Margery versuchte den Hörer auf die Gabel zurückzulegen, aber das Telefon schrillte sofort wieder. Sie hob den Hörer ab und sagte: »Lassen Sie uns endlich in Ruhe! Wir brauchen nichts!« Blitzschnell warf sie den Hörer auf die Gabel, um die Verbindung zu unterbrechen, dann nahm sie ihn wieder ab.
In diesem Augenblick läutete die Türglocke.
»Jetzt bin ich dran«, sagte ich und legte die Zeitung beiseite. Es sah so aus, als würde ich nie herausfinden, wie es gerade in der Nationalliga stand. Es war der Streifenpolizist Gamelsfelder.
»Ein Mann will Sie sprechen, Mr. Binns. Er sagt, es sei sehr wichtig.« Er schwitzte - ich sah die dunklen Flecken auf seinem Hemd. Ich wußte, was er dachte. Wir hatten eine Klimaanlage und Geld, und er riskierte für ein lausiges Polizistengehalt jeden Tag sein Leben, und was war das überhaupt für ein Land? An diesem Nachmittag hätte er mir das wohl gern gesagt.
»Für ihn mag es vielleicht wichtig sein, aber ich will niemanden sehen. Tut mir leid, Officer.« Ich schloß die Tür.
»Hilfst du mir das Baby wickeln?« fragte Margery.
»Mit Vergnügen, Liebling«, sagte ich fröhlich. Es bereitete mir wirklich Vergnügen - abgesehen davon war es sehr diplomatisch, das zu sagen, denn sie stand kurz vor dem Explodieren. Und außerdem machte ich es gern, weil ich irgend etwas selbst tun und eine nette, einfache Aufgabe erfüllen wollte, zum Beispiel einen Einjährigen mit einem Knie festzuhalten, das ich ihm auf die Brust drückte, während jemand anders seine Füße umklammerte und die Windel in die richtige Position brachte. Es war natürlich sehr nett von Onkel Otto gewesen, mir das Geld zu hinterlassen, aber hatten sie das unbedingt in der Zeitung erwähnen müssen?
Die Türglocke läutete gerade, als ich das Baby anzog. Margery war oben bei Gwennie, die aus Leibeskräften schrie, weil sie einen aufregenden Tag erlebt hatte und weil sie immer schrie, und so stellte ich den Kleinen auf seine fetten Beinchen und machte die Tür auf. Es war schon wieder der Polizist. »Ein paar Telegramme für Sie, Mr. Binns. Ich wollte nicht, daß der Junge sie abliefert.«
»Danke.« Ich warf sie in die Schublade des Telefontischchens. Was hätte es für einen Sinn, sie zu öffnen? Sie stammten von Leuten, die von Onkel Otto und dem Geld gehört hatten und mir was verkaufen wollten.
»Der Bursche ist immer noch da«, sagte Streifenpolizist Gamelsfelder mürrisch. »Ich glaube, es geht ihm schlecht.«
»Wie bedauerlich!« Ich versuchte die Tür zu schließen.
»Und er hat gesagt, ich soll Cuddles sagen, daß Tinker hier ist.«
Ich hielt mich an der Tür fest. »Cud.«
»Das hat er gesagt.« Gamelsfelder sah, daß er mich damit aus der Fassung gebracht hatte, und das gefiel ihm offenbar, denn er lächelte zum erstenmal.
»Wie - wie heißt er?«
»Winston McNeely McGhee«, sagte Officer Gamelsfelder strahlend. »Jedenfalls hat er mir das erzählt, Mr. Binns.«
»Schicken Sie diesen Hurensohn - eh - schicken Sie den Mann herein«, trug ich ihm auf und machte einen Satz, um das Baby von dem Aschenbecher wegzuzerren, in den Margery eine brennende Zigarette gelegt hatte. Winnie McGhee - das genügte, um mir den Tag restlos zu verderben.
