Der Vater der Sterne

1

Norman Marchand saß zwischen den Kulissen der kleinen Bühne im Ballsaal auf einem Lederhocker, den ihm irgend jemand gebracht hatte. Draußen im Saal warteten eintausendfünfhundert Leute, um ihn zu ehren und zu feiern.

Marchand erinnerte sich noch gut an den Ballsaal. Er hatte ihn einst besessen. Vor vierzig Jahren - nein, es waren nicht vierzig, auch nicht fünfzig. Vor sechzig Jahren hatte er mit Joyce in diesem Saal getanzt. Damals war es das allerneueste Hotel der Welt gewesen und Marchand der Jungverheiratete Sohn des Mannes, der es gebaut hatte. Die Hochzeitsparty hatte in diesem Saal stattgefunden. Davon wußten die Leute da draußen natürlich nichts. Aber Marchand erinnerte sich daran. O Joyce, mein Liebling! Aber sie war schon lange tot.

Wie laut sie waren. Er spähte zwischen den Kulissen hindurch und sah, wie sie an dem Tisch Platz nahmen, der auf der Bühne stand. Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten schüttelte dem Gouverneur von Ontario die Hand, als hätten sie vergessen, daß sie verschiedenen Parteien angehörten. Da war Linfox vom Institut, der einen Schimpansen höflich zu dem Platz neben dem Stuhl führte, auf dem Marchand sitzen würde - nach den vielen Mikrofonen zu schließen, die davor aufgebaut waren. Linfox schien sich in der Gesellschaft des Schimpansen etwas unbehaglich zu fühlen. Das Tier war zweifellos humanisiert worden, aber die eingepflanzte menschliche Intelligenz hatte die Affenbeine nicht verlängert.

Dann erschien Dan Fleury auf den Stufen, die vom Boden des Ballsaals heraufführten, wo die übrigen Gäste saßen.

Fleury sieht nicht besonders gut aus, dachte Marchand mit einer gewissen Befriedigung, denn Fleury war fünfzehn Jahre jünger als er. Aber Marchand war nicht neidisch. Nicht einmal auf den Hotelpagen, der ihm den Hocker gebracht hatte, einen Zwanzigjährigen, der wie ein Football-Verteidiger gebaut war.

Ein Leben war genug. Besonders, wenn man sich seinen schönsten Wunsch erfüllt hatte. Oder beinahe.

Natürlich hatte er sein gesamtes Erbe dafür opfern müssen. Aber was hätte er denn sonst mit dem Geld machen sollen?

»Es ist soweit, Sir. Darf ich Ihnen helfen?« Es war der FootballVerteidiger, dessen jugendliche Muskeln fast die Uniform sprengten. Das Schönste an diesem Ehrendinner im Marchand-Hotel war die Ehrerbietung, die ihm das Personal entgegenbrachte - als ob ihm das Haus immer noch gehören würde. Aus diesem Grund hatte das Komitee vermutlich dieses Hotel ausgesucht, obwohl es heutzutage etwas seltsam und altmodisch wirkte. Aber damals.

Er riß sich zusammen. »Tut mir leid, junger Mann. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Vielen Dank.«

Er stand auf, langsam - aber es tat nicht sonderlich weh, wenn man bedachte, daß es ein langer Tag gewesen war. Als der Football-Verteidiger ihn auf die Bühne führte, erhielt er einen donnernden Applaus, der die automatische Lautstärkekontrolle seines Hörgeräts in Gang setzte. Deshalb verpaßte er die ersten Worte Fleurys, die zweifellos sehr schmeichelhaft waren. Vorsichtig ließ er sich auf seinem Stuhl nieder, und als der Beifall verklang, konnte er verstehen, was der Mann sagte.

Dan Fleury war immer noch ein großer Mann, wie ein Faß gebaut, mit buschigen Brauen und einer dichten Haarmähne. Er hatte Marchands verrücktes Projekt, den ersten menschlichen Vorstoß ins All zu wagen, von Anfang an unterstützt. Und davon sprach er jetzt. »Der großartigste Traum der Menschheit!« dröhnte er. »Die Eroberung der Sterne! Und hier ist der Mann, der uns gelehrt hat, diesen Traum zu träumen - Norman Marchand!«

Stürmischer Applaus klang auf, und Marchand verbeugte sich.

Wieder rettete die automatische Lautstärkenkontrolle seine Ohren, und er konnte die nächsten Worte nicht hören. ».und jetzt, wo wir auf der Schwelle des Erfolges stehen«, fuhr Fleury fort, »ist es nur recht und billig, daß wir uns heute abend hier versammeln, um dieser großen Hoffnung Ausdruck zu geben, um dem Mann, der uns den Traum als erster vor Augen geführt hat, unseren Respekt zu bezeugen und ihn unserer tiefsten Zuneigung zu versichern!«

Während die Lautstärkenkontrolle die Wirkung registrierte, die Fleurys Worte ausgelöst hatten, blickte Marchand lächelnd auf ein nebelhaftes Meer aus Gesichtern. Es ist fast grausam, es so auszudrücken, dachte er. Die Schwelle des Erfolges - also wirklich! Wie viele Jahre hatten sie geduldig darauf gewartet? Und die Tür war ihnen immer noch verschlossen. Natürlich, so dachte er wehmütig, würden sie Überlegt haben, daß sie das Ehrendinner bald veranstalten mußten, denn sonst würde eine Leiche als Ehrengast an der Tafel sitzen. Trotzdem. Mühsam wandte er den Kopf und sah Fleury an. Da lag etwas in seiner Stimme. Könnte es sein.

Nein, sagte er sich. Es gab keine Nachrichten, keine Berichte von einem der Schiffe, die durch das All flogen. Der Traum war nicht Wirklichkeit geworden. Er wäre der erste gewesen, der davon erfahren hätte. So etwas hätten sie ihm bestimmt nicht verheimlicht. Und er wußte von nichts.

».und jetzt«, sagte Fleury, »will ich Sie nicht länger vom Essen abhalten. Ich verspreche Ihnen, daß nachher noch viele lange Reden gehalten werden, was Ihrer Verdauung sicher dienlich sein wird. Aber nun wollen wir es uns schmecken lassen!«

Gelächter, Applaus, Hektik, klirrendes Besteck.

Fleurys Aufforderung, das Mahl zu genießen, war natürlich nicht an Norman Marchand gerichtet. Er saß da, die Hände im Schoß, und beobachtete, wie sie hungrig zulangten, lächelte und war von jenem schmerzlichen Gefühl des Verlustes erfüllt, dem Gefühl, verzichten zu müssen, das alte Menschen so oft plagt. Er beneidete die jungen Leute nicht wirklich, sagte er sich. Er beneidete sie nicht um ihre Gesundheit, ihre Jugend und ihre Lebenserwartungen, aber um ihr Eisdessert.

Er versuchte, so zu tun, als würden ihm der Wein und die große rosa Garnele in Milch mit Crackern schmecken. Asa Czerny zufolge, der Marchand bisher am Leben erhalten hatte, konnte er sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden - zu essen, was er wollte, oder am Leben zu bleiben, zumindest noch für eine kleine Weile. Und seit ihm Czerny vorgerechnet hatte, wie lange er bei entsprechendem Maß, halten noch leben könnte, hatte er immer wieder überlegt wie viele dieser restlichen Monate er für eine reichliche Mahlzeit opfern würde. Wenn Czerny ihm nach einer der wöchentlichen Untersuchungen mitteilen sollte, daß seine Tage gezählt wären, würde er diese wenigen Tage wahrscheinlich gegen einen Sauerbraten mit Reibekuchen und süßsaurem Rotkohl eintauschen. Aber dieser Zeitpunkt war noch nicht gekommen. Er hatte noch einen Monat vor sich - falls er Glück hatte. Vielleicht auch zwei.

