6. Die Kreuzfahrt der Pocatello

In meinem zweiten Sommer an der Akademie hätte ich bald meinen Onkel Stewart gesehen.

Alle ungeschickten jungen Zivilisten, die vor zwei Jahren durch das Korallentor gegangen waren, hatten sich sehr verändert; ich mich natürlich auch. Zwei Jahre Drill und harter Arbeit hatten uns zwar noch nicht zu Tiefseeoffizieren gemacht, uns aber sehr viel von unseren Zivilistenmanieren abgewöhnt. Ich konnte jetzt bis auf vierzig Fuß tauchen, mit Aqualunge auf siebenhundert Fuß, mit Anzug bis zur Grenze des Druckwiderstands der Edenit-Beschichtung. Ich wußte, welche Pflichten jeder einzelne Mann auf einem Tiefsee-Schiff des Service zu erfüllen hatte, und konnte sogar für jeden einzelnen einspringen, angefangen von Rühreiern für achthundert Mann bis zum Annäherungsmanöver des Schiffes an einen ganz besonders schwierigen Hafen und das Einlaufen selbst.

Sicher, wir lernten fast alles aus Büchern, und ich mußte die Geschicklichkeiten, die ich mir theoretisch angeeignet hatte, in die Praxis umsetzen. Dazu und für weitergehende Studien hatte ich noch zwei Jahre Zeit, ehe ich ein Kommando bekam. Ich war aber keine Landratte mehr, sondern Mittschiffsmann des Tiefsee-Service. Meine Klasse war nun nicht mehr ganz zweihundert Mann stark, und mit ihr sollte ich nun auf die im Lehrplan vorgesehene Trainingskreuzfahrt mit der alten SSS Pocatello gehen.

Die Kreuzfahrt sollte neunzig Tage dauern, quer über den Nordatlantik, durch das Mittelmeer, den Suezkanal und das Rote Meer zum Golf von Aden gehen, wo wir an einer Flottenübung teilnehmen sollten. Dann weiter durch den Indischen Ozean, durch die trügerischen ostindischen Gewässer nach Marinia. Und dort, so hoffte ich, würde ich dann die Gelegenheit haben, meinen Onkel wiederzusehen, ehe wir die lange Pazifiküberquerung zum Panamakanal machten, von dort weiter zu unserem Stützpunkt in der Karibik. Das waren etwa dreißigtausend Meilen, fast ausschließlich unter Wasser. Nur den Suez- und den Panamakanal sollten wir aufgetaucht durchfahren.

Der Atlantik war ein Kinderspiel. Ich glaube, wir brauchten dies, um uns an die Routine des Tiefsee-Schiffes zu gewöhnen. Aber wir hatten nicht viel zu tun, wir standen unsere Wachen, hielten die Maschinen am Laufen und warteten, bis die Woche der langsamen Durchquerung vorüber war. Wir hatten das Schiff zu führen, wenn auch eine reguläre Stammbesatzung an Bord war, doch die sollte nur im Notfall eingreifen und uns beobachten, so daß sie dann ihren Bericht machen konnte.

Der Zweite Offizier des Übungsschiffes war Cadet Captain Sperry. Das Kommando führte er technisch zwar nicht, aber er hatte die Funktionen eines Exec. Das schloß soviel Befehlskraft ein, daß er Bob Eskow und mir recht ungemütliche Momente bereiten konnte. Aber über den Atlantik ging alles glatt.

Wir trieben durch die Straße von Gibraltar. Die Maschinen waren abgestellt, ein Trick der alten Unterseeboote mit Dieselantrieb, dessen man sich in Kriegszeiten bediente, so daß man sich unentdeckt durch diese enge Straße stehlen konnte. Das seichte Mittelmeer ist eine Riesenpfanne, deren Wasser immer mehr verdunstet, doch es saugt aus dem Atlantik auch ständig Wasser an. Unter der heißen Sonne des Mittelmeergebiets verdunstet einiges von diesem Wasser, und es bleibt eine Salzlake zurück; die sinkt zu Boden und fließt durch die Straße von Gibraltar wieder in den Atlantik: eine dichte, schwere ausgehende Strömung wird überlagert von einer frischen, leichteren, die endlos in das Mittelmeer fließt und sich mit dem salzigeren, schweren Wasser nie vermischt.