Er kam herein und hielt sich den Kopf, als würde der tausend pfund wiegen. Er hatte noch nie gesund ausgesehen, nicht einmal damals, als Margery mich vor dem Altar hatte stehen lassen, um mit ihm durchzubrennen. Es lag an seinem sanften, poetischen Charme, und vielleicht hatte er den immer noch. Jedenfalls sah er wirklich krank aus - so als würde er nur hundert Pfund wiegen, den Kopf nicht mitgerechnet. Der Kopf sah wie ein Ballon aus. »Hallo«, stöhnte er. »Hast du eine Acetylsalicylsäuretablette?«
»Was?« fragte ich. Aber er fand keine Gelegenheit, mir sofort zu antworten, denn in diesem Augenblick raschelte und scharrte es in der Mansarde, und Margerys Kopf tauchte über dem Treppengeländer auf.
»Ich dachte.«, begann sie aufgeregt, und dann sah sie, daß ihre wildesten Vermutungen zutrafen. »Du!« In panischer Hast strich sie mit einer Hand ihr Haar glatt und mit der anderen die Bermudashorts und versuchte gleichzeitig, ohne die Hilfe ihrer Hände, die schäbige Küchenschürze abzuschütteln, die für mich gut genug gewesen war.
McGhee sagte mit schwacher Stimme: »Hallo. Bitte - hast du keine Acetylsalicylsäuretablette?«
»Ich weiß nicht, was das ist«, erwiderte ich schlicht.
Margery kicherte wehmütig. »O Harlan - Harlan.«, sagte sie mit zärtlicher Toleranz und strahlte mich liebevoll an, als sie die Treppe herabkam. Es hätte genügt, um einer Katze den Magen umzudrehen. »Winnie, du vergißt, daß Harlan nichts von Chemie versteht. Würdest du ihm eine Aspirintablette geben, Harlan? Das ist alles, was er will.«
»Danke«, sagte Winnie mit einem erleichterten Seufzer und massierte seine Schläfen.
Ich holte ihm ein Aspirin. Ich hatte mir noch überlegt, ob ich ein bißchen Gift in das Wasserglas schütten sollte, das ich ebenfalls geholt hatte, aber ich fand nichts Passendes im Apothekenkästchen, und außerdem war so was verboten. Ich gebe unumwunden zu, daß mir Winnie McGhee schon immer unsympathisch gewesen war, und das nicht nur, weil er mir die Braut weggeschnappt hatte. Margery war nach sechs Monaten zur Vernunft gekommen, und als sie bei mir aufgetaucht war, mit einer Scheidungsurkunde in der Tasche und von echter Reue erfüllt. Nun, ich habe es nie bedauert, daß ich sie geheiratet habe. Oder zumindest nicht sehr. Aber man kann nicht von mir erwarten, daß ich McGhee mag. Beim Himmel, selbst wenn ich den Mann nie zuvor gesehen hätte, würde ich ihn auf Anhieb hassen, weil er wie ein Poet aussieht und wie ein Wissenschaftler redet und sich wie ein Trottel benimmt.
Ich ging ins Wohnzimmer zurück und brüllte: »Das Baby!«
Margery wandte sich von ihrem Exgatten ab, den sie gerade betörend angelächelt hatte, und stürzte zum Hundenapf. Sie entriß dem Baby den Napf, aber der war nicht mehr ganz voll. Nun versuchte sie dem Kleinen eine ganze Menge Hundebiskuits aus dem Mund zu ziehen, und natürlich kannte er Mittel und Wege, um sich dagegen zu wehren.
»Der beißt!« schrie sie, zog ihren Finger aus dem Mund des Babys und steckte ihn in den eigenen. Dann lächelte sie sanft. »Ist er nicht süß, Winnie? Die Nase hat er natürlich vom Daddy. Aber findest du nicht, daß er meine Augen hat?«
»Bald wird er auch deine Finger haben, wenn du sie ihm immer wieder zwischen die Zähne steckst«, meinte ich.
