V. LUNAR EFFICIENT MISSIONARY

Der Start wurde achtmal verschoben, weil beim Countdown Mängel zutage traten. Einmal fiel die Klimaanlage aus, dann meldete ein Reservecomputer einen Kurzschluß, den es nicht gab, nachher gab es einen Kurzschluß, den der Hauptcomputer nicht meldete, und beim zehnten Countdown endlich, als alles schon so aussah, als würde ich starten, verweigerte der LEM Nummer sieben den Gehorsam. Ich war bandagiert wie die Mumie eines Pharaos, in sensorenbehaftetes Selbstklebeband gewickelt, den Helm geschlossen, das Laryngophon an der Gurgel, im Mund den Schlauch eines kleinen Containers mit Tomatensaft, eine Hand am Hebel des Schleudersitzes, die andere am Steuerknüppel. Ich gab mir Mühe, an Liebliches und Fernliegendes zu denken, damit mir das Herz nicht hüpfte, dessen Tätigkeit von acht Kontrolleuren an Monitoren beäugt wurde — nebst Blutdruck, Muskelspannung, Schweißabsonderung, Augapfelbewegungen sowie der elektrischen Leitfähigkeit des Körpers, die verrät, in welcher Angst der kühne Raumfahrer das zeremonielle NULL erwartet, das ihn mit einem Donnerschlag ins All befördert. Statt dessen bekam ich jedesmal einen saftigen Fluch zu hören, den Vivitch, der Hauptkoordinator, losließ, bevor er vielfach das Kommando wiederholte: „STOP! STOP! STOP!“ Ich weiß nicht, ob es an meinen Ohren oder an den Mikrophonen lag, jedenfalls dröhnte seine Stimme wie in einem leeren Faß. Ich behielt das freilich schön für mich, denn wenn ich jetzt nicht die Klappe hielt, würden sie die Akustik des Helms untersuchen wollen, dazu müßten die entsprechenden Fachleute hinzugezogen werden, und ich säße auf der Startrampe bis in alle Ewigkeit.

Die letzte Havarie, vom technischen Personal als LEM-Rebellion bezeichnet, war in der Tat verblüffend und blödsinnig, denn unter dem Einfluß der Kontrollimpulse, die nur die einzelnen Aggregate des LEM checken sollten, kam der ganze Apparat in Bewegung: Statt nach seiner Abschaltung stillzuliegen, fing er an zu rucken und zu rütteln und machte Versuche, aufzustehen. Wie ein Irrsinniger zerrte er an den Festhaltegurten, er hätte diese Fesseln fast gesprengt, obwohl nacheinander alle Versorgungsleitungen gekappt wurden. Keiner wußte, was mit ihm los war, angeblich handelte es sich um einen Stromschwund oder ein Stromleck. Impedanz, Kapazitanz, Resistanz. Wenn die Techniker nicht mehr wissen, was los ist, gedeiht ihr Wortschatz zu einer Fülle, wie sie sonst nur einem Ärztekonsilium eignet, das einen hoffnungslosen Fall berät. Wenn etwas kaputtgehen kann, wird es eines Tages kaputtgehen — das ist eine eiserne Regel, und in einem System, das aus 298 000 Hauptstromkreisen und integrierten Schaltkreisen besteht, ist nicht einmal durch die komplette Doublierung eine hundertprozentige Sicherheit gewährleistet. Halevala, ein Haupttechniker beim Bodenpersonal, führte das Wort im Munde, hundertprozentige Gewißheit sei nur von einem Leichnam zu erwarten — die Gewißheit nämlich, daß er nicht mehr aufsteht. Halevala hielt sich gern darüber auf, wie der Herrgott bei der Weltschöpfung doch die Statistik außer acht gelassen habe und daher beim Auftreten von Havarien seine Zuflucht gar zu Wundern nehmen mußte. Dabei war die Lage — selbst im Paradies! — schon so verkorkst, daß auch Wunder nicht mehr weiterhalfen … Der vergnatzte Vivitch verlangte vom Direktor die Entlassung des Unheilbringers Halevala. Der Direktor war unheilgläubig, aber der Wissenschaftsrat, bei dem der Finne Berufung einlegte, war es nicht, und so blieb Halevala auf seinem Posten.

Unter solchen Voraussetzungen war ich in die Mondmission eingestiegen. Ich hatte keinen Zweifel, daß auch auf dem Mond manches kaputtgehen würde, obgleich bis zum Umfallen simuliert und kontrolliert worden war. Mich machte nur neugierig, wann das passieren und in welchen Schlamassel ich geraten würde. Als einmal alles wie ein Uhrwerk lief, unterbrach ich selbst den Countdown, weil mein zu fest bandagiertes linkes Bein eingeschlafen war. Wie ein aus der Pyramidengruft erstandener Pharao stritt ich mich über den Sprechfunk mit Vivitch, der behauptete, diese Bandagen dürften nicht zu lose sitzen und es werde gleich alles von selbst vergehen. Ich blieb aber stur, und anderthalb Stunden lang mußten sie mich auspacken und aus den Kokons schälen. Wie sich zeigte, hatte sich einer, der sich natürlich nicht zu erkennen gab, beim Festziehen der Klemmen mit einem Pfeifenreiniger geholfen und ihn unter dem Band steckenlassen, das meine Kniebeuge umspannte. Aus Mitleid bat ich darum, keine Ermittlungen anzustellen, obgleich ich den Schuldigen zu kennen glaubte — ich wußte ja, wer von meinen Betreuern Pfeifenraucher war. In den ungemein sensationellen Geschichten über Flüge zu den Sternen kommen dergleichen Dinge nicht vor, es passiert niemals, daß ein — wenngleich mit den entsprechenden Medikamenten vollgestopfter — Astronaut sich die Seele aus dem Leib kotzt oder der Behälter versagt, der zur Aufnahme der sich aus natürlichen physiologischen Bedürfnissen ergebenden Produkte dienen soll. Hierbei braucht nur das Ansatzstück zu verrutschen, und der Astronaut macht nicht nur sich selber, sondern auch seinen Raumanzug voll. Genau das war dem ersten amerikanischen Raumflieger bei seinem suborbitären Flug passiert, die NASA hatte es der Öffentlichkeit jedoch aus historisch-patriotischen Rücksichten verschwiegen, und als es endlich doch publik wurde, interessierte sich sowieso keiner mehr für Raumflüge.

Je sorgfältiger man vorgeht, je mehr der Mensch im Mittelpunkt steht, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß unter der Achsel ein verknäueltes Kabel drückt oder eine Spange sich irgendwo einklemmt, wo sie nicht hingehört, einen aber durch ihr Piken verrückt macht. Ich habe einmal vorgeschlagen, im Raumanzug sollten von außen steuerbare Kratzer angebracht werden, aber alle hielten das für einen Witz und lachten — außer routinierten Raumfahrern, die wußten, wovon ich rede. Ich war es ja, der die Tichysche Regel aufgestellt hat, nach der zuerst derjenige Körperteil zu jucken und zu kitzeln beginnt, an dem man sich auf keine Weise kratzen kann. Das Jucken hört erst auf, wenn eine ernsthafte Havarie eintritt, weil einem dann die Haare zu Berge stehen, man eine Gänsehaut bekommt und der kalte Schweiß alle anderen Reize vertreibt. Das ist eine heilige Wahrheit, aber die großen Autoritäten sagen, darüber dürfe nicht gesprochen werden, weil das auf die Großen Schritte Des Nach Den Sternen Greifenden Menschen einen schlechten Reim mache. Armstrong hätte schön ausgesehen, wenn er auf der Leiter jenes ersten LEM nicht von dem Großen Schritt, sondern von seinen rutschenden Unterhosen gesprochen hätte. Ich war schon immer der Ansicht, daß die Herren von der Flugkontrolle, die sich in ihren Sesseln rekeln, Bier aus Büchsen trinken und dem zur Mumie gemachten Astronauten kluge Ratschläge oder Worte der Aufmunterung und Stärkung zukommen lassen, sich erst mal selber an seine Stelle setzen sollten.

Die beiden letzten Wochen auf der Basis waren unangenehm. Es gab neue Anschläge auf Ijon Tichy. Nicht einmal nach dem Abenteuer mit der falschen Marilyn Monroe war mir gesagt worden, daß alle für mich eingehende Post vor der Aushändigung von einer Spezialanlage zur Korrespondenzentschärfung geprüft wurde. Die Epistolarballistik, wie sie von den Experten genannt wird, ist bereits so weit entwickelt, daß eine Ladung, die imstande ist, den Adressaten in Stücke zu reißen, in einer Faltkarte mit Weihnachtsgrüßen stecken kann — oder, damit es lustiger ist, einer Geburtstagskarte mit den besten Wünschen für Glück und Gesundheit. Erst nach Professor Tarantogas todesträchtigem Brief, der mich fast ins Jenseits befördert hätte, und nach dem Krach, den ich daraufhin schlug, zeigte man mir die Maschine in dem gepanzerten Raum mit speziellen, schrägstehenden Stahlblöcken, die den Schlag der Explosion abfangen sollten. Die Briefe werden mit ferngesteuerten Greifern geöffnet, zuvor aber mit Röntgenstrahlen oder Ultraschall behandelt, damit der eventuell darin enthaltene Zünder losgeht. Jener Brief aber war nicht explodiert und auch wirklich von Tarantoga geschrieben, also händigte man ihn mir aus, und nur dank meinem scharfen Geruchssinn kam ich heil davon. Der Brief roch nämlich nach Reseda oder Lavendel, und das fand ich nicht nur sonderbar, sondern geradezu verdächtig, weil Tarantoga der letzte wäre, der seine Korrespondenz mit Duftnoten versähe.

