnung verdienten. Keiner davon für menschliches Leben geeignet, weil die Temperaturen entweder viel zu niedrig oder viel zu hoch waren und weil die Atmosphäre entweder giftig oder gar nicht vorhanden war. Hinzu kam die übliche Ansammlung aus Felsbrocken und Eis-blöcken, die aber im Vergleich zu anderen Sternensystemen weder sehr zahlreich noch anderweitig auffällig waren. Und doch hatten Menschen hier ihr Zuhause errichtet. Kaliban hatte nichts Besonderes zu bieten, das einzig Nennenswerte war das Schwerkraftfeld, durch das die Sprungpunkte benutzbar wurden. Geary konnte sich die Geschichte der Menschen im Kaliban-System gut vorstellen, weil sich das Gleiche wie hier auch an so vielen anderen Orten abgespielt hatte.

Vor der Existenz des Hypernets waren die Schiffe gezwungen gewesen, das Kaliban-System zu durchfliegen, um andere Regionen zu erreichen. Weil Schiffe hier durchkamen, hatte man ein paar Werften zur Durchführung von dringenden Reparaturen und von War-tungsarbeiten errichtet. Vorbeikommende Schiffe konnten hier auch Vorräte an Bord nehmen. Hinzu kamen die Raumschiffe, mit denen die Arbeiter und ihre Familien innerhalb des Systems befördert wurden. Diese Familien wiederum benötigten gewisse Dienstleistungen, also waren hier und dort Städte entstanden, mal tief unter der Erde einer feindseligen Welt, mal aus einem großen Asteroiden gehauen.

Einige der Schiffe, die herkamen, brachten Passagiere oder Fracht nach Kaliban. Und natürlich war Bergbau in Angriff genommen worden, um Rohstoffe zu fördern, anstatt sie von einem anderen Stern herzuschaffen. Bergbau bedeutete Minenarbeiter. Die wiederum zogen eine lokale Regierung nach sich, damit alles in geordneten Bahnen verlief. Diese Regierung wurde ihrerseits von Vertretern der zentralen Syndik-Behörden überwacht.

Den Rest kannte Geary nur vom Hörensagen. Das Hypernet war entstanden, die Schiffe mussten nicht mehr Kaliban und die unzähligen ähnlichen Systeme anfliegen. Die Werften wurden aufgegeben, als nicht mehr genug Schiffe andockten, um versorgt zu werden, und durch den Wegfall dieser Arbeitsplätze war auch das Ende der Städte besiegelt. Zu Beginn hatte es bis auf die Sprungpunkte keinen Grund gegeben, nach Kaliban zu kommen. Und nun gab es überhaupt keinen Beweggrund mehr. Wie viele Jahre hatten die letzten Op-timisten hier wohl noch ausgeharrt? Wohl nicht mehr allzu lange. In einem Syndik-System war jeder auf irgendeine Art Angestellter eines Unternehmens, und Unternehmen trennen sich rigoros von verlustreichen Spar-ten, während die Menschen ihre Hoffnung nicht so schnell begraben wollen. Jetzt ist niemand mehr hier. Alle Anlagen sind eisig kalt, nichts verbraucht mehr Energie, kein Lebenserhaltungssystem ist mehr in Betrieb.


Sie haben alles abgeschaltet. Ich schätze, der Letzte, der Kaliban verließ, hat daran gedacht, das Licht auszumachen.

Auf die Lebensspanne eines Sterns umgerechnet hatte die Anwesenheit von Menschen in diesem System gerade mal einen Lidschlag lang überdauert. Aus einem unerfindlichen Grund ließ diese Erkenntnis erneut jenes Gefühl von Kälte in Geary aufsteigen.

Rasch schüttelte er es wieder ab. Jeder Matrose lernte eine Sache sehr schnell, nämlich die, dass alles am Weltall unmenschlich war.

Die gewaltige Größe, die Leere, der Tod, der überall lauerte, ausgenommen an jenen sehr, sehr winzigen Punkten inmitten dieser Leere, an denen Menschen auf einer Planetenoberfläche spazieren, sich den Wind ins Gesicht wehen lassen und Luft atmen konnten. Es ist weder gut noch schlecht, besagte ein altes Sprichwort. Es ist einfach nur.

Es ist zu groß für uns, und wir sind nur für die Dauer eines Lidschlags hier, was das Weltall angeht, hatte ein alter Chief einmal zu Geary gesagt, als er noch ein so junger Offizier war, dass die Erinnerung daran fast schon schmerzte. Eines Tages wird es dir das Leben nehmen, denn auch wenn wir ihm völlig egal sind, wird es uns auf der Stelle töten, wenn es das kann. Wenn deine Gebete an die lebenden Sterne erhört werden, dann wirst du in ihrer Wärme und ihrem Licht ewig leben. Wenn nicht, dann solltest du aus deinem Leben das Beste machen. Apropos, habe ich dir eigentlich mal erzählt, wie mein altes Schiff Virago besucht hat?

Das war eine Party, kann ich dir sagen.

Geary wurde bewusst, dass die Erinnerung an den alten Chief und seine oftmals abenteuerlichen Geschichten ihn lächeln ließen. »Captain Desjani, ich beabsichtige, die Flotte in einen Orbit um Kaliban einschwenken zu lassen. Falls Sie irgendwelche Empfehlungen zum exakten Orbit haben, lassen Sie mich die bitte wissen.«

Sie sah ihn ein wenig überrascht an. »Wir werden hier bleiben?«

»Auf jeden Fall lange genug, um festzustellen, welche Ausrüstungsgegenstände und Materialien die Syndiks womöglich hier zu-rückgelassen haben.« Während des Sprungs von Corvus hierher hatte er sich eingehend mit dem Status der Schiffe befasst und war gar nicht glücklich gewesen, als er sah, wie gering die Menge mancher unverzichtbarer Bestände war. Kritische Werte waren noch in keinem Fall erreicht, aber sie befanden sich nicht einmal annähernd in heimischen Gefilden. Außerdem war da noch etwas anderes, was er in Angriff nehmen musste. Das jedoch erforderte, dass sich die Schiffe im Normalraum befanden. Etwas, das erledigt werden musste, bevor die Flotte wieder in ein Gefecht ziehen konnte.

Desjani nickte. »Schon gut, dass wir die Lebensmittelvorräte von der Syndik-Basis bei Corvus an Bord nehmen konnten. Hier werden wir höchstwahrscheinlich nichts finden.«

»Das sehe ich auch so.« Geary überlegte, welche Möglichkeiten ihm zur Auswahl standen, dann befahl er den Schiffen, die Maschinen auf ein Hundertstel Lichtgeschwindigkeit zu drosseln, damit die Allianz-Flotte langsam in das System treiben konnte. Das gab ihm Zeit, um sich ein Bild davon zu machen, was die Sensoren ihm über die abgeschalteten Syndik-Einrichtungen in diesem System verrieten. Und Zeit, um herauszufinden, ob die Syndiks etwas Brauchbares zurückgelassen hatten. Und Zeit, mit den Befehlshabern der Schiffe zu reden.

