19. Zurück von den Toten

So war es gewesen, als mein Onkel Stewart zu uns zurückkehrte.

Bob Eskow half uns. Wir drei brachten ihn vorsichtig durch die enge Luke in unseren eigenen Seewagen. Stewart öffnete die Augen und sah mich an. Er lächelte. Aber zum Sprechen fehlte es ihm noch an Kraft.

Wieder einmal half mir die Ausbildung an der Akademie. Für die Männer der Tiefsee-Flotte waren Erschöpfung, Verhungern und die Giftwirkung verbrauchter Luft nichts Fremdes. Man hatte uns unerbittlich gedrillt in allen Methoden der Wiederbelebung. Aus dem kleinen Sanitätsschrank des Seewagens nahmen wir einige Anregungsmittel heraus und vor allem jene neuen chemischen Mischungen, die auch einen fast Toten ins Leben zurückholen. Stewart brauchte das alles. Während ich eine Zuckerlösung für intravenöse Ernährung mischte, spritzte ihm Gideon schnell eine ganze Reihe von Stimulatoren, und Bob baute den Herzstimulator auf, damit er zur Hand war, falls wir ihn brauchten. Wir hatten meinen Onkel Stewart lebend wiedergefunden, und jetzt konnten wir ihn natürlich nicht sterben lassen.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir an ihm arbeiteten. Es war vermutlich kaum länger als eine halbe Stunde, doch für uns blieb die Zeit stehen. Ebenso gut hätten es Sekunden oder Jahre gewesen sein können.

Erst als die letzte Injektion gemacht war, begann die Zeit wieder zu ticken. Die Nährlösung tropfte in seine Adern, und nun öffnete mein Onkel Stewart wieder die Augen.

Sie waren wach und klar, warm und fröhlich, so wie ich sie aus meiner Kindheit an der Küste von New London in Erinnerung hatte.

»Hallo, Jim«, flüsterte er.

Wie kann man uns übelnehmen, daß wir in der wilden Erregung dieses Augenblicks einige Kleinigkeiten vergaßen?

Wir setzten Onkel Stewart so bequem auf, wie es in der Enge eines Seewägens überhaupt möglich war. Wir wickelten ihn warm ein und hielten ihn so ruhig wie nur möglich, und dann sahen wir einander verblüfft an. Uns fiel etwas ein.

Was war aus Brand Sperry geworden?

Wir überließen Gideon meinen Onkel, und Bob und ich rannten zu unserem Seewagen. Er schaukelte sanft in der ablaufenden Flut und sah harmlos und verlassen aus.

Das war er auch. Brand Sperry war verschwunden.

Bob und ich schauten über die friedliche Lagune, doch der Frieden war eine Täuschung. Wir wußten es, denn wir hatten die dreieckigen Rückenflossen der Haie gesehen, wir kannten auch die Höhlen der Riesenkraken und die anderen Gefahren der Seichtwasser, die so harmlos aussahen.

»Wenn er so dringend weg wollte, dann lassen wir ihn doch gehen«, meinte Bob Eskow.

Ich nickte. »Wir können ja auch nichts tun. Und hier bleiben können wir auch nicht ewig. Lassen wir ihn in Ruhe. Er hat keinen Ärger mehr.«

Wir kehrten zu unserem Seewagen zurück und fühlten uns erleichtert und entspannt; zum erstenmal seit Monaten, schien mir.

Stewart Eden hatte sich aufgesetzt, und seine Augen glänzten. Gideon erklärte, jetzt sei er kräftig genug und könne reden, wenn wir ihn nicht aufregten. Stewart lachte leise. »Nach der großen Kur, die ich gerade hinter mir habe, könnt ihr mich gar nicht aufregen, Gideon. Glaub mir, es war eine Zeit der Ruhe.

Viel Schlaf, viel Muße. In dieser Beziehung habe ich gar keine Klagen ... «

Wir drängten ihn, er solle uns seine Geschichte erzählen, doch viel war das nicht. Wir hatten aus dem Geist des toten Catroni sowieso das meiste entnommen, und den Rest hatten die Verwüstungen in seinem Seewagen erzählt. Nur noch ...

»Uran«, wisperte mein Onkel, und seine funkelnden Augen schauten weit über uns hinaus. »Viele tausend Tonnen höchstprozentigen Erzes, Jim! Man braucht nur den Schlamm wegzukratzen, dann ist es da. Die Eden Tiefen sind das reichste Lager spaltbaren Materials, das die Welt je gesehen hat, und mit meinem neuen Edenit braucht man es nur zu holen. Das haben wir bewiesen.« Er lehnte sich an die Wand und keuchte vor Anstrengung. »Das ist Energie für die Welt, Energie für alle Maschinen, die der Mensch in den kommenden Jahrhunderten bauen kann. Billige Energie und in Mengen, von denen die Welt nicht einmal ahnt.« Er lächelte. »Weißt du, Jim, daß du ungeheuer reich sein wirst?«

»Das gehört nicht mir, Onkel Stewart!« protestierte ich. »Es gehört alles dir. Du hast den Claim auf Eden Tiefen eingebracht. Du hast diese Beschichtung erfunden.«