Ich las die Anrede „Lieber Ijon“ und begann zu lachen, ich begriff sofort, daß ich lachte, obwohl mir danach gar nicht zumute war. Da ich überdurchschnittlich intelligent bin, pflege ich niemals grundlos wie ein Blödsinniger zu lachen. Folglich konnte mein Gelächter keines natürlichen Ursprungs sein. Für alle Fälle tat ich etwas höchst Vorsorgliches: Ich schob den Brief unter die Glasplatte, die meinen Schreibtisch bedeckte, und las durch das Glas. Außerdem hatte ich glücklicherweise gerade Schnupfen und schneuzte mich kräftig. Der wissenschaftliche Beraterstab stellte hinterher Erwägungen an, ob mein Schneuzen einem Reflex oder einer augenblicklichen detektivischen Schlußfolgerung entsprungen sei. Ich war mir selbst nicht sicher, hatte dadurch aber nur eine außerordentlich kleine Dosis der Substanz eingeatmet, mit der der Brief angereichert war. Es war ein völlig neues Präparat. Das Lachen, das es verursachte, war nur die Ouvertüre für einen Schluckauf, der so hartnäckig war, daß er erst in tiefer Narkose nachließ. Ich rief sofort Lohengrin an, der zuerst glaubte, ich mache dumme Witze, denn ich fiel vor Lachen fast vom Stuhl. Aus der Sicht der Neurologie ist das Lachen die erste Stufe des Schluckaufs. Schließlich klärte sich der Fall, zwei Burschen mit Schutzmasken holten den Brief ins Laboratorium, und Doktor Lopez und seine Kollegen beatmeten mich zu meiner Rettung mit reinem Sauerstoff. Als ich nur noch kicherte, zwangen sie mich zur Lektüre der Leitartikel sämtlicher Zeitungen vom Tage und vom Vortage. Ich hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, daß die Presse sich — wie übrigens auch das Fernsehen — während meiner letzten Reise zweigeteilt hatte.

Es gibt Zeitungen und Fernsehprogramme, die alles melden, wie es kommt, und es gibt solche, die ausschließlich gute Nachrichten bringen. Ich war bisher mit diesen letzteren gefüttert worden und hatte in der Basis daher den Eindruck gewonnen, daß die Welt nach Abschluß des Genfer Vertragswerkes tatsächlich schöner geworden sei. Immerhin durfte man annehmen, daß wenigstens die Pazifisten voll zufriedengestellt waren — aber nicht die Spur! Vom Geist der neuen Zeit kann ein Buch Zeugnis ablegen, das Doktor Lopez mir einmal borgte. Der Verfasser wies nach, daß Jesus ein Diversant war, entsandt, um durch das Predigen der Nächstenliebe nach dem Prinzip des Divide et impera die Zerstörung der jüdischen Einheit und den Zerfall des römischen Imperiums herbeizuführen. Beides gelang, das erste recht bald, das zweite mit einiger Verzögerung. Jesus selbst hatte nicht die blasseste Vorstellung, daß er ein Diversant war, auch die Apostel wußten nichts, alle handelten nach bester Absicht, aber man weiß ja, was mit eben solchen Absichten gepflastert ist. Dieser Autor, dessen Name mir leider entfallen ist, vertrat die Ansicht, jedermann, der Nächstenliebe und Friede allen Menschen guten Willens predige, gehöre unverzüglich aufs nächste Polizeirevier geschleppt, damit man herausbekomme, was wirklich dahintersteckt. Kein Wunder also, daß die Pazifisten bereits umgeschult hatten. Ein Teil nahm sich mit seinen Protestaktionen des schrecklichen Geschicks schmackhafter Tiere an, wodurch der Verzehr freilich nicht zurückging — weder bei Koteletts noch bei Wurstwaren. Andere verfochten die Notwendigkeit der Verbrüderung mit allem, was da lebt, und bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag wurden achtzehn Sitze von der Partei der Probakteriellen gewonnen, die mit der Behauptung angetreten war, die Mikroben hätten ein gleiches Recht auf Leben wie wir, dürften folglich nicht durch Medikamente hingemordet werden, sondern sollten genetisch umstrukturiert, also gezähmt und in ihren Freßgelüsten vom Menschen ab- und auf etwas anderes hingelenkt werden. Die allgemeine Gutherzigkeit kannte keine Grenzen, und herrschte auch keine Eintracht in der Frage, wer ihrer Verbreitung im Wege stehe, so war man sich doch einig, daß die Feinde der Güte und Gutherzigkeit kaltgemacht gehörten.

Bei Tarantoga hatte ich ein interessantes neues Nachschlagewerk gesehen: das Lexikon der Angst. Früher, so wurde darin erklärt, hatte die Angst ihre Quelle im Übernatürlichen: in Zauber und Bann, in den Hexen vom Blocksberg, in Ketzern und Atheisten, in schwarzer Magie, in Dämonen und büßenden Seelen, in einem liederlichen Leben, in der abstrakten Malerei, im Schweinefleisch. Im Industriezeitalter übertrug sie sich auf dessen Produkte. Die neue Angst sah die Schuld für alles verderbliche Wirken bei den Tomaten (sie sind krebserregend), beim Aspirin (es ätzt Löcher in die Magenwände), beim Kaffee (nach seinem Genuß kommen bucklige Kinder zur Welt), bei der Butter (klarer Fall: die Verkalkung), bei Tee, Zucker, Autos, Fernsehen, Diskotheken, Pornographie, Askese, Verhütungsmitteln, Wissenschaft, Zigaretten, Atomkraftwerken und Hochschulbildung. Ich war über den Erfolg dieses Lexikons überhaupt nicht erstaunt. Professor Tarantoga ist der Ansicht, daß der Mensch zwei Dinge braucht, zwei Antworten: die erste auf die Frage WER? die zweite auf die Frage WAS? Bei ersterer geht es darum, WER an allem schuld ist. Die Antwort muß kurz, klar, bündig und eindeutig hinweisend sein. Zweitens braucht der Mensch das, WAS ein Rätsel ist. Seit zweihundert Jahren haben die Gelehrten sich dadurch unbeliebt gemacht, daß sie immer mehr und alles besser wußten. Wie angenehm, sie nun ratlos zu sehen vor dem Bermudadreieck, den fliegenden Untertassen und dem Geistesleben der Pflanzen! Welche Genugtuung, wenn eine schlichte Pariserin, in die Wechseljahre gekommen, die ganze politische Zukunft der Welt vorhersagt, während die Professoren dastehen wie mit dem Klammersack gepudert!

Der Mensch, sagt Tarantoga, glaubt an das, an was er glauben will. Man nehme nur einmal diesen Boom der Astrologie. Die Astronomen müßten nach gesundem menschlichen Dafürhalten über Sterne mehr wissen als die übrige Menschheit zusammengenommen, und sie behaupten, wir seien diesen Sternen völlig schnuppe. Das seien gewaltige Bälle aus glühenden Gasen, sie drehten sich seit dem Ursprung des Alls, und mit unserem Schicksal hingen sie ganz gewiß weniger zusammen als eine Bananenschale, auf der wir ausrutschen und uns ein Bein brechen könnten. Nun sind Bananenschalen aber völlig uninteressant, während seriöse Zeitungen astrologische Horoskope drucken und es sogar Taschenrechner gibt, die man vor Vollzug einer Börsentransaktion fragen kann, ob die Sterne dafür günstig stehen. Es wird kein Gehör finden, wer immer da sagt, eine weggeworfene Obstschale könne das Schicksal des Menschen stärker beeinflussen als sämtliche Planeten und Sterne zusammengenommen! Da ist jemand auf die Welt gekommen, weil sein Erzeuger — um es einmal so auszudrücken — nicht rechtzeitig einen Rückzieher und sich eben dadurch zum Erzeuger gemacht hat. Die andere beteiligte Person merkte, was da passiert war, schluckte Chinin und sprang im Schlußsprung vom Kleiderschrank, aber es half nichts: sie wurde zur Gebärerin. Der Jemand ist also da, hat eine Schule besucht und arbeitet in einem Laden für Hosenträger, auf der Post oder im Einwohnermeldeamt. Plötzlich erfährt er, daß sich alles ganz anders verhalten hatte. Die Planeten waren in eine besondere Konjunktion getreten, die Zeichen des Tierkreises hatten sich mit Bedacht und Ausdauer zu einem speziellen Muster gefügt, die beiden Halbkugeln des Himmels hatten eine Abrede getroffen, daß er ins Leben treten, daß er hinterm Ladentisch stehen oder hinter einem Schalterfenster sitzen konnte! Das gibt doch Auftrieb! Man fühlt das ganze Universum um sich kreisen, und selbst wenn es einem nicht günstig ist, selbst wenn die Sterne sich so zusammenfinden, daß der Hosenträgerfabrikant Pleite macht und man seinen Job verliert, so ist das doch immer noch besser als das zuverlässige Wissen, den Sternen schnuppe zu sein. „Schlage ihm das aus dem Kopf, dazu noch die Einbildung, der Kaktus auf dem Fensterbrett bringe ihm Sympathie entgegen, und was bleibt übrig? Bloße Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, eine armselige, nackte Leere.“ Also sprach Tarantoga, aber ich sehe, daß ich allzuweit vom Thema abgeschweift bin.

Am 27. Oktober wurde ich auf eine Erdumlaufbahn geschossen. In die sensorenbestückte Wäsche gewickelt wie ein Säugling in die Windeln, sah ich mir aus 260 Kilometer Höhe meinen Heimatplaneten an und hörte, wie die Techniker in der Zentrale Schreie der Genugtuung und Verblüffung ausstießen, daß es diesmal doch geklappt hatte. Meine erste Stufe — ich meine das Hauptaggregat — löste sich sekundenbruchteilgenau über dem Stillen Ozean, die zweite aber wollte nicht recht, ich mußte nachhelfen, und irgendwo über den Anden wurde ich sie los. Nach den rituellen Gute-Reise-Wünschen klemmte ich mich selber hinters Steuer und durchflog die gefährlichste Strecke auf dem Weg zum Mond. Ihr habt keine Ahnung, was da an Schrott um die Erde kreist, an die 18 000 zivile und militärische Satelliten, ganz zu schweigen von den ganz gefährlichen, die sich schon in ihre Einzelteile aufgelöst haben und auf dem Radarschirm kaum auszumachen sind. Außerdem ist, seit schädliche Abfälle, die radioaktiven an der Spitze, ins All verklappt werden, dort oben alles voll von ordinärstem Müll. Ich flog also unter Beachtung äußerster Vorsicht, bis es wirklich leer wurde. Erst dann schnallte ich mich von allen Gurten los und ging daran, den Zustand meiner LEMs zu prüfen.