Captain Duellos meldete sich. »Ich empfehle, einige Schlachtkreuzer am Sprungpunkt zu platzieren, damit sie mögliche Verfolger in Empfang nehmen können.«

Geary schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht. Ich will, dass die Flotte zusammenbleibt. Wir können nicht auf der einen Seite alles daransetzen, das zu sichten, was die Syndiks hier womöglich zurückgelassen haben, und auf der anderen Seite eine Streitmacht abstellen, die den Sprungpunkt bewacht.«

»Wie Sie meinen, Captain Geary.«

Desjani warf Geary einen unergründlichen Blick zu. »Wissen Sie, Duellos konnte Admiral Bloch nie leiden.«

»Das wusste ich nicht.«

»Er fand, Bloch treffe keine klugen Entscheidungen. Es ist interessant, dass Duellos Ihre Entscheidungen ohne Einwendungen hin-nimmt.«

»Ich schätze, ich habe bislang noch nicht allzu viele Fehler gemacht«, meinte Geary und lächelte verkniffen.


Grinsend wandte sich Desjani zu ihrem Display um, auf dem eine Nachricht eingegangen war. »Mein Ablauf-Offizier empfiehlt für das System diesen Orbit.«

Er machte einen langen Hals und sah auf das Display. Angezeigt wurde dort ein Bereich, der etwa zwei Lichtstunden vom Sprungpunkt entfernt lag. Er verglich die Position mit dem Orbit der bereits entdeckten Syndik-Einrichtungen und nickte. »Sieht für den Moment gut aus. Fliegen wir dorthin. Teilen Sie bitte den anderen Schiffen den voraussichtlichen Orbit mit, auf den wir einschwenken werden, und sagen Sie ihnen, sie sollen die gegenwärtige Formation beibehalten.«

»Ja, Sir.« Desjani gab die entsprechenden Befehle weiter, während sich Geary mit den Anzeigen auf seinem Display befasste.

Er hatte eben erst begonnen, sich den eingehenden Berichten über die Syndik-Anlagen zu widmen, und ihm wurde dabei bewusst, dass er Erkundungsteams losschicken musste, die sich überzeugen sollten, was da unten überhaupt vorhanden war, da ging ein Ruf vom befehlshabenden Offizier der Titan ein. Na, großartig. Was stimmt denn jetzt nicht?

Doch das Gesicht des Mannes, der sich an Geary wandte, machte keinen beunruhigten Eindruck. Der Captain der Titan wirkte viel zu jung für diesen Job, aber Auftreten und Tonfall konnten überzeugen. »Ich grüße Sie, Captain Geary.«

»Ich grüße Sie auch. Gibt es ein Problem mit der Titan

»Nein, Sir. Wir machen jeden Tag weitere Fortschritte mit der Reparatur der Schäden und verfügen jetzt wieder über volle Antriebs-leistung.«

Diese Neuigkeit entlockte Geary ein schwaches Lächeln. »Es freut mich, das zu hören. Ich muss gestehen, die Titan ist mir oft durch den Kopf gegangen.«

Der Captain der Titan verstand die Anspielung und zuckte übertrieben zusammen. »Wir wissen die Anstrengungen der vielen Eskorten zu schätzen, die für unsere Sicherheit gesorgt haben. Zumindest für unsere relative Sicherheit. Wir haben trotzdem beträchtliche Schäden hinnehmen müssen und konnten froh sein, nichts zur Liste der Dinge beizutragen, die behoben werden mussten.«

Diesmal war es Geary, der grinste. Das Fehlen von jeglichem Widerstand im Kaliban-System ließ zur Abwechslung einmal seinen Sinn für Humor aufblitzen. »Das kann ich gut verstehen. Sie haben mit den Reparaturen an Ihrem Schiff gute Arbeit geleistet. Was kann ich denn für Sie tun?«

»Ich möchte etwas vorschlagen und eine Bitte äußern.« Ein kleines Fenster öffnete sich und zeigte eine Darstellung des Kaliban-Systems. »Wir konnten bestätigen, dass hier Bergbau betrieben wurde.«

»Ja, bloß wurden die Minen so wie alles andere auch dichtge-macht.«

»Richtig. Aber falls sie dennoch intakt sind, dann habe ich Leute an der Hand, die in der Lage sein sollten, die automatisierte För-derausrüstung wieder in Gang zu setzen. So wie es aussieht, konnten die Bewohner von Kaliban die Vorräte an Metallen nicht in nen-nenswertem Umfang abbauen, und wir könnten diese Metalle wirklich gut gebrauchen, um Ersatzteile und Waffen für die Schiffe dieser Flotte herzustellen.«

Geary lehnte sich zurück, um sich den Vorschlag durch den Kopf gehen zu lassen. »Können Sie alles Erz selbst raffinieren, das sich finden lässt, oder müssten wir auch die Metallverarbeitungsanlagen der Syndiks reaktivieren?«

Der Captain machte eine wegwerfende Geste. »Kein Problem, Sir, da bin ich mir ganz sicher. Einige Minen befinden sich auf Asteroiden, und das bedeutet pure Metalladern. Wir müssten Legierungen herstellen, aber das wäre kein Problem für uns.«

»Wie lange? Wie viel Zeit brauchen Sie, um die Minen wieder in Betrieb zu nehmen, das Metall herauszuholen und es auf die Titan zu bringen? Ich nehme an, andere Hilfsschiffe können davon auch was gebrauchen, richtig?«

Zum ersten Mal zögerte der Captain der Titan. »Wenn alles reibungslos verläuft, kann ich die Metalle innerhalb einer Woche an Bord bringen lassen. Und was Ihre andere Frage angeht: Ja, die anderen Hilfsschiffe können die Metalle ebenfalls gebrauchen. Ich weiß, es ist mit Risiken verbunden, wenn wir länger in diesem System bleiben, aber mit dem Metall könnten wir vieles von dem herstellen, was wir benötigen, um von hier fortzukommen.«

Geary senkte nachdenklich den Blick. Wenn nicht alles reibungslos verläuft – und davon ist auszugehen –, dann wird es mehr als eine Woche dauern. Leider habe ich keine Ahnung, wie viel Zeit die Syndiks benötigen, bis sie begreifen, dass wir uns nach Kaliban abgesetzt haben, und wie lange sie nach dieser Erkenntnis brauchen, um eine ausreichend große Streitmacht hinterherzuschicken. Also wird es ein Glücksspiel sein. Ich hatte ohnehin vor, eine Weile in diesem System zu verbringen, und wenn ich dieses Risiko nicht eingehe, dann kann mir keiner sagen, wann wir die nächste Gelegenheit bekommen, die Werkstätten mit Rohstoffen zu versorgen.

Da fällt mir ein: Wer hat eigentlich den Befehl über die Hilfsschiffe? Wer sollte sich bei mir melden und mir diesen Vorschlag unterbreiten? Geary tippte auf die Kontrollen und verspürte eine gewisse Befriedigung, da er die richtigen Befehle eingegeben hatte und die richtigen Daten vor ihm auftauchten. »Eine letzte Frage noch. Soweit ich weiß, ist Captain Gundel von der Jinn der Befehlshaber über die Hilfsschiffe.