»Verzeihen Sie«, sagte er und wandte sich zu dem Schimpansen. Obwohl das Tier humanisiert worden war, sprach es ziemlich undeutlich, und so hatte Marchand nicht gemerkt, daß es ihm eine Frage gestellt hatte.

Er hätte sich nicht bewegen sollen.

Sein Handgelenk war nicht mehr so biegsam wie früher. Der Löffel in seinen Fingern neigte sich, der mit Milch getränkte Cracker fiel hinab. Er machte den Fehler, mit seinem Knie auszuweichen. Es war schon schlimm genug, alt zu sein. Er wollte sich nicht auch noch das Hosenbein bekleckern. Aber er bewegte sich zu schnell.

Der Stuhl stand am Rand der kleinen Plattform, und er stürzte hinab.

Mit sechsundneunzig ist man zu alt, um auf den Kopf zu fallen, dachte er. Wenn mir das jetzt passiert, hätte ich genausogut ein bißchen mehr von der Garnele essen können. Aber er starb nicht.

Er verlor nur das Bewußtsein - nicht für lange, weil er schon wieder zu sich kam, als sie ihn in seine Garderobe hinter der Bühne trugen.

Vor vielen Jahren hatte Norrnan Marchand sein Leben einer Hoffnung geweiht.

Er war reich und intelligent und mit einer schönen, sanftmütigen Frau verheiratet gewesen, und er hatte dem Institut für die Kolonisation extrasolarer Planeten sein ganzes Vermögen geschenkt.

Es war das gesamte persönliche Vermögen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, aber es genügte nicht. Es wirkte nur als Katalysator. Er hatte es benützt, um Werbefachleute, Investmentberater zu engagieren. Er hatte sein Geld in Dokumentarfilme und TV-Werbung gesteckt. Er hatte Cocktailparties für US-Senatoren finanziert und Schulwettbewerbe veranstaltet. Er hatte alles getan, was er nur konnte, um sein Ziel zu erreichen.

Er hatte Geld beschafft. Sehr viel Geld.

Das Geld, das er zusammengebettelt und den Leuten aus der Tasche gezogen hatte, war für die Konstruktion von sechsundzwanzig großen Raumschiffen verwendet worden. Jedes Schiff war so groß gewesen wie ein Dutzend Linienschiffe, und er hatte sie ins All geschleudert, wie ein Farmer die Saat in den Wind wirft.

Ich habe es versucht, sagte er sich, als er vom dunkelsten Ort zurückkehrte, den er je gesehen hatte. Ich wollte sehen, wie der Mensch nach den Sternen greift und neue Reiche erschließt. Und ich wollte ihn dorthin führen.

Irgend jemand sagte: »Er wußte es doch, nicht wahr? Wir haben zwar versucht, es ihm zu verheimlichen.« Jemand anderer befahl dem Mann, der soeben gesprochen hatte, den Mund zu halten. Marchand öffnete die Augen.

Czerny stand vor ihm. Er lächelte nicht. Jetzt sah er, daß Marchand bei Bewußtsein war. »Es ist alles okay«, sagte er, und Marchand wußte, daß das stimmte, weil Czerny ärgerlich die Stirn runzelte. Wenn die Situation bedenklich gewesen wäre, hätte er gelächelt. »Nein!« schrie Czerny und packte ihn an den Schultern. »Bleiben Sie liegen! Ich bringe Sie jetzt nach Hause -ins Bett!«

»Aber Sie haben doch gesagt, daß alles okay ist.«

»Ich habe gemeint, daß Sie noch leben. Übertreiben Sie's nicht, Norm!«

»Aber das Dinner«, protestierte Marchand. »Ich muß doch dabeisein.«

Asa Czerny behandelte Marchand schon seit dreißig Jahren. Sie waren zusammen angeln gegangen, und ein- oder zweimal hatten sie sich gemeinsam betrunken. Czerny hätte nicht grundlos nein gesagt. Er sagte es auch gar nicht. Er schüttelte nur den Kopf.

Marchand ließ sich auf die Couch zurücksinken. Hinter Czerny hockte der Schimpanse schweigend auf einer Stuhlkante und beobachtete den alten Mann. Er macht sich Sorgen, dachte Marchand, weil er glaubt, es sei seine Schuld, daß mir das passiert ist. Der Gedanke gab ihm die Kraft, zu dem Affen zu sagen: »Wie dumm von mir, daß ich von der Plattform gestürzt bin, Mr.. Es tut mir leid.«

Czerny stellte den Schimpansen vor. »Das ist Duane Ferguson, Norm. Er ist humanisiert und war außerplanmäßiger Offizier auf der Copernicus.« Der Schimpanse nickte, aber er sagte nichts. Er beobachtete Dan Fleury, den engelszüngigen Redner, der nun ziemlich beunruhigt dreinschaute. »Wo ist der Krankenwagen?« fragte Czerny ungeduldig, und der Football-Verteidiger in der Hotelpagenuniform eilte wortlos davon, um sich zu informieren.

Der Schimpanse stieß einen bellenden Laut aus und räusperte sich. »Wasch haben Schie denn mit Eschael gemeint, Mischta Fleury?«

Dan Fleury wandte sich um und sah den Schimpansen ausdruckslos an. Aber Marchand hatte das Gefühl, daß der Mann wußte, wovon Ferguson gesprochen hatte. Er wollte nur nicht antworten.

»Was ist denn?«

»Keine Ahnung. Hören Sie, Mr. Ferguson, wir gehen lieber hinaus.«

»Wasch?« Die bellende Stimme kämpfte mit dem Affenkörper, aus dem sie sich mühsam herauspreßte. »Wasch haben Schie gemeint?«

Ein unhöflicher junger Mann, dachte Marchand verärgert. Der Bursche ging ihm auf die Nerven.

Wenn ihn die beharrliche Frage auch irgendwie beeindruckte.

Marchand stöhnte und hatte das Gefühl, er müßte sich übergeben. Es ging vorbei, aber danach zitterte er am ganzen Körper. Es war unmöglich, daß er sich etwas gebrochen hatte. Das hätte Czerny ihm gesagt. Trotzdem.

Er verlor jedes Interesse an dem Schimpansen und wandte nicht einmal den Kopf, als Fleury das Tier aus dem Zimmer scheuchte und dabei aufgeregt mit ihm flüsterte, zirpend wie eine Grille.

Wenn ein Mann seinen gottgegebenen Menschenkörper aufgab und sein Gehirn, seine Gedanken und - ja, auch seine Seele in den Körper eines Anthropoiden verpflanzen ließ, so verdiente er damit keineswegs die besondere Wertschätzung Norman Marchands.

Natürlich nicht! Marchand rief sich die wohlvertrauten Argumente ins Gedächtnis zurück, während er auf den Krankenwagen wartete. Die Männer, die sich freiwillig für interstellare Flüge meldeten, wußten genau, worauf sie sich einließen. Und solange nicht irgendein Superman den mythischen SAL-Treibstoff erfand, würde es immer so sein. Bei den derzeit möglichen Geschwindigkeiten, die unter der Lichtgeschwindigkeit von 186000 Sekundenmeilen lag, brauchte man Jahrzehnte, um all die Planeten zu erreichen, die man kannte und für die sich die Mühe lohnte.