Der Reihe nach setzte ich sie in Betrieb, um mich in sie einzufühlen und das Innere des Laderaums mit ihren kristallenen Augen zu betrachten. Neunzehn solcher Sendlinge hatte ich in Wirklichkeit, aber der letzte war gesondert untergebracht, in einem Container, der laut Aufschrift Dosen mit Fruchtsäften enthielt. Das sollte Unbefugte irreführen, aber ich hielt die Tarnung nicht für besonders listig: Die Maße des Behälters ließen darauf schließen, daß diese Fruchtsäfte meinen Bedarf an Vollbädern abdecken sollten. Drinnen steckte ein hermetisch versiegelter Zylinder von hellblauer Farbe und mit der Aufschrift ITEM. Das war das Kürzel für INSTANT ELECTRONIC MODULE, den Sendling in Pulverform, top secret, das Werk von Lax, das ich nur im Falle äußerster Notwendigkeit einsetzen durfte. Ich kannte das Prinzip, nach dem er funktionierte, weiß aber nicht, ob ich es jetzt schon verraten soll. Ich möchte nicht, daß meine Erzählung zu einem Erzeugniskatalog der GYNANDROICS oder der teleferistischen Unterabteilung der Lunar Agency wird.

Der Lunar Excursion Missionary Nr. 5 verfiel, kaum daß er eingeschaltet war, in leichte Krämpfe. Ich war mit ihm rückgekoppelt, fiel folglich in ein fiebriges Zittern und heftiges Zähneklappern. Der Betriebsanleitung zufolge hätte ich den Defekt unverzüglich der Basis melden müssen, unterließ es jedoch, weil ich die unvermeidlichen Folgen ahnte. Man würde ein ganzes Gremium von Konstrukteuren, Projektanten, Ingenieuren und Fachleuten für elektronische Pathologie einberufen, dieses ganze Gremium wäre zuallererst einmal sauer auf mich, weil ich wegen so dummen Zeugs wie eines leichten und sowieso von allein vergehenden Krampfes Lärm geschlagen hatte, man würde mir per Funk einander widersprechende Anweisungen geben, was zu- und auseinandergeschaltet und mit welcher Stromstärke der arme Kerl behandelt werden müsse, weil Elektroschocks zuweilen nicht nur dem Menschen hilfreich sind, die Sinne wieder zusammenzukriegen. Wenn ich ihnen Gehör schenke, wird das neue unverhoffte Reaktionen des LEM hervorrufen, man wird mich auffordern, nur ganz ruhig zu bleiben, von diesem LEM oder gar von mir ein Analog- oder Digitalmodell auf dem Hauptsimulator herstellen, sich dabei streiten bis zum Umfallen und mir immer wieder zureden, um Gottes willen nur nicht die Nerven zu verlieren. Das Team wird in zwei oder drei Lager zerfallen, etwa wie es bei hervorragenden Medizinern während des Konsiliums vorkommt. Vielleicht schickt man mich auch mit dem Handwerkskasten durch die Innenluke in den Laderaum, wo ich dem LEM den Bauch aufmachen und eine Fernsehkamera auf die Innereien lenken muß, denn er hat die gesamte Elektronik im Bauch — im Kopf reicht der Platz dafür nicht aus. Ich werde ihn also unter dem Diktat der Experten operieren, und wenn zufällig etwas dabei herauskommt, werden sie das Verdienst sich selbst zuschreiben. Wenn es schiefgeht, fällt die Schuld auf mich wegen meiner Unfähigkeit. Als es weder Roboter noch Sendlinge gab und dank dem Zusammentreffen günstiger Umstände selbst die Bordcomputer heil blieben, ging Simpleres kaputt, zum Beispiel während eines Probefluges das Klo in der Raumfähre „Columbia“.

Inzwischen war ich von der Erde 150 000 Kilometer entfernt und sehr froh, den Defekt des LEM verschwiegen zu haben. Die durchmessene Strecke hätte mehr als eine Sekunde Zeitverzögerung im Funkverkehr mit der Basis bedeutet, früher oder später wäre mir unter den Fingern etwas in die Brüche gegangen, im Zustand der Schwerelosigkeit fallen präzise Griffe nicht leicht, ein Lichtfünkchen hätte angezeigt, daß ich einen Kurzschluß verursacht hatte, und eine reichliche Sekunde darauf hätte ich einen Chor von Stimmen mit den entsprechenden Kommentaren vernommen. Jetzt hat Tichy alles versaut, hätten sie gesagt, jetzt ist nichts mehr zu machen. Ich hatte also allen nur Ärger erspart — den Leuten da unten und mir.

Je näher ich dem Monde kam, um so mehr wurde ich über Funk mit Ratschlägen und Warnungen bepflastert, die so überflüssig waren, daß ich schließlich erklärte, ich werde die Verbindung unterbrechen, wenn man nicht aufhöre, mich verrückt zu machen. Ich kenne den Mond wie meine Westentasche, noch von damals her, als es Projekte gab, ihn zu einer Außenstelle von Disneyland zu machen. Jetzt umkreiste ich ihn dreimal auf einer fernen Umlaufbahn und ging dann über dem Oceanus Procellarum langsam tiefer. Auf der einen Seite sah ich das Mare Imbrium, auf der anderen den Krater Erathostenes, dahinter den Murchison und den Sinus Medii bis hin zum Mare Nibium. Dann war ich so niedrig, daß mir der Pol des Mondes dessen weitere pockennarbige Oberfläche verbarg. Ich befand mich an der Untergrenze der Zone des Schweigens. Bisher war nichts Unerwartetes passiert, wenn man von zwei leeren Bierdosen absieht, die während meiner Steuermanöver Leben gewonnen hatten. Als ich einmal bremste, kamen diese Büchsen, die wie gewöhnlich von den Technikern hastig geleert und weggeworfen worden waren, aus ihrer Ecke und kreisten nun durch das Cockpit, bald gegen andere Gegenstände, bald gegen meinen Kopf scheppernd. Ein Greenhorn hätte sie zu fangen versucht, aber mir fiel das gar nicht ein. Ich änderte die Umlaufbahn und überflog den Taurus. Als sich unter mir weithin das große Mare Serenitatis erstreckte, knallte mir von hinten etwas gegen den Helm, daß ich aufsprang. Es war eine blecherne Keksdose, deren Inhalt den Leuten vom Raumschiffservice offenbar als Zuspeise zum Bier gedient hatte. In der Basis hatte man den Knall vernommen, und sogleich wurde ich mit Fragen überschüttet. Ich erklärte jedoch, ich habe mich am Kopf kratzen wollen, nicht bedacht, daß er im Helm steckte, und folglich mit dem Handschuh dagegengehauen. Ich gebe mir stets Mühe, ein Mensch zu sein, und ich verstehe ja auch, daß die Techniker verschiedene Dinge in der Rakete einfach zurücklassen müssen. Das war so, das ist so, und das wird so bleiben. Ohne Schwierigkeiten durchflog ich die Zone der inneren Kontrolle, denn deren Satelliten waren von der Erde aus angewiesen worden, mich durchzulassen. Obgleich das Programm dergleichen nicht vorsah, ging ich mehrmals scharf auf die Bremsen, um weitere Überbleibsel von Montage und Durchsicht der Rakete aus den Ecken zu schütteln. Unter dem Schrank des selenografischen Reservesystems kam wie ein gewaltiger Nachtfalter nur noch ein Comic-Heft hervorgeflattert, ich überschlug blitzschnell das Inventar — zweimal Bier, einmal Kekse, ein Comic — und zog automatisch den Schluß, daß ich weiterer Überraschungen nun bereits voller Spannung harren durfte.

Ich hatte den Mond vor mir wie auf dem Handteller. Selbst durch das Fernrohr mit zwanzigfacher Vergrößerung erschien er tot, unbewohnt und öde. Ich wußte, daß die computergesteuerten Fabriken der einzelnen Sektoren etliche Dutzend Meter unter der Oberfläche der Meere lagen, dieser großen Ebenen also, die einst durch die Überschwemmung mit Lava entstanden waren. Die Fabriken aber hatte man so tief angelegt, damit sie nicht durch Meteore beschädigt werden konnten. Dennoch durchforschte ich mit besonderer Aufmerksamkeit das Mare Vaporum, das Mare Tranquilitatis und Fecunditatis (die alten Sterngucker bewiesen, indem sie jene ausgedehnten Steinwüsten auf so klangvolle Namen tauften, eine nicht unbeträchtliche Vorstellungskraft). Bei der zweiten Umkreisung nahm ich mir Mare Crisium und Frigoris vor, in der Annahme, wenigstens eine Bewegung, sei sie noch so winzig, ausmachen zu können.

Meine Ferngläser waren von höchster Qualität, ich hätte an den Kraterhängen wenn nicht die Kiesel, so doch mindestens die Katzenköpfe zählen können, eine Bewegung aber nahm ich nicht wahr, und genau das gab mir am meisten zu denken. Wo steckten sie denn, die Legionen waffenstarrender Automaten, die Schwärme gepanzerter Amphibien, die gleichermaßen todesträchtigen Kolosse und Liliputaner, die seit so vielen Jahren unaufhörlich entstanden in den tiefen Gelassen des Mondes? Nichts, nur Felshalden, riesen- oder tellergroße Krater, strahlige Furchen glänzenden alten Magmas um den Copernicus, die Verwerfungen des Huygens, in Richtung auf den Pol Archimedes, Cassini, am Horizont Plato — und überall nichts, überall diese einfach unbegreifliche Öde. Entlang den Meridian, der von Flamsteed, Herodot und Rümker über den Sinus Roris markiert wurde, verlief der breiteste Streifen Niemandsland, und dort sollte ich, nachdem ich das Raumfahrzeug auf eine stationäre Umlaufbahn gebracht hatte, mit dem ersten Sendling landen. Der genaue Ort war mir nicht vorgeschrieben worden, ich sollte ihn selbst bestimmen, nachdem ich den gesamten Meridian des niemand gehörenden, also mit großer Wahrscheinlichkeit ungefährlichen Landes erkundet hatte. Nur konnte von einer Erkundung, die mir taktische Fingerzeige gegeben hätte, überhaupt keine Rede sein. Um eine stationäre Umlaufbahn zu erreichen, mußte ich sehr hoch gehen und einigermaßen manövrieren, bis die gewaltige, ganz von der Sonne beschienene Scheibe des Mondes unter mir immer langsamer hinwegzog. Als sie zum Stillstand kam, lag genau unter mir der Flamsteed, ein sehr alter, platter und seichter Krater, beinahe randvoll mit Tuff gefüllt.