Wir ließen uns mit der oberen Strömung hineintreiben, wenn auch immer untergetaucht. Ich war auf der Brücke und beobachtete durch das Mikrosonar das Wasser. Es war eine fast gespenstische Angelegenheit, mit toten Maschinen in diesem alten großen Kriegsschiff ruderlos dahinzutreiben und zu sehen, wie die Orientierungspunkte auf dem Sonarschirm vorbeischwebten.

»Gut gemacht«, sagte der Offizier der Stammbesatzung, der dabeistand, und ließ sein Notizbuch zuschnappen. »Sie können jetzt auftauchen, Cadet Captain Sperry.«

Wir setzten Kurs auf den Treibstoffstützpunkt am Felsen selbst, nicht weil wir Treibstoff brauchten, sondern weil wir dort neue Befehle abzuholen hatten. Die Befehle wurden nicht erklärt, doch wir hörten eine Menge Gerüchte.

Bei vollem Tageslicht kamen wir in den großen Tankstützpunkt und tauchten auf. Bevor wir noch anlegten, kam meine Ablösung, doch ich zögerte, meinen Posten zu verlassen. Bob Eskow, der als Junior Maschinen-Offizier gleichzeitig mit mir Dienst gemacht hatte, kam in unseren Wachraum, und wir beide gingen leise hinauf zum Wetterdeck, blieben aber so gut wie möglich außer Sicht. Es gab kein Verbot, dort oben zu sein, und das Schiff war gegen versehentliche Tauchmanöver gesichert, aber wir beide konnten im Moment die ätzende Zunge von Cadet Captain Sperry nicht ertragen.

Der riesige Felsen war recht eindrucksvoll. »Jim, wir müßten eigentlich Landurlaub bekommen, und dann klettern wir da hinauf und sehen uns die berühmten Affen an. Und dann können wir über die Straße hinüberschauen zum Berg Abyla. Und eine Höhle soll es geben, sie heißt St. Michael, und die Leute behaupten, durch sie könne man unter Wasser nach Afrika hinübergehen und . . .«

»Achtung an Deck«, plärrte hinter uns ein Lautsprecher. »Die beiden Kadetten am Wetterdeck. Sofort beim Offizier vom Dienst melden. Sie haben sich beide zu verantworten.«

Als wir die Stimme des Kommandanten hörten, standen wir unwillkürlich stramm. Was hatten wir angestellt? Wir salutierten der Brücke und gingen nach unten, sehr viel weniger fröhlich als noch vor ein paar Momenten.

»So, da geht unser Ausflug zu den Affen«, brummte ich. »So ein elendes Pech . . .«

Bob sah grimmig drein. Er stieß mich leicht an und machte eine Kopfbewegung zur Brücke. »Jim, der Commander hätte uns auch dann gerufen, wenn es nicht erlaubt gewesen wäre, oben zu sein. Schau mal.«

Ich schaute. Auf der Wetterbrücke stand der Commander, und er sah nicht mehr uns an, sondern überwachte aufmerksam die Anlegemanöver. Neben ihm stand jedoch der Zweite Offizier, Cadet Captain Sperry und schaute mit einem besonders befriedigten Gesichtsausdruck zu uns herüber.

Wir hatten also keinen Landurlaub in Gibraltar, sondern verbrachten unsere dienstfreie Zeit mit Liegestützen im Trainingsraum des Tankstützpunkts. Allzu schlimm war es nicht, immer zehn Minuten scharfe Übung, dann fünf Minuten Pause, alles in allem immer zwei Stunden. Aber in einer der Pausen entdeckte Bob etwas, das wir uns nicht erklären konnten.

Die Lademaschinen arbeiteten um die Pocatello, und das war normal; man erwartet, daß ein Seeschiff in einer Tankstation aufgetankt wird, und die in genau abgemessenen Abständen aufgestellten Uranpatronen, jede in einem kleinen Strahlungsdichten Behälter, waren nichts Neues für uns.

Bis Bob entdeckte, daß die Patronen vom Schiff kamen.

