4

Sein Traum war nicht so angenehm gewesen wie das Dahindämmern in halbwachem Zustand, aber er konnte sich keiner Einzelheiten entsinnen. Er öffnete die Augen und schloß sie sofort wieder – eine gleißende Sonne blendete ihn. Er versuchte den Kopf abzuwenden, aber das gelang ebensowenig wie das letzte Mal. Nach und nach erprobte er seine Muskeln – der Erfolg war nicht ermutigend. Die Zehen und die Finger – das war alles, was seinem Willen gehorchte. Und die Augen.

Atmete er? Er spürte nichts davon. Es war, als wäre sein Brustkasten erstarrt. Und dennoch erstickte er nicht. Es war unerklärlich.

Er bewegte die Finger und die Zehen, krümmte sie, streckte sie. Zuerst ging es nur millimeterweise, allmählich aber gewann er die Herrschaft darüber.

Er versuchte sich ein Bild zu machen, welche Stellung er einnahm... Er schien zu liegen. Von seinem Leib spürte er nichts, aber die Beine waren ausgestreckt. Auch die Arme empfand er als gestreckt, und zwar weit ausgebreitet, wie gekreuzigt.

Er setzte das Spiel mit Fingern und Zehen fort, und endlich stieß die Kuppe seines rechten Mittelfingers auf Widerstand ... sie berührte etwas. Heftiger mühte er sich darum, die Finger durchzukrümmen, und dann lagen auch der Zeige- und der Ringfinger auf etwas Hartem, das aber ein Stück weiter zurücklag als der Widerstand am Mittelfinger. Auch dieser Gegenstand war hart, aber er gab nach... Etwas schnarrte leise.

»Sie sind wach«, sagte eine Stimme. »Das hat lange gedauert...«

Sprechen, fiel ihm ein ... kann ich sprechen?

»Bleiben Sie ruhig! Es kommt alles wieder in Ordnung.« Die Stimme war sanft und angenehm anzuhören. Sie sollte weitersprechen!

»Mit jedem Tag werden Sie sich besser fühlen. Der Doktor wird gleich nach Ihnen sehen!«

Er war in einem Spital. Jetzt wußte er es. Ein Spital? Er war krank. Oder verwundet. Was war mit ihm geschehen?

»Versuchen Sie nicht zu sprechen! Bald wird es von selbst gehen. Sie brauchen nichts zu sagen. Zwinkern Sie mit den Augen, wenn Sie mich verstehen!«

Er senkte kurz die Augenlider. Er hatte verstanden.

»Fühlen Sie sich gut? Oder brauchen Sie etwas? Haben Sie Schmerzen?«

Er hatte keine Schmerzen.

»Sie können ja gar keine Schmerzen haben«, sagte die Stimme. »Dr. Myer macht das schon.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Ich bin Schwester Christine. Alle nennen mich Chris. Wenn Sie etwas brauchen, drücken Sie wieder den Knopf. Ich bin allein für Sie da.«

Kurz erschien ein Gesicht in seinem Blickfeld. Braune Augen, eine gesunde, leicht gebräunte, an den Wangen rosa schimmernde Haut, ein fraulicher Mund, eine Welle blonder Haare, unter einem Häubchen hervorquellend. Das Gesicht verschwand. Es rasselte leise. Stille – leises Summen und stetige leise Pfiffe.

Chris. Sie war für ihn da. Ganz stark fühlte er wieder die Zufriedenheit, die seine Umgebung in ihm aufkeimen ließ.

Er war krank. Nun gut – es war nicht zu ändern. Er würde wieder gesund werden. Er hatte es sich nicht gewünscht, aber wenn er gewußt hätte, wie es war, hätte er es sich gewünscht. Jetzt erst konnte er die Männer verstehen, die absichtlich eine Prise eines radioaktiven Aerosols einatmeten oder ihre Haut mit Phosphor bestrichen und anzündeten. Aber was er bisher von den Lazaretten gehört und gesehen hatte, vertrug sich nicht mit dem, was er jetzt erlebte. Ja, wenn er ein Staatsmann oder ein General gewesen wäre! Doch er war nur Leutnant – Leutnant der Reserve – und präsentierte keineswegs einen besonderen Wert. In dieser Zeit, in der Tausende in Sekunden zerrissen, zerstäubten, verglühten, kam es doch auf einen nicht an. Irgend etwas Unerklärliches mußte sich ereignet haben – während er bewußtlos dagelegen hatte. Aber es konnte nichts Böses gewesen sein – da man ihn, einen unbedeutenden Mann, so verschwenderisch betreute.