Lange, vielleicht eine halbe Stunde, blieb ich so hängen, starrte auf das Mondgeröll und überlegte, was ich tun sollte. Die Sendlinge brauchten zur Landung keine Rakete. Sie hatten in den Beinen einfach die kreiselgesteuerten Röhren der Bremsdüsen, ich konnte mit der gewünschten Geschwindigkeit hinuntergehen und brauchte nur die Rückstoßkraft zu regeln. Die Düsen waren so an den Beinen befestigt, daß man sie nach der weichen Landung zusammen mit den leeren Treibstofftanks mit einem Ruck abwerfen konnte. Von da an war der Sendling unter meiner Kontrolle seinem Schicksal auf dem Monde ausgeliefert — eine Rückkehr gab es für ihn nicht. Er war weder ein Roboter noch ein Android, denn er besaß kein eigenes Denkvermögen, er war gewissermaßen mein Instrument, mein verlängerter Arm, nicht der geringsten Eigeninitiative fähig. Dennoch war mir der Gedanke unangenehm, daß er unabhängig vom Ergebnis des Erkundungsgangs dem Untergang geweiht war, weil ich ihn in dieser Leichenödnis im Stich zu lassen haben würde. Ich kam sogar auf die Idee, die Nummer fünf habe den Defekt nur vorgetäuscht, um mit heiler Haut davonzukommen, als einziger mit mir zur Erde zurückzukehren. Eine sinnlose Überlegung, ich wußte ja, daß er wie jeder andere LEM nur eine Hülse von Menschengestalt war. Immerhin mag das als Zeugnis meiner psychischen Verfassung gelten.

Jedenfalls gab es keinen Grund, länger zu warten. Ich musterte noch einmal das graue Plateau, das ich nach grober Schätzung der Entfernung von den über den Schutt ragenden Nordfelsen des Flamsteed zum Landeplatz gewählt hatte, stellte auf automatische Steuerung um und drückte die Taste Nummer eins. Der Gefühls- und Erlebenssprung, wenngleich erwartet und so oft geprobt, war gewaltig. Ich saß nicht mehr, das Auge am Fernglas, bequem in dem Sessel vor den gleichmäßig blinkenden Lämpchen der Bordcomputer, sondern lag rücklings in einer sargengen, nur nach einer Seite offenen Koje.

Beim Heraussteigen sah ich an mir hinunter und erblickte einen mattgrauen, gepanzerten Rumpf, stählerne Schenkel und an den Waden die Halfter der Bremsraketen. Als ich merkte, wie meine Magnetsohlen am Metall des Fußbodens hafteten, richtete ich mich langsam auf, reckte und streckte mich. Ringsherum lagen in Kommodenfächern gleichenden Kojen, ebensolchen wie der, aus der ich soeben gestiegen war, die reglosen Körper der anderen Sendlinge. Gleichzeitig hörte ich mich atmen, spürte aber keine Regung des Brustkorbs. Nicht ohne Mühe abwechselnd den linken und den rechten Fuß vom Stahlboden des Laderaums lösend, kam ich an das Geländer, das den Auswurfschacht umgab. Ich schwang mich hinüber und stellte mich auf die Fallklappe, mit verschränkten Armen — um nicht an den Schachträndern anzuecken, wenn der Auslöser mich in die Tiefe stieß. Wenige Sekunden später ertönte die seelenlose Stimme der Anlage, die ich zuvor im Cockpit eingestellt hatte. „Ten, nine, eight …“

Ich zählte laut mit, eiskalt, denn jetzt gab es keine Umkehr mehr. Trotzdem spannten sich bei „Go“ automatisch alle Muskeln, dann erfuhr ich einen sanften und dennoch mit gewaltiger Kraft geführten Schub und fuhr wie ein Stein in einen Brunnen.

Als ich den Kopf hob, sah ich die dunklen Konturen des Raumschiffs vor dem noch dunkleren Himmel mit den unzähligen, schwach glimmenden Pünktchen der Sterne. Ehe das Raumschiff aber mit dem schwarzen Gewölbe dort oben eins wurde, spürte ich einen scharfen Ruck an den Waden, und ein bleicher Lichtschein hüllte mich ein. Die Bremsraketen hatten gezündet, ich fiel jetzt langsamer, aber immer noch schnell genug, daß die Mondoberfläche sich vergrößerte, als wolle sie mich ansaugen und verschlingen. Die Flammen wurden heißer, ich spürte das durch den Panzer, wenn auch nur als unregelmäßige Hitzewellen. Ich hielt doch immer die Arme verschränkt und den Kopf so weit wie möglich in die Schultern gezogen, hatte aber auch ein Auge auf die nunmehr grünlichgrauen Gerölle und Sandstrecken des zusehends wachsenden Flamsteed. Als mich höchstens noch hundert Meter vom Boden des verschütteten Kraters trennten, fuhr meine Hand zum Gürtel, wo ein Steuerhebel saß, mit dem sich der Rückstoß der Bremsraketen auf ein der weichen Landung dienliches Maß regulieren ließ. Ich legte mich ein wenig schräg, um einem großen rauhen Felsblock auszuweichen und dann mit beiden Füßen gleichzeitig auf dem Sand niederzugehen, als über mir etwas aufblitzte. Ich nahm es nur am Rande meines Blickfelds wahr, schaute aber sogleich genauer hin und war perplex.

In schwerem Raumanzug, hell leuchtend vor dem schwarzen Himmel, kam keine zehn Meter über mir senkrecht ein Mann herunter, von den Füßen bis über die Hüften in das bleiche Licht von Bremsraketen gehüllt, die Hand an einem Steuergriff am Gürtel, immer langsamer, aufrecht, groß, bis er mich eingeholt hatte und im selben Moment auf den Füßen stand, als auch ich Boden unter mir fühlte. So blieben wir stehen, fünf, sechs Schritte voreinander, reglos wie Statuen, ganz so, als seien wir beide gleichermaßen verblüfft, nicht allein hier zu sein. Er war genau von meiner Statur. Die erloschenen Bremsraketen an den Knien umgaben seine großen Mondstiefel mit letzten Schwaden grauen Rauchs. Er stand starr und schien mir direkt in die Augen zu sehen, obgleich sein Gesicht hinter dem Sonnenschutzglas des weißen Helms nicht zu erkennen war. In meinem Kopf herrschte komplette Verwirrung. Erst hielt ich ihn für den Sendling Nummer 2, der durch einen Fehler in der Anlage hinter mir hergeschleudert worden war, aber ehe dieser Gedanke mich ein wenig von der Verblüffung heilen konnte, sah ich auf der Brust seines Raumanzugs eine große schwarze Eins. Diese Nummer stand jedoch auf meinem Anzug, und eine zweite Nummer 1 hatte es in dem Laderaum nicht gegeben. Darauf konnte ich einen Eid ablegen.

Unwillkürlich tat ich einige Schritte nach vorn, um ihm durch das Glas des Helms ins Gesicht schauen zu können. Er kam mir entgegen, und als uns keine zwei Schritte mehr trennten, blieb ich stocksteif stehen, sicherlich hätten mir die Haare zu Berge gestanden, wenn die Umhüllung nicht so dicht am Schädel angelegen hätte. Der Helm meines Gegenübers war leer, nur zwei kleine schwarze Stäbe zielten daraus hervor auf mich. Unwillkürlich fuhr ich zurück, so heftig, daß ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und auf den Rücken gefallen wäre, denn ich hatte nicht bedacht, daß man sich bei schwacher Schwerkraft langsam bewegen muß. Als aber auch der andere sich zurückzog, dämmerte mir etwas. Ich hielt immer noch — genau wie er — die Hand am Hebel der Rückstoßregulierung, ich die rechte, er die linke. Langsam hob ich die Hand, er machte es mir nach, ich setzte ein Bein vor, er tat desgleichen, und ich begann zu begreifen (obwohl ich eigentlich gar nichts begriff), daß er mein Spiegelbild war. Um mich zu vergewissern, bezwang ich meinen inneren Widerstand und ging auf ihn los. Er kam mir entgegen, bis wir fast mit den auf der Brust gewölbten Raumanzügen aneinanderstießen. Langsam, als solle ich glühendes Eisen berühren, griff ich nach seiner Brust, und er nach der meinen, ich mit der Rechten, er mit der Linken. Mein fünffingriger massiver Handschuh glitt spurlos in ihn hinein, verschwand einfach in ihm, und das gleiche geschah mit dem seinen bei mir. Nun hatte ich kaum noch einen Zweifel, daß ich allein war und vor meinem Spiegelbild stand, wenngleich ich auch nicht die Spur eines Spiegels bemerkte. Reglos standen wir voreinander, ich sah nicht mehr ihn, sondern seine nähere Umgebung an, wo ich hinter seinem Rücken jenen aus dem grauen Boden ragenden Felsen erblickte, dem ich vorhin bei der Landung ausgewichen war. Dieser Felsen befand sich jedoch hinter mir, dessen war ich ganz sicher. Demnach sah ich nicht nur das Spiegelbild meiner selbst, sondern auch der Umgebung. Nun suchte ich die Nahtstelle ausfindig zu machen, wo das Spiegelbild endete. Irgendwo mußte es ja enden und in die Unebenheiten der flachen Monddünen übergehen, aber ich konnte diese Grenze nicht entdecken.