»Nein! Da wird Brennstoff ausgeladen?« bemerkte ich ungläubig. ,,Aber das ist doch verrückt! Wir haben dreißigtausend Meilen vor uns!«

Bob wischte sich schweratmend die Stirn, denn ihm machten solche Übungen mehr zu schaffen als mir. Er schüttelte den Kopf. »Die brauchen wir nicht«, sagte er. »Eine einzige Ladung würde diese Konservenbüchse zwei- oder dreimal mit Leichtigkeit um die ganze Erde bringen. Das ist nur unsere Notration. Trotzdem ist es recht komisch.«

Da waren wir einer Meinung. Dann hörten wir die Pfeife, und das Dutzend, das für kleinere Vergehen zu büßen hatte, nahm die Übungen wieder auf. Und wir vergaßen den Brennstoff für eine Weile.

Gegen Abend war die Pocatello wieder unterwegs, diesmal zum Flottenstützpunkt Neapel. Es war ziemlich langweilig. Kurz vor dem Golf von Neapel tauchten wir auf und fuhren zwischen Ischia und Capri bei Sonnenaufgang in die Bucht. Ich hatte die Frühwache und sah die Sonne über dem Vesuv aufgehen.

Und da kamen dann die schlechten Nachrichten: Die Kreuzfahrt war abgesagt.

Offiziell wurde kein Grund dafür angegeben, es wurde nur mitgeteilt, daß wir zu unserer Basis zurückzukehren hatten. Aber das Gerücht war nun erklärt, und nach dem, was wir, Bob und ich, in Gibraltar gesehen hatten, glaubten wir auch an dessen Wahrheit: Uranmangel.

Ich glaube, nicht ein Mann auf dem Schiff nahm den Befehl leicht, denn wir hatten uns sehr lange schon auf diese Kreuzfahrt gefreut. Für mich war sie mehr gewesen als nur eine angenehme Übungsfahrt, denn ich hatte gehofft, meinen Onkel Stewart Eden sehen zu können, wenn wir nach Marinia kamen.

Das war jetzt alles natürlich gestrichen.

Am frühen Morgen kam der Befehl zur Rückkehr zu den Bermudas. Die Pocatello wurde verproviantiert und konnte erst gegen Abend auslaufen. Bob Eskow und ich hatten Landurlaub für den Nachmittag, aber als wir im Walboot saßen, waren wir gedrückter Stimmung.

An Land wurden wir aber wieder fröhlicher. Keiner von uns beiden war jemals weit von zu Hause weg gewesen. Neapel erschien uns wie eine andere Welt, die von meinem New London und Bobs New York so weit entfernt war wie der Mond.

Wir liefen durch alte, enge Straßen, über den breiten, eleganten Boulevard am Wasser, tranken im Herzen der Stadt einen dicken, heißen Kaffee aus winzigen Tässchen. Und als wir dasaßen, kam ein magerer Mann mit freundlichem Lächeln auf seinem dunklen Gesicht zu uns. »Scusi, Signori«, sagte er. Da er die seeblaue Uniform mit den Ankern des italienischen Tiefseeflottenkommandos trug, standen wir auf.

»Hallo«, sagte ich zögernd, »wir können kein Italienisch, Sir.«

Der Mann zuckte die Schultern. »Ich spreche ein bißchen Englisch«, antwortete er langsam. »Bitte, entschuldigen Sie die Störung, aber Sie sind doch von diesem amerikanischen Tiefseeboot?«

»Ja, natürlich«, antwortete Bob lachend. »Ich bin TiefseeKadett Eskow, und das ist Kadett Eden.« Er streckte die Hand aus, und der Italiener schüttelte sie strahlend.

»Wußte ich's doch!« rief er. »Erlauben Sie mir, Sie in Neapel willkommen zu heißen, Gentlemen. Ich bin Sotto-Tenente Vittorio di Laterani, zu Ihren Diensten.«

Im gleichen Moment wurden Bob und ich uns darüber klar, daß wir mit einem Offizier mit Kommando sprachen und standen stramm. Er erwiderte unsere Ehrenbezeigung voll Höflichkeit und sagte, er freue sich riesig über unser Schiff im Hafen; gleichzeitig bot er uns für den Nachmittag seine Dienste als Führer an.

Wir sahen einander an, Bob und ich, und wir freuten uns über dieses Angebot.