Er dachte an Chris. Einige freundliche Worte. Ein nettes Gesicht. Es war schön, so jemand um sich zu haben. Er hatte viele Bekannte und auch einige Freunde, aber niemand stand ihm im Moment so nahe wie Chris. Er malte sich aus, welche Figur sie haben müßte, wie sie sich bewegte. Er stellte sich vor, wie er sich mit ihr unterhielt. Der Wunsch zu sprechen wurde stärker. Er war sehr müde, er mußte schlafen. Er fühlte, wie ihn die Müdigkeit übermannte, aber bevor er einschlummerte, nahm er sich vor, wieder sprechen zu lernen...

Er mußte schon eine Weile wach gelegen sein, als ihm das in den letzten Stunden Erlebte in den Sinn kam und ihm dadurch die Gegenwart bewußt wurde. Dann entsann er sich der Krankenschwester und seines Wunsches, sprechen zu können. Seine Hoffnung flackerte hell auf, als er sogleich die Zunge und die Lippen bewegen konnte. Aber seinem Mund entsprang kein Ton. Irgend etwas fehlte noch, und er analysierte das, was sich so einfach sprechen nennt, zergliederte es in Funktionselemente, um ihm auf die Spur zu kommen, und dann merkte er, daß ihm die Luft fehlte. Er hatte keine Luft, um sie über die Stimmbänder gleiten und in der Mundhöhle schwingen zu lassen. Er konnte nicht Atem holen und nicht ausatmen. Seine Nasenflügel ließen sich blähen, aber seine Lungen nicht. Etwas war mit ihm noch nicht in Ordnung.

Er dachte darüber nach und übte inzwischen die Mundbewegungen. Er befahl ›a‹, und seine Lippen öffneten sich zu einem Kreis, er befahl ›e‹, und sie zogen sich etwas zusammen, während sich ihnen die Zunge entgegenhob... Er ging zuerst die Vokale durch und dann die Konsonanten. Wenn er es gefunden hatte – das, was er tun mußte, um Luft zu holen –, dann wollte er sofort sprechen können. Er hatte keine Angst – ihm konnte nichts Schlimmes widerfahren sein –, sonst hätte man ihn nicht unter die Behandlungswürdigen eingereiht. Vielleicht eine kleine Lähmung, die sich bald gab...

Er übte weiter und kam darauf, daß zu jedem Buchstaben eine ganz bestimmte Mund- und Zungenstellung gehörte. Es war wie ein verschlüsseltes Alphabet. Ob man es verstehen konnte? Natürlich konnte man es verstehen – daß er nicht schon längst darauf gekommen war! Schnell tastete er mit den Fingern nach dem Druckknopf.

»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Chris, und ihr Gesicht beugte sich über ihn. Seine Lippen formten die Worte:

»Verstehen Sie mich?«

Ihre Augen blickten besorgt.

»Bemühen Sie sich nicht zu sprechen – es geht noch nicht«, sagte sie.

Ich will nicht sprechen, nicht normal sprechen, dachte er, aber sie muß doch auch so verstehen... Er begann noch einmal.

»Verstehen Sie mich?«

Der besorgte Ausdruck ihrer Augen verschwand plötzlich – es war nur noch wache Aufmerksamkeit darin, sie verfolgte gespannt die Lippenbewegungen. Dann sagte sie:

»Ja, ich kann verstehen. Ich kann es ablesen.«

Er schloß einen Augenblick tief befriedigt die Augen. Dann fragte er auf seine stumme Weise:

»Wo bin ich? Was ist geschehen?«

Sie verstand sofort.

»Ich werde Ihnen alles genau erzählen«, antwortete sie. »Aber Sie müssen noch etwas Geduld haben. Es strengt Sie zu sehr an. Ich verspreche Ihnen, daß ich alles erzählen werde.« Sie hielt einen Moment inne, ihre Augen blickten jetzt an ihm vorbei, als koste es ihre ganze Konzentration, ihre Gedanken von irgend etwas abzuhalten. »Sie müssen jetzt ganz ruhig sein.«

Er spürte, wie müde er schon wieder war. Mit letzter Kraft formte er die Worte:

»Bleiben Sie noch bei mir, bitte.«

»Ich bleibe noch«, versprach sie. Ihr Gesicht verschwand aus seinem Blickfeld, und er wußte nicht genau, ob es nur deshalb war, weil ihm die Augen zufielen.

