KAPITEL 17

Ich komme jetzt zu einem leidvollen Teil dieser Geschichte und dem, der am schwierigsten zu schreiben ist. Ich war auch nicht zugegen, bloß ganz am Ende.

Dies war, weil Sir Roger sich so in seinen Kreuzzug stürzte, als fliehe er vor etwas — was in gewisser Weise auch zutraf, und ich wurde von ihm mitgeschleppt wie ein Blatt, das von einem Orkan aufgewirbelt wird. Ich war sein Dolmetscher, aber immer dann, wenn wir nichts anderes zu tun hatten, wurde ich sein Lehrer und unter­wies ihn in Wersgor, bis mein armes, schwaches Fleisch es nicht mehr ertragen konnte. Mein letzter Blick, ehe ich in den Schlaf sank, nahm stets das Kerzenlicht auf dem ausgemergelten Gesicht meines Herrn wahr. Häufig rief er dann einen Doktor der Jairsprache, der ihn bis zur Morgendämmerung unterwies. Bei diesem Tempo vergin­gen nicht viele Wochen, bis er in beiden Sprachen läster­lich fluchen konnte.

Unterdessen trieb er seine Verbündeten fast ebenso, wie er sich selbst trieb. Die Wersgorix durften keine Gelegen­heit bekommen, sich zu erholen. Ein Planet nach dem anderen mußte angegriffen, besiegt und mit einer Garni­son besetzt werden, so daß der Feind nie ins Gleichge­wicht kam und stets in der Defensive war. Bei diesem Unterfangen hatten wir viel Hilfe seitens der versklavten eingeborenen Bevölkerung. In der Regel brauchte man diesen bloß Waffen und Führung zu geben, und sie grif­fen ihre Meister in solchen Horden und mit solcher Wild­heit an, daß letztere zu uns flohen und um Schutz flehten.

Jairs, Ashenkoghii und Pr?*tans waren erschreckt. Sie hatten keine Erfahrung in solchen Dingen, wohingegen Sir Roger die Jacquerie in Frankreich erlebt hatte. In ihrer Verblüffung kamen seine Kollegen immer mehr dahin, daß sie ungefragt seine Führung anerkannten.

Das Hin und Her vor alldem, was geschah, ist so kom­pliziert, von Welt zu Welt vielfältig, als daß ich es in die­sem bescheidenen Bericht darlegen könnte.

Aber im Wesen hatten die Wersgorix auf jedem be­wohnten Planeten jegliche ursprüngliche Zivilisation zer­stört. Jetzt stürzte das Wersgorsystem seinerseits in sich zusammen. In dieses Vakuum — Unreligion, Anarchie, Banditentum, Hungersnot, die allgegenwärtige Gefahr einer Rückkehr der Blaugesichter, die Notwendigkeit, die Eingeborenen selbst auszubilden, um unsere dünnen Gar­nisonen zu unterstützen — trat Sir Roger. Er besaß eine Lösung für diese Probleme, eine, die in Europa zusam­mengehämmert worden war, in jenen gar nicht so unähn­lichen Jahrhunderten nach dem Fall Roms: das Feudal­system.

Aber gerade als er im Begriff war, so die Fundamente des Sieges zu legen, brach für ihn alles zusammen. Gott möge seiner Seele gnädig sein! Nie lebte ein größerer Rit­ter. Selbst jetzt noch, ein ganzes Leben später, trüben die Tränen meine alten Augen, und ich würde am liebsten über diesen Teil meiner Chronik hinweggehen. Da ich selbst nur Augenzeuge eines so geringen Teils war, wäre es vielleicht sogar verzeihlich, wenn ich es täte.