Warum unterbreitet er nicht diesen Vorschlag im Namen aller Schiffe, die davon profitieren können?«

Geary war davon überzeugt, dass für einen winzigen Moment Schuldgefühle in den Augen des Captains aufblitzten. »Captain Gundel ist sehr beschäftigt, Sir. Er muss sich um etliches kümmern, was seine unmittelbare Aufmerksamkeit erfordert.«

»Verstehe.« Jedenfalls glaube ich, dass ich verstehe. »Also gut. Beginnen Sie mit den Vorbereitungen, um Ihren Plan in die Tat umzusetzen. Geben Sie mir Bescheid, bevor Sie irgendwelche Teams runter-schicken, die sich die Minen ansehen sollen.«

»Aye, aye, Sir.«

Sekundenlang starrte Geary auf die Stelle, wo eben noch das Bild des Captains in der Luft gestanden hatte und dachte über seine Möglichkeiten nach. Dann zuckte er mit den Schultern und rief Captain Gundel direkt. Der Wachhabende auf der Brücke der Jinn meldete sich sofort, doch danach verging lange Zeit, bis ein sichtlich gereizter Gundel selbst ins Bild kam. Ihm war anzusehen, dass er schon seit vielen Jahren in der Flotte diente. Sein Erscheinungsbild stellte eine sonderbare Kombination aus penibler Genauigkeit bei der Zurschaustellung seiner Auszeichnungen und völliger Nachlässigkeit beim richtigen Sitz der Uniform dar. »Ja? Was ist?«

Trotz der streitlustigen Art seines Gegenübers konnte Geary deutlich erkennen, dass Gundel nicht für heldenhaftes Auftreten im Gefecht ausgezeichnet worden war. Mit ausdrucksloser Miene, aber mit hochgezogener Augenbraue erwiderte er: »Captain Gundel, hier ist Captain Geary, der Befehlshaber dieser Flotte.«

»Das weiß ich. Was wollen Sie?«

Mach nur weiter so, und ich will, dass man dich kopfüber aufknüpft.

»Ich benötige eine Empfehlung für die Vorgehensweise, die erforderlich ist, um die heruntergefahrenen Förderanlagen der Syndiks zu reaktivieren, damit Rohstoffe für die Hilfsschiffe gewonnen werden können.«

Gundel verzog gereizt den Mund. »Da muss ich mich erst gründlich mit beschäftigen. Einen Monat, würde ich sagen. Bis dahin sollte es machbar sein, eine erste Begutachtung der Anlagen durchzuführen und Ihnen den ersten Entwurf einer Empfehlung vorzulegen.«

»Ich möchte den Bericht heute haben, Captain Gundel.«

»Heute? Unmöglich.«

Geary wartete einen Moment, aber Gundel wollte offenbar keinen alternativen Termin nennen. »Was hat derzeit auf der Jinn höchste Priorität?«

Gundel blinzelte, da ihn diese Frage überrumpelt hatte. »Ich kann Ihnen das in ein paar Tagen liefern. Vielleicht.«

»Sie sind der befehlshabende Offizier der Jinn. Sie sollten so etwas auswendig wissen.«

»Ich muss mich um eine ganze Menge kümmern. Sie und ich, wir haben offenbar verschiedene Vorstellungen, welche Verantwortung auf dem Befehlshaber einer Abteilung lastet.«

Sie und ich, wir haben auch verschiedene Vorstellungen davon, wer in dieser Flotte das Sagen hat. Geary bewahrte Ruhe, obwohl Hitze in ihm aufstieg. »Vielen Dank, Captain Gundel.«

Er unterbrach die Verbindung, da er wusste, Gundel würde vor Wut kochen, dass er ihn so kurz und knapp abserviert hatte. Eine Weile starrte Geary vor sich hin. Wenn Gundel sich so schon seinen Vorgesetzten gegenüber verhielt, dann konnte man sich leicht ausmalen, wie er seine Untergebenen behandeln musste. Bei einem wirklich fähigen Offizier konnte es vorkommen, dass man ein solches Verhalten notgedrungen akzeptieren musste, nicht aber bei jemandem, dem es an Kompetenz zu mangeln schien und der sich weigerte, eine klare Anweisung zu befolgen. Es war offensichtlich, dass Gundel seinen Platz räumen musste, doch einen Senioroffizier wie ihn auf einen anderen Posten zu versetzen, musste auf eine Weise geschehen, die Leuten wie Captain Numos keinen Anlass lieferte, noch mehr Stimmung gegen Geary zu machen. Den Mann von seinem Posten wegzubefördern, wäre die diplomatischste Lösung, aber wie sollte das in einer Flotte geschehen, in der es keine freien Positionen gab, die dieser alte Narr hätte übernehmen können?

Was hätte mein alter Chief dazu gesagt? Außer dem üblichen »betrink dich und warte ab, ob es am nächsten Morgen besser aussieht«. Augenblick mal. Vorschriften. Er sprach davon, dass man in den Vorschriften immer irgendetwas findet, womit man sein Vorhaben rechtfertigen konnte. Der Ratschlag hat mir bislang auch immer geholfen.

Geary rief das Flottenregelwerk auf und begann Stichworte einzugeben und die Ergebnisse zu überfliegen, ob sich etwas Nützliches fand. Zu seiner Überraschung stieß er recht schnell auf eine Antwort. Aber will ich das machen? Er wandte sich den Personalakten zu und rief die Daten über die Befehlshaber der anderen Hilfsschiffe auf. Wie bereits angenommen, war der Commander der Titan noch sehr jung, und das sogar im Verhältnis zum relativ niedrigen Alter der heutigen Generation an Flottenoffizieren. Das erklärte seinen Eifer und sein überhastetes Handeln, indem er sich mit seinem Vorschlag zu den Förderanlagen der Syndiks direkt an ihn gewandt hatte. Gundel dagegen war vergleichsweise alt dafür, dass er nur die deutlich kleinere Jinn befehligte. Der Unterschied zwischen einem fähigen, ehrgeizigen Offizier, der Dinge bewegen will, und einem Offizier, der sich nur auf einem bequemen Pöstchen verkriechen möchte.

Aber dann war da noch Captain Tyrosian von der Witch. Erfahren, aber nicht außergewöhnlich erfahren. Hohes Ansehen als Ingenieur, gute Beurteilungen als Offizier, alt genug, um für einen höheren Posten infrage zu kommen. Auf dem Papier machte sie einen guten Eindruck, was immer das auch in der Praxis bedeutete.

Geary nahm mit ihr Kontakt auf. Captain Tyrosian hielt sich auf ihrer Brücke auf und stand ihm sofort zur Verfügung. Sie betrachtete ihn mit Respekt, wenngleich Geary auch glaubte, eine gewisse Zurückhaltung zu erkennen. »Ja, Sir?«

Das richtige Verhalten. So was gibt sofort Bonuspunkte. »Ich möchte mich nur persönlich bei allen Befehlshabern der Hilfsschiffe melden.

Wie sieht es auf der Witch aus?«

»Wie unser Bericht sagt, Sir. Beim Kampf im Heimatsystem der Syndiks haben wir nur geringe Schäden erlitten, weshalb wir derzeit vor allem damit beschäftigt sind, den Flottenvorrat an Waffen wieder aufzustocken.«

»Und wie sieht es mit Ihren Rohstoffen aus?«

»Wir benötigen mehr«, antwortete Captain Tyrosian ohne zu zögern.

