8. Der Mann im weißen Anzug

Der Tod von Onkel Stewart war ein sehr schmerzlicher Schock für mich, um so mehr, als er so brutal meinem Ausscheiden aus dem Dienst folgte. Aber meine persönlichen Sorgen vergaß ich fast, als ich Faulkners Brief las, der ebenso unter diesem Verlust zu leiden schien. Wenn ich nur diese Kreuzfahrt so, wie vorgesehen, hätte vollenden können! Dann hätte ich ihn in Marinia gesehen . ..

Aber es hatte keinen Sinn, Tränen über etwas zu vergießen, das sich doch nicht ändern ließ. Ich sprach in New York mit Bob Eskow darüber, wohin ich von der Akademie aus geflogen war. Er war mit mir einer Meinung, daß Faulkners Brief ebenso viele Fragen stellte wie beantwortete, und vielleicht sollte ich das Angebot dieses ungenannten Klienten nicht allzu schnell annehmen. Dieser Besitz bedeutete jedoch wenig für mich, wenn ich ihn verglich mit dem großen persönlichen Verlust, den ich durch den Tod meines einzigen lebenden Verwandten erlitten hatte.

Seit so vielen Jahren hatte ich mich darauf gefreut, zusammen mit ihm die Wunder von Marinia zu erforsehen! Der Tiefsee-Service hätte mich sicher in diese Gegend abgestellt, dann hätten wir einander oft sehen können, und sicher hätten wir auch vieles zusammen unternommen.

Mir erschien es unmöglich, daß er tot sein könnte.

Ich beschloß, sofort nach Marinia zu reisen, um zu sehen, ob irgendeine Möglichkeit bestünde, doch meines Onkels Leiche zu finden und danach die Ausbeutungsmöglichkeiten der Eden Tiefen zu prüfen. Unmöglich? Nein, das Wort kannte ich noch nicht.

Ich schickte also Faulkner ein Radiogramm, die Anteile der Marine Mines seien nicht verkäuflich, und ich würde so schnell wie möglich nach Thetis kommen, um sein Erbe anzutreten.

Seine Antwort kam umgehend:

NICHT NÖTIG NACH THETIS ZU KOMMEN, NEHME IHRE INTERESSEN WAHR. MEIN RAT, ANTEILE SOFORT VERKAUFEN. BIN AUTORISIERT, PARIPREIS ZU BIETEN, ALSO GESAMTSUMME ACHTZIGTAUSEND DOLLAR. ANNAHME DIESES VORSCHLAGES SOFORT PER RADIO ERBETEN. VERTRAUEN SIE MIR.

WALLACE FAULKNER.

Das war ja eine aufregende Nachricht! Ich zeigte sie Bob, und er stimmte mir zu. Seltsam, daß diese unbekannte Person, die zuerst auf keinen Fall mehr als zweiunddreißigtausend bieten wollte, nun plötzlich bereit war, den Betrag mehr als zu verdoppeln!

War die Firma soviel für ihn wert, so müßte sie erst recht wertvoll sein für mich. Und Faulkner traute ich nicht ganz. Sicher, wenn mein Onkel ihm vertraut hatte, mußte er eigentlich ehrlich sein, und doch . . .

Er gab mir zu wenig Erklärungen, forderte nur Vertrauen. Warum war es ihm so eilig gewesen, die Anteile für zweiund-dreißigtausend zu verkaufen? Er mußte es doch geahnt haben, daß sein Kunde auch wesentlich mehr bezahlen würde.

»Ich weiß nicht«, meinte Bob Eskow, »ob er ein Gauner oder ein schlechter Geschäftsmann ist. Ich würde jedenfalls sehr auf ihn aufpassen.«

Meine Antwort lautete so:

ANTEILE UNVERKÄUFLICH. ANKOMME AUF ISLE OF SPAIN.

Ich fand einen Jet-Transporter nach San Franzisko, wo ich den riesigen Untersee-Liner erreichte.

In San Franzisko kam ich im Nebel an. Ich hatte gerade noch Zeit, meinen Platz auf der Isle of Spain zu buchen, meinen Paß zu bekommen und eine Stadtrundfahrt zu machen. Das Schiff hatte direkten Kurs nach Marinia und war eines der schönsten Schiffe der Pazifik-Tiefsee-Flotte. Ich freute mich auf die Reise. Wie schnell man doch vergißt! Noch war keine Woche seit der Nachricht von Onkel Stewarts Tod vergangen und nur etwas mehr als zwei Wochen, seit ich meinen Abschied von der Akademie hatte nehmen müssen — aber ich freute mich auf ein Abenteuer! Und, zugebenermaßen, auch darauf, von Wallace Faulkner und den anderen in Thetis ernst genommen zu werden. Schließlich war ich Besitzer der Mehrheitsanteile an einer Firma. Richtig, vielleicht waren sie wertlos, wie Faulkner meinte, aber...