Der Humanisierungsprozeß erlaubte es diesen Männern, ihre Gehirne zu benutzen, um Schimpansenkörper zu kontrollieren, die leicht zu züchten und enorm widerstandsfähig waren. Die Menschenkörper lagen während der langen Reise in Tiefkühltruhen.

Das waren selbstverständlich sehr tapfere Männer, die ein Recht auf Höflichkeit und Rücksichtnahme hatten.

Aber dieses Recht hatte er auch, und es war ganz einfach unhöflich, von »Eschael« zu quatschen, was immer das sein mochte, während der Mann, der die interstellaren Flüge ermöglicht hatte, ernsthaft verletzt war.

Es sei denn.

Marchand schlug wieder die Augen auf.

Eschael. Es sei denn, Eschael war jener Ausdruck, den Schimpansenstimmbänder und Schimpansenlippen produzieren konnten, wenn ihnen das menschliche Gehirn befahl, das Zauberwort zu sagen. Es sei denn, sie hätten während seiner Bewußtlosigkeit von jenem völlig unmöglichen, hoffnungslosen, phantastischen Traum gesprochen, dem er, Marchand, den Rücken gekehrt hatte, als er die Kolonisationskampagne zu organisieren begann.

Es sei denn, jemand hätte tatsächlich einen Weg gefunden, den Traum von der SAL-Fahrt zu verwirklichen.

2

Sobald er sich am nächsten Tag kräftig genug fühlte, um aufzustehen, setzte sich Marchand in einen Rollstuhl - ganz allein, denn dabei wollte er sich nicht helfen lassen - und fuhr in den Kartenraum des Hauses, das ihm das Institut mietfrei zur Verfügung stellte, bis zu seinem Lebensende. (Zuerst hatte er es natürlich dem Institut geschenkt.)

Das Institut hatte dreihunderttausend Dollar in den Kartenraum gesteckt. Sterne an Sprossen und Spanndrähten füllten einen Saal, der vierzig Fuß im Quadrat maß, und stellten das All dar, im Umkreis von fünfundfünfzig Lichtjahren von der Sonne aus gemessen. Jeder Stern war mit einem Schildchen versehen und zusätzlich in einer Kartei verzeichnet. Vor einem Jahr hatte man ein paar Sterne sogar leicht bewegt, um ihre Position zu korrigieren, so daß sie ihren Pendants im All entsprachen, die ihre Stellung in letzter Zeit verändert hatten. Das alles war sehr sorgfältig gemacht.

Auch die sechsundzwanzig großen Sternenschiffe, die das Institut finanziert hatte, waren zu sehen. Ihre Größe stimmte natürlich nicht mit dem Maßstab der Sternendarstellung überein, aber Marchand verstand, was sie repräsentieren sollten. Er rollte seinen Stuhl über den markierten Weg zum Zentrum des Raumes, und dann saß er direkt unter der gelben Sonne und blickte sich um.

Der blauweiße Sirius beherrschte die anderen Sterne, und der Procyon hing direkt darüber. Die beiden leuchteten am hellsten von allen, obwohl der rote Altair auf seine Art noch heller war als der Procyon. In der Mitte des Saals bildeten die Sonne und Alpha Centauri A ein strahlendes Paar.

Mit trüben Augen starrte er auf diese größte Enttäuschung seines Lebens. Alpha Centauri B. So nah. So schön. So steril. Es war eine Ironie, ein Mißgriff der Schöpfung, daß diese Sonne, die beste und nächstliegende Möglichkeit, ein Heim für die Menschheit zu schaffen, keine Planeten gebildet hatte. Oder sie hatte welche gebildet und sie in irgendwelche unheilvollen Fallen gelockt, die sie zusammen mit ihren beiden Gefährtinnen gestellt hatte.

Aber es gab noch andere Hoffnungen.

Marchand suchte und fand den Tau Ceti, gelb und bleich. Nur elf Lichtjahre entfernt, müßte die Kolonie mittlerweile etabliert sein. In einem Jahrzehnt würden sie eine Antwort bekommen -natürlich nur, wenn die Sonne Planeten hatte, auf denen die Menschen leben konnten.

Das war die große Frage, auf die sie schon so viele verneinende Antworten bekommen hatten. Aber der Tau Ceti gibt trotzdem zu gewissen Hoffnungen Anlaß, sagte sich Marchand eigensinnig. Er war trüber und kühler als die Sonne. Er gehörte dem Typus G an und war der Spektropolarimetrie zufolge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Planetenträger.

Marchand richtete den Blick auf 40 Eridani A, noch trüber, noch weiter weg. Er erinnerte sich, daß die Expedition zu 40 Eridani A vom fünften Schiff durchgeführt worden war, dessen Start er ermöglicht hatte. Es müßte sein Ziel bald erreichen, vielleicht in diesem Jahr oder im nächsten. Man konnte die Zeit nicht abschätzen, wenn sich das Tempo fast der Lichtgeschwindigkeit näherte.

Aber nun war die Spitzengeschwindigkeit natürlich viel höher. Es wurde ihm fast schlecht, als er an seinen Fehlschlag dachte.

Schneller als das Licht - wie konnten sie es wagen!

Aber er hatte keine Zeit, um sich solchen Gefühlen hinzugeben. Er durfte sich überhaupt keine Gefühle leisten. Er spürte, daß ihm die Zeit davonlief, und er richtete sich kerzengerade auf und sah sich wieder um. Mit sechsundneunzig mußte man sich beeilen - sogar, wenn man seinen Tagträumen frönte.

Er sah auf den Procyon und klammerte ihn aus. Kürzlich hatten sie versucht, den Procyon anzufliegen. Das Schiff würde mittlerweile nicht einmal die halbe Strecke zurückgelegt haben. Sie hatten fast alles versucht. Sogar Epsilon Eridani und Groombridge 1618. Auch 61 Cygni A und Epsilon Indi, trotz der Skepsis der Spektralanalytischen Universitäten. Und sie hatten einen letzten, verzweifelten Versuch unternommen, Proxima Centauri zu erreichen (Obwohl sie fast sicher waren, daß sich die Mühe nicht lohnte. Bei der Alpha Centauri-Expedition hatte man keine bewohnbaren Planeten gefunden.).

Im ganzen waren es sechsundzwanzig Schiffe gewesen. Drei waren verlorengegangen, drei waren zurückgekehrt, eines flog die Erde an. Und neunzehn befanden sich noch im All.