»Wie lange würden Sie für einen Bericht benötigen, wie es um die Beschaffung neuer Rohstoffe bestellt ist?«

Sie wurde noch etwas skeptischer. »Sir, einen solchen Bericht könnte ich Ihnen jederzeit liefern, aber eine derartige Anforderung sollte vom Befehlshaber meiner Abteilung kommen.«

Sehr gut, Captain Tyrosian. Sie wissen, was los ist. Sie sind bereit, das zu tun, was man Ihnen sagt, und Sie haben kein Problem damit, mich an die Einhaltung der Befehlskette zu erinnern. »Danke, Captain Tyrosian.«

Geary sah auf die Uhr. Er würde sich ein wenig Zeit lassen. Zwei Stunden.

Diesen Zeitraum nutzte er, indem er an seinen Szenarien für die Gefechtsübungen arbeitete, während die Flotte in gemächlichem Tempo tiefer ins Kaliban-System vordrang. Schließlich rief er abermals die Jinn. »Captain Gundel.«

Der wirkte noch gereizter als zuvor. »Ich habe noch eine Menge zu erledigen.«

»Dann wird es Sie freuen, was ich Ihnen zu sagen habe, Captain Gundel«, verkündete Geary. »Mir ist klar geworden, dass ich jemanden benötige, der einen Überblick über die langfristigen Bedürfnisse dieser Flotte zusammenstellt. Jemanden, der über die nötige Erfahrung verfügt, um alles Notwendige in einer kompakten Übersicht zusammenzufassen, auch wenn das eine Arbeit ist, die wohl viel Zeit in Anspruch nehmen wird.« Er lächelte Gundel an, der auf eine hochnäsige Art Gearys Überlegungen zu befürworten schien. »Aber wenn dieser Offizier permanent durch andere Verantwortlichkeiten abgelenkt wird, kann er sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren. Daher teile ich Sie zu meinem Stab ein, Captain Gundel, und er-nenne Sie zu meinem Versorgungsberater.« Wieder lächelte Geary.

Gundel schien schockiert zu sein.

»Natürlich«, fuhr Geary fort und verlieh seiner Stimme einen leicht entschuldigenden Tonfall, »ist Ihnen klar, dass die Flottenvorschriften es verbieten, dass ein Offizier im Rang eines Schiffskommandanten oder darüber gleichzeitig eine Stabsposition innehat. Zu viel Ablenkung, zu viele Interessenkonflikte. Ein Profi wie Sie ver-steht das sicher. Damit ich also von Ihrem Wissen und Ihren Ratschlägen profitieren kann, müssen Sie das Kommando über die Jinn abgeben. Sie benötigen einen geeigneten Arbeitsplatz, um Ihre Aufgabe erledigen zu können. Da mir bekannt ist, dass ein kleines Schiff wie die Jinn dafür keinen Raum zur Verfügung hat, müssen Sie auf die Titan wechseln. Ich werde sicherstellen, dass Sie dort ein vernünftiges Büro erhalten. Und da Sie damit nicht mehr das Kommando über die Jinn haben, wird Captain Tyrosian von der Witch der neue Commander über die Hilfsschiffe.«

Gundel war sprachlos und konnte ihn nur anstarren.

»Dann gibt es keine Fragen? Hervorragend. Da wir unter großem Zeitdruck stehen, sorgen Sie bitte dafür, dass Sie das Kommando über die Jinn bis Mitternacht an Ihren XO übergeben haben. Morgen werden Sie auf die Titan versetzt.«

Schließlich war Gundel wieder in der Lage, etwas zu sagen. »Sie… Sie können nicht einfach…«

»Doch, das kann ich.« Geary wurde ernst, sein Tonfall unterkühlt.

»Meine Befehle werden unmittelbar nach Beendigung dieser Unterhaltung an die Titan, die Jinn und die Witch gesendet. Ich darf annehmen, dass ein Offizier von Ihrer Erfahrung es nicht mal im Traum wagen würde, sich einem direkten Versetzungsbefehl zu wi-dersetzen, oder?« Geary machte eine kurze Pause, da er wusste, dass seine Worte Gundel an das Beispiel des vormaligen Commanders der Arrogant, Vebos, erinnern würden. Er ließ noch einige Sekunden Schweigen folgen, sodass Gundel über die Vorteile nachdenken konnte, nicht länger die Verantwortung eines Kommandos tragen zu müssen und sich einem schier unendlichen Forschungsprojekt widmen zu können, ohne mit dem Makel leben zu müssen, dass man ihn seines Postens enthoben hatte. Geary sah, wie sich Gundels Miene veränderte, als er begriff, welch großartige Gelegenheit sich hier für einen Offizier von seinen beschränkten Möglichkeiten bot.

»Oder gibt es irgendwelche Probleme?«

»Nein, überhaupt nicht.« Gundels Augen zuckten hin und her, während er sich die Situation offenbar noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Schließlich nickte er zufrieden und nahm wieder eine gefasste Haltung an. »Ein wohlüberlegter Einsatz Ihres Personals. Allerdings muss ich wohl nicht noch betonen, wie sehr ich es bedauere, die Jinn verlassen zu müssen.«

»Das kann ich gut verstehen.«

»Allerdings ist mein XO von mir gut ausgebildet worden. Er sollte davon profitiert haben, dass er mich als Befehlshaber der Jinn beobachten konnte, und er wird ein fähiger Nachfolger sein.«

»Gut zu wissen.«

»Ich glaube, Captain Tyrosian hat ebenfalls davon profitiert, dass sie mich als Befehlshaber der Abteilung erleben konnte.«

»Dann sollten uns eigentlich keine Nachteile entstehen«, erklärte Geary, der Gundels scheinbar unaufhörlichem selbstlosem Rede-schwall Einhalt gebieten wollte.

»Ihnen ist sicherlich klar, dass die Arbeit an dem von Ihnen geforderten Bericht ein langwieriger Prozess sein wird.«

»Sie nehmen sich dafür so viel Zeit, wie Sie brauchen.« Je länger, umso besser, weil Sie auf diese Weise weder mir noch sonst jemandem im Weg sind. »Danke, Captain Gundel.« Geary unterbrach rasch die Verbindung, bevor Gundel noch etwas sagen konnte. Mit ein bisschen Glück werde ich nie wieder ein Wort mit ihm reden müssen. Er kann meinetwegen jahrelang an diesem Bericht arbeiten, bis er in den Ruhestand geht und ihn dem armen Kerl übergibt, der dann das Kommando über die Flotte hat.

Geary sendete die vorbereiteten Mitteilungen, dann nahm er mit der Witch und der Titan persönlich Kontakt auf, um die Captains über die aktuelle Situation zu informieren. Captain Tyrosian reagierte fast genauso verdutzt wie Gundel, aber sie bestätigte umgehend seinen Befehl, einen Plan für die mögliche Ausbeutung der Minen zu erstellen. Ihre Stimmung besserte sich deutlich, als ihr klar wurde, dass sie nun Befehlshaberin der Abteilung und die Witch das neue Flaggschiff dieser Abteilung war. Geary atmete fast erleichtert auf, als er das Gespräch mit Tyrosian beendete und wusste, mit ihr würde er zusammenarbeiten können.

