16. Vater Neptun: Farmhelfer

Wir kamen irgendwie heraus. Ich weiß nur noch, daß Gideon führte und der Butler mißmutig mitstapfte und Türen aufsperrte, während Gideon nach anderen Bediensteten Sperrys Ausschau hielt. Wir hatten Glück. Keiner hielt uns auf. Natürlich hatte der Butter noch mehr Glück, denn Gideon hielt die Waffe auf ihn gerichtet. Wir nahmen den Butler mit zu den Aufzügen, dannsprangen wir hinein und ließen ihn stehen. Wir hatten es eilig.

Warnend griff Gideon nach meinem Arm. Es waren noch andere Passagiere in der Kabine, also konnten wir hier nicht über unsere Pläne reden. Wir fuhren immer weiter hinunter, zur untersten Ebene der Lagerhäuser, ehe mich Gideon am Ärmel zupfte und mit mir ausstieg. Dann folgten wir einem langen, muffigen Korridor, bogen in einen Seitengang ein und hörten nun das Wasser rauschen.

Wir waren wieder zurück in Gideons Eremitenversteck, auf der Rampe über dem tosenden Abwasser. »Gut, Junge«, sagte er, »hier sollen sie uns mal finden!«

Gideons kleiner Vorrat an Lebensmitteln und Feuerholz war noch intakt. Er machte sich sofort daran, ein Feuer anzuzünden und einen Topf Wasser aufzusetzen, damit wir Tee bekamen, und ich versuchte inzwischen, in meinem Kopf alles auszusortieren.

»Ich versteh's nicht, Gideon«, sagte ich. »Brand Sperry sollte nicht hier sein. Er müßte doch auf der Akademie sein.«

»Sein Alter muß ihn wohl hergerufen haben«, meinte Gideon.

»Aber das kann er doch nicht! Ich meine, wenn Sperry mitten im Jahr einfach weggeht, verdirbt das seine Chancen der Graduierung, und dann ...«

»Vielleicht, ist ihm das egal, Junge.« Gideon reichte mir düster eine winzige Tasse Tee, die ich schnell wegstellte, weil ich mir daran die Finger verbrannt hatte. »Vielleicht ist die Akademie für Sperry im Moment nur eine Tüte kleiner Kartoffeln. Paß auf, da schmort etwas ganz Großes.« Nachdenklich musterte er mich über den Rand seiner Teetasse. Er trank den Tee so heiß, daß er Asbestlippen haben mußte. »Überleg dir doch: Du wurdest den ganzen Weg von den Vereinigten Staaten nach Marinia verfolgt. Das waren Sperrys Leute. Glaubst du, die tun's nur zum Spaß? Das war erstens. Zweitens: Einer dieser Männer versuchte dich zu ermorden. Glaubst du. das war nur ein Witz? Drittens: Jemand machte sich die Mühe, sich hier für dich auszugeben und dich nebenbei fast umzubringen. Jim, das wird allmählich ein verdammt schlechter Scherz!«

»Aber warum das alles?«

Gideon stellte seine Teetasse ab und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Was hat dein Onkel in den Eden Tiefen gesucht, Jim?« wollte er wissen.

»Nun ja, Uran natürlich.«

»Uran.« Er nickte. »Und warum herrscht auf der ganzen Welt ein solcher Uranmangel, daß überall Energie gespart werden muß? Warum ist Uran so knapp, daß einer, der ein Vorkommen entdeckt, damit praktisch sein eigenes Todesurteil unterschreibt? Uran! Uran ist Macht, und Macht ist das, was Hallam Sperry über alles in der Welt liebt.«

»Aber Gideon, ein Mann wie Hallam Sperry braucht so etwas doch gar nicht zu tun! Er ist doch reich und mächtig, ist der Bürgermeister von Marinia, hat Schifffahrtslinien und TiefseeMinen und sonst noch jede Menge Eigentum.«