Da ich nicht wußte, wie ich mich verhalten sollte, zog ich mich zurück, und auch darin folgte er mir, rückwärts schreitend wie ein Krebs. Wir entfernten uns voneinander, er wurde kleiner, und plötzlich, ich weiß nicht, warum, kehrte ich ihm einfach den Rücken und schritt vorwärts, direkt in die tiefstehende Sonne, die mich trotz der Sonnenschutzgläser stark blendete. Nach einigen Dutzend Schritten in diesem schwankenden Watschelgang, der auf dem Mond nicht zu vermeiden ist, blieb ich stehen und sah zurück. Auch er stand dort auf dem Scheitel einer kleinen Düne und hielt, zur Seite gekehrt, Ausschau nach mir.

Weitere Experimente waren eigentlich überflüssig, dennoch stand ich da wie eine Salzsäule. Mir schwirrte der Kopf von fieberhaftem Nachdenken. Erst jetzt wurde mir auf einmal bewußt, daß ich mich nie erkundigt hatte, ob die von der Lunar Agency bisher auf den Mond entsandten Aufklärungsautomaten bewaffnet gewesen waren. Niemand hatte mir etwas darüber gesagt, und ich Trottel hatte nicht gefragt, weil ich einfach nicht daraufgekommen war. Wenn sie bewaffnet gewesen waren, so hatte ihr Schweigen nach der Landung und ihr plötzliches Verschwinden eine einfache Ursache — vorausgesetzt, sie waren mit Laser ausgerüstet.

Dessen mußte ich mich vergewissern, aber wie? Ich hatte keinen Direktkontakt mit der Zentrale auf der Erde, nur mit dem Raumschiff, das hoch über mir hing, weil es sich, mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit wie die Mondoberfläche, auf einer stationären Umlaufbahn bewegte. In Wirklichkeit, also als Person von Fleisch und Blut, befand ich mich an Bord, im Flamsteed-Krater stand ich nur als Sendling. Um mich mit der Erde verständigen zu können, mußte ich den Sender einschalten, ein Innenrelais im Raumanzug. Ich hatte es vor Verlassen des Raumschiffs absichtlich außer Betrieb gesetzt, damit meine irdischen Betreuer mir bei der Landung nicht mit Ratschlägen dazwischenkamen, die sie mir bestimmt nicht erspart hätten, wenn ich der Instruktion gemäß mit ihnen in Funkkontakt geblieben wäre. Ich drehte also an dem gut erreichbaren Knopf auf der Brust und rief die Erde. Ich wußte, daß die Antwort mit einer Verzögerung von drei Sekunden eintreffen würde, aber diese Sekunden wurden mir zur Ewigkeit. Endlich hörte ich die Stimme Vivitchs. Er überhäufte mich mit Fragen, aber ich gebot ihm Schweigen und meldete nur, ich sei einwandfrei gelandet, befinde mich am Ziel Nummer Null Null Eins, ohne angegriffen worden zu sein. Von dem Spiegelbild sagte ich kein Wort.

„Bitte geben Sie mir Antwort auf eine einzige Frage“, sagte ich möglichst lässig und phlegmatisch. „Es ist sehr wichtig. Die Sendlinge, die ihr vor mir hergeschickt habt, waren mit Laser ausgerüstet. War es Neodym-Laser?“

„Haben Sie die Trümmer gefunden? Sind sie verbrannt? Liegen sie dort, wo …“

„Bitte beantworten Sie eine Frage nicht mit Fragen“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Da dies mein erstes Wort vom Mond ist, dürfte es von Wichtigkeit sein. Was für Laser hatten die beiden Kundschafter? Hatten Lon und dieser andere die gleichen?“

Ein kurzes Schweigen. Reglos stand ich unter dem schweren, schwarzen Himmel, an einem von erhärtetem Sand gefüllten flachen Krater, und sah zurück auf die Schnur meiner Fußtapfen, die sich über drei sanfte Dünen zu einer vierten zog, bei der mein Spiegelbild stand. Ich ließ es nicht aus den Augen. Im Helm hörte ich undeutliche Stimmen — Vivitch holte Erkundigungen ein.

„Die Automaten hatten die gleichen Laser wie die Menschen“, dröhnte plötzlich seine Stimme, daß ich zusammenfuhr. „Das Modell E-M-9. Achtzig Prozent der Strahlung im Röntgen- und Gammabereich, der Rest blau.“

„Sichtbares Licht? Ultraviolett auch?“

„Jawohl. Das Spektrum kann nicht plötzlich abreißen. Aber was …“

„Moment. Das Maximum der Strahlung im Supralichtbereich?“

„Ja.“

„Wieviel Prozent?“

Wieder Stille. Ich wartete geduldig. Links, wo die Sonne hinschien, erwärmte sich mein Raumanzug.

„91 Prozent in Supralichtbändern. Hallo, Tichy, was ist dort los?“

„Warten Sie.“

Die Mitteilung hatte mich erst einmal aus dem Konzept gebracht, denn ich erinnerte mich, daß die Emission der Laserschläge, die unsere Kundschafter vernichtet hatten, von anderem Charakter, gegen Rot verschoben gewesen war. Sollte es also doch kein Spiegel sein? Plötzlich fiel mir ein, daß der reflektierte Strahl nicht genauso sein muß wie der einfallende, nicht einmal bei gewöhnlichem Glas. Von Glas konnte hier übrigens gar keine Rede sein. Was die Laserstrahlen reflektiert hatte, konnte sie im Spektrum zum Rot hin verschoben haben. Eine Konsultation mit Physikern wollte ich jetzt nicht verlangen, ich verschob sie auf später und suchte zusammen, was ich noch von Optik wußte. Die Umwandlung von hochenergetischen Strahlen wie Röntgen- oder Gammastrahlen in sichtbares Licht erfordert keinen zusätzlichen Aufwand an Energie, geht also leichter. Deshalb war der in diesen Spiegel treffende Strahl anders als der reflektierte. Ich konnte bei der Spiegelhypothese bleiben, ohne mich auf Wunder berufen zu müssen. Das beruhigte mich. Wie auf einem Polygon begann ich, anhand der Sterne meine eigene Position zu bestimmen. Fünf Meilen östlich von hier erstreckte sich der französische Sektor, viel näher aber, keine ganze Meile entfernt, hatte ich im Rücken den amerikanischen. Ich befand mich also im Niemandsland.

„Vivitch? Hört ihr mich? Hier ist der Mond.“

„Ja, wir hören. Tichy! Es gab keinerlei Blitze — warum haben Sie nach diesem Laser gefragt?“

„Schneidet ihr alles mit?“

„Klar. Jedes Wort.“

Seiner Stimme war die Erregung anzumerken.

„Paßt auf. Was ich sage, ist wichtig. Ich stehe im Flamsteed-Krater, Blickrichtung Osten, in Richtung des französischen Sektors. Ich habe vor mir einen Spiegel. Ich wiederhole: einen Spiegel. Es ist kein gewöhnlicher, aber ich spiegle mich darin zusammen mit meiner Umgebung. Ich weiß nicht, was das ist. Ich sehe genau mein eigenes Spiegelbild, das heißt den Sendling Nummer 1 in einer Entfernung von etwa zweihundertvierzig Schritt. Dieses Spiegelbild ist mit mir zusammen gelandet. Wie hoch diese spiegelnde Zone reicht, weiß ich nicht, weil ich bei der Landung nach unten, unter meine Füße schaute. Den Doppelgänger bemerkte ich erst direkt über dem Krater, in großer Nähe. Er befand sich nicht auf gleicher Höhe mit mir, sondern etwas höher. Er war auch größer, das heißt höher und dicker als ich. Erst als er vor mir stand, war er genau wie ich. Ich halte es für möglich, daß dieser Spiegel das reflektierte Bild vergrößern kann. Deshalb erschienen jene sogenannten Mondroboter, die die Sendlinge erledigten, so plump und dick. Ich habe meinen Doppelgänger anzufassen versucht, meine Hand ging durch ihn hindurch. Es gab keinerlei Widerstand. Hätte ich Laser gehabt und geschossen, so wäre es aus mit mir, ich wäre voll von der reflektierten Ladung getroffen worden. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich kann die Stellen nicht ausmachen, an denen der sogenannte Spiegel aufhört und in die normale Umgebung übergeht. Das ist vorläufig alles. Ich habe gesagt, was ich weiß. Mehr erfahrt ihr jetzt nicht von mir. Wenn ihr stille seid, lasse ich das Funkgerät weiterlaufen, aber wenn euch die Redelust packt, schalte ich ab, damit ich ungestört bin. Soll ich abschalten oder nicht?“

„Nein, nein! Bitte kontrollieren Sie doch mal …“

„Bitte halten Sie den Mund!“

Ich hörte deutlich, wie er schniefte und keuchte, mit drei Sekunden Zeitverschiebung, 400 000 Kilometer über mir. Über mir, sage ich, denn die Erde stand hoch am schwarzen Himmel, fast im Zenit, von sanfter Bläue inmitten der Sterne. Die Sonne hingegen stand niedrig, und wenn ich nach meinem Doppelgänger im weißen Raumanzug Ausschau hielt, sah ich auch meinen Schatten, der lang über den Dünen lag und allen ihren Hebungen und Senkungen folgte. Im Kopfhörer knisterte es, sonst herrschte Stille. Ich hörte meine eigenen Atemzüge und wußte, daß ich an Bord des Raumschiffs atmete, dies aber hörte, als stünde ich in eigener Person am Flamsteed-Krater.