Jedoch muß man sagen, daß jene, die ihren Herrn ver­rieten, sich nicht danach drängten. Sie stolperten hinein. Wäre Sir Roger nicht allen warnenden Anzeichen gegen­über blind gewesen, so wäre es nie geschehen. Deshalb will ich es nicht in kalten Worten niederschreiben, son­dern auf jene frühere (und ich glaube, echtere) Übung zurückgreifen, ganze Szenen zu erfinden, auf daß Leute, die heute zu Staub geworden sind, aufs neue leben mögen, nicht als abstrakte Schurkereien, sondern als irrende Seelen, mit denen Gott vielleicht zu guter Letzt Mitleid hatte.

Wir beginnen auf Tharixan. Die Flotte war gerade abgeflogen, um die erste Wersgorkolonie auf diesem lan­gen Feldzug zu besetzen. Eine Jair-Gamison besetzte Da­rova. Aber jene englischen Frauen, Kinder und Großvä­ter, die sie so tapfer gehalten hatten, wurden nach Sir Rogers bestem Vermögen belohnt. Er verlegte sie auf jene Insel, wo unser Vieh weidete. Dort konnten sie in den Wäldern und Feldern leben, Häuser bauen, jagen, säen und ernten, fast als wäre sie zu Hause. Lady Catherine sollte über sie herrschen. Sie behielt Branithar, den gefan­genen Wersgor, sowohl, um ihn daran zu hindern, den Jairs zuviel zu offenbaren, als auch, um weiterhin in sei­ner Sprache ausgebildet zu werden. Sie verfügte auch über ein schnelles kleines Raumschiff für Notfälle. Besu­che seitens der Jairs und vom anderen Ufer des Meeres wurden nicht gerne gesehen, auf daß sie nicht zuviel ent­deckten.

Es war eine friedliche Zeit, nur nicht im Herzen meiner Lady.

Für sie begann das große Leid am Tage, nachdem Sir Roger sich eingeschifft hatte. Sie ging über eine von Blu­men bestandene Wiese und hörte das Seufzen des Windes in den Bäumen. Zwei ihrer Zofen folgten hinter ihr. Durch den Wald hallten Stimmen, klirrten Äxte, sie ver­nahm das Bellen eines Hundes, aber für sie schien all das traumhaft fern.

Plötzlich blieb sie stehen. Einen Augenblick lang konnte sie nur starr blicken. Dann stahl sich eine Hand an das Kruzifix, das an ihrer Brust hing. »Heilige Maria, hab' Mitleid mit mir.« Ihre Zofen, gut ausgebildet, zogen sich zurück.

Sir Owain humpelte auf die Lichtung. Er trug sein bun­testes Gewand und nichts als ein Schwert, um sie an den Krieg zu erinnern. Die Krücke, auf die er sich lehnte, störte kaum die Eleganz seiner Bewegung, als er sein Federbarett vom Kopfe riß und sich verbeugte.

»Ah«, rief er aus, »in diesem Augenblick wird dieses Land zu Arkadien, und der alte Hob, der Schweinehirt, dem ich gerade begegnete, ist der heimische Apollo, der auf seiner Harfe ein Lied spielt, um die große Hexe Venus zu erfreuen.«

»Was soll das?« Catherines Augen umwölkten sich. »Ist die Flotte zurückgekehrt?«

»Nein.« Sir Owain zuckte die Achseln. »Schreibt es meinem Ungeschick zu. Ich habe Ball gespielt und bin dabei gestolpert. Dabei habe ich mir den Knöchel ver­staucht, und jetzt ist er so schwach, daß ich im Kampf nutzlos wäre. Ich sah mich gezwungen, mein Kommando dem jungen Hugh Thome zu übertragen, und eilte in einem Luftschiff hierher. Jetzt muß ich warten, bis ich geheilt bin, und mir dann ein Schiff und einen Jair-Piloten ausborgen, um wieder zu meinen Kameraden zu gelangen.«

Catherine gab sich verzweifelt Mühe, nüchtern zu blei­ben. »In. in seinen Sprachlektionen. hat Branithar erwähnt, daß die Sternenleute s-s-seltsame chirurgische Künste besitzen.« Ihr Gesicht rötete sich wie vom Feuer. »Ihr Linsen können. sogar ins Innere eines lebenden Körpers. blicken, und sie haben Säfte, die die schlimmsten Wunden binnen Tagen heilen.«

»Daran dachte ich auch«, sagte Sir Owain. »Natürlich möchte ich mich nicht dem Kriege entziehen. Aber dann erinnerte ich mich der strikten Befehle meines Herrn, daß unsere ganze Hoffnung darauf beruht, diese Dämonen­rassen zu überzeugen, daß wir ebenso gelehrt wie sie sind.«

Ihre Hand umfaßte das Kruzifix noch fester.