»Das ist ganz normal«, sagte Winnie. »Immerhin, wenn vierundzwanzig gepaarte Chromosomen den Gamet bilden, ist es offensichtlich, daß die Möglichkeit, von einem Elternteil nichts zu erben, also ganz genauso zu sein wie der andere, nur eine Chance von eins zu 8 388 608 hat. Oh, mein Kopf!«
Margery sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Was?«
Er tönte wie ein aufgedrehtes Grammophon. »Dabei ist die spontane Mutation noch nicht berücksichtigt«, fügte er hinzu. »Oder die induzierte Mutation. Und wenn man die Umweltfaktoren im Uterus in Betracht zieht - also diverse Antibiotika, die Radiation der Nuklearwaffen, Diäteinflüsse et cetera - ja, die Wahrscheinlichkeit einer induzierten Mutation ist ziemlich hoch. Ja, vielleicht von der Größenordnung.«
»Hier ist dein Aspirin«, unterbrach ich ihn. »Und jetzt sag, was du willst.«
»Harlan!« rief Margery warnend.
»Ich meine - nun, was willst du?«
Er stützte den Kopf in die Hände. »Ich möchte, daß ihr mir helft, die Welt zu erobern«, sagte er.
Klirr! »Hol einen Lappen!« befahl Margery. Das Baby hatte gerade den Wassernapf des Hundes umgeworfen. Sie starrte mich an und lächelte Winnie zu. »Komm«, schmeichelte sie, »nimm dieses hübsche kleine Aspirin. Über deine Weltreise reden wir später.«
Aber das hatte er nicht gemeint.
Er wollte die Welt erobern. Ich hatte es ganz deutlich gehört. Ich ging hinaus, um den Lappen zu holen, denn das war eine ebenso gute Methode wie jede andere, um in Ruhe zu überlegen, was man gegen Winston McNeely McGhee tun könnte. Ich meine - was sollte ich denn mit der Welt anfangen? Onkel Otto hatte mir bereits die Welt vererbt, zumindest einen beträchtlichen Teil davon - auf jeden Fall ganz sicher mehr, als ich je erhofft hatte.
Als ich zurückkam, taumelte Winnie im Zimmer herum, in respektvoller Distanz gefolgt von meiner Frau, die das Baby auf dem Arm hielt. Sie fragte den künftigen Eroberer der Welt: »Wie hast du denn von Harlans Glü. Ich meine, wie hast du vom tragischen Tod seines lieben Onkels erfahren?«
»Ich habe es in der Zeitung gelesen«, stöhnte er.
»Es war am besten so«, sagte Margery in philosophischem Ton und zupfte feuchte Graham-Kräcker-Krümel aus dem Ohr des Babys. »Der liebe Otto hatte ein reiches, erfülltes Leben. Denk nur an all die Jahre im Yemen! Und die enorme Befriedigung, die es ihm gegeben haben muß, für den Bau der größten Pipeline westlich von Suez verantwortlich zu sein!«
»Östlich, meine Liebe. Das Königreich Mutawakelite liegt südlich von Saudiarabien.«
Sie sah ihn nachdenklich an, und dann sagte sie: »Winnie, du hast dich verändert.«
Das stimmte. Aber sie hatte sich auch verändert. Diese Heuchelei sah Margery gar nicht ähnlich. Daß sie mit ihrem Exgatten flirtete, konnte ich noch verstehen - das war nicht so schlimm. Sie wollte dem armen Kerl nur zeigen, daß sie jetzt ein viel schöneres Leben führte, als ihr das an seiner Seite jemals gelungen wäre. Aber den tragischen Tod meines lieben Onkels hatte sie keine Sekunde lang betrauert. Ich übrigens auch nicht. Es ist eine ganz simple Tatsache, daß sie bis zu dem Augenblick, als der Mann von Associated Press anrief, gar nichts von Onkel Ottos Existenz gewußt hatte. Ich selber hatte ihn so gut wie vergessen. Otto war der Bruder meiner Mutter gewesen, und ihre Familie hatte es vorgezogen, nicht von ihm zu sprechen. Wie hätten sie auch ahnen können, daß er der arabischen Halbinsel reiche Öl- und Goldschätze entreißen würde?
Das Telefon läutete. Winnie hatte den Hörer sorglos auf die Gabel zurückgelegt. »Nein!« schrie Margery, ohne richtig zuzuhören. »Wir wollen keine Uranaktien! Wir haben ganze Schränke voll davon!«
Ich nutzte es aus, daß ihre Aufmerksamkeit gerade abgelenkt war, und sagte zu Winnie: »Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Willst du mir nicht endlich erzählen, was du willst?«
Er setzte sich, stützte den Kopf in die Hände und holte mühsam Atem.