»Ich setze mich hierher«, sagte das Mädchen. »Ich bleibe bei Ihnen, bis Sie fest schlafen.«

Chris war nicht mehr da, als er aufwachte. Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber er fühlte sich angenehm gestärkt. Am liebsten hätte er gleich wieder den Knopf gedrückt, aber er bezwang sich. Statt dessen probierte er, ob seine Körperbeherrschung Fortschritte gemacht hatte. Finger und Zehen konnte er schon ordentlich regen, und noch etwas kam hinzu: Seine Nackenmuskeln zuckten, wenn er sie anzuspannen versuchte. Das Zusammenziehen dieser Muskeln – das hätte bedeutet, daß er ein wenig mehr von seinem Krankenzimmer gesehen hätte. Er wußte ja nicht einmal, woher das Licht kam, ob durch ein Fenster oder von einer Lampe. Nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, den Kopf zu heben, glückte ihm unvermutet etwas anderes, an das er nicht gedacht hatte: ihn zu drehen. Zunächst nach der einen Seite, nach links – da standen würfelförmige und zylindrische Apparate oder Behälter, aus denen Leitungen, Drähte und Schläuche auf ihn zuliefen. Er vermochte nicht zu sehen, wohin; dazu reichte der Drehwinkel seines Kopfes noch nicht. Nach einigen Minuten wandte er den Kopf zur anderen Seite, nach rechts. Sein Blick fiel auf eine Art Schaltpult, das schräg neben ihm stand: Verschiedene Skalen waren darin eingelassen, darüber tanzten Zeiger, sprangen Ziffern eines Zählwerks, manchmal einzeln, manchmal rasch hintereinander, und auf mehreren kleinen, kreisrunden Leuchtschirmen schossen und glitten Zacken auf und nieder wie Wellenkämme. Und auch von hier aus liefen ein paar Leitungen auf ihn zu.

Das schnarrende Geräusch war zu hören – im Hintergrund öffnete sich eine Tür.

Chris trat ein, er konnte sie fast ganz sehen; nur die Beine von den Knien abwärts waren ihm noch verborgen. Was er sah, entsprach völlig seinen Vorstellungen – sie war ein frisches, elastisches, gut gebautes Mädchen, keine Schönheit, aber gerade das, was man sich als Krankenschwester wünscht.

»Sie können ja schon lachen«, sagte sie. Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände und drehte ihn sachte geradeaus. »Wir müssen uns rasch fertigmachen, der Chef wird gleich kommen!«

Chris machte sich um ihn herum zu schaffen, er konnte nicht erkennen, was sie tat. Im Moment war er zu ermattet, um den Kopf wieder zur Seite zu drehen. So verfolgte er das, was zufällig innerhalb seines Gesichtskreises vor sich ging – die Hände des Mädchens hielten ein Fläschchen, ein dicker, tropfender Wattebausch hing an einer Art Zange; ein Schälchen fing die Tropfen auf, zwei Hände streiften Gummihandschuhe über, aus einer Tube glitt ein Stück Paste, ein Spachtel verrieb es auf einem löffelähnlichen Gegenstand. Dann sah er eine Weile nichts, nur an seinen Beinen spürte er gelegentlich einen leisen Ruck. Von Zeit zu Zeit klirrte etwas leise.

Er hätte gern einen Spiegel gehabt. Wie mochte sein Gesicht aussehen? Wie mochte sein Körper aussehen – ob er doch ärger zugerichtet war, als es die Vorschriften über die Behandlungswürdigkeit eigentlich zuließen? In den letzten Kriegstagen mit ihren unzähligen Verwundeten war sie rasch auf die Kategorie D, auf die ›mit felddienstmäßigen Mitteln Kurierbaren‹ beschränkt worden. Aber da hätte er doch längst wiederhergestellt sein müssen...