»Warum?« Gideon spitzte die Lippen. »Ich weiß nicht, ob ich dir das richtig sagen kann, Jim. Du mußt in Hallam Sperrys Geist hineinschauen, um die Antwort zu erfahren. Macht ist eine Krankheit. Je mehr du hast, desto kränker bist du. Und Hallam Sperry ist so krank, daß es nicht mehr schlimmer kommen kann. Marinia? Jim, Marinia ist zu klein für ihn!«

»Aber. . .«

»Aber nichts, Jim.« Er stand auf und kramte in den Spalten der Wand nach Decken, die er sauber gefaltet aufgeräumt hatte. »Ich weiß nicht, ob du's bemerkt hast, aber es ist ziemlich spät, und wir haben einen harten Tag hinter uns. Wir wollen jetzt lieber schlafen. Vielleicht können wir am Morgen ein paar Antworten finden.«

Ich schlief zwar, aber sehr schwer und unruhig und von wilden Träumen gequält. Als ich aufwachte, war Gideon nicht da.

Ich suchte die Rampe nach beiden Seiten hin ein ganzes Stück ab und fand ihn nicht. Es waren schlimme zwanzig Minuten. Dann hörte ich, daß sich vorsichtige Schritte näherten. Ich verdrückte mich in eine Spalte, bis der Mann, der da kam, zu sehen war. Und es war Gideon.

Er lachte mich an. »So früh schon auf, Jim?« begrüßte er mich. »Ich dachte, du würdest mindestens noch eine Stunde schlafen.«

»Wo warst du?« fragte ich. »Ich dachte schon ...«

»Du dachtest, der alte Hallam Sperry hätte mich weggeholt, was? Ich hatte nur ein kleines Geschäft zu erledigen, das ist alles.« Er nahm einen Rucksack ab. »Hier, da ist Frühstück. Wir kochen jetzt und essen, dann besuchen wir einen Freund von mir. Vielleicht hat er ein paar Informationen für uns.«

Wir aßen ziemlich schnell, aber dann bestand Gideon darauf, noch etwas auszuruhen. »Vertrau dem alten Gideon«, sagte er. »Ich habe einen Freund da draußen, der inzwischen Informationen ausgräbt. Man muß ihm ein bißchen Zeit lassen. Hier sind wir außerdem sicherer als sonst irgendwo. Und behaglicher haben wir's auch.«

Behaglicher — damit hatte er sicher recht. Als Gideon endlich meinte, es sei an der Zeit, führte er mich durch Nebenwege und Tunnels, wie ich sie mir nicht einmal im Traum vorgestellt hätte, zu Vierteln von Thetis, von denen ich nichts ahnte. Wir kamen heraus in einer breiten, hohen Kammer, wo der Boden mit einer grünlichen, schleimigen Flüssigkeit bedeckt war und die Luft nach Seetang und lodinen roch. Gideon blieb am Eingang stehen.

»Weißt du, Jim, wofür in Thetis ein solcher Raum gut ist?« fragte er. »Hier, die Antwort liegt vor deinen Augen.«

Über den ganzen Boden waren Ballen von nassem Kelp und anderen Seegewächsen aufgestapelt, durchwegs auf niederen Regalen, nur eine Handbreite über dem Boden. Aus diesen Pflanzenballen tröpfelte grünlicher Saft, und daher stammte die Nässe. »Das hier ist nämlich die Ablaufkammer. Was in den Farmen draußen geerntet wird, kommt hier herein. Da wird es gestapelt, damit die Flüssigkeit abläuft, dann wird es in Ballen gepreßt und kommt zum Weiterverarbeiten.«

»Das riecht aber ziemlich kräftig.«

Gideon lachte. »Versuch mal, ein paar Minuten lang den Geruch auszuhalten. Ich bin gleich wieder da.«

Da stand ich nun, und er ging vorsichtig durch die weite Kammer, bis er meinen Blicken entschwand. Niemand sonst war in der Nähe. Ich hörte ferne Stimmen, aber dieser Ablaufraum brauchte anscheinend keine oder wenig Aufsicht.