Wir hatten uns auf verschiedene Überraschungen gefaßt gemacht, allerdings weniger im Niemandsland. Es sah so aus, als werde der Trick mit dem Spiegel angewandt, damit jeder, Mensch oder Roboter, sich sogleich nach der Landung selber auslöscht, ohne auch nur Lunte gerochen zu haben. Das war sinnreich und listig, mehr noch, es war intelligent, aber — was die weiteren Chancen meines Erkundungsgangs betraf — der Gesundheit eher abträglich. Mit Sicherheit standen noch mehr Überraschungen bereit. Ehrlich gesagt, ich wäre am liebsten an Bord zurückgekehrt, um die Lage zu überdenken und mit der Zentrale zu erörtern, ließ diese Variante aber sofort wieder fallen. Ich konnte den Sendling natürlich verlassen, es genügte, die Sicherungsscheibe auf der Brust zu zertrümmern und den Knebelgriff darunter zu betätigen, aber um keinen Preis würde ich das tun. Ich war hier nicht stärker gefährdet als im Raumschiff. Sollte ich die Quelle dieses Spiegels suchen? Angenommen, ich fände sie — was hätte ich davon? Das Spiegelbild würde verschwinden, weiter nichts. Stimmt es aber nicht, daß der Mensch auf die gescheitesten Gedanken kommt, wenn er aus Gründen der Gesundheit ein Stück spazierengeht? Ich machte mich sogleich auf den Weg, nicht ganz im Spaziergängerschritt, sondern in dem schlingernden Gang, der für den Mond geeigneter ist. Erst setzte ich die Füße wie auf Erden, dann hielt ich sie beieinander und begann zu hüpfen wie ein Spatz, zu springen wie ein großer Ball, der aufspringt und jedesmal einen großen Satz über den sandigen Boden macht.

Nachdem ich mich so ein gutes Stück von meinem Landungsort entfernt hatte, machte ich halt, wandte mich um — und war ein zweites Mal verdattert. Fast am Horizont zeigte sich eine kleine Gestalt, aber trotz der großen Entfernung sah ich, daß es nicht die im weißen Raumanzug, sondern eine ganz andere war. Eine biegsame, schlanke Gestalt, ein Kopf, der in der Sonne strahlte. Eine menschliche Gestalt ohne Raumanzug auf dem Mond! Dazu noch völlig nackt! Robinson Crusoe konnte bei Freitags Erscheinen nicht so platt gewesen sein wie ich hier auf dem Mond. Ich streckte sofort beide Arme in die Höhe, aber das Geschöpf wiederholte diese Bewegung nicht — es war kein Spiegelbild. Es hatte goldblondes Haar, abfallende Schultern, einen weißen Körper, lange Beine. Ohne besondere Eile, eher voller Unlust kam es auf mich zu, es bewegte sich nicht in schlingerndem Watschelgang, sondern leichtfüßig wie an einem Badestrand. Während mir dieser Gedanke kam, erkannte ich, daß es eine Frau war, genauer gesagt, ein junges, blondes Mädchen, nackt wie in einem Nudistenklub. Mit der Hand hielt sie etwas Großes, Buntes vor die Brust, sie kam näher, aber doch nicht direkt auf mich zu, sondern schräg, als wolle sie in züchtiger Entfernung an mir vorübergehen. Fast hätte ich Vivitch gerufen, biß mir aber im letzten Moment auf die Zunge. Er hätte mir nicht geglaubt. Eine Halluzination, hätte er gesagt.

Ich rührte mich nicht, suchte ihre Gesichtszüge zu erkennen und dachte verzweifelt, wie großartig es wäre, so gut, wie ich es nicht wußte, zu wissen, was zu tun wäre. Die Fragen nach der Wahrscheinlichkeit, der Glaubwürdigkeit der Sinne und dergleichen hatte ich bereits von mir gewiesen, denn wenn ich überhaupt einer Sache sicher war, so der, daß ich nicht meinem eigenen Wahn aufsaß. Ich weiß nicht, wie es kam, aber mir schien, es müsse alles von ihrem Gesicht abhängen. Wenn sie genauso wäre wie die falsche Marilyn Monroe in dem italienischen Restaurant, so hätte ich am Zustand meiner Sinne gezweifelt, denn wie sollten irgendwelche Ströme, Wellen, Kräfte und der Teufel weiß was in mein Erinnerungsvermögen eindringen und ausgerechnet dieses Bild herausfischen! Schließlich stand ich ja nicht einmal in eigener Person in dieser toten Gegend, in Wirklichkeit saß ich im Raumschiff, mit Gurten an den tiefen Sitz vorm Steuerpult geschnallt. Und wäre ich übrigens auch selber hier — was könnte so wirksam und treffsicher in mein Gehirn eindringen? Wie sich zeigt, so dachte ich, gibt es Unmöglichkeiten verschiedener Art, größere und kleinere.

Es war eine Sirene von jenen Inseln, an denen Odysseus vorüberkam. Eine tödliche Lockspeise. Warum ich das dachte, weiß ich nicht. Ich stand da, und sie ging ihres Wegs, neigte hin und wieder das von ihrem offenen Haar umwallte Gesicht und tauchte es in die Blumen in ihrer Hand (auf dem Mond, wo niemand etwas riechen kann!). Sie schenkte mir nicht die geringste Beachtung.

Die technischen Einrichtungen dieser Fata Morgana mußten unabhängig von ihrem Aussehen und ihrer Arbeitsweise logisch funktionieren, da sie aus logischen Programmen hervorgegangen waren. Das konnte ein Anhaltspunkt sein. Irgendwo mußte ich mich ja festhalten. Der unsichtbare Spiegel sollte jeden Kundschafter unschädlich machen, der bewaffnet war: Beim Anblick eines Gegners würde er auf ihn anlegen, zuerst nur zur Selbstverteidigung, nicht zum Schuß, denn seine Aufgabe war die Erkundung, nicht der Angriff. Da der andere aber ebenfalls auf ihn zielte, würde er schießen, um sich zu retten, denn wenn er sich widerstandslos erledigen ließ, würde er kein Gran des geplanten Spähunternehmens erfüllen. Ich aber hatte nicht geschossen, ich hatte keine Waffe. Ich hatte die Erde gerufen und Vivitch gemeldet, was ich sah. Meine Worte waren ganz bestimmt abgehört worden.

Wenn ich das jetzt überdenke, erscheint es mir als kapitaler Fehler, als geradezu katastrophales Versehen des ganzen Erkundungsprojekts, daß keiner daran gedacht hatte, den Funkverkehr Tichys mit der Zentrale abhörsicher zu machen. Das ist ja nicht besonders schwer, ein in mein Funkgerät eingebauter Wandler hätte das von mir Gesprochene und Gehörte in Form eines Stroms von chiffrierten Signalen übermittelt. Die computerisierten Waffenschmieden unter dem Mondboden mußten die menschliche Sprache kennen, und selbst wenn sie ihnen zunächst unbekannt war, hatten sie sie leicht lernen können, indem sie Abhöranlagen auf die Erde mit deren Zehntausenden Rundfunksendern richteten. War dies aber der Fall gewesen, so hatten sie ebenso leicht die Fernsehprogramme empfangen können, und eben diesen war wie die Venus aus dem Schaum der Wogen dieses nackte Mädchen entstiegen. Das war logisch, ohne Frage: Ist der Ankömmling kein Roboter, weil er nicht schießt und den eigenen Doppelgänger, was jeder gleich nach der Landung getan hätte, nicht einmal genau untersucht, so ist er ein Mensch. Ist er aber ein Mensch, dann mit hundertprozentiger Gewißheit ein Mann, weil die Menschen auf solch ein Unternehmen nicht zuerst eine Frau schicken würden. Handelt es sich aber um einen Mann, so wird dessen Achillesferse von jedem Fernsehprogramm bloßgelegt: das andere Geschlecht. Was immer mir nun auch zu tun blieb, ich durfte mich keinesfalls der verführerischen Sirene nähern, denn das käme mich teuer, gegebenenfalls zu teuer. Wie teuer, wußte ich nicht, und ich hatte auch keine Lust, durch einen Versuch an die Preisliste zu kommen. Von der Richtigkeit dieses Gedankengangs mußte ihr Aussehen zeugen, das Sirenengesicht, denn die Geschichte mit der anderen, ebenfalls blonden, konnte niemand wissen, sie unterlag strengster Geheimhaltung. Oder sollten die Waffenmeister auf dem Monde Spießgesellen in der Lunar Agency sitzen haben? Das hielt ich vorerst für ausgeschlossen.

Sie ging langsam, das gab mir die Zeit für so intensive Überlegungen, aber nun trennten uns nur noch einige Dutzend Schritte. Sie sah kein einziges Mal zu mir herüber. Ich suchte zu erkennen, ob ihre bloßen Füße im Sand Spuren hinterließen, meine Stiefel hatten ja tiefe Stapfen hinterlassen. Ich sah jedoch nichts. Hätte sie Spuren hinterlassen, so wäre es schlimm gewesen, das heißt noch schlimmer, denn das hätte die Fata Morgana geradezu erschreckend perfekt gemacht.

Als ich ihr Gesicht sah, atmete ich auf. Es war nicht Marilyn Monroe, aber ihre Züge kamen mir bekannt vor. Wahrscheinlich stammten sie aus einem Film, das Gesicht war einer Schauspielerin oder einer anderen Schönheit abgeguckt, denn es war nicht nur jung, sondern auch schön. Sie ging immer langsamer, als sei sie unschlüssig, ob sie stehenbleiben, sich hinsetzen oder sich wie am Strand in die Sonne legen solle. Die Hand mit den Blumen hielt sie nicht mehr vor der Brust, sondern ließ sie herabhängen. Sie sah sich um, und als sie einen großen, leicht geneigten, glatten Stein sah, setzte sie sich darauf nieder. Die Blumen ließ sie aus der Hand gleiten, sie sahen mit ihrem Rot, Gelb und Blau sehr sonderbar aus in dieser Landschaft von totem, hellem Grau. Sie kehrte mir die Seite zu, und ich dachte mit einer Anstrengung, als sollte mir gleich das Gehirn brodeln, darüber nach, was ihre Schöpfer oder Urheber jetzt von mir, dem Menschen, erwarteten und was ich daher unter keinen Umständen tun durfte.

