Während des langen Wartens, bis Tharixan seinen Mittagspunkt erreichte, rief mein Herr und Meister seine Hauptleute zum Rat zusammen. Ein Tisch wurde vor dem Zentralgebäude aufgestellt, und wir nahmen alle an ihm Platz.
»Durch die Gnade Gottes«, sagte er, »sind wir auf eine Weile verschont. Ihr werdet feststellen, daß ich sie sogar dazu gebracht habe, alle ihre Schiffe zu landen. Ich werde mir Mühe geben, uns soviel Zeit wie möglich zu verschaffen Aber wir müssen diese Zeit nutzen. Wir müssen unsere Verteidigung stärken. Und außerdem werden wir diese Festung durchsuchen, ganz besonders nach Landkarten, Büchern und anderen Dingen der Weisheit. Diejenigen unserer Männer, die auch nur die geringste Begabung in den mechanischen Künsten besitzen, müssen jede Maschine, die wir finden, studieren und erproben, auf daß wir erfahren, wie man Kraftschirme errichtet und wie man fliegt und wie man sonst unseren Gegnern gleichkommt. Aber all dies muß insgeheim geschehen, an Orten, die feindlichen Augen verborgen sind. Denn wenn sie erfahren, daß wir über all diese Dinge noch nichts wissen.« Er lächelte und fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Kehle.
Pater Simon, sein Kaplan, wurde etwas grün im Gesicht. »Müßt Ihr?« sagte er mit schwacher Stimme.
Sir Roger nickte ihm zu. »Für dich hab' ich auch Arbeit. Ich werde Bruder Parvus brauchen, damit er für mich übersetzt. Aber wir haben einen Gefangenen, Branithar, der Latein spricht.«
»Das würde ich nicht sagen, Sire«, unterbrach ich. »Seine Deklination ist schandbar, und wie er mit den unregelmäßigen Verben umspringt, läßt sich in gebildeter Gesellschaft überhaupt nicht wiederholen.«
»Nichtsdestoweniger brauchen wir, bis er genug Englisch gelernt hat, einen Kleriker, um mit ihm zu sprechen. Siehst du, er muß erklären, was immer unsere Leute an den eroberten Maschinen nicht begreifen, und er mußt für andere Wersgor-Gefangenen übersetzen, die wir vielleicht verhören wollen.«
»Ah, und wird er das tun?« sagte Pater Simon. »Er ist ein höchst widerspenstiger Heide, mein Sohn, falls er überhaupt eine Seele besitzt. Denkt nur, erst vor ein paar Tagen, es war noch im Schiff, stand ich, in der Hoffnung, sein hartes Herz weich zu machen, in seiner Zelle und las ihm laut die Generationen von Adam bis Noah vor und war kaum über Jared hinausgekommen, als ich sah, daß er eingeschlafen war.«
»Laß ihn holen«, befahl mein Herr. »Und dann such den einäugigen Hubert und sag ihm, er soll in vollem Amtskleid erscheinen.«
Während wir warteten und halblaut miteinander sprachen, bemerkte Alfred Edgarson, daß ich ganz stumm dabeisaß. »Nun, nun, Bruder Parvus«, dröhnte er, »was plagt dich? Mich dünkt, du hast wenig zu fürchten, wo du doch ein Mann Gottes bist. Selbst wir anderen, wenn wir uns gut benehmen, haben nichts zu befürchten, nur ein wenig Schwitzen im Fegefeuer. Und dann, dann schließen wir uns dem heiligen Michael an und halten auf den Mauern des Himmels Wache. Stimmt's?«
Ich wollte ihnen nur ungern den Mut nehmen, indem ich aussprach, was mir in den Sinn gekommen war. Aber als sie darauf beharrten, sagte ich: »Ihr guten Männer, vielleicht hat uns schon schlimmeres Schicksal befallen.«
»Nun?« bellte Sir Brian Fitz-William. »Was denn? Sitz nicht bloß da und verzieh deine Nase!«
»Wir konnten das auf der Reise hierher nicht sicher sagen«, flüsterte ich. »Stundengläser sind zu ungenau, und seit wir diesen vom Teufel geschaffenen Ort erreicht haben, haben wir selbst die nicht mehr umgedreht. Wie lange ist der Tag hier? Welche Zeit ist es auf unserer Erde?«
Sir Brian nickte verständnislos. »Fürwahr, ich weiß es nicht. Was soll das?«
»Ich nehme an, daß Ihr zum Frühstück ein Stück Fleisch gegessen habt«, sagte ich. »Seid Ihr sicher, daß nicht Freitag ist?«
Sie rissen die Münder auf und sahen einander mit großen runden Augen an.