Lange brauchte ich nicht zu warten, dann kam Gideon. Er keuchte. »Komm, Jim. Wir müssen hier 'raus! Sperry hat die ganze Stadt auf uns gehetzt, wir müssen ganz schnell weg!«

Fast ohne zu denken, folgte ich ihm den Weg zurück, den wir gekommen waren, wieder durch die schmalen Tunnels, in denen sich Gideon so gut auskannte. Unterwegs berichtete er mir: »Ich hab' einen Freund von mir gebeten, er soll sich mal umhören, was da vorgeht. Jim, es gibt Ärger! Sperrys ganze Polizei ist hinter uns drein. Bei Sicht schießen, ist der Befehl.«

»Aber das kann er doch nicht!«

»Jim, er kann alles tun. Er ist der Bürgermeister, das Gesetz in Thetis. Wir müssen sofort von hier verschwinden.«

»Aber wohin können wir gehen?«

»Da ist doch der Ozean, Junge! Wohin denn sonst? Wohin würde dein Onkel gehen, wenn er in Schwierigkeiten wäre? Doch in die Tiefen!«

»Aber, Gideon, wir können zu den Behörden gehen und alles erklären. Sperry kann doch nicht einfach Gesetze umkehren!«

»Versuchen kann er's jedenfalls«, erklärte Gideon noch immer keuchend. »Verstehst du nicht, Junge? Sperry ist hier in Thetis das Gesetz. Wir müssen uns früher oder später gegen ihn stellen, ganz gewiß, aber nicht jetzt und nicht so. Unser Wort steht gegen das seine. Man würde uns vor Gericht nur auslachen. Und vergiß nicht, du hast nicht mal einen Paß! In der Minute, da du in eine Polizeiwache gehst, bist du auch schon verhaftet — falls du solange lebst.«

Ich schüttelte den Kopf. »Was nützt es uns denn, wenn wir wegzukommen versuchen? Wir kommen zur Gangway von Sperrys Linienschiffen und dann . . .«

Gideon grinste. »Wer hat was von Linienschiffen gesagt? Na, komm schon mit.«

Er ging voran, ich folgte zögernd. Aber was hätte ich sonst tun sollen? Zweimal versteckten wir uns in Seitengängen als wir in der Ferne die scharlachroten Polizeiuniformen sahen.

Endlich kamen wir zu einem trostlosen Gewirr schmutziger Tunnels, wo das subsonische Pochen mächtiger Maschinen sich zu lautem Dröhnen vereinte. Es war die Hauptpumpstation für die Abwässer von Thetis.

»Jetzt leise«, warnte Gideon. »Wir müssen jetzt ein paar Gesetze brechen.«

Er ging voran durch einen engen Tunnel in eine Kammer, die von einer einzigen flackernden Troyon-Röhre erhellt war. Ein ältlicher Mann saß da und schien zu schlafen; der Kopf fiel ihm immer auf die Brust. Der ganze Raum hatte an den Wänden viele Taucherausrüstungen. Wir blieben kurz am Eingang stehen. Gideon war leise wie ein herumwandernder Geist, als er den alten Mann nachdenklich musterte. Er schüttelte den Kopf und zog mich in den Tunnel hinaus.