Sein Blick hing an den glänzenden Metallteilen der Decke, und erst als er darin eine gespiegelte Bewegung der arbeitenden Schwester sah, kam er auf die Möglichkeit, die sie ihm boten. Es waren Spiegel, wenn auch gekrümmte, verzerrende Spiegel, so doch solche, die etwas von dem wiedergaben, das unter ihnen lag. Er suchte die größte und glatteste Fläche aus poliertem Metall – es war eine Art Griff in der Mitte des kreisförmigen Gegenstandes oberhalb seines Gesichts, der ihm wie eine Lampe vorkam. Mühsam suchte er die Flecken von Licht und Dunkel, in die sich der Silberglanz schied, zu entschlüsseln, zu erkennen, was Gerät, was Zimmer und was er war. Es war ein ganz kleines, ein winziges Bild, und es war stark verzerrt. Alles, was er sah und verstand, war sein Kopf und die Arme – sie lagen wirklich seitwärts gestreckt, wie er es empfunden hatte. Sein übriger Körper war unter einer Art Glasdach verborgen, aus dem viele Leitungen herauskamen und zur Apparatur links neben ihm führten. Was unter der Glasplatte steckte, vermochte er nicht auszunehmen, es war zu dunkel verschattet.

Was ist mit mir, wollte er fragen, aber er brachte keinen Laut heraus. Er konnte nicht sprechen – jetzt fiel es ihm wieder ein. Er formte die Worte mit dem Mund: »Was ist mit mir?«, aber das Mädchen hörte dieses lautlose Fragen nicht.

»Was ist mit mir?«

Wieder und wieder buchstabierte er vergeblich. Er nahm alle Kraft zusammen und warf den Kopf ruckartig nach rechts ... aber die Schwester befand sich wohl eben zu seinen Füßen, und er sah sie nicht, und sie sah ihn nicht. Statt dessen blickte er ohne Verständnis auf einen der Leuchtschirme am Pult, auf dem jetzt kleine Spitzen wie bei einem zwerghaften Raketenfeuerwerk emporschossen, oben angekommen einen Moment verharrten und dann giftgrün verglommen.

Er schloß die Augen.

»Schwester, der Patient ist unruhig!« sagte eine Männerstimme.

Mühsam hob er die Lider, direkt vor ihm schwebte eine Hand, und ein ausgestreckter Zeigefinger wies auf die Mattglasscheibe mit den emporsteigenden funkelnden Spitzen.

Die Stimme von Chris erscholl:

»Es ist alles normal, Herr Oberarzt.«

Jetzt konnte er den Mann sehen. Er hatte einen weißen Ärztemantel an. Er war hochgewachsen und hielt sich aufrecht. Das Gesicht war streng und nicht mehr jung, doch aus den Zügen sprach deutliches Wohlwollen, als er sich hinabbeugte und seinen Patienten musterte.

»Ganz gut sehen Sie aus, Phil Abelsen«, sagte er. »Keine Sorge, wir flicken Sie wieder zusammen. Wie fühlen Sie sich, mein Junge?« Zur Schwester gewandt, fragte er: »Hat er schon auf Worte reagiert?«

»Er hat mit den Lippen Sprechbewegungen gemacht; ich konnte sie ablesen.«

Dr. Myers Hand erschien vor dem rechten Auge Phils und zog ihm die Lider auseinander. Eine Taschenlampe blinkte auf und blendete, doch die Finger des Arztes ließen nicht zu, daß sich das Auge schloß.

»Pupillenreaktion merklich verstärkt«, sagte der Arzt. »Wir können das Tetralin langsam absetzen.«

Er wandte sich wieder zum Pult.

»Das klappt ja vorzüglich, mein Junge«, sagte er. »Wir haben uns ganz schön Mühe mit Ihnen gegeben. Sie hätten sich sehen sollen – wie Sie ausgesehen haben, als ich Sie aufgelesen habe.«

»Herr Oberarzt«, sagte die Schwester. »Ich habe dem Patienten noch nichts gesagt. Es könnte einen Schock...«

»Nur nicht so zimperlich, Jungfrau«, sagte der Arzt und sah das Mädchen auf eine eigenartig ungenierte Art an, gegen die sich sofort etwas in Phil sträubte.

»Sie waren zerfetzt wie ein Ochse nach dem Schlachten«, fuhr der Arzt fort. »Der Brocken muß Ihnen genau in die Brust geschlagen sein – es war nicht mehr viel übrig davon, gerade, daß der Kopf noch an der Wirbelsäule hing. Ich habe schon vielen den Pelz zusammengeflickt, aber Sie sind mein Meisterstück. Das Herz verschwunden – einfach nicht mehr da, die Lunge zerfetzt, nicht zu reden von Speiseröhre, Zwerchfell, Magen und den anderen nützlichen Dingen. Ausgeblutet, ausgequetscht wie eine Zitrone. Was an Haut noch vorhanden war, zerschunden, aufgeplatzt, versengt, erfroren – je nachdem. Aber keine Bange. Ich habe Sie durchgebracht, aus der Gefahr sind Sie längst heraus. Was jetzt noch fehlt, ist Routinesache. Glauben Sie mir? Haben Sie verstanden?«

Phil nickte.