Der befehlshabende Offizier der Titan wiederum war sichtlich begeistert, dass er nicht länger unter Gundels Fuchtel stand, auch wenn ihn zugleich die Tatsache beunruhigte, seinen vormaligen Vorgesetzten für unbestimmte Zeit auf seinem Schiff unterbringen zu müssen. »Er hat mit Ihrer Befehlskette nichts mehr zu tun«, versicherte Geary ihm. »Versorgen Sie ihn mit allem Material, das er an-fordert, und geben Sie ihm ein schönes Büro. Vermutlich werden Sie ihn nie zu Gesicht bekommen.«

»Jawohl, Sir. Und danke, Sir.«

»Sie danken mir?«, fragte Geary. »Wofür?«

Der jüngere Offizier zögerte. »Dafür, dass Sie mich nicht aus der nächsten Luftschleuse gestoßen haben, weil ich Captain Gundel übergangen und mich sofort an Sie gewandt habe, Sir.«

»Wenn diese Geschichte mit den Syndik-Minen funktioniert, dann wird das für diese Flotte von großem Nutzen sein. Sie hatten guten Grund für Ihre Vorgehensweise. Machen Sie nur keine Gewohnheit daraus.«

»Das wird nicht passieren, Sir.«

Einige Stunden später fiel ihm ein, mit dem neuen befehlshabenden Offizier der Jinn zu reden. Geary hatte Gundel ganz bewusst auf die Titan versetzt, damit er seinem Nachfolger nicht das Leben schwer machen konnte. Der vormalige XO schien ein fähiger Mann zu sein, und es war sogar anzunehmen, dass er mehr oder weniger Gundels Arbeit komplett erledigt hatte, während der so tat, als ob er ständig schrecklich beschäftigt sei. Der neue Captain der Jinn ließ keine Freude darüber erkennen, dass er nicht länger Gundels Untergebener war, aber vermutlich hatte er in dieser Zeit gelernt, seine Gefühle zu verbergen.

Geary warf einen Blick auf die Position der Flotte im System. Seit einigen Stunden glitten die Schiffe tiefer in das System hinein. Selbst wenn die Syndik-Streitmacht, die ihnen durch das Corvus-System gefolgt war, doch noch entschieden haben sollte, nach Kaliban statt nach Yuon zu springen, würde es noch mehrere Stunden dauern, bis sie hier eintrafen. Doch je länger Geary darüber nachdachte, umso geringer wurde seine Sorge, sie könnten weiter verfolgt werden.

Wäre den Syndiks auch nur der mindeste Verdacht gekommen, die Allianz-Flotte werde nach Kaliban fliegen, dann hätten sie irgendetwas in dieses System geschickt, um die Ankunft seiner Flotte festzustellen. Dass nicht einmal ein Scoutschiff zu entdecken war, das gleich nach Auftauchen der Allianz-Schiffe die Flucht angetreten hätte, um dem Syndik-Kommando Bericht zu erstatten, war für Geary Beweis genug: Die Syndiks waren fest davon überzeugt gewesen, die Flotte werde nach Yuon oder Voss springen, und folglich hatten sie ihre Kräfte auf diese Systeme konzentriert.

Diese Erkenntnis bedeutete zu Gearys Bedauern aber auch, dass er sich nicht länger vor einer Sache drücken konnte, die erledigt werden musste, seit die Flotte in diesem System angekommen war. Also gab Geary widerstrebend den Befehl an alle Schiffe heraus, dass die befehlshabenden Offiziere unverzüglich zu einer Besprechung zu-sammenkommen sollten.

Der Konferenzraum kam ihm wieder riesig groß vor, der Tisch schien sich in der Ferne zu verlieren, und Geary fragte sich, wie lange es dauern würde, bis seine Abneigung, hier Besprechungen abzuhalten, in Hass umschlug. Dieser virtuelle Prozess machte es viel zu leicht, Zusammenkünfte einzuberufen, und ihm wurde allmählich bewusst, dass diese Methode die Treffen gleichzeitig zu einem Problem machte, weil jeder mühelos daran teilnehmen und sich zu Wort melden konnte, wenn er das wollte. Die Software berücksichtigte jeden Wunsch nach einer Wortmeldung ohne Rücksicht auf Gearys Ansicht zu einer Angelegenheit, und es war ihm nicht möglich, Treffen so zu legen, dass es für seine ärgsten Widersacher mit Schwierigkeiten verbunden war, daran teilzunehmen.

Da wären wir also wieder. Eine große, glückliche Familie. Geary versuchte, nicht zu Captain Faresa zu schauen, die ihm sicher wieder einen ihrer stechenden Blicke zuwarf. »Ich wollte Sie alle von meiner Absicht in Kenntnis setzen, vorläufig im Kaliban-System zu bleiben.

Wir haben womöglich die Gelegenheit, Rohstoffe an Bord zu nehmen, und es sieht so aus, dass uns die Syndiks so schnell nicht nach hier folgen werden.«

Captain Faresa meldete sich wie erwartet prompt zu Wort. »Wenn die Syndiks hier auftauchen, werden wir dann wieder davonlaufen?«

Er betrachtete sie mit ausdrucksloser Miene und hoffte, es würde sie ein wenig aus der Ruhe bringen. »Wir sind bei Corvus nicht davongelaufen. Wir haben uns nur nicht auf ein Gefecht eingelassen.«

»Das ist doch das Gleiche! Und das auch noch gegenüber einem zahlenmäßig unterlegenen Feind!«

Geary versuchte, die Stimmung am Konferenztisch zu ergründen, und ließ seinen Blick von einem Gesicht zum anderen wandern. Sein Gefühl sagte ihm, dass deutlich zu viele Anwesende Faresas Meinung zu sein schienen. Das verblüffte ihn, aber es war offenbar wirklich so. »Ich darf Captain Faresa daran erinnern, dass unser Aufenthalt im Corvus-System lediglich dem Zweck diente, den nächsten Sprungpunkt zu erreichen. Ich sah keine Veranlassung, mich durch eine unbedeutende Syndik-Streitmacht von unserem Plan abhalten zu lassen.«

»Die glauben, wir sind vor ihnen davongelaufen!«

Geary schüttelte den Kopf und lächelte flüchtig. »Die Syndiks glauben eine Menge Unsinn.« Zu seiner Erleichterung brachte seine Bemerkung zahlreiche Captains zum Lachen. Er hatte überlegt, wie er auf die Ereignisse im Corvus-System reagieren sollte, falls jemand sie zum Thema machen wollte, und es schien ihm die beste Lösung, die Bedeutung der Syndik-Streitmacht herunterzuspielen.

Captain Faresa lief rot an, doch bevor sie weiterreden konnte, kam ihr Captain Numos zuvor. »Trotzdem müssen wir davon ausgehen, dass die Syndiks zweifellos glauben, wir würden uns vor einem Kampf mit ihnen fürchten

Langsam zog Geary eine Augenbraue hoch. » Ich hatte keine Angst vor den Syndiks.« Er ließ eine längere Pause folgen, während Numos ihn mit seinem Blick zu durchbohren versuchte. »Ich halte nichts davon, uns vom Gegner unser Handeln vorschreiben zu lassen. Wenn wir kehrtgemacht und sie angegriffen hätten, nur weil wir… besorgt… darüber sind, was der Feind von uns denken könnte, dann lassen wir uns von ihm vorschreiben, wie wir uns zu verhalten haben.«

Er zeigte auf Faresa und Numos. »Ich möchte Sie beide daran erinnern, dass die Syndiks wussten, wir würden nach Corvus springen.