Um sich zu trösten, schaute Marchand auf den hellgrünen Pfeil, der die Position der Tycho Brake anzeigte. Von ionisiertem Gas angetrieben, flog sie dahin. Sie war das größte seiner Schiffe und faßte dreitausend Männer und Frauen. Er glaubte sich zu erinnern, daß in letzter Zeit irgend jemand die Tycho Brake erwähnt hatte. Wann? Warum? Er war sich nicht sicher, aber der Name des Schiffs ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Die Tür öffnete sich, und Dan Fleury kam herein, blickte auf die Sterne und Schiffe, ohne sie zu sehen. Der Kartenraum hatte ihm nie etwas bedeutet. »Verdammt, Norman, du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt!« schimpfte er. »Du solltest doch im Krankenhaus liegen.«

»Ich war dort, aber ich wollte nicht bleiben. Schließlich hat Asa Czerny begriffen, daß ich es ernst meine, und so hat er gesagt, daß ich nach Hause darf, wenn ich mich nicht anstrenge und mich seinen regelmäßigen Untersuchungen nicht widersetze. Nun, wie du siehst, strenge ich mich nicht an. Ich sitze ganz ruhig da. Und es ist mir egal, ob Czerny kommt oder nicht. Es gibt nur noch eins, was mich interessiert. Ich möchte die Wahrheit über SAL herausfinden.«

»Verdammt, Norm! Also ehrlich, du solltest dir keine Sorgen machen.«

»Dan, seit dreißig Jahren benutzt du das Wort >ehrlich< nur dann, wenn du mich anlügst. Jetzt sag mir endlich, was los ist! Ich habe dich heute morgen zu mir gebeten, weil du die Wahrheit kennst. Und ich will sie auch wissen. Um Himmels willen, Dan!«

Fleury blickte sich im Saal um, als würde er die funkelnden Lichtpunkte zum erstenmal sehen. Vielleicht sieht er sie tatsächlich zum erstenmal, dachte Marchand.

Endlich sagte Fleury: »Nun, da gibt es wirklich etwas.«

Marchand wartete. Er hatte eine gewisse Übung im Warten.

»Da ist ein junger Bursche namens Eisele«, fuhr Fleury fort. »Ein Mathematiker! Würdest du das glauben? Er hatte eine Idee.« Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

»Natürlich ist diese Idee keineswegs die Lösung des Problems. Die meisten Leute bezweifeln, daß sie funktionieren wird. Du kennst ja die Theorie. Einstein, Lorentz-Fitzgerald, die ganze Horde - sie sind alle dagegen. Die Idee nennt sich - und jetzt paß auf - Polynomismus!« Hilflos wartete er darauf, daß Marchand lachen würde. Dann fügte er hinzu:

»Wenn ich auch zugeben muß, daß was dran ist, denn die Tests.«

Marchand sagte sanft und mit großer Beherrschung: »Dan, würdest du es bitte endlich ausspucken? Bisher hast du mir nur erzählt, daß es da einen Burschen namens Eisele gibt und daß er eine Idee hat, die zwar verrückt ist, aber zu funktionieren scheint.«

»Nun-ja.«

Marchand lehnte sich langsam zurück und schloß die Augen. »Das bedeutet also, daß wir uns alle geirrt haben. In erster Linie ich. Und unsere ganze Arbeit.«

»Hör mal, Norm! Das darfst du dir nicht einbilden. Deine Arbeit hat uns ganz enorm weitergeholfen. Wenn du nicht gewesen wärst, hätten Leute wie Eisele überhaupt keine Chance. Weißt du denn nicht, daß er eins unserer Stipendien bekommen hat?«

»Nein, das wußte ich nicht.« Marchand öffnete die Augen und blickte sekundenlang zur Tycho Brake hinüber. »Aber das nützt mir nicht viel. Ich frage mich, ob die über fünfzigtausend Frauen und Männer, deren Körper aufgrund meiner Arbeit den größten Teil ihres Lebens in Tiefkühltruhen verbracht haben, ebenso denken wie du. Jedenfalls danke ich dir. Du hast mir gesagt, was ich wissen wollte.«

Als Czerny eine Stunde später den Kartenraum betrat, fragte Marchand sofort: »Ist mein Gesundheitszustand gut genug daß ich eine Gehirn Verpflanzung verkraften könnte?«

Der Arzt stellte erst seine Tasche ab und setzte sich, bevor er antwortete: »Wir haben niemanden zur Verfügung, Norman. Es hat sich schon seit Jahren niemand mehr freiwillig gemeldet.«

»Ich möchte mein Gehirn nicht in einen menschlichen Körper verpflanzen lassen. Ich will nicht, daß ein freiwilliger Spender zum Selbstmordkandidaten wird. Sie haben mir selbst erzählt, daß die Menschenkörper mit fremden Gehirnen manchmal Selbstmord begehen. Nein, ich werde mich mit einem Schimpansen begnügen. Warum soll ich es besser haben als dieser junge Bursche - wie heißt er doch gleich?«

»Sie meinen Duane Ferguson.«

»Genau. Also, warum sollte ich was Besseres sein als er?«

»Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Norm. Sie sind zu alt. Ihre Phospholipoide.«

»Ich bin nicht zu alt, um zu sterben, nicht wahr? Und das ist das Schlimmste, was mir passieren kann.«

»Es wäre nicht richtig. Nicht in Ihrem Alter. Sie verstehen nichts von Chemie. Ich könnte Ihnen nicht mehr als ein paar Wochen versprechen.«

»Wirklich?« rief Marchand erfreut.

Der Doktor versuchte ihn von seinem Plan abzubringen, aber Marchand hatte in seinem sechsundneunzigjährigen Leben schon viele harte Kämpfe gewonnen, und außerdem hatte er Czerny gegenüber einen Vorteil. Der Arzt wußte sogar besser als Marchand selbst, daß es den alten Mann umbringen konnte, wenn er sich zu sehr aufregte. In dem Augenblick, wo Czerny das Risiko einer Gehirnverpflanzung gegen das Risiko eines weiteren Streits abwägen mußte, runzelte er die Stirn, schüttelte den Kopf und ging.

Marchand folgte ihm langsam in seinem Rollstuhl.

Er wollte diese Aktion, die vielleicht die letzte seines Lebens sein würde, nicht überstürzen. Er hatte Zeit genug. Im Institut wurde immer ein gewisser Vorrat an Schimpansen gehalten, aber es würde mehrere Stunden dauern, eines der Tiere vorzubereiten.

Ein Gehirn mußte im Zuge der Verpflanzung geopfert werden. Der Mensch würde die Möglichkeit haben, in seinen eigenen Körper zurückzukehren. Sein Risiko war gering. Die Statistik hatte erwiesen, daß von fünfzig Rückverpflanzungen nur eine schiefging. Aber der Schimpanse würde nie mehr so sein wie zuvor. Marchand unterzog sich den Bestrahlungen, der komplizierten Titrierung seiner Körperflüssigkeiten, ertrug geduldig die endlosen Stunden, wo er festgeschnallt auf dem Operationstisch liegen mußte, während an ihm herumgeflickt wurde. Er hatte solche Operationen schon mitangesehen, und so war die Prozedur nichts Neues für ihn. Aber er hatte nicht gewußt, daß es so weh tun würde.

3

Er versuchte, nicht auf den Fingerknöcheln zu gehen, aber das war schwierig. (Der Affenkörper war gebeugt, die Arme waren zu lang, um seitlich bequem herabzuhängen.) Marchand watschelte zur Abschußrampe und bog seinen steifen Schimpansenrücken nach hinten, um zu dem verhaßten Ding hinaufzublicken. Dan Fleury kam auf ihn zu. »Norm?« fragte er vorsichtig. Marchand versuchte zu nicken. Es gelang ihm nicht, aber Fleury hatte verstanden »Norm, das ist Sigmund Eisele«, sagte er. »Der Mann, der den SAL-Treibstoff erfunden hat.«

Marchand hob einen langen Arm und streckte eine Hand aus, die sich nicht öffnen ließ. Sie war es gewöhnt, zur Faust geballt zu sein. »Gradschuliere«, sagte er, so deutlich er konnte. Aufgrund seiner virtuosen Selbstbeherrschung gelang es ihm, die Hand des jungen, dunkelhäutigen Mannes nicht zu zerquetschen. Man hatte ihn davor gewarnt, daß die Kraft der Schimpansen Menschen verletzen könnte. Natürlich würde er das nicht vergessen, aber einen Augenblick lang war er versucht, ein bißchen darüber nachzudenken.