»Das Risiko ist zu groß«, flüsterte er. »Der Wachmann hätte in zwei Minuten die Polizei da. Wir müssen den anderen Port versuchen.«

»Und was tun wir dann?«

»Einen Druckanzug stehlen, Jim. Was hast du gedacht? Wir gehen in den Ozean hinaus.«

»Gideon, das ist Wahnsinn«, wandte ich ein. »Wohin können wir gehen? In einem Druckanzug kommen wir nicht zu einer anderen Stadt. Man würde uns ja doch nur erwischen. Komm, wir gehen nach oben zurück . . .«

»Und stellen uns Sperry zur Verfügung, was? Jim, manchmal wundere ich mich wirklich, was man euch auf dieser Akademie beigebracht hat. Überlaß es mir, Jim. Wir holen uns ein paar Anzüge, dann schleichen wir zum Farmgürtel hinaus. Dort können wir uns vielleicht einen Seewagen ausborgen. Wenn, dann gehen wir nach Seven Dome. Du brauchst dir nicht den Kopf zu zerbrechen, daß wir dort aufgepickt werden könnten. Das Risiko gehen wir ein. Alles klar? Also jetzt — Anzüge fassen. Hier mit diesem Wächter können wir sie nicht kriegen.

Wir müssen es am anderen Port versuchen.«

Ich überlegte. »Na, gut«, gab ich schließlich nach. »Du mußt es am besten wissen. Warum können wir den Wachmann nicht einfach ein bißchen verschnüren? Er ist allein, wir sind zwei. Wir können . . .«

Gideon schaute mich entgeistert an. »Das ist die Hauptpumpstation, Jim. Was dann, wenn etwas zusammenbricht, wenn wir weg sind, und der Wachmann ist gefesselt? Thetis würde sofort ertrinken, Junge. Schau mal, tu mir einen Gefallen. Hör zu denken auf. Komm nur mit!«

Ich kam mit.

Zugeben mußte ich dann, daß es doch irgendwie zu laufen schien. Der andere Port war im Moment nicht besetzt, vermutlich machte der Wachmann gerade eine Runde. Wir fanden ein paar Edenit-Druckanzüge, die uns paßten, untersuchten sie schnell und schlüpften durch die Ausgangsschleuse, die wir hinter uns wieder versiegelten.

Um uns herum kochte das Wasser und prasselte an unsere Beschichtung. Selbst die Spritztropfen kamen mit solcher Wucht herab, daß sie mich fast von den Füßen rissen. Aber es war nur ein paar Augenblicke, bis sich die Schleusenkammer gefüllt hatte und der Druck dem Außendruck angepaßt war.

Wir öffneten die äußerte Schleusentür und kletterten eine metallene Leiter hinab, die auf den Seeboden führte.

Der Schlamm war fast knietief. Gideon gestikulierte. Wir waren noch zu nahe an Thetis und konnten unsere Helmsprechgeräte noch nicht benutzen; ich verstand, was er wollte, ich sollte die Schwimmvorrichtungen meines Anzugs ebenso einstellen, wie er es mit den seinen tat. Auf die Art reduzierten wir unser tatsächliches Gewicht auf wenige Pfund, so daß wir zwar nicht in die Meilen offenen Wassers über uns hinausschwimmen konnten, aber auf der Schlammoberfläche konnten wir gehen und brauchten nicht mühsam zu waten.

Auf Zehenspitzen gingen wir langsam und mit den schwebenden Bewegungen von Ballettänzern über den Seeboden. Es war fast so wie bei den Übungen in den flachen Gezeitengewässern der Karibik. Ich fühlte mich sicher in der Taucherausrüstung, die mein Onkel der Welt geschenkt hatte und spürte nicht den erdrückenden Druck von außen, von den Meilen Wassers über uns. Hier war der Schlamm dunkel und nackt. Die Lichter von Thetis hinter uns spendeten noch so viel Helligkeit, daß wir miteinander Kontakt halten konnten; unsere Helmlampen durften wir noch nicht einschalten, da wir sonst gesehen werden konnten. Ein paarmal schlüpften über uns die Lichter eines Tiefseelinienschiffs weg, aber sonst war das dunkle Wasser absolut still.

Etwa eine halbe Stunde lang glitten wir über den kahlen Boden, dann hatten wir eine kleine submarine Hügelkette zu nehmen. Vor uns sahen wir die langen Kelp-Zweige, die Lichter und Bauten der Tiefseefarmen, die Thetis umgaben.