Hätte ich Vivitch gemeldet, wer mir da über den Weg gelaufen war, so wäre das nach dem Sinn der Hiesigen gewesen, denn er hätte mir nicht geglaubt, weder er noch ein anderer in der Zentrale. Das hätten sie mir selbstverständlich nicht gesagt, sondern mir in der Auffassung, daß ich Halluzinationen habe, Anweisung gegeben, den Sendling Nummer 1 als tote Hülle zurückzulassen, an Bord zurückzukehren und Ziel Nummer Null Null Zwei oder Drei auf der anderen Mondhalbkugel anzusteuern, um eine erneute Landung vorzunehmen. Zwischendurch würden sie eilig ein psychiatrisches Konsilium einberufen, um festzulegen, was der übergeschnappte Ijon Tichy schleunigst aus der Bordapotheke einzunehmen habe. Sie war randvoll, aber ich hatte noch nicht einmal hineingeguckt. Ich würde gegenüber meinen irdischen Auftraggebern unglaubwürdig und damit zu neunzig Prozent die Chancen meines Erkundungsunternehmens zunichte machen. Das aber wäre den Schöpfern der Fata Morgana eben recht, weil es ihr Wirken vor der Erde ebenso erfolgreich verbergen würde wie die vorherige Liquidierung der Satellitenkontrolle über den Mond.

Die Zentrale durfte ich also nicht rufen, auch ein Flirt kam nicht in Frage. Die mußten hier wohl genug über Menschen wissen, um nicht zu erwarten, daß ein lebendiger Kundschafter in einem Mondkrater anfängt, Komplimente an ein nacktes Mädchen zu drechseln. Er würde jedoch unweigerlich zu ihr hingehen, um sie aus der Nähe zu betrachten und sich zu überzeugen, ob sie aus Fleisch und Blut ist. Das konnte sie letzten Endes ja sein, ein materielles Wesen, nicht nur holografische Projektion. Gewiß, ein richtiges Mädchen war sie nicht, aber wenn ich sie nur anfaßte, konnte es sein, daß ich diese Berührung nicht überlebte. Eine Mine, perfektioniert im Sinne der Kenntnisse, die man über den den Menschen eigenen Sexualtrieb gewonnen hatte. Ich steckte in der Klemme. Der Zentrale Meldung zu machen war schlecht. Es nicht zu tun war übel. Eine nähere Beschäftigung mit der Sirene war gefährlich und lächerlich. Folglich mußte ich tun, was beim Anblick einer nackten blonden Schönheit kein Mann tun würde, weder auf der Erde noch auf dem Mond.

Ich mußte etwas tun, was die Programme dieses Hinterhalts nicht vorsahen, also hielt ich Umschau und sah einen großen Felsblock, einen in zwei Teile geborstenen Brocken, hinter dem ich mich vollständig verstecken konnte. Er war ein reichliches Dutzend Schritte entfernt, ich tat, als wüßte ich nicht, wohin ich ging, und näherte mich ihm, immer selbstvergessen das Mädchen anstarrend. Kaum steckte ich hinter dem Felsen, wurden meine Bewegungen blitzschnell. Ich hob einen großen Stein auf, einen rauhen Brocken, der auf der Erde gut fünf Kilo gewogen hätte. Er war hart und leicht wie ein versteinerter Schwamm. Ich wog ihn in der Hand. Soll ich nach ihr werfen oder nicht — das ist die Frage, dachte ich und musterte die Sitzende. Sie lehnte mit dem Rücken an der Schräge des Felsens, als nähme sie ein Sonnenbad. Ich sah genau die rosa Brustwarzen, auch waren die Brüste weißer als der Bauch, wie bei einer Frau, die gewöhnlich einen Bikini trägt.

In meinem Schädel brodelte es jetzt wirklich. Den Zweck dieses Schauspiels begriff ich sehr gut. Stellt euch die Reaktion eines Kommandeurs vor, dem ein Artilleriebeobachter übers Feldtelefon meldet, die Geschütze der feindlichen Batterie verwandelten sich vor seinen Augen soeben in Kleinkinder, die sich in ihren Wiegen schaukelten! Wäre einfach meine Funkverbindung unterbrochen worden, dann wüßten sie in der Zentrale wenigstens, daß Tichy Schwierigkeiten hat, aber wenn ich jetzt erklärte, ich versteckte mich vor einem nackten Mädchen, offenbarte das meine Geistesverwirrung bei intaktem Funkkontakt. Peinlich. Ich wußte nicht weiter und warf den Stein. Er flog langsam, beinahe endlos, traf das Mädchen an der Schulter, fuhr durch sie hindurch und grub sich vor ihren nackten Füßen in den Sand. Ich erwartete eine Explosion, aber es passierte nichts. Ich blinzelte mit den Augen, und plötzlich war sie weg. Eben hatte sie noch dagesessen, den Ellenbogen auf das angezogene Knie gestützt und eine Strähne Blondhaar um die Finger gewickelt, nun war sie wie weggeblasen, und mit ihr jede Spur ihres Körpers. Nur der Stein drehte sich noch einmal langsam um sich selbst, ein Wölkchen Sand setzte sich wieder auf den grauen Felsboden.

Ich war wieder allein. Ich erhob mich, zuerst auf die Knie, dann zu voller Größe.

„Tichy!“ meldete sich Vivitch, der mein Schweigen offenbar nicht mehr ertragen konnte. Seine Stimme machte mir bewußt, daß sie die ganze Szene mit angesehen haben mußten. Schließlich hing über mir ja ein ganzer Schwarm von Mikropen.

„Tichy! Wir haben kein Bild mehr! Was ist los?“

„Ihr habt kein Bild?“ fragte ich langsam.

„Nein. Wir hatten vierzig Sekunden lang eine Störung. Die Techniker haben unsere Apparatur überprüft, hier ist alles in Ordnung. Sieh genau hin, du mußt sie sehen können.“

Er meinte die Mikropen. Sie sind klein wie Mücken, aber in der Sonne tatsächlich auf weite Entfernung sichtbar, weil sie dann wie Funken blitzen. Ich suchte gegen die Sonne den ganzen schwarzen Himmel ab, sah aber nicht das kleinste Fünkchen. Dafür bemerkte ich etwas anderes, viel Merkwürdigeres: Es fing an zu regnen. Dunkle kleine Tropfen fielen spärlich bald hier, bald dort in den Sand. Einer glitt mir über den Helm, ich fing ihn auf, ehe er herunterfiel. Es war ein Mikrop, geschwärzt, wie in starker Glut zu einem Metallkügelchen geschmolzen. Der Regen fiel, wenngleich spärlicher, immer noch, als ich es Vivitch sagte. Nach drei Sekunden hörte ich ihn fluchen.

„Geschmolzen?“

„So sieht es aus.“

Es war logisch. Wenn das Manöver mit dem Mädchen Erfolg haben, also die Glaubwürdigkeit meiner Meldung untergraben sollte, so hatte die Erde nichts davon sehen dürfen.

„Wie steht es mit der Reserve?“ fragte ich.

Die Mikropen standen unter der direkten Kontrolle der Telektroniker. Ich hatte auf ihre Bewegungen keinen Einfluß. Im Raumschiff befanden sich noch vier Mikropeneinheiten in Reserve.

„Die zweite Welle ist ausgelöst. Warte!“

Vivitch hatte sich vom Mikrofon abgewandt und sprach mit jemandem, ich hörte nur ferne Stimmen.

„Vor zwei Minuten abgeworfen“, sagte er. Er keuchte.

„Ist das Bild wieder da?“

„Ja. He, wieviel ist es auf den Telemetern? Tichy, wir sehen schon den Flamsteed, sie gehen hinunter. Dich werden wir auch gleich … Was ist das?“

Die Frage war zwar nicht an mich gerichtet, aber ich konnte sie beantworten, weil es wieder geschmolzene Mikropen regnete.

„Radar!“ schrie Vivitch, auch das galt nicht mir, war aber so laut, daß ich alles mithören konnte. „Was? Die Bildauflösung ist zu gering? Ach so … Tichy!“

Nun war ich wieder dran.

„Hör zu, wir haben dich elf Sekunden lang gesehen, von oben. Jetzt ist wieder alles weg. Du sagst, sie sind geschmolzen?“

„Ja, wie in einem Tiegel. Aber er muß stark erhitzt worden sein, denn das ist nur noch schwarze Schlacke.“

„Wir probieren es noch einmal, jetzt mit einer Schleppe!“

Das hieß, daß den ersten ausgeworfenen Mikropen weitere folgten, um das Schicksal der vorausfliegenden zu beobachten. Ich erwartete nichts von diesen ganzen Versuchen. Die Mikropen waren hier von früheren Erkundungen bekannt, man wußte, wie man mit ihnen fertig wurde: durch induktive Erhitzung, eine Zone, in der jedes Metallteilchen durch die Foucaultschen Wirbelströme in Brand geriet — sofern ich meinen Physikunterricht nicht vergessen hatte. Übrigens kam es mir auf den Mechanismus der Zerstörung nicht weiter an. Die Mikropen erwiesen sich als untauglich, obwohl sie so großartig der Entdeckung durch Radar entgingen. Sie waren ein neuer, vervollkommneter Typ, nach dem Prinzip des Insektenauges gebaut, dessen Ommatidia, die prismatischen Facetten, aber so gestreut, daß jedes einzelne während des Flugs über achthundert Quadratmeter Gelände erfaßte. Das gewonnene Bild war holografisch dreidimensional, farbig und selbst dann scharf, wenn drei Viertel eines Schwarms ausfielen. Der Mond war mit diesen Tricks aber sichtlich wohlvertraut — keine vorteilhafte Erkenntnis, aber freilich auch zu erwarten. Wenn mir etwas ein Rätsel blieb, so war es der Umstand, daß ich immer noch heil und unversehrt hier herumkroch. Warum hatte man, da man imstande war, mit Leichtigkeit diese ganzen Mikropen wegzuputzen, nicht einfach auch mich abgetan, als nach meiner Landung die Spiegelfalle versagt hatte? Warum kappte man nicht meine Verbindung zu dem Sendling? Die Telematiker behaupteten allerdings, das sei nicht möglich, der gesamte Steuerkanal befinde sich im Bereich härtester kosmischer Strahlung, eine unsichtbare Nadel, die vom Raumschiff zum Sendling reichte und, wie sie sich ausdrückten, so „hart“ war, daß sie wohl lediglich auf die Anziehungskraft eines Schwarzen Loches reagieren würde. Das Magnetfeld, das diese „Nadel“ verbiegen oder zerbrechen könnte, hätte eine Energiezufuhr benötigt, die sich nur in Billionen Joule berechnen läßt. Anders ausgedrückt: In den Raum zwischen Orbiter und Sendling hätten Mega- oder Gigatonnen gepumpt, über dem Mond hätte ein Schirm thermonuklearen Plasmas aufrechterhalten werden müssen wie ein aufgespannter Regenschirm. Das aber war unmöglich — oder man wollte es vorläufig nicht.