Er ließ die Hand fallen und stöhnte auf, als ihn ein heftiger Schmerz durchzuckte.

Czerny hatte ihn davor gewarnt. »Instabil - gefährlich - wird nicht lange dauern«, hatte er während des Gesprächs gemurmelt. »Und vergessen Sie nicht, Norman - die Sinneswahrnehmungen sind für Ihr Alter ziemlich kräftig. Eine so große Energiezufuhr sind Sie nicht gewöhnt. Es wird weh tun.«

Aber Marchand hatte dem Doktor versichert, das würde ihm nichts ausmachen, und es machte ihm auch nichts aus. »Dasch isch es alscho«, knurrte er, und wieder beugte er das Rückgrat zurück, die ganze breite Brust des Tieres, in dem seine Seele wohnte, um das Schiff auf der Abschußrampe anzustarren. Es war vielleicht hundert Fuß hoch. »Dasch isch aber nicht grosch«, sagte er verächtlich. »Die Zarian, unscher erschtesch Schiff, war neunhundert Fusch lang und transchportierte tauschend Leute nach Alpha Zentauri.«

»Und hundertfünfzig sind lebend zurückgekommen.« erwiderte Eisele. Er betonte seine Worte nicht, aber er sprach sie sehr deutlich aus. »Ich wollte Ihnen sagen, daß ich Sie schon immer bewundert habe, Dr. Marchand. Ich hoffe, meine Gesellschaft wird Sie nicht stören. Ich habe gehört, daß Sie mit mir zur Tycho Brake fliegen wollen.«

»Warum schollten Schie mich schtören?« Natürlich störte er Marchand. Wenn er es auch nur gut meinte, dieser junge Bursche warf siebzig Jahre aufopfernder Arbeit und ein beträchtliches Vermögen - acht Millionen, die Marchand selbst besessen hatte, zahllose Millionen, die er von Millionären erbettelt, Regierungsgelder, Ersparnisse von Schulkindern - in den Schmelztiegel der Geschichte. Später würden die Leute vielleicht sagen: Norman Marchand oder Marquand, ein Wissenschaftler, der im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert lebte, versuchte die Sterne mit primitiven Raketenantriebsschiffen zu kolonialisieren. Natürlich hatte er keinen Erfolg und erlitt einen enormen Verlust - nicht nur in finanzieller Hinsicht, auch zahllose Menschenleben wurden geopfert. Aber als Eiseles Schiffe eingesetzt wurden, die schneller als das Licht flogen. Sie würden ihn als Versager betrachten. Und das war er auch.

Als die Tycho Brake abgeschossen wurde, um zu den Sternen zu fliegen, hatten mehrere Musikkapellen gespielt, um den Countdown zu begleiten. Die Satelliten, die um die Erde kreisten, hatten den Start zu allen Fernsehsendern der Welt übertragen. Ein Präsident, ein Gouverneur und der halbe Senat hatten sich vor der Abschußrampe versammelt.

Als Eiseles kleines Schiff startete, um der Welt zu beweisen, daß sich das Institut in all den Jahren umsonst bemüht hatte, war nicht mehr los als bei der Abfahrt der Sieben Uhr-Siebzig Fähre nach Jersey City. Auf so eklatante Weise hat Eisele die Majestät der Sternenflüge degradiert, dachte Marchand. Aber er hätte den Start um nichts auf der Welt versäumen wollen, obwohl er sich Eisele als zusätzliche Fracht aufdrängen mußte, diesem Eisele, der sein Leben zerstört hatte, und dem anderen humanisierten Schimpansen, Duane Ferguson, der aus irgendeinem Grund besondere Privilegien an Bord zu genießen schien.

Sie nahmen eine zusätzliche SAL-Einheit mit - Marchand hörte, wie sie von einem der Männer Polyflektor genannt wurde, aber er wollte sich nicht dazu herablassen, irgend jemanden zu fragen, was das bedeutete. Warum brauchten sie die ExtraEinheit? Bestand die Gefahr, daß das System zusammenbrach, so daß man einen Ersatz benötigen würde? Marchand verdrängte diese Frage aus seinen Gedanken, als ihm bewußt wurde, daß er die Gefahr nicht fürchtete, sondern herbeisehnte.

Und so stieg er in Eiseles Schiff.

Das Innere dieses verdammten Schiffs war nach menschlichen Bedürfnissen gebaut worden, mit einer neun Fuß hohen Decke und breiten Beschleunigungscouchen. Aber sie hatten auch Hängematten mitgebracht, die der Schimpansengröße entsprachen - für Marchand und Duane Ferguson. Zweifellos hatten sie die Hängematten aus dem neuen Schiff entwendet, aus dem Schiff, das niemals fliegen würde - zumindest nicht mit ionisiertem Gas. Und dies war auch zweifellos das letztemal, daß sich ein menschliches Gehirn in einen Affenkörper begeben mußte, um die Erde zu verlassen.

Marchand wußte nicht, durch welche Kraft Eiseles verdammtes Schiff zu den Sternen befördert werden sollte. Dieser Gott-weiß-was-flektor, oder wie das verfluchte Ding hieß, war so winzig klein. Das ganze Schiff war ein Zwerg.

Da war kein Platz für die Reaktionsmasse - oder nur so viel, daß sich das Schiff von der Erde entfernen konnte. Und da stand die kleine schwarze Box - eigentlich war sie gar nicht so klein, sondern so groß wie ein Konzertflügel, und sie war auch nicht schwarz, sondern grau - aber es war eine Box, das stand fest, und sie würde ihren Zauber ausüben. Dieser Zauber wurde »Polynomismus« genannt. Marchand versuchte erst gar nicht zu begreifen, was das bedeuten sollte - abgesehen von der Tatsache, daß er scheinbar desinteressiert zuhörte, als Eisele sich bemühte, seine mathematischen Formeln in eine verständliche englische Sprache zu übersetzen. Marchand hörte gerade genug, um ein paar Wörter wiederzuerkennen. Das All war N-dimensional. Okay, das beantwortete die ganze Frage, soweit es ihn betraf. Und als Eisele sich abquälte, um den Leuten zu erklären, wie man sich in eine Polynomische Dimension brachte - genauer gesagt, wie man die bestehenden polynomischen Ausdehnungen einer vierdimensionalen Standardmasse in eine übergeordnete Form transportierte, hörte Marchand schon nicht mehr zu. Er hörte überhaupt nichts mehr davon. Er hörte nur noch das tiefe, flutende Dröhnen des großen Affenherzens, das jetzt sein Gehirn mit Blut versorgte.

Duane Ferguson erschien in dem Affenkörper, den er nie mehr verlassen würde. Das war eines der Risiken, die Marchand eingegangen war. Er hatte gehört, daß Ferguson Pech gehabt hatte - daß sein Körper in der Tiefkühltruhe gestorben war.