»Es - ist - schwierig.« Er sprach sehr langsam. Jedes Wort kam einzeln über seine Lippen, als müßte er sorgfältig zwischen all den Wörtern wählen, die ihm auf der Zunge lagen. »Ich -habe - etwas - erfunden. Du - verstehst? Und - als - ich -hörte, daß - du - ein Vermögen - geerbt - hast.«
»Da dachtest du, daß du was aus mir herausholen könntest«, unterbrach ich ihn spöttisch.
»Nein!« Er richtete sich abrupt auf- und griff sich stöhnend an den Kopf. »Ich will dir helfen, Geld zu machen - viel Geld.«
»Wir haben ganze Schränke voll Geld«, erwiderte ich sanft.
»Aber ich könnte dir die Welt schenken, Harlan!« rief er verzweifelt. »Hab doch Vertrauen zu mir!«
»Das hatte ich noch nie.«
»Dann vertraue mir jetzt! Du verstehst das nicht, Harlan. Wir können die ganze Welt besitzen, wir beide, wenn du mir nur eine kleine finanzielle Unterstützung zukommen läßt. Ich habe eine Droge entwickelt, die mir meine gesamten Erinnerungen zurückgibt.«
»Wie schön für dich!« sagte ich und griff nach der Türklinke.
Aber dann begann ich nachzudenken.
»Deine gesamten Erinnerungen?« fragte ich.
»Das Aufwallen des Unterbewußten!« rief er, und seine Stimme überschlug sich vor Eifer. »Die Fähigkeit, sich an alles zu erinnern! Die eidetische Erinnerung eines idiotischen Barbaren -und die durchdachten Kenntnisse eines Quiz-Siegers! Willst du wissen, wie die ersten sechs Könige von England geheißen haben? Egbert, Ethelwulf, Ethelbald, Ethelbert, Ethelred und Alfred. Willst du den Brunstschrei eines nordamerikanischen Haselhuhns hören?« Er demonstrierte den Brunstschrei eines nordamerikanischen Haselhuhns.
»Oh!« sagte Margery, die mit dem frischgewickelten Baby ins Zimmer zurückkam. »Du imitierst Vogellaute.«
»Ich kann noch viel mehr!« kreischte Winnie. »Wißt ihr, wann die Vereinigten Staaten zwei Präsidenten hatten?«
»Nein, aber.«
»Am 3. März 1877!« sagte er. »Rutherford B. Hayes - ich sollte ihn wohl besser Rutherford Birchard Hayes nennen - sollte Grants Nachfolger werden, und er wurde einen Tag zu früh vereidigt. Ich müßte jetzt erklären, daß.«
»Nein, erklär es bitte nicht«, unterbrach ich ihn.
»Nun, wie wäre es denn damit - soll ich die A. B. C. BowlingWeltmeister von 1931 bis heute aufsagen? Clack, Nitschke, Hewitt, Vidro, Brokaw, Gagliardi, Anderson - Moment mal, ich habe das Jahr 1936 ausgelassen, das war Warren. Danach kam erst Gagliardi, dann Anderson, Danek . -«
»Hör auf, Winnie, ja?« sagte ich. »Das war ein harter Tag für mich.«
»Aber dies ist der Schlüssel zur Eroberung der Welt!«
»Ha! Du wirst alle Leute zu Tode langweilen mit deinen Bowling-Weltmeistern.«
»Wissen ist Macht, Harlan.« Er gönnte seinem Kopf eine kleine Ruhepause in den Handflächen, dann hob er ihn wieder. »Aber ich kriege einen schrecklichen Brummschädel davon.«
Ich nahm meine Hand von der Klinke.
»Setz dich, Winnie«, sagte ich mürrisch. »Ich gebe zu, daß du mein Interesse geweckt hast. Also, was für einen Schwindel hast du dir da ausgedacht? Ich platze schon vor Neugier.«
»Harlan!« rief Margery warnend.