Ich weigerte mich, dies zu glauben.

Wer mochte der Besitzer der restlichen zwanzig Prozent sein? Onkel Stewart hatte mir davon nie etwas gesagt; und Faulkner hatte sich darüber ausgeschwiegen.

Bald würden alle diese Fragen beantwortet sein ...

Meinen Paß bekam ich ohne Schwierigkeiten. Marinia war eine unabhängige Nation unter dem Protektorat der Vereinten Nationen geworden, und so reisten viele Amerikaner dorthin auf Urlaub, in Geschäften, oder um es nur einmal zu sehen. Die Isle of Spain hatte sicher eine lange Liste von Urlaubern und würde wohl in Black Camp und Eden Dome anlegen, ehe wir Thetis erreichten. Mit dem Paß bekam ich auch mein Ausweisbuch, das vom Geburtsschein angefangen mein ganzes Leben enthielt. Ich wußte nicht, welche Papiere ich sonst noch vorzulegen hatte, um mich als Erbe von Stewart Eden auszuweisen, und ich konnte nicht wünschen, daß auch nur eines fehlte. Ich packte nur einen kleinen Koffer und gab den Rest meiner Sachen im Gepäckraum des Hotels in Verwahrung.

Aus New York kam ein neues Radiogramm für mich an:

NICHT NÖTIG, DASS SIE NACH MARINIA KOMMEN, WÄRE UNKLUG. UNMÖGLICH FÜR SIE, MINENKONZESSION ZU BEARBEITEN. ICH WARNE SIE, ES IST GEFÄHRLICH UND SELBSTMÖRDERISCH. MEIN KLIENT MACHT LETZTES ANGEBOT VON DOPPELTEM NENNWERT FÜR ANTEILE. MUSS ABER SOFORT ÜBER RADIO AKZEPTIERT WERDEN. NOCH BESSERE BEDINGUNGEN NICHT AUSZUHANDELN.

WALLACE FAULKNER.

Hundertsechzigtausend Dollar! Ich fühlte mich schon reich.

Wenn es noch etwas gab, mich sofort nach Thetis einzuschiffen und noch bestimmter jedes künftige Angebot abzulehnen, so war es dieses Radiogramm. Warum lag Faulkner soviel daran, mich von Thetis fernzuhalten? Warum ritt er immer auf einer Gefahr in den Eden Tiefen herum?

Ich wiederholte mein letztes Radiogramm.

Zu meiner Verwirrung entdeckte ich, daß man mir folgte.

Ich war auf meinem Weg in die Stadt und fuhr auf dem Ex-preßrollteppich zum Hafen. Es war ein kühler, düsterer Tag, und der Nebel hing tief über der Stadt. Es war erst Nachmittag, doch überall brannten schon die Lichter wie rote Ballone im gelben Nebel. Die Leuchtfeuer vom Jethafen durchdrangen das kalte Grau nicht sehr weit, und die scharlachroten Nebelleuchten der tieffliegenden Helikopter des Vorortsverkehrs waren nur sich bewegende rote Schimmer.

Ich hatte den Mantel ganz zugeknöpft, lehnte mich an das Geländer des Expreßwagens und dachte an das vor mir liegende Abenteuer. Es war ein Zufall, daß ich ungefähr fünfzig Meter hinter mir einen großen Mann bemerkte, der mir sonderbar erschien; irgendwie ungesund, aus der Form gegangen. Er war nachlässig und mit schlechtem Geschmack gekleidet und trug eine weiße Jacke zu weißen Hosen, beide viel zu eng und angeschmutzt, darüber einen langen blauen Mantel. Sein schwarzer Stock hatte eine Silberzwinge, und auf dem Kopf trug er einen breitrandigen hohen roten Filzsombrero.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, ihn zu kennen. Ich mußte ihn schon einmal irgendwo gesehen haben, doch ich ahnte nicht, wann und wo.

Als ich den Expreßweg verließ, vergaß ich ihn, aber nicht lange.

Im Schiffsbüro holte ich meine Reservierung für eine Kabine auf der Isle of Spain ab. Als ich mich mit der Bestätigung in der Hand umdrehte, sah ich, daß der Dicke direkt hinter mir war.

Und das war sicher kein Zufall! Und beweisen konnte ich es auch bald.

Der Mann hinter mir schien nicht auf mich aufzupassen; er fragte den Mann am Tisch etwas und bekam eine kurze Antwort; er nickte und schaute nachdenklich durch eines der Fenster hinaus. Seine Augen waren unter dem breiten Hutrand nicht zu sehen. Die Finger in weißen Handschuhen trommelten auf das Fensterbrett. Ich war sicher, daß er jeden meiner Schritte beobachtete.