»Was hat mir das alles genutzt, als ich eingeschlossen da unten lag und zusehen mußte, wie der Sauerstoff immer weniger wurde? Nein, Jim, das gehört nicht mir, es ist für uns alle. Ein Anteil für dich und einer für mich — ja, das schon; und einer für Gideon und Bob Eskow. Da brauchen wir nicht kleinlich zu sein. Es ist genug da für uns alle. Jim, wir sind auf Tausenddollarscheinen herumgelaufen. Wir werden reicher sein als der alte Hallam Sperry je war und sein wird.«

»Hallam Sperry«, sagte Gideon nachdenklich. »Mister Eden, da fällt mir was ein. Entschuldigen Sie.« Er verschwand in den Kontrollraum, und einen Moment später hörten wir ein Geräusch, als habe er einen Schlag empfangen.

Er kam zurück mit tiefen Falten auf der Stirn. »Vielleicht halten wir die Gratulationen noch ein wenig auf. Könnten verfrüht sein. Während wir da 'rumsitzen, unser Geld zählen und Pläne machen, wie wir's ausgeben wollen, ist der Ärger unterwegs. Und er kommt schnell.«

Ich sprang ans Mikrosonar, und da sah ich, daß Gideon recht hatte. Quer über den blauen Schirm zog sich eine dünne Spur. Das war auch ein Seewagen, nicht für extreme Tiefen, aber sehr nahe; auch nicht auf Patrouille, sondern direkt auf Fishermen's Island ausgerichtet. Dafür gab es nur eine Erklärung. Brand Sperry hatte eine Gelegenheit gefunden, an die Schiffskommunikation zu kommen und Alarm zu schlagen. Und seines Vaters Schiff war uns nun auf der Spur.

»Alle Luken sichern!« schrie ich Bob Eskow zu, und er gehorchte, dem Akademiedrill entsprechend, sofort. Gideon saß schon an den Instrumenten, und ich startete die Motoren. Wir schlüpften aus der Lagune hinaus und gingen auf Tiefe. Hoffnung hatten wir keine, daß wir entkommen konnten. Sie hatten uns gesehen und waren zu allem entschlossen. Wir konnten nur noch fliehen, mehr nicht.

So schnell es ging und die Maschinen es erlaubten, stiegen wir hinab in die pazifischen Tiefen. Minutenlang gingen wir immer tiefer. Auf dem Schirm beobachteten wir die Spur des Verfolgers. Sie holten nicht erkennbar auf, aber ich wußte genau, daß unser Glück einmal ein Ende haben würde. Unser kleiner Seewagen hatte eine ungeheure Belastung hinter sich. Es war ja noch primitiv gebaut, und bei der Rettung meines Onkels waren wir sicher bis an die äußerste Grenze seiner Belastbarkeit gegangen. Wenn wir nur soviel Abstand halten konnten, daß wir vor dem Verfolger Thetis oder eine andere Unterwasserstadt erreichten! Dort konnten wir wenigstens hoffen, Sperrys Schergen und Ganoven so lange zu entgehen, bis wir einen Beamten fanden, der so hoch über Sperry stand, daß ihn dieser nicht zu bestechen gewagt hatte ...

Das war natürlich aussichtslos. Zur nächsten Stadt brauchten wir einige Stunden. Und bei unserer Geschwindigkeit mußten wir mit einem baldigen Zusammenbruch unserer Energievorräte rechnen.

»Geh tief hinab«, sagte mein Onkel. »Vielleicht können wir sie bluffen.«

Ich blinzelte ihn an und schöpfte wieder Hoffnung. »Bluff? Onkel, das ist kein Bluff. Du hast recht. Auf die Art können wir ihnen ewig auskommen. Wir gehen auf den Grund der Eden Tiefen, und da erreichen sie uns nie. Wir können . . .«

»Nein, Jim.« Er schüttelte den Kopf. »Selbst am Grund der Eden Tiefen kommen wir ihnen nicht aus. Sie kreisen nur über uns und warten. Wenn wir auftauchen, und das müssen wir einmal, sind sie da. Aber es ist noch viel schlimmer. Schau.«

Er deutete auf ein Schott. Ich verstand nicht gleich.

Gideon tat es. »Das ist ein Leck«, sagte er düster.

Stewart Eden nickte. »Das ist ein Leck, und wir sind etwa tausend Faden tief. Hätten wir meinen eigenen Wagen statt diesem ... Aber wir haben ihn nicht und können deshalb nie auf den Boden der Eden Tiefen gehen, mein Junge. Wir können nur hoffen. Sperry zu überreden, sonst. . .«

Es war ein verzweifeltes Spiel, doch es mußte gewagt werden.

Hallam Sperry hatte nun alle Trümpfe in der Hand. Wir wandten uns von dem winzigen Leck ab und schauten auf den Mikrosonarschirm, auf dem der kleine Lichtpunkt unseres Verfolgers langsam näherrückte. Es war hoffnungslos.

Einen Augenblick lang glaubten wir eine Chance zu haben. Der Lichtpunkt stieg hinauf zu Fisherman's Island. Ich dachte: jetzt haben sie uns verloren. Oder sie glauben, wir seien noch auf der Insel.