Das Kelp war nur ein entfernter Verwandter des Tangs, den wir aus dem Sargossomeer kannten. Die Kelpstämme waren dick, die Vegetation sehr üppig, da sie sich an den Abwässern von Thetis mästete und am Licht der Schwimmbatterien. Andere Vegetationen hatte es noch nie hier gegeben. Es gab viele Unterarten, die sich in der Farbe des Spektrums, vor allem in der Größe unterschied, angefangen von winzigen moosähnlichen Gewächsen bis zu Stämmen, die sich zwanzig Meter und mehr in das eisige Wasser vorschoben. Ein Teil davon war für die Ernährung bestimmt, ein anderer Teil als Brennstoff und Treibmittel, wieder andere dienten als lebende osmotische Minenmaschinen, die in der Lage waren, reine Elemente aus dem umgebenden Seewasser herauszuziehen. Das waren die wunderbarsten Gewächse von allen, denn sie ermöglichten eine richtige Ernte von Meersalzen, aus denen Magnesium, Eisen, Gold, Silber und viele andere Mineralien der Tiefsee herausgefiltert werden konnten. Aus natürlichem Kelp holte man jene Iodine heraus, die die Chemiker früher Zeiten so sehr erstaunt hatten. Natürlich hatten alle diese Gewächse auch ihre Grenzen. Und einige wenige Metalle wie Uran, das wichtigste von allen, gab es im Seewasser nicht in solchen Mengen, die ein umständliches Herausfiltern überhaupt gerechtfertigt hätten. Man mußte sich also hier auf die Minen verlassen.

Sofort dachte ich wieder an meinen Onkel Stewart, der jetzt unter einem Berg von Wasser begraben lag, weil Hallam Sperry ihn beseitigen wollte. Die Sichtplatte meines Druckanzugs beschlug sich . . .

Gideon stieß mich in den Rücken und brachte seinen Helm an den meinen. Das Sprechgerät stellte er auf die geringste Lautstärke ein. »Siehst du das Gebäude?« Er deutete auf eine Lichtergruppe, die hinter dem wehenden Kelp fast verborgen war. »Dort haben sie die Seewagen geparkt. Das ist nämlich nicht nur eine von Sperrys Farmen, sondern auch noch eine TiefseeFlottenbasis. Sie ist natürlich bewacht, aber halte dich dicht bei mir, Jim, wir schaffen's schon.«

Er führte, ich folgte. Das Wachstum war hier sehr üppig, und ab und zu mußten wir anhalten und uns mit unseren Seemessern, die in Kniescheiden im Anzug steckten, freihacken. Weit rechts von uns schwebten Erntemaschinen durch das Wasser und sammelten das Kelp in dicken Bündeln ein, die in die Stadt transportiert wurden zur Weiterverarbeitung. Die Ernte war hier nicht auf eine Jahreszeit beschränkt, sondern erfolgte das ganze Jahr hindurch. Nach den Erntemaschinen kamen Kultivatoren und Sämaschinen, und kaum war die alte Ernte eingebracht, wuchs schon die neue heran.

Wir hatten Glück. Niemand sah uns, obwohl Seewagen in unserer Nähe herumschwammen und ein paar Gruppen in Tiefseeanzügen in den Kelpdschungeln arbeiteten. Und wenn uns jemand sah, dann nahm man wohl an, daß wir auch nur Arbeiter waren. Und Gideon arbeitete sich so vorsichtig durch das Kelpgewirr, daß wir keinem auffielen.

Bald hatten wir den Porteingang des Gebäudes erreicht, um den die Seewagen auf Abruf angedockt waren. Natürlich konnten wir jetzt noch nicht miteinander sprechen. Ich mußte mich auf Gideons Zeichen verlassen. Wir krochen zum Eingangsport und blieben stehen. Er spähte in alle Richtungen, dann betätigte er die Portkontrollen. Um uns herum spürten wir eine rollende Bewegung, als mächtige kleine Pumpen Innen- und Außendruck ausglichen. Dann öffnete sich der Port, wir traten in die Schleusenkammer und schlössen die äußere Tür.

