VII. Ein Massaker

Von den zehn folgenden Landungen blieben mir Erinnerungen, die so bruchstückhaft wie unangenehm waren. Die dritte dauerte am längsten, ganze drei Stunden, obgleich ich mitten in eine regelrechte Schlacht geraten war. Ausgetragen wurde sie von Robotern, die vorsintflutlichen Riesenechsen glichen. Sie waren so in den Kampf verbissen, daß sie mich gar nicht bemerkten, als ich, weiß wie ein Engel, allerdings ohne Flügel, in meiner Flammenaureole auf dem Schlachtfeld niederging. Noch im Fluge begriff ich, warum auch diese Gegend vom Raumschiff aus so öde ausgesehen hatte. Die Echsen trugen Tarnfarben und auf dem Rücken überdies ein Reliefmuster, das im Sand verstreute Steine imitierte. Sie bewegten sich mit irrsinniger Geschwindigkeit, und ich wußte zuerst nicht, was ich tun sollte. Zwar pfiffen hier keine Kugeln, Feuerwaffen waren nicht in Gebrauch, aber man konnte erblinden vom Blitzlichtgewitter der Laserstrahlen. Ich robbte eilig hinter große weiße Felsbrocken, an den einzigen Ort, der in nächster Nähe Zuflucht bot, steckte den Kopf hervor und verfolgte den Kampf.

Ich fand zunächst wahrhaftig nicht heraus, wer hier eigentlich gegen wen kämpfte. Die Echsenroboter, die an Kaimane erinnerten und sich in Sprüngen fortbewegten, gingen gegen einen ziemlich gleichmäßig nach meiner Seite hin geneigten Abhang vor. Die Situation erwies sich als sehr verworren. Es sah aus, als befinde sich unter den Angreifern, mitten in ihrer Schlachtordnung, der Feind. Vielleicht hatte zuvor ein Landeunternehmen stattgefunden, ich weiß es nicht, sah aber, wie sich die einen metallenen Echsen auf andere stürzten, die ihnen in jeder Hinsicht glichen. Einmal kamen drei bei der Jagd auf eine einzige ganz nahe, sie erwischten sie, konnten sie aber nicht festhalten, denn sie warf die Beine ab, an denen sie sie gepackt hielten, und setzte ihre Flucht fort, sich windend wie eine Schlange. Auf so primitive Kämpfe, bei denen Schwänze und Beine abgerissen wurden, war ich nicht gefaßt gewesen, ich wartete, daß sie sich die meinen vornehmen würden, aber in der Hitze des Gefechts ließen sie mich unbeachtet. In breiter Front gingen sie auf den Hang los und spien ihre Laserblitze, die aus dem Maul zu kommen schienen. Vielleicht hatten sie auch gar keine Mäuler, sondern sich trichterförmig wie bei einem Schießbecher erweiternde Läufe. Auf dem Hang passierte etwas Sonderbares. Die schnell dahinhuschenden Roboter der ersten Linie drangen unter dem Feuerschutz der nachrückenden ungefähr bis zur Hälfte des Hügels vor und kamen dort ins Stocken. Sie gruben sich nicht etwa in den Boden, sondern wurden immer langsamer, kamen zum Stillstand und verfärbten sich. Die sandfarbenen Rückenschuppen wurden dunkel, ein leichter grauer Qualm wie von unsichtbaren Flammen zog darüber hin, bis die Körper in Glut gerieten und sich in brennende Leichname verwandelten. Von der anderen Seite her kamen jedoch keinerlei Blitze, es konnte also kein durch Laser ausgelöster Brand sein. Die Flanke des Höhenzugs war schon mit vielen verkohlten und zerschmolzenen Automaten übersät, aber sie erschienen in immer neuen Reihen und jagten in den Untergang.