»Wann ist Sonntag?« rief ich. »Könnt ihr mir sagen, wann Advent ist? Wie sollen wir die Fastenzeit oder das Osterfest begehen, wenn zwei Monde am Himmel herumtanzen und alles verwirren?«
Thomas Bullard vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Wir sind ruiniert!«
Sir Roger stand auf.
»Nein!« schrie er in das Durcheinander. »Ich bin kein Priester, nicht einmal sehr fromm. Aber hat nicht Unser Herr selbst gesagt, daß der Sabbat für den Menschen und nicht der Mensch für den Sabbat gemacht sei?«
Pater Simon blickte zweifelnd. »Ich kann unter außergewöhnlichen Umständen einen Sonderdispens erteilen«, sagte er, »aber ich bin wirklich nicht sicher, wie weit diese Vollmacht reicht.«
»Mir gefällt das nicht«, murmelte Bullard. »Ich sehe darin ein Zeichen, daß Gott sein Angesicht von uns abgewandt hat, indem er die wahren Zeiten des Fastens und der Sakramente von uns genommen hat.«
Sir Rogers Gesicht wurde rot. Er stand noch einen Augenblick da und sah zu, wie der Mut aus seinen Männern rann, wie Wein aus einem zerbrochenen Becher.
Dann beruhigte er sich, lachte und schrie:
»Hat nicht unser Herr seinen Gefolgsleuten befohlen, hinauszuziehen nach besten Kräften und sein Wort zu verbreiten, und Er würde stets bei ihnen sein? Aber wir wollen hier nicht mit Bibelstellen streiten. Vielleicht sündigen wir wirklich. Aber wenn dem so ist, dann sollte ein wahrer Christenmensch nicht klagen, sondern Buße tun. Wir werden Sühneopfer bringen. Und um uns dafür die Mittel zu verschaffen. liegt nicht das ganze Wersgor-Imperium vor uns, um ihm Lösegeld abzupressen, bis ihm die gelben Augen hervortreten? Das beweist, daß Gott selbst uns in diesen Krieg befohlen hat!« Er zog sein Schwert, das im Tageslicht funkelte, daß wir alle geblendet wurden, und hielt es mit dem Heft voran vor sich. »Bei diesem Schwert, meinem Siegel als Ritter und meiner Waffe, und zugleich im Zeichen des Kreuzes gelobe ich, zum größeren Ruhme Gottes in die Schlacht zu ziehen!«
Er warf sein Schwert empor, daß es in der heißen Luft glitzerte, fing es wieder auf und ließ es pfeifend kreisen.
»Mit dieser Klinge will ich kämpfen!«
Die Männer jubelten ihm ziemlich schwächlich zu. Nur der mürrische Bullard hielt sich zurück. Sir Roger beugte sich über ihn, und ich hörte ihn zischen: »Und als Beweis für meine Behauptung will ich nur sagen, daß ich jeden, der sich weiter widersetzt, zu Hundefleisch zerschneide.«
Ich hatte wirklich das Gefühl, daß mein Herr auf diese primitive Art die Wahrheit erkannt hatte. Ich hatte vor, in meiner Freizeit seine Logik in die angemessene syllogistische Form zu bringen, um mich zu vergewissern, aber Unterdessen kam ich mir ermutigt vor, und die anderen waren zumindest nicht demoralisiert.
Jetzt brachte ein Bewaffneter Branithar, der sich hinstellte und uns anfunkelte. »Guten Tag«, sagte Sir Roger milde durch mich. »Wir wollen, daß du uns bei der Befragung der Gefangenen hilfst und uns in unseren Studien der eroberten Maschinen unterweist.«
Der Wersgor richtete sich mit dem Stolz des Kriegers auf. »Erspart Euch den Atem«, stieß er hervor. »Schlagt mir den Kopf ab und bringt es hinter Euch. Ich habe einmal Eure Fähigkeiten unterschätzt, und das hat viele meiner Leute das Leben gekostet. Ich werde sie nicht weiter verraten.«
Sir Roger nickte. »Die Antwort habe ich erwartet«, sagte er. »Was ist aus dem einäugigen Hubert geworden?«
»Hier bin ich, Sire, hier bin ich, hier ist der gute alte Hubert«, und der Henker des Barons kam herangehumpelt und zog sich die Kapuze zurecht. Er hatte sich die Axt unter den dünnen Arm geklemmt und sich die Schlinge über den Buckel gelegt. »Ich bin nur umhergeschlendert, Sire, und hab' Blumen gepflückt für mein jüngstes Enkelkind, Sire. Ihr kennt sie, das kleine Mädchen mit den langen goldenen Locken, sie mag Gänseblümchen so gern. Ich hatte gehofft, ich könnte hier ein paar von diesen muselmanischen Blüten finden, die sie an unsere lieben Gänseblümchen aus der Grafschaft Lincoln erinnern, und dann hätten wir gemeinsam eine Blumenkette knüpfen können.«
»Ich hab' Arbeit für dich«, sagte Sir Roger.