Sofort begann das Wasser zu fallen.

Wären wir mit einem Seewagen gekommen, so hätten wir eine Kontrolle über uns ergehen lassen müssen. Ein Wagen wäre durch Mikrosonar entdeckt worden, und dann hätten etliche Alarme geklingelt, aber wir, die wir durch den Kelpdschungel gekommen waren, befanden uns im blinden Fleck der Sonaranlage, und niemand konnte vermuten, daß jemand so dumm sei, zu Fuß über den Seeboden zu kommen. Man hatte sonst ja auch wenig Grund, dies zu tun. In den Farmen war nichts von erheblichem Wert außer den Seewagen selbst und den Farmmaschinen.

Als das Wasser aus der Schleusenkammer verschwunden war und die innere Tür aufging, stapfte er mir voran durch die Eingangskammer. Hier waren Männer zu sehen, die an Sprechverbindungen arbeiteten oder sonst durch die Korridore liefen, aber die schauten uns kaum an. Gideon bewegte sich so sicher, als kenne er sich genau aus; in Wirklichkeit war dies auch so, denn er hatte in seinem langen Tiefsee-Leben auf solchen Farmen gearbeitet. Sofort ging Gideon zum Anzugraum. Dort zogen wir unsere Anzüge aus, und zum Glück waren wir allein.

Dann stahlen wir einen Seewagen.

Es war, bis zu einem gewissen Punkt natürlich, erstaunlich leicht. Gideon führte wie immer an, und wir marschierten ganz offen durch die langen Korridore der Farmverwaltung zu den Eingangsports, wo die Wagen angedockt waren. Dann wurden wir aber vorsichtiger. Gideon entdeckte ein kleines Büro. Als niemand zu sehen war, schlüpften wir dort hinein und warteten. Der Bereitschaftsraum lag direkt vor unserer Tür, und dort gaben die Wagenführer ihre Berichte ab und empfingen ihre Befehle. Manchmal war ein Dutzend Männer im Raum, ein paar Augenblicke später war gar niemand da.

Wir hörten uns ihre Unterhaltung an und versuchten inzwischen zu bestimmen, in welchen Seewagen wir wohl am leichtesten schlüpfen konnten, welcher auch genügend Treibstoff für die Fahrt zu Seven Dome hatte. Etliche Bemerkungen kamen mir rätselhaft vor. Ihnen entnahm ich, daß einer der Seewagen ein Spezialfahrzeug und anders als die anderen war.

Und da dämmerte mir allmählich etwas. Ich stieß Gideon aufgeregt an, doch er wisperte mir zu, ich solle warten, alle seien jetzt bald weg.

Die Gruppe der Wagenführer unterhielt sich und ging. Das schien unsere Chance zu sein. Gideon winkte mir zu, und wir beide verließen auf Zehenspitzen das kleine Büro und gingen in den Bereitschaftsraum, hinter dem die Seewagen warteten.

»James Eden!« erscholl hinter uns eine mir bekannte Stimme.

Ich wirbelte herum. An der anderen Tür zum kleinen Büro lehnte ein großer junger Mann in Zivilkleidung. Brand Sperry!

Gideon war schneller als ich. Er hatte noch die Waffe, die er Sperrys »Butler« abgenommen hatte, sie war in seiner Hand, und der junge Sperry blickte in ihre Mündung, bevor ich noch erkannte, wer er war. »Sperry, sei ruhig«, warnte ihn Gideon leise. »Sei ruhig, wenn du am Leben bleiben willst.«

Brand Sperry wollte sich umdrehen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Er musterte uns kalt. »Was wollt ihr? « fragte er.