»So wagte ich es nicht, die Hilfe ihrer Ärzte zu erpro­ben«, fuhr er fort. »Statt dessen sagte ich ihnen, ich würde hinten bleiben, um mich gewissen wichtigen Din­gen zu widmen und diese Krücke als Sühne für meine Sünden tragen. Sobald die Natur mich geheilt haben wird, würde ich abreisen. In Wahrheit gesprochen, frei­lich, wird es mir das Herz aus dem Leibe reißen, wieder von Euch gehen zu müssen.«

»Weiß es Sir Roger?«

Er nickte. Sie gingen schnell auf etwas anderes über. lenes Nicken war eine schwarze Lüge. Sir Roger wußte nichts. Keiner seiner Männer wagte es ihm zu sagen. Ich hätte es wagen können, da er einen Mann des heiligen Buches nie schlagen würde, aber auch ich war unwissend. Da der Baron in diesen Tagen Sir Owains Gesellschaft mied und mit genügend anderem beschäftigt war, dachte er nicht daran.

Ich nehme an, daß er im Innersten seiner Seele nicht daran denken wollte.

Ob Sir Owain sich wirklich das Gelenk verletzt hatte, vermag ich nicht zu sagen. Aber es wäre ein seltsamer Zufall gewesen. Ich zweifle jedoch, ob er seinen letzten Verrat in allen Einzelheiten geplant hatte. Wahrschein­licher war es, daß er wünschte, gewisse Gespräche mit Branithar fortzusetzen und zu sehen, was sich daraus ent­wickelte.

Er lehnte sich näher zu Catherine und rief mit lachen­der Stimme: »Bis ich gehe, lobe ich den Unfall.«

Sie wandte den Blick ab und zitterte. »Warum?«

»Ich glaube, das wißt Ihr.« Er griff nach ihrer Hand.

Sie zog sie zurück. »Ich bitte Euch, erinnert Euch daran, daß mein Mann im Kriege ist.«

»Zweifelt nicht an mir!« rief er aus. »Lieber würde ich tot in der Erde liegen, als in Euren Augen entehrt zu sein.«

»Ich könnte nie. an einem so galanten Ritter. zweifeln.«

»Ist das alles, was ich bin? Nur galant? Amüsant? Ein Hofnarr für Eure Langeweile? Nun denn, besser Cathe­rines Narr als Venus' Geliebter. Laßt mich also Euch unterhalten.« Und so hob er seine klare Stimme, um ein Lied zu ihren Ehren zu singen.

»Nein.« Sie zog sich vor ihm zurück wie eine Hirsch­kuh vor einem Jäger. »Ich bin. ich habe gelogen.«

»An den Höfen der Liebe«, sagte er, »gibt es nur ein Gelöbnis. Die Liebe selbst.« Die Sonne ließ sein Haar schimmern.

»Ich habe zwei Kinder, an die ich denken muß«, bat sie.