»Es ist kein Schwindel, das schwöre ich dir«, sagte Winnie. »Stell dir doch vor, was das bedeutet! Wissen ist Macht, Harlan, wie ich bereits betont habe. Mit meinem Supergehirn können wir die Herrscher aller Länder überlisten. Wir können die Welt besitzen. Und - Geld, hast du gesagt? Wissen ist auch Geld. Hast du zum Beispiel.« Er zwinkerte mir zu. »Hast du Probleme mit deiner Steuer? Ich sage dir, in Oosterhagen, 486 Alabama 3309 gibt es eine Gesetzeslücke, durch die du mit einem Panzerwagen fahren kannst.«
Margery setzte sich und steckte eine Zigarette in die lange lange Zigarettenspitze, die ich ihr ein Jahr nach unserer Hochzeit gekauft hatte, um einen Ehestreit zu begraben. Sie sah mich an und dann die Zigarette. Da merkte ich, worauf sie hinauswollte, und raste mit einem brennenden Streichholz zu ihr.
»Danke, Liebling«, sagte sie mit kehliger Stimme.
Sie hatte sich ebenso wie das Baby umgekleidet. Nun trug sie etwas, das besser zur Miterbin eines großen, fetten Geldsacks paßte, der gerade Besuch von ihrem Exgatten hatte. Es war ein Hausmantel aus Goldlamé, den sie eine Stunde nach dem Anruf der Associated Press-Typen gekauft hatte, mit Hilfe eines Kredits, wie wir ihn nie bekommen hätten, bevor die Morgenzeitungen in den Läden rings um Levittown eingetroffen waren.
Und da fiel es mir wieder ein - Geld. Wer brauchte Geld? Was für einen Sinn hatte das ganze Geld, das ich von Onkel Otto geerbt hatte, wenn ich Winnie nicht eins auswischen konnte?
Die Höflichkeit zwang mich, ganz langsam vorzugehen. »Das ist ja alles sehr interessant, Winnie, aber.«
»Harlan, das Baby!« schrie Margery. »Es soll die Finger von den Brezeln lassen!«
Ich zog das Baby vom Brezelkorb weg, und hinter mir sagte Winnie mit schwacher Stimme: »Die Form einer Brezel stellt Kinderhände dar, die im Gebet gefaltet sind - so dachte man im siebenten Jahrhundert. Ein guter Brezelbieger schafft in der Minute fünfunddreißig Stück. Die Maschinen sind natürlich noch schneller.«
Ich sagte: »Winnie.«
»Möchtest du die etymologische Bedeutung des Wortes 'Navy' kennenlernen? Die meisten Leute glauben, daß das was mit Seefahrern zu tun hat.«
»Winnie, hör mal.«
»Aber das stimmt nicht. Das Wort ist auf die Arbeiter auf den Inland Navigation Canals zurückzuführen - im England des achtzehnten Jahrhunderts, weißt du? Nun, die Arbeiter.«
»Winnie, du gehst jetzt!« sagte ich energisch.
»Harlan!«
»Du hältst dich da raus, Margery!« befahl ich ihr. »Winnie ist hinter meinem Geld her, das ist alles. Nun, ich habe es noch nicht so lange, daß ich es schon wegwerfen will. Außerdem - wer will denn schon die ganze Welt beherrschen?«
»Nun ja.«, sagte Margery nachdenklich.
»Wozu brauchen wir denn die Welt - mit all unserem Geld?« rief ich.