Ich holte tief Atem. Ich hatte den Hauch einer Idee, bezogen aus den Gesprächen der Wagenführer, die ich mit angehört hatte. Mir schien, daß dieser Spezialwagen tatsächlich sehr speziell sein könnte. Hallam Sperry hatte ja behauptet, er habe etwas sehr Spezielles; das war in dem Raum, in dem der tote Catroni gelegen hatte ...

»Wir wollen meines Onkels Versuchswagen, Sperry«, sagte ich. »Wir wissen, daß er hier ist. Wo ist er?«

Gideon war großartig. Er schaute mich schnell an, dann steifte er mir den Rücken. »Richtig, Sperry. Und beeil dich!« Vermutlich hat er aber wohl für einen Moment gedacht, ich sei wahnsinnig geworden.

Aber das war ich nicht. Brand Sperrys kalte Augen flammten, und er schnappte: »Dieser Eskow, dieser kleine ... Er hat es euch verraten!«

»Sperry, halt die Klappe«, warnte ihn Gideon scharf. .»Du willst doch hier keine Aufmerksamkeit erregen. Denn sonst bist du als erster dran, verstanden?«

»Moment mal, Gideon«, bat ich. »Was ist das mit Eskow?«

»Das wißt ihr doch«, schnaubte Sperry. »Ich hab's meinem Vater erzählt. Ich wußte doch, daß es ein Fehler war, ihn herzubringen. Wir haben alles getan, daß er Ihre erste Nachricht nicht bekam, aber wir wußten natürlich, daß Sie ihn früher oder später erreichen würden. Und ich wußte, daß er Ihnen alles verraten würde.«

»Sperry«, antwortete ich, »ich habe Eskow nur durch die Sichtluke am Dock gesehen. Es ist ja ziemlich egal. Aber wo ist er?«

Sperry zuckte die Schultern. »Vor ein paar Stunden hab' ich ihn im Bereitschaftsraum gesehen. Mein Vater hat ihn vom Liniendienst weggenommen, weil er glaubte, wir könnten aus ihm vielleicht Informationen über Sie herausholen. Ich habe ihn gewarnt.«

Ich schaute Gideon flehend an, doch er las meine Gedanken. »Nein, Jim. Wir haben keine Zeit, alte Freunde zu suchen. Jeden Augenblick kann jetzt jemand kommen, und was ist dann mit uns? Du, Sperry — wir wollen den Seewagen. Du bringst uns zu ihm, verstanden?«

»Das werde ich nicht tun!« fuhr Sperry auf, und für einen kurzen Augenblick bewunderte ich ihn fast, wie er sich gegen uns stellte. »Legen Sie die Kanone weg. Ich lasse die Posten ... «

Gideon lachte breit. »Mr. Sperry«, sagte er leise, »ich würde dir nicht raten, uns Ärger zu machen. Wirklich nicht. Und nun schlug er einen anderen Ton an. »Du junger Idiot!« knurrte er. »Jim Eden und ich waren nahe an der Gehirnpumpe, die dein Vater illegal anwendet. Wir wissen, daß er Jims Onkel versenkt hat, daß er Jim mehrmals zu ermorden versuchte. Wir kennen jeden dreckigen Trick und jeden korrupten Beamten hier in Marinia und wissen, daß jeder nach der Pfeife deines Vaters tanzt. Glaubst du, ich würde es mir zweimal überlegen, dich zu erschießen, wenn du's darauf anlegst? Mensch, setz dich in Bewegung! Bring uns zu Edens Seewagen, aber sofort, hörst du? Und dank deinem Glücksstern, daß ich dich nicht schon totgeschossen habe!«

Brand Sperry nahm Vernunft an. Er führte uns zu dem Seewagen, denn er wußte, daß Gideon die Waffe in der Tasche umklammert hielt. Scharf befahl er dem Wagenmeister, er solle sich um seine eigenen Sachen kümmern, als der Mann Fragen zu stellen begann. Der Himmel weiß, was der Wagenmeister dachte, aber da er ja für Sperry arbeitete, wußte er sicher auch, daß es sich nicht auszahlte, einem, der Sperry hieß, in den Weg zu treten.