»Gut so«, sagte der Oberarzt. »Nach und nach bringe ich Sie wieder in Schuß. Wollen Sie Ihren Korpus mal sehen?«

Er wartete die Antwort nicht ab. Seine linke Hand hob den Kopf des Patienten, die rechte unterstrich die Erklärungen. Im Hintergrund sah Phil das Mädchen stehen. Vor ihm, über seinem Körper, lag das Glasdach. Es bedeckte eine Art Wanne, die mit einer leicht trüben Flüssigkeit gefüllt war. In dieser Flüssigkeit lag er selbst – sein Körper.

»Alle wesentlichen Adern haben wir an das künstliche Herz angeschlossen. Sehen Sie – hier ist es, diese Pumpe.« Er deutete auf den Kolben, der in ständig gleichem Takt hin- und herfuhr. »Auch die Funktion der Lunge erfüllt eine elektrisch betriebene Pumpvorrichtung – es ist dieses Ding, das wie ein Blasebalg aussieht. Der kleine Blutkreislauf, der von der rechten Kammer in die Lunge und von dieser in die linke Vorkammer führt, geht natürlich ganz außerhalb vonstatten. Das alles, was Sie hier sehen«, er deutete auf das Pult an Phils rechter und auf die Behälter an Phils linker Seite, »das alles gehört jetzt zu Ihnen, es ist ein Teil Ihres Körpers. Übrigens funktioniert er präziser als das organische Material.«

Er lachte leise und fuhr fort:

»Ich könnte Sie Ihr ganzes Leben an dieser Maschinerie hängen lassen. Aber ich weiß ganz genau, daß diese Aussicht nicht sehr erfreulich klingt; Sie brauchen keine Sorge zu haben. Es gibt genug konservierte Organe – dafür hat der Krieg gesorgt. In den nächsten Tagen setze ich Ihnen eine vollständige Ausrüstung ein. Ein starkes Herz, wahrscheinlich ein besseres als Ihr altes. Und eine gute Lunge. Ich habe sie heute ausgesucht, sie sind schon aufgetaut und liegen in der Nährlösung. Vor einer Stunde habe ich das Herz für kurze Zeit probeweise zum Schlagen gebracht. Das ist sehr eindrucksvoll – monatelang, vielleicht jahrelang war es tot, und dann jagen Sie einen Stromimpuls hindurch, und es wird wieder lebendig.«

Er ließ den Kopf des Kranken hinuntersinken. Phil hatte die Augen geschlossen.

»Sie sind ein kräftiger Mann, Abelsen, und können schon einen Puff vertragen«, sagte der Arzt. »Ich bin für Offenheit und Wahrheit – deshalb habe ich Ihnen nichts verschwiegen. Der moderne Arzt kommt dem Patienten oft wie ein Ingenieur vor, der fortschrittsbegeistert an seinem Material herumexperimentiert und der sich von verblendetem Ehrgeiz leiten läßt, immer kränkere und funktionsunfähigere Menschen durch allerlei Tricks am Leben zu erhalten, ganz gleich, ob dieses Leben noch menschenwürdig ist oder nicht. So bin ich nicht. Mir geht es um den Menschen in seiner natürlichen Form und Handlungsfreiheit. Mir geht es darum, das Höchste und Wertvollste des Menschengeschlechts zu erhalten. Ich sage Ihnen ganz offen – ich hätte Sie nicht behandelt, wenn ich Sie nicht vollständig wiederherstellen könnte.«

Seine Hand lag auf einem Regelknopf, er beobachtete einen Zeiger, als er den Knopf ein wenig drehte.

»Ich habe dafür gesorgt, daß Sie sich wohl fühlen. Wir verfügen heute über chemische Mittel, mit denen wir alle Gefühlseindrücke, gleichgültig ob körperliche oder emotionelle, fast beliebig steuern können. Sie haben also nichts zu befürchten, keine Angst und keinen Schmerz. Und ich verspreche Ihnen nochmals – Sie werden wieder ein vollgültiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft sein.«

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