Winnie umklammerte seinen Kopf. »Oh!« stöhnte er. »Wart mal, Harlan. Ich brauche nur ein bißchen Geld, das ich einsetzen kann. Ich habe die Langzeitzyklen aller Aktien auf dem Börsenmarkt im Kopf- Splits und Dividenden und Verdienstrekorde seit 1904! Ich kenne die Handsignale aller Privatbörsenmakler - ein Wink nach oben heißt Kaufen, ein Wink nach unten heißt Verkaufen. Schau mal - siehst du, wie meine Finger gebogen sind? Das bedeutet, daß die Spanne zwischen Angebot und Nachfrage drei Achtel vom Punkt beträgt. Gib mir eine Million Dollar, Harlan!«
»Nein.«
»Nur eine Million, mehr will ich ja gar nicht. Die kannst du doch leicht entbehren. Und ich werde sie in einer Woche verdoppeln und in einem Monat vervierfachen - in einem Jahr haben wir eine Billion! Eine Billion Dollar!«
Ich schüttelte den Kopf. »Die Steuer.«
»Denk doch an Oosterhagen!« schrie er. »Und das ist erst der Anfang. Hast du dir schon mal ausgemalt, was ein Supergenie mit einer Billion Dollar anfangen könnte?« Er redete immer schneller, als ob er seinen Wortschwall nicht mehr bremsen könnte. »Hier!« brüllte er, faßte sich mit einer Hand an die Schläfe und zog mit der anderen etwas aus der Tasche. »Schau dir das an, Harlan! Das gehört dir, für eine Million - nein, für hunderttausend Dollar. Ja, hunderttausend Dollar, und du kannst es haben. Für diesen Preis verkaufe ich es, und dann muß ich nicht mehr mit dir teilen. Dann sind wir alle beide Supergenies. Eh? Das ist doch fair, nicht wahr?«
Meine Neugier war stärker als meine Willenskraft. »Was ist das denn?« fragte ich. Er wedelte damit vor meiner Nase herum -mit einer dickbauchigen kleinen Flasche, die halb gefüllt war mit hellen Kapseln.
»Die sind von mir«, sagte er stolz. »Meine Hormone. Das ist ein Synapse-Relaxer. Wenn du eins von den Dingern nimmst, werden die Blöcke zwischen den nebeneinanderliegenden Zellen in deinem Gehirn für eine Stunde geschwächt. Wenn du drei für je zwanzig Pfund deines Körpergewichts schluckst, bist du für dein ganzes Leben ein Supergenie. Du wirst überhaupt nichts mehr vergessen. Du wirst dich an Dinge erinnern, die schon vor Jahren aus deinem Gedächtnis verschwunden sind. Du wirst dich an den Klaps auf dein Hinterteil erinnern, mit dem deine Atmung in Gang gebracht wurde, der Name der Kinderschwester, die dich zur Tür deines Vaters Maxwell trug, wird dir ebenfalls wieder einfallen. O Harlan, es gibt keine Grenzen für.«
»Geh jetzt endlich!« sagte ich und stieß ihn zur Tür.
Streifenpolizist Gamelsfelder erschien wie ein Geist aus der Lampe.
»Das dachte ich mir!« rief er mit finsterer Miene und ging auf Winnie zu. »Erpressung, was? Ich kann nicht behaupten, daß ich Ihnen das übelnehme, Bruder, aber wir müssen trotzdem auf die Station gehen und uns mit dem Sergeanten unterhalten.«
»Endlich bin ich ihn los«, sagte ich und schloß die Tür, als Winnie den Bullen gerade nach einer Oper von Krenek fragte, und zwar mußte es eine andere sein als »Johnny spielt auf«. Margery stellte das Baby auf den Boden und holte tief Luft.
»Was du für Manieren hast! Wie kann man die Leute nur so herumkommandieren? Als wir geheiratet haben, warst du noch nicht so, Harlan. Irgend etwas ist über dich gekommen, seit du dieses Geld geerbt hast.«
»Hilf mir mal die Dinger aufheben, ja?« Ich hatte ihn gar nicht so fest gestoßen, aber die Pillen waren trotzdem kreuz und quer durch die Luft geflogen.
Margery stampfte mit dem Fuß auf und brach in Tränen aus. »Ich weiß, daß du den armen Winnie nicht ausstehen kannst!« rief sie schluchzend. »Aber mir tut er leid. Hättest du nicht wenigstens höflich sein können? Hättest du ihm denn nicht diese lausigen hunderttausend Dollar geben können?«
»Paß auf das Baby auf!« warnte ich sie.
Gwennie erschien auf der obersten Stufe, angelockt von dem Lärm, rieb sich mit beiden Fäusten die Augen und begann zu weinen.
Margery starrte mich an, öffnete den Mund, wollte was sagen, war sprachlos und rannte nach oben, um Gwennie zu trösten.