Di Laterani war gerade zwanzig und seit einem Jahr Offizier. Derzeit war er stationiert bei der Marinebasis Neapel, denn sein eigener Unterseekreuzer, die Pontevecchio, lag zu einer großen Überholung im Trockendock. Bis zum Ende der Überholung hatte er viel Zeit, und wir akzeptierten natürlich sein Angebot, uns auf eine Tour mitzunehmen, sehr gerne.

Es war ein herrlicher Nachmittag, doch er nahm ein schlimmes Ende.

Während des Nachmittags hatte der Vesuv etwas stärker geraucht als gewöhnlich. Wir saßen in einem winzigen Hotel bei einem Expresso und schauten auf den Golf hinaus, als der Sturm zuschlug.

Tenente di Laterani sprang auf, als der erste Donner rumpelte. »Madre mia!« schrie er. »Kommt, Gentlemen, wir müssen uns beeilen. Bei starkem Regen ist die Straße den Berg hinab nicht passierbar. Und wenn Sie Ihr Schiff erreichen wollen ...«

Wir erreichten es nicht. Die Pocatello war weg.

Wir versuchten alles. Der Tenente schämte sich, weil er daran schuld war, daß wir unser Schiff versäumt hatten, und raste mit seinem winzigen Auto zum Basis-Hauptquartier, um für uns eine Transportmöglichkeit zu finden — ein Torpedo-Boot, ein Flugzeug, irgend etwas, das uns zu unserem Schiff bringen konnte, ehe es so weit vom Land entfernt war, daß es für die Rückreise tauchte. Aber der Sturm hielt die Flugzeuge am Bo-den, und als di Laterani endlich einen Torpedobootskommandanten gefunden hatte, der uns hinausbringen wollte, kam über den Radarschirm eine Sichtmeldung herein: »Amerikanischer Tiefsee-Kreuzer getaucht, kein Rückruf möglich.«

Wir hatten also unser Schiff versäumt.

Wir mußten uns nun beim amerikanischen Sektionsoffizier melden und die bittere Pille unserer Strafe schlucken.

Ich glaube, es wäre unter den vorliegenden Umständen noch erträglich gewesen, hätten wir unser Schiff in Gibraltar erreicht, doch es ging nicht. Der Sektionsoffizier hatte Mitleid mit uns und gab der Pocatello unsere Geschichte durch mit der Bitte, in Gibraltar aufzutauchen, so daß wir dorthin fliegen und wieder an Bord gehen könnten. Erst Stunden später kam die Antwort zurück: »Ersuchen abgelehnt. Erwähnte Kadetten werden auf dem Luftweg zur Akademie zurückkehren.

Brand Sperry, Zweiter Offizier Diensttuender Kommandant.«

Am nächsten morgen gingen wir an Bord eines zivilen Linienjets und machten uns auf den trübseligen Rückweg.

Als wir in der Akademie ankamen, begegneten wir nur steinernen Gesichtern. Der Kommandant persönlich rief uns zurück. Wir seien eine Schande für den Service, sagte er, und Eskows Unfall vom Jahr vorher erscheine jetzt in einem ganz anderen Licht und sei wohl beabsichtigt gewesen. Ich, hielt er mir vor, tue mir einiges zugute auf den Ruf meines Onkels und meines Vaters. Wir wurden vor die Wahl gestellt: entweder aus dem Service ausscheiden, oder vor ein Kriegsgericht gehen.

Ich glaube, mein Vater hätte das Kriegsgericht gewählt, doch Eskow hätte nichts davon gehabt, wenn er das getan hätte. Das Gericht hätte mit Rücksicht auf den vorigen Unfall gegen ihn entschieden, und ich mochte nicht die Möglichkeit auf mich nehmen, im Dienst zu bleiben, während Eskow aus dem glei-chen Grund unehrenhaft entlassen wurde.

Wir schieden beide aus.

Auch jetzt kam ich noch nicht auf die Idee, daß hinter dieser ganzen Geschichte andere als disziplinäre Gründe stecken könnten.

Schweren Herzen schickte ich meinem Onkel ein langes Radiogramm, um ihm zu schildern, was geschehen war, und dann packte ich meine Sachen.

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