Sobald Marchand erfahren hatte, was Eisele plante, hatte er beschlossen, an der Expedition teilzunehmen, die er als eine Gelegenheit betrachtete, Buße zu tun. Das Projekt war simpel. Er stellte sich zur Verfügung, um Eiseles Treibstoff zu testen, und vollbrachte gleichzeitig eine barmherzige Tat Sie beabsichtigten, die Tycho Brake, die schon so lange durch das All kroch, einzuholen und zu bergen. Dreißig Jahre nachdem sie Port Kennedy verlassen hatte, verminderte sie immer noch die Geschwindigkeit, auf der Suche nach einem Testorbit um Groombridge 1618. Als sich Marchand festschnallte, erklärte Eisele alles noch einmal. Er machte ein paar Tests mit seiner schwarzen Box, und dabei redete er unablässig. »Sehen Sie, Sir, wir werden versuchen, den Kurs und das Tempo in Einklang zu bringen. Ehrlich gesagt, das ist der schwierigste Teil des ganzen Unternehmens. Es ist ein Kinderspiel, das Schiff einzuholen. Wir sind schnell genug. Dann werden wir den Extra-Polyflektor in die Tycho Brake transferieren.«

»Ja, danke«, sagte Marchand höflich, aber er hörte sich dieses technische Kauderwelsch über die Maschine noch immer nicht an. Solange sie existierte, würde er sie benutzen - das befahl ihm sein Gewissen. Aber er interessierte sich nicht für die Einzelheiten.

Weil er so viele Menschenleben geopfert hatte.

Jedes Jahr in der Tiefkühlkammer der Tycho Brake bedeutete für die Menschenkörper, die dort lagen, einen Lebensmonat. Die Respiration konnte zwar verlangsamt, aber nicht gestoppt werden. Das Herz schlug nicht, aber das Blut wurde durch die Adern geschwemmt. Durch Röhren wurde das leblose Blut mit Zucker und Mineralstoffen versorgt. Katheder entfernten die Ausscheidungsprodukte. Und man mußte neunzig Jahre lang durch das All fliegen, um Groombridge 1618 zu erreichen.

Im besten Fall konnte ein vierzigjähriger Mann hoffen, bei seiner Ankunft auf dem Planeten in einen Körper zurückversetzt zu werden, der biologisch betrachtet etwa fünfzig Jahre alt war -während seine Familie, die er auf der Erde zurückgelassen hatte, längst tot und seine Freunde zu Staub zerfallen waren.

Es hatte sich gelohnt. So dachten zumindest die Kolonisten -getrieben von dem rastlosen Wurm, der sich im Rückerat jedes Forschers wand, von jenem Prickeln, das auch Marchand angespornt hatte, von der Sehnsucht nach dem Reichtum und der Macht und der Freiheit, die ihnen eine neue Welt schenken konnte, von dem Wunsch, einen Platz im Buch der Geschichte einzunehmen. Nicht Washingtons Platz, nicht einmal den Platz Christi - nein, einen Platz, wie ihn nur Adam und Eva innehatten.

Es würde sich lohnen, hatten alle die Tausende gedacht, die sich freiwillig gemeldet hatten und zu den Sternen aufgebrochen waren. Aber was würden sie denken, wenn sie auf neuen Welten landeten?

Wenn sie landeten, ohne die Wahrheit zu kennen, wenn sie nicht mitten im All von einem Eisele-Schiff eingeholt wurden, wenn man sie nicht informieren konnte, würden sie die größte Enttäuschung der Menschheitsgeschichte erleben. Die Groombridge 1618-Expeditionsteilnehmer an Bord der Tycho Brake müßten noch vierzig Jahre lang durch das Universum rasen, um den ursprünglichen Flugplan zu erfüllen. Wenn Eiseles Treibstoff, der die Schiffe schneller als das Licht ans Ziel beförderte, erst einmal kommerziell genutzt werden konnte, würde die Besatzung der Tycho Brake in vierzig Jahren einen Planeten vorfinden, der von mehreren Hunderttausend Leuten bewohnt wurde. Sie würden Fabriken und Straßen gebaut und sich das beste Land angeeignet haben, und in ihrem Geschichtsbuch wäre bereits das fünfte Kapitel geschrieben worden. Was würden die dreitausend gealterten Abenteurer dann denken?

Marchand stöhnte und zitterte - nicht nur, weil das Schiff jetzt abgeschossen wurde und die Beschleunigung seinen Brustkorb an die Wirbelsäule preßte.

Als sie sich in der Gewalt des Polyflektors befanden, schwebte er quer durch den Pilotenraum zu den anderen. »Ich bin zum erschtenmal im All«, sagte er.

»Sie haben eben auf der Erde gearbeitet«, erwiderte Eisele ehrerbietig.

»Ja.« Marchand ließ es dabei bewenden. Ein Mann, der sein Leben lang versagt hatte, war den Menschen etwas schuldig, und dazu gehörte auch ein Privileg, das er ihnen zugestand -das Privileg, diese Tatsache zu übersehen.

Aufmerksam sah er zu, wie Eisele und Ferguson ihre Instrumente kontrollierten und am Polyflektor mikrometrische Justierungen vornahmen. Er verstand nichts von der SAL-Treibkraft, aber er wußte, daß eine Karte eine Karte war. An der Wand hing eine Reliefkarte des Kurses, den die Groombridge 1618-Expedition genommen hatte. Die Tycho Brake war ein Lichtpunkt, etwa neun Zehntel so weit entfernt wie die Sonne vom Stern Groombridge.

»Die Massendetektoren, Dr. Marchand«, sagte Eisele und zeigte fröhlich auf die Karte. »Gut, daß sie nicht näher bei uns sind, sonst hätten sie nicht genug Masse, um aufgespürt zu werden.« Das verstand Marchand. Dieselben Detektoren, die eine Sonne oder einen Planeten anzeigten, würden auch ein Millionentonnenschiff orten, wenn die Geschwindigkeit hoch genug war, um eine ausreichende Masse zu erzeugen. »Und es ist auch gut«, fügte Eisele hinzu und sah besorgt aus, »daß sie nicht viel weiter weg sind. Wir müssen uns ihrer Geschwindigkeit anpassen, und das wird nicht leicht sein, auch wenn sie das Tempo schon seit neun Jahren verringern. Schnallen wir uns wieder an!«

Marchand lag in seiner Hängematte und wappnete sich für eine weitere Beschleunigungswoge. Aber sie kam nicht - dafür kam etwas anderes, viel Schlimmeres.

Ein Mahlwerk schien sein Herz und seine Sehnen zu zerquetschen.

Eine Weinpresse schien ihm den Hals zuzudrücken und sein Herz zu zerbrechen.

Es war das Schwindelgefühl, das man in einer Berg-und-Tal-Bahn verspürt oder in einem kleinen Flugzeug, das in einen Taifun gerät. Wohin immer diese Kraft das Schiff auch trug, die Sterne auf der Reliefkarte rutschten umher und nahmen neue Positonen ein.

Marchand, von den schrecklichsten Kopfschmerzen seines Lebens geplagt, wußte kaum, was rings um ihn geschah, aber er wußte, daß sie in wenigen Stunden die Tycho Brake einholen würden, die einen Vorsprung von dreißig Jahren hatte.

4

Der Captain der Tycho Brake, ein ergrauter Schimpanse mit gelben Zähnen, hieß Lafcadio. Seine braunen Augen waren getrübt vor Entsetzen, seine langen, sehnigen Arme zitterten immer noch, nachdem ihm der Anblick eines Schiffes und menschlicher Wesen einen so gewaltigen Schock versetzt hatte.