»Ah, ja, Sire, ja, ja, freilich.« Das triefende Auge des alten Mannes kreiste, dann rieb er sich die Hände und lachte glucksend. »Ah, seid bedankt, Sire! Nicht, daß ich Kritik üben möchten, das steht dem alten Hubert nicht zu, er kennt den Platz, der ihm zugewiesen ist, er, der dem Mann und dem Knaben gedient hat und dem Vater und dem Großvater vor ihm, Henker für die Edlen de Tournevilles. Nein, Sir, ich kenne meinen Platz und ich bin ihm treu ergeben, wie die Heilige Schrift es verlangt.
Euer Vater, Sire, Sir Raymond, wir haben ihn Raymond mit der Roten Hand genannt, das war ein Mann, der einen Sinn für Kunst hatte! Obwohl ich mich auch an seinen Vater erinnere. Euren Großvater, Mylord, den alten Nevil Reißkralle, seine Gerechtigkeit war das Gespräch von drei Grafschaften. Zu seiner Zeit, Sire, da kannte das gemeine Volk noch seinen Platz, und Leute von Adel konten um anständigen Lohn einen anständigen Diener kriegen, nicht wie heute, wo man sie oft mit einer Geldstrafe davonkommen läßt oder vielleicht mit einem Tag im Stock. Wahrhaftig, ein Skandal ist's.«
»Genug«, sagte Sir Roger. »Das Blaugesicht hier ist hartnäckig. Kannst du ihn überzeugen?«
»Nun, Sire! Nun, nun, nun!« Hubert schmatzte mit dem zahnlosen Mund, daß man ihm die schiere echte Freude anmerken konnte. Er ging um unseren starr dastehenden Gefangenen herum und studierte ihn von allen Seiten. »Nun, Sire, das ist eine andere Sache, das ist ja wie in den guten alten Tagen, ja, ja, ja. Der Himmel möge meinen lieben, freundlichen Herrn segnen! Nun hab' ich natürlich nur wenig Gerätschaft mitgenommen, nur ein paar Daumenschrauben und Zangen und derlei, aber es dauert nur ganz kurze Zeit, Sire, um ein Rad aufzubauen. Und vielleicht können wir einen hübschen Kessel Öl bekommen. Ich sag's ja immer, Sire, an einem kalten, grauen Tag gibt es nichts so Gemütliches wie ein glühendes Kohlenbecken und einen netten heißen Kessel voll Öl. Ich denke da immer an meinen lieben alten Vater, und dann kommen mir die Tränen in die alten Augen, ja, Sire, wirklich. Laßt mich sehen, Sire, laßt mich sehen, tum-te, tum-te-tum.« Er begann Branithar mit seinem Strick abzumessen.
Der Wersgor zuckte zurück. Seine geringen Englischkenntnisse reichten aus, um ihn verstehen zu lassen, worum das Gespräch sich drehte. »Das werdet Ihr nicht tun!« schrie er. »Kein zivilisierter.«
»Jetzt zeigt mir Eure Hand, wenn Ihr erlaubt.« Hubert holte eine Daumenschraube aus seinem Beutel und hielt sie an die blauen Finger. »Ja, ja, die paßt gut.« Er holte eine Sammlung kleiner Messer heraus. »Sumer is icumen in«, summte er, »Ihude sing cucu.«
Branithar schluckte. »Aber ihr seid nicht zivilisiert«, sagte er mit schwacher Stimme. Dann schluckte er noch einmal und stieß hervor: »Also gut. Ich will es tun. Verflucht sollt ihr sein als ein Rudel Tiere! Wenn mein Volk euch zerschmettert hat, bin ich an der Reihe!«
»Ich kann warten«, versicherte ich ihm.
Sir Roger strahlte. Aber plötzlich wurde sein Gesicht wieder ernst, fast traurig. Der taube alte Henker war immer noch mit seinen Gerätschaften zu Werke. »Bruder Parvus«, sagte mein Herr, »würdest du. könntest du. es Hubert beibringen? Ich muß gestehen, ich habe nicht das Herz, es ihm zu sagen.«
Ich tröstete den alten Burschen mit dem Hinweis, wenn Branithar beim Lügen ertappt werden sollte oder uns sonst nicht auf angemessene Weise half, würde Strafe angebracht sein. Das brachte ihn dazu, vergnügt davonzuhumpeln, um ein Rad aufzubauen. Ich wies Branithars Wache an, dafür zu sorgen, daß der Wersgor dieses Werk auch zu sehen bekam.