Ich kaufte mir ein Nachrichtenband am Zeitschriftenstand des Gebäudes und ging durch die Tür, hinab zum Wasser. Ich hatte noch ein paar Stunden Zeit, bis das Schiff ablegte, doch keine Minute zu verlieren. Der Himmel war eine Kuppel aus trübgelbem Licht, da der Nebel alle Stadtlichter zurückwarf. Um die Straßenlaternen und die Leuchtfeuer lagen Regenbogenhalos. Und das war gut so.

Ich bog um eine dunkle Ecke in eine fast verlassen daliegende Straße am Hafen, die früher einen ungeheuren Betrieb erlebt hatte, jetzt aber sehr ruhig war. Dort duckte ich mich in eine Türnische.

Der Mann in Weiß ging wunderbar in die Falle. Auch er kam leise um die Ecke, und ich hörte ihn erst, als er fast vor meiner Tür war. Ich trat heraus, die Hand in der Tasche, so daß es aussah, als habe ich in der Tasche eine Pistole.

»Halt!« sagte ich.

Er schaute mich unter dem breiten Hutrand einen Moment lang an. »Nicht schießen«, sagte er gleichmütig.

Er atmete langsam, also war er nicht aufgeregt. Angenommen, ich hatte mich geirrt, und er war ein harmloser Fußgänger? Angenommen, er schrie nach der Polizei? Natürlich wäre eine solche Reaktion gewesen. Klar, ich konnte die Sache erklären, aber mein Schiff würde ich versäumen, und ein versäumtes Schiff genügte mir vorerst.

Der Mann war aber kein harmloser Fußgänger; er schien auch

Ärger zu erwarten. »Nur ruhig, Junge«, sagte er. »Und vorsichtig mit der Kanone sein.«

»Vorsichtig?« wiederholte ich ärgerlich. »Warum verfolgen Sie mich? Schnell, reden Sie.«

Ein wenig spöttisch erwiderte er: »Wovon reden Sie denn überhaupt?«

»Sie wissen es ganz genau!« fuhr ich auf. »Verschwenden Sie meine Zeit nicht und kommen Sie her, sonst schieße ich.«

Natürlich hatte ich kein Interesse zu schießen, selbst wenn ich eine gehabt hätte. Ich ahnte nicht, ob er das wußte, aber er kam etwas näher und bewegte den Mund, als wolle er etwas sagen.

Zu spät sah ich das winzige, glitzernde Metallding zwischen seinen Zähnen. Er hatte es im nächsten Moment zerbissen, und ich fühlte die eiskalten winzigen Tropfen an meiner Wange. Sofort verkehrte sich die Kälte zu sengender Hitze, die über meine ganze Gesichtshälfte zuckte, und heiße Nadeln stachen in mein Gehirn.

Ich hätte es doch wissen müssen, sagte ich mir in schon halber Betäubung. Ich hätte mich selbst schützen müssen. Diese Anästhetik-Kapsel war ein alter Trick. Daran hätte ich wirklich denken sollen ...

Eine Wand aus blendendem Licht flackerte vor meinen Augen, doch danach war nichts als Dunkelheit. Ich fühlte noch, wie ich stürzte .. .

Es dauerte mindestens eine Stunde, bis ich wieder zu mir kam. Steifbeinig stand ich auf. Meine Muskeln schmerzten von der feuchten Kälte. Ich war noch unter der Tür und sah weit und breit keinen Menschen. Ich lehnte mich an die Mauer und untersuchte meine Tasche.

Natürlich war ich durchsucht worden. Meine Brieftasche lag am Boden, mein Paß hing halb heraus. Aber zu fehlen schien nichts, weder Paß noch Ausweis, noch Geld oder Uhr. Das war nicht ein einfacher Raubüberfall gewesen. Da ich ziemlich viel Geld bei mir hatte und nichts fehlte, mußte es also andere Gründe geben.

Ich versuchte, meine beschmutzte Kleidung zu säubern, und torkelte noch ziemlich benommen zur Ecke. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, hoffte aber, mein Schiff noch zu bekommen, das um Mitternacht ablegte.

Ich hatte Glück. Über mir kreuzte ein leeres Taxi, und auf mein Zeichen hin setzte es neben mir auf. Flüchtig dachte ich daran, die Polizei zu verständigen, aber auf der Taxiuhr sah ich, daß ich höchste Zeit hatte, wollte ich das Schiff noch erreichen.

Zum Glück hatte ich mein Gepäck schon an Bord, und ich hatte ja bei meinem unfreiwilligen Zusammentreffen mit dem Dicken nichts verloren. Also ließ ich mich gleich zur Anlegestelle des Schiffes bringen.

Ich dachte wenigstens, daß mir nichts fehlte ...

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