Marchand merkte, daß der Captain den Blick nicht von Eisele wenden konnte. Dreißig Jahre lang hatte Lafcadio in einem Affenkörper gelebt. Der Affe war jetzt alt, und der Captain betrachtete sich vermutlich bereits als halben Schimpansen.

Seine Erinnerungen an seine einstige menschliche Gestalt mußten verblaßt sein neben dem täglichen Anblick der behaarten Handrücken und der Greif- und Spreizfüße. Manchmal spürte auch Marchand, daß das Affengehirn in seinen Körper zurückkroch, wenn er auch wußte, daß das nur Einbildung war.

Oder war es doch keine Einbildung? Asa Czerny hatte gesagt, die Verpflanzung würde nicht stabil sein. Das hatte irgend etwas mit den Phospholipoiden zu tun - er konnte sich nicht mehr so genau daran erinnern. Er konnte sich an überhaupt nichts mehr mit jener Klarheit und Deutlichkeit erinnern, die er sich gewünscht hätte - und das nicht nur, weil sein Gehirn sechsundneunzig Jahre alt war.

Emotionslos erkannte Marchand, daß seine vorausberechneten Lebensmonate oder -wochen auf Tage zusammengeschrumpft waren.

Natürlich konnte es auch der pochende Schmerz zwischen den Schläfen sein, der ihm den Verstand raubte. Aber diesen Gedanken schob Marchand sofort wieder beiseite. Wenn er den Mut hätte, zuzugeben, daß er sein Leben lang umsonst gearbeitet hatte, könnte er der Tatsache ins Auge sehen, daß der Schmerz nur ein untergeordnetes Derivat des Killers war, der sich in seinen Affenkörper geschlichen hatte. Aber der Schmerz beeinträchtigte seine Konzentrationsfähigkeit.

Wie durch einen Schleier hörte er die Stimmen des Captains und seiner Besatzung, der zweiundzwanzig humanisierten Schimpansen, die das Schiff manövrierten und die dreitausend eingefrorenen Körper im Laderaum bewachten. Wie durch eine dichte, dröhnende Masse hörte er, wie Eisele der Tycho Brahe-Besatzung Anweisungen gab, als sie die SAL-Einheit von dem winzigen Schiff in das große, plumpe Ding transportierten, das nun bald schnell genug fliegen würde, um in einer Tagesreise alle Sterne zu erreichen.

Er merkte, daß sie ihn hin und wieder mitleidig ansahen.

Ihr Mitgefühl störte ihn nicht. Er bat sie nur, ihm zu erlauben, bis zu seinem Tod bei ihnen zu leben. Er wußte, daß er bald sterben würde. Und während sie immer noch redeten, versank er in einem schmerzhaften, betäubenden Traum, der andauerte, bis - er hatte kein Gefühl mehr für die Zeit -, bis er sich angeschnallt in einer Hängematte wiederfand, im Kontrollraum des Schiffs. Und er spürte jene zermalmende Kraft, die ihm verriet, daß sie erneut durch einen Raum von anderen Dimensionen rasten.

»Geht esch Ihnen gut?« fragte eine vertraute, mißtönende Stimme.

Es war ein weiteres Opfer seiner Fehlschläge - der Schimpanse namens Ferguson. Mühsam versicherte Marchand, daß alles in Ordnung wäre.

»Wir sind gleich da«, sagte Ferguson. »Ich dachte, das würde Sie interessieren. Da ist ein Planet. Wir glauben, daß er bewohnbar ist.«

Von der Erde aus war der Stern namens Groombridge 1618 nicht mit bloßem Auge zu erkennen. Durch das Binokular konnte man ein winziges Flackern wahrnehmen, das sich zwischen unzähligen Tausenden von ferneren, aber viel helleren Sternen verlor. Von Groombridge 1618 aus betrachtet war auch die Sonne nur ein schwaches Flimmern.

Marchand erinnerte sich, daß er Fergusons besorgtes Affengesicht ignoriert hatte und mit großer Mühe aus seiner Hängematte gestiegen war, um nach der Sonne Ausschau zu halten. Ferguson zeigte sie ihm, und Marchand blickte auf das Licht, das sich schon seit fünfzehn Jahren von seinem Heimatplaneten entfernte.

Die Photonen, die jetzt auf seine Augen einwirkten, hatten schon aufgehört, die Erde in die Farben des Sonnenuntergangs zu tauchen, als er um die siebzig gewesen war und seine Frau erst seit ein paar Jahren betrauert hatte. Später wußte er nicht mehr, wie er in seine Hängematte zurückgekommen war.

Er erinnerte sich auch nicht mehr, zu welchem Zeitpunkt sie ihm von dem Planeten erzählt hatten, den sie jetzt kolonialisie-ren wollten. Er hing tief über der kleinen orangeroten Scheibe des Groombridge 1618, der nach solaren Maßstäben nur schwach leuchtete. Nach den ersten Schätzungen des Captains war sein Orbit unregelmäßig, aber bei der größtmöglichen Annäherung würde er weniger als zehn Millionen Meilen von den glühenden Feuerkohlen seiner Sonne entfernt sein. Das war nah genug und warm genug. Die Teleskope zeigten einen Planeten mit Meeren und Wäldern und beseitigten die Zweifel des Captains, denn nun wußte er, daß diese Welt nicht gefrieren konnte, wenn sie am weitesten von ihrer Sonne entfernt war, und nicht verbrennen, wenn sie ihr am nächsten kam. Sonst wären die Wälder nicht entstanden. Die Spektroskope, die Thermoelemente und die Filarometer zeigten noch mehr, diese Instrumente, die dem Schiff vorauseilten, das sich nun im Orbit befand und gezwungen war, auf dem letzten Teil der Strecke im Raketentempo dahinzukriechen.

Man konnte die Atmosphäre einatmen, denn die Farnwälder hatten ihre Gifte eingesogen und die Luft mit Sauerstoff gefüllt.

Die Gravitation war stärker als auf der Erde, was der ersten Generation Schwierigkeiten bereiten und ihren Nachkommen Fußkrankheiten und Hüftschmerzen eintragen würde. Aber mit diesem Problem würde man fertig werden. Es war eine schöne Welt.

Marchand wußte nicht mehr, wie er das alles erfahren hatte. Er erinnerte sich auch nicht an die Landung, an die ungeduldige Freude, die alle erfüllt hatte, als sie die Gefriertruhen öffneten, an das Erwachen der Kolonisten, an den Beginn des neuen Lebens. Er wußte nur, daß er irgendwann in einer warmen, weichen Hängematte gelegen und zum Himmel aufgeblickt hatte.

5

Eine fliehende Affenstirn und wulstige Lippen neigten sich über ihn. Marchand erkannte den jungen Ferguson. »Hallo!« sagte er. »Wie lange war ich denn bewußtlos?«

»Nun - Sie waren gar nicht bewußtlos«, erwiderte der Schimpanse verlegen. »Sie waren.« Seine Stimme erstarb.