Steif marschierte Brand Sperry vor uns her in die Ein- gangsschleuse des Seewagens, und nicht einmal schaute er zurück. Wir folgten ihm.

Dann waren wir drei drinnen, das Schiff wurde versiegelt und legte von der kleinen Kuppel ab.

Wir waren frei!

»Klug gearbeitet, Jim«, bestätigte Gideon. »Ich hörte zwar, was die Wagenführer sagten, aber mir fiel nicht im Traum ein, daß dies der erste Tiefsee-Wagen sein könnte, den dein Onkel gebaut hatte. Also gehört er dir, und wir brauchen ihn nicht einmal zu stehlen.«

»Wir werden schon sehen, wie das Gesetz darüber denkt«, schnappte Brand Sperry. »Ihr seid ganz gemeine Diebe!«

Gideon sah ihn an und machte nur eine kleine Bewegung mit der Waffe. Da schwieg Brand Sperry.

Gideon übergab mir die Kontrollen, und ich setzte Kurs nach Seven Dome. Er stand neben mir und beobachtete mich nachdenklich, bis ich mich unbehaglich fühlte. »Wolltest du nicht dorthin, Gideon?« fragte ich schließlich. »Seven Dome? Du hast doch gesagt.. .«

»Ich weiß schon, was ich gesagt habe, Jim«, gab er zögernd zu. »Nur ...«

»Was nur?«

Er sah sich im Wagen um. Er sah fast wie jeder andere aus, vielleicht war die Edenit-Beschichtung heller als sonst, weil sie wohl auch dicker war, viel stärker aufgeladen. »Das ist doch die gleiche Beschichtung wie in dem Wagen, in dem dein Onkel Stewart unterging, nicht wahr?« fragte er.

»Ich denke schon«, antwortete ich.

»Dann müßte er also einigen Druck aushalten können. Richtig?«

Jetzt war ich allmählich an Gideons Art gewöhnt, auf komplizierten Umwegen dorthin zu gelangen, wohin er wollte; ich nickte nur und drängte ihn nicht zum Weiterreden.

Erst bog er einmal in eine andere Richtung ab. »Erinnerst du dich an das, was wir auf dem Gehirnpumpenband von Catroni sahen?« Ich nickte. »Klar, daran erinnerst du dich. Nachdem Catroni herausging, folgte ihm ein Mann. Nur war dessen Anzug beschädigt worden. Deshalb konnte der Anzug dem Druck nicht standhalten, und er wurde getötet.«

»Das ist richtig, Gideon. Mein Onkel.«

»War er das?« fragte Gideon scharf. »Es war ja noch ein Mann an Bord, Westervelt, der Ingenieur.«

»Du meinst also, der Mann, der getötet wurde, könnte vielleicht nicht mein Onkel gewesen sein?« fragte ich langsam.

»Das ist richtig, Jim.« Gideons dunkles Gesicht war sehr nüchtern. »Das ist ja nur eine Vermutung. Erhoffe dir nicht allzu viel, Jim. Selbst wenn der erste, der 'rauskam, Westervelt war, dann könnte es dein Onkel später mit dem zweiten Anzug versucht haben, wenn er ihn flicken konnte. Oder die Beschichtung des Seewagens hat den Wochen, die er da unten liegt, doch nicht standgehalten. Oder die Luft ist ihm ausgegangen ... Oh, das ist nur eine ganz winzige Chance. Aber, was, Jim, wenn er dort unten am Boden der Eden Tiefen noch lebt?«

Ich schaute ihn lange und forschend an. Dann beschäftigte ich mich wieder mit den Instrumenten, und wir wurden ganz schön durchgebeutelt, als ich den Wagen herumwarf.

»Gut. Das werden wir jetzt herausfinden«, sagte ich. »Oder wir gehen beim Versuch unter.«

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