Er wurde ernst. »In der Tat, Mylady. Ich habe oft Robert und die kleine Matilda auf meinem Knie reiten lassen. Ich hoffe, das wird mir wieder erlaubt sein, falls Gott es gestattet.«

Sie sah ihn fast verstört an. »Was meinst Ihr damit?«

»Oh — nein.« Er blickte in den leise murmelnden Wald, dessen Blätter an Farbe und Form nichts gleichen, was die Erde hervorgebracht hatte. »Ich würde nie meine Loya­lität verletzen.«

»Aber die Kinder!« Diesmal war sie es, die nach seiner Hand griff. »Im heiligen Namen Christi, Owain, wenn ihr irgend etwas wißt, so sprecht!«

Er hielt sein Gesicht von ihr abgewandt. Er hatte ein schönes Profil. »Mir sind keinerlei Geheimnisse bekannt, Catherine«, sagte er. »Mag sein, daß Ihr die Frage besser beurteilen könnt als ich. Denn Ihr kennt den Baron am besten.«

»Kennt irgend jemand ihn?« fragte sie bitter.

Und er sagte ganz leise: »Mir scheint, daß seine Träume mit jeder neuen Wendung des Geschicks wach­sen. Zuerst war er es zufrieden, nach Frankreich zu fliegen und sich dem König anzuschließen. Dann wollte er das Heilige Land befreien. Als ihn böses Geschick hierher verschlug, reagierte er edel darauf; das kann niemand leugnen. Aber als ihm dann das Schicksal hold war, hat er dann wieder nach Terra gesucht? Nein, er hat diese ganze Welt eingenommen. Und jetzt ist er ausgezogen, Sonnen zu erobern. Wo wird das enden?«

»Wo.« Sie konnte nicht fortfahren, noch konnte sie den Blick von Sir Owain wenden.

Und der Ritter sagte: »Gott setzt den Dingen Grenzen. Unbeschränkter Ehrgeiz ist das Ei des Satans, aus dem nur Unheil schlüpfen kann. Scheint es Euch denn nicht auch, Mylady, wenn Ihr des Nachts ohne Schlaf liegt, daß wir zu weit greifen und vernichtet werden könnten?«

Und nach einer langen Pause fügte er hinzu: »Und dafür sage ich, Christus und seine Mutter mögen all den kleinen Kindern helfen.«

»Was können wir tun?« rief sie in ihrer Angst. »Wir haben den Weg zur Erde verloren!«

»Man könnte ihn wiederfinden«, sagte er.

»In hundert Jahren der Suche?«

Er sah sie eine Weile schweigend an, ehe er antwortete: »Ich möchte nicht in einem so schönen Busen falsche Hoffnungen erwecken. Aber ich habe von Zeit zu Zeit ein wenig mit Branithar gesprochen. Unser Wissen um die Sprache des anderen ist nur gering, und er vertraut sicher keinem Menschen sehr. Und doch. einige Dinge, die er sagte. lassen mich glauben, man könnte den Weg nach Hause vielleicht doch finden.«

»Was?« Ihre beiden Hände griffen fast wild nach den seinen. »Wie? Wo? Owain, habt Ihr den Verstand ver­loren?«

»Nein«, sagte er einstudiert gleichgültig. »Aber wollen wir einmal annehmen,, dies sei die Wahrheit, dann kann Branithar uns trotz allem lenken. Er wird das nicht ohne Preis tun, denke ich. Glaubt Ihr, Sir Roger würde auf sei­nen Kreuzzug verzichten und still nach England zurück­kehren?«

»Er… nun…«

»Hat er denn nicht wieder und wieder gesagt: ›Solange die Macht der Wergsor besteht, liegt England in tödlicher Gefahr?‹ Würde ihn die Wiederentdeckung Terras nicht nur dazu bewegen, seine Bemühungen zu verdoppeln? Nein, welchen Nutzen hätte es, den Weg wiederzufinden? Der Krieg würde sich fortsetzen, bis er in unserer Ver­nichtung endet.«

Sie schauderte und bekreuzigte sich.

»Da ich schon hier bin«, schloß Sir Owain, »kann ich mich ebensogut darum kümmern, ob man nicht doch den Weg nach Hause wiederfinden kann.

Vielleicht findet Ihr einen Weg, jenes Wissen zu nut­zen, ehe es zu spät ist.«

Er entbot ihr höflich einen guten Tag, was sie nicht hörte, und hinkte in den Wald zurück.

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