Erst nachdem ich mein Fernsichtgerät eingeschaltet hatte, erkannte ich, worauf sie es abgesehen hatten. Oben auf dem Höhenzug lag etwas, gewaltig und unbeweglich, wie eine Festung, freilich von besonderer Art, denn statt der Mauern hatte sie Spiegel oder vielmehr Bildschirme, die oben den schwarzen, bestirnten Himmel, unten aber die sandige Halde des Abhangs zeigten. Sie waren wie Spiegel und Bildschirm zugleich, die Laserstrahlen konnten ihnen nichts anhaben, sondern wurden reflektiert, und unten, wo sich die Echsenkadaver zu Haufen türmten, lag, wie das Bolometer in meinem Helm anzeigte, die Temperatur des Gesteins bei mehr als zweitausend Grad. Eine Induktionssperre oder etwas in der Art, dachte ich, fest an den Stein gepreßt, der mir Schutz und Schirm bot. Die Echsen griffen an, das Spiegel- und Schirmgebilde aber hatte sich mit einem unsichtbaren Hitzeschild umgeben. Schön und gut, aber was sollte nun ich tun, waffenlos, wie ich war, hilflos wie ein Säugling zwischen angreifenden Panzerkeilen? Ich brauchte der Zentrale diese Kämpfe nicht zu schildern, mein dritter Sendling hatte sozusagen als Nachhut einen Düsensegler, der wie ein gewöhnlicher Gesteinsbrocken aussah. Er sollte einen Meteor vortäuschen und konnte eigentlich nur dadurch verdächtig erscheinen, daß er nicht herunterfiel, sondern zwei Meilen über mir in der Schwebe blieb.

Ich fühlte eine Berührung am Schenkel, sah an mir hinab und stand starr. Es war ein Bein des Roboters, der vorhin seine Gliedmaßen eingebüßt und sich in eine Schlange verwandelt hatte. Das Bein war langsam vor sich hin gekrochen und in die Steine geraten, hinter denen ich steckte. Es trug drei scharf auslaufende Krallen und eine Haut, die grobkörnigen Sand vortäuschen sollte. Im blinden Zappeln dieses Glieds lag etwas Widerwärtiges und Verzweifeltes zugleich. Es suchte sich in meinen Schenkel zu krallen, fand aber keinen Halt. Voller Ekel nahm ich es in die Hand und warf es weg, so weit ich konnte. Sogleich kehrte es zu mir zurück. Statt den Verlauf der Schlacht verfolgen zu können, hatte ich einen Zweikampf mit diesem Bein zu bestehen, das schon wieder ungeschickt torkelnd an mir hochzuklettern suchte. Jetzt werden gleich noch die anderen ankommen, schoß es mir durch den Kopf, und dann wird es hier brenzlig. Bloß gut, daß die Zentrale Ruhe hielt, denn das Gespräch hätte abgehört werden, mir hätte es an den Kragen gehen können. Ich kniete mich auf die dunkle, im Schatten liegende Seite des großen Steins und lauerte auf dieses Bein, in der Faust den Feldspaten, im Gemüt eine düstere Stimmung. Es hätte nur noch gefehlt, daß dieses Bein, das da, sich abwechselnd krümmend und streckend, auf mich zukam, einen Sender enthielt! Als es mein Knie erreicht hatte, preßte ich es mit einer Hand zu Boden und hieb mit der Schärfe des Spatens darauf los. Was für eine Geschichte! Ijon Tichy, der auf dem Mond eine Schlacht beobachten sollte, machte statt dessen Frikassee aus einer Roboterhaxe! Schließlich mußte ich eine empfindliche Stelle getroffen haben, denn das Bein drehte sich mit auseinanderklaffender Kniekehle nach oben und erstarrte. Ich warf es weg und sah hinter dem Stein hervor.

Die Schwarmlinien versiegten und erstarben, so daß die grauen, mit ihrer Umgebung verfließenden Automaten einzeln kaum noch zu erkennen waren. Dafür aber schritt, ich weiß nicht, woher, eine Spinne bergauf, groß wie eine Scheune, leicht schwankend wie ein Schiff auf den Wogen. Von oben platt wie eine Schildkröte, schaukelte sie auf weit auseinanderstehenden zahlreichen Beinen, deren Knie beiderseits hoch über den Körper ragten. In schwerfälligem Gleichmaß, bedachtsam die vielgliedrigen Stelzen setzend, näherte sie sich bereits der Hitzezone. Ich war neugierig, was dort mit ihr passieren würde. Unterm Bauch trug sie etwas Längliches, Dunkles, beinahe Schwarzes, vermutlich Kriegsgerät. Direkt vor der Glutzone machte sie halt, die Beine weit abgespreizt, und verhielt eine gute Weile, als ob sie überlege. Das Schlachtfeld lag erstorben. Im Helm allerdings hörte ich ein Zirpen: verschlüsselte Signale. Es war eine sehr merkwürdige Schlacht, denn einerseits schien sie zutiefst primitiv geführt zu werden, direkt vergleichbar den Kämpfen, wie sie vor Millionen Jahren, im Mesozoikum, die Dinosaurier auf der Erde ausgetragen haben mochten, andererseits war sie höchst raffiniert, da diese Echsen Laserautomaten waren, mit Elektronik vollgestopfte Roboter, bestimmt nicht aus Reptilieneiern ausgekrochen!