Es war das einzige System, das wir vom Sprungpunkt im Heimatsystem der Syndiks aus erreichen konnten.« Fast hätte er das Wort »Flucht« in seinen Satz eingebaut, doch er wollte nicht auch noch selbst dem Vorwurf Nahrung geben, sie seien vor einem Gefecht davongelaufen, auch wenn das voll und ganz der Wahrheit entsprach.

»Die Verfolgergruppe war ganz sicher nur eine erste Welle, weitere Schiffe wären ihnen in Kürze in das System gefolgt. Was hätten wir mit unseren beschädigten Schiffen anstellen sollen, wenn diese zweite Welle eingetroffen wäre? In einem Syndik-System gab es für uns keine sichere Zuflucht. Jedes zusammengeschossene Schiff wäre mitsamt seiner Crew dem Untergang geweiht gewesen. Wie sollte das unserer Sache dienen? Wie sollte das den Menschen dienen, die unserem Kommando unterstellt sind? Würden Sie sich in einem unbedeutenden Sternensystem mit den Syndiks einen Kampf bis zum Tod – und zwar bis zum Tod unserer Flotte – liefern, nur weil Ihr Stolz das von Ihnen verlangt?«

Captain Faresa schwieg und warf Geary einen zornigen Blick zu, während Numos den Kopf schüttelte. »Stolz ist das, wofür unsere Flotte kämpft. Stolz schweißt uns zusammen, und ohne Stolz sind wir nichts.« Sein Tonfall ließ erkennen, dass Geary das eigentlich wissen sollte und dass seine Ignoranz dem anderen Mann völlig un-verständlich war.

Geary beugte sich nach vorn und wusste, ihm war seine Wrut anzusehen. »Diese Flotte kämpft für den Sieg, nicht für den Stolz. Sie wird durch Ehre und Tapferkeit zusammengeschweißt, durch den Glauben an das, wofür wir kämpfen, und durch den Glauben an sich selbst. Stolz hat damit gar nichts zu tun. Stolz ist nur eine Waffe, die unser Feind mit dem größten Vergnügen benutzen wird, um unseren Untergang herbeizuführen.«

Schweigen legte sich über den Raum. In Numos’ Augen schien ein Funke Zufriedenheit aufzublitzen, als glaube er, gegen Geary ge-punktet zu haben. Geary zwang sich zur Ruhe, da er wusste, er durfte sich nicht von seinem Temperament mitreißen lassen. Er betrachtete wieder die Captains, deren Bilder so in den Raum projiziert wurden, als säßen diese Männer und Frauen bei ihm am Tisch.

Dabei versuchte er einzuschätzen, ob er seine Position geschwächt hatte, auch wenn er nicht wusste, was er sonst hätte sagen sollen.

»Wenn ich dann fortfahren darf. Die Syndiks wissen nicht, dass wir nach Kaliban gesprungen sind. Es wird einige Tage dauern, bis ihnen klar wird, dass wir nicht Kurs auf Yuon genommen haben. Erst dann werden sie mit der Suche nach uns beginnen, und diese Zeit müssen wir nutzen, um unsere Vorräte aufzustocken. Unsere Hilfsschiffe«, er deutete auf Tyrosians Platz, »werden zusehen, welche Rohstoffe sie an Bord holen können, und gleichzeitig die Zeit nutzen, um die Dinge zu produzieren und zu verteilen, die von unseren Schiffen am dringendsten benötigt werden.«

»Captain Tyrosian leitet die Hilfsschiffe? Was ist mit Captain Gundel geschehen?«, fragte ein Offizier, der Tyrosian verwundert, aber nicht feindselig ansah.

»Captain Gundel hat den Auftrag erhalten, für mich den langfristigen Bedarf dieser Flotte zu ermitteln«, antwortete Geary. »Er wechselt auf die Titan

»Ich hörte, Gundel sei seines Postens enthoben worden«, warf ein anderer Offizier vorwurfsvoll ein.


Die Dinge sprechen sich schnell herum. Daran hat sich seit meiner Zeit nichts geändert. Geary schaute zu Tyrosian. »Die Flottenvorschriften verbieten es, dass ein Offizier ein Schiff befehligt und gleichzeitig ein Stabsmitglied ist. Daher war es erforderlich, das Kommando über die Jinn an Captain Gundels XO zu übergeben. Captain Gundel«, fügte er dann noch an, »war mit diesen Veränderungen einverstanden.«

Tyrosian war es nicht gewöhnt, bei diesen Treffen so sehr im Mittelpunkt zu stehen, und nickte nur.

»Wird Captain Gundel das Gleiche sagen, wenn man ihn dazu befragt?«, hakte der Offizier nach.

»Wenn Sie meine Aussagen nicht für vertrauenswürdig genug halten«, konterte Geary ironisch, »können Sie gern jederzeit mit Captain Gundel Kontakt aufnehmen. Ich möchte Sie aber vorwarnen, dass er wahrscheinlich erklären wird, er sei zu beschäftigt, um sich bei seiner Arbeit unterbrechen zu lassen.«

Etliche Anwesende mussten daraufhin lächeln. Wie Geary ganz richtig vermutet hatte, waren viele Offiziere gezwungen gewesen, sich mit Captain Gundel herumzuschlagen, solange der das Sagen über die Hilfsschiffe hatte. Ihnen allen war klar, was Geary mit seiner Bemerkung hatte sagen wollen.

Der Offizier, der ihn infrage gestellt hatte, bemerkte das allgemeine Lächeln und erkannte, dass er nicht viele Verbündete haben wür-de, sollte er gegen Gundels Versetzung weiter protestieren wollen.

»Schon gut. Ich wollte nur Gewissheit haben, weiter nichts.«

»Gut.« Geary betrachtete der Reihe nach die Anwesenden, deren Mienen ihn erkennen ließen, dass er für den Augenblick die Flotte weiterhin unter Kontrolle hatte. Aber zu viele von ihnen sympathisieren mit Numos’ Einstellung. Warum nur? Diese Leute sind nicht dumm, und trotzdem sind zu viele offenbar unzufrieden, dass wir uns im Corvus-System kein Gefecht mit den Syndiks geliefert haben, ganz gleich, was der gesunde Menschenverstand dazu sagt. Also gut. Aber wenn sie kämpfen wollen, dann müssen sie auch lernen, wie man das richtig anstellt. »Solange wir in diesem System sind, werden wir uns mit einer Sache beschäftigen.«


Alle sahen ihn an, einige interessiert, andere eher zurückhaltend.