Ich schämte mich ein kleines bißchen.
Geistesabwesend tätschelte ich den Kopf des Babys und blickte die Treppe hinauf, zu den weiblichen Mitgliedern unseres Haushalts. Wenn ich ehrlich war, mußte ich zugeben, daß ich mich ziemlich mies benommen hatte.
Erstens - ich war gemein zu dem armen alten Winnie gewesen. Angenommen, ich hätte diese Hormone entdeckt und würde ein paar lausige hunderttausend Dollar brauchen, wie Margery es ausgedrückt hatte, als Einsatz, um ungeahnten Reichtum und grenzenlose Macht zu gewinnen? Nun, warum nicht? Warum hatte ich ihm das Geld nicht gegeben? Der arme Kerl litt offenbar an der Wirkung der Hormone ebenso wie unsereins an einem gewaltigen Kater. Ja, ich hätte wirklich ein bißchen freundlicher sein können.
Zweitens - Margery hatte es schwer mit den Kindern gehabt, und ausgerechnet heute war es kein Wunder, daß sie sich so aufregte.
Drittens - ich hatte gerade eine schöne Stange Geld geerbt.
Warum - der Gedanke tauchte mit plötzlicher, erschreckender Klarheit in meinem Gehirn auf-, warum benutze ich nicht einen Teil von Onkel Ottos Geld, um das Leben für uns alle ein bißchen leichter zu machen?
Ich stürmte hinauf und nahm immer zwei Stufen auf einmal. »Margery!« schrie ich. »Margery, es tut mir leid!« »Dazu hast du auch allen Grund.« begann sie, dann wandte sie sich von Gwennie ab und sah mein Gesicht.
»Schau mal, Liebling«, sagte ich, »fangen wir noch mal neu an. Es tut mir leid, daß ich so eklig zu dem armen Winnie war, aber vergessen wir ihn, ja? Wir sind reich, und von heute an wollen wir auch so leben wie reiche Leute. Gehen wir aus, nur wir zwei. Es ist noch früh. Nehmen wir uns ein Taxi und fahren wir nach New York. Die ganze Strecke - mit dem Taxi. Warum nicht? Wir essen in der Colony und schauen uns >My Fair Lady< an. Wir setzen uns in die fünfte Reihe. Ich habe gehört, daß man für hundert Dollar ganz gute Plätze bekommt. Warum nicht?«
Margery sah zu mir auf, und plötzlich lächelte sie. »Aber.« Sie streichelte Gwennies Kopf. »Die Kinder! Was sollen wir denn mit den Kindern machen?«
»Wir engagieren einen Babysitter!« rief ich. »Mrs. Schroop wird froh sein, wenn sie sich was verdienen kann.«
»Aber wenn wir ihr das so kurz vorher sagen.«
»Margery, wir erben nicht jeden Tag ein Vermögen. Ruf sie an!«
Margery richtete sich auf, mit Gwennie in den Armen, und lächelte wieder. »Das klingt wirklich verlockend«, sagte sie. »Warum nicht - wie du sagst. Aber - hast du Mrs. Schroops Nummer?«
»Die steht doch im Telefonbuch.«
»Ja - aber im alten, und das haben wir weggeworfen.« Sie runzelte die Stirn. »Du hast mir die Nummer tausendmal gesagt. Sie steht nicht unter ihrem eigenen Namen im Telefonbuch, weil sie bei ihrem Schwiegersohn wohnt. Oh, was war denn das für eine Nummer?«
Eine dünne Stimme sagte am Fuß der Treppe: »Ovington 80014 - diese Nummer steht im Telefonbuch unter dem Namen Sturgis, Arthur R. 41 Universe Avenue.«
Margery sah mich an, und ich sah Margery an.
»Wer zum Teufel hat das gesagt?« fragte ich scharf.
»Ich, Daddy«, sagte der Eigentümer der Stimme, achtzehn Zoll groß. Er kam die Treppe herauf und mußte dabei eine Hand zu Hilfe nehmen, weil er noch nicht sehr sicher auf den Beinen war. In der anderen Hand hielt er die dickbauchige Glasflasche, die Winnie McGhee hatte fallen lassen.