Die gigantische Spinne ließ sich nieder, bis ihr Bauch den Boden berührte, und kroch gewissermaßen in sich selbst hinein. Ich vernahm keinerlei Geräusch, denn selbst wenn einem der Mond in Stücken um die Ohren flöge, wäre weder ein Knall noch ein Surren zu hören. Dafür aber bebte der Boden, einmal, zweimal, dreimal.

Diese Beben gingen in unablässige Schwingungen über, alles ringsumher kam in ein gewaltiges Schlottern, begann immer heftiger und schneller zu vibrieren. Ich sah nach wie vor die Dünen des Mondes, die darüber verstreuten grauen Eidechsen, die Hänge des Höhenzugs gegenüber und darüber den schwarzen Himmel — aber ich sah dies alles wie durch wackelndes Gallert. Die Konturen der Gegenstände verschwammen, die Sterne überm Horizont blinkerten wie auf der Erde und lösten sich dann in wabrige Flecken auf.

Gemeinsam mit dem großen Stein, an den ich mich klammerte, litt ich an Schüttelfrost, ich schwang wie eine Stimmgabel, ich war ganz erfüllt von diesem Schüttern, ich fühlte es in jedem Knochen bis in den kleinen Zeh, es wurde immer stärker, brachte sämtliche Einzelteile meines Daseins ins Schaukeln, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis alles auseinanderflog wie Sülze. Die Vibration tat bereits weh, ich spürte in mir Tausende mikroskopisch kleine Bohrer auf einmal, ich wollte mich von dem Felsbrocken abstoßen und auf die Beine kommen, dann übertrügen sich die Schwingungen nur durch die Fußsohlen und würden also gemindert, aber nicht einmal die Hand konnte ich rühren. Wie gelähmt, halb blind starrte ich nach der gewaltigen Spinne hinüber, die sich zu einer aufgeblähten dunklen Kugel zusammengerollt hatte, ganz wie eine wirkliche Spinne, die unter einem Vergrößerungsglas verendet. Mir wurde schwarz vor Augen, ich fühlte mich ins Bodenlose stürzen, bis ich, schweißüberströmt und halb erstickt, die Augen aufschlug und mir freundlich die bunte Steuertafel im Cockpit entgegenstrahlte. Ich war zurück an Bord, die Sicherungen hatten mich selbsttätig von dem in Bedrängnis geratenen Sendling getrennt. Nach einigem Abwarten entschloß ich mich dennoch, in ihn zurückzukehren, wenngleich mit dem fatalen, bisher nicht gekannten Gefühl, mich in die zerfetzten Reste eines Leichnams zu versetzen. Vorsichtig, als könnte ich mich verbrennen, betätigte ich den Griff, befand mich wieder auf dem Mond und spürte wieder das allmächtige Vibrieren. Bevor die Sicherung mich erneut zurück in die Rakete warf, konnte ich undeutlich gerade noch einen Haufen schwarzer Trümmer sehen, der langsam vom Scheitel des Höhenzugs rutschte. Die Festung ist wohl gefallen, dachte ich, dann war ich wieder im eigenen Körper. Daß der Sendling nicht kaputtgegangen war, gab mir den Mut, mich ein weiteres Mal in ihn zu versetzen.