»Ich hatte die Gelegenheit, diese Flotte in Aktion zu erleben.« Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, sich so diplomatisch auszudrücken, wie Geary es nur konnte. Er wünschte, er könnte Rione genügend vertrauen, um sich von ihr bei der Wortwahl bei dieser flotteninter-nen Angelegenheit helfen zu lassen. »Der Mut der Besatzungen und die Fähigkeiten der Schiffe in dieser Flotte sind wirklich beeindruckend. Darauf können Sie alle stolz sein.« Den letzten Satz ließ er als einen Nachgedanken folgen, um sich das Thema Stolz von Numos zurückzuerobern. »Unser Ziel ist aber nicht nur, als Sieger aus einem Gefecht hervorzugehen. Sondern wir müssen auch versuchen, dem Gegner möglichst schwere Verluste zuzufügen, während wir unsere eigenen Verluste so gering wie möglich halten. Es gibt Verschiedenes, was wir tun können, um unsere Möglichkeiten zu maximieren, damit wir solche Siege erringen können.«

Die Zurückhaltung war den Gesichtern nach wie vor deutlich anzusehen. Geary rief eine Darstellung auf, die Gefechtsformationen zeigte, wie er es früher einmal geübt hatte. Übungen, wie man Gruppen von Kriegsschiffen so koordinierte, dass sie an den entscheidenden Positionen zusammenkamen. Er hatte lange darüber nachgedacht, wie er diesen Leuten klarmachen sollte, dass sie keinen Funken Ahnung davon hatte, wie man sich in einem Gefecht richtig verhielt. »Koordination, Teamwork und Schiffsformationen, die es uns ermöglichen, diese Eigenschaften optimal zu unseren Gunsten zu nutzen. Es ist viel Übung nötig, um das alles richtig zu koordinieren, aber der Lohn wird darin bestehen, dass die Syndiks nicht darauf vorbereitet sind und sich nicht dagegen verteidigen können.«

»Wir können die Schiffe in diese Formationen bringen«, wandte jemand ein. »Aber die bringen uns überhaupt nichts ein, wenn nicht jemand über Lichtminuten hinweg das Ganze koordinieren kann, während wir einem Feind gegenüberstehen, der agiert und reagiert.

Das ist eben das Problem. Durch die verzögerten Informationen wird das jedes Mal unmöglich gemacht. Das grundsätzliche Konzept ist in den taktischen Handbüchern festgehalten, aber es weiß niemand mehr, wie diese Formationen funktionieren sollen.«

Zum ersten Mal meldete sich Commander Cresida von der Furious zu Wort. »Das ist richtig, doch ich glaube, wir haben jetzt jemanden in unserer Mitte, der weiß, wie das geht. Der das vor langer Zeit gelernt hat.« Mit einem finsteren Lächeln auf den Lippen sah sie zu Geary.

Er konnte mitverfolgen, wie es nach und nach allen Anwesenden dämmerte. Sogar Numos und Faresa schienen nicht zu wissen, wie sie darauf kontern sollten. Die Gelegenheit muss ich nutzen. »Wir können das hinbekommen. Es wird einiges an Arbeit bedeuten. Wir werden Simulationen durchspielen und Übungen durchführen, solange wir in diesem System sind. Wir werden üben, wie Flotten aufeinandertreffen. Ja, ich kenne da ein paar Tricks, die offenbar nicht bis heute überlebt haben. Ich kann sie Ihnen zeigen und vermitteln, und damit werden wir die Syndiks völlig unvorbereitet treffen.«

Obwohl einige Anwesende skeptisch dreinblickten, schien der größte Teil der Befehlshaber erleichtert und interessiert zu sein.

»Wir werden Formationen, Gefechtssituationen und Manöver üben.« Beim Begriff »Gefechtssituationen« wurden noch mehr Offiziere hellhörig, als würde Gearys Interesse an der Vorbereitung auf mögliche Gefechte ihnen einige ihrer Sorgen nehmen. »Ich werde einen Zeitplan aufstellen«, fuhr er fort. »Es wird anstrengend werden, weil ich nicht weiß, wie viel Zeit uns zum Üben bleibt. Irgendwelche Fragen?«

»Wohin werden wir von hier aus weiterfliegen?«, wollte Captain Tulev wissen.

»Das ist noch nicht entschieden. Wie Sie wissen, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl.«

»Dann sind Sie nicht darauf aus, Kaliban möglichst schnell zu verlassen?« Tulevs Blick verriet, dass er genau wusste, wie Geary darauf antworten würde.

Geary reagierte mit einem flüchtigen Lächeln und dankbar, dass Tulev ihm die Gelegenheit für eine klare Antwort gegeben hatte.

»Wir werden Kaliban verlassen, wenn wir uns dazu bereit fühlen, Captain.«


Verhaltener Jubel machte sich breit, als die meisten Commander seinen Überlegungen zustimmten. Geary saß weiter lächelnd da, während er immense Erleichterung verspürte, weil er diesen Männern und Frauen klargemacht hatte, dass sie noch eine Menge lernen mussten, ohne dabei zugleich ihren Stolz auf sich selbst und ihre Fähigkeiten zu verletzen. »Das wäre dann alles. Ich werde einen Trai-ningsplan ausarbeiten und ihn an alle Schiffe übermitteln, sobald er fertig ist.«

Captain Desjani stand auf, nickte Geary zu und verließ hastig den Raum, wobei sie auf ihrem Datenpad nachsah, welche Entscheidungen zu treffen und welche Befehle zu erteilen waren. Die Darstellun-gen der anderen Commander lösten sich rasch auf, da sie zu ihren Untergebenen wollten, um ihnen das Ergebnis der Besprechung mitzuteilen. Geary konzentrierte sich auf einen Offizier und hob die Hand, um ihn aufzuhalten. »Captain Duellos, ich würde gern mit Ihnen unter vier Augen reden.«

Duellos nickte bestätigend, dann »kam« sein Bild auf Geary zu, während die anderen Offiziere sich wie ein Schwarm Seifenblasen auflösten und der Raum wieder seine wirkliche Größe annahm. »Ja, Captain Geary?«

Geary rieb sich das Genick und überlegte, wie er seine Frage am besten stellen sollte. »Ich würde gern Ihre Meinung zu etwas wissen.

Während der Besprechung ging es um Stolz und um unsere Weigerung, bei Corvus die Syndiks anzugreifen. Wie denken Sie darüber?«

Duellos legte den Kopf schräg und musterte Geary. »Sie legen Wert auf meine persönliche Meinung? Ich kann nicht für mich in Anspruch nehmen, dass ich die Meinung jedes Captains der Flotte repräsentiere.«

»Das weiß ich. Ich möchte gern wissen, was Sie denken und was Ihrer Meinung nach die anderen denken.«

»Wie Sie wünschen.« Duellos zog einen Mundwinkel hoch.

»Ich habe verstanden, was Sie über das Thema Stolz gesagt haben.

Aber Sie sollten auch wissen, dass Stolz einer der Grundpfeiler der Flotte ist.«


»Ich habe nie gesagt, sie sollten keinen Stolz empfinden!« Geary erhob aufgebracht beide Arme.

Diesmal zuckten beide Mundwinkel nach oben, als versuche Duellos, der Situation etwas Amüsantes abzugewinnen. »Nein, aber die Bedeutung, die Stolz für uns hat, kann nicht außer Acht gelassen werden. Es gab Zeiten, Captain Geary, da war unser Stolz das Einzige, was uns weitermachen ließ.«

Mit einem Kopfschütteln sah Geary zur Seite. »Ich habe viel zu großen Respekt vor Ihnen und möchte nicht glauben, dass leerer Stolz das Einzige ist, was Sie motivieren kann. Ich glaube, was Sie als Stolz bezeichnen, ist mehr als nur das. Vielleicht der Glaube an Sie selbst. Oder Beharrlichkeit im Angesicht einer drohenden Niederlage. Das sind Dinge, auf die man stolz sein kann. Aber das ist nicht das Gleiche wie stolz zu sein.«

Duellos seufzte. »Ich fürchte, uns ist die Fähigkeit abhandenge-kommen, solche Dinge zu unterscheiden. Irgendwo auf dem Weg von Ihrer Zeit zu unserer haben wir das wohl verloren. Der Krieg verzerrt die Dinge, und der menschliche Geist ist nur eines der Dinge, die er verzerrt und verdreht.«

»Dann sind Sie auch der Meinung, wir hätten bei Corvus die Syndiks angreifen sollen?«

»Nein, auf gar keinen Fall. Das wäre aus den von Ihnen dargeleg-ten Gründen eine Dummheit gewesen. Aber…« Er zögerte. »Darf ich ganz offen sprechen?«

»Natürlich. Ich habe mich an Sie gewandt, weil ich darauf baue, dass Sie mir die Wahrheit sagen.«

Wieder ließ Duellos ein sehr kurzes, knappes Lächeln erkennen.