Die Flasche war leer.
Nun - wir wohnen natürlich nicht mehr in Levittown.
Margery, Gwennie und ich haben alles versucht - wir haben unsere Namen geändert, unsere Haare gefärbt, und wir haben sogar ausprobiert, ob sich was mit plastischer Chirurgie machen ließe. Das hat nicht funktioniert, also haben wir uns von demselben Chirurgen wieder zurückoperieren lassen.
Die Leute erkennen uns immei noch.
Nun kreuzen wir vor der Küste der U. S. J. I. auf unserer Jacht, innerhalb der Zwölf-Meilen-Grenze. Wenn wir neue Vorräte brauchen, schicken wir ein paar Mann von unserer Crew mit dem Motorboot an Land. Natürlich ist das riskant - aber nicht so riskant, wie wenn wir in einem anderen Staat an Land gehen würden. Nach J. L, wie man es dieser Tage nennt, wollen wir einfach nicht mehr. Das können Sie uns nicht verdenken. Würde Ihnen das vielleicht Spaß machen?
Ich wünschte, er würde uns in Ruhe lassen.
Aber nun kreuzen wir eben hin und her, und ab und zu erinnert er sich an uns und ruft uns per Funk an. Gestern hat er sich übrigens wieder gemeldet. »Du kannst nicht ewig da draußen bleiben, Daddy«, hat er gesagt. »Nach elf Monaten müssen deine Motoren überholt werden. Noch sieben Tage, und du bist schon seit zehn Monaten draußen. Was für Milchprodukte habt ihr denn an Bord? Die Ladung, die ihr am Donnerstag letzte Woche in Jacksonville gekauft habt, muß doch schon alle sein. Es hat doch keinen Sinn, wenn du verhungerst. Außerdem ist es Gwennie und Mummy gegenüber nicht fair. Komm nach Hause! Wir werden dir einen Posten bei der Regierung verschaffen.«
»Nein, danke«, erwiderte ich.
»Es wird dir noch leid tun«, warnte er mich, allerdings in freundlichem Ton.
Dann war das Gespräch beendet.
Nun ja, natürlich hätten wir ihn nicht mit diesen Pillen allein lassen dürfen.
Ich nehme an, es war meine Schuld. Ich hätte zuhören sollen, als der alte Winnie - Gott sei seiner Seele gnädig, wo immer er auch sein mag - uns erzählte, daß eine Dosis von drei Pillen für jeweils zwanzig Pfund des Körpergewichts genügen, um fürs ganze Leben zu wirken. Das Baby wog damals nur 31,10 Pfund -zumindest, als wir es das letztemal zum Kinderarzt gebracht hatten. Nachdem er die Pillen geschluckt hatte, konnten wir natürlich nicht mehr mit ihm zum Arzt gehen. Und er muß mindestens ein Dutzend geschluckt haben.
Aber ich glaube, Winnie hatte recht. Wenigstens erfüllt sich jetzt sein Herzenswunsch - die Welt wird erobert. Die Vereinigten Staaten werden vom Juvens Imperator regiert, wie er sich selber nennt - daran ist Margery schuld, denn ich habe vor dem Kind nie Lateinisch gesprochen -, und zwar seit achtzehn Monaten, seit dem sensationellen Coup bei der 256 000 DollarFrage und seiner späteren erfolgreichen Aktion, als er die Zukunft der Sojabohnen und der Stammaktien von United States Steel gecornert hat. Der Rest der Welt ist nur noch eine Frage der Zeit. Lange wird es nicht mehr dauern. Aber die Leute wissen es noch nicht. Deshalb wagen wir es nicht, ins Ausland zu gehen.
Aber wer wäre denn auf so eine Idee gekommen?
Letzten Oktober habe ich seine Inauguration im TV gesehen. Es sind zweifellos sehr merkwürdige Leute, die unser Land jetzt regieren. Haben Sie sich jemals träumen lassen, daß Sie mitansehen würden, wie mein kleiner Junge den Amtseid leistet, mit einer erhobenen Hand und dem Daumen der anderen im Mund?