Nichts bebte mehr, es herrschte Grabesruhe. Zwischen den Resten der verbrannten Echsen lagen die Trümmer der Festung, jener rätselhaften Anlage, die den Zugang zum Gipfel verwehrt hatte. Die Spinne jedoch, die das Hindernis durch die katastrophale Resonanz zerschmettert hatte (ich zweifelte nicht, daß sie dies bewirkt hatte), lag flach am Boden, ein gewaltiges Knäuel zitternder Gliedmaßen, die sich in der Agonie immer noch beugten und streckten. Diese gleichmäßigen Bewegungen wurden immer langsamer, bis sie erstarben. Ein Pyrrhussieg? Ich wartete auf den Fortgang der Angriffe, aber nichts regte sich. Hätte ich mich des Vorgefallenen nicht erinnert, wäre mir die Schlacke des Gerümpels, das das ganze Feld überzog, womöglich nicht einmal aufgefallen, so sehr verschmolz es in eins mit den sandigen Bodenwellen.

Ich wollte aufstehen, aber es ging nicht. Nicht einmal die Hand konnte ich bewegen. Mit Mühe brachte ich es fertig, den behelmten Kopf vorzubeugen, um an mir heruntersehen zu können.

Der Anblick war nicht fröhlich. Der Felsen, der mir bisher als Brustwehr gedient hatte, war in große Stücke geborsten, über die sich ein Netz feiner Risse zog. In dem Geröll, das diese Reste bildete, steckten meine Gliedmaßen oder vielmehr ihre Stümpfe. Der unglückselige, verstümmelte Sendling! Er war nur noch ein Rumpf ohne Arme und Beine. Ich erlebte das unglaubliche Gefühl, mit dem Kopf auf dem Monde, mit dem Körper jedoch an Bord zu sein: Ich sah vor mir unverändert das Schlachtfeld unter dem schwarzen Himmel, spürte aber gleichzeitig den Druck der Gurte, die mich an Sitz und Lehne meines Sessels banden. Dieser Sessel war unsichtbar bei mir, aber er war auch nicht bei mir, denn ich konnte ihn nicht sehen.

Meine Eindrücke sind leicht zu erklären: Die Sensoren, die keine Signale mehr erhielten, hatten ihre Arbeit eingestellt, ich hatte nur noch Verbindung mit dem Kopf, der, vom Helm beschirmt, das von der Spinne in Gang gesetzte mörderische Beben überstanden hatte.

Hier hatte ich nichts mehr zu suchen, es wurde Zeit zum endgültigen Rückzug. Dennoch blieb ich in dem Rumpf, der dort im Schutt steckte, und ließ den Blick über den im Sonnenglast liegenden Kriegsschauplatz schweifen. Weit weg zappelte im Sand etwas wie ein aufs Trockene geworfener, krepierender Fisch: einer der Echsenautomaten. Mühsam richtete er sich auf, Sandbäche rannen ihm vom Rücken, wie ein Känguruh oder eher wie ein Dinosaurier hockte er da, letzter Zeuge und zugleich Teilnehmer der Schlacht, die keinen Sieger gehabt hatte. Er wandte sich um und begann sich plötzlich auf der Stelle zu drehen, immer schneller, bis die Fliehkraft den langen Schwanz weit abstehen ließ. Verblüfft sah ich zu, er aber wirbelte wie ein Kreisel, daß ihm die Einzelteile vom Leibe flogen. Schließlich ging er zu Boden, überschlug sich noch einige Male, knallte mit dem letzten Purzelbaum gegen andere Wracks und gab endgültig Ruhe. Ich hatte zwar niemals theoretische Vorlesungen über das Verenden von Elektronik gehört, zweifelte aber keinen Augenblick daran, soeben Zeuge eines solchen Falles gewesen zu sein. Er ähnelte bis ins kleinste den Zuckungen eines verwundeten Insekts, und obwohl wir wissen, wie dessen Tod aussieht, können wir doch nicht wissen, ob diese letzten Zuckungen Leid und Schmerz bedeuten. Ich hatte restlos genug von diesem Schauspiel, mehr noch, ich hatte den Eindruck, auf eine schwer auszudrückende Weise hineinverwickelt zu sein, als habe ich es verschuldet. Da ich aber nicht wegen philosophisch-moralischer Reflexionen zum Mond geflogen war, biß ich kräftig die Zähne zusammen, zerriß das einende Band mit dem kläglichen Überrest des LUNAR EXCURSION MANNEQUIN NR. 3 und war im Handumdrehen zurück an Bord, um der Zentrale meinen Expeditionsbericht zu übermitteln.

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