»Ich verstehe«, sagte Marchand und richtete sich auf. Er war dankbar für die Kraft des kurzbeinigen Körpers mit den hängenden Schultern, den er sich ausgeliehen hatte, denn diese Welt, zu der er geflogen war, besaß eine unangenehme Schwerkraft. Bei der Anstrengung wurde ihm schwindlig. Ein blasser Himmel und Schleierwolken begannen sich um ihn zu drehen. Er verspürte seltsame Sinneseindrücke von Schmerz und Freude, erinnerte sich an Wahrnehmungen, die ihm neu waren, empfand Freuden, die er nie zuvor gekannt hatte. Mühsam verdrängte er das Affenrudiment aus seinem Gehirn und sagte: »Sie meinen, daß ich - wie würden Sie es nennen? Daß ich instabil war? Daß die Verpflanzung nicht ganz geklappt hat?« Aber er konnte auf Fergusons Bestätigung verzichten. Er wußte es - und er wußte auch, daß seine letzte Stunde schlagen würde, wenn ihm die Sinne noch einmal schwanden. Czerny hatte ihn gewarnt. Die Phospholoide - das war es doch gewesen, nicht wahr? Es war bald an der Zeit, ins Jenseits zu gehen.

Er blickte zu den Männern und Frauen, zu den menschlichen Männern und Frauen, die verschiedenen Aufgaben nachgingen, und fragte: »Sind Sie immer noch ein Affe?«

»Das werde ich bis zu meinem Ende sein, Dr. Marchand. Ich habe meinen Körper verloren.«

Marchand dachte eine Weile darüber nach. Dann verirrten sich seine Gedanken, und schließlich ertappte er sich dabei, daß er an seinem Unterarm leckte und sich den runden Bauch kratzte. »Nein!« schrie er und versuchte aufzustehen.

Ferguson half ihm, Marchand stützte sich dankbar auf den starken Arm des Schimpansen. Jetzt wußte er wieder, was ihn irritiert hatte. »Warum?« fragte er.

»Was meinen Sie, Dr. Marchand?«

»Warum sind Sie hierhergekommen?«

»Bitte, setzen Sie sich doch, bis der Arzt kommt«, sagte Ferguson besorgt. »Ich bin hierhergekommen, weil jemand an Bord der Tycho Brake war, den ich gern wiedersehen wollte.«

»Ein Mädchen? Und?« fragte Marchand. »Haben Sie sie gesehen?«

»Es ist keine Frau. Es sind meine Eltern. Ja, ich habe sie gesehen. Ich war zwei Jahre alt, als die Tycho Brake startete. Meine Eltern waren vielversprechende, fortpflanzungsfähige Kolonisten. Es war damals schwer, Freiwillige aufzutreiben. Aber das wissen Sie natürlich besser als ich. Ich wurde von einer Tante adoptiert. Meine Eltern hinterließen mir einen Brief, den ich las, als ich alt genug war. Dr. Marchand! Was ist denn los?«

Marchand taumelte und stürzte. Er konnte nichts dagegen tun. Er wußte, daß er Aufsehen erregte, spürte die unangebrachten Tränen, die aus seinen tierischen Augen flössen, aber dieser letzte und unerwartete Schlag hatte ihn zu hart getroffen. Er hatte der Tatsache ins Auge geblickt, daß er fünfzigtausend Menschenleben zerstört hatte, und er hatte seine Schuld akzeptiert. Aber ein verlassenes Kind, das einer Tante übergeben worden war, mitsamt einem Entschuldigungsbrief, brach ihm das Herz.

»Warum töten Sie mich nicht?« fragte er.

»Dr. Marchand! Ich weiß nicht, wovon Sie reden!«

»Ich wünschte, daß es eine Möglichkeit gäbe, für meine Schuld zu bezahlen. Aber es gibt keine. Ich habe nichts mehr - nicht einmal mehr ein bißchen Lebenskraft, die ich abgeben könnte. Aber es tut mir leid, Mr. Ferguson. Das muß Ihnen genügen.«

»Wenn ich mich nicht irre, wollen Sie für das Institut um Entschuldigung bitten«, sagte Ferguson.

Marchand nickte.

»Aber.« Ferguson unterbrach sich. »Es steht mir nicht zu, das zu sagen, aber es ist sonst niemand da. Hören Sie mir bitte zu. Lassen Sie mich versuchen, es Ihnen zu erklären Die Kolonisten haben dem Planeten gestern einen Namen gegeben. Das war das erste, was sie nach ihrer Ankunft taten. Sie haben eine einstimmige Wahl getroffen. Wissen Sie, wie der Planet heißt?«

Marchand konnte ihn nur stumm anblicken.

»Bitte, hören Sie mir zu, Dr. Marchand. Sie haben ihre neue Welt nach dem Mann genannt, der sie ihr Leben lang inspiriert hat - nach ihrem größten Helden. Der Planet heißt Marchand.«

Marchand starrte ihn lange an, entrückt, wortlos, dann schloß er die Augen, ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern.

»Dr. Marchand!« sagte Ferguson erschrocken. Und dann machte er sich ernsthafte Sorgen, wandte sich ab und watschelte davon, so schnell ihn seine Affenarme und -beine trugen, um den Schiffsarzt zu holen, der ihm aufgetragen hatte, ihn sofort zu verständigen, wenn der Patient das erste Lebenszeichen erkennen ließ.

Als er mit dem Arzt zurückkam, war der Schimpanse verschwunden.

Sie blickten zum Farnwald hinüber, dann starrten sie einander an.

»Er ist davongelaufen«, sagte der Arzt. »Vielleicht ist es gut so.«

»Aber die Nächte sind kalt. Er wird sich eine Lungenentzündung holen. Er wird sterben.«

»Das kann er nicht mehr - zumindest nicht im eigentlichen Sinn«, erwiderte der Doktor sanft. »Er ist schon tot. Alles, was ihm wichtig war, ist bereits in ihm gestorben.«

Er bückte sich und rieb seine schmerzenden Schenkel, die schon müde waren vom Kampf gegen die Schwerkraft dieses neuen Paradieses. Dann richtete er sich auf und blickte auf die Sterne am Westhimmel, der langsam dunkler wurde. Der grüne Stern da oben war ein weiterer Planet der Groombridge 1618 weiter draußen, ein Planet, der nur aus Eis und Kupfersalzen bestand. Und einer der Sterne, die nur ganz schwach leuchteten, war vielleicht die Sonne.

»Er hat uns diese Planeten geschenkt«, sagte der Arzt und wandte sich wieder der Stadt zu. »Wissen Sie, was es bedeutet, ein guter Mensch zu sein, Ferguson? Es bedeutet, besser zu sein, als man wirklich ist - so daß man den anderen sogar mit seinen Fehlschlägen hilft, dem Ziel ein Stückchen näherzukommen. Und das hat er für uns getan.

Ich hoffe, er hat gehört, was Sie ihm gesagt haben. Ich hoffe auch, er wird sich daran erinnern, wenn er stirbt.«

»Und wenn er sich nicht daran erinnert«, fügte Ferguson mit klarer, deutlicher Stimme hinzu, »so werden wir anderen immer daran denken.«

Am nächsten Tag fanden sie den zusammengekrümmten Körper.

Es war das erste Begräbnis, das auf dem Planeten stattfand, und es wurde im Buch der Geschichte vermerkt. Und auf dem Raumflugplatz des Planeten namens Marchand steht eine Statue, in deren Sockel die Worte eingraviert sind: Der Vater der Sterne.

Unter dieser Inschrift ist ein kleines Basrelief zu sehen, das einen zusammengekrümmten Schimpansen zeigt. Mit blinden, angstvollen Augen starrt er auf die neue Welt. Denn es war eine Schimpansenleiche, die sie im Wald gefunden und unter der Statue begraben hatten. Das Basrelief stellt einen Affenkörper dar, und es ist ein Affenkörper, der unter der Erde liegt. Aber die Statue, die in den Himmel ragt, ist göttergleich.

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