Ich wußte jedoch gleich selbst, daß dies nicht stimmte. Nur einen Augenblick lang zögerte der Lichtpunkt, dann glitt er an einem Unterwasserberg entlang und war auf unserer Spur.

Hallam Sperry hatte nur solange angehalten, daß er seinen Sohn abholen konnte. Das hatte ihn nur Minuten gekostet, und weitere Verzögerungen würde es nicht geben.

Nach einer Stunde hatten wir das Ende vor uns.

Mein Onkel Stewart war auf den Füßen, und in seiner leisen, heiser flüsternden Stimme klang kalte Wut mit. »Ihr verdammten Seebanditen! Ihr miserablen Kinder aller Teufelsfische! Ah, Hallam Sperry, wie es mich gelüsten würde, dich den verdienten Weg gehen zu sehen! Dem Tod kann ich entgegensehen, aber daß solche wie du die Welt regieren — das tut weh.«

»Mr. Eden, setzen Sie sich hin und ruhen Sie aus«, redete ihm Gideon zu. »Sie erschöpfen sich damit ja nur.«

»Mich erschöpfen! Ich erschöpfe diesen Sperry, wenn ich ihn je in die Finger bekomme, Jim.«

»Jawohl, Sir«, antwortete ich automatisch.

»Jim, ich habe dir versprochen, du darfst auf Tausenddollarnoten Spazierengehen, und jetzt kann ich mein Versprechen nicht halten. Es tut mir leid, Junge. Jetzt kann ich dir nur das Grab eines Tiefseemannes versprechen.«

»Das ist gut genug für mich, Onkel Stewart«, antwortete ich. »Aber ich würde es sehr hassen, wenn Hallam Sperry die Kontrolle über die Eden Tiefen bekäme.«

Um Stewart Edens Lippen lag wieder das alte, kämpferische Lächeln. ,,Junge, wenn das alles ist, was dich stört«, sagte er mit seiner Wisperstimme, in der das alte Lachen war, »das können wir erledigen. Eskow, können Sie Thetis auf den Kommunikator kriegen?«

»Ja, Sir. Aber sie können uns nicht mehr rechtzeitig erreichen.«

»Natürlich nicht. Holen Sie Thetis jedenfalls herein, mehr will ich nicht.« Bob tat es, und mein Onkel schrieb sorgfältig eine lange Mitteilung auf den Rücken einer Karte der Eden Tiefen.

Es dauerte lange Minuten; der Lichtpunkt kam immer näher. Aber endlich hob Bob den Kopf. »Kontakt mit Thetis hergestellt, Sir!« meldete er.

»Gut. Hier ist die Mitteilung«, antwortete mein Onkel lachend.

Bob nahm sie und las die erste Zeile. »Da ist aber keine Adresse vermerkt, Sir. An wen soll sie gehen?«

»An alle, die daran interessiert sind, Junge! Nicht warten. Die Mitteilung muß herausgegangen sein, ehe Hallam Sperry uns einholt. Ein kleiner Rammstoß seines Wagens, und wir gehen auf wie eine Auster.«

Bob sah bestürzt drein, doch als er weiterlas, schaute er erst ungläubig drein, dann grinste er breit. »Aye, aye, Sir«, sagte er fröhlich und beugte sich über das Gerät.

Ich schaute ihm über die Schulter und las folgende Mitteilung:

An alle, die es angeht:

Hier spricht Stewart Eden. Wir werden verfolgt und in Kürze gerammt und versenkt werden von einem Seewagen, der entweder von Hallam Sperry befehligt wird oder in seinem Auftrag handelt. Hallam Sperry war der Komplize, als mein Ver-suchs-Tiefsee-Wagen demoliert wurde, während ich mich in den Eden Tiefen befand. Sperry ist nun im Besitz eines von zwei eodstierenden Modellen, die mit einer neuen Form der Edenit-Beschichtung versehen sind. Diese Beschichtung macht es möglich, jede Wassertiefe, die es auf Erden gibt, aufzusuchen. Mit dieser Beschichtung wird es auch möglich sein, die riesigen Unranerzfelder am Grund der Eden Tiefen ab-zubauen. Ich, Stewart Eden, übertrage hiermit alle Titel und Rechte an der Herstellung dieser neuen Beschichtung der ganzen Welt, für immer und unwiderruflich. Die Herstellung- formel ist wie folgt: Ein Generator, der ein K-87Magnetstriktionsjels erzeugen kann, wird in Reihen verbunden mit. . .

Der Rest war Technik, die Wirkung offensichtlich: Mein Onkel Stewart hatte Hallam Sperry seines Super-Edenits beraubt und es gleichzeitig der ganzen Welt vermacht! Die Milliarden, die dieses Verfahren ihm eingebracht hätte, konnte Hallam Sperry jetzt abschreiben. Vielleicht hatten wir damit auch unser Leben verspielt, aber Hallam Sperry konnte die Eden Tiefen nicht mehr zu seinem eigenen Profit ausbeuten!

Загрузка...