»Ich kann nicht behaupten, dass ich immer weiß, was die Wahrheit ist. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich für die Wahrheit halte. Sie müssen wissen, dass zwar die meisten befehlshabenden Offiziere mit Leib und Seele an Black Jack Geary glauben, dass sich jedoch viele fragen, ob Sie immer noch dieser Mann sind. Einen Augenblick«, fügte er rasch hinzu, da Geary zu einer Erwiderung ansetzen wollte. »Mir ist klar, dass Sie nie dieser Mann waren. Aber diese Leute suchen in Ihren Entscheidungen nach den Eigenschaften von Black Jack Geary.«

Geary dachte einen Moment lang darüber nach. »Und wenn sie nichts von dem finden, was sie für Black Jacks Eigenschaften halten?«

»Dann werden sie Ihre Befähigung infrage stellen, weiterhin diese Flotte zu befehligen«, antwortete Duellos geradeheraus. »Seit Sie das Kommando übernommen haben, werden Gerüchte verbreitet, Sie seien eine leere Hülle, ein Mann, der von der langen Zeit im künstlichen Tiefschlaf Schaden davongetragen hat, ein leeres, verbrauchtes Überbleibsel eines großen Helden. Wenn der Eindruck entsteht, Ihnen fehle es an dem Willen, sich dem Feind zu stellen, dann gibt das nur den Gerüchten zusätzliche Nahrung, dass Ihre Seele Ihren Körper verlassen hat.«

»Zum Teufel.« Mit beiden Händen rieb sich Geary übers Gesicht.

So sehr er es auch hasste, für eine Legende gehalten zu werden, schien es keine Spur besser zu sein, wenn man ihn als seelenlosen Zom-bie bezeichnete. Zumal ein solches Etikett seiner Kommandofähigkeit ernsthaften Schaden zufügen konnte. »Widerspricht jemand diesen Gerüchten?«

»Selbstverständlich, Sir. Aber Widerworte von jemandem wie mir bewirken nichts bei den Leuten, die an Ihnen zweifeln. Diejenigen, die in der Lage sind, ihre Meinung zu ändern, warten auf Taten von Ihnen.«

Wieder hob er aufgebracht die Hände hoch. »Ich kann das nicht prinzipiell abtun, nicht wahr? Ich werde Sie nicht fragen, wer diese Gerüchte verbreitet, weil Sie es mir bestimmt nicht sagen werden.

Captain Duellos, ich habe dieses Kommando übernommen, um die Flotte nach Hause zu bringen. Wenn mir das gelingt, ohne mich in schwere Raumschlachten verstricken zu lassen, dann wird das bedeuten, dass ich es geschafft habe, ohne ein weiteres Schiff zu verlieren.«

Sekundenlang betrachtete Duellos ihn. »Captain Geary, die Flotte nach Hause zu bringen, kann nicht der Selbstzweck sein. Ich will nicht abstreiten, dass es von großer Wichtigkeit ist, doch diese Flotte existiert, um zu kämpfen. Die Syndiks müssen geschlagen werden, wenn dieser Krieg ein Ende nehmen soll. Jeder Verlust, den wir ihnen auf unserem Heimweg zufügen können, wird für die Allianz von Nutzen sein. Und früher oder später wird sich diese Flotte wieder den Syndiks stellen müssen.«

Geary stand da, den Kopf voll finsterer Gedanken, und schließlich nickte er bedächtig. »Ich verstehe.«

»Es ist ja nicht so, als wollten wir unbedingt fern der Heimat sterben, müssen Sie wissen«, ergänzte Duellos mit einem ironischen Lächeln.

»Ja, ich weiß.« Geary tippte an seine linke Brust, wo nur ein paar Bänder seine Uniform schmückten, ganz im Gegensatz zu den un-zähligen Reihen voller Auszeichnungen, mit denen Duellos für seinen Einsatz belohnt worden war. Das unverkennbare Hellblau der Ehrenmedaille der Allianz hob sich vom Rest ab, der Lohn für sein »letztes Gefecht«. Geary glaubte nicht, dass er diese Auszeichnungen wirklich verdient hatte, doch die Vorschriften verlangten von ihm, dass er sie trug. »Sie sind damit aufgewachsen. Kämpfen und Sterben ist für Sie etwas, das zu einem ganz normalen Leben dazu-gehört. Meine Gedankenwelt ist noch die gleiche wie vor hundert Jahren, als der Frieden noch die Norm und Krieg nichts weiter als eine Möglichkeit war. Für mich waren Gefechte ein theoretisches Spiel, bei dem Schiedsrichter am Ende Punkte zusammenzählten, um festzustellen, wer gewonnen und wer verloren hatte. Anschließend gingen wir alle zusammen einen trinken und machten uns gegenseitig etwas vor, wie brillant die Taktik der anderen gewesen war. Jetzt ist das alles real. Bei Grendel lief alles so schnell ab, da blieb mir gar keine Zeit, um darüber nachzudenken, dass ich mich in einem Krieg befand.« Er verzog das Gesicht. »Ihre Flotte ist weitaus größer als die zu meiner Zeit. In einer Schlacht könnte ich heute mehr Matrosen verlieren, als es damals überhaupt in der gesamten Flotte gab. Ich muss mich immer noch daran gewöhnen, dass ich mitten in einem sehr langwierigen Krieg gelandet bin.«

Ein Schatten huschte über Duellos’ Gesicht. »Ich beneide Sie, Sir«, erklärte er leise.

Geary nickte und reagierte mit einem schmallippigen Lächeln. »Ja.


Ich habe eigentlich keinen Grund, mich zu beklagen, nicht wahr?

Danke für Ihre offenen Worte, Captain Duellos. Ich weiß Ihre ehrliche Meinung sehr zu schätzen.«

Duellos ging einen Schritt zurück und machte sich bereit, sein Abbild verschwinden zu lassen, dann aber hielt er inne. »Darf ich fragen, was Sie machen werden, wenn eine Streitmacht der Syndiks nach Kaliban kommt?«

»Ich werde überprüfen, welche Möglichkeiten mir zur Verfügung stehen, und dann werde ich mich für den Weg entscheiden, der unter den gegebenen Umstände der beste ist.«

»Natürlich. Ich bin mir sicher, Sie werden eine ›beseelte‹ Entscheidung treffen, Sir.« Duellos salutierte, sein Bild löste sich auf.

Wieder allein in einem Raum, in dem sich außer ihm eigentlich die ganze Zeit über so gut wie niemand aufgehalten hatte, brachte Geary lange damit zu, die Sterne zu betrachten, die über dem Konferenztisch schwebend projiziert wurden.

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