Diese Zurückhaltung entsprang vielleicht nicht mangelndem Vermögen, sondern strategischer Überlegung. Im Grunde waren die Kundschafter, ob Automaten oder Menschen, auf dem Mond bisher nicht angegriffen worden. Sie hatten sich selbst vernichtet, indem sie als erste von der Waffe Gebrauch machten und auf ihr Spiegelbild schossen. Es war, als wolle die tote Bevölkerung des Mondes in der Defensive bleiben. Diese Taktik konnte sich eine Zeitlang bezahlt machen. Der desorientierte Gegner ist in strategischer Hinsicht in einer schlechteren Lage als der Gegner, der auf einen Angriff schon gefaßt ist. Die mit solcher Mühe ausgetüftelte Doktrin der Ignoranz als Friedensgarantie hatte sich höhnisch und bedrohlich gegen ihre Erfinder gekehrt.

Vivitch meldete sich wieder. Der dritte Mikropenwurf war heil bei mir angekommen, sie hatten mich wieder auf dem Bildschirm. Ich dachte mir, daß die Zentrale wohl nur während der Fata Morgana mit dem Mädchen im Dunklen gehalten worden war. Übrigens verlor ich mich auch in mancherlei anderen Vermutungen. Allein schon durch das Abhören des Rundfunks mußte der Mond Kenntnis von dem auf der Erde zunehmenden Gefühl der Bedrohung haben. Die von einem bedeutenden Teil der Presse geschürte Panikstimmung hatte sich nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch den Regierungen mitgeteilt. Alle miteinander hatten jedoch eines begriffen: Wenn der Bau thermonuklearer Raketen wiederaufgenommen würde, damit ein Schlag gegen den Mond geführt werden könnte, wäre es zugleich vorbei mit dem Frieden auf der Erde. So stand also entweder ein gegen die Menschheit gerichteter Angriff bevor, oder auf dem Mond lief etwas völlig Unbegreifliches ab.

Vivitch rief mich erneut und verhieß ein wahres Bombardement von Mikropen. Sie sollten in Schwärmen aufeinanderfolgen, Welle auf Welle, nicht nur von meinem Raumschiff, sondern aus allen Himmelsrichtungen, denn man hatte beschlossen, die unterhalb der Zone des Schweigens magazinierten Reserven einzusetzen. Ich hatte nicht gewußt, daß es sowas gab, setzte mich auf den toten Wüstenboden, neigte mich ein wenig rückwärts und sah hinauf in den schwarzen Himmel. Das Raumschiff war nicht zu erkennen, dafür aber die Mikropen, kleine funkelnde Wolken, die von oben und vom Horizont herbeischossen. Ein Teil blieb über mir hängen, schwellend und wogend, glitzernd wie ein Schwarm goldener Mücken, die sorglos in der Sonne spielen. Die anderen, die sich in Reserve hielten, bemerkte ich nur dadurch, daß einer der beständig strahlenden Sterne am Firmament plötzlich ins Blinkern kam, weil er von einer Wolke meiner mikroskopisch kleinen Wächter verdeckt und wieder freigegeben wurde. Nun hatten sie mich auf allen Bildschirmen, von oben, en face und en profil. Ich hätte nun aufstehen und mich auf den Marsch machen sollen, fühlte mich aber plötzlich von Unlust und Apathie überwältigt. Ungefüge und unbeweglich in dem schweren Raumanzug, bildete ich im Gegensatz zu den Mikropen ein phantastisches Ziel, sogar für einen Schützen, der auf beiden Augen den grauen Star hatte. Warum sollte also ausgerechnet ich die Vorhut bilden, der ich nur in so kläglichem Tempo vorankam? Warum sollten nicht die Mikropen meine fliegenden Späher sein?

Die Zentrale erklärte sich einverstanden, die Taktik wurde geändert. Die goldenen Mückenschwärme strömten in breiter Front über mich hinweg, dem Ural des Mondes entgegen.

Langsam schritt ich weiter und hielt nach allen Seiten die Augen offen. Ich befand mich auf einer Ebene mit flachen Bodenwellen, zwischen einer Unmenge kleiner, fast bis an die Ränder mit Schutt gefüllter Krater. In dem einen ragte aus dem Sand etwas hervor wie ein dicker dürrer Ast. Ich packte den Sturzel und zog daran, wie man eine Wurzel aus dem Boden zu reißen sucht. Dann half ich mir erst einmal, indem ich mit dem zusammenklappbaren Feldspaten, den ich an der Seite trug, den lockeren Grus wegräumte. Metall trat zutage, von Hitze zerstört. Es konnte der Rest einer jener unzähligen primitiven Raketen sein, die in diesen Felsen zerschellten, als die Eroberung des Mondes begann. Ich meldete mich nicht bei der Zentrale, dank den Mikropen sah man ja selber, was ich da gefunden hatte. Ich zerrte und zog an den wunderlich verbogenen Stäben, bis ein stärkerer Stiel erschien, unter dem das Metall heller glänzte. Sehr verheißungsvoll sah das nicht aus, aber da ich diese Rodung nun einmal angefangen hatte, zog ich immer stärker, ohne Furcht, daß eine der scharfen Spitzen mir den Raumanzug zerreißen könnte. Ich kam ja ohne Luft aus, und ein Druckverlust bedeutete für mich keine Gefahr. Trotzdem hatte sich etwas geändert. Zunächst kam ich gar nicht dahinter, warum es mir so schwerfiel, das Gleichgewicht zu halten, bis ich merkte, daß mein linker Stiefel in einer Zange zwischen zwei abgeflachten, gekrümmten Bolzen steckte. Ich gab mir alle Mühe, ihn herauszubringen, weil ich glaubte, selbst hineingetreten zu sein, aber die Klammer schloß fest und ließ sich auch mit dem Spatenblatt nicht aufbiegen.

„Ist Vivitch da?“ fragte ich.

Er meldete sich nach drei Sekunden.

„Mir scheint, man hat mich mit einem Dachs verwechselt“, sagte ich. „Das sieht mir aus wie ein Fangeisen.“

Es war das letzte! Ich steckte in einem Eisen, in einer Falle, wie sie es primitiver gar nicht geben konnte, und kam nicht heraus! Die Mikropen umschwärmten mich wie aufgescheuchte Fliegen, während ich schwitzend mit den Backen des Schraubstocks kämpfte, zwischen denen mein Stiefel klemmte.

„Geh an Bord zurück“, hörte ich jemandes Vorschlag. Es kann Vivitch, aber auch einer seiner Assistenten gewesen sein, denn die Stimme klang irgendwie verändert.

„Wenn ich wegen solchem Mist einen Sendling einbüßen soll, werden wir nicht weit kommen“, sagte ich. „Ich muß das auseinanderkriegen!“

„Du hast eine Karborundkreissäge.“

Ich schnallte das flache Futteral vom Oberschenkel. Tatsächlich steckte darin eine handliche Kreissäge. Ich schloß ihr Kabel an den Stecker im Raumanzug an und beugte mich nieder. Unter der wirbelnden Scheibe stoben Funken hervor; fast durchsägt, löste sich die Klammer, die mich um den Knöchel gepackt hielt, als ich mit dem Fuß, der in dem Stiefel steckte, zunehmende Hitze spürte. Mit aller Kraft suchte ich den Fuß aus der Fessel zu reißen, ich sah, wie die kartoffelgroße metallene Knolle, aus der die wurzelähnlichen Stäbe ragten, von unsichtbarem Feuer zum Glühen gebracht wurde. Mein weißer Plaststiefel wurde schon schwarz und trieb von der Hitze Blasen. Ich unternahm einen letzten Versuch, kam frei und taumelte von dem Ruck nach hinten. Ein Feuerbusch blendete meine Augen, ein heftiger Stoß traf meine Brust, ich hörte den Raumanzug reißen und tauchte für einen Moment in undurchdringliche Finsternis. Ich verlor nicht das Bewußtsein, ich steckte einfach nur im Dunkeln. Dann hörte ich die Stimme Vivitchs: „Tichy, du bist an Bord. Bitte melden! Der erste Sendling ist im Eimer.“

Blinzelnd öffnete ich die Augen. Ich saß im Sessel, das Haupt an der Kopfstütze, die Beine seltsam an den Leib gekrümmt. Die Hände hielt ich an die Brust gedrückt, dorthin, wo ich eben den jähen Schlag gespürt hatte. Es war Schmerz gewesen, wie ich mir erst jetzt klarmachte.

„War das eine Mine?“ fragte ich verwundert. „Eine Mine, mit einem Fangeisen gekoppelt? Auf etwas Schlaueres sind sie noch nicht gekommen?“

Ich hörte Stimmen, aber keiner sprach mit mir: es ging um die Mikropen.

„Das Bild ist weg“, sagte jemand.

„Was denn, von der einen Explosion sind sie alle draufgegangen?“

„Das ist unmöglich.“

„Ich weiß nicht, ob es möglich ist oder nicht, das Bild ist jedenfalls weg.“

Ich atmete immer noch tief durch wie nach einem langen Lauf und betrachtete die Scheibe des Mondes. Den ganzen Flamsteed und die Ebene, auf der ich in so dummer Weise den Sendling verloren hatte, konnte ich mit der Kuppe eines Fingers verdecken.

„Was ist mit den Mikropen?“ meldete ich mich schließlich.

„Das wissen wir nicht.“

Ich sah zur Uhr und staunte: Ich hatte fast vier Stunden auf dem Mond zugebracht. Es ging auf Mitternacht Bordzeit.

„Ich weiß nicht, was ihr davon haltet“, sagte ich, ohne mein Gähnen zu verhehlen, „aber mir reicht’s für heute. Ich geh zu Bett.“

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